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3.

Nuno Goncalves sah die Gestalt neben sich hochschnellen, und fast gleichzeitig stellte er fest, daß sich in der Dunkelheit vor ihm noch mehr ungebetene Gäste eingefunden hatten. Schemen, die vor der Balustrade kauerten. Selten war die Heckgalerie der „Sao Paolo“ derart belebt gewesen.

Ein Schlag traf Goncalves, ehe er schreien, handeln oder kämpfen konnte. Dieser Hieb, auf seine rechte Flanke gezielt, war so hart, daß er nach Steuerbord katapultiert wurde. Er flog Dan O’Flynn entgegen, und der ließ seinen rechten Fuß hochzukken, wie Sun Lo es ihn gelehrt hatte.

Ein Ruck, der Goncalves’ Körper durchlief, ein erstickter Laut, ein Fallgeräusch, und der portugiesische Kriegsschiff-Kapitän lag ausgestreckt vor Dan auf den Planken.

Ergötzen konnte Dan sich an diesem Anblick allerdings nicht, er mußte den anderen nach. Carberry, Smoky und Ferris Tucker waren wie die Teufel in die Kapitänskammer gestürmt. Hasard wirbelte herum und lief ihnen nach, Blakky schloß sich ihm an.

Der erste Offizier der „Sao Paolo“ hatte seinen Kapitän wie durch Spuk aus dem Rechteck der Türöffnung verschwinden sehen. Sofort hatte er die Hand auf den Griff seiner wertvollen Radschloßpistole fallen lassen. Im Grunde war das die richtige Reaktion, und man mußte es dem schlanken, schneidigen Mann lassen: Er hatte das Rüstzeug eines vollwertigen Kapitäns.

Der Bootsmann klappte den Mund auf und stand für eine Weile ratlos da.

Ein Klotz aus Muskeln, Narben, Häßlichkeit und englischen Flüchen raste auf den ersten Offizier zu. Der zückte die Pistole, um ein Loch in diesen Berg zu brennen, aber Carberry war schneller. Im Eifer des Gefechts vergaß er Sun Lo, die Klosterschüler und den ganzen Kram, den er da oben im Bergkloster vernommen hatte. Er knallte dem Gegner eine brettharte Linke auf den Waffenarm, so daß die Pistole durch den Raum segelte und zu Boden polterte. Die rechte Faust rammte er ihm unters Kinn – nach guter alter Cornwall-Art und wie’s ihm spontan einfiel.

Smoky und Ferris schlüpften an dem zusammenbrechenden Ersten vorbei und erreichten den Bootsmann. Sie nahmen neben ihm Aufstellung, keilten ihn ein, und Ferris raunte dem Entsetzten auf spanisch zu: „Ruhig bleiben. Ich an deiner Stelle würde nichts von dem versuchen, was du vielleicht vorhast.“

Der Bootsmann hatte bereits die Karaffe mit dem Vinho tinto in der linken Hand, wie Nuno Goncalves es ihm befohlen hatte. Seine rechte Hand umspannte einen gläsernen Kelch, den er soeben einem dunkel lackierten Schrank aus kostbarstem Nußbaumholz entnommen hatte.

Ferris nahm ihm die Karaffe ab. Smoky fing das Glas auf, als der Bootsmann es einfach fallen ließ.

„Na, na“, sagte Hasards Schiffszimmermann. „Wir wollen doch nicht, daß hier was kaputtgeht.“

Der Bootsmann stürzte mit einem Aufschrei auf Hasard zu. Blacky und Dan befanden sich hinter dem Seewolf, brauchten aber nicht mehr einzugreifen, weil Hasard den Anrükkenden mit einem einzigen Schlag fällte.

Der Bootsmann hätte gern wie am Spieß geschrien und um sich geprügelt. Statt dessen legte er sich sanft auf den Boden der Kammer.

„Donnerkiel“, sagte Carberry. „Das war ein Hieb, Sir.“

„Waffenloser Kampf“, erwiderte der Seewolf leise. „Langsam kriege ich Geschmack daran.“

„Sun Lo sollte uns sehen“, flüsterte Dan.

Hasard huschte zur Tür, die auf den Gang des Achterkastells führte. Er lauschte, wandte sich dann wieder um und raunte: „Kommt. Noch rührt sich nichts, aber vielleicht ist der Ruf des Burschen an Oberdeck doch vernommen worden.“

Hasard öffnete die Tür und zog den Schlüssel ab, der von innen steckte. Er zwängte sich als erster durch den Spalt in den stockfinsteren Gang. Nichts, das irgendwie Gefahr verkünden konnte, ließ sich im Achterdeck vernehmen. Hasard schlich weiter.

Dan O’Flynn löschte das Licht in der Kammer, damit sie den Schein nicht im Rücken hatten. Blacky, Smoky, Carberry und Tucker waren an ihm vorbei. Er verließ als letzter die Kammer.

Auf dem Gang dachte der Profos: Hölle, es ist nicht leicht, sich so ganz ohne Anhaltspunkte im Dunkeln voranzubewegen, aber, hol’s der Henker, wir haben langsam ja schon Übung darin.

Kurze Zeit darauf hatten sie den Gang hinter sich gebracht. Dan als letzter des kleinen Trupps hatte die Kapitänskammertür von außen zugeschlossen – damit die drei ohnmächtigen Gegner ihnen nicht in den Rücken fallen konnten, wenn sie vorzeitig erwachten.

Hasard drückte das Schott, das auf die Kuhl mündete, vorsichtig auf, aber er konnte es doch nicht verhindern, daß die Eisenangeln ein leises Knarren von sich gaben.

Er verharrte.

Über ihm, an der Schmuckbalustrade, die den vorderen Querabschluß des Achterdecks bildete, standen zwei der vier Deckswachen dicht nebeneinander.

„Hast du das gehört?“ sagte der eine. „Dann habe ich mich eben also doch nicht getäuscht. Erst ein Schrei – jetzt ein deutliches Knarren.“

„Das wird der Capitán sein“, meinte der andere.

„Nein, unmöglich. Warum sollte der schreien?“

„Vielleicht hat er den Ersten angebrüllt.“

„Ich glaub’s einfach nicht. Woher kam das Knarren?“

„Vom Schott“, antwortete der zweite Posten trocken. „Es steht halb offen und wird vom Wind bewegt.“

„Du meinst, alles sei in Ordnung?“

„Ja. Was soll denn schon passieren?“

Eben, was soll schon passieren, dachte auch der erste Posten. Er sann für eine Weile nach, dann gab er sich einen Ruck und sagte: „Trotzdem. Ich gehe kurz ’runter und sehe nach.“

Der andere zuckte mit den Schultern.

Der erste Posten stieg den Backbordniedergang zur Kuhl hinunter, wandte sich nach rechts und sah gerade noch, daß das Schott zum Achterkastell tatsächlich halb offen war. Er wollte sich darüber wundern, denn noch vor ein paar Minuten hatte er es fest verschlossen gesehen. Aber zu solchen oder ähnlichen Überlegungen blieb ihm keine Zeit.

Jemand sprang ihn an.

Hasard hatte das Achterkastell auf leisen Sohlen verlassen und neben dem Backbordniedergang gekauert. Ein Hieb mit der Handkante gegen die Nakkenpartie des Postens genügte, und der Mann sank vor der Hütte zusammen, ohne auch nur den leisesten Laut von sich zu geben.

Ein wenig Licht von der Hecklaterne drang bis auf die Kuhl, aber dicht vor der Querwand der Hütte herrschte schwärzeste Finsternis. Hasard ließ sich neben dem Bewußtlosen nieder, hockte völlig reglos da und wartete ab.

Wenig später verließ auch die zweite Wache das Achterdeck. „He, wo steckst du?“ rief der Mann.

Von der Back meldete sich ein dritter Mann. Er trat an die Querbalustrade über der Kuhl, und fast gleichzeitig erschien neben ihm eine weitere Gestalt. „Was ist los? Warum rufst du?“

„Sirio meint, was gehört zu haben“, brummte der zweite Posten. Er hatte die Stufen des Backbordniedergangs hinter sich gebracht und blieb ganz nah vor Hasard stehen. „Möchte wissen, was der hat. Ich sage euch, er sieht Gespenster.“

Hasard spähte zum Vordeck hinüber. Weitere Wachtposten konnte er nicht entdecken. Vier waren es also. Es galt, die beiden auf der Back außer Gefecht zu setzen, ohne daß sie den Rest der Mannschaft wachtrommeln konnten.

Sirios Kumpan beugte sich ein wenig vor. Offenbar versuchte er zu erkennen, was sich im Dunkel vor der Poop tat.

Hasard hatte Sirios Stimme vorher deutlich genug vernommen, er konnte sie ohne Schwierigkeiten nachahmen.

„Aqui, eis“, raunte er auf portugiesisch. „Hier, hier ist …“

Der andere rückte näher. „Que, onde – was, wo?“ fragte er.

„Dies hier“, zischte der Seewolf. Er knallte dem Posten die Faust gegen die Schläfe, fing ihn auf und zog ihn zu sich herunter. Sanft ließ er ihn auf die Planken gleiten, dann erhob er sich und ging über die Kuhl.

Carberry, Smoky, Blacky, Ferris und Dan hatten das Achterkastell der Galeone verlassen und kauerten sprungbereit. Sie hielten den Atem an, denn was der Seewolf in diesem Augenblick vorführte, war wirklich das Ausmaß der Verwegenheit.

Für zwei oder drei Sekunden glaubten die beiden Posten auf der Back vielleicht noch daran, den zweiten Wachmann vor sich zu haben. Sie hatten nicht erkennen können, was sich vor der Hütte abgespielt hatte. Sie hatten Sirios Partner nur verschwinden und dann sofort wieder eine Gestalt auftauchen sehen.

Jetzt sperrten sie die Münder auf.

Hasard nutzte das Überraschungsmoment eiskalt aus. Er duckte sich, sprintete los, hetzte über die Planken und steuerte genau auf das Vorkastell zu. Kurz davor stieß er sich ab.

Er federte genau in dem Moment auf die zwei Deckswachen zu, in dem diese die Pistolen zückten. Einer der beiden stieß einen keuchenden Laut des Entsetzens aus.

Hasard packte zu und kriegte sie an den Hemdaufschlägen zu fassen. Ehe sie sich wehren konnten, rammte er ihre Köpfe zusammen. Ihr ausgesprochenes Pech war, daß sie keine Helme trugen. Sie stöhnten auf und sackten zusammen. Der Seewolf klammerte sich an der Handleiste der Querbalustrade fest, zog sich endgültig hoch und rutschte über die hölzerne Barriere weg auf das Vordeck.

Der eine Posten war ohnmächtig zusammengesunken. Der andere fing sich wieder, richtete seine Pistole auf Hasard und spannte den Hahn. In seinen Augen loderte es, Haß verzerrte sein Gesicht.

„El Lobo del Mar“, stieß er hervor.

Hasard schwang auf ihn zu. Sein rechter Fuß zuckte hoch, es funktionierte auch diesmal, Sun Lo war ein hervorragender Lehrmeister. Die Pistole löste sich aus der Hand des Portugiesen, wirbelte durch die Luft und flog außenbords.

Hasard setzte nach und packte den Arm des Gegners. Der Posten hatte plötzlich das Gefühl, sein Schultergelenk würde ausgekugelt werden. Er verlor den Boden unter den Füßen, hob sich unter Hasards Griff ein Stück durch die Luft und krachte schwer gegen die Schmuckbalustrade. Besinnungslos blieb auch er liegen.

Hasard blickte sich um und entdeckte die Musketen der beiden Männer. Er griff sie, eilte zur Kuhl und warf sie von oben aus seinen wartenden Männern zu.

Carberry fing die eine Muskete auf, Dan schnappte sich die andere. Sie grinsten, nickten sich zu und stiegen als erste ins Vorschiff hinunter. Dort befand sich das Mannschaftslogis, dort mußte die entscheidende Auseinandersetzung stattfinden.

Unten, auf dem dunklen Gang, taumelte dem Profos der „Isabella“ ein schlaftrunkener Mensch entgegen. Offenbar hatte er etwas von dem vernommen, was sich auf Oberdeck getan hatte – jetzt wollte er nach dem Rechten schauen. Vielleicht war er der Decksälteste. Oder gar der Profos. Wer auch immer – Ed Carberry fällte ihn mit einem wilden Hieb. Der Sturz des Portugiesen verursachte einigen Lärm: Poltern, Rumpeln, das Schlagen von Stulpenstiefeln auf den Planken.

So wurde der eine oder andere Schläfer wach.

Überall regte sich Leben, mürrische Stimmen fragten, was los sei und ob man nicht Ruhe geben könne.

Carberry tastete sich in einen Raum vor. Er vernahm Schnarchen, Atmen, Husten. Er stupste Dan O’Flynn an, der dicht neben ihm war. Sie flankierten die Tür, lehnten sich mit dem Rücken gegen die Wand und hoben die Musketen.

Jemand schlug Feuerstein und Feuerstahl gegeneinander. Ein Funke entstand, dann glomm ein Talglicht auf. Verwirrte Mienen, liegende und halb aufgerichtete Gestalten, mindestens zwanzig an der Zahl – jawohl, sie standen im Mannschaftslogis.

„Hoch die Flossen“, sagte Carberry in holprigem Portugiesisch. „Unternehmt keinen Quatsch, ihr Bastardos, oder wir marschieren hier durchs Schiff, daß es nur so raucht. Also, schön brav sein.“

Smoky, Blacky und Ferris Tucker hatten sich inzwischen auf die übrigen Schlafräume des Vordecks verteilt. Es gab ein paar Kammern, in denen der Feldscher und ein paar andere Leute ihrer zweifellos verdienten Nachtruhe nachgingen. Für sie gab es ein höchst unerfreuliches Erwachen.

Hasard nahm sich im Alleingang ein paar Offiziere vor, die sich gerade anschickten, das Achterkastell zu verlassen. Er hätte sich eher um sie kümmern können, aber es war ihm das Wichtigste gewesen, zuerst die Deckswachen auszuschalten.

„Zwei Kerle“, sagte im Mannschaftslogis soeben einer der Portugiesen. „Und sie haben nur zwei Schuß. Überwältigen wir diese Hunde.“

Dan blickte zum Profos. „Ed – ohne Waffengewalt, hat der Seewolf gesagt.“

„Glaubst du, ich bin taub?“

„Nein, ich wollte dich bloß noch mal daran erinnern“, sagte Dan grinsend.

Die ersten Portugiesen sprangen aus ihren Kojen. Zweifellos hatten sie bereits eine Ahnung, wer ihre Gegner waren, und sie wollten sich auf Teufel komm raus Lorbeeren verdienen. Denn auf die Ergreifung des Seewolfes und seiner Crew war eine Belohnung ausgesetzt, eine Kopfprämie, deren Höhe Philipp II. von Spanien höchstpersönlich festgelegt hatte.

Carberry drehte seine Muskete um und benutzte sie als eine Art Dreschflegel. Den Hahn der Waffe hatte er gar nicht erst gespannt, sie konnte also nicht losgehen. Er mähte vier, fünf Angreifer nieder, dann ließ er die Muskete los und fing an, „durch das Schiff zu marschieren“, wie er angekündigt hatte.

Wenig später tobte der Kampf sowohl im Vor- als auch im Achterschiff.

Hasard und seine Männer teilten großzügig Schläge und Tritte aus, sie bedienten sich wieder der Methoden, die Sun Lo ihnen beigebracht hatte. Der Seewolf hatte allein vier Mann gegen sich, aber dank der einzigartigen Verteidigungsweise hielt er sie sich vom Leib.

Hasard trat einem wutschnaubenden Offizier unters Kinn, setzte mit der Faust nach und schickte ihn mit einem Schlag zu Boden. Den Hieb eines anderen Gegners blockte er mit der Handkante ab, dann packte er zu und verdrehte dem Mann den Arm, daß er quer durch den Gang des Achterkastells flog und ein paar Yards weiter hart auf den Planken landete.

Er tauchte unter einem sirrenden Degen weg, ließ wieder seinen Fuß hochschnellen und entwaffnete den Gegner. Konzentriert schlug und trat er abwechselnd, paßte aber auf, keinen der Angreifer durch zu harte Abwehr lebensgefährlich zu verletzen.

Einen derart ausdauernden Faustkampf hatte der Seewolf bisher noch nicht ausgetragen. Und nie hatten sich die Männer der „Sao Paolo“ einer so wehrhaften kleinen Streitmacht gegenübergesehen, nie hatte man sie im Kampf auf Deck dermaßen in Verlegenheit gebracht.

Ein einziger Tag im Bergkloster von Formosa hatte nicht ausgereicht, um Hasard und seine Männer in alle Geheimnisse der mysteriösen Kampfweise einzuweihen. Sun Lo hatte ihnen aber versichert, daß sie die Grundzüge der waffenlosen Verteidigung recht gut verinnerlicht und in die Praxis umgesetzt hätten.

Was aber Sun Los Mönche zu vollbringen vermochten, war sehr viel erstaunlicher. Hasard hatte auf dem Hof vor dem Tempel der Großen Vollendung gesehen, wie ein Schüler mit der bloßen Faust einen Stapel von zwölf gebrannten Tonziegeln zertrümmert hatte. Er war dabeigewesen, wie zolldicke Bretter mit der Handkante gespalten worden waren. Weiter gab es Konzentrations- und Meditationsübungen, die den Mönchen neue Erkenntnisse eröffnen sollten, die sie immer wieder an die Basis der Gewaltlosigkeit erinnerten, auf der ihre Lehre eigentlich beruhte. Die Mittel, mit denen man sich gegen eine Invasion wandte, wurden durch den Zweck geheiligt, sie erwuchsen aus der Not. Aber Sun Lo wies immer wieder darauf hin, daß er keine hirnlosen Kraftprotze fördern wolle.

Sun Lo hatte Hasard erzählt, daß er manchmal mit den Klosterschülern zum Fluß hinuntersteige und sie dort lernten, wie man auf dünnen, schmalen Brettern über das Wasser laufe. Sie konnten mit Nagelschuhen Mauern hochrennen, über Kohlen und Glasscherben gehen und noch viele andere erstaunliche Demonstrationen vollführen.

Dies alles gehörte zu den harten, entbehrungsvollen Prüfungen, die Sun Lo allen Männern abverlangte, die letztlich die Straße der Weisheit beschreiten wollten.

Ganze Welten schienen die verschiedenen Mentalitäten der Völker zu trennen, und für einen Europäer war es schwer, diese Art größter Selbstbeherrschung und harten Trainings zu verstehen. Hasard glaubte aber, etwas von dem, was Sun Lo ihm auseinandergesetzt hatte, begriffen zu haben.

Er hechtete auf den letzten Widersacher zu, packte ihn und riß ihn mit sich zu Boden. Mit einem Hieb seiner rechten Handkante entledigte er ihn seiner Pistole. Sie wälzten sich auf dem Gang, überrollten sich, balgten sich, bis Hasard einen der Tricks anwandte, die er von Sun Lo gelernt hatte.

Der Offizier löste sich von Hasard und prallte gegen die Gangwand zurück. Heftig schlug sein Hinterkopf gegen das harte Edelkastanienholz. Er sank mit einem Stöhnen an der Wand zu Boden.

Hasard beschloß, die Angelegenheit zum Abschluß zu bringen. Er hob die eine Pistole auf, lief nach achtern und riegelte die Tür der Kapitänskammer auf.

Der Bootsmann rappelte sich gerade benommen auf, wie der Seewolf im Mondlicht erkennen konnte. Er wollte nach einer Waffe greifen, aber Hasard stoppte ihn.

„Auf die Galerie“, herrschte er ihn an. „Wird’s bald, oder muß ich nachhelfen?“

Nein, daran war dem Bootsmann nicht gelegen. Er stolperte durch die immer noch offene Tür auf die Heckgalerie hinaus. Unterwegs strauchelte er fast über die liegende Gestalt des Ersten. Er stieß ihm die Stiefelspitze in die Körperseite, turnte über ihn weg und hielt sich mühsam in der Balance.

Der erste Offizier, offensichtlich durch den Tritt aufgerüttelt, kam nun auch zu sich.

Hasard scheuchte auch ihn nach achtern hinaus. Er nahm die Karaffe voll Wein mit, trat zu dem Kapitän Nuno Goncalves und leerte den edlen Vinho tinto über dessen Haupt aus. Die Wirkung trat augenblicklich ein. Der Kapitän hob den Kopf, schüttelte ihn und prustete. Verdattert schaute er sich um – und blickte in die Mündung der auf ihn gerichteten Pistole.

„Freundchen“, sagte der Seewolf, „ich habe nur einen Wunsch, und den wirst du mir erfüllen.“

„Seewolf“, zischte Goncalves. „Fahr zur Hölle!“

„Später vielleicht“, sagte Hasard kalt. „Erst springst du.“

Der Mann sah ihn ungläubig an.

„Richtig verstanden“, sagte Hasard. „Du jumpst ins Wasser. Du und deine beiden Figuren. Ich sage das nicht noch mal.“

Goncalves erhob sich unter dem zwingenden Blick des Seewolfs. Er trat zu dem Ersten und zu dem Bootsmann, kletterte auf die Balustrade der Galerie, sah noch einmal voll Haß zu dem Gegner – dann ließ er sich in die Tiefe fallen.

Hasard zielte auf die beiden anderen, und auch die hatten es plötzlich sehr eilig, von Bord der „Sao Paolo“ zu gelangen.

4.

Die Partie im Vordeck war ebenfalls entschieden. Carberry, Smoky, Blacky, Ferris und Dan scheuchten gut zwei Dutzend Portugiesen aufs Oberdeck und zwangen sie, die Beiboote abzufieren. Verstört und mit fliegenden Fingern nestelten die Besiegten die Laschings der Boote los, hievten sie hoch, beförderten sie an den Galgen außenbords und fierten sie ungewöhnlich schnell ab.

„Ein Zugeständnis“, sagte der Profos unwillig. „Ihr Saubande, wenn es nach mir gegangen wäre, hättet ihr nicht eine einzige müde Jolle gekriegst. Dann wärt ihr alle baden gegangen.“

Ferris lachte und wies nach Backbord. „Einige scheinen deine Gedanken gelesen zu haben, Ed. Hörst du das?“

Ja, Carberry vernahm es jetzt auch. Da war ein Plätschern, ein Aufwühlen des Seewassers jenseits der Bordwand der Galeone. Überrascht hob er die Augenbrauen. Er vergewisserte sich, daß die Kameraden die Portugiesen auch allein bewachen konnten, drehte sich um und trat ans Schanzkleid.

Im Meer schwammen zehn oder zwölf Männer, der Profos bereitete sich nicht erst die Mühe, sie genau zu zählen. Nichts schien diese Burschen mehr zu interessieren, als soviel Distanz wie irgend möglich zwischen sich und die Galeone zu legen.

Carberry grinste. „Ausgekniffen, was? Das große Sausen gekriegt, wie? Ho, das haben wir gern. Feigheit vor dem Feind und Fahnenflucht – deswegen könnte euer Kapitän, dieses Rübenschwein, euch glatt vors Kriegsgericht stellen.“

Er wandte sich um und sah den Seewolf, der gerade vier Männer aus dem Achterkastell auf die Kuhl trieb. Reichlich verunstaltet sahen die Dons aus, und ihre Mienen drückten allen Jammer der Welt aus.

„Sir!“ rief Carberry. „Einen Teil des Haufens haben wir glatt in die Flucht geschlagen.“

„Um so besser, Ed.“

„Sollen wir die Hundesöhne jetzt in die Boote abentern lassen?“

„Natürlich, was denn sonst?“

Smoky schaute zu Carberry und lachte. „Willst du dich von den Dons verabschieden?“

Der Narbenmann schnitt eine Grimasse. „Ja, es tut mir richtig leid, daß sie abhauen. Hatte mich schon an sie gewöhnt.“

„Ab durch die Mitte“, sagte Blacky zu den Portugiesen. Er beherrschte ihre Sprache gut, hundertmal besser als Carberry. Sie verstanden ihn denn auch sofort und drängten sich vor den Jakobsleitern, die Carberry hatte ausbringen lassen. Sie konnten gar nicht schnell genug in ihre Boote steigen.

„Ferris und Dan“, sagte der Seewolf. „Ihr durchsucht jetzt die Schiffsräume. Wenn ihr etwas findet, das wir mitnehmen können-bitte. Aber laßt Pulver und Munition liegen, wir haben noch genug Vorrat an Bord.“

„Aye, Sir“, erwiderte Ferris. Er drehte um, Dan folgte ihm, und sie verschwanden unter Deck.

Etwas später hatten die Portugiesen mit den Booten von der Bordwand abgelegt. Ferris und Dan kehrten zu Hasard zurück und zeigten ein paar besonders wertvolle, reich verzierte Pistolen vor, die sie entdeckt hatten.

„Die stammen aus einer Kammer des Achterdecks“, erklärte Dan O’Flynn. „Ich fände es schade, wenn wir die hierlassen würden. Ich weiß, wir nehmen kein Boot, wir schwimmen an Land zurück, um keine Spuren zu hinterlassen. Aber ich könnte die Dinger auf einem Plankenstück festzurren, damit sie nicht naß werden.“

„Meinetwegen“, entgegnete Hasard. Er blickte Ferris an. „Und was hast du gefunden?“

„Werkzeuge, Sir.“ Ferris grinste von einem Ohr zum anderen.

„Auch einen Bohrer?“

„Na klar, Sir.“

„Was stehst du dann noch herum? Du weißt ja, was du zu tun hast.“

Ferris Tucker verließ wieder das Oberdeck. Er stieg tief in den Schiffsbauch der stolzen, schönen „Sao Paolo“ hinunter und begab sich mit den Beutewerkzeugen an eine Arbeit, die er nicht zum erstenmal ausübte. Er wußte, wo die besten Stellen waren, um den Bohrer anzusetzen, und wie viele Löcher erforderlich waren, um das Kriegsschiff in relativ kurzer Zeit auf den Grund der See zu befördern.

Schon nach kurzer Zeit lief er wieder zur Kuhl hoch. Die Werkzeuge hatte er im untersten Schiffsraum zurückgelassen.

„Wir können das Schiff jetzt verlassen“, meldete er seinem Kapitän.

Hasard warf noch einen Blick nach Backbord und sah den Booten nach. Es waren drei, zwei große und eine kleinere Jolle. Das am weitesten nach Westen versetzt dahingleitende Boot wurde in diesem Moment von seinen Insassen gestoppt. Sie hatten den Kapitän, den ersten Offizier und den Bootsmann entdeckt, hielten auf sie zu und nahmen sie an Bord.

Hasard grinste.

Natürlich durften sie es nicht bemerken, wie die Seewölfe jetzt heimlich die „Sao Paolo“ verließen. Die Portugiesen mußten denken, daß ihre Gegner das Schiff besetzt hielten, ja, daß sie sogar die Geschütze luden und sich auf einen Gegenschlag vorbereiteten.

Wenn der Capitán und seine Mannen bemerkten, daß man sie getäuscht hatte, würde es bereits zu spät sein. Dann konnten sie nicht mehr an Bord der Galeone zurückkehren, die Lecks nicht mehr stopfen und das Wasser in die See zurückpumpen — ausgeschlossen.

Hasard gab seinen Männern einen Wink.

Sie begaben sich ans Steuerbordschanzkleid und enterten an einer der Jakobsleitern ab. Unten ließen sie sich ins Wasser gleiten, und Dan schob das Stück Holz, auf dem er die wertvollen Pistolen befestigt hatte, vor sich her.

Tatsächlich gelang es ihm, die Waffen unversehrt an Land zu befördern. Schweigend schwammen die sechs Männer nebeneinander her, und als sie das Ufer erreicht hatten, vergewisserten sie sich zunächst, daß sie von den Portugiesen auch nicht gesehen werden konnten.

Aber die „Sao Paolo“ lag zwischen ihnen und dem davonziehenden Feind, und die Schatten der Nacht schlossen einen Vorhang zwischen den Gegnern.

Hasard führte seine kleine Gruppe an Land. Dan O’Flynn schleppte das winzige „Floß“ mit den darauf festgezurrten Pistolen mit und ließ es neben sich ins Gebüsch sinken, als die Kameraden im Dickicht verharrten und sich hinkauerten.

Sie blickten zur Galeone.

Das Schiff hatte jetzt etwas mehr Tiefgang und begann – für einen Uneingeweihten kaum sichtbar – ein wenig nach Steuerbord zu krängen.

„Ausgezeichnet, Ferris“, lobte der Seewolf. „Von jetzt an füllt sich der Schiffsinnenraum immer schneller mit Wasser. Falls die Dons jemals zurückkehren, finden sie den Kahn nicht wieder. Die See ist an dieser Stelle tief genug, um ihn in seiner vollen Größe zu schlucken.“

Er richtete sich auf.

Die Männer folgten seinem Beispiel, und sie strebten dem Verlauf des Pfades nach, den Sun Lo ihnen zuvor gebahnt und gekennzeichnet hatte.

Am Flußufer lag ein Boot bereit. Gary Andrews und Bob Grey warteten darauf, mit ihnen zur „Isabella“ zu pullen. Hasard fiel Greys verstohlenes Lächeln auf, aber er wußte sich keinen Reim darauf zu bilden. Er berichtete den beiden kurz, was sich zugetragen hatte. Die Männer freuten sich über den Erfolg und schlugen Dan, Blacky, Smoky und Ferris auf die Schultern.

Beim Seewolf wagten sie es nicht, aus Respekt. Bei Carberry trauten sie sich ebenfalls nicht recht, weil der vielleicht zurückschlug. Und wo der Profos hinlangte, wuchs kein Gras mehr.

Die acht Männer stiegen ins Boot und pullten zur „Isabella“.

Hasard saß auf der Heckducht und hielt die Ruderpinne. Als er zu seinem Schiff blickte, beschlich ihn ein merkwürdiges, fast resignierendes Gefühl.

Wäre es nicht besser gewesen, die „Sao Paolo“ zu kapern und statt ihrer die „Isabella“ zu versenken? Die „Sao Paolo“ war völlig intakt und seetüchtig gewesen – die englische Lady nicht. Sie mußte erst mühsam wieder repariert, aufgetakelt und abgedichtet werden. Es brauchte seine Zeit, bis die Masten wieder wie neu standen und das Rigg in perfekter Ordnung war. Gefechtsschäden – die Portugiesen hatten sie wirklich arg in die Bredouille gebracht.

Carberry drückte es jetzt auch aus, etwas drastischer allerdings: „Teufel, Männer, wenn ich daran denke, was wir noch an dem elenden Zuber zu tun haben, kriege ich das große Kotzen.“

Gary Andrews und Bob Grey grinsten breit.

„Ihr Zwerge“, sagte der Profos drohend. „Ihr Kakerlaken. Was gibt’s denn da zu grinsen, he? Ich werde euch das schon austreiben, ihr Rübenschweine. Das Ausruhen bekommt euch wohl nicht, was, wie?“

Hasard schaute in diesem Moment jedoch genauer hin und zog verwundert die Augenbrauen hoch. Was war denn da auf seinem Schiff los? In den Wanten hingen Gestalten, soviel vermochte er im silbrigen Schein des Mondes wohl zu erkennen – aber es schien sich um drei, vier Dutzend Männer zu handeln, die an den Rahen hantierten, und so groß war seine Crew doch gar nicht.

„He“, sagte er zu Carberry und den anderen. „Dreht euch mal kurz um!“

Der Profos folgte der Aufforderung und stieß erstaunt aus: „Ja, da wird doch die Seekuh in der Pfanne verrückt!“

„Jetzt spuck ich nach Luv“, erklärte Smoky verblüfft.

Sie hatten noch mehr solcher Sprüche auf Lager, aber Dan O’Flynn unterbrach sie, ihm dämmerte es.

„Das können nur Sun Lo und seine Mönche sein!“ rief er. „Diese Kerle! Sie sind nicht in die Berge zurückgekehrt, sondern helfen beim Ausbessern der Schäden!“

So war es. Das Boot glitt bei der „Isabella“ längsseits, und kurz darauf enterten die acht Männer an Bord auf. Hier konnte der Seewolf sich davon überzeugen, wie weit die Arbeiten bereits fortgeschritten waren.

Carberry kratzte sich mal wieder am Kinn und revidierte gründlich sein Urteil über Sun Lo, den Abt von Formosa. Eigentlich hatte er ihn für einen großen Theoretiker vor dem Herrn gehalten oder, anders ausgedrückt: für einen Spinner. Inzwischen hatte er aber einsehen müssen, daß dieser alte Mann ein sehr lebensnaher Mensch war – was die angewandten Verteidigungsgriffe betraf, die Orientierung im Dickicht und die Nothilfe auf einem ramponierten Schiff.

Ben Brighton erstattete dem Seewolf Bericht, nachdem dieser ihm geschildert hatte, wie das Unternehmen an Bord der „Sao Paolo“ verlaufen war.

„Sämtliche Lecks sind abgedichtet“, sagte Ben. „Die zerstörten Teile des Schanzkleides haben wir durch neue ersetzt. Das laufende und stehende Gut ist ebenfalls in Ordnung gebracht worden. Jetzt brauchen nur noch die Segel angeschlagen zu werden.“

Sun Lo trat zu ihnen. „Ich habe von dem großen Mann mit dem grauen Bart vernommen, daß ihr im Morgengrauen aufbrechen könnt“, fügte er auf spanisch hinzu. Er meinte Shane, das war klar, Big Old Shane, der trotz seiner Rippenquetschungen tüchtig mit zugriff.

Hasard ließ seinen Blick über Deck schweifen und schaute zu den Masten und Rahen hoch. Seine Männer und die Mönche von Formosa – bei Gott, was wäre die Welt ohne solche Menschen gewesen!

Am Morgen – sehr früh, nach dem Abschied von Sun Lo und dessen Schülern – verließ die „Isabella VIII.“ die Mündung des Flusses. Eine halbe Meile vor der Küste fiel sie ab und ging platt vor den Westwind.

Eigentlich hatte der Seewolf Formosa im Westen passieren wollen. Aber er hätte kreuzen müssen, um das Westufer zu erreichen, und das hätte ihn zuviel Zeit gekostet. Er zog es vor, die große Insel im Nordosten zu runden, wieder anzuluven und auf südlichen Kurs zu gehen. So befand sich die Galeone zwar in Lee der Insel, aber der Wind wehte frisch bis handig und trieb sie rasch genug voran.

Hasard hatte Ben, Shane, Ferris, Smoky und Old O’Flynn zur Betrachtung des neuen Kartenmateri- als im Ruderhaus versammelt. Gary Andrews hatte Pete Ballie auf seinem Posten als Rudergänger abgelöst, von Zeit zu Zeit schaute auch er herüber.

Die größte, beste Karte, die der Seewolf von Sun Lo erhalten hatte, wurde mit vereinten Kräften an der Rückwand des Ruderhauses festgepinnt. Hasard nahm sie noch einmal genau in Augenschein und fuhr mit der Fingerkuppe über Linien, Farben und Eintragungen. Die Erläuterungen waren mal in chinesischer Sprache, mal in uraltem, geschraubtem Portugiesisch abgefaßt. Man wurde kaum schlau daraus.

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