Читать книгу: «HELL WALKS – Der Höllentrip», страница 4

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Der Höllengänger war so massiv und bewegte sich so langsam, dass viele behaupteten, dass er existiere, sei schlichtweg unmöglich. Sie zeigten direkt auf ihn, wenn er über Mattscheiben flimmerte, und sagten, er sei bestimmt nur ein Hologramm zur Verschleierung einer Wettermaschine, die von den USA, China oder beiden zusammen gebaut worden sei. Was Israel und den Iran betraf, ist es bis heute unklar geblieben, wessen Atomschlag zuerst erfolgte. Fest steht nur, dass keine Nation für diese oder jene Seite intervenierte. Nordkorea zerbombte sich selbst; Russland richtete seine Waffen auf alle Welt und verlangte, in Ruhe gelassen zu werden.

Die Vereinigten Staaten und Kanada mussten währenddessen ein ganz anderes Problem bewältigen: Der Höllengänger nahte! Weder Raketenangriffe noch Aufklärungsdrohnen hatten etwas bewirkt, weil das Wesen ein unheimlich weites Elektromagnetfeld streute. Am Grund des nördlichen Polarmeers verstreut lagen unzählige funktionsgestörte Sprengköpfe, nur sehr wenige schlugen verbindlich bestätigt überhaupt irgendwo ein. Am kohlrabenschwarzen Äußeren des Höllengängers deutete nichts auf Schäden hin.

Eine Koalition von zweiundfünfzig Nationen einigte sich schließlich auf einen neuen Plan, dieses Mal auf eine Truppenbewegung hinaus zu dem Ding – auf das Ding zu genauer gesagt, um es anzubohren und mit Sprengstoff zu spicken. Dabei hoffte man, eine der Platten an dem Monster lockern oder gar lösen zu können, damit sich etwas Verwundbares darunter offenbarte. Das Vorhaben gelang allerdings nur zur Hälfte.

Nur sehr wenige Funkrufe der Soldaten, die am rechten Bein des Höllengängers hinaufkletterten, waren überhaupt verständlich. Denn ihre Geräte verweigerten schon nach kurzer Zeit den Dienst. Der denkwürdigste Übertragungsfetzen wurde einem Briten namens John Carlson zugewiesen und las sich: »Gott, ist das heiß … wie Lava statt Blut … für uns ist alles zu spät.«

Bis etwas passierte, vergingen Wochen, und wenngleich man verrauschte Satellitenbilder empfing, welche die Männer beim Aufsteigen in den Rillen und Spalten an dem Monster zeigten – eine Einstellung, in der sie sich an der Kante einer Platte unruhig im Schlaf wälzten, schaffte es auf die Titelseiten aller verbliebenen Presseerzeugnisse –, galt ihre Mission als gescheitertes Unterfangen. Ihr Roboterbohrer gelangte tatsächlich unter den Rand einer schroffen Kniescheibe und stieß dahinter sehr wohl auf etwas Weicheres, aber falls es den Soldaten gelungen war, der Koalition irgendwelche Informationen zu senden, wurden diese nie veröffentlicht. Bekannt war nur, dass die Männer sich bald hektisch abseilten und plötzlich in den Tod sprangen.

Als sich die Little Ones zum ersten Mal zeigten, hatten sie Flügel. Sie stiegen direkt aus dem Höllengänger auf und schwärmten in alle Winde aus, wie Frank bereits erzählt hatte. Dabei bewegten sie sich viel schneller als ihr … ihre Mutter? Ihr Mutterschiff? Niemand wusste es so genau. Flieger wurden daraufhin zusammengetrommelt und Raketen abgefeuert.

Das alles ging ganze sieben Jahre nach dem Erscheinen des Höllengängers auf der Erde vonstatten. Einige Menschen – nein, um die Wahrheit zu sagen, die meisten, Frank eingeschlossen – versuchten fortwährend, ein halbwegs normales Leben zu führen. Aber der Osten Kanadas war weitgehend verlassen, und ein großer Teil der Nordstaaten der USA waren ebenfalls Geisterstädte. Es gab Tage, da galten die Schlagzeilen nicht dem mühseligen Fortschritt des Höllengängers, sondern der Störung und den Kosten, die die Flüchtlinge verursachten.

Ein paar Little Ones wurden im Flug über den Globus abgeschossen. Dutzende weitere erreichten allerdings ihre Zielorte, wesentliche Städte weltweit, wo sie ihre eigentümlich knochigen Schwingen abstießen und sofort anfingen, ihr Werk zu verrichten.

Weitere sieben Jahre sollten vergehen, ehe die Regierung der Vereinigten Staaten gemeinsam mit den meisten anderen fiel. Sieben Jahre, in denen Monster durch manche Städte tollten, wohingegen sich die Menschen in anderen weiterhin täglich zur Arbeit quälten. Sieben Jahre dankbare Beschäftigung für Nachrichtensprecher. Während jener Phase wurden sogar Spielfilme gedreht. Zum überwiegenden Teil handelte es sich dabei um schrille, überzeichnete Reißer zum Heben der Gemüter, praktisch die Stooges auf LSD. Eines der weltgrößten Studios verlagerte sich auf die Produktion und den Vertrieb von Pornografie. Dokumentationen entstanden selbstverständlich auch, mit Wissenschaftlern und Weisen, die vorgaben, den Albtraum beenden zu können, wenn die Menschen doch nur auf sie hören würden. Das tat allerdings niemand, zumal sie ja sowieso logen.

Die letzte Präsidentenwahl in Amerika ging über die Bühne, kurz bevor ein paar Little Ones in Washington einfielen, im Grunde genommen der Sargnagel für die Regierung. Tatsächlich kristallisierte sich noch ein neues Oberhaupt heraus, ein Kerl namens McAvoy, wobei die Wahlbeteiligung selbst für US-Verhältnisse wirklich armselig ausfiel. Der Mann war verrückt, genauso wie der Großteil seiner Befürworter. Zum Glück wurde er nie vereidigt, obwohl: Verdammt, wenn er das Land wollte, könnte er es jetzt gern haben.

Ungefähr zur gleichen Zeit trat der Höllengänger aus dem Michigansee auf einen großen Teil von Chicago und blieb dort einfach stehen. Die wüsten Stürme und Beben, die jede seiner Zuckungen begleitet hatten, hörten dementsprechend auf. Seitdem bewegte sich der Gigant nicht mehr. Sein Kopf ragte immer noch über die Wolken hinaus, und der Körper war gerade aufgerichtet, aber er rührte sich nicht. Wie er es überhaupt geschafft hatte, sich voranzuschleppen, geschweige denn, wie er so senkrecht stehen konnte, war nach wie vor ein Rätsel, physikalisch so unmöglich wie die Wirbelwinde zuvor. Soweit das jetzt überhaupt noch etwas ausmachte, könnte es nur durch Zauberhand möglich gewesen sein. Die zivilisierte Welt war nicht mehr, und die Little Ones setzten ihre Jagd nach Restposten fort.

Dreieinhalb Jahre später schraubte Frank nun den Deckel der Kindertrinkflasche wieder zu und hängte sie an eine Gürtelschlaufe seiner Jeans. Dann stand er auf und dehnte seine Arme im Versuch, die unsäglichen Gelenkschmerzen loszuwerden, dies verschlimmerte das Ganze aber eigentlich nur. Er seufzte. »Sind wir schon zu einem Schluss gekommen?«

»Mir persönlich gefällt die Golfküste besser als der Westen«, sagte Quebra.

»Warum nicht Florida? Es ist noch da«, warf Chia ein und schnippte mit den Fingern. »Wie wäre es mit den Keys? Stellt euch bloß vor, wir könnten ein Boot und dann eine Insel finden.«

»Ich bin mir sicher, den gleichen Gedanken hatten auch viele andere Leute«, entgegnete Autumn. »Wir haben damals auch mit der Idee gespielt.«

»Gut, aber die meisten Überlebenden schaffen es wahrscheinlich nicht«, beharrte Chia. Er erkannte eine Sekunde zu spät, dass die Eltern der beiden Mädchen wohl dazugehört hatten, und machte ein langes Gesicht.

»Eine Insel«, seufzte Caitlin. »Mir egal, wo sie liegt, solange es dort warm ist. Eine Insel

Dodger ging kommentarlos auf und ab, wobei er sich bestimmt ausmalte, Bürgermeister der besagten Insel zu sein ... ein Leben voller Blumenhalsketten, Alkohol und gebräunter Brüste ... oder war dies eher Franks Fantasie? Immerhin war er derjenige, der es gerade dachte, und die Vorstellung von Frauen führte ihn automatisch zu Nan. Scheiße!

Sein schlimmster Anfall hatte ihn vier Jahre zuvor ereilt, und damals war Nan noch am Leben gewesen. Die beiden hatten zusammen in einem Appartement gewohnt, und Franks Arzt, ein unglaublicher Mann, der mit seinen Sprechstunden einfach fortgefahren war, bis irgendein Verrückter seine Praxis mit einem Raketenwerfer hochgejagt hatte, hatte ihm nahegelegt, es sei an der Zeit, »Vorkehrungen« zu treffen.

Damit gemeint waren letzte Vorkehrungen. Denn Frank litt unter einem Herzklappenfehler, und eine Operation würde es wohl in naher Zukunft nicht geben. Deshalb war er nach Hause gegangen und hatte Nan gesagt, er werde sterben.

Sie hatte mit ihm auf der Couch gesessen und ihm tief in die Augen geschaut – darauf gewartet, dass er weinte, das wusste er, aber so weit war es nicht gekommen, also hatte sie schließlich gefragt: »Und was sollen wir jetzt tun?« Nan mit ihrem krausen, braunen Haar, ihren goldig leuchtenden Augen und ihrem verdammten, unnützen Optimismus … Ständig tun. Was sollen wir tun?

»Wir?«, hatte Frank trocken erwidert.

»Dann eben: Was wirst du tun?«

»Ich weiß nicht, was du meinst.« Es war ihm sehr wohl klar gewesen, hatte ihn aber schlicht und einfach wütend gemacht. »Du meinst, meinen Job kündigen, diese Wohnung aufgeben und mich mit dem Rucksack in die weite Welt aufmachen? Du meinst einen angenehmen Tod in irgendeinem griechischen Fischerdorf sterben, bei Sonnenuntergang und umringt von bescheuerten Katzen? Nancy, ich habe keinen Plan, ich werde sterben – genau das werde ich tun.«

»Frank ...«

»Nein, hör jetzt bitte auf. Du kannst es nicht wissen und hast übrigens genauso wenig einen Plan.«

»Okay«, hatte sie erwidert und sich von ihm abgewandt. »Du bist aufgebracht, das verstehe ich.«

Da war er endgültig aufgebraust. »Wie kannst du es verstehen, wenn ich es selbst nicht einmal verstehe?« Die Wände des größtenteils leeren Appartements hatten die Frage seltsam widerhallen lassen. Nan war dabei zusammengezuckt und er hatte sich sofort beschissen gefühlt.

»Du weinst.« Ihm war aufgefallen, dass sie die Nase hochzog.

Ohne sich umzudrehen, hatte Nan entgegnet: »Deinetwegen, nicht meinetwegen.«

»Du solltest aber um deinetwillen weinen, immerhin bist du diejenige, die zu meiner Beerdigung gehen muss und so.« Der bockig infantile Tonfall, in dem Frank das und so gesagt hatte, hatte ihn innehalten lassen. Daraufhin war er in Gelächter ausgebrochen.

Schließlich hatte sie sich ihm wieder zugewandt. »Wie kannst du dabei nur lachen?«

»Tut mir leid«, hatte er geröchelt – und war zusammengebrochen. Er hatte sehr lange, vielleicht bis nach Einbruch der Dunkelheit, in ihren Armen geweint.

Frank war weiter mit der defekten Herzklappe klargekommen und noch heute am Leben, sogar nach einer Begegnung mit einem Little One. Nan hingegen lebte nicht mehr, und zwar wegen irgendeines Arschlochs in einem Lieferwagen. Also ja, vielleicht war Frank leicht aufgewühlt, leicht sonderbar, leicht leichtsinnig mit seiner Idee, nach Nordosten zu marschieren.

»Ich mag Inseln«, sagte er lapidar.

Kapitel 4

Vier Tage, nachdem sie Independence in Missouri hinter sich gelassen hatten, stießen sie erstmals auf einen anderen Menschen. Dieser war allerdings tot, er lag neben einem erloschenen Lagerfeuer in einem Wäldchen. Quebra entdeckte ihn zuerst und reckte sofort eine Faust, damit der Rest der Gruppe stehenblieb. Duckie, der immer wortkarger geworden war, als die anstrengende Monotonie des Reisealltags eingesetzt hatte, stellte sich auf seine Zehenspitzen, um zu sehen, was den Soldaten ins Stocken gebracht hatte.

Quebra drehte sich kurz zu ihnen um und hielt sich einen Zeigefinger an den Mund, bevor er geduckt weiterging. Frank hatte seine Pistole noch und zog sie, ließ die Hand aber locker hängen. Er lehnte mit einer Schulter an der rauen Rinde eines Baums und wartete auf die nächste Anweisung.

Die Gruppe hatte schon früher Leichen gefunden, und Quebra machte eine einheitliche Vorgehensweise daraus, genauer nachzusehen. Zunächst würde er sich vergewissern, dass es keine Falle irgendeiner Art war, und dann, dass er durch sein Auftauchen keine etwaigen Gefährten des Toten verschreckt hatte. Außerdem musste er die Todesursache in Erfahrung bringen: Mord, Unfall oder Krankheit. Sollte der Mann infiziert gewesen sein, würde Quebra gleich wieder zurückkehren, denn in diesem Fall hatte es nämlich keinen Sinn, sein Gepäck nach etwas Verwertbarem zu durchstöbern.

Und Quebra kehrte gleich zurück.

»Er war allein unterwegs. Neben ihm lagen eine Kanone und etwas Gemüse.« Also war niemand bei ihm gewesen, als er starb, und vor der Gruppe hatte wahrscheinlich noch niemand die Leiche entdeckt. Dodger fasste es ungefähr so zusammen und fügte dann hinzu: »Hast du die Waffe mitgebracht?«

»Der Kerl war krank«, antwortete Quebra. »Schwerkrank; Löcher am ganzen Leib.«

Allein die Beschreibung ließ Frank erschaudern.

»Mist.« Dodger trat gegen irgendetwas im Unterholz. »Wir hätten noch eine Knarre gebrauchen können.«

»Wir haben genug«, behauptete Quebra. »Mir gefällt das Ganze überhaupt nicht.«

»Wieso?«, erkundigte sich Frank. Die Gruppe war zusammengerückt, und der Soldat sprach flüsternd weiter: »Er war infiziert, aber wie es aussieht, ansonsten sauber. Er hatte eine Weste an, und deren Taschen schienen alle voller Proviant zu stecken.« Quebra schaute zurück auf den Körper, den man im hohen Gras nur teilweise sah. Frank erkannte ein Hosenbein und einen nackten Oberarm, aber keine Läsionen. »Ich glaube, er wurde von einer Gruppe ausgesetzt.«

Ausgestoßen wegen einer Infektion … aber Quebra vermutete, dass der Mann erst kürzlich verbannt worden sei, weshalb er bei seinem Tod viel von der Wegzehrung übrig gelassen hatte, die man ihm mitgegeben hatte. Löcher am ganzen Leib. Krankheit im Endstadium. Das war wirklich seltsam, es sei denn …

»Du willst also sagen, wir sprechen hier von einer ganzen Gruppe Infizierter?« Die Frage kam von Autumn. »So wie du es andeutest, müssen diese Leute ihn verflucht lange bei sich behalten haben. Also sind sie mittlerweile auch krank.«

»Sie haben ihn weggeschickt, damit er allein stirbt, vielleicht war das sogar sein Wunsch«, erwog Quebra. »So wie er daliegt, kann er erst ein oder zwei Tage lang tot sein. Bis kurz vor seinem Ende, glaube ich, gehörte er einer recht großen, gut versorgten Gruppe an.«

Dodger erschauderte. »Wir müssen hier weg.«

»Moment«, lenkte Caitlin ein. »Was, wenn sie ihn gerade … ich weiß nicht ... unter Quarantäne gestellt hatten? Und dann, als seine Haut aufplatzte, ließen sie ihn gehen. Vielleicht sind nicht alle krank.«

»Könnte sein«, stimmte Quebra zu, »aber wir sollten keinerlei Risiken eingehen. Ich gehe ein kleines Stück weit voraus und schaue einmal nach, ob sich erkennen lässt, welche Richtung sie eingeschlagen haben; dann ziehen wir in die entgegengesetzte.«

Gewiss würden noch viele solcher Unwägbarkeiten, Umwege und Verzögerungen auf dem Weg zu ihrer Trauminsel auftreten. Auch einige der Personen, die jetzt hier standen, könnten zu dem Zeitpunkt, wenn die Gruppe das Meer erreichte, nicht mehr am Leben sein. Frank wusste, wie überdurchschnittlich hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass er einer davon sein würde. Seine Knie machten ihm schwer zu schaffen. Viele Menschen in seinem Alter mit dem gleichen Leiden saßen entweder in Rollstühlen oder lagen schon längst auf dem Friedhof. Seine Brust verengte sich beim bloßen Gedanken daran, und er schnappte nach Luft, um wieder zu Atem zu kommen.

Quebra schlug sich ins Dickicht der Bäume rings um das Lager des Toten. »Wir können ihn nicht auch begraben, oder?«, meinte Duckie.

»Nein, das können wir nicht«, stimmte Chia zu. »Er war krank. Sehr ansteckend. Deshalb dürfen ihn nicht berühren.«

»Das ist scheiße«, fand Caitlin. »Mills wurde beerdigt und er bleibt liegen.«

»Wir können ihm alles geben, was wir auch ihr gegeben haben«, sprach Frank, »außer einer Bestattung. Mann, vielleicht haben wir mehr Worte für diesen Kerl übrig. Wenn nicht, können wir uns einfach Geschichten ausdenken.«

»Das hört sich aber nicht richtig an.« Autumn starrte den toten Mann an, und ihre Augen glänzten. Sie hielt den Mund fest geschlossen, nachdem sie gesprochen hatte. Dass sie sich anstrengte, nicht zu weinen, hatte vermutlich wenig, bis gar nichts mit der Leiche neben der erkalteten Feuerstelle zu tun, sondern eher mit ihren Eltern oder einem Reisegefährten, der der Infektion erlegen war.

Auch Frank schwieg nun. Er dachte an die Frau, die er verloren hatte, und an den dummen, unbedeutenden Streit mit ihr, nachdem er beim Arzt gewesen war. Daran, dass nun nichts mehr von alledem eine Bewandtnis hatte, dass er die schönen Erinnerungen bewahren sollte und nicht die schlechten, doch er war von jeher der Typ, sich an peinliche, zornige und schmerzhafte Momente in ihrer unverfälschten, ursprünglichen Form erinnerte. Nan hätte das nicht gewollt, nichts von alledem.

Jener Streit jedoch bereitete ihm mehr Kummer als alles andere. Auch wenn er hinterher geweint hatte und von ihr getröstet worden war, woraufhin sie gemeinsam gelacht hatten, rieb er sich an der Episode auf. Er hatte sich unheimlich verbittert gefühlt, und es war fast so gewesen, als greife er sie dafür an, keine möglicherweise tödliche Krankheit zu haben. Dies brachte ihn zu seiner früheren Ehe zurück und wie solche Dinge diese zerstört hatten. Er und seine erste Frau waren beste Freunde gewesen und außerdem ein großartiges Liebespaar, doch in turbulenten Zeiten hatten sie einander stets angegriffen, die Krallen ausgefahren und die Zähne gebleckt, wenn sie eigentlich hätten zusammenhalten müssen. Das Leben mit seinen Leiden und gestörten Beziehungen war weitergegangen, auch während der Höllengänger Nordamerika durchschritten und Beben ausgelöst hatte, die bis weit in den Süden bis nach Mexiko aufgezeichnet worden waren. Frank und seine Frau hatten gerade über die Bedingungen einer gerichtlichen Trennung diskutiert – besser gesagt verhandelt –, als die Little Ones aus dem Höllengänger geströmt waren wie lebendiges Blut: sie und die Infektion, wegen der dieser Mann nicht mehr lebte.

Frank nahm an, dass der Mensch generell dazu neigte, sich an Kleinigkeiten hochzuziehen, selbst wenn es mit der Welt zu Ende ging. Vor dem Höllengänger hatte es Länder gegeben, in denen Bombenattentate, Raketenangriffe und Vergasungen alltäglich gewesen waren, und die Bewohner waren trotzdem ihrer Arbeit nachgegangen, hatten Abendessen zubereitet und unnützen Plunder gekauft. Dies allein genügte, um zum Menschenfeind zu werden, und vielleicht war Frank genau das, obwohl er den Wert des Lebens immer predigte. Er wollte lediglich, falls man das alles irgendwie durchstehen und falls sich der Zustand der Welt tatsächlich einmal ändern würde, dass es Caitlins Generation besserging.

Als Quebra zurückkam, berichtete er den anderen, dass er keinen Hinweis darauf gefunden hatte, dass eine größere Gruppe in der Nähe gewesen war. Er mutmaßte, dass der Mann weit weg von hier verstoßen worden sei und einige Meilen gelaufen war, bevor er sich niedergelassen und auf den Tod gewartet hatte.

»Wir haben uns ausgetauscht«, erwiderte Frank, »und finden, dass wir dem Kerl etwas geben sollten, bevor wir weitergehen – eine Schweigeminute, oder was auch immer.«

»Wir sollten ihn verbrennen«, schlug Dodger vor.

Daraufhin schüttelte Quebra den Kopf. »Dann würde der ganze Wald in Flammen aufgehen. Außerdem will ich niemanden auf uns aufmerksam machen.« Er bezog sich damit nicht nur auf die ehemaligen Gefährten des Toten, sondern auch auf irgendwelche Little Ones – auf denjenigen, der Mills dort draußen zerquetscht hatte und selbst nach viertägigem Fußmarsch noch eine Bedrohung darstellte. Auf ihrer ausgedehnten Wanderschaft durch das Gelände hatte sich Frank mehrmals eingebildet, die Erde unter seinen Füßen zittere ein wenig, doch das war niemandem sonst so vorgekommen, also hatte er es auf seine maroden Knie zurückgeführt.

»Ziehen wir doch einfach weiter«, drängte Dodger. »Das ist doch behindert.«

»Hör mal!«, fuhr O’Brien wütend auf, zügelte sich aber gleich wieder. »Bitte sag so etwas nicht.«

Dodger errötete, machte sich aber nicht die Mühe, sich zu entschuldigen. »Hab ich mich falsch ausgedrückt?«, fragte er. »Dann eben so: Es ist einfach dämlich, lasst uns von der Leiche weggehen.«

Duckie schien sich von dem Wort nicht beleidigt zu fühlen, stand aber wie ein Beschützer neben O’Brien und starrte Dodger streng an. Dieser verdrehte aber nur die Augen. »Würde mal jemand etwas sagen? Können wir uns vielleicht darauf einigen, dass es nicht nötig ist, eine Gedenkminute einzulegen? Ich mag es nicht, diesem Scheiß so nahe zu sein.« Als er dieses Wort zischte, streckte er einen Zeigefinger in die Richtung des Toten und stocherte damit wild in der Luft herum. »Behindert ist übrigens ein Ausdruck, den die Medizin verwendet, das galt auch für Worte wie schwachsinnig oder debil, bevor die Leute allzu dünnhäutig deswegen wurden. Darum geht es jetzt aber auch gar nicht.«

»Dann lass es doch gut sein«, entgegnete Chia. »Wir brechen auf.«

»Damit will ich nur sagen«, beharrte Dodger, »wenn ihr nicht wollt, dass ein Fachausdruck irgendwie zur Beleidigung zweckentfremdet wird, dann solltet ihr bitteschön, ein Wort finden, das nicht zum Schreien klingt.«

»Ach herrje, Dodger, halt doch einfach die Klappe.« Frank war empört und hielt sich nicht mit Versuchen auf, den Mann sanft zum Schweigen zu bringen. »Du brichst andauernd einen Streit vom Zaun, außer es geht um etwas wirklich Wichtiges. Junge, was wärst du für ein toller Senator geworden.«

»Haha«, spöttelte Dodger. »Das hat ja noch nie jemand zu mir gesagt.« Frank hatte sich schon umgedreht und ging weg. Dodger fuhr für gewöhnlich mit seinem Gezeter fort, bis ihm Quebra zu verstehen gab, das Maß sei voll. Denn er fürchtete sich vor dem Soldaten – einem Mann, der maßgebliche Kämpfe bestreiten konnte und dies auch bereits getan hatte. Frank hielt er hingegen wohl für einen dahergelaufenen Yuppie-Schreiberling. Sei es drum.

Während er voranging, dachte Frank an Dodgers Familie und dessen eigenes Schicksal der Verstoßung. Er bemühte sich, Mitleid für ihn zu empfinden, aber es gelang ihm nicht.

Sie würden ihn weiter mitziehen lassen, und zwar aus dem gleichen Grund, wegen dem sie Mills’ Kopf begraben hatten, aufgrund von etwas, das Frank in einer Standpauke für Caitlin über die Lippen gekommen war; etwas, das er selbst schon fast vergessen hatte.

***

Als Frank immer deutlicher auffiel, dass Dodger ein Auge auf Caitlin geworfen hatte, trug dies kein bisschen zur Entspannung der Lage bei.

Es beschränkte sich zwar auf verstohlene Seitenblicke, doch Dodger war nicht so subtil, wie er glaubte, und Frank hatte es bemerkt – gesehen, wie die Augen des Mannes die Hüftbewegungen des Mädchens verfolgten, während er sich als Letzter hinter der Gruppe herumdrückte. Eines Abends mehrere Tage nach der Entdeckung des Toten brachte Frank es schließlich zur Sprache, als er gemeinsam mit Chia Beeren pflückte.

»Tja, was willst du dagegen unternehmen?«, fragte der Alte, nachdem er sich hingekniet hatte, um eine kleine Pflanze an den Wurzeln aus der Erde zu ziehen. »Wir wussten von Anfang an, dass Dodger in jeder Hinsicht ein Ärgernis ist. Wir wussten, auch wenn niemand es ausspricht, dass ein hübsches Mädchen wie sie in der Gruppe früher oder später zu Problemen führen muss.«

»Wie meinst du das?«, fragte Frank, obwohl er glaubte, es zu wissen.

»Du und ich, wir wissen vielleicht, wie sich ein Mann zu benehmen hat, Frank. Quebra auch, und der Junge – Duckie – scheint überhaupt nicht zu wissen, was es mit Frauen auf sich hat, doch dass Cate irgendwann für Unruhe sorgen würde, ob mit oder ohne Dodger, war von Anfang an klar.« Chia klopfte sich die Hände auf den Oberschenkeln ab, ehe er weitersprach: »Lass es mich anders ausdrücken: Sie stiftet diese Unruhe nicht bewusst, es liegt eher an der Tatsache, dass sie früher oder später unweigerlich irgendeinem Wichser auffällt, ganz ohne es zu wollen. Sei es unserem Pappenheimer Dodger, oder ein paar Nomaden mit entzündeten Augen, ... es wird passieren.«

Frank seufzte. »Ich verstehe es immer noch nicht, was willst du denn damit sagen?«

»Zweierlei. Erstens ist sie ein zähes Ding, so hart im Nehmen wie ihre große Schwester, glaube ich, wenn auch weniger erfahren. Zweitens sind wir ständig bei ihr, und zwar alle, auch Autumn ... insbesondere Autumn. Falls und wenn also etwas geschieht, schätze ich, dass das Mädchen die besseren Chancen haben wird.«

»Du meinst, etwas wird geschehen. Früher oder später bekommt sie garantiert Schwierigkeiten.«

»Das gefällt mir nicht, Frank, aber ich sehe es und nehme es zur Kenntnis.« Chia blickte mit seinem faltigen Gesicht zu seinem Freund auf. »Josie und ich, wir hatten Bryan ordentlich erzogen. Er war ein Musterbeispiel von einem jungen Mann. Du weißt, die meisten Typen hier draußen in diesem Ödland spielen Herr der Fliegen; sie haben Angst und drehen irgendwann durch. Niemand ist schlimmer als ein kleiner Junge, im Körper eines erwachsenen Mannes.«

Niemand ist gruseliger, pflichtete ihm Frank stillschweigend bei, nicht einmal die Little Ones – sie waren Tiere, jedenfalls in der Wahrnehmung der Menschen, weshalb niemand daran dachte, ihnen mit Vernunft beikommen zu wollen. Im Gegensatz dazu würde man versuchen, mit einem Wahnsinnigen zu reden, dessen Gesicht, wenn dessen Augen funkelten, wenn man feststellen musste, dass man in ein Gesicht schaute, menschlich und unmenschlich zugleich wirkte, war das entsetzlich.

Chia einigte sich mit Frank darauf, Dodger gemeinsam im Auge zu behalten, auch wenn der Mann seiner Meinung nach nichts anstellen würde, also ging das Leben wie gehabt weiter.

Einen Tag später begegnete die Gruppe auf einer Straße einem Mann.

Eigentlich gingen sie meistens querfeldein, doch mehrere umgestürzte Bäume, die komplett mit Moos überwachsen und vermutlich von einem Little One herausgerissen worden waren, hatten sie dazu gezwungen, auf einen Highway auszuweichen. Nach ein paar hundert Yards war ein Mann in einem Anzug auf die Fahrbahn getreten.

»Verzeihung? Hallo!«, rief dieser nun und winkte.

»Schlag mich tot«, raunte Quebra und legte mit seinem Gewehr an.

»Er trägt einen Dreiteiler«, erkannte Autumn verwundert. Ihre Verblüffung spiegelte sich auch in den Gesichtern der anderen wider. Frank sah, dass der Anzug schmutzig und zerknittert war, das Haar seines Trägers hingegen makellos. Rotblond mit graumelierten Koteletten. Während er ihnen zuwinkte, bemühte er sich, den blauen Stoff zu glätten.

»Ist schon in Ordnung«, rief er Quebra zu, als erlaube er ihm, mit der Waffe auf ihn zu zielen. »Ist verständlich und kann man euch wirklich nicht übelnehmen. Dann rede ich einfach von hier aus mit euch.«

»Ich weiß gar nicht, ob wir überhaupt reden wollen«, erwiderte Quebra. Chia kam hinzu und stellte sich neben ihn.

»Na gut, das verstehe ich, doch ihr solltet wissen«, fuhr der Anzugträger fort, »dass wir momentan von vier Scharfschützen umgeben sind.« Er hielt je zwei Finger seiner Hände hoch und zeigte zur Baumgrenze auf beiden Seiten der Straße. Er erinnerte dabei an einen Flugbegleiter, der den Passagieren die Ausstiege zeigte. »Das ist aber keine Bedrohung für euch«, schob er rasch hinterher. »Sie sind nur zu meiner Sicherheit da, und zu eurer auch.«

Chia neigte sich zu Quebra hinüber und murmelte: »Hören wir uns an, was er zu sagen hat, wir können schließlich erst einmal davon ausgehen, dass er die Wahrheit sagt.«

Der Soldat nickte zwar, aber das Gewehr blieb trotzdem weiterhin auf den Mann gerichtet. Schließlich fragte er ihn: »Also, worum geht es?«

Nun lächelte der Fremde. Es gab allerdings schönere Anblicke, denn ihm fehlten mehrere wesentliche Zähne, aber mit denen, die übrig waren, konnte er noch immer breit lächeln. Frank drängte sich plötzlich der Verdacht auf, dass er entweder der Anführer eines Kultes oder … na ja, eben genau das war.

»Ich heiße Jack Robbins«, gab der Mann an. »Meine Freunde im Wald und ich, vertreten eine kleine Gemeinde ungefähr eine halbe Meile von hier. Wir lauern hier so am Straßenrand, weil wir versuchen, andere Überlebende abzufangen … entschuldigt bitte die falsche Wortwahl, ich meinte natürlich, sie einzuladen. Unsere Gemeinde soll größer werden. Es ist eine Gruppe von Selbstversorgern ... wir haben sogar einen eigenen Bauernhof.«

Das war eine ziemlich aufwendige Falle. Sollte es sich bei diesen Kerlen tatsächlich um nichts anderes als Wegelagerer handeln, übertrieben sie es, fand Frank.

Ohne sich Chia zu nähern, flüsterte er mit zusammengebissenen Zähnen: »Es ist eine Sekte. Bestimmt Kannibalen.«

Der Alte drehte sich nicht nach Frank um, sondern nickte nur. Dann fragte er den Mann in Blau: »Sie sind also auf der Suche nach Vorräten?«

»Oh, nein«, dröhnte Jack Robbins mit gleichbleibendem Grinsen, so als moderiere er eine Dauerwerbesendung. »Wir haben genug. Natürlich wüssten wir alles zu schätzen, was ihr mitbringen würdet, aber uns geht es in erster Linie darum, die Gemeinde zu stärken. Wie ich schon sagte: Wir haben einen Bauernhof, dazu Befestigungsanlagen und überschaubare medizinische Nutzmittel, aber das alles befindet sich dort. Ich biete Ihnen an, uns zu besuchen und sich dann zu überlegen, ob sie dazugehören möchten. Unser Ziel besteht darin, Amerika wieder zu neuem Glanz zu verhelfen.«

Dodger ging nun an Frank vorbei zu Chia und stellte sich neben Quebra. »Du heißt Jack Robbins, sagst du?«, rief er. »Democratic National Committee?«

Frank wollte ihn gerade anfauchen, er solle den Mund halten, doch der Mann mit dem Anzug lächelte jetzt noch breiter. »Ganz richtig, mein Freund, ich repräsentiere Bill McAvoy.«

»Ich bin Ethan Dodgman«, erwiderte er. »Chris Dodgman war mein Onkel.«

»Du bist Gouverneur Dodgmans Sohn?«, gab Robbins erstaunt zurück. »Was ist mit ihm? Geht es ihm gut?«

Dodger antwortete, dass der Gouverneur tragischerweise bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sei. Das stimmte natürlich nicht, denn Gouverneur Dodgman war derjenige gewesen, der Ethan nach einem gemeinsamen Auslosen der Familienmitglieder, die Tür gezeigt hatte, doch die anderen wussten nur zu gut, dass sie das Ganze bestimmt nicht öffentlich richtigstellen sollten.

»Wo du gerade McAvoy erwähnt hast«, fuhr Dodger fort, nachdem er Beileid zugesprochen bekommen und akzeptiert hatte, »ist er bei euch ... in eurem Lager?«

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0+
Дата выхода на Литрес:
17 апреля 2022
Объем:
310 стр.
ISBN:
9783958356375
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
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