Читать книгу: «HELL WALKS – Der Höllentrip», страница 3

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Gott, taten seine Knie weh, und seine Knöchel auch. Er humpelte von dem Fahrzeug fort, und als er sich umdrehte, um sicherzugehen, dass Chia ihm folgte, war da ...

Dort. GLEICH DORT, TATSÄCHLICH DIREKT VOR IHNEN.

Ich habe doch geahnt, dass er nur schläft.

Der Little One erhob sich in diesem Moment hoch in die Luft, wobei Schutt von seinen knochigen Schultern fiel, und während er seinen seltsamen Schnabel schüttelte, ertönte ein knarrendes Geräusch. Dann blickte er auf sie hinab, riss sein Maul, das aus vier Zinken bestand, auf und kreischte.

Franks Ohren fiepten unsäglich, und er rechnete augenblicklich damit, dass sein Herz explodierte, doch Chia hatte bereits seinen Arm gepackt, und halleluja, war der alte Mann flott zu Fuß. Frank schaute nach vorn, wo die anderen gerade die Straße hinunterliefen: Autumn, Caitlin, Dodger, Duckie und O’Brien. Kein Quebra ... er war wohl immer noch auf Erkundungstour, aber mittlerweile wusste er wohl, was passiert war.

Dies erinnerte Frank endlich daran, dass er eine Waffe hatte, und er machte sich von Chia los, um sie aus seiner Hose ziehen zu können. Er starrte das Ding verwirrt an. Die Erde bebte, sodass er einen Sekundenbruchteil lang nichts unter seinen Füßen spürte.

Dann drehte er sich um; der Little One näherte sich und gab abermals Laut.

Chia rief Franks Namen und er lief los, so schnell es seine elenden Knochen zuließen. Dass er das Schlusslicht der Gruppe bildete, lag nahe, denn er war die verwundete Antilope. Das Monster würde ihn zuerst dahinraffen, und vielleicht war das sogar gut, wenn die anderen dadurch verschont bleiben würden. Frank ließ sich all das mit einer weit entfernt klingenden Stimme durch den Kopf gehen, während er hinkend folgte. Allerdings hätte er Chia die Pistole geben sollen, falls dies wirklich sein Ende bedeutete. Gute Munition an den Little Wichser zu vergeuden ergab nämlich keinen Sinn.

Er ist überhaupt nicht klein; gut erkannt, Caitlin.

Hätte er Luft zum Atmen bekommen, hätte Frank laut gelacht. Wieder erzitterte der Boden und warf ihn beinahe nieder. Chia schlug ihm auf den Arm. »Frank! Was tust du da, Frank?«

»Meine Knie«, japste er, und dann sagte er: »Krieg keine Luft.«

Abrupt und ohne Zögern blieb Chia stehen, zog seine eigene Pistole und feuerte eine Salve auf die Kreatur.

Das darauffolgende Brüllen konnte nichts weiter als ein Ausdruck von Verärgerung sein, denn die Untiere waren praktisch kugelsicher – ausgenommen ihre Rachen –, sogar die Augen, die sich nicht brechen, ja nicht einmal durch gezielte Energiestrahlen blenden ließen. Chia hatte den Riesen also nur wütend gemacht, und genau das teilte ihm Frank nun erstickt röchelnd mit.

»Als wäre er das nicht sowieso!«, empörte sich der Alte, doch sein Blick drückte Zustimmung aus. Der Rest der Gruppe lief noch ein paar hundert Yards weiter neben dem Krankenhaus her, doch Caitlin und Autumn waren stehengeblieben. Sie rangen anscheinend gerade miteinander. Er erkannte nicht, wer von ihnen zu ihm und Chia zurückkehren wollte und wer sich dem widersetzte. Er hätte zwar ins Blaue tippen können, doch für Verbitterung gab es keinen Grund, denn er war sowieso ein toter Mann und Chia jetzt vielleicht auch.

Franks Zähne vibrierten, und er hörte ein vernichtendes Knirschen, als der Little One den Van zertrat. Er drehte sich wieder zu ihm um. »Chia, Mann, nun lauf schon.«

»Um Gottes willen, nein! Bist du irre?« Der Alte rüttelte so kräftig an Franks Schulter, dass dieser dachte, sein Arm werde gleich abfallen. »Es ist noch nicht aus, los Bewegung

In diesem Moment schien der Little One Frank genau anzuschauen, denn sein emotionsloses, rotes Vogelauge wurde mitten in der Drehung starr. Irgendwo in dieser Kugel, einem Meer aus Karmin, machte Frank eine scharfe, kleine Pupille aus. Diese verschwand rasch wieder, und der offene Schnabel des Monsters sauste auf ihn herab. Genauso wie damals in dem einen Traum, dachte Frank und gab sich zufrieden damit, dass dies sein letzter Gedanke sein würde.

Erneut ertönte ein Donnergrollen, dieses Mal viel näher; ein ratterndes Maschinengewehr spottete seiner, doch der Little One avancierte mit seinem Gebrüll, mühelos zum Sieger dieses Wettstreits, als faserige Fetzen aus seinem offenen Schlund flogen.

Quebra! Er vergeudete kostbare Munition, um Frank zu retten. Zeichen und Wunder … Frank lief wieder los. Der Little One machte einen Satz nach vorn, so dicht an Chia und Frank vorbei, die beide durch die Urgewalt seiner Schritte niedergeworfen wurden, während er auf der Suche nach dem Schützen mit dem AR-15 eine Reihe von Fahrzeugen plättete.

Frank drückte sich vom Straßenbelag hoch, richtete sich auf und streckte dann seinen Schussarm aus, um auf den Rücken des Riesen zu feuern, doch Chia schlug die Pistole hastig herunter. »Quebra lockt ihn von uns weg! Lass ihn!«

Der Little One ignorierte tatsächlich sogar Autumn und Caitlin, die sich nunmehr darauf geeinigt hatten, die Flucht zu ergreifen, und am zerstörten Eingang des Krankenhauses angelangt waren. Die anderen mussten schon drinnen sein. Frank hoffte, niemand sei zu Brei in den Asphalt gestampft worden. Die Krater, welche der Little One hinterließ, waren so breit wie Kleinbusse, und zerquetschte Leiber würde man darin nicht einmal erkennen können.

Während das Beben noch andauerte, hatten Franks Knochenschmerzen nachgelassen. Der Little One war nun hinter dem Krankenhaus. Quebra hatte gesagt, er würde das Gebäude direkt nebenan auskundschaften, folglich musste er auf dem Dach sein. Dass er den Rachen des Monsters aus dieser Entfernung hatte treffen können, konnte er kaum glauben. Vielleicht war sein Gewehr modifiziert, aber Frank kannte sich mit Waffen nicht wirklich aus; gut möglich, dass Quebra ganz einfach ein richtiger Held war. So oder so: Jetzt war er der Gelackmeierte.

Frank sah die Silhouette des Soldaten nun auf dem Dach und konnte die andauernden Schüsse hören. Der Little One würde ihn wegklatschen wie ein Insekt. Frank hatte nicht bezeugt, wie Quebras Waffenbruder Kotz den Gnadentod gestorben war, und sich auch geweigert, bei der notwendigen Amputation des Fußes des Verletzten zu helfen. Als Chias Familie von einer einstürzenden Wand erschlagen worden war, hatte es wenig zu sehen gegeben, kurz bevor Frank von Staub und niederprasselnden Trümmern geblendet worden war. Jetzt aber würde er miterleben, wie Quebra von diesem niedrigen Dach geschmettert wurde, und dies zu sehen verdiente er auch, weil es schließlich seine Schuld war. Frank stand mitten auf der Straße, ohne sich zu rühren, und beobachtete das Ganze in einer Art qualvoller Ohnmacht.

Auf einmal rannte von gegenüber Mills auf die Fahrbahn – also von Franks Seite der Straße aus auf gleicher Höhe wie das Parkhaus – und warf etwas auf die Beine des Little Ones, das so dick wie ein Laib Brot war. Als es einen Moment später blitzte, nahm Frank an, Sonnenstrahlen brächen sich an dem Riesen, doch das konnte nicht sein, zumal der Himmel mittlerweile dunkelgrau war. Das Gewitter hatte die Stadt erreicht, und dementsprechend hielt Frank den Knall, der sich dem Gleißen anschloss, für einen Donnerschlag. Diese beiden Irrtümer huschten innerhalb einer Sekunde durch seinen Kopf, bevor ein anderer, geistesgegenwärtiger Teil seines Verstandes erkannte: Das ist eine Bombe!

Der Little One kreischte so laut, dass es die Luft zerfetzte. Er trat, nein er torkelte eher, zur Seite und starrte auf den Feuerball an seinem Schenkel. Dann erblickte er Mills.

Sie schrie – Gott, hatte sie das je getan? –, sie blieb einfach dastehen und schrie. Vor blankem Entsetzen oder eher aus blankem Trotz? Frank wusste es nicht, aber er vollzog nun mit, dass der Little One nicht lange fackelte, sondern mit einer fürchterlichen Pranke nach unten langte und die Frau so fest drückte, bis sie einfach platzte.

Chia zerrte ihn daraufhin auf das Parkhaus zu, von dessen Dach aus Mills die Gruppe zuvor provoziert hatte. Kurz sah Frank Quebra, aber dann versperrten ihm die Betonwände wieder die Sicht. Der Soldat seilte sich gerade von der Seite des Gebäudes ab, das zwar niedrig war, aber dennoch mehrere Stockwerke hoch. So Gott wollte, erreichte er den Boden, bevor der Little One wieder an ihn dachte und sich von der entleibten Frau abwenden würden, die ihm einen Sprengkörper gegen die Beine geworfen hatte. War es eine selbstgebastelte Bombe gewesen? Ob Mills so etwas hinbekommen hätte? Wer weiß? Sie war ihnen letztendlich völlig fremd gewesen, eine Lügnerin und Psychopathin, also könnte sie den Brandsatz eventuell auch für die Gruppe vorgesehen, ihn aber dann doch gegen den Giganten eingesetzt haben.

Sie war verrückt, oder sie hatte es eingesehen und so versucht, sich reinzuwaschen. Jetzt ist sie tot; du hast gesehen, wie ihr Kopf über seiner Faust hochgeflogen ist. Hör auf, zu viel nachzudenken, Frank. Brüten ist etwas für Schreiber und Träumer, aber die haben in dieser Welt keine Chance mehr.

Sie waren nun im Erdgeschoss des leeren Parkhauses angekommen, und die Decke erzitterte, als der Little One sein Getrampel fortsetzte. Betonstahl, der aus diesem und jenem Loch im Gebäude ragte, geriet in Schwingung und summte dabei wie ein Schwarm zorniger Hornissen. Chia führte Frank in die dunkelste und am schwierigsten zugängliche Ecke und dort kauerten beide nieder. Von dort zu entkommen würde letztendlich wahrscheinlich genauso misslich sein.

Frank fiel ein, dass er unbedingt wieder Luft holen musste. Die Erkenntnis des Ganzen machte die Tätigkeit selbst allerdings kein bisschen einfacher. Er hatte mittlerweile das Gefühl, seine Brust klemme in einem Schraubstock.

Durch die offene Einfahrt sahen sie den Fuß des Little Ones. Er war verrußt und, wie Frank dachte, vielleicht sogar gerissen, aber die Bombe hatte eigentlich viel weiter oben am Bein gezündet. Eine Wunschvorstellung, alter Junge und zu viel Nachdenken.

»Gib doch endlich Ruhe!«, murmelte Frank. Chia sah ihn verdutzt an. »Mein Gehirn«, fügte Frank erklärend hinzu, was zu genügen schien. Inmitten einer solchen Krise; eines so traumatischen Erlebnisses, wenn alles zäh wie in Zeitlupe oder schwindelerregend schnell ablief, war jeder Mensch, hin- und hergerissen, vermutete Frank. In seinem Fall hießen die beiden Pole Instinkt und Einbildungskraft. Er vertrat die Ansicht, beide können Leben retten, doch vielleicht stimmte es auch, dass Ersterer vermutlich das Ruder übernahm, wenn man von einem Riesenmonster gejagt wurde. Vielleicht.

Der Fuß des Little Ones war verschwunden, und sowohl der Lärm als auch die Erdstöße infolge seiner Schritte wurden langsam schwächer. Draußen plätscherten erste Regentropfen auf die Straße.

»Er sucht noch immer nach uns, anders kann ich es mir nicht vorstellen«, behauptete Chia. »Er wird zurückkommen und jedes Gebäude in diesem Block einreißen. Wir müssen irgendwie zu den anderen.«

»Mag sein, dass er sich vielleicht auch einfach verzieht«, erwog Frank.

»Der von damals hat Josie und Bryan auch verzögert umgebracht«, beharrte Chia, der jetzt richtiggehend böse war. »Er hätte es nicht tun müssen, und ihm war nicht bewusst, dass sie hinter der Mauer warteten.«

Frank nickte nur. »Okay, Chia.«

Er konnte jetzt endlich wieder unbeschwerter atmen, aber nicht, dass ihn der Alte danach gefragt hätte. Die beiden kehrten zum Eingang zurück, um hinaus auf die Straße zu schauen, und spähten in die Richtung, welche der Little One eingeschlagen hatte. Von ihm selbst war nichts mehr zu sehen, aber das schloss nicht aus, dass Chia womöglich doch recht hatte.

Wie gut, dass das Unwetter die Stadt verdunkelte, denn Frank war deutlich wohler dabei zumute, durch Schatten und Regen zu ziehen, während sie zum Krankenhaus vorstießen. Als sie näherkamen, rief jemand leise: »Hier drüben!«

Es war Autumn. Sie stand unter dem Wellblechdach der Haltebucht vor der Notaufnahme und winkte den beiden zu. Nachdem sie zu ihr gelaufen waren, betraten sie die düstere, muffige Ruine der Klinik.

Der Regen draußen trommelte wie verrückt. Autumn brachte sie in ein Voruntersuchungszimmer, in dem keine Betriebsmittel mehr lagen – sogar die Schranktüren fehlten –, und dort fanden sie alle anderen, auch Quebra. Er sah allerdings ziemlich fertig aus.

»Hey«, grüßte ihn Frank. »Danke.«

Der Soldat nickte und schlug sich mit einer Faust gegen die Brust. »Ich brauche Wasser.«

»Draußen gibt es ganz viel«, entgegnete Duckie ernst.

Daraufhin lachte und hustete Quebra gleichzeitig. »Ganz richtig, Mann.« Als er aufstehen wollte, gebot ihm Autumn Einhalt.

»Bleib sitzen«, ermahnte sie ihn. »O’Brien, hilf mir doch bitte mal beim Suchen, wir brauchen etwas, um das Regenwasser zu sammeln. Danach gehen wir wieder raus. Duckie, du auch.«

Frank und Chia ließen sich auf dem Fußboden nieder. Dodger neigte sich zu ihnen hinüber. »Diese Schlampe.«

Frank dachte, er beziehe sich auf Autumn und wollte ihn schon im Genick packen, als ihm dämmerte, dass Dodger Mills damit meinte.

»Diese Schlampe«, wiederholte der junge Mann. »Sie wollte uns in die Luft jagen, aber stattdessen hat sie den Knallfrosch auf das Monster geschmissen. Selten dämlich.«

»Was auch immer sie tun wollte: Sie hat Frank und mich dadurch gerettet«, hielt Chia dagegen, »vielleicht sogar uns alle.«

»Das konntest du aber nicht vorhersehen. Du hast sie am Leben gelassen, und sie hätte uns alle töten können.«

Chia lehnte sich zur Seite, bis kein Platz mehr zwischen Dodger und ihm war. Während er seine Stirn an die des Jüngeren drückte, erwiderte er leise und kehlig wispernd: »Wir alle haben sie am Leben gelassen. Du hättest sie selbst töten können, Mr. Hinterher, Mr. Vorbedacht. Vielleicht dachtest du ja, wir würden es nicht zulassen, hast es aber auch nicht einmal vorgeschlagen – nicht dort auf dem Freeway –, sondern erst jetzt, wo sie schon tot ist, gibst du etwas Schlaues zum Besten. Aber lass dir gesagt sein: Es ist nicht schlau, sondern einfach nur idiotisch.« Chia zog sich wieder zurück und wischte sich mit einem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

Dodger verharrte ungläubig und suchte Franks Blick.

»Was ist?«, fragte dieser in einem ruhigen Tonfall.

Nun setzte sich auch Dodger wieder gerade hin und schwieg.

***

Ein paar Stunden später hörte der Regen auf. Der aufgefangene Niederschlag brachte einen asche- und gummiartigen Nachgeschmack mit sich, tat aber trotzdem gut. Autumn, O’Brien und Duckie hatten jeden verfügbaren Behälter damit gefüllt. Frank kam nun endlich dazu, sich den Dreck aus den Haaren zu spülen und die schmutzigsten Stellen an seinem Körper zu waschen. Als das Wasser aufgebraucht war, konnte er sich beileibe nicht als sauber bezeichnen, fühlte sich aber wenigstens erfrischt.

Hinterher begab er sich mit Quebra hinaus in die Sonne. Von Mills fanden sie nicht mehr viel. Sie entdeckten ein Schuh, in dem ein Fuß steckte, aber es war eben nur ein Schuh. Quebra stieß eine rote Masse an und kam zu dem Schluss, es sei vielleicht ein Bein, doch dann entdeckten sie den Schädel – ihren blauroten, starrenden Kopf, der einfach so im Rinnstein lag.

»Begraben wir sie«, schlug Frank vor.

»Warum?«, fragte Caitlin, die ihnen gefolgt war.

Als er sich umdrehte, betrachtete sie argwöhnisch den abgetrennten Kopf. Autumn stand am Vordereingang des Krankenhauses, sah sich aber nicht bemüßigt, ihre Schwester zurückzuholen.

»Sie wollte uns umbringen, richtig?«, fragte Caitlin. »Ich meine, selbst wenn nicht, hat sie uns immerhin vorher all diese Lügen erzählt. Sie war ein schlechter Mensch.«

»Schlecht.« Frank ließ sich das Wort durch den Kopf gehen, während Quebra den Klappspaten aus seinem Rucksack öffnete. »Mag sein. Ich weiß es nicht.«

Schließlich erklärte er Caitlin: »Es geht nicht um sie. Leben hat einen Wert. Ich kann sie nicht einfach so liegenlassen. Sieh sie dir an.« Mit sie meinte er Mills’ Kopf, und den starrte Caitlin nun mehrere Augenblicke lang schweigend an.

Dann blickte sie zu Frank hinüber. »Glaubst du das wirklich, oder willst du mir nur eine Lektion erteilen?«

Er lächelte. »Gott, bist du zynisch.«

»Ich bin neunzehn Jahre alt!«

Natürlich, Neunzehnjährige dachten, sie wüssten alles. Sie hatten erfahren, dass die Welt beschissen war und der Weihnachtsmann nicht existierte ... dass ihre Eltern schon als Minderjährige Erfahrungen mit Alkohol gemacht hatten und alles von hier bis zum Nordpol so lala war. Die Welt jetzt, also nach dem Höllengänger und dem Kollaps, musste Teenager zwangsläufig in ihrem naiven Zynismus bestärken.

»Ich verstehe«, entgegnete Frank. »Das tue ich wirklich, aber … Gut, es könnte sein, dass ich dir eine Lektion erteilen will, ja. Die lautet, dass du, falls du dich nicht immer noch an eine jener dummen, rosaroten Vorstellungen vom Wert des Lebens klammerst, einen Scheißdreck hast. Schließlich besitzen wir kein Geld mehr, nicht wahr? Oder materielle Güter. Alles, was uns noch bleibt, ist das Hier und Jetzt, und Selbst das nur unter Vorbehalt. Deshalb begraben wir Mills, deshalb denken wir darüber nach, was das alles bedeutet, und haben ...«

»... etwas zu tun?«, ergänzte das Mädchen.

Es war die richtige Antwort – nicht einen Grund zum Weiterleben, wie Frank fast gesagt hätte. Ein wenig gesunder Zynismus hatte durchaus etwas für sich.

Er nickte ihr zu. »Wirst du Quebra nun helfen?«

Sie tat es. Die ganze Gruppe stellte sich um das winzige Grab herum auf, während der Soldat die Erde mit seinem Spaten festklopfte, ehe sie einen Moment lang still blieben, weil niemand etwas Gescheites zu sagen wusste.

Dann spuckte Dodger auf das Grab, womit die Lektion vorzeitig beendet war, und sie zogen weiter.

Kapitel 3

Mills hatte die Faust des Little Ones schätzungsweise nicht einmal halb ausgefüllt. Herrgott, das Gebäude, von dem Quebra auf ihn geschossen hatte, war nur so hoch wie die Unterschenkel des Geschöpfs. Es hatte sie absichtlich so vom Boden gepflückt, dass ihr Kopf noch zu sehen gewesen war und abplatzen konnte. Das glaubte Frank ganz sicher. Wieso wurde die Welt nur so bestraft? Er ging davon aus, dass es wahrscheinlich zehntausend unterschiedliche Erklärungen religiöser Art gab, doch die meisten frommen Großvereine hatten sich schon vor langer Zeit selbst den Garaus gemacht. Jetzt gab es nur noch Kulte, die unter anderem für Christus, Allah oder Buddha einstehen wollten, Frank aber bisher allesamt wie ein Haufen wahnhafter Irrer vorgekommen waren. Sie traten unter den gestörten Nomadenbanden auf, deren Wege Chia und er auf ihrer Wanderschaft zwangsläufig gekreuzt hatten. Ohne die Anmut und Staffage der gefallenen Weltkirchen wirkten diese Männlein und Weiblein allerdings wie bloße Straßenprediger. Frank vermutete, die frühen Propheten seien recht ähnlich wahrgenommen worden, nur dass diese Meere hatten teilen können; darin bestand der Unterschied. Er hätte sich jeder Vereinigung angeschlossen, deren Anführer Wasser in Wein verwandeln konnte, das musste er aber erst noch erleben.

Sie und ihre törichten Erklärungen einmal ausgeklammert: Weshalb wurde die Welt bestraft? Denn das wurde sie wirklich, so viel stand fest. Frank war von jeher Atheist, doch dass alledem etwas verdammt Grausames innewohnte, ließ sich nicht in Abrede stellen.

»Kommen wir auf deinen Anfall von vorhin zu sprechen«, sagte Chia zu ihm, womit er Franks trübseligen Tagtraum störte. »In dem Van.«

»Ich bin einfach ohnmächtig geworden«, rechtfertigte sich Frank. »Mein Kreislauf. Du weißt ja, was mit mir los ist.« Dennoch blieb Fakt, dass sein Traum ausgesprochen anschaulich gewesen war und äußerst seltsam dazu, und dass Frank rückblickend das Gefühl hatte, er sei dabei die ganze Zeit über wach gewesen. Eine Halluzination, hervorgerufen durch … wodurch? Sauerstoffmangel? So gravierend, dass er die Graue Frau gesehen hatte, aber andererseits doch nicht bewusstlos geworden war?

»Pass auf«, entgegnete er Chia, während er seine Stimme gedämpft hielt. Die beiden gingen hinter der Gruppe her, und einige hatten die Worte, die Frank nun loswerden wollte, zwar schon einmal gehört, aber er äußerte sie trotzdem gern mit Bedacht. »Chia, du weißt, ich möchte, dass du mich verlässt, falls ich eines Tages zur Belastung werde.«

»Und du weißt, dass das nicht infrage kommt.«

»Aber dann sterben wir beide. Was bringt das denn?« Sie würden unter dem breiten Plattfuß eines Little Ones zu einem einzigen Brei zermalmt, und niemand könnte danach mehr erkennen, dass sie einmal zwei gesonderte Menschen gewesen waren.

»Ich weiß, Frank. Ich weiß, dass ich unvernünftiges Zeug treibe, indem ich beispielsweise versuche, dir ständig den Arsch zu retten, aber die kleine Rede, die du vor dem Mädchen gehalten hast, ist bei mir hängengeblieben – das mit dem Wert des Lebens.«

»Mein eigenes meinte ich damit nicht«, entgegnete Frank kaltschnäuzig.

»Ich trage eine rosarote Brille, Frankie. Durch sie werden Blutspritzer zu Ölflecken. Sie verwandelt einen Sonnenuntergang in ein Gemälde der großen Meister. Sie verleiht deinem beschissenen Leben eine Bedeutung!«

»Ich hasse dich«, nuschelte Frank aus einem Mundwinkel, während er sich bemühte, ein Lächeln zu unterdrücken.

»Weiß ich«, erwiderte Chia und ging voraus. Nettigkeiten klangen in diesen Tagen wie nichts dergleichen, waren aber womöglich so innig gemeint wie nie zuvor.

»Also, wohin geht unsere Reise denn am Ende?«, fragte O’Brien. »Schwebt jemandem ein spezifischer Ort vor?«

Quebra schaute Chia an. »Dorthin, wo wir gewesen sind? Vor Mills?«

»Wir können nicht zurück«, erklärte der Alte gleichmütig.

»Und auch sonst nirgendwohin.«

»Der Höllengänger steht im Nordosten«, sagte Frank, wusste aber nicht so recht, wieso. »Fünfhundert Meilen weit weg«, schob er hinterher. »Oder einen Steinwurf; verstehst du das unter einem Steinwurf, Quebra?«

Der Soldat antwortete zunächst nicht, sondern starrte Frank nur merkwürdig an. Dann hakte er nach: »Der Höllengänger steht fünfhundert Meilen weit weg im Nordosten ... und?«

»Ich weiß nicht«, fuhr Frank fort. »Als die Little Ones aus ihm kamen, verbreiteten sie sich in alle Himmelsrichtungen. Ich dachte nur, in dieser Richtung sei es vielleicht sicherer, näher hin zu der Stelle, an der sie ausgeschwärmt sind.«

Quebra blinzelte und wischte sich einen Schweißfilm aus dem Gesicht. Frank sah sich versucht, dem Soldaten anzubieten, seinen Rucksack zu tragen, ahnte aber irgendwie, dass der Mann sich im Moment nicht darauf einlassen würde.

»Der Höllengänger hat sich, wie lange nicht mehr bewegt? Seit dem Zusammenbruch?«, fragte Quebra.

»Richtig.«

»Frank, was verleitet dich zu der Annahme, er könne nicht morgen plötzlich aufwachen und wieder in die Gänge kommen?« Quebra erhob seine Stimme. »Darf ich dich daran erinnern, dass wir erst vor ein paar Stunden erlebt haben, wie ein ‘schlafender’ Little One aufstand und Mills zerdrückte? Das Gleiche hätte er auch fast mit dir getan, mein Freund. Geht es dir noch gut?«

Er dachte, Frank drehe nach dem Vorfall am Morgen langsam durch. Konnte man es ihm aber andererseits verübeln?

»War ja nur so eine Idee«, entschuldigte sich Frank nun. »Ich dachte, wir sollten einfach mal Vorschläge in die Runde werfen.«

»Vernünftige Vorschläge!«, betonte Dodger. »Ich würde sagen, wir gehen nach Südwesten, also in die entgegengesetzte Richtung. Auf der Karte runter ist immer gut.«

»Spielt es denn überhaupt eine Rolle?«, fragte Autumn.

»Jawohl, das tut es«, bekräftigte Dodger. »Dass man sich mit manchen Strecken wirklich keinen Gefallen tut, ist doch wohl bekannt. Andere sind da wesentlich aussichtsreicher – wenigstens insofern, dass sie nicht nach Chicago führen. Kapiert

»Warum spuckst du mir gegenüber nie so große Töne, Dodgman?«, stichelte Quebra, der sich sein Gewehr nun auf eine Schulter gelegt hatte. Dodger blickte reichlich angesäuert, sagte aber nichts mehr.

»Fick dich, Dodger«, ätzte Autumn.

Das brachte ihn wieder in Fahrt. »Ach, wirklich?«, echauffierte er sich. »Ihr alle wünscht euch, dass ich abhaue? Ihr wollt mich verstoßen? Wäre schließlich nicht das erste Mal mich. Ich komme auch sehr gut allein klar, versuche aber trotzdem, euch zu helfen.«

»Du versuchst gar nichts«, brummte Chia, »und darüber haben wir uns schon unterhalten. Treib es nicht zu weit.«

Frank hockte derweil am Straßenrand und zog eine kleine Feldflasche von seinem Gürtel. Es war ein rotes Ding aus Plastik mit dem verblassten Aufdruck eines Ninjas, Campingspielzeug für Kinder. Nachdem er einen Schluck Regenwasser daraus getrunken hatte, schloss er seine Augen.

Achtzehn Jahre lag der Weltuntergang nun schon zurück; achtzehn Jahre und er dauerte immer noch an.

Begonnen hatte es mit außergewöhnlich heftigen Stürmen rund um den Globus. Man war gar nicht dazu gekommen, jedem einen Namen zu geben, zumindest soweit sich Frank noch daran erinnerte. Die Wissenschaft hatte sich vielmehr um die anormalen Bewegungen der Winde gesorgt. Sie waren den Gesetzen der Natur selbst zuwidergelaufen und nordwärts gerauscht, und jeder hatte in seinem Sog eine schreckliche Verwüstung hinterlassen. Frank wusste noch, dass es insgesamt siebenundzwanzig gewesen waren, viele davon mit Ausläufern in Form von Hurrikans oder Tornados, die Stadt- und Landgebiete verheert hatten. Jeder Ort war zu einem potenziellen Katastrophengebiet geworden. Die Regierungen hatten höchste Alarmbereitschaft ausgerufen und waren rasch dazu übergegangen, Schuldige zu bestimmen, genauso wie die Religionen. Während die Hauptstädte gefallen, und Wind und Wasser gewütet hatten, war jede Erklärung recht gewesen, angefangen bei Sünden über geheime Technologien bis hin zu Außerirdischen. Jedermann hatte es sich einfach gemacht, seinen jeweiligen Erzfeind zu verleumden. Unterdessen waren die Stürme nicht abgeflaut, sondern hatten sowohl Flugzeuge als auch Gebäude niedergerissen und sich schließlich in der Arktis unmittelbar nördlich von Grönland vereint.

Genau über dem Litketief waren sie zusammengestoßen, einem Meerestief im Eurasischen Becken, dessen Bett dreieinhalb Meilen unter der Wasseroberfläche liegt. Es gibt tiefere auf dem Planeten, doch da dieser keine perfekte runde Kugel ist, reicht es näher an den Erdkern als alle anderen. Dies war für Frank seit jeher eine interessante Fußnote, ergab aber nach wie vor überhaupt keinen Sinn.

Die Wirbel hatten sich dort zu einem »Ultrasturm« vereint – so der geprägte Begriff –, einer monolithischen Wand aus Wind und Schnee, die fast bis in die Exosphäre gestoben war. Sie hatte Satelliten aus ihren Bahnen geworfen und so ganz allmählich das globale Kommunikationsnetz lahmgelegt – schlecht für die weltlichen und geistigen Führer an der Schwelle zu einem Krieg, schlecht auch für die aufgekratzten Bevölkerungen kurz vor den sogenannten »Bürgerunruhen«.

Man hatte die Höhe des Ultrasturms auf vierhundert Meilen geschätzt, erneut ein Widerspruch gegen alles Natürliche. Prediger hatten dies als Beweis dafür erachtet, dass die Forschung schon immer falschgelegen habe. Die Forscher wiederum hatten um Zeit gebeten, um sich einen Reim darauf machen zu können und die Herrschenden auf der Welt davon abzuhalten, den Roten Knopf zu drücken.

Für den Sturm war das alles einerlei gewesen. Einen höllischen Monat lang hatte er getobt, während die Menschen in ihren Häusern, vor ihren Fernsehern, Tablets und Handys geblieben waren, bis ihr Empfang nach und nach ausgesetzt hatte. An dem Tag, als der Sturm endlich abgeklungen war, hatte man noch einige aktuelle Berichte abrufen können, genauer gesagt waren viele Betreiber, sobald sich der Himmel gelichtet hatte, wieder ans Netz gegangen, wenn auch nur vorübergehend. An jenem Tag, als sich die Arktis beruhigt und der Himmel begonnen hatte, blau durch den weißen Wall zu schimmern, war es einigen Menschen bessergegangen ... besser im Sinne von: Jetzt wird alles wieder gut. Es schien so, als gäbe es bald Antworten und man könne dann etwas bauen oder eine Resolution verabschieden, um zu verhindern, dass so etwas je wieder geschah, woraufhin alle wieder ihren normalen Alltag hätten aufnehmen dürfen.

Aber dann sahen wir, was sich hinter den Wolken verbarg.

Sieben Meilen hoch, sein Körper, wie es aussah, bedeckt mit Platten aus Obsidian oder Metall. Es erinnerte an eine gepanzerte Echse aus einem Kinderbuch über prähistorische Tiere, nur dass dieses Ding nicht irdisch war. Das wusste jeder sofort. Es stand mitten im Litketief, weshalb die Welt zunächst nur die Hälfte von ihm sah. Dann allerdings fing es an, herauszusteigen.

Die Tsunamis entstanden prompt und blieben in der dokumentierten Geschichte ohne Beispiel. Man hatte keine Zeit – nicht einmal als Beobachter auf der anderen Seite der Welt –, um sich auf die apokalyptischen Flutwellen vorzubereiten. Eine Stunde nach dem Ende des Sturmes waren komplette Städte bereits versunken. Hunderttausende hatten während der ersten Minuten den Tod gefunden, und dabei war dies erst der Anfang gewesen.

Der Höllengänger. Er trampelte auf dem Ozeanboden der Arktis herum, und jeder Tritt löste Erdstöße aus, die sich über die gesamte Nordhalbkugel fortpflanzten. Seine Bewegungen waren schwerfällig träge, weshalb er Tage brauchte, um der Tiefe zu entsteigen. Mit jedem Tag wurde er größer und größer, bis sich sein Kopf – ein undefinierbares Etwas, geformt wie eine kosmische Pfeilspitze – in den gewöhnlichen Wolken verlor.

Er war so hoch wie die Troposphäre der Erde, und die Zahl der Todesopfer stieg mit jeder kleinsten Bewegung, die er vollzog. Aus Hunderttausenden wurden rasch Millionen. Als er Grönland erreichte, verließ er das Meer. Das Land war innerhalb weniger Tage ausgelöscht – vollkommen, alle waren tot.

Alles in allem brauchte das Monster vierzehn Jahre, um bis nach Chicago zu gelangen, und jeder Tag während dieser Zeit bedeutete für sich genommen schon ein Armageddon.

286,32 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
17 апреля 2022
Объем:
310 стр.
ISBN:
9783958356375
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
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