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4. Einzelaspekte der Marktabgrenzung in der Anwendungspraxis

Inwieweit bei der Implementierung der Grundkonzepte des hypothetischen Monopolistentests und des Bedarfsmarktkonzeptes ökonometrische und empirische Verfahren verwendet werden, ist im Rahmen der vorstehenden Darstellung an einzelnen Stellen deutlich geworden. Eine ökonometrische Umsetzung des hypothetischen Monopolistentests bzw. des SSNIP-Tests setzt eine verlässliche Datenbasis voraus. In der Praxis wird das bei einer Preiserhöhung anzunehmende Verhalten von Marktbeteiligten durch Umfragen ermittelt (zur Bewertung dieses Vorgehens unten S. 277). Auch die im Rahmen des Bedarfsmarktkonzepts erforderliche Beurteilung der funktionellen Substituierbarkeit von Gütern und Leistungen wird oft auf empirische Erhebungen unter Angehörigen der betroffenen Verkehrskreise gestützt.

In der Anwendungspraxis wird bei der Marktabgrenzung vielfach auf empirische Erhebungen und mitunter auf ökonometrische Berechnungen zurückgegriffen, ohne dass stets ein Bezug zu einem der bis hier behandelten Grundkonzepte (Bedarfsmarktkonzept bzw. hypothetischer Monopolistentest) hergestellt wird.

Zugleich wirft dies die Frage nach einem Auswahlermessen der Kommission in der Wahl der als geeignet erachteten Methoden auf. In der Sache Deutsche Börse/NYSE Euronext kritisierten die anmeldenden Unternehmen das Vorgehen der Kommission insbesondere im Hinblick auf die Marktabgrenzung im Bereich der Derivate. Die Kommission stützte ihre Analyse in methodischer Hinsicht auf die Ergebnisse einer umfangreichen Marktuntersuchung sowie auf die Auswertung unternehmensinterner Dokumente, unternahm jedoch keine quantitativen Analysen. Die anmeldenden Unternehmen beanstandeten, dass unter anderem Preiselastizitäts- und Kreuzpreiselastizitätsanalysen, Regressionsanalysen, critical loss-Analysen, Merger Simulationen und Schockanalysen zur „Werkzeugkiste“ (toolbox) der Kommission gehörten, von dieser jedoch vorliegend nicht genutzt worden waren.328 Unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuG in Ryanair/Aer Lingus geht die Kommission jedoch davon aus, dass keine starre hierarchische Rangfolge zwischen den verschiedenen Nachweismethoden besteht, dass ihr insbesondere im Hinblick auf ökonomische Analysen vielmehr ein Auswahlermessen zusteht. Eine quantitative Analyse sei nach der Rechtsprechung des EuG unter Umständen hilfreich, jedoch keinesfalls zwingend vorgeschrieben.329 So betont die Kommission in der Entscheidung Deutsche Börse/NYSE Euronext insbesondere das Erfordernis ausreichender und zuverlässiger Daten als Grundlage ökonomischer Analysen. Gerade im OTC Sektor seien derartige Daten – wie dies auch die anmeldenden Unternehmen in der Formblatt CO zugaben – nur schwer zu ermitteln.330

a) Preiselastizitätsanalysen

Europäische Praxis. In der Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes findet sich allein ein Hinweis auf die Möglichkeit der Heranziehung von Preiselastizitäten zur Marktabgrenzung, ohne eine genauere Definition der zur Annahme von gemeinsamen/getrennten Märkten erforderlichen Elastizitäten.331

Ein Beispiel für die Anwendung einer Untersuchung der Preiselastizität der Nachfrage zur Marktabgrenzung bietet die Entscheidung der Kommission im Fall Gencor/Lonrho.332 Die festgestellte geringe Preiselastizität der Nachfrage nach Platin sei Indikator für separate Produktmärkte; die Kommission nahm im Folgenden einen eigenständigen Markt für Platin an.333 In ähnlicher Weise stellte die Kommission u.a. aufgrund der Analyse von Preiselastizitäten entgegen der Ansicht der Parteien im Fall Danish Crown/Vestjyske Slagterier334 getrennte Märkte für frisches Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch fest. Obwohl möglicherweise positive Kreuzpreiselastizitäten zwischen verschiedenen Fleischarten bestünden, impliziere die geringe Eigenpreiselastizität von Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch, dass eine Preiserhöhung einer jeder dieser Fleischarten nur zu einem geringen Absatzverlust infolge von Substitution durch andere Fleischarten oder Konsumverzicht führe. Die Preiselastizitäten seien daher Indikatoren für getrennte Märkte von frischem Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch.335

In Olympic/Aegean Airlines diskutierte die Kommission im Rahmen der sachlichen Marktabgrenzung eine Differenzierung verschiedener Kundengruppen anhand ihrer Preisempfindlichkeit. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass sich zwei Kundengruppen ausmachen lassen: die zeitlich flexiblen, preisempfindlichen Kunden – typischerweise Freizeitreisende – einerseits und die zeitlich unflexiblen Geschäftsreisenden andererseits, die eher bereit sind, höhere Preise zu zahlen. Fluggesellschaften seien zudem in der Lage, in ihrer Preisgestaltung zwischen diesen Gruppen zu diskriminieren. Ob die Kundengruppen zugleich separaten Märkten angehören, lässt die Kommission jedoch im Ergebnis offen.336

Nicht immer findet sich bei der Berechnung von Preiselastizitäten ein Hinweis auf die Herkunft der verwendeten Daten. Vorbildlich transparent sind insofern die den Markt für Hygiene-Papiere betreffenden Kommissionsentscheidungen Kimberly-Clark/Scott337 und SCA/Metsä Tissue338. Hier erfolgte ausdrücklich ein Rückgriff auf sog. Supermarkt-Scannerdaten. In beiden Fällen war streitig, ob Marken- und No-Name-Produkte einen gemeinsamen Markt bilden; aufgrund der Analyse der Scannerdaten kommt die Kommission jedoch zu dem Ergebnis, dass jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne, dass Marken-Hygiene-Papiere mit No-Name-Produkten im Wettbewerb stünden und daher ein gemeinsamer Markt anzunehmen sei.339 Auch in Danone/The Whitewave Foods Company wurden auf Scannerdaten gestützte Eigen- und Kreuzpreiselastizitätsanalysen herangezogen. Diese ergaben für den belgischen Markt, dass sich eine Änderung des Preises für regulären Joghurt nicht auf die Nachfrage nach pflanzlichem Joghurt – und umgekehrt – auswirkt, dass folglich keine funktionale Austauschbarkeit zwischen den Produkten besteht.340 In der Entscheidung CVC/Lenzing341 zieht die Kommission von den Parteien beigebrachte monatliche Verkaufszahlen ihrer Produkte heran und bestimmt anhand dieser Daten Kreuzpreiselastizitäten zur Marktabgrenzung.342 Ferner hat die Kommission im Fall Omya/Huber PCC eine umfangreiche Datenbank über Warenlieferungen erstellt und unter anderem für die Analyse von Elastizitäten genutzt.343

In Votorantim/Fischer untersuchte die Kommission Eigen- und Kreuzpreiselastizitäten im Rahmen der angebotsseitigen Substituierbarkeit von Orangensaft auf der Basis verfügbarer Einzelhandelsdaten. Zwar stellte die Kommission fest, dass Orangensaft im Einzelhandel „einer hohen Eigenpreiselastizität und großen Kreuzpreiselastizität in Bezug auf andere Säfte und Getränke unterliegt“,344 jedoch sei die Beweiskraft der Analyse nur gering. Zum einen seien die Schätzungen der Preiselastizitäten auf Einzelhandelsebene nur begrenzt aussagekräftig für die Großhandelsebene. Preiselastizitäten stünden insoweit typischerweise in Beziehung zueinander, seien allerdings keinesfalls identisch. Zum anderen beruhe die Analyse nur auf einer geringen Anzahl an Beobachtungen, sodass die Schätzung nicht stichhaltig sei.345

Zur Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes hat die Kommission Preiselastizitäten in der Entscheidung KLM/Martinair berücksichtigt.346 Den Berechnungen der Kommission lag eine Kundenumfrage mit insgesamt 1.005 Antwortmeldungen zugrunde: „Die Zahl wird einfach durch die Ermittlung des Verhältnisses zwischen dem erwarteten Verlust an Kunden an andere Reiseziele (13 %) und der vorgeschlagenen Preiserhöhung (7,5 % – dem Mittelwert der vorgeschlagenen Preiserhöhung von 5–10 %) berechnet.“347 Trotz einer relativ hohen und signifikanten Preiselastizität wurde die Marktabgrenzung letztlich aber offengelassen. Interessanterweise bezog sich die Kommission allerdings auf diese Ergebnisse in der wettbewerbsrechtlichen Würdigung und folgerte daraus, dass die relativ hohe Preiselastizität der Nachfrage das fusionierte Unternehmen von Preiserhöhungen nach dem Zusammenschluss abhalten werde.348

Auch in der Entscheidung Südzucker/ED&F Man berücksichtigte die Kommission Preiselastizitäten im Rahmen der räumlichen Marktabgrenzung. Sie stellte eine geringe Preiselastizität der Nachfrage industrieller Abnehmer gegenüber Zuckerlieferanten in Italien fest. Die Nachfrager hätten keine Ausweichmöglichkeiten, keinen Verhandlungsspielraum und zugleich ein starkes Bedürfnis nach einer sicheren und zuverlässigen Bezugsquelle. Die Untersuchung erfolgte im Kontext des SSNIP-Tests. Zwar gab die Mehrheit der Abnehmer im Rahmen der Marktbefragung an, dass sie im Falle einer 5–10 %igen Preiserhöhung Zucker auch von ausländischen Anbietern beziehen würden, jedoch standen diese Äußerungen im Widerspruch zum vergangenen Verhalten der betroffenen Unternehmen. In den vorangegangenen fünf Jahren waren in Italien bereits signifikante Preiserhöhungen von mehr als 5–10 % erfolgt und die große Mehrheit der Nachfrager war dennoch nicht auf ausländische Bezugsquellen ausgewichen. Im Ergebnis gelangte die Kommission zur Annahme eines nationalen Marktes.349

Deutsche Praxis. Lediglich zur Unterstützung der nach dem Bedarfsmarktkonzept aufgrund der funktionellen Austauschbarkeit festgestellten Marktabgrenzung führte das Bundeskartellamt im Fall trans-o-flex/Deutsche Post350 eine Befragung der Nachfrager von Paket- und Stückgutbeförderungsleistungen durch. Zur Erhebung von Daten in Bezug auf die Preiselastizität der Nachfrage wurde gefragt, „ab welcher Preissteigerung [ein Nachfrager] bei gleichbleibender Qualität der Dienstleistung und konstanten Preisen der Wettbewerber den Anbieter von Paketbeförderungsleistungen wechseln“351 würde. Diese Befragung ergab Werte zwischen 2–5 %, sowohl im Falle des Wechsels von einem spezialisierten Paketdienstleister zu einem anderen spezialisierten Paketdienstleister als auch für den Wechsel von einem sog. Kombifrachtdienstleister (der auch Mischsendungen bestehend aus Normpaketen und Stückgut befördert) zu einem spezialisierten Paket- oder Stückgutdienstleister. Hieraus folgerte das Bundeskartellamt, „dass der Preissetzungsspielraum eines Kombifrachtdienstleisters durch spezialisierte Paketdienstleistungsunternehmen ebenso stark kontrolliert [werde], wie der Preissetzungsspielraum der spezialisierten Paketdienstleister untereinander. Kombifrachtdienstleister [seien] daher als Wettbewerber auf dem Markt für Paketdienstleistungen anzusehen“.352 Dieses Ergebnis wurde durch das OLG Düsseldorf bestätigt, gleichzeitig wurde ihm aber nur indizielle Bedeutung neben der entscheidenden funktionellen Austauschbarkeit aus Sicht der Abnehmer zugestanden.353

Auch in Xella/H+H führte das Bundeskartellamt umfangreiche ökonometrische Analysen zur Ermittlung der preislichen Reaktionsverbundenheit von Porenbetonsteinen und Kalksandsteinen einerseits und Porenbetonsteinen und Ziegeln andererseits durch. Die Analysen ergaben, dass es an einer Reaktionsverbundenheit fehlt, was die Beschlussabteilung zur Annahme separater Märkte für Porenbeton, Kalksandstein und Ziegel veranlasste.354

b) Absolute und relative Preisunterschiede
α) Sachliche Marktabgrenzung aufgrund von Preisdifferenzen

Europäische Praxis. Beständige Preisdifferenzen zwischen einzelnen Produkten sind nach Ansicht der Kommission im Fall Saint-Gobain/Wacker-Chemie/NOM355 ein sehr starkes Indiz dafür, dass diese Produkte aus Sicht der Abnehmer verschiedene Eigenschaften haben und daher nicht als direkte und effektive Substitute dienen können. Aufgrund dieser bestehenden Preisdifferenzen seien daher getrennte sachlich relevante Märkte anzunehmen. Aus ökonomischer Sicht vermag dies nicht zu überzeugen, da auch Produkte mit unterschiedlichen Preisen erheblichen Wettbewerbsdruck aufeinander ausüben können.

In der Entscheidung Airtours/First Choice356 unterteilte die Kommission aufgrund bestehender absoluter Preisunterschiede zwar den Reisemarkt in je einen eigenen Markt für Fernreisen und einen für Kurzstreckenreisen, aber der Wettbewerbsdruck eines Produktes auf das jeweils andere wurde explizit berücksichtigt. Die festgestellten Preise unterschieden sich bis um das Doppelte, weiterhin sei keine beständige Konvergenz in der Preisentwicklung für Fern- und Kurzstreckenreisen erkennbar. Auch wenn teilweise die Preise für Kurzstreckenreisen in der Hochsaison an das Preisniveau für Fernreisen während schlechter Reisezeiten (z.B. aufgrund zu erwartenden schlechten Wetters) heranreichten, sei dies nicht ausreichend, um einen gemeinsamen Markt anzunehmen.357 Auch wenn die in Erwägung gezogenen Durchschnittspreise nicht notwendigerweise auf das Verhalten der Kunden im Grenzbereich schließen ließen, sei es doch unwahrscheinlich, dass eine ausreichende Menge von Fern- und Kurzstreckenreisen zu einem ähnlichen Preis verfügbar wären. Daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass gegenseitig ausreichender Wettbewerbsdruck ausgeübt werde.358 Diese Auffassung wurde durch das EuG bestätigt.359

In ähnlicher Weise entschied die Kommission im Fall Nestlé/Perrier,360 dass aufgrund von Preisdifferenzen in Höhe von 200–300 % zwischen Mineralwasser und anderen Erfrischungsgetränken beide Produkte separate sachliche Märkte bildeten.361

In Western Digital Irland/Viviti Technologies berücksichtigte die Kommission die zwischen verschiedenen Typen von Festplatten bestehenden Preisunterschiede als ergänzenden Faktor in der Analyse. Die Kommission erörterte primär verschiedene Formen des Endgebrauchs von Festplatten (HDDs) und diskutierte eine Austauschbarkeit von „Desktop HDDs“, die typischerweise in PCs und sonstigen Geräten für den Heimgebrauch verwendet werden, und „Business Critical HDDs“, die im geschäftlichen Bereich, z.B. im Betrieb von Servern, Einsatz finden. Die Marktbefragung ergab, dass „Desktop HDDs“ aufgrund ihrer zu geringen Leistungsfähigkeit nicht anstelle von „Business Critical HDDs“ eingesetzt werden können. Demgegenüber sei es technisch möglich, „Business Critical HDDs“ in PCs zu verwenden. Die befragten Unternehmen gaben jedoch übereinstimmend an, dass dies nicht wirtschaftlich vertretbar sei: zwischen „Desktop HDDs“ und „Business Critical HDDs“ bestand ein Preisunterschied von 38 %. Die befragten Unternehmen gaben an, dass die Preise für „Business Critical HDDs“ zunächst um ca. 30–50 % sinken müssten, bevor sie eine Verwendung in PCs in Erwägung ziehen würden, und dass sie eine derartige Preissenkung in nächster Zukunft nicht erwarteten. Im Ergebnis stellte die Kommission fest, dass keine funktionale Austauschbarkeit beider Festplattentypen gegeben ist.362

Auch in KME/MKM berücksichtigte die Kommission im Rahmen der Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes Preisunterschiede als ein Kriterium in der Analyse. Inhaltlich befasst sich die Kommission mit der Frage der nachfrageseitigen funktionalen Austauschbarkeit von Sanitär-Kupferrohren gegen Rohre aus anderen Materialien. Während eine solche Austauschbarkeit in technischer Hinsicht gegeben sei, verneinte sie die funktionale Austauschbarkeit im Ergebnis aus verschiedenen Gründen: Neben den besonderen Produkteigenschaften (z.B. antimikrobielle Wirkung von Kupfer sowie Temperaturbeständigkeit) und Installationsmethoden berücksichtigt die Kommission auch Preisunterschiede zwischen Kupferrohren einerseits und Plastikrohren andererseits. Im Ergebnis gelangt die Kommission zur Annahme eines separaten Produktmarktes für Sanitär-Kupferrohre.363

Auch in Nissan/Mitsubishi untersuchte die Kommission im Rahmen der Marktabgrenzung Preisunterschiede für verschiedene Produkttypen. Sowohl im Bereich der Personenkraftwagen als auch der Nutzfahrzeuge stellte die Kommission deutliche geografische Preisunterschiede fest. Dies beruhe zum einen auf unterschiedlichen steuerlichen Gegebenheiten, zum anderen pflegten die Parteien jedoch auch unterschiedliche Preislisten in unterschiedlichen europäischen Staaten. Im Ergebnis ließ die Kommission die Marktabgrenzung jedoch offen.364

Deutsche Praxis. Ausgehend vom Bedarfsmarktkonzept wurde in der Entscheidung Hydraulischer Schreitausbau365 grundsätzlich festgestellt, dass Preisunterschiede hinter den beabsichtigten Verwendungszweck und die Produkteigenschaften zurückzutreten haben, wenn sie sich nicht auf die Investitionsentscheidung der Marktgegenseite auswirken.366 Jedoch stellte das Kammergericht für hochpreisige Kosmetika in der Entscheidung Hussel-Mara selbst bei in ihrer Funktion gleichen Produkten getrennte Märkte wegen bestehender Preisunterschiede fest.367 Offengelassen wurde die Frage einer Segmentierung von Märkten aufgrund von absoluten Preisdifferenzen im Fall Edelstahlbestecke,368 da schon wegen des Bedarfs an Pflege, der Robustheit und dem besonderen Prestigewert Bestecke aus Edelstahl und solche aus Silber bzw. mit Silberauflage funktionell nicht untereinander austauschbar seien.369 Ebenso verhielt es sich in Bezug auf die Marktabgrenzung von politischen Wochenzeitschriften zu überregionalen Tageszeitungen in der Entscheidung Gruner+Jahr/Zeit II.370 Politische Wochenzeitungen befriedigten einen von anderen Presseerzeugnissen abzugrenzenden Markt schon aufgrund des typischen Verbraucherbedürfnisses nach wöchentlicher, von der Tagesaktualität abgehobener, vertiefender Darstellung und Kommentierung. Die Frage nach einer Austauschbarkeit möglicherweise entgegenstehenden Preisunterschieden wurde daher nicht betrachtet.371 Im Beschluss Phonak/ReSound schließlich entschied das OLG Düsseldorf in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Entscheidung Hydraulischer Schreitausbau, dass selbst Preisunterschiede bei Hörgeräten von 200 bis 900 € keine getrennten Märkte begründen könnten, da die Produkte aus Sicht der Abnehmer funktionell austauschbar seien.372 Auf Rüge der Rechtsbeschwerde hin führte der BGH in der nächsten Instanz hierzu aus, dass eine allgemeine Regel, nach der ein bestimmtes Maß an Preisunterschieden zur Annahme sachlich getrennter Märkte führt, nicht bestehe. Maßgeblich seien stets die Marktverhältnisse im Einzelfall. Entscheidende Bedeutung misst der BGH dabei dem Umstand der Angebotsumstellungsflexibilität zu, denn die Möglichkeit einer kurzfristigen Produktionsumstellung habe disziplinierende Wirkung gegenüber Preiserhöhungen in allen Segmenten. Da die Rechtsbeschwerde nicht habe darlegen können, dass eine derartige Produktionsumstellung nicht möglich sei, vermochten auch aus Sicht des BGH die Preisunterschiede keine getrennten Märkte zu begründen.373

In dem Beschluss 100,1 Radio Aachen374 beurteilte das OLG Düsseldorf das Kriterium der funktionellen Austauschbarkeit aufgrund von absoluten und relativen Preisunterschieden. Bei der Frage nach dem sachlich relevanten Markt für Vermarktungsdienste zur Vermittlung von Hörfunkwerbezeiten ging es darum, ob ein einheitlicher Markt für die Vermarktung besteht oder ob zwischen der nationalen Vermarktung, d.h. der Vermarktung von Hörfunkwerbezeit für flächendeckend das gesamte Bundesgebiet oder mindestens drei Bundesländer umfassende Werbekampagnen einerseits und regionaler/lokaler Vermarktung andererseits zu differenzieren ist. Da der Preis für Hörfunkwerbezeiten in Nordrhein-Westfalen in Relation dreimal so hoch sei wie bei der nationalen Vermarktung, sei aufgrund dieser bestehenden Preisdifferenz „für den Werbekunden, der Hörfunkwerbezeit für eine nationale Ausstrahlung nachfragt, eine nationale Hörfunkwerbung nicht austauschbar mit der Bündelung lokaler oder regionaler Hörfunkwerbung. Umgekehrt [sei] für Kunden, die eine regional begrenzte Hörfunkwerbung wünschen, die nationale Hörfunkwerbung wegen ihres absolut deutlich höheren Preises gegenüber der gezielt nachgefragten lokalen Werbung nicht austauschbar mit der regionalen Hörfunkwerbung“.375 Diese fehlende funktionelle Austauschbarkeit von nationaler mit regionaler Hörfunkwerbung sei auch auf die – hier in Frage stehenden – vorgelagerten Vermarktungsleistungen zu übertragen. Schon vorher hatte das KG dem „Preis einen sicheren Hinweis auf die fehlende Austauschbarkeit“376 zugewiesen. Auch in einer jüngeren Entscheidung zur Marktabgrenzung zwischen Taschenbüchern und gebundenen Ausgaben hat das Bundeskartellamt zur Begründung getrennter Märkte auf bestehende Preisunterschiede zurückgegriffen.377 Ebenso bezeichnet das Bundeskartellamt im Fall Siemens/Moeller378 das Preisniveau zwischen einzelnen Produkten als „weitere[n] Gesichtspunkt für die Marktabgrenzung“.379 Betreffend den Markt für Smartphones kommt das Bundeskartellamt in seinem Beschluss Nokia/Symbian/Psion/Sony380 zu dem Ergebnis, dass „einfache Handys [...] für diese [scil. Smartphones] daher keine Alternative [seien]. Dies drück[e] sich auch im erheblichen Preisunterschied zwischen einfachen Handys und Smartphones aus, die in der Regel ein Mehrfaches teurer“381 seien. Gleichfalls erfolgte im Fall Nehlsen/Rethmann/swb/Bremerhavener Entsorgungsgesellschaft/Stadt Bremerhaven/RWE Umwelt382 aufgrund der erheblichen Preisunterschiede zwischen der Deponierung und der Behandlung von Siedlungsabfällen in Müllverbrennungs- und Müllbeseitigungsanlagen keine Einbeziehung der Deponien in den sachlich relevanten Markt.383 Insbesondere bei Luxus- und Prestigeartikeln sollen Preisdifferenzen getrennte Märkte indizieren, weswegen in der Entscheidung Wissensmedia/Brockhaus die als eben solche klassifizierte Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden als eigener relevanter Markt definiert wurde.384 In der Entscheidung Pelikan/Herlitz misst das Bundeskartellamt bestehenden Preisunterschieden sogar absolute Bedeutung bei: „Oberhalb dieser Preiskategorie bestehen so hohe Preisunterschiede zu den ‚Basis‘-Füllern, dass allein aus diesem Grund von getrennten Märkten auszugehen ist.“385 (Hervorhebung durch die Verfasser)

In der jüngeren Entscheidungspraxis stellte das Bundeskartellamt insbesondere in Tönnies Holding/Schlachthof Tummel auf bestehende Preisunterschiede ab. Inhaltlich befasste sich das Bundeskartellamt mit der Frage, ob die Schlachtung von Schweinen und Sauen einen einheitlichen Markt bildet. Sollten Schweine und Sauen Substitute darstellen und damit einem einheitlichen Markt zuzuordnen sein, so sei zu erwarten, dass die Preise für Schweine- und Sauenfleisch „gleich oder jedenfalls sehr ähnlich sind“. Es müsse ferner eine Reaktionsverbundenheit bestehen. Das Bundeskartellamt analysiert die jährlichen Durchschnittspreise, stellt beständige Preisunterschiede fest und kommt zu dem Ergebnis, dass separate Produktmärkte abzugrenzen sind. Ergänzend zieht das Bundeskartellamt in dieser Entscheidung ferner den SSNIP-Test heran. So hatte die Marktuntersuchung ergeben, dass die große Mehrheit der Nachfrager von Sauenfleisch (70 %) auch im Falle einer 10 %igen Preiserhöhung – insbesondere aufgrund der besonderen Fleischeigenschaften – nicht auf Schweinefleisch ausweichen würden.386

Vor allem im deutschen Recht zeigt sich, dass eine Abgrenzung des Marktes aufgrund absoluter Preisunterschiede eng mit dem Kriterium der funktionellen Austauschbarkeit verknüpft wird, welches jedoch nicht – wie aus ökonomischer Sicht zu fordern – explizit auf die Frage nach dem wechselseitig ausgeübten Wettbewerbsdruck zwischen Produkten abstellt. Absolute Preisunterschiede zwischen Produkten erscheinen aus ökonomischer Perspektive nicht als ein belastbares Kriterium zur Abgrenzung des relevanten sachlichen Marktes.

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9783800593453
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