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TECHNO POP: DER LANGSAME ZERFALL VON KRAFTWERK

Im Februar 1982 begannen KRAFTWERK, den Nachfolger zu »Computerwelt« in ihrem eigenen Kling-Klang-Studio aufzunehmen. Nach ihrer Japan-Tour 1981 hatten sie die Idee zu einem eigenen Genre, das die Richtung für die neue Platte vorgeben sollte: »Techno Pop«. Gleich zu Beginn der Aufnahmen entstand ein gleichnamiges Stück, bei dem Kraftwerk sich von Debussy inspirieren ließen. Ralf Hütter, Karl Bartos und Florian Schneider fertigten gleich mehrere Versionen dieses Stücks an. Darunter eine mit einer Spiellänge von zehn Minuten. Dies wäre die erste Seite der neuen Platte geworden, wenn sie so wie ursprünglich geplant erschienen wäre. Zusätzlich lediglich drei weitere neue Stücke hinzu, von denen »Tour de France« als Vorabsingle veröffentlicht wurde. Bereits im April 1982 waren »Techno Pop«, »Sex Objekt« und »Tour de France« weitestgehend fertig.

Zur selben Zeit befiel eine neue Leidenschaft die Musiker. Um zwischen den anstrengenden Touren auch körperlich fit zu bleiben, begeisterten sich Hütter und Schneider immer mehr für den Radsport. Vor allem Hütter wurde ein fanatischer Radfahrer. Bartos und Schlagzeuger Wolfgang Flür teilten diese Leidenschaft jedoch nicht. Während sich Bartos immerhin ab und an mal für eine Tour aufs Rad schwang, war Flür weniger begeistert. Es begann im Bandgefüge zu kriseln und Flür hatte den Eindruck, dass sich Hütter und Schneider mehr für Fahrräder als für Musik interessierten. Im Studio sammelten sich Fahrradketten, Reifen und nach Schweiß riechende Radlerklamotten.

Im Frühsommer 1982 kam es dann zu einem Unfall. Bei einem Ausflug stieß Hütter mit einem anderen Radfahrer zusammen und stürzte. Er hatte sich eine Schädelfraktur zugezogen. Nach dem Unfall lag er vier Tage im Koma und musste den Aufnahmen einige Monate lang fernbleiben. Aus Hütters Sicht wurde die ganze Geschichte allerdings künstlich aufgebauscht: Für ihn war es nur ein kleiner Unfall mit wenigen Tagen im Krankenhaus!

Bereits im Spätsommer fanden sich Hütter und Bartos wieder in den Kling-Klang-Studios zusammen und arbeiteten an »Der Telefon Anruf«. Das Stück, bei dem Bartos den Gesang übernahm, basierte auf einem von ihm daheim produzierten Demo mit dem Titel »Italo-Disco«. Kurz vor Weihnachten traf sich die Band am Rhein, um Coveraufnahmen zu machen, auf denen sie als Radfahrer abgelichtet wurden. Hütter versuchte seine Kollegen davon zu überzeugen, die Platte komplett dem Radsport zu widmen. Eine Idee, die Kraftwerk später mit den »Tour de France Soundtracks« wieder aufgreifen sollten. Allerdings wurde das Shooting wegen der Eiseskälte abgebrochen.

Anfang 1983 finalisierte die Band »Tour de France« und setzte erstmals verstärkt auf Sampling. Das Freilaufen eines Rennrads und Atemgeräusche landeten im Sampler und wurden auch im finalen Song verwendet. Etwa zur selben Zeit trafen Hütter und Bartos sich mit Parlophone, um den Veröffentlichungstermin der neuen Platte zu besprechen. Nachdem schnell klar wurde, dass der ursprüngliche Titel »Technicolor« aus markenrechtlichen Gründen nicht möglich sein würde, fiel die Entscheidung, die Platte »Techno Pop« zu nennen. Wenig später entdeckte Hütter eine ungarische Briefmarke aus dem Jahr 1953 mit zwei Rennradfahrern und beschloss, dass dies das perfekte Cover sei. Er selbst fertigte eine Skizze an, auf der er die Anzahl der Rennradfahrer verdoppelte und in einer an Art Deco erinnernden Schrift »Techno Pop« als Titel hinzufügte. Finalisiert wurde das Cover mit den Gesichtern der Bandmitglieder im Profil, bei dem die Reihenfolge der Bühnenaufstellung entsprach. Das Cover des neuen Albums stand und auch die Aufnahmen neigten sich dem Ende zu. Im März begann die Band im Studio Rudas, in dem bereits »Computerwelt« den letzten Schliff bekam, die Platte erstmals abzumischen. Über eine Woche wurde an »Der Telefon Anruf« gearbeitet – ohne Erfolg. Also beschlossen sie, die Stücke in den Kling-Klang-Studios selbst zu mixen und in lokalen Diskotheken in Düsseldorf und Umland, wie z. B. dem Morocco in Köln, zu testen.


Ideenvorlage für das erste »Techno Pop«-Cover: ein ungarische Briefmarke von 1953

KRAFTWERK: TECHNO POP (1984)

01. Techno Pop [Das Stück hätte die gesamte A-Seite der LP eingenommen]

02. Der Telefonanruf

03. Sex Objekt

04. Tour de France

Im Mai veröffentlichten Kraftwerk im Düsseldorfer Magazin Select eine erste Anzeige, die lediglich das Artwork von »Techno Pop« zeigte. Eine frühe Form des Guerilla-Marketings. Ohne Bandnamen und weiteren Infos war unklar, worum es hier eigentlich geht. Das Rätsel wurde aber schnell gelöst, da die EMI zusätzlich eine Anzeige in einem Branchenblatt schaltete und damit das neue Album samt Bestellnummer »Kling Klang IC 064-65087« ankündigte. Sehr zum Ärger von Ralf Hütter, der 2004 im Interview mit Susann Jakobus-Drechsler für das Nillson- Fanzine erzählte, dass die ganze Aktion nicht abgesprochen war.

Pünktlich zur Tour de France 1983 erschien die gleichnamige Single als Teaser für das kommende Album, um die Presse rund um das Sportereignis verkaufsfördernd mitzunehmen. Und tatsächlich kletterte das Stück im August bis auf Platz 22 der UK-Charts und bis auf Platz 47 in den deutschen Single-Charts. Nach dem großen Hit mit »Das Model«, der es 1982 bis auf Platz 1 der UK-Charts schaffte, dennoch eine Enttäuschung.

Kraftwerk waren auch weiterhin mit dem bisherigen Stand der Aufnahmen unzufrieden. In seiner Autobiografie »Der Klang der Maschine« schreibt Bartos, dass Hütter und er wussten, dass etwas mit den Mixes nicht stimme, und hatten sie das Gefühl, mit aktuellen Produktionen nicht mehr mithalten zu können. Weiterhin versuchten Kraftwerk, das fertige Material neu abzumischen. Immer wieder wurden neue Studios ausprobiert. Nachdem der Mix in den EMI-Studios in Köln erfolglos verlief, wurden neue Versionen im Kling-Klang-Studio abgemischt und abermals in Diskotheken getestet. Beeindruckt von New Orders »Blue Monday«, beschlossen Hütter, Schneider und Bartos, das Album ebendort zu vollenden, wo auch »Blue Monday« abgemischt worden war: in den Londoner Britannia Row Studios unter der Regie von Michael Johnson. Doch auch dieser Mix wurde verworfen.

Im November 1983 brachte Hütter François Kevorkian ins Spiel. Kevorkian verantwortete clubtaugliche Mixes und war deswegen Hütters Wahl. Einen ganzen Monat arbeitete Hütter mit Kevorkian in den Powerstation-Studios und kam doch zu keinem Ergebnis. Lediglich drei der vier Songs waren fertig abgemischt. Hütter war unzufrieden und auch Florian Schneider war nicht überzeugt. Statt die Aufnahmen zu verwerfen, sollte eine neue Platte um das bestehende Material entstehen. Die nächsten Monate wurde weiterhin an »Techno Pop« gearbeitet, das unter Zuhilfenahme moderner Produktionstechniken geremixt wurde. Um am Puls der Zeit zu bleiben, wurde das Album nun mit modernen, digitalen Produktionstechniken komplett überarbeitet. Bartos in seiner Autobiografie »Der Klang der Maschine« dazu:

»Man darf nicht vergessen, dass bis zu Computerwelt alles mit analogen Synthesizern eingespielt wurde und wir auf Magnettonband auf 16-Spur-Rekordern aufnahmen. Die Sachen Mitte der achtziger Jahre klangen damals cool und neu.«

Kraftwerk sollten auch weiterhin »cool und neu« klingen. Zu den bereits aufgenommenen Stücken kam nun erstmals ein neues Stück hinzu. »Boing Boom Tschack« fungierte als Intro zu »Techno Pop« und stellte Sprachsamples in den Mittelpunkt. Was für Hütter der Radsport wurde, war für Schneider die künstliche Spracherzeugung geworden, mit der er tagtäglich in einem eigenen Sprachlabor in den Kling-Klang-Studios experimentierte.

Im März 1984 kam Kevorkian nach Düsseldorf und half, das vorhandene Material zu mischen. Noch bis Mai arbeiteten Kraftwerk weiter an »Techno Pop«, das nun auch »Boing Boom Tschack« beinhaltete. Verworfen war die Idee also noch nicht. Im Mai trafen sich Schneider und Hütter mit der Künstlerin Rebecca Allen, um gemeinsam an der visuellen Umsetzung des Albums zu arbeiten.

Mit »Musique Non Stop«, das in erster Linie abermals auf Schneiders Sprachexperimenten mit dem Sprachsynthesizer Dectalk basierte, kam ein weiterer neuer Song zu den bisherigen Stücken hinzu. Die erste Seite war nun mit den Stücken »Boing Boom Tschack«, »Techno Pop« und »Musique Non Stop« komplett. Interessant ist, dass diese damit eine Einheit bildet, so wie es auch beim verworfenen »Techno Pop«-Konzept gewesen wäre. So werden Elemente der einzelnen Stücke untereinander aufgegriffen. »Boing Boom Tschack« enthält die Zeile »Techno Pop«, und »Techno Pop« selbst wiederum enthält die Zeile »Musique Non Stop«, während dieses Stück ein musikalisches Motiv aus dem vorherigen aufgreift.

Kevorkian kam im September 1985 erneut für Mixing-Sessions nach Düsseldorf und half dabei, Samples für »Der Telefon Anruf« aufzunehmen. Gleichzeitig wurde immer neues Equipment angeschleppt. Ein Linn-Sequencer machte die Arbeit von Wolfgang Flür überflüssig, der als Schlagzeuger immer weniger zu den Aufnahmen beitragen konnte. Eine frustierende Situation für Flür, der, anders als Bartos, Schneider und Hütter, keine Songwriting-Credits besaß und vor allem von den Einnahmen aus Live-Auftritten lebte. Flür fühlte sich zunehmend ausgeschlossen. In seiner Autobiografie schreibt er, dass die von Bartos im Song »Der Telefon Anruf« gesungene Zeile »Du bist mir nah und doch so fern« direkt auf die Stimmung der Band übertragen werden konnte. Obwohl sie weiterhin zusammenarbeiteten, waren sich die Musiker fremd geworden. Auch Bartos fand die andauernden Arbeiten an dem Album zunehmend ermüdend und sagte in einem Interview mit der Zeitschrift Keyboards von 1998 dazu: »Um ehrlich zu sein haben wir uns ein wenig in der Technologie verloren. Plötzlich, Mitte der 80er, erschien dieses ganze digitale Equipment. Also machten wir einen Schritt zurück und überdachten das Ganze und arbeiteten mit Midi und Sampling.«

Im Februar 1986 entstand »Electric Cafe«, das im Gegensatz zu den bisherigen Aufnahmen nach nur einer Woche fertig war. »Electric Café« ersetzte das bereits veröffentlichte »Tour de France« als Abschluss des Albums. Die zweite Seite war damit auch vollendet. Nach einem weiteren Versuch, die Platte im Kling-Klang-Studio abzumischen, wurde beschlossen, zu dritt nach New York zu reisen, um der Platte im Juni zusammen mit Kevorkian und Ron St. Germain im Right Track Studio den letzten Schliff zu geben. Am 21. Juli 1986 war es dann geschafft. »Electric Cafe«, so der neue Titel des Albums, war endlich fertig abgemischt.

Die Reaktionen auf das fertige Album waren durchwachsen. Einige lobten die Reduktion, doch für andere hatten Kraftwerk ihre Innovator-Rolle verloren. Recht haben wohl beide Parteien. Wäre »Techno Pop« 1983 erschienen, hätte es vielleicht mehr Eindruck hinterlassen, doch die Charts der Zwischenzeit wurden von elektronischen Produktionen dominiert. Popmusik wurde mittlerweile programmiert.

Stellt »Techno Pop« nun ein eigenes Album dar oder war es lediglich der Zwischenschritt zum fertigen »Electric Cafe«? Auch hier haben wohl beide Parteien recht. Letztlich sind die Überschneidungen sehr groß, sodass tatsächlich von einem Zwischenstand gesprochen werden kann. Gleichzeitig wären die Mixes und Aufnahmen doch gänzlich verschieden gewesen. Wolfgang Flür sagte in »Electri*City: Elektronische Musik aus Düsseldorf« dazu:

»Es gab immer wieder Gerüchte, wir hätten ein Album aufgenommen, das nie veröffentlicht wurde. Electric Cafe war jedoch das mehrfach überarbeitete Techno Pop-Album.«

Kraftwerk schlossen auf der Anthologie »Der Katalog« ihren Frieden mit der Platte. Ergänzt um das bereits in den 80ern als B-Seite erschienene »House Phone« heißt »Electric Cafe« dort wieder »Techno Pop«.

Dass viele vehement an die Existenz von »Techno Pop« als eigenständigem Album glauben, liegt nicht zuletzt an den erschienenen Anzeigen und verschiedenen Coverentwürfen, die diesen Arbeitstitel enthielten. Rebecca Allen, die sich auch für das »Electric Cafe«-Artwork sowie das Video zu »Musique Non Stop« verantwortlich zeigte, lieferte Entwürfe mit dem Ursprungstitel.

Die Irrungen und Wirrungen um »Techno Pop« stellten einen Wendepunkt in Kraftwerks Schaffen dar. Seit »Radio-Aktivität« von 1975 stand das klassische Line-Up von Kraftwerk, bestehend aus Hütter, Schneider, Bartos und Flür. Mit den Arbeiten zu »Techno Pop« kam der Bruch und Flür verließ die Band 1987. Bartos folgte im Frühjahr 1990. Für beide war »Electric Cafe« ein unbefriedigendes Album. Bartos ging sogar so weit, das Album als Totalschaden zu bezeichnen. Für das Bandgefüge von Kraftwerk war es das wohl auch.

GET BACK: WIE DAS ENDE DER BEATLES BEGANN

Als die BEATLES sich am 2. Januar 1969 in den Twickenham-Filmstudios einfanden, war die Band von Krisen erschüttert. Am 27. August 1967 starb deren Manager und enger Vertrauter Brian Epstein an einer Überdosis. Epstein kümmerte sich nicht nur um alle geschäftlichen Belange der Band, sondern war auch maßgeblich an ihrem Image und Auftreten beteiligt. Sein Tod hinterließ daher eine Lücke, die nicht gefüllt werden konnte, und sorgte mitunter dafür, dass geschäftliche Angelegenheiten zunehmend zu einem Streitpunkt innerhalb der Band wurden. Ein nicht unwesentlicher Aspekt in der weiteren Geschichte der Beatles.

Aber auch zwischenmenschlich wie musikalisch lief es nicht mehr so harmonisch wie früher. Bei den Aufnahmen zum Weißen Album 1968 arbeiteten die einzelnen Bandmitglieder zeitgleich in verschiedenen Studios getrennt voneinander, sodass Stammproduzent George Martin einen Teil der Produktion an Chris Thomas übergab. Trotz räumlicher Trennung wurden die Spannungen innerhalb der Band so groß, dass Ringo Starr am 22. August 1968 das Handtuch warf und die Band verließ. Er betrachtete sein Schlagzeugspiel kritisch und sah sich von den anderen drei ausgeschlossen. Wie er feststellen sollte, war er nicht der einzige, der sich so fühlte. Sowohl John Lennon als auch Paul McCartney sagten ihm gegenüber, dass sie sich wiederum von den anderen drei ausgegrenzt vorkamen. George Martin sah es vielmehr so, dass Starr die Spannungen zwischen Lennon und McCartney fälschlicherweise auf sich bezog.

Starr verließ die Gruppe dennoch und flüchtete nach Sardinien, wo er »Octopus’s Garden« schrieb. McCartney übernahm in seiner Abwesenheit das Schlagzeug und spielte bei den Aufnahmen von »Dear Prudence« und »Back in U.S.S.R«. Doch ohne Starr war es nicht dasselbe und die restlichen Beatles schickten ihm ein Telegramm, in dem sie versicherten, wie sehr sie ihn liebten, dass er der beste Rock ’n’ Roll-Drummer der Welt sei und er doch bitte zurückkommen möge. Am 4. September kehrte Starr also wieder im Studio ein und fand dort sein mit Blumen geschmücktes Schlagzeug als Willkommensgruß vor. Dennoch zeigt diese Episode, wie fragil das Bandgefüge mittlerweile war.

Auch die Frage nach Konzerten spaltete die Band. Lennon und George Harrison waren ganz zufrieden damit, nicht mehr auf Tour gehen zu müssen. Der Stress, die steigenden Sicherheitsanforderungen, die für die großen Venues unzureichende Technik – all das vermissten die beiden nicht. Lediglich McCartney trauerte den alten Zeiten hinterher. Gerne erinnerte er sich zurück an die Anfänge der Band, als sie noch in kleinen Clubs spielen konnten und wie Pech und Schwefel zusammenhielten; an einfache, live reproduzierbare Musik, fernab von den zeitintensiven Studioaufenthalten, die die Beatles seit »Rubber Soul« zunehmend schlauchten. Live zu spielen war für ihn Training, insbesondere weil Lennon nur ungern probte. Gleichzeitig verpassten die Beatles damit ein neu aufkommendes Phänomen. 1967 fand das Monterey-Festival statt, das eine neue Ära der musikalischen Großveranstaltungen einleitete und Künstler*innen wie The Who, Janis Joplin und Jimi Hendrix zu Megastars machte. Letzterer wurde auf Empfehlung McCartneys gebucht, denn tatsächlich wurden die Beatles für eine Show in Monterey angefragt, lehnten allerdings ab.

McCartney war die treibende Kraft, die dafür sorgte, dass die Band sich Anfang Januar in den Twickenham-Filmstudios traf. Seine nostalgischen Gefühle gaben die Parameter für das anstehende Projekt vor. Er wollte die jugendliche Energie der Tage in Hamburg und im Cavern Club wiederbeleben. Zu diesem Zeitpunkt war den Beatles allerdings nicht so ganz klar, wohin die Reise gehen soll. Von Beginn an war ein Kamerateam um Michael Lindsay-Hogg mit dabei, um die Arbeiten zu dokumentieren, weswegen wir nahezu den gesamten Verlauf rekonstruieren können. Ursprüngliches Ziel war ein einzelner Live-Auftritt, wobei der endgültige Rahmen noch unklar blieb. Allerdings wurde mit dem 20. Januar 1969 bereits ein Termin angepeilt. Doch wo sollte das Konzert stattfinden? Sollte es fürs Fernsehen oder für einen Film aufgezeichnet werden? Welche Songs sollten gespielt werden?

Die Idee, Stücke des Weißen Albums live aufzuführen, wurde auf Anregung McCartneys bereits vor den Sessions verworfen. Auch neue Songs sollten dem Publikum präsentiert werden. Das heißt, die Produktion eines Albums war zu Beginn des Projekts gar nicht Teil der Unternehmungen. Mitgeschnitten wurden die Songs nur, um eine gute Tonqualität im Dokumentarfilm zu präsentieren, nicht um eine Platte zu veröffentlichen. Das unklare Szenario in den Twickenham-Studios sorgte auch gleich für Unmut in der Band. Dabei war die Stimmung am ersten Tag grundsätzlich gut. Lennon, der mit Yoko Ono kam, die ihm während des Projekts nicht von der Seite weichen sollte, präsentierte sofort neue Songs wie »Don’t Let Me Down« und »Dig a Pony«. Auch Harrison war motiviert und spielte den Kollegen »All Things Must Pass« sowie »Let It Down« vor, dennoch machte ihm das Setting zu schaffen. Er bemängelte die Akustik und war regelrecht erschrocken, dass bereits jetzt gefilmt wurde und sogar die Gespräche untereinander aufgezeichnet werden sollten. Lieber wollte er die Stücke erst mal einstudieren, bevor das Filmteam Aufnahmen machte. Auch wurde an seinen Songbeiträgen nicht so ernsthaft gearbeitet wie an den Stücken von Lennon und McCartney. Letzterer war von Tag Eins an der federführende Motivator. Er kam am besten vorbereitet und wusste genau, was er wollte. Dadurch rutschte er allerdings auch häufig in die Rolle des Bestimmers, was nicht unbedingt auf Gegenliebe stieß. Die Freiheiten, mit denen er das Projekt als gemeinsame Arbeit gestalten wollte, sorgten eher für Ziellosigkeit und Verwirrung. Dieser erste Tag war exemplarisch für die »Get Back«- Sessions. Und obwohl McCartney immer wieder die Zügel in die Hand nahm, war nicht klar, wohin die Reise eigentlich gehen sollte. Lennon und Ono waren unzertrennlich, und der Input des kritischen Harrisons wurde zu wenig wertgeschätzt. All das sollte nicht ohne Folgen bleiben.

YOKO ONO

Es gehört zu den alternativen Fakten – schon bevor alternative Fakten überhaupt ein Ding waren – dass Yoko Ono die Beatles auseinanderbrachte. Wie oben gezeigt, hatte das Ende der Beatles vielschichtige Gründe, von denen Ono, wenn überhaupt, einer der kleinsten war. Es stimmt, dass Lennon und Ono unzertrennlich waren und er seine Partnerin als einziger Beatle stets bei den Aufnahmen dabeihatte. Auch stimmt es, dass einzelne Beatles sich immer wieder mal an diesem Umstand störten. So war Harrison bei den Aufnahmen zu »Abbey Road« durchaus von Onos Anwesenheit genervt. Der große Zwist zwischen den übrigen Beatles und ihr war allerdings stark übertrieben und nur ein Beispiel für das misogyne Storytelling der Popgeschichte. Tatsächlich gab Ono beim »Get Back«-Projekt den initialen Anstoß, auf eine ungewöhnliche Show statt auf ein großes Konzert als Abschluss des Filmprojektes zu setzen, und sorgte – wenn auch indirekt – mit dem ihr gewidmeten Song »The Ballad of John and Yoko« für ein Wiederaufflammen der fruchtbaren Zusammenarbeit von Lennon und McCartney. Aufgenommen wurde der Song von den beiden allein, da Harrison verreist und Starr mit den Filmaufnahmen zu »The Magic Christian« beschäftigt war. Auch wenn die Aufnahmen zu »Abbey Road« bereits im Februar begannen, wird diese Session im April 1969 gemeinhin als das Ereignis angesehen, das die Situation zwischen den beiden Freunden entspannte und die Arbeit an einem weiteren Album überhaupt ermöglichte. Auch wusste McCartney den inspirierenden und avantgardistischen Einfluss Onos auf Lennon durchaus zu schätzen. Er betonte in späteren Interviews, dass Ono keineswegs schuld an der Trennung der Beatles wäre. Wenn überhaupt eine einzelne Person dafür verantwortlich gemacht werden könne, dann in seinen Augen Allen Klein.

Bereits in den folgenden Tagen zeigten sich die Probleme. Ziellos schwelgten die Beatles in Erinnerungen und versuchten sich an Rock-’n’- Roll-Klassikern, scheiterten aber meist daran, dass sie die Songs aus ihrer Frühzeit als Cover-Band gar nicht mehr beherrschten. Harrison, der jüngste der Band, der erst spät als Songwriter reifte, hatte zunehmend Schwierigkeiten, sich mit seinem Material durchzusetzen. Zudem geriet er mit McCartney wegen der unterschiedlichen Arbeitsweisen aneinander. McCartney zog es vor, die Stücke erst mal in einfachen Arrangements einzustudieren und diese dann auszuarbeiten, während Harrison sich immer wieder in einzelnen Parts verbiss und das Tempo aus der Arbeit nahm. Dass dies alles noch vor einem Filmteam stattfand, nervte Harrison zusätzlich. Lennon war nach der anfänglichen, trügerischen Euphorie schnell alles egal. An den Diskussionen über den Liveauftritt beteiligte er sich meist gar nicht oder schrammelte passiv-aggressiv auf der Gitarre rum, während vor allem McCartney, Harrison und Lindsay-Hogg immer wieder neue Ideen durchgingen. In England oder im Ausland? Auf einem Schiff oder im Cavern-Club, um an die Anfänge zu erinnern? All das war unklar.

Auch seine eingebrachten Stücke ließ Lennon lieber von McCartney ausarbeiten, statt selbst zu arrangieren. Dennoch erlaubt er sich die Spitze, dass dieser ja eh »der Boss« sei, was wiederum McCartney ärgerte, der sich in diese Rolle gedrängt fühlte. Zunehmend zog sich Harrison raus und dachte sogar laut über Solo-Auftritte nach, worin er von Starr und McCartney auch noch bestärkt wurde. Am meisten trafen ihn aber wohl die Spitzen von Lennon, der nicht viel für die Kompositionen des jüngsten Beatles übrig zu haben schien. Endgültig eskalierte die Situation am 10. Januar 1969. Was wirklich passierte, ist im Gegensatz zu den »Get Back«-Sessions unzureichend dokumentiert. In der Mittagspause, in der das Filmteam nicht drehte, gerieten Lennon und Harrison aneinander. Es wurde sogar davon berichtet, dass die Fäuste flogen. Harrison selbst dementiert diese Darstellung, die wiederum von George Martin gegenüber dem Lennon-Biografen Philip Norman gestützt wurde. Auch wenn er zu Protokoll gab, dass sich das Ganze schnell auflöste. Fakt ist, dass alle Beatles nach der Mittagspause in die Twickenham-Studios zurückkehrten und Harrison nach einem kurzen Abreagieren an der Gitarre seinen sofortigen Ausstieg bekannt gab und ging. Die übrigen Beatles wie auch Lindsay-Hogg, der spätere Apple-Geschäftsführer Neil Aspinall und George Martin waren mit der Situation überfordert. Während die einen sich Gedanken über die Weiterführung des aktuellen Projektes machten, überlegten die anderen, wie es überhaupt mit den Beatles weitergehen sollte. Vermutlich mehr aus Trotz schlug Lennon vor, Eric Clapton in die Band zu holen und ohne Harrison weiterzumachen. Sein scheinbar unschuldiger Vorschlag war eine erneute boshafte Spitze in Richtung des ausgestiegenen Beatles, denn Clapton war damals Harrisons bester Freund. Über die Gründe für dessen Ausstieg kann rückblickend nur spekuliert werden. Es dürften mehrere Aspekte zusammenkommen. So spielte es definitiv eine Rolle, dass Harrison sich als Songwriter von Lennon und McCartney nicht ernst genommen fühlte. Dann kamen noch die unterschiedlichen Arbeitsweisen hinzu. Ein Thema, das schon zuvor zwischen McCartney und Harrison für Unmut sorgte, und auch mit Lennon lag Harrison diesbezüglich nicht auf einer Wellenlinie. Zudem war er kein Freund des geplanten Live-Auftrittes und wollte den Aufwand so gering wie möglich halten. Über all dem stand dann auch noch die Dauerbeobachtung durch das Filmteam, was ihm bereits seit dem ersten Tag zu viel war.

LET IT BE – DER FILM (1970)

Erst nach der Trennung der Beatles kam »Let It Be« in die Kinos und dokumentierte die Arbeit an dem Album sowie das abschließende legendäre Rooftop-Konzert. Der Schnitt impliziert interessanterweise, dass Harrison die Beatles nach dem Streit mit McCartney am dritten Tag der Aufnahmen in Twickenham verließ. Die Spannungen innerhalb der Band waren nicht zu verbergen. Dies ist dann auch der Grund, warum diverse geplante Veröffentlichungen immer wieder abgesagt wurden. Bereits 1984 wurde die Veröffentlichung auf VHS in Deutschland und den Niederlanden nach nur wenigen Tagen zurückgezogen. 1992 wurde im Rahmen des Anthology-Projekts der Film unter der Leitung von Ron Furmanek restauriert, erschien letztlich jedoch nicht. Auch zu »Let It Be … Naked« war zeitweise ein Re-Release geplant. Im Juli 2008 verkündeten Starr und McCartney via Apple, dass sie keinen Film herausgeben wollen, »in dem sich alle gegenseitig auf die Nerven gehen.« Dass der Film 1970 überhaupt erschien, mag auch an einer vertraglichen Verpflichtung gelegen haben. Die Beatles hatten United Artists nämlich einen weiteren Film zugesichert. Allen Klein sah in dem Film nicht nur die Möglichkeit, den Vertrag zu erfüllen, sondern mit diesem und dem begleitenden Soundtrack-Album die Kassen von Apple wieder zu füllen. Seit Januar 2019 arbeitet »Herr der Ringe«- Regisseur Peter Jackson an einem neuen Film aus dem Rohmaterial, für den Giles Martin, Sohn von George Martin, die Musik neu abmischen wird. Die Premiere des Films ist für August 2021 geplant.

Interessant ist, dass später der Eindruck entstand, dass McCartney der alleinige Schuldige für den Ausstieg des Gitarristen war. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Am schwersten wiegt wohl, dass Lindsay-Hogg die Szene mit dem Streit zwischen Harrison und McCartney im Film »Let It Be« direkt vor die Szene geschnitten hatte, in der er seinen Ausstieg verkündete. Auch war McCartney im Rückblick auf die Sessions durchaus selbstkritisch und übernahm immer wieder die Verantwortung für alles, was schief ging, so wie er bereits damals die Verantwortung für das ganze Projekt übernahm. Dabei waren die Gründe weit komplexer und ergaben sich aus dem zwischenmenschlichen wie musikalischen Zusammenspiel der drei Beatles, die sich bereits seit ihrer Teenagerzeit kannten. Fünf Tage später saßen dann alle Beatles zusammen am Tisch und versuchten die Differenzen zu klären. Leicht war das nicht, denn Harrison bekräftigte zuerst seinen Ausstieg und ließ sich innerhalb des fünf Stunden dauernden Gespräches nur schwer umstimmen. Erst durch mehrere Zugeständnisse schafften es McCartney, Lennon und Starr, den abtrünnigen Beatle zum Wiedereinstieg zu bewegen. Statt für einen Liveauftritt sollten die Sessions nun für eine neue Single und ein neues Album herhalten. Dafür wollten die Beatles die unheilvollen Twickenham Studios verlassen und im neuen Apple-Studio in der Savile Row in London die Aufnahmen beginnen. Dort tobte sich Alexis »Magic Alex« Mardas aus, Abteilungsleiter von Apple Electronics. Sein Versprechen, ein 72-Spur-Studio in den Räumen zu errichten, konnte er allerdings nicht einhalten, weswegen George Martin zwei Vierspurmaschinen von der EMI ausleihen musste.

Ansonsten war Martin kaum an den Aufnahmen beteiligt. Der Anspruch, möglichst live und roh zu klingen, widersprach seiner Arbeitsweise und so überließ er den vakanten Posten Glyn Johns. Die Spannungen innerhalb der Band waren weiterhin zu spüren und legten sich erst, als mit BILLY PRESTON ein Freund aus den Hamburger Tagen als Keyboarder zu den Aufnahmen stieß. Preston sorgte nicht nur musikalisch für frischen Wind, sondern war auch der Grund, dass sich die übrigen Beatles zusammenrissen. Sein Input wurde auch dadurch gewürdigt, dass er als einziger Musiker überhaupt auf einer Beatles-Platte genannt wurde. So war auf dem Cover der Single »Get Back / Don’t Let Me Down« »The Beatles with Billy Preston« zu lesen. (Wobei nur wenige Pressungen überhaupt ein Cover bekamen, in England erschien die 7” vorerst ohne.)

Lindsay-Hogg, der nun die Albumaufnahmen dokumentierte, hatte jetzt das Problem, einen passenden Abschluss für seinen Film zu finden. Das große Finale mit einer ungewöhnlichen Liveshow war nicht mehr geplant. Letztendlich konnten McCartney und er einen Kompromiss mit der übrigen Band finden. So sollten zum Abschluss der Aufnahmen einige wenige Songs auf dem Dach des Apple-Gebäudes gespielt werden. Ein Hubschrauber, wie von Lindsay-Hogg gewünscht, war allerdings nicht mehr für die Filmaufnahmen zu gewinnen. Dankenswerterweise kam aber die Polizei zur unangekündigten Show und Lindsay-Hogg konnte es im fertigen Film so aussehen lassen, dass das Konzert deswegen abgebrochen werden musste. Dabei konnten die Beatles tatsächlich noch wie geplant einen weiteren Song nach dem Eintreffen der Beamten spielen.

APPLE VS. APPLE

1968 gründeten die Beatles mit Apple Corps ein Multimediaunternehmen, das in vielen Bereichen tätig war. Neben den Labelaktivitäten produzierte Apple auch Filme, war ein Verlag, Musikstudio und sogar eine Elektronikfirma. Apple Electronics wurde von John Lennons Freund Yanni Alexis Mardas alias »Magic Alex« geleitet. Magic Alex hatte große Pläne, doch umgesetzt wurde das wenigste. Selbst ein Radio in Apfelform schaffte es nicht auf den Markt, da die Herstellungskosten den Endpreis in die Höhe getrieben hätten. Dennoch hielten Apple Corps die Markenrechte für Elektronikprodukte unter diesem Namen. Als dann Steve Jobs und Steve Wozniak mit Apple-Computern auf den Markt kamen, waren die Anwälte schnell zur Stelle. Zwischen 1978 und 1981 stritten sich die beiden Firmen, bis man sich außergerichtlich einigte. Apple Computers zahlten 80.000 Dollar an Apple Corps und versprachen, sich vom Musik- Business fernzuhalten. Als Apple dann 1986 Soundchips und Midi in ihren Rechnern anboten, sahen Apple Corps ihre Bedingungen nicht erfüllt und klagten 1989 erneut.

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9783955756161
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