Читать книгу: «Goldgier», страница 5

Шрифт:

Wenn Hannes’ Baby auf der Welt sein würde, so beschloss sie, würde sie Sabrina einen Besuch abstatten und ihr ein hübsches Geschenk für das Kleine mitbringen. Schon um sich ‚das Wurm‘, wie sie das Baby gern betitelte, genau anzusehen. Bisher hatte Hannes noch niemandem verraten, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird.

Vielleicht sollte sie in den nächsten Tagen mit Ramona darüber sprechen. Ramona hatte für so etwas Gespür und immer die richtige Idee für passende Geschenke, und vor allem kannte sie sich mit den Gefühlen junger Mütter aus.

„Nein, tut mir leid, es ist alles wie abgeschnitten.“ Franziska erschrak, weil sie vor lauter Strampelhosen, Babyglück und Hannes gar nicht mehr mit einer Antwort gerechnet hatte. Sie drehte sich um und blickte dem Totengräber direkt in die Augen. Franziska wandte sich vom Fenster ab und Arnie in seinem Bett zu.

„Aber Sie wissen noch, dass Sie auf dem Friedhof waren?“ Die Kommissarin beschloss, einfach weiter vorne anzusetzen.

„Ja, natürlich.“ Jetzt nickte er heftig, verzog gleich darauf aber das Gesicht, er schien Schmerzen zu haben. Trotzdem antwortete er tapfer. „Ich hab mir schon am Vormittag alles bereit gelegt und den Bagger hingefahren, damit es am Abend nicht so lange dauert.“

„Ist das üblich? Ich meine, kommt das öfter vor, dass Sie so spät abends ein Grab ausheben?“

„Nein, das machen wir nur bei einer Umbettung, weil das die Besucher des Friedhofs nicht mitbekommen sollen. Man weiß ja nie, in welchem Zustand sich der Leichnam befindet. Ist das wichtig?“

„Es könnte wichtig sein, nämlich dann, wenn jemand damit rechnen konnte, Sie dort anzutreffen. Oder haben Sie vielleicht sogar jemanden durch das Graben gestört?“ Franziska blickte den blassen Totengräber auffordernd an, doch der zuckte erneut nur vorsichtig mit den Schultern.

Die Kommissarin war sich nicht sicher, wie viel sie ihm zumuten durfte, und war dann umso erstaunter, als er zurückfragte: „Sie denken, Theo Koller wollte gar nicht nach Berlin umziehen und hat mich daher zu sich heruntergezogen?“

Über diese Vermutung war Franziska zunächst sprachlos. „Nein, ich denke eher, dass es jemanden gibt, der es auf Sie abgesehen hatte.“ Sie lächelte den Totengräber nachsichtig an. „Arnie, haben Sie Feinde? Gibt es einen Menschen, der Ihnen so etwas antun könnte?“

Wieder schloss der Totengräber die Augen, deshalb blieb Franziska einfach neben seinem Bett stehen und wartete, bis er sie wieder öffnen und ihr erklären würde, nach wem sie zu suchen hatte.

„In meinem Beruf hat man keine Feinde“, erklärte Arnie auf einmal, und Franziska dachte: „Was hat das mit dem Beruf zu tun?“

„Hören Sie, Herr Schwarzenflecker, also Arnie: Theo Koller hat Sie ganz sicher nicht niedergeschlagen! Es muss also jemanden geben, der entweder eine Mordswut auf Sie hat oder sich einen Spaß daraus gemacht hat, Sie so zuzurichten. In beiden Fällen möchte, nein muss ich diesen Jemand finden. Er oder sie hat ein Verbrechen begangen. Sie sollten also auf jeden Fall noch einmal darüber nachdenken, wer dafür infrage kommt. Wenn es nicht nur ein übler Spaß war, dann könnte er oder sie es nämlich noch einmal versuchen.“ Und dann schloss die Kommissarin kurz die Augen und nickte dabei, was Arnie für einen freundlichen Ratschlag halten sollte, und sie hoffte nur, dass er ihn auch beherzigen würde.

„Ich lasse Ihnen auf jeden Fall meine Karte da!“ Sie legte sie ihm auf den Bettcontainer neben Joghurt und Banane. „Ach und, Arnie, wäre es in Ordnung für Sie, wenn ich Ihren Wohnungsschlüssel mitnehme? Dann könnte ich Ihnen Wäsche und Waschzeug holen, oder gibt es jemanden, der Ihnen etwas vorbeibringen kann?“ Geduldig wartete Franziska auf seine Antwort, denn Arnie hatte seine Augen bereits wieder geschlossen. Sein Atem ging flach. Er schien zu schlafen. „Das wäre sehr nett von Ihnen“, versicherte er.

Franziska verabschiedete sich und wünschte ihm gute Besserung. Auf dem Weg zur Tür klimperte sein Schlüssel leise in Franziskas Tasche. Wenn Arnie ihr nicht weiterhelfen wollte oder konnte, musste sie eben selbst sehen, wie sie ihn schützen konnte.

Mal stöhnend, mal fluchend schleppte sich Daniela an der Wand entlang bis zum Klo, wo sie sich auf den Sitz fallen ließ. Mit Hilfe der starken und viel zu hoch dosierten Schmerztabletten aus dem Vorrat ihres Vormieters waren ihr einige Stunden Schlaf vergönnt gewesen. Nun aber drangen die Schmerzen mit Wucht zurück in ihr Bewusstsein. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es inzwischen war, fühlte weder Hunger noch Durst, sondern einzig den Schmerz, der in ihrem gesamten Körper wütete.

Zwischen den blickdichten Vorhängen fiel ein schmaler Streifen trübes Tageslicht herein. Das konnte um diese Jahreszeit viel bedeuten: neun Uhr morgens oder zwölf Uhr mittags. Sie rappelte sich von der Kloschüssel hoch, ließ Wasser in ihren Zahnputzbecher laufen und torkelte wie eine Betrunkene, mühsam den Becher ausbalancierend, zurück zum Bett, wo die Tablettenschachtel auf dem Nachtkästchen bereit lag.

Benommen ließ sie sich in die Kissen sinken und fingerte zwei Tabletten aus der Packung. Mehr wollte sie nicht nehmen; sie wusste, früher oder später würde Arnie bei ihr auftauchen, und wenn er sie dann so zugedröhnt im Bett finden würde, wäre er sicher nicht begeistert. Sie würde ihm eine Begründung für ihren Zustand anbieten müssen, und sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte. Außer, natürlich, die Wahrheit. Dumm nur, dass er genau die niemals erfahren durfte. Mit zwei großen Schluck Wasser spülte Daniela die Tabletten hinunter.

Eine halbe Stunde später setzte die Wirkung ein und sie konnte wieder etwas klarer denken. Inzwischen wusste sie, dass es bereits früher Nachmittag war. Sie kletterte aus dem Bett und schleppte sich in die Küche, wo sie extra viel Pulver in den Filter gab, bevor sie die Kaffeemaschine anwarf.

Während sie am Küchentisch saß und schlückchenweise den Kaffee trank, versuchte sie, sich eine Erklärung für ihren Zustand zurechtzulegen. Eine, die glaubhaft war, aber nichts verriet. Plötzlich hielt sie inne. Seltsam, dachte sie. Wie seltsam, dass Arnie noch nicht gekommen war. Und dann überkam sie die Vorahnung, die sie schon vor dem Einschlafen in der Nacht gehabt hatte, und ihr wurde speiübel. Aber diesmal waren es nicht die Schmerzen und nicht die Tabletten. Es war das sichere Wissen, dass mit Arnie etwas passiert sein musste.

Nach einer Nachtschicht wie der gestrigen hatte er am nächsten Tag frei. Daniela hatte heute auch frei, zum Glück, und das wusste Arnie auch. Alarmiert hievte sie sich vom Stuhl hoch, zog den Vorhang zur Seite und blickte in den Hof. Arnies Auto stand nicht an seinem Platz.

Daniela tastete sich ins Bad. Der Cocktail aus Kaffee und Schmerztabletten half ihr auf die Beine. Trotzdem kostete es sie viel Mühe, das Nachthemd über den Kopf zu schieben, in die Badewanne zu klettern und die Dusche anzustellen. Erst warm und nach dem Abseifen kalt. Sie mochte das kalte Wasser nicht, aber heute brauchte sie diesen Kick. Nachdem sie sich vorsichtig abgetrocknet und die Zähne geputzt hatte, bedeckte sie die durch Tritte und Schläge entstandenen Blutergüsse mit einer dünnen Salbenschicht und suchte ihre Schminkutensilien zusammen, um die Spuren der Misshandlung zu überdecken. Fürs Spurenverwischen hatte Daniela ein besonderes Händchen.

Vor dem Kleiderschrank zögerte sie nicht lange, nahm ein Strickkleid mit Rollkragen und eine blickdichte Strumpfhose heraus und zog sich vorsichtig an. Anschließend klaubte Daniela beide Wohnungsschlüssel vom Haken und lauschte ins Treppenhaus. Heute konnte sie auf ihrem Weg in Arnies Wohnung noch weniger Aufsehen als sonst gebrauchen. Gott sei Dank war kein Ton zu hören, und so schlich sie die Stufen hinauf. Doch kaum hatte sie den Schlüssel ins Schloss gesteckt, da hörte sie von unten Stimmen. „Typisch!“, dachte sie verärgert, und „ausgerechnet heute!“ Sie fluchte leise.

„Er wohnt im ersten Stock!“, erklärte eine Frauenstimme nachdrücklich.

Daniela erschrak. Im ersten Stock wohnte nur Arnie. Wer also mochte auf dem Weg zu ihm sein? Die Stimme sagte ihr gar nichts, aber die Besucher bewegten sich den Hausflur entlang in Richtung Treppe.

„Hast du den Schlüssel?“ Das war ein Mann.

Daniela ließ von der Tür ab. Wenn der Unbekannte einen Schlüssel für Arnies Wohnung hatte, sollte sie besser nicht drin sein. Das würde nur unnötige Fragen aufwerfen. Verflixt, die Tabletten bremsten sie aus. „Denk schneller, Daniela“, trieb sie sich an und blickte sich um. Was sollte sie machen? Sie hörte die ersten Schritte auf der Treppe. Hastig schlüpfte sie aus ihren Schuhen, bückte sich nach ihnen und schlich, so schnell es ihre Füße erlaubten, weiter die Treppe hinauf, wo sie gerade den zweiten Absatz erreichte, als die Stimmen offensichtlich im ersten Stock angekommen waren. Sie vernahm ein Klopfen, dann hörte sie, wie der Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde, und schließlich, wie die Tür leise aufschwang.

„Und du glaubst wirklich, dass du hier etwas findest, was uns zum Täter führt?“, fragte jetzt die Männerstimme. Um besser hören zu können, beugte sich Daniela über das Geländer und betete im Stillen, dass sie der alte Herr aus der oberen Wohnung nicht entdecken würde.

„In erster Linie sind wir hier, um einige Sachen zu holen. Der arme Mann ist allein. Hat niemand, der für ihn sorgen kann. Als ich ihn im Klinikum besucht habe, hatte ich das Gefühl, dass er richtig froh darüber ist, dass ich ihm etwas vorbeibringe.“ Diese Aussage klang sachlich, allein der Unterton verriet Daniela, dass sie noch etwas anderes im Schilde führte. Bevor der Mann darauf antworten konnte, wurde die Tür von innen geschlossen.

Täter, Klinikum, Sachen holen. In Danielas Kopf wirbelten die Informationen wild durcheinander und machten ihr vor allem Angst. Was war mit Arnie passiert? Und warum erzählte er, dass er ganz allein war?

Um mehr zu erfahren, stieg sie vorsichtig die Treppe wieder hinunter und stellte sich lauschend vor die Wohnungstür. Wenn Arnie im Klinikum war, dann stimmte tatsächlich etwas nicht mit ihm. Der Mann hatte nach einem Täter gefragt. Was für ein Täter, fragte sich Daniela. Kanopka?

Sie wollten ihm Sachen holen, weil „der arme Mann“ allein lebte. Aber warum rief er sie denn dann nicht einfach an? Sie würde ihm doch alles bringen, was er brauchte. Daniela blickte an sich hinunter und zögerte. So wie sie zugerichtet worden war, wäre es nicht einfach, durch die Stadt und ins Klinikum zu gehen. Doch dann fiel ihr ein, dass Arnie ja gar nicht wissen konnte, dass Kanopka sie verprügelt hatte.

Sie lauschte weiter an der Tür, konnte aber nichts hören. Sie mussten im Schlafzimmer sein. Herrje! Daniela fiel ein, dass dort ja noch ihre Sachen von ihrem letzten Besuch herumlagen.

„Nichts. Wie ich vermutet habe“, vernahm sie nach einer gefühlten Ewigkeit die Stimme der Frau, und Daniela war klar, dass es sich bei ihr nur um eine Polizistin handeln konnte. Der Mann, vermutlich ihr Kollege, brummte nur, zumindest hörte es sich durch die geschlossene Wohnungstür so an. Die Frau war eindeutig diejenige, die das Sagen hatte.

„Was hast du erwartet?“ Ja, das würde Daniela auch interessieren. „Drohbriefe?“

Drohbriefe! Daniela fuhr zusammen. Wer sollte Arnie drohen und vor allem warum? Da wurde ihr klar, dass sie, Daniela, einen Menschen kannte, der Arnie bedrohen könnte. Sie kannte sogar einen Menschen, der ihren Liebsten tatsächlich auch bedroht hatte. Konnte das sein? Würde Kanopka …? Dieser Scheißkerl tat manches, aber er würde nie, niemals einen Drohbrief schreiben. Trotzdem war sich Daniela sicher, dass es nur einen gab, der Arnie ins Krankenhaus gebracht haben konnte: Kanopka! Du Schwein!

„Lass uns gehen, hier gibt es nichts“, erklärte die Frau dicht hinter der Wohnungstür, und Daniela erkannte, sie musste weg. Dringend!

Auf keinen Fall durfte sie diesem Polizisten-Pärchen in die Hände fallen. Denn sonst würde sie sich genau diese Fragen, die die beiden sich gerade gegenseitig gestellt hatten, auch anhören müssen. Und sie hatte auf keine davon eine Antwort. Zumindest keine, die sie den beiden präsentieren konnte. Sie bückte sich gerade nach ihren Schuhen, als sie auch schon sah, wie die Wohnungstür langsam aufging. Oh nein, dachte Daniela verzweifelt und suchte hektisch nach einer plausiblen Ausrede. Aber nachdenken und weglaufen funktionierten nicht parallel. Nicht nach der Dosis chemischer Helferlein, die sie in sich hatte. Nicht mit ihren Beinen. Sie schloss die Augen. Das kannte sie von früher: Wenn du nicht weglaufen kannst, dann stell dich am besten tot.

Als ein Handyton erklang, wusste sie zunächst gar nicht, wie ihr geschah. „Obermüller, was gibt es?“ Die Wohnungstür wurde wieder geschlossen. Was immer der Anrufer wollte, Obermüller war ihr rettender Engel. Zumindest in diesem Moment.

Als Arnie das nächste Mal erwachte, erinnerte er sich nicht nur daran, dass die junge, hübsche Ärztin mit den frechen, kurzen und sehr blonden Haaren immer wieder nach ihm gesehen hatte, sondern auch an eine junge Frau von der Polizei.

Sie hatte an seinem Bett gestanden und jede Menge Fragen gestellt. Fragen, auf die auch er gerne eine Antwort gewusst hätte. Warum war das alles ausgerechnet ihm passiert? Dieser Gedanke bohrte ständig in ihm, aber nie gelang es ihm, lange genug wach zu bleiben, um darüber nachdenken zu können.

Die Ärztin hatte ihm geraten, sich ruhig zu verhalten, doch wie sollte er das machen, wenn sich schon nach dem nächsten Nickerchen das Gedankenkarussell erneut und heftig zu drehen begann? Tatsächlich schien es viel einfacher, eine Polizistin loszuwerden, als die Bilder in seinem Kopf zu beruhigen.

Auch jetzt blitzten vor seinem geistigen Auge die Urne und die in Folie gepackten Goldbarren auf, und zum ersten Mal schaffte er es über diesen Punkt hinaus. Urnen bekam er ständig zu Gesicht, aber noch niemals hatte er eine in Händen gehalten, die mit lauter kleinen Goldbarren gefüllt war. Konnte so eine Vorstellung überhaupt real sein, oder spielte ihm sein Gehirn nur einen üblen Streich? Die Polizistin hatte ihm viele Fragen gestellt und sich dann seinen Wohnungsschlüssel genommen, um ihm Wäsche zu bringen, wie sie ihm erklärt hatte. Das Gold hatte sie nicht erwähnt. Demnach hatten sie es nicht gefunden.

Arnie dachte an die Nacht in der Grube. Wie war das? Er hatte den Sarg erreicht und die Gebeine Theo Kollers freigelegt.

Er sah das Holz vor sich, das Holz des verrottenden Sarges und dann das Blitzen von Metall. Eine Urne. Er hatte sich gewundert, das schon, aber er hatte seine Sinne nicht angezweifelt. Er war einfach davon ausgegangen, dass es für dieses Gefäß eine Begründung geben würde. Darum hatte er es ja auch aus der Grube gehoben und auf seine Jacke gestellt. Das alles hatte er sich nicht eingebildet, das alles war genauso gewesen, wie er sich jetzt in diesem Moment daran erinnerte.

Das Denken strengte ihn an. Seine Überwachungsgeräte bemerkten das und piepsten alarmierend. Eine Schwester kam eiligen Schrittes herein, überprüfte die Anzeigen auf dem Display und die Sequenz der Infusion, dann fragte sie ihn, ob alles in Ordnung sei oder er etwas brauche. Arnie bat um ein Glas Wasser und beruhigte sich wieder.

Als die Schwester gegangen war, nahm er seine Überlegungen wieder auf. Wie weit war er gekommen, bevor seine Roboter am Bett Alarm gedudelt hatten? Die Urne, genau! Er hatte sie geöffnet, weil die Berliner Kollegen noch nicht da waren. Und dann hatte er das Gold gesehen. Lauter in Folie eingeschweißte kleine Barren. Er hatte sie in den Friedhofsschuppen bringen wollen, konnte sich aber nicht mehr erinnern, wie weit er gekommen war. Und dann war es dunkel geworden. Auf dem Weg zum Schuppen. Aber warum?

Die Kommissarin hatte gesagt, dass er niedergeschlagen worden war und dass es dafür einen Grund geben musste. Aber sie hatte ihm nicht sagen können, um welchen Grund es sich dabei handelte. Tatsächlich schien sie selbst etwas ratlos zu sein. Arnie schloss die Augen. Er solle nicht an das denken, was mit ihm passiert war, er solle froh sein, dass alles nicht schlimmer gekommen war, hatte die Ärztin gesagt. Aber so leicht, wie die freche Blonde sich das vorstellte, war es nun mal nicht.

Die Kommissarin hatte gefragt, ob er Feinde habe, und er hatte verneint. Natürlich hatte er keine Feinde. Er hatte ja auch keine Freunde, und er besaß ja auch kein Geld oder sonst etwas. Er hatte nur seinen Job und seit einiger Zeit Daniela. Auch wenn es ihm so vorkam, als wäre sie schon immer bei ihm, weil er sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen konnte.

Das Gold hatte ihm nicht gehört. Natürlich nicht. Aber er brauchte es – eben für Daniela. Damit sie nicht länger bedroht wurde.

Er wusste nicht mehr genau, was und wem er gestern Abend von seinem Fund erzählt hatte, aber er erinnerte sich ganz fest daran, dass ihn der dicke Polizist ausgelacht hatte. Auch an die beiden Bierflaschen, die er ihm vor die Nase gehalten hatte, erinnerte er sich nur zu gut. Er hatte ihm unterstellt, bei der Arbeit zu trinken! Als ob er das nötig hätte!

All diese Gedanken machten Arnie ganz schwindelig. Er musste sich wirklich ausruhen, am besten sofort wieder einschlafen, da hatte die Ärztin recht, denn letztlich brachte ihn das ganze Nachdenken ohnehin nicht weiter.

Er wandte den Kopf und blickte zum Fenster hinaus. Draußen war es dämmrig, ob früh oder spät, ließ sich nicht sagen, denn der Nebel verschluckte alle Facetten, genau wie in seinem Kopf. Goldbarren, ausgerechnet im Sarg von Theo Koller. Ob das wirklich einen Sinn ergeben konnte?

Seine Mutter hatte ihm oft zu erklären versucht, dass das, woran man intensiv dachte, wie ein Sich-etwas-wünschen sei; und was man sich ganz fest wünschte, das zog man auch an. Als ob man dem Wunsch Energie verleihen würde, und darum würde er wahr werden. Irgendwie. Wie genau, das hatte sie nie erklärt und vielleicht auch gar nicht gewusst. Aber es sollte funktionieren, egal ob es sich um etwas Gutes oder etwas Schlechtes handelte. Das war der Grund, warum man nie leichtfertig mit seinen Wünschen umgehen und seine Gedanken immer schön im Zaum halten sollte, hatte sie stets hinzugefügt.

Genau wie sein Vater hatte er sie dafür belächelt, natürlich nur im Stillen und nie so, dass sie es mitbekam. Als sie dann diesen Krebs bekam, der sich rasant ausbreitete und sie so grausam dahinraffte, und als wenig später auch sein Vater an einem Herzinfarkt starb, hatte er endgültig aufgehört, an ihre Wünscherei zu glauben. Schon weil er sich nicht vorstellen mochte, dass sie sich dieses Ende so gewünscht hatte.

Doch jetzt, hier in diesem Krankenhausbett, schienen ihm die Behauptungen seiner Mutter die einzige Erklärung dafür, was er in der gestrigen Nacht erlebt hatte. Vielleicht weil er sich noch nie zuvor etwas so sehr gewünscht hatte.

Seit Tagen hatte er an nichts anderes gedacht als daran, wie er zu Geld kommen konnte, um Daniela zu retten. Selbst in der Nacht, während er das Grab ausgehoben hatte, hatte er nur an sie gedacht und an ihr Problem. Ohne eine Ahnung davon zu haben, wie er dieses Problem angehen sollte, und ohne zu wissen, von wie viel Geld die Rede war. Er hatte einfach gegraben und gegraben und war dabei auf einen Behälter voller Gold gestoßen. Einfach so. Und wenn er nicht im letzten Moment niedergeschlagen worden wäre, dann wäre er jetzt all seine Sorgen los. Natürlich war ihm bewusst gewesen, dass ihm dieser Schatz nicht gehörte, aber da er in einem Sarg gelegen hatte, war er praktisch herrenlos, und somit hätte er ihn ruhig an sich nehmen dürfen, entschied er noch einmal, um sein Gewissen zu beruhigen.

Das Gold gehörte ihm und sonst niemandem, und plötzlich wusste Arnie, was er machen würde. Einen Plan schmieden. Er würde sich überlegen, wie er den Schatz zurückholen könnte. Doch bevor er auch nur Vermutungen anstellen konnte, wo das Gold inzwischen war und ob so ein Plan überhaupt gelingen mochte, geschweige denn, wie er aussehen sollte, war er auch schon wieder eingeschlafen.

Als ihn das Smartphone am nächsten Vormittag aus seinem komatösen Schlaf riss, räusperte sich Kanopka umständlich und starrte auf das Display. Die Nummer sagte ihm nichts, also konnte es jeder sein. Von der Telefonwerbung bis zu Daniela, die sich bei ihm für ihren Starrsinn entschuldigen wollte, was ihm am liebsten wäre.

Mit einem zögerlichen: „Was is los?“, nahm er den Anruf entgegen und wollte sie schon anraunzen, als er seinen Denkfehler erkannte: Daniela besaß seine Nummer nicht. „Ist alles in Ordnung, Kanopka?“, fragte der Graf. „Du hörst dich seltsam an.“ Er wollte gerade behaupten, dass das nur an der schlechten Verbindung im Grenzgebiet lag, als der Graf hinzufügte: „Du hast doch nicht etwa getrunken?“

Kanopka schüttelte den Kopf und brachte dann immerhin ein: „Wo denken Sie hin!“ heraus. Der Graf hielt nichts vom Saufen, einzig einen Schnaps duldete er, einen einzigen nur und ausschließlich nach einem erfolgreichen Geschäftsabschluss. Der aber war noch lange nicht in Sicht.

„Hast du dir alles angeschaut?“, fragte er jetzt, und Kanopka begann zu schwitzen. „Ja, Chef, hab ich, es gibt kein Schlupfloch, das ich nicht kenne.“

„Gut!“ Der Anrufer schien nicht restlos überzeugt zu sein. „Ich gebe dir jetzt durch, wo du die Lieferung abholst“, erklärte er ihm, ohne zu sagen, worum es überhaupt ging. „Bist du allein?“ Kanopka nickte. „Keine Weibergeschichten?“ Wieder wollte er sich auf ein Nicken beschränken, doch dann fiel ihm ein, dass das der Graf ja nicht sehen konnte. „Nein Chef, keine Weiber, kein Alkohol, ich lebe wie ein Priester im Seminar.“

Einen Moment war es ruhig in der Leitung und Kanopka fürchtete schon, er habe das Gespräch unterbrochen. „Du bist doch nicht etwa in einem Pfarrhaus untergekommen?“, lachte der Graf, was selten genug passierte.

Trotz seines Brummschädels konnte sich Kanopka ein Lächeln nicht verkneifen. Jetzt wusste er wenigstens, dass das Wohnmobil nicht verwanzt war. „Nein, ich hab mir ein hübsches Plätzchen am Stadtrand gesucht. Praktisch direkt an der Grenze.“

„Gut!“, beschied der Graf, und dann gab er die angekündigten Daten durch. „Kannst du dir das merken? Du weißt, dass nichts mitgeschrieben wird!“ Kanopka brummte eine Zustimmung und zog hastig einen Zettel unter der leeren Schnapsflasche hervor. In seinem Zustand musste er auf Nummer sicher gehen. „Weißt du, wo das ist?“, wollte der Graf jetzt wissen, und Kanopka legte etwas Begeisterung in seine Stimme: „Na logo, Chef, ist praktisch mein zweites Zuhause, und schließlich weiß ich, was außer den Flüchtlingen noch so über die Balkanroute ins Land kommt.“

„Du weißt, worum es geht?“ Der Graf schien verwundert.

„Na Waffen, oder?“ Kanopka hielt die Luft an.

„Melde dich, wenn du ankommst, und warte auf den Anruf.“ Der Graf schien nicht auf seine Vermutung eingehen zu wollen.

„Alles klaro, Chef, wie immer halt“, kommentierte Kanopka den üblichen Vorgang.

„Dein vorlautes Maul wird dich noch mal deinen Kopf kosten“, drohte der Graf, woraufhin Kanopka wieder kleinlaut wurde. Er wusste, was das zu bedeuten hatte, und hätte die weitere Erklärung nicht mehr gebraucht, um zu verstehen, was für ihn auf dem Spiel stand. „Wenn du auffliegst, warst du es allein, hast du verstanden?“ Kanopka nickte. „Wenn du redest, bist du tot! Hast du verstanden?“ Wieder nickte er. „Ob du verstanden hast, will ich wissen!“ In der Stimme des Grafen lag Schärfe, und er beeilte sich mit der Antwort. „Ja, hab’ ich, Chef. Sie können sich auf mich verlassen“, sagte er und schob zur Bekräftigung hinterher: „Sie können sich auf mich …“ Aber da erkannte er, dass der Graf bereits aufgelegt hatte.

Kanopka starrte noch eine Weile sein Smartphone an, dann legte er den Zettel mit der Adressnotiz unter eine Schnapsflasche und kletterte aus dem Wohnmobil. Feuchtkalter Nebel schlug ihm entgegen, und er erleichterte sich rasch an der Brombeerhecke. Zurück im Wohnbereich schaltete er die Kaffeemaschine an, musste aber feststellen, dass der Wasserbehälter leer war. Er drehte den Hahn auf, doch auch hier kam kein Tropfen heraus. Missmutig schnappte er sich den 10-Liter-Kanister und machte sich auf den Weg zum Stall. An der Außenmauer des Bauernhofs gab es einen Wasserhahn, den konnte er benutzen. Wenn er mehr wollte, musste er Bescheid sagen. Soweit die Abmachung, an die sich Kanopka nie hielt. Denn natürlich hatte er längst herausgefunden, wo der Typ das inzwischen geerntete Gras lagerte, und natürlich hatte er sich auch schon hin und wieder aus dem üppigen Vorrat bedient.

Nachdem er den Kaffee getrunken hatte, begann er, die Angaben des Grafen auswendig zu lernen. Jener hatte ihm nicht wirklich gesagt, um welche Art Ware es sich handelte. Aber anhand der Adresse hatte Kanopka zumindest eine gewisse Ahnung, und vielleicht würde er es auch noch herausbekommen. Noch einmal starrte er auf den Zettel, und als er sicher war, dass er sich alles gemerkt hatte, knüllte er das Papier zusammen und warf es mit Schwung zu dem restlichen Müll auf den Boden. Später würde er alles entsorgen, aber jetzt musste er erst einmal wieder nüchtern werden. „Daniela, ich komme“, murmelte er und fand den Wortwitz gelungen: Ich komme – genau! War viel zu lange her, dass er es der Schlampe besorgt hatte. Erst ein wenig weichklopfen, dann ein wenig weichstoßen. Ein Kinderspiel.

Als Daniela die Wohnungstür leise ins Schloss gezogen hatte und sich schwer atmend an dem Garderobenschränkchen im Flur abstützen konnte, war sie einfach nur froh, es rechtzeitig in ihre Wohnung geschafft zu haben. Sie musste sich hinsetzen, besser noch hinlegen. Ihr war schlecht, und in ihrem Kopf schwirrten die Gedanken, als wollten sie sie verhöhnen. Arnie verletzt. Arnie im Klinikum. Die Polizei in Arnies Wohnung, in seinen und ihren Sachen herumwühlend. Sie musste ihren Liebsten anrufen. Hektisch wühlte sie in ihrer Tasche nach ihrem Handy. Er würde ihr sagen, dass die beiden sich geirrt hatten und …

Sie hatte diese Möglichkeit noch nicht zu Ende formuliert, da klingelte es auch schon an ihrer Tür. Vor lauter Schreck ließ sie beinahe die Tasche fallen.

Es klingelte erneut. Was jetzt? Daniela hielt den Atem an und lauschte. Sie konnte nicht öffnen, nicht in ihrem Zustand, aber vielleicht würden die Besucher ja auch vor ihrer Tür etwas sagen. Etwas, was für sie wichtig war. Oder einfach wieder gehen.

„Um diese Zeit ist da niemand zu Hause!“, erklärte jemand, und Daniela hätte schwören können, dass es sich um den alten Herrn aus dem dritten Stock handelte. So gesehen hatte sie also wirklich Glück gehabt. Nicht auszudenken, wenn er früher nach Hause gekommen wäre. Und sie wusste jetzt, dass er wusste, wann sie kam und ging.

„Franziska Steinbacher von der Mordkommission Passau, das ist mein Kollege Hannes Hollermann!“ Die zwei vor ihrer Wohnung waren also tatsächlich Polizisten. Aber wieso Mordkommission? Arnie lag doch im Klinikum?

„Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“, erkundigte sich die Frau – Steinbacher war der Name der Polizistin. Die beiden Beamten stiegen langsam die Treppe weiter hinauf. „Reinhard Kerschbaum“, erwiderte der Angesprochene, „und ich wohne hier schon seit einigen Jahren.“

„Kennen Sie Arnold Schwarzenflecker?“, hörte sie jetzt die Stimme des Polizisten.

„Ja, natürlich. Er wohnt ja schon fast so lange im Haus wie ich. Ein sehr ruhiger Mann. Also na ja, in letzter Zeit nicht so …“ Jetzt wird es interessant, dachte Daniela und wurde ganz unruhig. „Ich glaube, er hat eine Frau kennengelernt.“ Sie musste trotz allem ein Kichern unterdrücken.

„Ach!“, ließ sich die Kommissarin vernehmen. „Ist das so ungewöhnlich?“

Diesmal hätte Daniela schwören können, dass sie gerade an die Sachen dachte, die sie im Schlafzimmer entdeckt haben musste, denn Arnie hatte ihren roten Büstenhalter an der Lampe aufgehängt. Das fand er lustig. Sieht ja keiner, hatte er noch gesagt.

„Bei Arnie schon. Der war viel zu lange allein, genau wie ich.“ Bis zu diesem Moment hatte sich Daniela keine Gedanken darüber gemacht, welche Bedürfnisse der alte Herr haben könnte, und auch jetzt blieb ihr keine Zeit dazu, denn schon fiel der nächste Satz, der sie aus ihren Gedanken riss.

„Dann können Sie mir sicher sagen, um wen es sich bei dieser Bekanntschaft handelt?“ Daniela horchte angestrengt, aber vor der Tür herrschte nur Stille. „Oder sie zumindest beschreiben?“, hakte die Frau nach. Sie hielt die Luft an.

„Tut mir leid, ich habe sie bisher nur gehört. Das war allerdings eindeutig, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und hemmungslos!“ Bei diesem letzten Wort hätte Daniela losprusten können, weswegen sie sich rasch in die Hand biss.

„Gut, dann danke.“ Daniela atmete auf. Jetzt würden sie gehen, schließlich mussten die beiden denken, dass sie nicht zu Hause war, und damit würde sie ihre Ruhe haben. „Ach Moment, eine Frage noch. Hatte Herr Schwarzenflecker manchmal auch Männerbesuch?“

„Wie bitte?“, vernahm Daniela die Stimme des Nachbarn und dachte. Wie jetzt? Arnie ist doch nicht …

„Freunde halt“, spezifizierte der Polizist. Wie hatte seine Kollegin ihn genannt, ihn vorgestellt? Hollermann, ja Hollermann. Namen konnte sich Daniela schon immer gut merken. Auch wenn die meisten, die sie zu hören bekommen hatte, falsch gewesen waren. „Auf ein Bier. Zum Schafkopf, so was eben.“

„Also ich weiß nichts davon. Ich stehe ja nicht am Fenster und führe Buch, wer kommt und wer geht!“

Die beiden bedankten sich, und gleich darauf hörte Daniela die Haustür ins Schloss fallen.

Erleichtert humpelte sie mit ihrer Tasche ins Wohnzimmer, wo sie sich vorsichtig auf dem Sofa niederließ. Zum Glück hatte sie die Vorhänge gestern ordentlich zugezogen und bisher noch nicht geöffnet, dachte sie und zog ihr Handy heraus. Sie wählte Arnies Nummer, doch statt seiner Stimme hörte sie nur eine blecherne Ansage, die sie informierte, dass der Teilnehmer gerade nicht zu erreichen war. Enttäuscht schloss sie die Augen, um ihre Gedanken besser sortieren zu können.

Бесплатный фрагмент закончился.

865,41 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
445 стр. 9 иллюстраций
ISBN:
9783746794983
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают