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Ein Meister der Verkleidung: das Weiche, Harte, Runde

Verbindet Kohlenstoff sich mit Wasserstoff, stellt dies den Übergang von der anorganischen zur organischen Chemie dar.19 Dies ist eine wichtige Trennlinie innerhalb der Welt der Chemie. Ausgangspunkt der organischen Chemie ist die für lebende Materie typische Verbindung von Kohlenstoff mit Wasserstoff. Das einfachste organische Molekül ist das Methan (CH4), häufig ein Produkt lebender Organismen, trotzdem aber kein Bestandteil des Lebens selbst. Ein Großteil der schier unendlich vielen organischen Verbindungen sind synthetischen Ursprungs. Das Wort organisch muss deshalb aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden als in anderen Bereichen. So gilt zum Beispiel das Insektizid DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan), eine Kohlenstoff-Chlor-Verbindung, bestehend aus zwei sechseckigen Kohlenstoffringen mit angelagerten Chloratomen, aus Sicht eines Chemikers als organische Verbindung, während die biologisch-organische Landwirtschaft gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass weder DDT noch andere Spritzmittel zur Anwendung kommen. Die Chemiker berufen sich, was die Bezeichnung »Organische Chemie« angeht, auf eine 120 Jahre alte Tradition. Bemerkenswert ist aber auch der Molekülaufbau des DDTs, denn während die chemische Formel Cl5H9C14 lautet, also 5 Chlor-, 9 Wasserstoff- und 14 Kohlenstoffatome, stellt man die Strukturformel in der Regel wie folgt dar:

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Abbildung 3: DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) – ein organisches Molekül, das in der biologisch-organischen Landwirtschaft aber verboten ist. In jeder Ecke der Sechsecke sitzt ein Kohlenstoffatom.

Es wird bei dieser Darstellung davon ausgegangen, dass in jeder Ecke und an jeder Bindung ein Kohlenstoffatom sitzt, was zu den insgesamt 14 Kohlenstoffatomen führt. In der organischen Chemie ist das derart selbstverständlich, dass man sich nicht einmal mehr die Mühe macht, die C-Atome einzuzeichnen. Genauso selbstverständlich ist die Tatsache, dass die 9 nicht erkennbaren H-Atome die vierte Bindung jedes C-Atoms, und die Doppelstriche Doppelbindungen darstellen (Kohlenstoff hat vier sog. Außenelektronen und damit vier normale Bindungsmöglichkeiten).

Grundsätzlich kommt Kohlenstoff in der Natur in drei reinen Formen vor: Graphit und Diamant sind schon lange bekannt, erst in jüngerer Zeit entdeckt wurde hingegen das Fulleren. Jeder weiß, dass sowohl das »Blei« im Bleistift als auch der Diamant aus reinem Kohlenstoff bestehen, und es fasziniert uns, dass das extrem Weiche und Billige und das extrem Harte und Teure aus derselben Substanz bestehen sollen. Dass der Diamant nicht nur in die Welt des Kohlenstoffs gehört, sondern aus reinem Kohlenstoff besteht, konnte bereits 1772 von Lavoisier nachgewiesen werden. Wenig später stellte sich dann heraus, dass das »Blei« im Bleistift, kein Blei war, wie man lange geglaubt hatte, sondern ebenfalls Kohlenstoff. Sowohl der Diamant als auch der Graphit geben bei ihrer Verbrennung die ihrem Gewicht entsprechende Menge CO2 ab.

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Einer der weltweit größten und bekanntesten Diamanten ist der Koh-i-Noor, der mit seinen ursprünglich 793 Karat über 5.000 Jahre hinweg von einem Herrscherhaus zum anderen weitergegeben wurde.20 Der allergrößte bisher bekannt Diamant ist der Cullinan-Diamant mit 3.106 Karat (620 Gramm) im ungeschliffenen Zustand, gefunden 1905 in Südafrika. Die seit Jahrhunderten andauernde Faszination für Diamanten ist sicher durch ihre Seltenheit und Beständigkeit zu erklären. Dabei ist auch die Lebensdauer von Diamanten nicht unbegrenzt, ja, man kann sie sogar verbrennen. Ihr Schmelzpunkt liegt bei 3.200 °C und ihr Siedepunkt bei 4.200 °C. An der Luft brennt ein Diamant aber schon bei 800 °C, nach der simplen Reaktionsgleichung C+O2=CO2. Aber wie kann ein und derselbe Stoff Ausgangspunkt dieser Extreme sein? Noch verblüffender als diese Frage ist die Tatsache, dass aus Graphit Diamant werden kann und aus Diamant Graphit, vorausgesetzt man setzt sie der richtigen Kombination aus Druck und Temperatur aus.

Der älteste Graphit, den wir kennen, ist möglicherweise auch ein Beweis für das älteste Leben hier auf diesem Planeten. Er wurde in einer Schicht von 3,8 Milliarden Jahre alten Sedimentgesteinen in Grönland gefunden und ist so rein, dass man damit schreiben kann. Er enthält das Isotop 13C (auf das wir noch zu sprechen kommen werden), was ein starker Hinweis auf seinen biologischen Ursprung ist. Einen abschließenden Beweis dafür werden Page 44wir aber nie erhalten. Der Graphit besteht aus Schichten von zu Sechsecken verbundenen Kohlenstoffatomen. Die Schichten werden von schwachen Bindungskräften zusammengehalten, sodass sie sehr leicht getrennt werden können. Dafür reicht schon die Reibung der Mine auf dem Papier. Im Diamant hingegen sind die Kohlenstoffatome in einem nahezu unangreifbaren Netz miteinander verbunden und bilden so einen der härtesten Stoffe, die wir kennen.


Abbildung 4: Diamant, Graphit und Fulleren sind die drei Hauptformen von reinem Kohlenstoff. Während der Diamant seine souveräne Stärke durch das Kristallgitter erhält, ist die Weichheit des Graphits auf dessen Schichtstruktur zurückzuführen. Das Fulleren hingegen ist wie ein Fußball aufgebaut und setzt sich aus 60 C-Atomen zusammen.

Diamant entsteht unter extremem Druck bei hohen Temperaturen. Natürliche Diamanten stammen sozusagen aus Druckkammern tief im heißen Inneren der Erde. Bei synthetischen Diamanten versucht man diese Bedingungen nachzuahmen, in dem man Kohlenstoffgas im Labor hohen Temperaturen und hohem Druck aussetzt. Chemisch gesehen sind auch das echte Diamanten, aber da sie auf künstlichem Wege entstanden sind, werden sie auf dem Edelsteinmarkt viel weniger geschätzt. Es ist interessant zu betrachten, welchen Vorrang das Natürliche vor dem Künstlichen hat. Das Natürliche gilt als »echt«, während das Synthetische als »unecht« dargestellt wird – egal ob das Produkt chemisch gesehen Page 45komplett identisch ist. Vermutlich akzeptieren wir nur in der Pharmazie die synthetischen Kopien der für die Gesundheit relevanten komplexen natürlichen Kohlenstoff verbindungen.

Es wird heftig diskutiert, wer als erster künstliche Diamanten hergestellt hat. Sicher ist, dass es bereits 1955 der General Electric Company gelungen ist, künstliche Diamanten in großem Stil herzustellen, wodurch der Wert der Firmenaktien an einem Tag um 300 Millionen Dollar anstieg.21 Heute übersteigt die jährliche Produktion synthetischer Diamanten 100 Tonnen pro Jahr. In erster Linie werden sie für industrielle Zwecke verwendet.

Mehr als 200 Jahre nach Lavoisier stellte sich heraus, dass der Kohlenstoff mit noch weiteren Überraschungen aufwarten kann. Kohlenstoff existiert nämlich nicht nur in den reinen Formen Diamant und Graphit. 1985 wurde eine völlig andere Form einer C-Verbindung entdeckt: Das Fulleren. Der merkwürdige Name leitet sich von dem noch seltsameren ursprünglichen Namen Buckminsterfulleren ab, benannt nach dem Architekten Richard Buckminster Fuller22, der fantastische Kuppeln entwarf, die aus Fünf-und Sechsecken zusammengesetzt waren.

Die Entdeckung des ersten Fullerens basierte auf einem Zufall. Es war das unerwartete Nebenprodukt eines komplizierten Versuches. Um langkettigen Kohlenwasserstoffen auf die Spur zu kommen, wie sie im Inneren von Sternen entstehen, wurden die Prozesse im Inneren eines Gasplaneten simuliert. Bei der Auswertung des Experiments entdeckte man Moleküle aus exakt 60 Page 46Kohlenstoffatomen. Ein chemisches Retortenbaby, das sich in allem von der bis dato bekannten Kohlenstoffchemie unterschied. Kohlenstoff kann sehr vielfältige Strukturen mit einer extrem unterschiedlichen Anzahl von Kohlenstoffatomen annehmen. Die Tatsache, dass all diese Moleküle exakt 60 Atome enthielten, deutete darauf hin, dass es sich um eine spezielle Struktur, eine Art geschlossene Einheit, handelte. (Leider ist das nichts, was man so einfach unter dem Mikroskop untersuchen kann.)

Die Versuche wurden in mehreren Varianten wiederholt, und die geheimnisvollen 60-C-Moleküle tauchten dabei immer wieder auf. Die einzig logische Erklärung für 60 reine C-Atome war ein fußballähnliches Molekül, bestehend aus 12 Fünfecken und 20 Sechsecken. Harold Kroto und seine Mitarbeiter an der Rice University in Texas beschrieben die Struktur als »… ein Polygon mit 60 Ecken und 32 Oberflächen … dieses Objekt wird für gewöhnlich wie ein Fußball … beschrieben.« Dieser »Fußball«, abgebildet »on Texas grass«, wurde unter Chemikern zu einer Ikone. Auch der Titel des Artikels blieb unvergesslich: 60-C: Buckminsterfulleren.23 Die Zeitschrift Nature stellte im November 1985 ihre Titelseite für eine Abbildung des ikonischen Kohlenstofffußballs zur Verfügung.

Wie durch einen Zufall entstand zur gleichen Zeit in der Wüste von Arizona die ultimative, von Menschenhand geschaffene Fulleren-Kuppel. Die Zeichnung und die Pläne für Biosphäre 2 waren allerdings bereits gemacht, als das Fulleren das Cover des Wissenschaftsmagazins schmückte. Das Gebäude selbst entstand jedoch erst 1987. Biosphäre 224 war der Versuch, ein sich selbst erhaltendes, Page 47intaktes Ökosystem in einer Glaskuppel zu schaffen. Das aufsehenerregende Gebäude beinhaltete 1900 m2 Regenwald, 850 m2 Meer mit einem Korallenriff, 1300 m2 Savanne, 1400 m2 Wüste und 2500 m2 Ackerland. Integriert war ein fortschrittliches Zirkulationssystem für Luft und Wasser. Die Energie wurde durch die Sonneneinstrahlung durch das Glas gewonnen. Am 26. September 1991 schlossen sich die Türen hinter den vier Männern und vier Frauen, die zwei Jahre in dieser Blase verbringen sollten. Streng genommen war Biosphäre 2 damit auch ein soziales Experiment, bei dem vieles überraschend gut funktionierte und das sowohl in biologischer als auch in sozialer Hinsicht. Die acht Menschen kamen gut mit dem zurecht, was sie selbst im Glashaus anbauten und ernteten, und auch das Zusammenleben bot keine größeren Probleme. Der Kohlenstoffkreislauf hingegen war deutlich schwerer zu handhaben.

Während in der Biosphäre 1, also auf der Erde, die Konzentration an CO2 und O2 seit vielen Tausend Jahren auffallend konstant ist, gab es bei den Gaskonzentrationen in dem geschlossenen Ökosystem ein stetes Auf und Ab. Die Tagesschwingungen der CO2-Konzentration konnten 600 ppm übersteigen, mit niedrigen Werten am Tag (wenn die Pflanzen CO2 aufnahmen) und hohen Werten in der Nacht. Noch drastischer wurde es im Winter während der geringsten pflanzlichen Aktivität. Die CO2-Konzentration erreichte in dieser Zeit mit 4.500 ppm einen Wert, der dem Zwölffachen des Niveaus auf der Außenseite entsprach. Da man sich im Inneren eines Treibhauses mit einem Lüftungssystem befand, trug das CO2 nicht zur Erwärmung bei, und als Gas ist CO2 nicht giftig.

Negativ war allerdings die zunehmende Müdigkeit bei den acht Bewohnern der Kuppel, die allerdings nicht auf Page 48die hohe CO2-Konzentration, sondern auf den geringen Sauerstoffgehalt zurückzuführen war, der von 21 Prozent auf 4,5 Prozent gesunken war. Dieser Wert entspricht einem Aufenthalt in 4000 Metern Höhe, wo Gedanken und Bewegungen wie durch Sirup gebremst werden. Ein Erklärungsansatz war, dass der kohlenstoffhaltige Boden CO2 abgab und gleichzeitig wegen des bakteriellen Abbaus organischer Materialien O2 verbrauchte. Das Fundament bestand überdies aus kalkhaltigem Beton; dieser fixierte CO2 infolge einer Reaktion frei, der wir noch mehrfach begegnen werden: Ca(OH)2+CO2→CaCO3+H2O.

Diese Reaktion wirkte sich nicht sonderlich auf den extrem hohen CO2-Gehalt der Kuppelatmosphäre aus. Sie fungierte aber über den im CO2 gebundenen Sauerstoff als zusätzlicher O2-Fänger. Zusätzlich stieg auch die Konzentration des dritten großen Treibhausgases an, nämlich des Lachgases (N2O). Die Konzentration erreichte mit der Zeit lebensbedrohliche Werte, wodurch sich der interne Stickstoff-Kreislauf veränderte. Schließlich musste man regelrecht mogeln und Frischluft in die Kuppel blasen, um weitermachen zu können. Es ist nicht einfach, die Natur zu kopieren, aber trotz aller Fehler und Einschränkungen war Biosphäre 2 ein beeindruckender Versuch.

Einige Jahre nach meinen eigenen, bescheidenen Studien des Kohlenstoffzyklus am See in den Norwegischen Wäldern, besuchte ich selbst Biosphäre 2. Die Wüste Arizonas ist ein krasser Gegensatz zu dem feuchten, kohlenstoffreichen System in den nordischen Wäldern, da allein der kohlenstoffreiche Waldboden und die meterdicken Moorschichten bei kaltem und feuchtem Klima große Kohlenstoffspeicher darstellen. Die trockene, heiße Wüste Arizonas ist hingegen, wie alle Wüsten, extrem kohlenstoffarm. Im Sand ist nicht viel Kohlenstoff, und das wenige, was in den genügsamen Kakteen und Kreosotbüschen gebunden ist, wird beinahe vollständig an die Atmosphäre abgegeben, wenn die Pflanzen in dem heißen Page 49Klima absterben. Deshalb war der Kontrast zwischen der sonnenverbrannten Landschaft auf der Außenseite und der feuchten Fruchtbarkeit im Inneren von Biospäre 2 ein wirklich beeindruckendes Erlebnis. Die Kuppel mit ihren kleinen Ökosystemen ist noch heute intakt und einen Besuch wert. Sollte die Glaskuppel eines Tages verschwinden, wird es nur wenige Jahre dauern, bis all der lebenspendende Kohlenstoff, der unter der Kuppel so lange geschützt war, in der Sonne oxidiert wird und gemeinsam mit dem Wasser in der Atmosphäre verschwindet. So gesehen kann diese als düstere Metapher für ein Worst-Case-Szenario für »Biosphäre 1« (die Erde) angesehen werden, auch wenn dort der Treibhauseffekt eine der größten Bedrohungen darstellt. Zugegeben, ich bin, ausgehend vom Fulleren, etwas abgeschweift, aber Biosphäre 2 ruft uns in Erinnerung, wie sehr wir einen ausbalancierten Kohlenstoffkreislauf mit den richtigen Konzentrationen von Sauerstoff, Methan und Lachgas zu schätzen wissen sollten – und dass wir das alles auch in der »Biosphäre 1« keineswegs als selbstverständlich ansehen sollten.

Wir können den Extrempunkten Diamant und Graphit als Hauptformen des reinen Kohlenstoffs in der Natur nun also das Fulleren als dritte – äußerst seltene – Form hinzufügen. Diesen drei Reinformen steht eine schier unüberschaubare Menge von Kohlenstoffverbindungen, Kombinationen und Kunststoffen gegenüber. Der Kohlenstoff ist nicht nur das essenzielle Molekül des Lebens, sondern auch der Rohstoff für unzählige neue Hightech-Produkte. Was reine C-Produkte angeht, kann man heutzutage auch Fullerene mit 70 C-Atomen herstellen, und mit den Kohlenstoffnanoröhren und dem einschichtigen Graphen ist ein Füllhorn neuer Anwendungsmöglichkeiten entstanden.25 Einige der neuen wissenschaftlichen Page 50Entdeckungen sind die Früchte langwieriger zielgerichteter Arbeit, während andere reine Zufallsprodukte sind.

Der Traum von einem Kohlenstoffblatt mit der Dicke eines einzigen Atoms war nicht neu, aber als er realisiert wurde, geschah das mehr oder weniger zufällig. Es war im Jahre 2004, als Andre Geim und Konstantin Novoselov, etwas vereinfacht formuliert, eine einzelne Schicht Kohlenstoff mithilfe eines Klebebandes von einem Stück Kohle ablösten. Sie erhielten dafür im Jahr 2010 den Nobelpreis für Chemie. Die ultradünne Kohlenstoffschicht, bestehend aus den bekannten Sechsecken, hat überraschende Eigenschaften, was Bruchhärte und Leitungsfähigkeit angeht. Graphen ist 300 Mal härter als Stahl, fast durchsichtig, ein extrem guter elektrischer Leiter, flexibel und nicht brennbar. Kohlenstofffasern vereinen zudem geringes Gewicht und Stärke und sind in diesen Punkten allen Metallen überlegen. Ihr Einsatzbereich ist wie der des Graphens schier unendlich. Einige Forscher träumen davon, Graphen mit dem genetischen Code zu kombinieren, um so einen DNA-basierten Chip herzustellen. Dieser könnte die Datenspeicherung revolutionieren; er wäre die ultimative Synthese aus belebter und unbelebter Materie. Die DNA ist im Grunde ja nichts anderes als ein digitaler Code mit ungeahnter Informationsvielfalt. Basierend auf einem einfachen Alphabet aus nur vier Buchstaben sind alle Informationen, die für die Entstehung eines Menschen nötig sind, in einem mikroskopisch kleinen Zellkern gespeichert. Die Variationsmöglichkeiten, die es braucht, um 7 Milliarden einzigartige Menschen entstehen zu lassen, ergeben sich aus der variierenden Reihenfolge dieser vier Buchstaben. Und die Informationsmenge, die in der DNA in einem einzigen kleinen Zellkern gespeichert ist, entspricht in etwa 6.000 Büchern mit jeweils 500 Seiten. Diese Art der Speicherung ist unendlich effektiver als die Technik selbst des modernsten Supercomputerchips … Was dann erst mit einer Ein-Schicht-Kohlenstoff-Basis Page 51möglich wäre? – Viele unserer klügsten Erfindungen sind letztlich Kopien von Lösungen, die die Evolution schon vor Millionen von Jahren gefunden hat.

Als Lager für Wasserstoffgas in gasbetriebenen Motoren stellen außerdem Kohlenstoffnanoröhren einen der vielversprechendsten Ansätze dar. Darüber hinaus finden sie als Basis für elektrochemische Detektoren, zur Bestimmung von Metallen und in der Pharmaindustrie Anwendung. Bis jetzt haben wir nur über reine Kohlenstoffverbindungen gesprochen. Richtig interessant sind jedoch all die anderen Verbindungen, die Kohlenstoff sonst noch eingehen kann. Wie schon erwähnt, gibt es etwa 10 Millionen unterschiedliche Kohlenstoffverbindungen, und täglich kommen neue hinzu. Der Kohlenstoff hat zweifelsohne noch ein paar Asse im Ärmel, mit denen er uns in den nächsten Jahren überraschen wird.

19Die Systematik der anorganischen Chemie ist gut beschrieben in: Nelson, D., Cox, M. (2010): Lehninger Biochemie 4. Auflage. Springer, Berlin, Heidelberg, New York.

20Diamanten leben ewig, auf jeden Fall nach unseren Maßstäben, wenn sie nicht einer extremen Kombination aus Druck und Hitze ausgesetzt werden. Eric Roston geht auf dieses Thema in seinem Buch The Carbon Age ein. Die Geschichte des Koh-i-Noor und anderer mythenumwobener Diamanten findet sich in vielen Büchern, die sich aber alle auf ein grundlegendes Werk beziehen: Streeter, E. (1882): The great diamonds of the world. Their history and romance. Ein Auszug findet sich hier: http://famousdiamonds.tripod.com/koh-i-noordiamond.html. Mehr über synthetische Diamanten und die moderne Verwendung von reinem Kohlenstoff findet sich in: Krueger, A. (2010): Carbon Materials and Nanotechnology. Wiley-VCH, Weinheim.

21Krueger, A. (2010): Carbon Materials and Nanotechnology. Wiley-VCH, Weinheim

22Richard Buckminster Fuller (1895–1983) spielt in unserer Geschichte keine besondere Rolle und trug nicht weiter zum Verständnis der Kohlenstoffchemie bei. Er ist aber verantwortlich für die Konstruktion seltsamer Gebäude, die wie eine Vorahnung der Struktur der Fullerene erschienen, weshalb diese Moleküle seinen Namen erhielten.

23Kroto, H. W. et al (1985): C60: Buckminsterfulleren. Nature 318:162–163.

24Biosphere 2 war vermutlich das extravaganteste, visionärste Experiment, das je auf der Erde ausgeführt wurde. Eine Art CERN der Ökologie. Ob der Ansatz realistisch war, darf diskutiert werden, das Experiment selbst fand aber viel Aufmerksamkeit. Am besten beschrieben ist Biosphere 2 in: Poynter, J. (2008): The Human Experiment. Two Years and Twenty Minutes Inside Biosphere 2. Thunders’s Mouth Press, New York.

25Ravve, A. (2012): Principles of polymer chemistry. Springer, New York. Ein Meister der Verkleidung: das Weiche, Harte, Runde

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Die Nachkommen der Nylonstrümpfe

Der Erfolg des Kohlenstoffs als chemischer Partner ist unter anderem dem Umstand geschuldet, dass er sowohl Einzel- als auch Doppel- oder Dreifachbindungen sowie je nach Bedarf auch Kombinationen dieser Verbindungen eingehen kann, solange alle vier Elektronen einen passenden Partner finden. Bei der Kohlensäure hat der Kohlenstoff sich mit einer Doppelbindung an das eine freie Sauerstoffatom gebunden, und an die beiden anderen mit einer Einzelbindung, da diese jeweils noch eine Einzelbindung zum Wasserstoff haben. Beim CO2 existiert eine Doppelbindung zwischen dem C und beiden Sauerstoffatomen. Nun könnte man vermuten, dass es bei Kohlenmonoxid (CO) vier Bindungen gibt, doch stattdessen finden wir hier eine Dreifachbindung, weswegen das Molekül schwach geladen ist. Das trägt dazu bei, dass sich CO unangenehm effektiv an das Hämoglobin der Blutzellen bindet. Weil CO den Konkurrenzkampf gegen O2 in den Blutzellen gewinnt, wirkt es im Gegensatz zu CO2 giftig.

Die Lieblingsposition von C scheint sich in einer Ringstruktur zu liegen, wie wir sie in Graphit, Graphen und Fulleren beobachten können, aber auch in Millionen anderen organischen Strukturen wie DDT. Derartige Kohlenstoffringe sind zentral für alle Lebewesen und sie finden sich auch in zahlreichen synthetischen Komponenten – nicht zuletzt in der Pharmaindustrie. Ungefähr 75 Prozent aller organischen Moleküle enthalten zyklische Verbindungen in der einen oder anderen Form – oft eine Kombination aus verschiedenen Formen. Wenn die Kohlenstoffatome sich in derartigen Familiengruppen zu sechst zusammenfinden, gehen sie oft eine Doppelbindung zu dem einen Nachbarn und eine Einzelbindung zu dem anderen ein – und nur unsere Fantasie kann eingrenzen, Page 53womit sie sich mit ihrer freien, letzten Bindung verknüpfen. Eines der einfachsten Moleküle aus dieser enormen Gruppe ist Benzol, erstmalig beschrieben von August Kekulé im Jahre 1865.


Abbildung 5: Benzol – die rechte, vereinfachte Version ist für die Eingeweihten unter uns.

Auch wenn das Molekül eine einfache Struktur aufweist, so war doch ihre Entdeckung ein Meilenstein der Wissenschaft. Kekulé leitete die Molekülstruktur auf Grundlage seiner Theorie darüber her, welche Bindungen die Elektronen auf der äußeren Schale logischerweise eingehen müssten. Wobei er diese Bindungen »Verwandtschaftseinheiten« nannte. Kekulé gehört zu den »Bekehrten«, die nach der Offenbarungserfahrung einer großartigen Vorlesung ihr eigentliches Wissenschaftsfeld verlassen haben. Justus Liebig inspirierte Kekulé dazu, sein Architekturstudium aufzugeben und sich der Chemie zu widmen. Eben dieser Liebig war auch der Lehrer Friedrich Konrad Beilsteins, des Mannes also, der mit der Klassifizierung aller organischer Verbindungen begann. Wir werden später noch auf Liebig zurückkommen, der auch den Autor dieses Buches inspiriert hat.

Benzol wurde bereits 1825 aus Steinkohleteer gewonnen – von keinem geringen als Michael Faraday. Etwas später wurde es in Benzen umbenannt – nicht zu verwechseln jedoch mit dem Benzin, das wir heutzutage Page 54in unsere Tanks füllen, welches eine Mischung aus unterschiedlichen, verzweigten Kohlenwasserstoffen mit vier bis zwölf Kohlenstoffatomen ist. Die Bezeichnung Benzol etablierte sich nach und nach, und hinter dem charakteristischen, beinahe süßlichen Geruch steckte die Verbindung C6H6. Aber welches Verhältnis diese C’s und H’s zueinander hatten, blieb zunächst ein Mysterium. Wie auch bei dem viel später entdeckten Fulleren gab es keine logische Struktur, die eine stabile Verbindung ergeben hätte. Erst 1865, fand der »Herr der Ringe«, Kekulé, der mittlerweile Professor an der Universität in Gent, Belgien, war, die Lösung, angeblich im Traum. In jenem Traum drehten die Moleküle sich zusammen zu einer Schlange, die sich in den Schwanz biss – die Ringstruktur. Kekulés Erzählung weist, glaubt man berufenen Quellen, die eine oder andere Schwäche auf, aber er beschrieb damit auf jeden Fall die erste einer ganzen Reihe aromatischer Strukturen, die den Benzolring als gemeinsamen Nenner haben, und ihre Verwandten, welche das Fundament von drei Vierteln der gesamten organischen Chemie darstellen.

Der Begriff organische Chemie klingt für Unwissende vielleicht komisch, und im Detail ist sie hochkomplex. Dennoch ist diesem Gebiet eine wunderbare Logik und Symmetrie zu Eigen, ganz zu schweigen davon, dass sie fast alles um uns herum betrifft. Hat man erst einmal die Grundprinzipien der organischen Chemie verstanden – und hier sind vor allem die Bindungseigenschaften des Kohlenstoffs und dessen Hang zu Sechserringen zentral – fügt sich vieles in ein logisches Muster ein. Nun soll das hier kein Buch über organische Chemie werden, doch bevor wir den Kohlenstoffatomen in die Labyrinthe des Kohlenstoffzyklus folgen, sollten wir rasch noch einen Blick auf die Chemie im Allgemeinen werfen.

Die wichtigsten Gruppen organischer Moleküle sind Kohlenwasserstoffe, aromatische und zyklische Verbindung Page 55(die zahlreichen Verwandten des Benzols), Alkohol (mehr als man glaubt) und heterozyklische Verbindungen. Die grundlegende Logik der Kohlenstoffchemie ist einfach und folgt einem klaren System.26 Kohlenwasserstoffe bilden die einfachste und übersichtlichste Kategorie. Hier muss man nur die Übersicht über C und H behalten. Unter den einfachsten finden wir Methan (CH4), Ethan (C2H6), Propan (C3H8) und Butan (C4H10) – bei allen handelt es sich um brennbare Gase. Dann folgen die Stoffe, die nach der Anzahl der Kohlenstoffe, die sie in sich tragen, benannt wurden: Pentan (5), Hexan (6), Heptan (7), Oktan (8) usw. Darauf folgen die Alkene, ähnlich in Namen und Struktur, allerdings mit einer Doppelbindung zwischen den C-Atomen und folglich weniger Platz für die H-Atome (Ethen – C2H4, Propen, Buten ...). Und die nächste Gruppe? – Richtig, die Alkine, mit einer Dreifachbindung zwischen den C’s. Als erstes kommt natürlich Ethin (C2H2), in der Umgangssprache besser bekannt als Acetylen. Diese drei Gruppen gehören zu den aliphatischen Verbindungen.

Die aromatischen Verbindungen sind, wie gesagt, Ringverbindungen, wie Benzol, Toluol, Naphtalin usw. Sie alle formen mit ihren C-Atomen ein Sechseck oder Fünfeck in allen möglichen Kombinationen und mit »Schwänzchen« aus anderen chemischen Verbindungen in einer unendlichen Anzahl von Varianten. Oft haben diese Stoffe einen charakteristischen Geruch. Kinder finden diese Dünste häufig herrlich; wir Erwachsenen haben gelernt, dass sie giftig oder gefährlich sind. Benzin beispielsweise riecht unmissverständlich nach organischer Chemie.

Die Alkohole folgen bei der Namensgebung der Logik der Alkane, angefangen beim Methan: Methanol, Ethanol Page 56usw. Ihr gemeinsamer Nenner ist, dass ein Wasserstoffatom gegen eine OH-Verbindung ausgetauscht wurde, also von Ethan (C2H6) zu Ethanol (C2H5OH). Wir können hier nur an der Oberfläche kratzen, genauer gesagt betrachten wir die grundlegendsten Bausteine der organischen Chemie, die man zu beinahe allem zusammensetzen kann.

Direkt nach Ende des Ersten Weltkrieges begannen Chemiker, organische Moleküle so vielfältig zusammenzusetzen und miteinander zu kombinieren, wie es der Natur nicht im Traum eingefallen wäre. In erster Reihe stand Hermann Staudinger27. Er interessierte sich für Polymere. Der Begriff setzt sich aus poly (viele) und mer (Teil) zusammen, und kann für alles verwendet werden, was aus mehreren Teilen zusammengefügt wurde. Staudinger arbeitete zunächst mit Polymeren, die in Naturstoffen vorkamen. Er konnte nachweisen, dass augenscheinlich große und komplexe Moleküle, wie jene in Stärke, Protein, Zellulose oder Gummi, eigentlich aus langen Ketten kleinerer Moleküle bestehen, die in kovalenten Bindungen miteinander verknüpft sind – wie Perlen auf einer Schnur.

Auch wenn Staudinger und seine Kollegen neue Polymere für neue Zwecke erschufen, so waren Polymere an sich keine Neuheit in der Natur. Wie bei so vielem Anderen hatte die Evolution im Laufe von 100 Millionen Jahren auch Polymere hervorgebracht, robuste Strukturen in Form von beispielsweise Zellulose (einem Polymer aus Glukose) oder Proteinen (Polymeren aus 20 verschiedenen Aminosäuren). Im Labor konnten nun neue Stoffe zu neuen Polymeren mit erstaunlichen Eigenschaften Page 57verknüpft werden. Viele bildeten lange, strapazierfähige und leichte Fasern – wie zum Beispiel Nylon oder Polyester. Nylon erblickte das Licht der Welt am 28. Februar 1935, in der Firma DuPont28, und damit fiel der Startschuss zu einem industriellen Märchen mit der Kohlenstoffchemie in der Hauptrolle. Angefangen bei Nylonstrümpfen, Zahnbürsten und Fallschirmen, eröffnete sich ein ganz neuer Markt für Kunstfasern. DuPont selbst hatte 1802 mit der Produktion von Schießpulver klein angefangen, doch er erkannte schnell, dass sich in anderen Zweigen der Chemie große Möglichkeiten boten. 1927 verfünffachte (!) das Unternehmen sein Forschungsbudget, und es sollte Früchte tragen. Heute zählt DuPont zu einem der größten Chemieunternehmen weltweit.

Im Mittelpunkt von DuPonts und Staudingers Erfolg stand der 15 Jahre jüngere Wallace Carothers. Er war maßgeblich an der Entwicklung des Nylons sowie des Neoprens und des Polyesters beteiligt. Neopren war das erste vollsynthetische Gummi und ist allen Surfern und Tauchern als Material eines Kälteschutzanzuges bekannt. Polyester besteht aus Ketten von Estern. Carothers konnte sich nicht im Glanz seines Erfolges sonnen, ganz im Gegenteil – er war nicht der Meinung, viel Erfolg im Leben gehabt zu haben. Am 28. April 1937 checkte er in ein Hotel in Philadelphia ein, mixte sich einen Cocktail aus Zitronensaft und Kaliumcyanid – KCN, auch hier wieder das C, doch diesmal in schlechter Gesellschaft. Die Verbindung von Kalium, Kohlenstoff und Stickstoff ergibt ein kristallines Salz, das wie Zucker aussieht, aber äußerst giftig ist. Das war Carothers Ende, doch das Polymer-Märchen ging weiter.

Es ist höchste Zeit, in der Geschichte des Kohlenstoffs das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern Page 58herzustellen. Stephanie Kwolek kam nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu DuPont. Auch sie war im Kielwasser des Nylons auf der Suche nach neuen Materialien. Sie nahm einen Sechserkohlenstoffring mit einem Amin und einer Carboxylsäuregruppe als Seitenketten als Ausgangspunkt. Diese Verbindung ließ sich nur in Schwefelsäure auflösen. Dabei wurde sie zu einer breiigen Masse, aus der, indem man sie durch kleinste Löcher presste, wiederum ultrastarke Fasern gewonnen werden konnten. Der Prozess wurde in mehreren Durchläufen vereinfacht und verbessert, und resultierte schließlich in einem Produkt namens Kevlar. Dieser Stoff lässt sich in Massenproduktion herstellen, ist leichter als Stahl, und dennoch fünf Mal so stark, und wird als Ersatz für Stahl in schusssicheren Westen und Helmen, Seilen, Kabeln, Pardunen und anderen Produkten verwendet, die eine Kombination von Stärke und geringem Gewicht voraussetzen. Außerdem verträgt Kevlar Temperaturen von bis zu 400 °C. Vielleicht sind es Graphit, Diamant und Kevlar, die die stärksten Formen des Kohlenstoffs repräsentieren?

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9783952440193
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