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Die Höhlenmalereien in Indonesien sind schon lange bekannt, aber erst 2014 konnte man feststellen, dass diese Werke nicht 10.000 Jahre alt sind, wie zuvor angenommen, sondern volle 40.000 Jahre. In diesem Fall war allerdings nicht mehr genug organischer Kohlenstoff für eine Radiokarbondatierung vorhanden. Trotzdem wurde der Kohlenstoff genutzt: In einer Karsthöhle hatten sich auf Teilen der Malereien Calcit- oder Calciumcarbonatknollen gebildet. Es handelt sich dabei um eine Verbindung von Calcium, Kohlenstoff und Sauerstoff (CaCO3). Calcit Page 29lagert Uran ein, das seinerseits eine bekannte Halbwertszeit hat (mehrere Millionen Jahre). Mit Hilfe einer Spezialsäge mit Diamantzähnen konnte man die Knollen mit chirurgischer Präzision in schmale Schnitte zerlegen. Aus den Änderungen im Verhältnis radioaktiver Uranisotope konnte man das Alter der ersten Ablagerungen auf der Kunst bestimmen. Diese entpuppte sich als älter als die meisten europäischen Höhlenmalereien, die zwischen 20.000 und 32.000 Jahre alt sind.9 Die Chauvet-Höhle in Südfrankreich hielt mit 35.000 Jahren, datiert über die 14C-Analyse, den früheren Rekord. Mittlerweile wurden noch ältere Bilder in Form von Handabrücken in einer Höhle in Malaga in Spanien gefunden. Das Alter wird auch dort mit 40.000 Jahren angesetzt. Kann es sich um eine Zeichnung von Neandertalern handeln? Alter und Ursprung der Zeichnungen werden noch untersucht. Dabei ermöglicht es uns der Kohlenstoff selbst, sein Alter genau zu bestimmen.

3Eine gute Übersicht dazu findet sich in: Roston, E. (2008): The CarbonAge. How life’s core element has become civilizations greatest threat. Walker & Co. Eine gelungen Synthese der Zeitreise des Kohlenstoffs durch das Universum und seiner unterschiedlichen Formen und Verbindungen. Es endet, wie so viele Bücher über Kohlenstoff, mit CO2 und Klima. Es gibt auch viele Bücher über das Periodensystem, die weitere Basisinformationen über Kohlenstoff geben. Darunter: Aldersey-Williams, H. (2011): Periodic tales. A cultural history of the elements from arsenic to zinc. Harper Collins Publishers.

4Kohlenstoff kommt sowohl in der Chemie als auch in der Biologie so gut wie nie allein, sondern immer in Kombination mit anderen Stoffen vor. Das Verhältnis zwischen Kohlenstoff und anderen Schlüsselelementen ist dabei kein Zufall, und besonders die Elemente Stickstoff und Phosphor sind in vielerlei Hinsicht wegweisend für Kohlenstoff. Mehr dazu in: Elser, J., Sterner, R. (2002): Ecological Stoichiometry. Princeton University Press. Ein aktueller Übersichtsartikel findet sich in: Hessen, D. O., Elser, J. J., Sterner, R. W., Urabe, J. (2013): Ecological stoichiometry: An elementary approach using basic principles. Limnology & Oceanography 58: 2219–2236.

5Es gibt viele Bücher über die verschiedenen Kohlenstoffzyklen, ganz zu schweigen von den zahllosen Artikeln. Eines der am besten lesbaren und doch wissenschaftlich korrekten ist: Archer, D. (2010): The Global Carbon Cycle. Princeton University Press. Viele von Archers Vorlesungen sind als Podcasts abrufbar. Eine gute Übersicht findet sich auch in: Falkowski, P. et al. (2000): The global carbon cycle: A test of our knowledge of Earth as a system. Science 290: 291–296.

6Die menschliche Evolution ist sowohl biologisch als auch kulturell enger mit dem Feuer verknüpft, als uns bewusst ist. Eine aktualisierte Darstellung der menschlichen Entwicklung, die auch diesen Aspekt beinhaltet, bietet: Harari, Y. N. (2015): Sapiens. A brief history of humankind. Harper Collins, New York. In diesem Buch wird auch die Rolle des Kohlenstoffs für die kulturelle Evolution angesprochen.

7Wrangham, R. (2009): Catching fire – how cooking made us human. Profile Books.

8Libby, W. F. (1969): Radiocarbon dating. Chemistry in Britain, Dec. 1969: 548–552.

9Die Datierung von Höhlenkunst ist ein ebenso spannendes wie umstrittenes Thema. Wer waren die ersten, die Asiaten oder die Europäer? Moderne Menschen oder Neandertaler? Was stellte die Kunst dar? Metaphysische Sehnsüchte, Rituale, Gebete oder waren die Werke einfach nur Ausdruck purer Lust am Zeichnen? Vermutlich werden wir auf diese Fragen niemals Antworten erhalten. Außerdem hat das Thema nur am Rand mit dem Kohlenstoff zu tun. Gute Übersichten über die Datierung finden sich in: Valladas, H. et al. (2001): Palaeolithic paintings: Evolution of prehistoric cave art. Nature 413: 479. Whitley, D. (2009): Cave Paintings and the Human Spirit. The Origin of Creativity and Belief. Prometheus. http://en.wikipedia.org/wiki/Cave_painting; https://de.wikipedia.org/wiki/Höhlenmalerei (beide geöffnet am 24.06.2019).

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Das Feuer erklären

Obwohl die Faszination für Feuer und seine sichtbaren Reste wie Holzkohle, Asche und Ruß als solches verständlich war und ganz praktische Gründe hatte, stieß doch das unsichtbare Endprodukt CO2 auf größeres wissenschaftliches Interesse. Ja, es war ein wundersames Rätsel, wie sich ein schweres Holzscheit einfach so in Luft auflösen konnte und nur einen dünnen Hauch von Asche hinterließ, der mit einem Windstoß im Nichts verschwand.

Auch hier können wir uns erlauben, die alten Griechen zu übergehen, und wagen den Sprung von 40.000 Jahren vor unserer Zeit hinein in ein Europa, das sich mit großen Schritten auf die Zeit der Aufklärung zubewegte. Der erste, der einsah, dass zwischen Feuer, Sauerstoff und Kohlenstoff eine Schicksalsverbindung bestand, und der erste, der CO2 als Resultat von brennender Holzkohle beschrieb, war Jan Baptiste von Helmont, geboren im Jahre 1580 in Brüssel.10 Ihm wurde auch die Ehre zuteil, als Erfinder des Wortes Gas gehandelt zu werden. Helmont machte Versuche an Pflanzen und wog die Erde, in der sie wuchsen, sowohl vor als auch nach der Wachstumsphase. Das Gewicht der Erde änderte sich nicht, aber die Pflanzen waren schwerer geworden. Was war der Grund für diese Gewichtszunahme? Wasser, lautete Helmonts Schlussfolgerung, die Pflanzen Page 31bekamen Wasser, und dieses wiederum verschwand. Bezüglich dieser Schlussfolgerung könnte man, zumindest im Lichte der aktuellen Erkenntnisse, ein bisschen Respekt vor Helmont verlieren, der in seine Überlegungen CO2 nicht mit einbezogen hatte. Alle Forscher treten in die Fußstapfen ihrer Vorgänger, doch es ist unwahrscheinlich, dass Helmonts Entdeckungen allgemein bekannt waren. Das Rad wird verblüffend oft neu erfunden, und zu jener Zeit waren neue wissenschaftliche Erkenntnisse nicht einfach mit ein paar Mausklicks zu finden und herunterzuladen.

Zu denjenigen, die um einen Platz auf dem Siegertreppchen für die Entdeckung von CO2 kämpfen, gehört auch der Schotte Joseph Black11, geboren im Jahre 1728 und seit 1756 Professor der Anatomie und Chemie(!). Scharfsinnig, wie er war, registrierte er, dass Kalkstein, dem Säure zugeführt wird, ein Gas produziert, das er »fixierte Luft« nannte. Er kam zu dem Schluss, dass es sich dabei um dasselbe Gas handelt, das wir ausatmen. Ein weiterer Pionier, der in die unsichtbare Welt der Gase vordringen wollte, war der Engländer Joseph Priestley. Priestley und Black waren gleichen Alters, doch Priestley hatte noch ein paar Talente mehr als sein Namensvetter: Er war Theologe, Philosoph, Chemiker und Pädagoge. Seine Ideen zum Utilitarismus inspirierten zentrale Denker wie Jeremy Bentham, John Stuart Mill und Herbert Spencer. Page 32Der Utilitarismus beschreibt vereinfacht, dass alle Handlungen und Dinge die höchst mögliche Zufriedenheit für eine höchst mögliche Anzahl Individuen zum Ziel haben sollten (und zwar nicht etwa Zufriedenheit im hedonistischen Sinne, sondern in Form der Möglichkeit, die eigenen Ziele zu verwirklichen).

Es ist nicht auszuschließen, dass Priestley Kenntnis von Blacks Entdeckungen hatte, doch erst die Gespräche mit Benjamin Franklin Ende des 18. Jahrhunderts inspirierten ihn dazu, sich voll und ganz der Wissenschaft zu widmen. Priestley wies nach, dass CO2, das beispielsweise bei der Gärung von Bier entstand, in besonders hoher Konzentration Feuer und auch Tiere ersticken konnte. Mit Interesse vermerkte er außerdem, dass Pflanzen sich in CO2 äußerst wohlfühlten, und entdeckte im Gegensatz zu seinem Vorgänger Helmont, dass CO2 der Hauptfaktor für das Wachstum von Pflanzen war. Damit war er dem großen Kohlenstoffzyklus, dem Wechsel zwischen Photosynthese und Respiration (Zellatmung), auf der Spur. Er war außerdem der Meinung, dass das Gas beinahe unendlich viele Anwendungsmöglichkeiten hatte. 1772 verfasste er den Artikel Directions for Impregnating Water with Fixed Air12 – das Ur-Rezept für »Sprudel«, also Mineralwasser. Er ging davon aus, dass Mineralwasser eine Reihe von Page 33Anwendungsmöglichkeiten bot, sowohl gesundheitlicher Art als auch in anderen Bereichen. Priestley hätte an dieser Stelle das Fundament für eine bedeutende Industrie legen können, doch stattdessen übernahm ein Einwanderer aus der Schweiz namens Johann Jacob Schweppe die Idee. Im Jahre 1792 etablierte er das London Soda Water Business.13

Priestley gewann sein CO2 durch Gärung, welche ja an sich auch ein Verbrennungsprozess ist - der finale Schritt der Zellatmung von Hefezellen: Hier werden Zucker und Stärke unter Luftabschluss in CO2 umgewandelt. Darüber hinaus brachte er CO2 jedoch nicht mit Feuer in Verbindung - mit Ausnahme seiner Beobachtung, dass große Mengen CO2 Feuer erstickten.

Die Bläschen im Bier – und auch in Schweppes-Getränken – werden im Volksmund Kohlensäure genannt, obwohl Kohlenstoff erst dann eine schwache Säure bildet, wenn er sich mit Sauerstoff zu CO2 und dann mit Wasser verbindet.

Auch beim »Sauerstoff« allein ist es trotz des Namens mit der Säurewirkung nicht weit her. In der Kohlensäure bindet der Kohlenstoff die beiden H-Atome und den Sauerstoff des Wassers zusätzlich zu den beiden Sauerstoff-Atomen, die es im CO2 bereits gab (siehe Abb. 2).


Abbildung 2: H 2 CO 3 , wahrscheinlich die häufigste und wichtigste Säure der Welt, wenngleich auch eine der schwächsten.

Es entsteht ein Gleichgewicht zwischen CO2, Wasser und Kohlensäure: CO2+H2O=H2CO3.

Sauer reagiert diese Verbindung, weil sie die beiden Wasserstoffatome als Protonen (H+) freisetzen kann – was chemisch gesehen die Haupteigenschaft einer Säure ist.

C, O und H können unendlich viele Verbindungen eingehen, aber genau diese Reaktion ist die wichtigste, nicht zuletzt für Wasser. Sie liefert den Grund dafür, dass Süßwasser im Gleichgewicht mit dem CO2 in der Luft schwach sauer reagiert. Und sie trägt wesentlich zur Page 34Übersäuerung der Meere bei, da mehr CO2 in der Luft dazu führt, dass auch im Wasser mehr H2CO3 produziert werden kann. Aber dazu kommen wir später noch.

Die vielen mehr oder weniger losen roten Fäden der Forschungsarbeiten rund um Feuer, Luft und Kohlenstoff laufen im Revolutionsjahr 1789 in Paris zusammen und münden in Antoine Lavoisiers bahnbrechendem Lehrbuch Traité Élémentaire de Chimie.14 Lavoisier führt Kohlenstoff dort als nicht metallisches Element auf, das die Eigenschaften besitzt, zu versauern und zu oxidieren – also zu verbrennen. Doch auch wenn Lavoisiers Buch das Ansehen der Chemie als Wissenschaft in vieler Hinsicht stärkte, so basieren seine Abhandlungen über Kohlenstoff auf den Ideen anderer. Dabei wird nicht ganz klar, wem für welche Ideen die Ehre gebührt. Priestley hat nicht nur die Existenz von CO2 und dessen Eigenschaften entdeckt, sondern auch den Sauerstoff, wobei er sich diese Ehre Page 35mit Lavoisier und dem Schweden Carl Wilhelm Scheele teilen muss. 1777, 12 Jahre vor Erscheinen von Lavoisiers Lehrbuch, veröffentlichte Scheele das Buch Chemical Treatise on Air and Fire,15 in dem er die Prinzipien von Sauerstoff, Kohlendioxid und Stickstoff beschreibt. Den Sauerstoff entdeckte Scheele am 1. August 1772 beim Erhitzen von Quecksilberoxid. Heutzutage hätte Scheele seine Ergebnisse sofort publiziert, um sich den Status als Entdecker zu sichern, aber im 18. Jahrhundert ging alles langsamer vonstatten. Erst 1774 schrieb Scheele einen Brief, in dem er seine Experimente darlegte, an Lavoisier, der bereits den Status als zeitgenössischer Chemiker par excellence genoss, und bat ihn um Rat für weitere Versuche.

Zur selben Zeit beobachtete Priestley, dass Pflanzen in einer geschlossenen Kammer und unter Beleuchtung die Luft von CO2 »reinigen« können. Nachdem die Pflanzen ihre Arbeit erledigt hatten, konnte in der Kammer eine Kerze brennen und ein Tier atmen. Auch Priestley unternahm Versuche mit der Erhitzung von Quecksilberoxid und verzeichnete ebenfalls das Freiwerden von Sauerstoff. Er veröffentlichte seine Ergebnisse 1775 und damit offiziell früher als Scheele. Ähnlich wie Scheele konsultierte Priestley den großen Lavoisier, aber ihm genügte ein Brief nicht, er reiste persönlich nach Paris und diskutierte seine Experimente vor Ort mit dem berühmten Page 36französischen Chemiker. Lavoisier hörte interessiert zu und unternahm sofort seine eigenen Versuche. Er verstand, dass Sauerstoff die Essenz des Feuers war. Die Flammen hatten keine mystische oder »essenzielle« Substanz, wie bis dahin angenommen. Er berechnete, dass die Atmosphäre zu 25 Prozent aus Sauerstoff bestand – beeindruckend nah an dem tatsächlichen Anteil von 21 Prozent. Doch hätte Lavoisier nicht großzügiger gegenüber Priestley sein und dessen Errungenschaften anerkennen sollen, ganz zu schweigen von Scheele, der trotz des Briefes aus dem Jahr 1774 nie erwähnt wird?

Lavoisier behauptete, Scheeles Brief nie erhalten zu haben, obwohl dieser bekannterweise viele Jahre später im Nachlass seiner Frau gefunden wurde.

Die Geschichte erinnert an den Brief, den Alfred Russell Wallace 80 Jahre später an Darwin schrieb, und von dem zunächst auch niemand Kenntnis gehabt haben wollte. In diesem Brief beschrieb Wallace dem weitaus bekannteren Naturwissenschaftler, der zu jenem Zeitpunkt mit dem Endspurt seines Opus Magnum Die Entstehung der Arten beschäftigt war, seine Evolutionstheorie. In diesem Fall wurde Wallace sein Teil der Ehre zuerkannt, aber es bestand auch keinerlei Zweifel daran, dass auch Darwin seit mehreren Jahren Indizien für dieselbe Theorie gesammelt hatte.

Dennoch muss man Lavoisier zugutehalten, dass er unbestritten einer der Größten der Chemie war. Mit beeindruckendem Überblick listete er die Elemente auf, die die Bausteine aller Natur sind, und entdeckte im Gegensatz zu Scheele und Priestley, dass sich beim Ver brennungsprozess tatsächlich Sauerstoff mit Kohlen stoff verband, sodass, wenn CO2 in die Rechnung mit einbezogen wurde, eine Gewichtszunahme bei dem Reak tionsprodukt (dem Verbrannten) zu beobachten war, und keine Abnahme. 1789 – im Jahr der Revolution – veröffentliche Lavoisier sein revolutionäres Chemiebuch. Er war zwar ein Visionär der Page 37Chemie, doch leider nicht der Politik. Er unterstützte das machthabende Regiment, lehnte allerdings das Angebot ab, Finanzminister König Ludwigs des XVI. zu werden. Trotzdem wurde er vom Sog der Revolution mitgerissen und am 5. Mai 1794, wie so viele andere, Opfer der Guillotine. Einer von Lavoisiers Zeitgenossen, der Mathematiker Joseph-Louis Lagrange, wohnte der Hinrichtung bei und bemerkte hinterher lakonisch, es habe nur einen Moment gedauert, seinen Kopf abzuschlagen, doch es werde sicher ein Jahrhundert oder mehr dauern, einen solchen zu erschaffen. Auch Scheele war kein langes Leben vergönnt, er starb im Jahre 1786, gerade einmal 43 Jahre alt, an einer Quecksilbervergiftung und wurde damit ein Opfer seiner eigenen Forschung.

Priestley hingegen musste für seine Unterstützung der Revolution büßen, obwohl er auf der anderen Seite des Kanals lebte. Seine Argumente für Wissenschaft und Rationalität waren für viele starker Tobak, insbesondere weil er Theologe war, und er zog dadurch den Zorn des Bauernstandes auf sich. Als er auch noch seine Unterstützung der Französischen Revolution kundtat, lief das Fass über. Trotz seiner wissenschaftlichen Verdienste musste er 1791 in die USA fliehen, nachdem ein erzürnter Mob seine Kirche und sein Haus in Brand gesetzt hatte. Das Schicksal meinte es nicht gut mit dem Dreigespann, das das CO2 entdeckt hatte.

Zur gleichen Zeit betrat ein weiterer großer Schwede die Bühne der Wissenschaft, Jöns Jacob Berzelius16, der letztlich diesem Buch den Namen gegeben hat. Der Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert war eine Page 38Revolutionsperiode für die Chemie im Allgemeinen und für den Kohlenstoff im Besonderen. Berzelius nun machte den Kohlenstoff zu C. Versehen mit der Atomnummer 12, schuf das C Klarheit in einer babylonischen Verwirrung von verschiedenen muttersprachlichen Bezeichnungen. Wie sein bekannterer Landsmann Carl von Linné einige Jahre zuvor in der Biologie die binäre Nomenklatur für alles Lebendige etabliert hatte (beispielweise Homo sapiens und Rattus norvegicus), arbeitete Berzelius an der Entdeckung weiterer chemischer Elemente und deren Benennung durch einzelne Buchstaben. Wahrscheinlich ließ Berzelius sich bei diesem Strukturierungsprozess von Linné inspirieren. Einige Stoffe mussten zwei Buchstaben bekommen. Da C bereits für Kohlenstoff stand, bekam Calcium zum Beispiel das Kürzel Ca. Berzelius führte auch die Schreibweise für die Atomanzahl in chemischen Bindungen ein. Noch heute schreiben wir H2O, um zu verdeutlichen, dass Wasser zwei Wasserstoffatome enthält (wobei Berzelius zunächst die Schreibweise H2O verwendete).

Eben jener Berzelius schlug auch vor, dass Stoffe in organische und anorganische Stoffe eingeteilt werden sollten. Er zählte fast alle Kohlenstoffverbindungen zu den organischen Stoffen, während Salze, Metalle und Wasser als anorganisch klassifiziert wurden. Die Einteilung in die organische und anorganische Chemie haben wir beibehalten. Die organische Chemie ist dabei im weiteren Sinne auf die Sphäre des Lebendigen bezogen, auch wenn es keine messerscharfe Trennung gibt. Kurz gesagt beschäftigt sich die organische Chemie mit allen Verbindungen, die C und H enthalten, die anorganische mit dem Rest. Berzelius, Robert Boyle, John Dalton und Antoine Lavoisier formen das Quartett, das heute als Begründer der modernen Chemie gilt. Ich persönlich sehe Berzelius auch als Begründer der Stöchiometrie – aber dazu später mehr.

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Nicht nur Berzelius wollte systematisch Ordnung und Übersichtlichkeit schaffen. Der in Russland geborene Chemiker Friedrich Konrad Beilstein begann bereits im Alter von 15 Jahren mit dem Studium der Chemie in Heidelberg.17 Eines seiner ehrgeizigen und – seiner Ansicht nach – durchführbaren Projekte sollte das Auflisten aller Kohlenstoffverbindungen werden. 1881 veröffentlichte er die Erstausgabe eines Werkes, das stolze 2.200 Seiten umfasste. Es beschrieb 1.500 Verbindungen, doch schon vor der Veröffentlichung war ihm klar, dass dieses Werk unzähligen Revisionen unterzogen werden würde.

Die zweite Auflage aus dem Jahre 1886 umfasste drei noch dickere Bände, und als die dritte Auflage im Jahre 1900 in vier überdimensional dicken Wälzern erschien, musste man einsehen, dass das Thema die Möglichkeiten der Druckausgaben überstieg. Auch hier lässt sich wieder eine Parallele zu Carl von Linné ziehen, der der Meinung war, annähernd die komplette Artenvielfalt katalogisiert zu haben, als er Ende des 18. Jahrhunderts beeindruckenden 8.000 Pflanzen und 6.000 Tieren Bezeichnungen zugeordnet hatte. Daraufhin war er zu dem Schluss gekommen, dass sich die gesamte Anzahl der Arten auf diesem Planeten auf 26.500 belaufe. Heute liegen die Schätzungen bei zwischen 2 und 10 Millionen Arten, wobei wir die tatsächliche Anzahl wohl niemals erfahren werden.18 Im Gegensatz zur organischen Chemie, der es Page 40durchaus gelungen ist, Naturstoffe nachzubilden und neue Varianten davon zu entwickeln, haben wir es in der Biologie bisher noch nicht geschafft, ganz neue Arten im Labor zu züchten. Doch das ist nur eine Frage der Zeit. Die ersten synthetischen Bakterien haben bereits das Licht der Welt erblickt, und die größten Visionäre unter uns sind der Meinung, dass wir »bald« den Punkt erreicht haben, an dem die meisten organischen, C-haltigen Produkte aus synthetischen Organismen gewonnen werden und vielleicht sogar unseren Bedarf an Biotreibstoffen decken und das CO2-Problem lösen können. Ich werde später darauf zurückkommen.

Heute wird die Systematisierung der Chemie durch die Beilstein-Datenbank fortgeführt, die größte Datenbank der Welt für organische Chemie. Nach ihr ist die Zeitschrift Beilstein Journal of Organic Chemistry benannt, in der regelmäßig neue Verbindungen und Reaktionen publiziert werden. Geschätzt gibt es per dato ungefähr genauso viele Kohlenstoffverbindungen wie Arten auf unserem Planeten: 10 Millionen. Wir werden hier nicht alle beleuchten. Auch wenn Kohlenstoffatome sich in ihrer eigenen Gesellschaft sehr wohl fühlen und sich mit bis zu 60 anderen Kohlenstoffatomen zusammentun können, ohne ein anderes Element einzuladen, kann man ihnen nicht absprechen, keine Freunde zu haben. Es ist leichter, Verbindungen aufzuzählen, die kein C in sich tragen, als Verbindungen mit C.

10Jan Baptiste (oder Jean-Baptiste oder Johannes Baptist) van Helmont (1580–1644) war einer der ersten Universalgelehrten, der den Weg zur Aufklärung mitebnete (die oft der Zeitspanne von 1650 bis 1800 zugerechnet wird, obwohl es natürlich keinen abrupten Übergang vom »dunklen Mittelalter« zur Aufklärung gibt). Er war selbst Schüler von Paracelsus, einem der großen Alchimisten, die definitiv noch mit einem Fuß im Mittelalter standen, mit dem anderen schon in der Aufklärung. Aber für unsere Geschichte sind seine Beschreibungen von CO2, das er Sylvestergas nannte, am interessantesten, inklusive der Versuche an Pflanzen, auch wenn er einige falsche Ergebnisse aufzeichnete. Für weitere Informationen siehe: Van den Bulck, E. (1999): Johannes Baptist van Helmont. Katholieke Universiteit Leuven.

11Joseph Black (1728–1799) ist einer von vielen, die als Erfinder des CO2 gehandelt werden. Aber wie viele Leute können dieses Gas eigentlich entdeckt haben? Die Wissenschaft ist davon geprägt, dass große Entdeckungen nach und nach gemacht werden und CO2 kann in verschiedenen Präzisions- und Informationsstufen beschrieben werden. Außerdem werden Entdeckungen oft parallel gemacht, besonders früher, als weder das Internet noch andere blitzschnelle Publikationskanäle zur Verfügung standen. Aber Black ist ohne Zweifel einer der Erfinder der »latenten Wärme« (Energie, die beispielsweise in Kohle oder Kohlenwasserstoffen gelagert ist), und seine Ideen sind somit Vorläufer der Thermodynamik. Mehr Information zu Black und anderen großen Helden der Wissenschaft unserer Zeit: Gribbin, J. (2002): Science: A History 1543–2001, Allen Lane, New York.

12Es kann gut sein, dass der Begriff »Universalgenie« in diesem Buch inflationär gebraucht wird, aber wie soll man jemanden wie Joseph Priestley (1773–1804) sonst betiteln? In diesem Rahmen ist es unmöglich, seiner ausschweifenden Biografie gerecht zu werden. Von seinen eigenen Werken wird das folgende Wesentliche hier genannt: Priestley, J. (1772): Directions for Impregnating Water with Fixed Air. Als Vorgeschmack auf seine weitere Arbeit können folgende Werke genannt werden: The Rudiments of English Grammar (1761), A Chart of Biography (1765), Essay on a Course of Liberal Education for Civil and Active Life (1765), The History and Present State of Electricity (1767), Essay on the First Principles of Government (1768). Der Konkurrenzkampf in akademischen Kreisen war früher nicht so stark, doch wenn Priestley kein Universalgenie war, dann weiß ich auch nicht. Es mangelt nicht an Aufzeichnungen über Priestleys Leben – die beste Übersicht findet man jedoch in Collins English Dictionary – Complete & Unabridged 2012 Digital Edition.

13Schweppes ist bis heute voll im Geschäft, wenn auch heutzutage eher bekannt für sein Tonic Water.

14Antoine Lavoisier (1743–1794) ist einer der Gründerväter der Chemie und revolutionierte das Fach im Revolutionsjahr 1789 mit der Veröffentlichung des ersten richtigen Lehrbuchs für Chemie: Traité Élémentaire de Chimie. Eine Übersicht über seine wesentlichen Schriften zu Kohlenstoff und Sauerstoff findet sich in der Essaysammlung: Essays, on the Effects Produced by Various Processes On Atmospheric Air; With A Particular View To An Investigation Of The Constitution Of Acids, trans. Thomas Henry (London: Warrington, 1783). Einfacher ist es jedoch, auf folgende Übersicht über Lavoisier und andere große Namen der Chemie zuzugreifen: Eddy, M. D., Newman, W. R., Mauskopf, S. (2014): Chemical Knowledge in the Early Modern World. University of Chicago Press.

15Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Schweden einige große Namen in der Wissenschaft zu verbuchen haben, besonders in der Zeit zwischen 1700 und 1900, in der Schweden als wissenschaftliche Großmacht galt. Viele von ihnen hatten auch mit Kohlenstoff zu tun, und Carl Wilhelm Scheele (1742–1786) war ohne Zweifel einer der Bedeutendsten. In den Archiven von Lavoisiers Witwe fand man den Brief des Chemikers, der bewies, das Scheele schon vor Priestley und Lavoisier zu wichtigen Erkenntnissen gekommen war. Das belegt auch sein Buch Chemical Treatise on Air and Fire aus dem Jahr 1777. Dies zeigt wiederum nur einen Bruchtteil von dem, woran Scheele gearbeitet hat. Er schrieb Artikel über eine bedeutende Anzahl von Elementen des Periodensystems und stattete auch der organischen Chemie einen Besuch ab. Er schrieb über Fette, Milchzucker, und analysierte die Säure in Rhabarber. Ein weiteres Universalgenie? – Zumindest in der Domäne der Chemie.

16Jöns Jacob Berzelius (1779–1848) gilt zusammen mit Lavoisier als einer der Gründerväter der Chemie als eigenständiger Wissenschaft (wie auch Robert Boyle und John Dalton). Berzelius fügte dem Periodensystem viele neue Elemente hinzu. Des Weiteren trug er mit seiner Forschung massiv zum Verständnis der Verhältnisse zwischen den Elementen bei. Mehr zu Berzelius in: Karolinska Institutet 200 år – 1810–2010.

17Friedrich Konrad Beilstein (1838–1906), geboren in St. Petersburg, mit deutschen Wurzeln. Schüler Liebigs und Begründer des Beilstein Journal of Organic Chemistry.

18Und wieder Carl von Linné. Mit seiner Katalogisierungsarbeit leistete er einen großen Beitrag, aber man muss gestehen, dass er ordentlich daneben lag. Heutzutage lässt sich nicht sagen, wie viele Arten existieren, auch weil der Artenbegriff ein problematischer ist, besonders was einfache und einzellige Organismen betrifft. Nach heutigem Stand sind ungefähr 1,7 Millionen Arten beschrieben. Die totale Anzahl liegt wahrscheinlich bei 8 Millionen oder mehr. Mehr über Carl von Linné und die Anzahl der Arten in: Hessen, D. O. (2000): Carl von Linné. Gyldendal. Mora, C. et al. (2011): How Many Species Are There on Earth and in the Ocean? Plos Biology DOI: 10.1371/journal.pbio.1001127

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