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Selbstmitgefühl und die Fokussierung auf andere

Eine interessante Frage ist, ob Selbstmitgefühl mit Mitgefühl für andere einhergeht oder nicht. Eine offene, freundliche Haltung gegenüber sich selbst zu entwickeln, die die menschliche Verbundenheit anerkennt, sollte es theoretisch erleichtern, anderen gegenüber freundlich, vergebend und empathisch zu sein. Obwohl zu diesem Thema noch mehr Forschung notwendig ist, deuten vorläufige Ergebnisse darauf hin, dass Selbstmitgefühl tatsächlich mit einer mitfühlenden, empathischen Haltung gegenüber anderen verbunden ist, dass es dabei aber abhängig von der Altersgruppe und Lebenserfahrung gewisse Abweichungen gibt.

Eine von Neff und Pommier (2013) durchgeführte Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und der fürsorglichen Haltung gegenüber anderen unter Collegestudentinnen und -studenten, einer älteren Population und Personen, die buddhistische Meditation praktizieren. In allen drei Gruppen war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass selbstmitfühlende Personen bei der Konfrontation mit dem Leiden anderer auch persönlich litten, was bedeutet, dass sie eher in der Lage waren, sich mit dem Leiden anderer zu konfrontieren, ohne davon überwältigt zu werden. Darüber hinaus war Selbstmitgefühl mit einer signifikant höheren Fähigkeit zur Vergebung und Änderung des eigenen Blickwinkels verbunden. Diese Verhaltensweisen setzen voraus, dass man versteht, welches enorme Geflecht von Ursachen und Bedingungen Menschen dazu bringt, so zu handeln, wie sie es tun. Die Fähigkeit, die eigene menschliche Unvollkommenheit und Fehlerhaftigkeit zu vergeben und zu verstehen, scheint sich daher auch auf andere auszudehnen. Der Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Mitgefühl, Empathie, Altruismus gegenüber anderen war in buddhistischen Samples signifikant, aber schwach ausgeprägt. Diese Verbindung ist wahrscheinlich nicht so robust, wie man erwarten könnte, aufgrund der Tatsache, dass die große Mehrheit der Menschen mehr Mitgefühl mit anderen zeigt als mit sich selbst (Knox, Neff und Davidson, 2016), was den Zusammenhang abschwächt. Interessanterweise wurde bei den Studierenden kein Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Mitgefühl, Empathie, Altruismus gegenüber anderen gefunden. Das mag daran liegen, dass junge Erwachsene oft Schwierigkeiten haben, das Gemeinsame an ihren Lebenserfahrungen zu erkennen, und ihr Anderssein überschätzen (Lapsley, FitzGerald, Rice und Jackson, 1989). Ihre Vorstellung davon, warum sie Mitgefühl verdienen und warum andere Mitgefühl verdienen sind deshalb wahrscheinlich nicht so gut integriert. Der Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Mitgefühl für andere war bei den Meditierenden am deutlichsten, was möglicherweise auf Meditationspraktiken wie die Liebevolle-Güte-Meditation zurückzuführen ist, die bewusst auf das Entwickeln von Mitgefühl für sich selbst und andere ausgerichtet sind (Hofmann et al., 2011). Tatsächlich hat sich gezeigt, dass bei Menschen, die die Liebevolle-Güte-Meditation erlernt haben und sie praktizieren, das Mitgefühl sowohl für sich selbst als auch für andere zunimmt (Weibel, 2008). Untersuchungen zum MSC-Programm (siehe Kapitel 4) haben ebenfalls belegt, dass ein Training in Selbstmitgefühl das Mitgefühl für sich selbst und andere steigert (Neff und Germer, 2013). Dies deutet darauf hin, dass, obwohl es möglich ist, Mitgefühl mit anderen zu haben, ohne Mitgefühl mit sich selbst zu haben, eine Zunahme des Selbstmitgefühls tendenziell auch das Mitgefühl mit anderen erhöht.

Andere Untersuchungen weisen darauf hin, dass zunehmendes Selbstmitgefühl altruistisches Verhalten fördern kann. Eine Studie ergab beispielsweise, dass die Steigerung des Selbstmitgefühls durch selbst­affirmierendes Schreiben zu hilfsbereiterem Verhalten führte (beispielsweise das Aufheben von heruntergefallenen Gegenständen als Reaktion auf einen Vorfall, bei dem ein Laborregal »zufällig« zusammenbrach, nachdem der Leiter der Experiments den Raum verlassen hatte; Lindsay und Creswell, 2014). Eine andere Studie belegte, dass Personen mit einem hohen Maß an Selbstmitgefühl eher bereit waren, anderen zu helfen, deren missliche Lage teilweise selbstverschuldet war (Welp und Brown, 2014). Vielleicht ist die Bereitschaft zu helfen bei selbstmitfühlenden Menschen stärker ausgeprägt als die Neigung, zu urteilen oder zu beschuldigen, weil sie Fehler als Teil der gemeinsamen Erfahrung des Menschseins betrachten. Insgesamt deuten diese Forschungsergebnisse darauf hin, dass Selbstmitgefühl dazu beiträgt, Mitgefühl in zwischenmenschlichen Beziehungen wachzurufen.

Selbstmitgefühl für Helfende und Pflegende

Untersuchungen zeigen, dass Selbstmitgefühl eine wichtige Ressource für Betreuungspersonen und Pflegekräfte ist (Raab, 2014). Ein höheres Maß an Selbstmitgefühl wird beispielsweise mit einer geringeren caregiver fatigue (Erschöpfungssyndrom bei Helfenden und Pflegenden) assoziiert (negativen Gefühlen von Stress und Burn-out, die entstehen, wenn man mit dem Schmerz der Patienten in Resonanz geht) und mit mehr compassion satisfaction (positive Gefühle von Befriedigung durch die eigene Arbeit, die sich in einem Energiezuwachs, Glücksempfinden und der Dankbarkeit äußern, etwas Gutes in der Welt tun zu können). Das gilt für Pflegende und therapeutisch arbeitende Personen in unterschiedlichsten Berufsfeldern wie Psychotherapeuten, Krankenschwestern, Betreuer in Kinder- und Jugendheimen, Assistenzärztinnen, Hebammen und Geistliche (Atkinson, Rodman, Thuras, Shiroma und Lim, 2017; Barnard und Curry, 2011; Beaumont, Durkin, Hollins Martin und Carson, 2016a, 2016b; Durkin, Beaumont, Hollins Martin und Carson, 2016; Olson, Kemper und Mahan, 2015; Richardson, Trusty und George, 2018; Ringenbach, 2009). Höhere Selbstmitgefühls-Levels korrelierten mit persönlicher Resilienz bei Ärzten (Trockel, Hamidi, Murphy, de Vries und Bohman, 2017) und mit weniger Schlafstörungen bei Menschen in Pflege- und Gesundheitsberufen selbst nach Berücksichtigung der Stresslevels (Kemper, Mo und Khayat, 2015). Untersuchungen weisen darauf hin, dass auch nichtprofessionelle Pflegende von Selbstmitgefühl profitieren. So wurde Selbstmitgefühl beispielsweise bei Menschen, die sich um einen älteren Demenzkranken kümmern, mit weniger Belastungsgefühlen und besseren Coping-Strategien bei Stress in Verbindung gebracht (Lloyd, Muers, Patterson und Marczak, 2018). Auch eine Studie mit Eltern von autistischen Kindern ergab, dass ein höheres Maß an Selbstmitgefühl mit weniger Stress und Depressionen sowie mehr Lebenszufriedenheit und Hoffnung verbunden war (Neff und Faso, 2014). Selbstmitgefühl war tatsächlich ein stärkerer Prädiktor für die elterliche Bewältigungsfähigkeit als die Schwere der Autismusstörung selbst. Das deutet darauf hin, dass der Umgang der Eltern mit sich selbst bei dieser Herausforderung noch wichtiger ist als das Ausmaß der Belastung durch die herausfordernde Fürsorge für die Kinder.

Glücklicherweise legen Forschungsergebnisse nahe, dass man Betreuungspersonen und Pflegende in Selbstmitgefühl trainieren kann. Eine Studie mit Personen in Gesundheitsberufen ergab, dass Achtsamkeitstraining das Selbstmitgefühl der Teilnehmenden steigern konnte, was wiederum ein Prädiktor für die Verringerung ihres Stressniveaus war (Shapiro, Astin, Bishop und Cordova, 2005). Darüber hinaus reduzierte ein sechswöchiges Online-Selbstmitgefühlstraining bei Therapeuten in der Ausbildung Stresssymptome und verbesserte ihre Fähigkeit zur Emotionsregulation sowie das allgemeine Wohlbefinden (Finlay-Jones et al., 2015). Sich selbst Mitgefühl entgegenzubringen scheint also die emotionalen Ressourcen bereitzustellen, die man braucht, um für andere sorgen zu können.

Andererseits kann die Fürsorge für andere den Betreuenden verstehen helfen, wie sie selbstmitfühlend sein können. Die Forschung legt eine Möglichkeit nahe, wie Menschen lernen, selbstmitfühlend zu sein, indem sie aus der vertrauteren Erfahrung des Sorgens für andere unterstützende innere Dialoge ableiten. In einer vier Studien umfassenden Studienreihe untersuchten Breines und Chen (2013) die Hypothese, dass die Aktivierung von unterstützenden Mustern das Selbstmitgefühl steigern kann. In den ersten beiden Studien riefen sich die Teilnehmenden zunächst ein negatives Ereignis aus der Vergangenheit ins Gedächtnis oder erlebten einen laborbasierten Testfehler. Dann wurden sie nach dem Zufallsprinzip dafür ausgewählt, sich entweder an eine Situation zu erinnern, bei der sie Unterstützung boten, oder an eine, in der sie mit einer anderen Person Spaß hatten. Zum Schluss absolvierten sie einen Test zur Messung ihres Selbstmitgefühls-Levels. Diejenigen, die sich daran erinnerten, jemandem Unterstützung gegeben zu haben, waren auch in höherem Maße selbstmitfühlend. Die beiden anderen ­Experimente untersuchten die Auswirkungen der tatsächlichen Unterstützung einer anderen Person (durch schriftliche Beratung), verglichen mit der Nichtunterstützung oder einfach der Lektüre des Problems einer anderen Person, und stellten fest, dass dies ebenfalls zu einer größeren Fähigkeit zum Selbstmitgefühl führte.

Selbstmitgefühl und frühe Kindheit

Forschungsergebnisse legen den Schluss nahe, dass frühe Kindheitserfahrungen eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von Selbstmitgefühl spielen. So scheint beispielsweise die Bindungsentwicklung mit Selbstmitgefühl in Verbindung zu stehen: Unsichere Bindung wurde mit einem geringeren Maß an Selbstmitgefühl assoziiert als sichere Bindung (zum Beispiel Joeng et al., 2017; Mackintosh, Power, Schwannauer und Chan, 2018; Raque-Bogdan, Ericson, Jackson, Martin und Bryan, 2011; Wie, Liao, Ku und Shaffer, 2011). Obwohl der größte Teil dieser Forschung korreliert, stellte man fest, dass experimentell herbeigeführte Bindungssicherheit (zum Beispiel Personen bitten, einen bestimmten Menschen zu visualisieren, mit dem sie sich wohl und sicher fühlen und an den sie sich bei emotionalen Problemen wenden können) das Selbstmitgefühl stärkt, was auf einen kausalen Zusammenhang hindeutet (Pepping, Davis, O’Donovan und Pal, 2015). Auf ähnliche Weise sind frühe Erinnerungen an Warmherzigkeit und Sicherheit positiv mit Selbstmitgefühl verbunden (Kearney und Hicks, 2016; Marta-Simões, Ferreira und Mendes, 2018), während ablehnendes Verhalten der Eltern, Kritik, Überbehütung und stressige familiäre Beziehungen in negativem Verhältnis zum Selbstmitgefühl stehen (Neff und McGehee, 2010; Pepping, Davis, O’Donovan und Pal, 2015).

Es überrascht nicht, dass emotionaler Missbrauch in der Kindheit mit einem niedrigen Maß an Selbstmitgefühl verbunden ist (Barlow, Turow und Gerhart, 2017) und dass Menschen mit einer traumatischen ­Vergangenheit, die wenig Selbstmitgefühl haben, mehr emotionale Not erfahren und eher dazu neigen, Alkohol zu missbrauchen oder einen ernsthaften Suizidversuch zu unternehmen (Tanaka, Wekerle, Schmuck, Paglia-Boak und das MAP-Forscherteam, 2011). Die Forschung legt nahe, dass mangelndes Selbstmitgefühl ein wichtiger Angriffspunkt ist, über den frühe Traumata spätere Dysfunktion hervorrufen. So wurde beispielsweise festgestellt, dass Selbstmitgefühl eine Rolle beim Zusammenhang zwischen Misshandlungen im Kindesalter und späterer emotionaler Dysregulation (Vettese, Dyer, Li und Wekerle, 2011) sowie PTBS-Symptomen spielt (Barlow, Turow und Gerhart, 2017). Ein ähnlicher Einfluss von Selbstmitgefühl auf die Verbindung zwischen wahrgenommener elterlicher Misshandlung (Missbrauch oder Vernachlässigung) und der Schwere der psychischen Symptome wurde bei Erwachsenen festgestellt, die sich einer Psychotherapie unterzogen (Westphal, Leahy, Pala und Wupperman, 2016). Dies kann darauf hindeuten, dass Menschen mit Trauma-Erfahrungen, die lernen, Mitgefühl mit sich selbst zu haben, möglicherweise auf konstruktivere Weise mit ihrer Vergangenheit umgehen können. Tatsächlich verbessert Selbstmitgefühl die Aussicht auf posttraumatisches Wachstum und Heilung (Wong und Yeung, 2017). Überlebende von Missbrauch und Misshandlung in der Kindheit haben jedoch oft größere Angst vor Selbstmitgefühl (Boykin et al., 2018), was mit »Backdraft« zusammenhängt (wie in MSC definiert; siehe Kapitel 11). Das kann ein erhebliches Hindernis für die Entwicklung dieser inneren Ressource sein.

Selbstmitgefühl in klinischen Populationen

Im Vergleich zu den Selbstmitgefühls-Levels in der allgemeinen Bevölkerung sind die Werte tendenziell niedriger bei Personen, die die Kriterien für psychische Erkrankungen wie bipolare Störung (Døssing et al., 2015), Depressionen (Krieger et al., 2013), generalisierte Angststörung (Hoge et al., 2013), Sozialphobie (Werner et al., 2012), Substanzmissbrauch (Phelps, Paniagua, Willcockson und Potter, 2018) oder Verfolgungswahn (Collett, Pugh, Waite und Freeman, 2016) erfüllen. Die Forschungsergebnisse legen auch nahe, dass ein unterschiedliches Maß an Selbstmitgefühl eine Erklärung für den Grad der psychischen Gesundheit in klinischen Populationen sein kann. Beispielsweise sind höhere Selbstmitgefühls-­Levels mit einer verringerten Symptomatik bei Menschen mit Schizophrenie (Eicher, Davis und Lysaker, 2013), Zwangsstörungen (Wetterneck, Lee, Smith und Hart, 2013) und generalisierter Angst verbunden (Hoge et al., 2013). Selbstmitgefühl ist auch ein Prädiktor für weniger Angst vor negativer Bewertung bei Menschen mit Sozialphobie (Werner et al., 2012) und reduziert Schamgefühle, Grübelei sowie Sexsucht bei Männern, bei denen eine hypersexuelle Störung diagnostiziert wurde (Reid, Temko, Moghaddam und Fong, 2014). Selbstmitgefühl ist mit weniger depressiven Symptomen bei Personen mit unipolarer Depression verbunden, und dieser Zusammenhang wird durch die Fähigkeit erklärt, negative Emotionen zu tolerieren (Diedrich et al., 2016). Darüber hinaus scheint es möglich zu sein, Menschen mit schweren depressiven Störungen Selbstmitgefühl zu lehren. In einer experimentellen Studie induzierten Diedrich und Kollegen (2014) eine depressive Stimmung, indem sie die Teilnehmenden eine Reihe von Aussagen wie »Ich glaube, ich bin ein Verlierer« lesen ließen, während im Hintergrund traurige Musik abgespielt wurde. Anschließend wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre Stimmung zu bewerten. Danach wurden sie entweder einer Wartelistengruppe oder einem von drei verschiedenen Gefühlsregulationssettings zugeordnet, in welchen sie entweder angeleitet wurden, selbstmitfühlend zu sein, ihr Denken kognitiv neu zu bewerten oder ihre Gefühle zu akzeptieren, bevor sie ihre Stimmung erneut einschätzten.

Die Probanden, die zu Beginn ein hohes Maß an Depressivität gezeigt hatten, profitierten mehr im Selbstmitgefühls-Setting als diejenigen in der Wartelistengruppe, der kognitiven Neubewertungsgruppe oder der Akzeptanzgruppe. Interessanterweise ergab eine Studie derselben Forschergruppe (Diedrich, Hofmann, Cuijpers und Berking, 2016), dass Personen mit schweren depressiven Störungen, denen beigebracht wurde, Selbstmitgefühl als vorbereitende Strategie anzuwenden, eine signifikant deutlichere Reduzierung der depressiven Stimmung während der kognitiven Neubewertung erlebten als die Personen der Wartelistengruppe, was darauf hindeutet, dass sich diese Fähigkeiten der Emotionsregulation gegenseitig unterstützen können.

Eine Veränderung Selbstmitgefühls-Niveaus scheint eine Schlüsselrolle bei therapeutischer Intervention zu spielen (Baer, 2010; Galili-Weinstock et al., 2018; Germer und Neff, 2013). Neff, Kirkpatrick und Rude (2007) führten beispielsweise eine Studie durch, bei der sie Veränderungen des Selbstmitgefühls-Levels bei Patienten in Therapie in monatlichen Intervallen verfolgten. Sie wandten eine gestalttherapeutische Zwei-Stuhl-Technik an, die den Klienten und Klientinnen helfen soll, Selbstkritik zu verringern und sich mehr Mitgefühl entgegenzubringen (Greenberg, 1983; Safran, 1998). Die Studienergebnisse zeigten, dass gestiegene Selbstmitgefühls-Levels über den monatelangen Zeitraum (die unter dem Deckmantel einer nicht mit dieser in Bezug stehenden Studie erhoben wurden) mit weniger Depressionen, Selbstkritik, Grübelei, Gedankenunterdrückung und Angst einhergingen. Eine weitere Studie ergab, dass Selbstmitgefühl eine Rolle bei den Therapieerfolgen von Personen zu spielen schien, bei denen Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert worden waren (Schanche, Stiles, McCullough, Svartberg und Nielsen, 2011). Die Ergebnisse zeigten, dass eine Zunahme des Selbstmitgefühls vom Beginn bis zur Endphase der Therapie ein prä- und posttherapeutisch signifikanter Prädiktor für einen Rückgang psychiatrischer Symptome, zwischenmenschlicher Probleme und pathologischer Zustände war.

Eine interessante Frage bezieht sich auf die Richtungsabhängigkeit der Verbindung zwischen Selbstmitgefühl und Psychopathologie im Laufe der Therapie. Eine Studie verwendete Cross-lagged-Zeitanalysen, um die Richtungsabhängigkeit der Verbindung zwischen Selbstmitgefühl und depressiven Episoden bei Patienten in ambulanter Therapie zu untersuchen. Diese Verbindung wurde direkt nach der Therapie sowie sechs und zwölf Monate später bewertet (Krieger, Berger und Holtforth, 2016). Es wurde festgestellt, dass die Zunahme der SCS-Scores ein Prädiktor für eine spätere Verringerung der depressiven Symptome war, dass aber depressive Symptome nachfolgende Selbstmitgefühls-Levels nicht vorhersagten, was auf eine kausale Rolle des Selbstmitgefühls bei der Verringerung von Depressionen hindeutet. In ähnlicher Weise wurde wissenschaftlich untersucht, ob Selbstmitgefühl den Veränderungsprozess in der Therapie bei Patienten mit der Diagnose PTBS beeinflusst (Hoffart, ­Øktedalen und Langkaas, 2015). Die Selbstmitgefühlswerte wurden im Laufe einer zehnwöchigen Behandlung wöchentlich erhoben, und es wurde festgestellt, dass Veränderungen im Selbstmitgefühl ein Prädiktor für PTBS-Symptome waren (wobei ein Zuwachs an Selbstmitgefühl verringerte Symptome prognostizierte), während das Gegenteil nicht zutraf. Dies deutet darauf hin, dass Selbstmitgefühl ein wichtiger kausaler Faktor der therapeutischen Veränderung sein kann.

Die Neurophysiologie des Selbstmitgefühls

Selbstmitgefühl scheint das körperliche und emotionale Wohlbefinden zu fördern. So berichten Patienten mit höheren Selbstmitgefühlswerten seltener von Gesundheitsproblemen wie Bauchschmerzen, Hautausschlägen, Ohrenschmerzen oder Atembeschwerden (Dunne, Sheffield und Chilcot, 2018; Hall, Row, Wuensch und Godley, 2013). Höhere Werte auf der Selbstmitgefühlsskala wurden bei Personen mit der Autoimmunerkrankung Sklerodermie mit einem niedrigeren Übererregbarkeits-Level assoziiert, der im Zusammenhang mit einer Immunfunktionsstörung angesichts stressiger Ereignisse steht (Kearney und Hicks, 2016), sowie bei Frauen mit der Diagnose Brustkrebs (Kearney und Hicks, 2017). Diese letztgenannte Studie ergab außerdem, dass Selbstmitgefühl mit einem höheren Alter bei Ausbruch des Krebses korrelierte, was die Autoren vermuten lässt, dass dies auf eine verbesserte Immunfunktion bei selbstmitfühlenden Personen zurückzuführen ist. Tatsächlich fanden die Forscher bestätigt, dass eine Intervention, bei der Selbstmitgefühl vermittelt wird, die Immunfunktion verbesserte (anhand der gemessenen Werte des Immunglobulins A [IgA]).

Immer mehr Forschungsergebnisse legen nahe, dass Selbstmitgefühl auf das autonome Nervensystem einwirkt, wobei Selbstmitgefühl zu einer stärkeren Aktivierung des Beruhigungssystems und einer geringeren Aktivierung des Bedrohungssystems führt (Kirschner et al., 2019), wie von Gilbert (2009) dargelegt. Anders ausgedrückt: Selbstmitgefühl scheint die Reaktion des Bedrohungssystems auf Stress zu reduzieren, indem es die Aktivität des sympathischen Nervensystems unterdrückt und die parasympathische Aktivität durch die Stimulation des Vagusnervs erhöht (Porges, 2003). So baten beispielsweise Rockliff, Gilbert, McEwan, ­Lightman und Glover (2008) die Teilnehmenden, sich vorzustellen, Mitgefühl zu empfangen und es in ihrem Körper zu spüren, und stellten fest, dass dadurch der Cortisolspiegel im Speichel (ein Indikator für die Aktivität des sympathischen Nervensystems) sank und sich die Herzfrequenzvariabilität erhöhte (ein Indikator für die Aktivität des parasympathischen Nervensystems, die mit flexiblem Reagieren und der Fähigkeit, sich bei Stress selbst zu beruhigen, verbunden ist; Porges, 2007).

Laut einer weiteren Studie (Herriot, Wrosch und Gouin, 2018) war ein höheres Maß an Selbstmitgefühl mit niedrigeren Cortisolwerten am Tag bei älteren Erwachsenen verbunden, die zuvor von intensiveren Gefühlen der Reue, körperlichen Problemen oder funktionellen Störungen berichtet hatten. Höhere Selbstmitgefühls-Levels werden mit einer größeren vagusvermittelten Herzfrequenzvariabilität assoziiert (Svendsen et al., 2016), auch als Reaktion auf experimentell induzierten Stress (Luo, Quiao und Che, 2018). Eine Studie, bei der die Teilnehmenden gebeten wurden, an ein kürzliches Ereignis zu denken, bei dem sie sich geschämt hatten oder von sich enttäuscht waren, und dann selbstmitfühlend mit sich zu sprechen, während sie in einen Spiegel schauten, kam zu dem Ergebnis, dass Selbstmitgefühl eine Zunahme positiver, beruhigender Gefühle bewirkte sowie die Herzfrequenzvariabilität erhöhte (Petrocchi, Ottaviani und Couyoumdjian, 2016). Höhere Selbstmitgefühlswerte wurden mit einer geringeren Erregung des Sympathikus als Reaktion auf einen standardisierten laborbasierten Stressor (den Trier Social Stress Test [TSST]) assoziiert, was durch Erhebung des Alpha-Amylase-Werts im Speichel (Breines et al., 2015) und des Interleukin-6-Werts (Breines, Thoma et al., 2014) gemessen wurde. Ähnlich wirkte sich auch ein kurzes Training in Selbstmitgefühlsmeditation aus: Es führte zu einer Verringerung des Alpha-Amylase-Werts im Speichel und von subjektiven Angstreaktionen auf Stress, während die Herzfrequenzvariabilität im Vergleich mit Kontrollbedingungen stabilisiert wurde (Arch et al., 2014).

Es gibt vorläufige neurologische Evidenz für den Zusammenhang zwischen psychischem Wohlbefinden und Selbstmitgefühl. Parrish und Kollegen (2018) führten eine Studie mit funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) durch und fanden eine negative Korrelation zwischen der Konnektivität des ventromedialen-präfrontalen Cortex (vmPFC) und der Amygdala und allgemeinem Selbstmitgefühl. Es wird angenommen, dass der vmPFC direkt in die bedrohungsbezogene Aktivität in der Amyg­dala eingreift, sodass die Konnektivität zwischen vmPFC und Amygdala ein Mechanismus sein könnte, durch den Selbstmitgefühl vor Stress und negativen Emotionen schützt. In einer weiteren fMRT-Studie stellten Pires und Kollegen (2018) fest, dass weibliche Führungskräfte, die mehr Selbstmitgefühl hatten, auf verstörende emotionale Bilder mit einer stärkeren Aktivierung des Precuneus (einer Hirnregion, die mit Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion assoziiert wird) reagierten und gleichzeitig weniger gestresst und deprimiert waren. Dies deutet darauf hin, dass Selbstmitgefühl es Individuen ermöglichen kann, negativen Emotionen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, ohne von ihnen überwältigt zu werden.

Schließlich stellte eine Studie von Friis und Kollegen (2015) fest, dass Selbstmitgefühl die negativen Auswirkungen von ­diabetesbedingten ­Leiden auf den Hämoglobin-A1C-Test (HbA1C, ein Test zur Messung des durchschnittlichen Blutzuckerspiegels) abmilderte, sodass die Beschwerden bei Individuen mit einem höheren Maß an Selbstmitgefühl nicht zu höheren HbA1C-Werten führten. Dieselben Forscher führten auch eine randomisierte kontrollierte Studie des MSC-Programms für Patienten mit Diabetes durch (Friis et al., 2016) und fanden heraus, dass diejenigen, die am MSC-Programm teilnahmen, im Vergleich mit einer Warteliste-Kontrollgruppe sowohl weniger diabetesbezogene Beschwerden als auch geringere HbA1C-Werte hatten und dass diese Verbesserungen noch drei Monate später anhielten (siehe Kapitel 4). Das ist die Magie des Selbstmitgefühls: Indem wir in schwierigen Zeiten unterstützender mit uns selbst umgehen, lindern wir unser Leiden und steigern unser körperliches und psychisches Wohlbefinden.

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