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Für wen ist dieses Buch gedacht?

Wir haben dieses Buch über MSC für Fachleute geschrieben, die daran interessiert sind, Selbstmitgefühl für psychisches Wohlbefinden zu praktizieren und zu lehren. Die meisten Leserinnen und Leser werden Selbstmitgefühl wahrscheinlich in ihre beruflichen Aktivitäten in Bereichen wie Psychotherapie, Medizin, Wirtschaft und Bildung einbringen wollen. Andere sind bereits ausgebildete MSC-Lehrer und Lehrerinnen oder wollen solche werden und möchten die theoretischen, empirischen und pädagogischen Grundlagen von MSC genauer erforschen. Manche werden in erster Linie ein wissenschaftliches Interesse an Selbstmitgefühl haben (Professoren, Wissenschaftler), und andere interessieren sich aus rein persönlichen Gründen für Selbstmitgefühl. Dieses Buch wurde geschrieben, um all diese Bemühungen zu unterstützen.

Wenn es Ihr Ziel ist, das achtwöchige MSC-Programm zu lehren, müssen Sie auf jeden Fall zuerst das formelle MSC-Lehrertraining absolvieren, bevor Sie mit dem Unterrichten beginnen können. Informationen darüber, wie Sie MSC-Lehrer oder -Lehrerin werden können, finden Sie unter: www.arbor-seminare.de/msc-teacher-training.

Ein formelles Lehrertraining ist notwendig, denn wie MSC gelehrt wird, ist genauso wichtig, wie was gelehrt wird, und die in diesem Buch enthaltenen Informationen über die Didaktik von MSC müssen durch die Arbeit mit qualifizierten Ausbilderinnen und Ausbildern innerhalb einer Community von Lehrenden vertieft werden. Darüber hinaus spielt die persönliche Praxis eine Rolle, wenn man anderen die Essenz der Achtsamkeit und des Selbstmitgefühls vermitteln will. Deshalb hoffen wir, dass dieses Buch Ihnen zu einem tieferen Verständnis von Selbstmitgefühl verhilft, Sie dazu inspiriert, Selbstmitgefühl für sich selbst zu praktizieren und, wenn es sich für Sie richtig anfühlt, mit Kolleginnen und Kollegen in Verbindung zu treten, die an Selbstmitgefühl interessiert sind und dieses Geschenk gern mit anderen teilen möchten.

Teil I



Selbstmitgefühl: Theorie, Forschung, Training

Vor langer Zeit lernte ich: Das Weiseste, was ich tun kann, ist, auf meiner Seite zu sein.

Maya Angelou (zitiert in Anderson, 2012)

Die meisten Menschen würden wohl behaupten, dass sie bis zu einem gewissen Grad verstehen, was Selbstmitgefühl bedeutet. Schließlich ist Mitgefühl mit anderen ein zentrales Prinzip der meisten Weltreligionen, das in der goldenen Regel »Alles, was ihr wollt, das euch die Menschen tun, das tut auch ihnen« verankert ist (Mt 7:12; siehe auch Armstrong, 2010). Selbstmitgefühl impliziert einfach das umgekehrte Prinzip, nämlich zu lernen, mit uns selbst so umzugehen, wie wir vielleicht spontan mit anderen umgehen würden, wenn sie leiden, scheitern oder sich unzulänglich fühlen. Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Was passiert, wenn wir die Augen schließen und darauf achten, uns selbst Freundlichkeit und Mitgefühl entgegenzubringen? Normalerweise werden uns die ungeliebten Anteile unserer selbst bewusst – und auch die alten Wunden, die in den Tiefen unseres Herzens und Geistes verborgen waren. Es erfordert ein spezielles Training, um Licht an diese dunklen Orte bringen und lange genug dort verweilen zu können, um das, was wir vorfinden, zu transformieren.

Die folgenden vier Kapitel sind dem Versuch gewidmet, das Selbstmitgefühlstraining in einen Kontext zu stellen. Es ist gut, eine Landkarte zu haben, bevor wir uns auf dieses Terrain begeben.

In Kapitel 1 erfahren Sie etwas über die Beziehung zwischen Achtsamkeit und Mitgefühl sowie über einige praktische Unterschiede zwischen dem Mindful-Self-Compassion-(MSC-)Programm und anderen empirisch unterstützten achtsamkeitsbasierten Trainingsprogrammen.

Kapitel 2 definiert die Grundidee des Selbstmitgefühls, vergleicht Selbstmitgefühl mit dem Mitgefühl für andere, vertieft die Diskussion über die Beziehung zwischen Achtsamkeit und Selbstmitgefühl, beleuchtet die Yin- und Yang-Aspekte des Selbstmitgefühls und weist auf Unterschiede zwischen Selbstwertgefühl und Selbstmitgefühl hin. In Kapitel 2 werden auch häufige Bedenken gegenüber dem Selbstmitgefühl aufgedeckt.

Kapitel 3 bietet einen umfassenden Überblick über die Forschungsliteratur zum Thema Selbstmitgefühl, die darauf hinweist, dass die meisten Bedenken im Hinblick auf Selbstmitgefühl unbegründet sind. Diskutiert werden Forschungsergebnisse in den Kategorien emotionales Wohlbefinden, Gesundheit, Alltagsbewältigung, Körperbild, Beziehungen, Pflege, Populationen in klinischen Studien, Neurophysiologie und weiteren.

Kapitel 4 konzentriert sich schließlich auf die Wissenschaft des Selbstmitgefühlstrainings. Es beleuchtet die Forschungsergebnisse hinsichtlich des MSC-Programms sowie anderer Mitgefühlstrainingsprogramme, die die Vorteile und positiven Wirkungen von mitgefühlsbasierten Interventionen stützen.

Wir, die Mitentwickler des MSC-Programms, sind sowohl Praktizierende als auch Sozialwissenschaftlerinnen. Wir glauben, dass die positiven Auswirkungen von mehr Selbstmitgefühl so alt sind wie die ­menschliche Natur und dass das Erlernen von Selbstmitgefühl keine bestimmten Glaubensvorstellungen voraussetzt. Unser Verständnis beruht auf persönlicher Erfahrung und wird durch Forschungsergebnisse gestützt. Das Wissen um die starke empirische Basis von Selbstmitgefühl hat den Vorteil, dass es die persönliche Praxis inspirieren und durch Zuversicht stärken kann. Die Forschung liefert Hinweise darauf, wie und für wen Selbstmitgefühl am besten funktioniert, bietet Einblicke in die grundlegenden Wirkmechanismen des Selbstmitgefühls und weist auf neue Trainingsinitiativen hin.

Letztendlich ist es jedoch die Erfahrung des Selbstmitgefühls – die direkte Wahrnehmung dessen, was geschieht, wenn wir mit uns selbst warmherzig und unterstützend umgehen –, die es uns ermöglicht, unseren Weg mit Zuversicht und Leichtigkeit zu gehen.

1

Eine Einführung in Achtsames Selbstmitgefühl

Möge Freundlichkeit in deinem Blick sein, wenn du nach innen schaust.

John O’Donohue (2008)

Das Leben ist für uns alle schwierig. Wenn wir unser Erleben in jedem beliebigen Moment genauer betrachten, stellen wir fest, dass wir vom Augenblick des Aufwachens am Morgen (»Oh, ich bin spät dran!«) bis zum Einschlafen am Abend (»Das hätte ich wirklich noch tun sollen …«) mehr oder weniger unter Stress stehen. Das ist uns normalerweise nicht bewusst. Spüren Sie beispielsweise in diesem Moment ein körperliches Unbehagen? Machen Sie sich über irgendetwas Sorgen? Sind Sie hungrig? Und sollten Sie nicht endlich Ihr E-Mail-Postfach »aufräumen«, bevor Sie anfangen, ein neues Buch zu lesen? Paradoxerweise kann das bewusste Wahrnehmen und Annehmen unserer kleinen und großen Herausforderungen unser Leben wesentlich bereichern. Das ist Achtsamkeit. Und uns selbst inmitten unserer Schwierigkeiten liebevoll und ­fürsorglich zu umarmen kann unser Leben noch mehr bereichern.Zusammen sind sie eine Ressource, die wir »Achtsames Selbstmitgefühl« nennen.

Achtsamkeit und Mitgefühl

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hatte die Erforschung der positiven Effekte der Achtsamkeit Hochkonjunktur. Achtsamkeit wurde grob definiert als »ein Gewahrsein, das entsteht, wenn man der eigenen Erfahrung im gegenwärtigen Moment unvoreingenommen, so wie sie sich von einem Augenblick zum nächsten entfaltet, bewusst Aufmerksamkeit schenkt« (Kabat-Zinn, 2003). Achtsamkeit fördert das geistige und körperliche Wohlbefinden auf vielfältige Weise und bildet somit die Grundlage für ein Leben, in dem wir weise und mitfühlend handeln. Das Gegenteil von Achtsamkeit ist jener Zustand, in dem wir uns im Autopilot-Modus befinden, Tagträumen über die Vergangenheit und Zukunft nachhängen und kaum dessen gewahr sind, was in uns oder um uns herum passiert. Geistiges Abschweifen, obgleich natürliche Veranlagung unseres Gehirns, kann uns an dunkle Orte des Bedauerns und der Sorge führen, aus denen wir uns vielleicht erst nach Tagen, Wochen oder Monaten wieder befreien können.

Bei unseren gegenwärtigen Definitionen von Achtsamkeit gibt es die Tendenz, Aufmerksamkeit und bewusste Wahrnehmung über die Qualitäten des achtsamen Gewahrseins wie Akzeptanz, liebevolle Güte und Mitgefühl zu stellen. Das ist bedauerlich, und unsere Sprache trägt sicherlich zu dieser einseitigen Sichtweise der Achtsamkeit bei. So ist beispielsweise das Wort »Achtsamkeit« eine Übersetzung des alten Pali-Wortes sati, das sich auf Gewahrsein bezieht, und es wird mit dem Pali-Wort citta assoziiert, das wörtlich »Herz-Geist« bedeutet. Wir haben kein Wort für »Geist« oder »Gewahrsein«, das gleichzeitig die mentalen und emotionalen Aspekte des achtsamen Gewahrseins einschließt.

Um die Dinge noch ein bisschen komplizierter zu machen: Wenn jemand sagt: »Ich praktiziere Achtsamkeitsmeditation«, bezieht er oder sie sich wahrscheinlich auf einen oder mehrere der drei folgenden Arten von Meditation: 1) fokussierte Aufmerksamkeit, 2) offenes Gewahrsein oder 3) liebevolle Güte und Mitgefühl (Salzberg, 2011b). Fokussierte Aufmerksamkeit (oder Konzentration) ist eine Praxis, bei der man mit der Aufmerksamkeit immer wieder zu einem bestimmten Objekt zurückkehrt, beispielsweise zum Atem. Konzentration hilft, den Geist zu beruhigen. Offenes Gewahrsein (oder ungerichtete [wahlfreie] Aufmerksamkeit) bedeutet, dass wir den Dingen Aufmerksamkeit schenken, die in unserem Bewusstseinsfeld Augenblick für Augenblick in den Vordergrund treten und am lebendigsten sind. Offenes Gewahrsein verhilft Praktizierenden zu einem erweiterten Bewusstsein und einem Verständnis der Natur des Geistes. Liebevolle-Güte- und Mitgefühls-Meditation helfen, sich selbst und anderen gegenüber jene Qualitäten der Warmherzigkeit und des Wohlwollens zu entwickeln, die unerlässlich für die Akzeptanz und Transformation schwieriger innerer Zustände sind.

Die Achtsamkeitsforschung hat sich größtenteils auf die Praxis der fokussierten Aufmerksamkeit und auf offenes Gewahrsein konzentriert. Seit einigen Jahren wird aber auch zunehmend über Liebevolle-Güte- und Mitgefühlsmeditation geforscht (Hofmann, Grossman und ­Hinton, 2011). Neurologische Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass alle drei Meditationsformen sich überschneidende, aber dennoch unterscheidbare Gehirnmuster erzeugen (Brewer et al., 2011; Desbordes et al., 2012; Lee et al., 2012; Leung et al., 2013; Lutz, Slagter, Dunne und Davidson, 2008). Für die Zwecke dieses Buches ist es am einfachsten, achtsames Gewahrsein, das die Herzqualitäten einschließt, als liebevolles Gewahrsein oder mitfühlendes Gewahrsein zu beschreiben.

Im Zustand vollständiger Achtsamkeit – wenn wir uns inmitten der vollen Bandbreite unserer Gedanken, Gefühle und Empfindungen innerlich ruhig und wach fühlen – ist unser Gewahrsein von einer Haltung der liebevollen Güte und des Mitgefühls durchdrungen. Volle ­Achtsamkeit fühlt sich an wie die Liebe selbst. Leider ist unsere Achtsamkeit selten vollständig, sondern den Umständen entsprechend mit Angst, Anspannung, Sehnsucht oder Verwirrung gemischt. Das ist besonders dann der Fall, wenn die Dinge in unserem Leben schwierig werden – wenn wir leiden, scheitern oder uns unzulänglich fühlen. Nicht nur, dass unser Gewahrsein durch unsere Stimmungen gefärbt wird, auch unsere Selbstwahrnehmung wird dann oft »in Geiselhaft genommen«, und wir verstricken uns in Selbstkritik und Selbstzweifeln. Das kann von »Ich fühle mich schlecht«, über »Ich mag dieses Gefühl nicht«, »Ich will dieses Gefühl nicht«, »Ich sollte dieses Gefühl nicht haben«, »Mit mir stimmt etwas nicht« bis hin zu »Ich bin schlecht!« gehen. Im Handumdrehen wird also aus »Ich fühle mich schlecht« »Ich bin schlecht«. Hier ist Selbstmitgefühl gefragt. Manchmal müssen wir zunächst uns selbst – den Erfahrenden – trösten und beruhigen, bevor wir auf achtsamere Weise mit unserer Erfahrung umgehen können.

Selbstmitgefühl kann als das Herz der Achtsamkeit betrachtet werden, wenn wir persönlichem Leiden begegnen. Achtsamkeit lädt uns ein, uns dem Leiden im weiten Gewahrsein zu öffnen. Selbstmitgefühl sagt: »Sei freundlich zu dir mitten im Leiden.« Achtsamkeit fragt: »Was erlebe ich?« Selbstmitgefühl fügt hinzu: »Was brauche ich?« Gemeinsam führen Achtsamkeit und Selbstmitgefühl in einen Zustand warmherziger, akzeptierender Präsenz in schwierigen Momenten unseres Lebens. Sie sind wie beste Freunde.

Die Forschung zeigt, dass Selbstmitgefühl mit psychischem Wohlbefinden verbunden ist, das heißt, psychopathologische Zustände (wie Besorgtheit, Depressionen und Stress) nehmen ab, während positive innere Zustände (wie Glücksempfinden, Optimismus und Lebenszufriedenheit) zunehmen (Barnard und Curry, 2011; MacBeth und Gumley, 2012; Neff, Long et al., 2018; Zessin, Dickhauser und Garbade, 2015). Selbstmitgefühl wird auch mit Motivationssteigerung, gesunden Verhaltensweisen, verbesserter Immunfunktion, einem positiven Körperbild und erhöhter Resilienz assoziiert (Allen und Leary, 2010; Braun, Park und Gorin, 2016; Breines und Chen, 2012; Friis, Johnson, Cutfield und Consedine, 2016; Terry und Leary, 2011) sowie mit einer Zunahme an fürsorglichem und mitfühlendem Beziehungsverhalten (Neff und ­Beretvas, 2013; Yarnell und Neff, 2013). Mit anderen Worten: Selbstmitgefühl hat viele Vorteile und ist es wert, kultiviert zu werden (siehe Kapitel 3).

Mindful Self-Compassion (MSC)

Das Mindful-Self-Compassion-(MSC-)Programm war das erste Trainingsprogramm, das für ein breites Publikum speziell zur Kultivierung von Selbstmitgefühl entwickelt wurde. Achtsamkeitsbasierte Trainingsprogramme wie Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR, Kabat-Zinn, 1990) und Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT, Segal, ­Williams und Teasdale, 2013) fördern ebenfalls das Selbstmitgefühl (siehe Kapitel 4), aber sie tun dies implizit, es ist dabei sozusagen willkommenes Nebenprodukt. Wir fragten uns: »Was würde passieren, wenn die Fähigkeit zum Selbstmitgefühl explizit als Hauptschwerpunkt des Trainings gelehrt würde?«

MSC ist lose an das MBSR-Programm angelehnt, und zwar sowohl durch seinen Fokus auf erfahrungsbasiertem und introspektivem Lehren als auch durch seine Struktur (acht wöchentliche Sitzungen zu je zwei Stunden plus ein Retreat-Tag). Einige Hauptpraktiken von MBSR wurden für MSC modifiziert, indem die Qualität des Gewahrseins – nämlich Warmherzigkeit, und Freundlichkeit – in diesen Übungen hervorgehoben wird. Die meisten MSC-Praktiken wurden speziell entwickelt, um Mitgefühl und Selbstmitgefühl zu kultivieren.

Die akkurate Bezeichnung für MSC wäre also »Achtsamkeitsbasiertes Selbstmitgefühlstraining«. Es ist eine Verbindung aus Achtsamkeit und Mitgefühl mit dem Fokus auf Selbstmitgefühl. Achtsamkeit ist das Fundament des Selbstmitgefühls, denn wenn wir leiden, müssen wir dies achtsam wahrnehmen (keine geringe Leistung!), um mitfühlend darauf antworten zu können. Obwohl Achtsamkeit bereits Teil des Selbstmitgefühls ist, haben wir dieses Programm »Achtsames Selbstmitgefühl« (»Mindful Self-Compassion«) genannt, um die Schlüsselrolle der Achtsamkeit im Selbstmitgefühlstraining hervorzuheben. Weitere Informationen zur Integration von Achtsamkeit in MSC finden Sie in Kapitel 11 (Sitzung 2).

MSC wurde für die breite Öffentlichkeit entwickelt. Es wirkt therapeutisch, aber es ist keine Psychotherapie. Der Schwerpunkt von MSC liegt auf dem Aufbauen der Ressourcen der Achtsamkeit und des Selbstmitgefühls. Im Gegensatz dazu fokussiert sich die Psychotherapie mehr auf das Heilen alter Verletzungen. Da MSC ein strukturiertes Schulungsprogramm ist, das über einen begrenzten Zeitraum stattfindet, können wir uns dabei nicht auf die Einzelheiten des Lebens einer jeden Person fokussieren, wie wir es in einer Einzel- oder Gruppentherapie tun könnten. Dennoch berichten viele MSC-Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer, dass MSC einen tiefgreifenden Einfluss auf ihr psychisches Wohlbefinden hat – insbesondere durch die Heilung alter Wunden. Der therapeutische Effekt von MSC kann als Nebenprodukt der Entwicklung der Ressourcen der Achtsamkeit und des Selbstmitgefühls betrachtet werden (siehe Teil IV über die Beziehung zwischen Selbstmitgefühl und Psychotherapie).

Das MSC-Curriculum

Das vollständige MSC-Curriculum wird in Teil III des Buches vorgestellt. MSC soll die Teilnehmenden von einem konzeptionellen, theoretischen Verständnis von Achtsamkeit und Selbstmitgefühl zu einer gefühlten Erfahrung dieser Konzepte hinführen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben, um Achtsamkeit und Selbstmitgefühl im Alltag entwickeln und zur Gewohnheit machen zu können. Die Sitzungen wurden sorgfältig so konzipiert, dass sie aufeinander aufbauen. Jede Sitzung umfasst einen kurzen didaktischen Teil, gefolgt von Übungen, die den Teilnehmenden das Thema fühlbar vermitteln. Darauf folgt eine Exploration der direkten Erfahrungen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen.

Die Bedürfnisse der Teilnehmenden sind in der Regel sehr unterschiedlich. Deshalb ermutigen wir sie, bei der Auswahl der Übungen zu experimentieren, diese an ihre persönlichen Bedürfnisse anzupassen und so zu ihrem eigenen Lehrer, ihrer eigenen Lehrerin zu werden. MSC-Lehrende bemühen sich, eine sichere Atmosphäre zu schaffen, in der die Erfahrungen, welche die Teilnehmenden mit den Praktiken machen, geschätzt und gewürdigt werden.

Die Lehrenden werden darin bestärkt, ihren eigenen Stil zu entwickeln, sich das Programm beim Lehren zu eigen zu machen. Die Botschaft lautet aber: »Entwickle deinen eigenen Stil, nicht dein eigenes Curriculum.« Das ist besonders in der Anfangsphase des Lehrens wichtig, weil die strukturelle Integrität des Programms erst offensichtlich wird, wenn man es mehrmals unterrichtet hat. Es gibt im Curriculum einen gewissen Spielraum für kleinere Änderungen, beispielsweise was man bei der Präsentation von Konzepten für unterschiedliche Gruppen hervorhebt, aber die Lehrenden sollten keine neuen Hauptpraktiken entwickeln und den Programminhalt maximal um 15 Prozent modifizieren, wenn sie es noch MSC nennen wollen. Und um es noch einmal zu betonen: Niemand sollte MSC ohne formelles MSC-Lehrertraining unterrichten.

Das effizienteste Werkzeug eines MSC-Lehrenden ist die Verkörperung Achtsamen Mitgefühls. Es heißt doch: »Die Leute wollen wissen, was du weißt, wenn sie wissen, dass es dir am Herzen liegt.« Wenn Sie einmal einen Moment an die Lehrerinnen und Lehrer zurückdenken, die den größten Einfluss auf Ihr Leben hatten, dann waren das wahrscheinlich diejenigen, die angesichts der Herausforderungen, denen Sie beim Lernprozess begegnet sind, mitfühlend waren und wussten, wie sie Ihnen hindurchhelfen konnten. Daher ist der effizienteste Weg, um Selbstmitgefühl zu lehren, mitfühlend zu sein.

Von MSC-Lehrenden wird erwartet, dass sie selbst kontinuierlich etwa 30 Minuten täglich Achtsamkeit und Selbstmitgefühl praktizieren, insbesondere während eines Kurses (und zwar besonders die Praktiken, die jede Woche gelehrt werden). Durch die persönliche Praxis bleiben den Lehrenden die mit dem Erlernen von Achtsamkeit und Selbstmitgefühl verbundenen Herausforderungen präsent. Und sie verleiht ihren Worten Autorität und Kraft. MSC ist eine Vermittlung von Herz zu Herz, das durch die emotionale Resonanz zwischen Lehrenden und Kursteilnehmenden geschieht. Diese werden in der Gegenwart von Lehrenden, die Achtsamkeit und Selbstmitgefühl verkörpern, viele Qualitäten wahrnehmen – Respekt, Demut, Selbstgewahrsein, Zärtlichkeit –, die ihre individuelle Praxis unterstützen.

Zu MSC gehört eine bestimmte Form der Interaktion mit Gruppenmitgliedern, die als »Inquiry« bezeichnet wird und denjenigen Lesern und Leserinnen, die bereits an einem Lehrertraining teilgenommen haben, vertraut sein dürfte. Es ist dies eine Interaktion zwischen dem Selbst und dem oder der anderen, die dem Schüler oder der Schülerin eine achtsame oder mitfühlende Interaktion mit sich selbst spiegelt. Sie folgt in der Regel auf eine individuelle Übung oder eine Gruppenübung und beginnt mit Fragen wie »Was hast du wahrgenommen?« und »Was hast du gefühlt?«. Die Lehrenden helfen, die direkte Erfahrung der Gruppenmitglieder durch freundliches, urteilsfreies Befragen zu beleuchten. Wenn eine Erfahrung schwer zu ertragen ist, wird dem Gruppenmitglied aufgezeigt, wie man Achtsamkeit und Mitgefühl in diese spezielle Erfahrung einfließen lassen kann. Eine Lehrerin könnte beispielsweise fragen: »Kannst du ein bisschen Freundlichkeit in diese Erfahrung hineinbringen?« Vielleicht auch: »Was würdest du deiner Meinung nach jetzt brauchen?« Oder: »Was könntest du einem Freund sagen, der sich so fühlt, wie du jetzt?« Bei MSC wird eine eigene, charakteristische Form des Fragens angewandt, die der Schlüssel zum Lehren des Programms ist. Deshalb ist die Hälfte der Sitzungen beim MSC-Lehrertraining dem Einüben der Kunst der Inquiry gewidmet. Auf nahezu jede in Teil III dieses Buches beschriebene Meditation, informelle oder formelle Übung, folgen Beispiele eines solchen Inquiry-Prozesses.

Andere MSC-Unterrichtsmodalitäten schließen didaktische Themen, geführte Mediationen, das Anleiten von Gruppenübungen und das Lesen von Gedichten ein. Alle diese Aspekte des Lehrens haben einen gemeinsamen Nenner – das Lehren von innen heraus. Zum Beispiel sollten didaktische Themen in der eigenen, authentischen Sprache des Lehrenden vermittelt werden, und Lehrende sollten auf ihre eigenen Anweisungen vertrauen, wenn sie Meditationen anleiten. Es fällt ihnen leichter, den richtigen Ton in Gruppenübungen zu finden, wenn sie fühlen, dass ihre Worte von innen kommen. Gedichte können ebenfalls subtile Bewusstseinszustände vermitteln, wenn Lehrende zulassen, dass die Worte sie innerlich berühren.

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9783867813242
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