Читать книгу: «Doch das Hamsterrad dreht sich weiter», страница 3

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Sven hatte die Trennung von seinem Vater schwer verkraftet. Er rief ihn immer wieder an, bis er schließlich von Volker zu hören bekam, dass es so nun auch nicht geht. Das Kind reagierte mit Asthmaanfällen und diese natürlich meistens nachts. Also saß ich oft nächtelang an seinem Bett, erzählte spannende Geschichten, um ihn abzulenken. Morgens um sechs rappelte dann der Wecker, ich war todmüde und meist noch völlig durcheinander. Es dauerte eine Weile, ehe ich einen klaren Kopf bekam.

Nachdem das über mehrere Wochen so lief, spürte ich doch, dass meine Kräfte langsam nachließen.

Die Wochenenden, an denen Volker die Kinder für ein paar Stunden zu sich holte, musste ich nutzen, um mich auszuruhen und etwas zu schlafen, auch wenn dabei einige Arbeit im Haushalt liegen blieb. Es war nicht anders zu schaffen.

Zu allem Übel schlich eines Tages auch noch ein Spanner ums Haus und das ein bis zweimal in der Woche. Ich war schon im Bett, schlief aber noch nicht. Die Uhr zeigte kurz vor Mitternacht, als ich plötzlich auf unserer Terrasse Schritte hörte, dann ein Rumpeln. Ich wagte mich nicht zu rühren. So mutig war ich nicht, um nachzusehen, wer oder was sich da draußen herumtrieb. Bewegungslos lag ich im Bett. Dann hörte ich wieder Schritte. Schließlich war es ruhig, nur ich brauchte jetzt eine lange Zeit, um zu entspannen und endlich einzuschlafen. Am nächsten Morgen, als ich aus dem Fenster schaute, sah ich, dass jemand einen unserer schweren Gartensessel an das Schlafzimmerfenster geschoben hatte. Wahrscheinlich wollte der Spanner auf diese Weise durch die Rolloschlitze ins Zimmer hinein schauen. Da es dunkel war, gab es für ihn wohl nicht genug zu sehen, denn bei seinem nächsten Besuch klingelte er an der Haustüre. Voller Schreck wurde ich wach, machte das Licht an und ging in den Flur. „Wer ist da?“ rief ich hinaus. Keine Antwort. Ich machte die Außenleuchte an, schob die Sicherheitskette vor und öffnete die Türe einen Spalt breit aber niemand war zu sehen. Vielleicht hatte ich nur geträumt, dachte ich mir und ging wieder ins Bett. Nachdem ich das Licht gelöscht hatte, hörte ich auf der Terrasse laute Schritte. Nun war mir klar, es handelte sich um meinen nächtlicher Besucher. Wie oft noch, wie lange soll das so gehen! Am nächsten Morgen stand der Gartensessel wieder vor dem Schlafzimmerfenster. Diesmal hatte der Spanner dafür gesorgt, dass ich Licht anmachte. So war es auch beim nächsten Mal. Danach verbrachte ich die Nächte bei Melanie im Zimmer. Ihr Fenster zeigte nach vorne zur Straße hinaus. Ich ließ die Rollos nicht ganz herunter, so konnte ich durch die Schlitze nach draußen sehen. Dann legte ich mich auf den Fußboden, auf den ich mir eine dicke Decke gerichtet hatte, damit es nicht allzu hart war und wartete. Schlafen konnte ich sowieso nicht. Plötzlich ging die Türklingel. Ich sprang sofort auf und lief zum Fenster. Ein dunkler Schatten huschte vorbei und ums Haus herum. Ich erkannte nur einen Mann mit Gummistiefeln und Parker, konnte aber sein Gesicht leider nicht sehen. Nach der Figur hatte ich eine Vermutung, beweisen konnte ich jedoch nichts.

Der erste Schnee war gefallen und man sah am nächsten Tag im Garten deutlich die Fußspuren. Jetzt rief ich die Polizei an, schilderte den Fall und bat um Hilfe. „Da können wir nicht viel machen,“ meinten die Herren. „Hören Sie, ich wohne mit den Kindern alleine im Haus, habe einige schlaflose Nächte hinter mir und kann jetzt nicht mehr.“ „Schaffen Sie sich doch einen Hund an;“ war die weise Antwort. „Würden Sie eine Hund halten wollen, wenn Sie den ganzen Tag außer Haus sind,“ gab ich zurück. „Sie können doch wenigstens mal einige Tage Streife bei mir fahren, vielleicht hält das den Mann davon ab, weiter ums Haus zu schleichen.“ Dazu war die Polizei dann auch bereit. So hatte ich einige Nächte Ruhe, bis sich eines Nachts die Geräusche draußen wiederholten.

Damals kannte ich Werner schon. Bei einem gemeinsamen Besuch bei Freunden erzählte ich dann von den nächtlichen Unruhen. Unser Freund wollte sich gleich mit einer Eisenstange hinter meine Haustüre setzen, beim Klingeln die Türe aufreißen und die Stange über den Kopf des Spanners fallen lassen. So brutal durfte es natürlich nicht zugehen. Dabei wäre ohnehin nur er der Dumme gewesen. Werner blieb daraufhin eine Nacht bei mir und als der Typ sich draußen wieder bemerkbar machte, sprang er gleich auf und rannte raus. Die dunkle Gestalt verschwand mit rasenden Schritten durch die Weinberge und von dem Tag an hatte ich endlich Ruhe.

Es sollte noch ein paar Jahre dauern, bis Werner zu mir ins Haus zog. Seine Kinder waren beide noch in der Ausbildung und er wollte in jedem Fall solange warten, bis sie selbstständig waren und eine eigene Wohnung beziehen konnten. Erst dann kam eine Trennung von seiner Frau und die Kündigung seines angemieteten Hauses infrage.

Meine Mutter stand plötzlich im Zimmer. So in Gedanken versunken hatte ich sie gar nicht die Treppe heraufgekommen hören. „Wollt Ihr zum Tee ein Stück Kuchen?“ fragte sie. „Oh nein, vielen Dank, wir haben ja noch die ganzen Weihnachtskekse. Aber komm doch rauf und iss Deinen Kuchen bei uns.“

Langsam fing es draußen an dämmerig zu werden. Sven kam aus seinem Zimmer und meinte: „Ich werde jetzt anfangen, die Fonduesaucen zu richten.“ Das war eine Aufgabe, die er liebend gerne erfüllte. Er probierte jedes Mal etwas Neues aus und wir freuten uns alle, wenn es wieder wunderbar schmeckte. Das einzige, was ich dazu beitragen musste, war das Kosten der Saucen, ehe er die fertige Leckerei in die dafür vorgesehenen Schälchen füllte. So beschäftigte er sich eine knappe Stunde in der Küche, kam zwischendurch mal heraus mit einem Löffelchen voll neu kreierter Sauce zum probieren und verschwand nach meinem Lob wieder an seine Arbeit. „Fertig, jetzt seid ihr dran,“ damit verschwand er in sein Zimmer. Melanie und ich betraten vorsichtig die Küche. Aus früheren Zeiten wussten wir, was auf uns zukam. Und so war es denn auch. Die Küche glich einem Schlachtfeld. Alles stand durcheinander. Aber zu zweit hatten wir das schnell im Griff, schließlich hinterlässt ein guter Koch, wie mein Sohn, seine Spuren. Dann richteten wir noch die Beilagen, wie Gurken, Tomaten, Maiskölbchen und schnitten das Fleisch in Stückchen.

Inzwischen war es schon fast achtzehn Uhr und die Kinder erwarteten ungeduldig die Bescherung. Wie jedes Jahr gingen sie ins Bad und machten sich zurecht, während ich die Geschenke unter den Weihnachtsbaum platzierte. Als sie noch kleiner waren, saßen sie während der Zeit immer gemeinsam in der Badewanne.

Jetzt suchten sie das Bad nacheinander auf und warteten dann in Melanies Zimmer. Wir baten die Oma zu uns zu kommen und gingen dann nach oben in den ersten Stock. Dort hatte Sven seine Bleibe und dort stand auch das Klavier.

Er spielte Bach, Beethoven und Mozart. Ich ließ die kleine Nachtmusik durch meine Ohren klingen und vor lauter Rührung kullerten mir ein paar Tränen die Wangen herunter. Dann sangen wir noch gemeinsam ein Weihnachtslied, auch Oma beteiligte sich eifrig mit ihrer schon leicht zittrigen Stimme, ehe ich ins Wohnzimmer ging und die Kerzen an unserem Baum anzündete. Ich füllte zwei Gläser mit Sekt, für meine Mutter und für mich, ein Glas mit Cola für Sven und eines mit Orangensaft für Melanie. „Fertig!“ rief ich nach oben, dort saß Sven immer noch am Klavier und spielte. Die Kinder kamen, beladen mit Päckchen, die Treppe herunter und meine Mutter erschien aus ihrer Wohnung und trug ebenfalls Weihnachtsgeschenke auf dem Arm. Die Präsente wurden erst einmal abgelegt, wir tranken gemeinsam auf ein schönes Fest und wünschten uns friedliche, besinnliche Weihnachtstage.

Die Kinder durften natürlich ihre Päckchen zuerst auspacken. Sven fiel mir um den Hals, er hatte den gewünschten Computer bekommen. Meine Mutter und ich hatten zusammengelegt,

um ihm diesen Wunsch erfüllen zu können. Von seiner Schwester bekam er ein neues Notenheft. Melanie träumte von einem Photoapparat, den sie auch bekam und über den sie sich entsprechend riesig freute. Dann wurde ich beschenkt. Eine Schreibfeder aus Glas mit Tintenfass dazu, eine super Idee von meinem Sohn, und eine Marionettenpuppe zum selber basteln von Melanie. Ich hatte schon einige solcher Puppen gesammelt, aber die meisten hatte Melanie angefertigt, meine Zeit war zu knapp. „Ich helfe Dir dabei, aber das machen wir zusammen noch an Weihnachten,“ sagte sie. Meine Mutter schenkte mir praktischerweise einen neuen Pullover und die dazu passende Jacke, beides hatte ich in einem kleinen Modegeschäft in der Nähe gesehen. Die Inhaberin kannte meine Größe und wusste, dass mir die Kleidung in jedem Falle passen würde. In meinem Beruf brauchte ich ständig neue Garderobe, einige Kunden achteten sogar sehr darauf und machten entsprechende Bemerkungen, wenn ich zum Beispiel ein Kostüm das zweite Mal anhatte. Das passierte mir durchaus in den ersten zwei Arbeitsjahren, denn ich hatte nicht genug Geld für großes Outfit. Später trug ich nur noch unauffällige gedeckte Kleidung, die fiel weniger auf und es reichte eine neue Bluse oder ein Tuch, um Abwechslung hinein zu bringen. Jetzt war ich aber sehr glücklich über das Geschenk meiner Mutter. Die Kinder überreichten meiner Mutter Wolle, sie strickte doch so gerne und von mir bekam sie einen Brotbäcker. „Jetzt kannst Du für die Familie das Brot selber backen. Das ist gesünder und schmeckt besser.“

Nach der ganzen Aufregung meinte Sven:“ Wie wäre es mit dem Abendessen. Ich habe ordentlich Hunger und freue mich aufs Fondue und auf meine Saucen.“

Nachdem es am Heiligen Abend durch das ausgedehnte köstliche Essen recht spät geworden war, kroch ich am ersten Weihnachtstag erst gegen acht Uhr aus dem Bett. Auf das morgendliche Ritual - Zähne putzen, Rückengymnastik, Duschen - wurde auch an so einem Feiertag nicht verzichtet. Dann richtete ich mir ein Frühstück, aber schon kurze Zeit später kam Melanie und gesellte sich dazu. „Wir gehen heute Nachmittag zu Volker und bleiben bis nach dem Abendessen bei ihm. Für uns muss deshalb heute Mittag nicht gekocht werden, das wird dann zuviel des Guten,“ bemerkte sie. „In Ordnung,“ gab ich zurück. Für mich alleine würde ich auch nichts richten. Außerdem hatte ich am Vorabend ausgiebig gespeist. Bei meiner Mutter war der Weihnachtsbraten schon vorbereitet, aber sie aß ohnehin immer recht früh, um anschließend ihr Mittagsschläfchen zu halten. Da wollte ich in keinem Falle mitessen.

Wir plauderten noch ein wenig über unseren bevorstehenden Urlaub als endlich auch Sven aus dem Bett aufstand. Er wollte nichts frühstücken, setzte sich dazu und meinte: „Hoffentlich haben wir im Sauerland ein bisschen Schnee. Ich würde gerne das Ski fahren probieren.“ Die Aussichten waren leider nicht so toll, dennoch bestätigte ich seine Aussage. Man kann ja nie wissen. Melanie wollte Reiten, Pferde waren laut Prospekt vorhanden und konnten bei fast jedem Wetter geritten werden. Wir hatten eine kleine Wohnung in einem Ferienpark gemietet. Selbstversorger, damit es nicht zu teuer wird, aber einem Hotel angeschlossen, das Animation und einiges an Sport und Spiel anbot. Auch gab es eine Tennishalle und eine Sauna, auf die ich mich freute. Oma wollte nur Spaziergänge machen und uns gerne bekochen. „Das macht mir nichts aus, da bin ich beschäftigt wenn Ihr Eurem Sport nachgeht.“ Wir nahmen sie gerne mit.

Abends wollten wir in jedem Falle alle zusammen sein.

Die Kinder richteten noch am Vormittag alle Dinge, die sie für die Fahrt mitnehmen wollten, ich erledigte das Packen am Nachmittag in aller Ruhe. Es war ja nur eine Woche, da brauchte man nicht sehr viel. Ein wenig Angst hatte ich vor der Autofahrt im Winter. Mit vier Stunden konnte ich sicher rechnen, wobei ich lange Fahrten eigentlich gewohnt war, denn es gab einige Arbeitstage, da hatte ich eine Anfahrt von fast zwei Stunden, ehe ich beim ersten Kunden eintraf und abends nach der Arbeit ging es den gleichen Weg wieder zurück. Aber dieses Mal saß die Familie mit im Wagen und ich hatte die Verantwortung, außerdem war ich abgearbeitet und urlaubsreif. Schnell verdrängte ich den Gedanken, schließlich freute ich mich auch darauf, mal nichts arbeiten zu müssen und hauptsächlich das zu tun, was mir Spaß machte.

Nach einem gemütlichen Frühstück fuhren wir am nächsten Tag gegen elf Uhr Richtung Sauerland. Die Fahrt verlief besser, als ich zu hoffen gewagt hatte. Durchschnittlicher Straßenverkehr, kein Schnee, kein Glatteis, unseren Nachmittagstee konnten wir daher schon in der Ferienwohnung einnehmen. Nachdem Melanie ihre Sachen ausgepackt hatte, war sie gleich verschwunden. Sie wollte sich erst einmal umsehen und erkunden, was in dem Hotel so alles angeboten wurde, Sven saß inzwischen vor dem Fernsehgerät. Nach etwa einer Stunde kam meine Tochter zurück und hatte das Animationsprogramm der kommenden Woche in der Hand. „Der Animateur ist Spitze, ein ganz lustiger Typ. Ich hab’ eine Tischtennispartie mitgespielt. Um halb sechs gibt es ein Quiz im Bistro, da möchte ich gerne mitmachen. Geht Ihr auch mit? Und heute Abend nach dem Abendessen wird eine Fackelwanderung gemacht, mit Überraschung, das wird bestimmt toll.“ Sie verstand es wieder einmal, alle zu begeistern. Natürlich wanderte die Familie mit und es war wirklich ein lustiger Spaß.

„Heute Nacht gibt es Schnee,“ versprach der Animateur. „Vielleicht kann man morgen schon Skilaufen.“

Es schneite tatsächlich in der Nacht, aber mit dem Skilaufen musste Sven noch einen Tag länger warten, denn die Schneemenge reichte nicht aus.

Melanie sorgte dafür, dass Sven sich bis dahin nicht langweilte. Sie nahm ihn mit zum Schwimmen, Kegeln und Tischtennisspielen.

Abends machten wir gemeinsam eine Kutschenfahrt und Melanie meldete sich gleich für den nächsten Tag zum Ausritt an.

Am Sylvesternachmittag saß ich in der Sauna und genoss die Wärme.

So in Gedanken versunken, fiel mir der erste Sylvesterabend ein, den ich alleine zuhause verbracht hatte. Volker war inzwischen eine Weile aus dem Haus und hatte über den Jahreswechsel Zimmer auf einem Bauernhof in Südtirol gebucht. Dorthin nahm er neben seiner jungen Freundin auch unsere beiden Kinder mit. Am Nachmittag war ich noch mit allerlei Dinge im Haus und für die Firma beschäftigt, als es dann auf den Abend zuging, wurde ich immer unruhiger. Zunächst versuchte ich, mich vom Fernsehprogramm unterhalten zu lassen, aber ich konnte die Ausgelassenheit und überschwängliche Freude der Leute auf dem Bildschirm nicht ertragen, sie machten mir meine Einsamkeit nur noch deutlicher. Ich schaltete das Gerät aus und legte eine CD auf, die sonst entspannende Musik wühlte mich nur noch mehr auf. Langsam wurden meine Augen feucht, die ersten Tropfen kullerten die Wangen hinunter. Auf dem Teppich kauernd, hatte ich meine Hände verschränkt vor den Bauch gelegt und wiegte meinen Oberkörper hin und her. Erbarmungslos liefen die Tränen. Plötzlich fing mein ganzer Körper an zu zittern, ein Auflehnen dagegen war ohne Erfolg. Ich presste meinen Rücken gegen das Ledersofa, an das ich mich angelehnt hatte und umklammerte mit den Armen meine Knie, so wollte ich mich selbst bändigen, aber es funktionierte nicht. Ich schluchzte und weinte und kam mir so elend und verlassen vor. Langsam kam der Körper etwas zur Ruhe. Auf allen Vieren kroch ich auf den Wohnzimmerschrank zu, zog mich daran hoch, öffnete das Barfach und holte eine Flasche Cognac heraus. Sie musste schon seit ewigen Zeiten dort stehen. Getränke wie diese, ebenso Schnaps und Whisky waren nicht mein Thema. Wenn ich mal einen Schluck Alkohol trank, war es ein Glas Wein oder Sekt oder nach einer sportlichen Aktivität, ebenso nach einem Saunabesuch, trank ich auch gerne ein Glas Bier.

Die Flasche war angebrochen, ich fischte nach einem Cognacglas und schüttete einen großen

Schluck der braunen Flüssigkeit dort hinein. Während ich das Glas in der Hand schwenkte, roch ich dran und schüttelte mich. Schrecklich! Aber es musste sein. Ich schüttete alles auf einmal herunter und spürte die Wärme im Magen. Mit Flasche und Glas schwankte ich zurück auf meinen Teppichplatz, stellte beides auf den Tisch und kauerte mich wieder hin. Kurze Zeit später überkam mich der nächste Tränenanfall. Bloß nicht wieder Zittern! Sofort goss ich eine neue Portion des scharfen Getränkes ins Glas und trank es auch gleich leer. Jetzt war es schon erträglicher. Eine gewisse Übelkeit stellte sich ein, die Tränen flossen leise die Wangen herunter, ich jammerte vor mich hin. Hin und her wiegend hätte ich am liebsten meinen Kopf auf die Tischplatte vor mir geknallt, um so in eine Bewusstlosigkeit zu gelangen, aber statt dessen trank ich den nächsten Schluck. Die Übelkeit verschlimmerte sich, ich legte mich der Länge nach auf den Teppich und schlief bald ein.

Irgendwann hörte ich ein Klingeln, Klopfen und Rufen. Es dauerte eine Weile, bis ich es richtig wahrnehmen konnte. Mühsam stand ich auf, schleppte mich durchs Wohnzimmer, durch den Flur zur Haustür, schob den Sicherheitsriegel vor und rief: „Wer ist da?“ „Ich, Werner,“ kam die Antwort. „Seit fast zwanzig Minuten klingele und klopfe ich jetzt schon. Eben wollte ich die Polizei rufen, damit sie mir die Türe aufbricht. Es hätte ja ein Unfall passiert sein können.“ Schwerfällig öffnete ich die Tür. „Wie spät ist es denn?“ „Gleich ein Uhr, das neue Jahr hat begonnen und ich wollte Dir alles gute Wünschen.“ Er half mir, zurück ins Wohnzimmer zu laufen. Dort legte ich mich gleich wieder hin.

Ein Blick auf die Flasche und ihm war alles klar. „Du hast getrunken. Ich hätte Dich heute nicht alleine lassen dürfen. So stark, wie Du immer tust, bist Du halt doch nicht.“ Er setzte sich neben mich und legte meinen Kopf auf seine Oberschenkel. „Aber Du konntest natürlich Deine Frau nicht alleine lassen,“ sagte sich sarkastisch. „Bitte! Sie ist kein Thema mehr für mich und interessiert mich nicht mehr. Aber die Kinder waren zuhause und da konnte ich nicht fort. Jetzt sind sie beide selbst noch zu Freunden gegangen und da beschloss ich, gleich hierher zu fahren. Wie gut.“ Er beugte sich über mich und gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Ein gutes Neues Jahr.“ Nickend erwiderte ich: „Dir auch. Ich sollte jetzt ins Bett, mir geht es gar nicht gut.“ Er half mir bis vor die Badezimmertüre. Kurze Zeit später warf ich meine Kleider ab und kroch ins warme Bett. Gegen zehn Uhr morgens wurde ich wach. Werner lag neben mir. Ich hatte es gar nicht bemerkt. Ich schlich mich vorsichtig aus dem Bett und ging unter die Dusche. Jetzt ging es mir wieder besser. In der Küche richtete ich ein Frühstück und nahm ein Aspirin.

Warum hatte ich mich bloß so kindisch verhalten.

Diesmal feierte ich mit meinen Kindern und meiner Mutter in diesem schönen Hotel. Außerdem gab es eine Menge Leute, mit denen wir gemeinsam über das Buffet herfallen würden. Um Mitternacht konnten wir dann alle zusammen das zu erwartende Feuerwerk betrachten.

Ich freute mich darauf.

Am Neujahrsmorgen wurde mir bewusst, wie schnell die Urlaubstage vergangen waren und dass wir am nächsten Tag schon wieder nach Hause fahren mussten. Der Gedanke an Zuhause erschreckte mich dabei nicht, wir wohnten sehr schön und ruhig, aber die dann auf mich zukommende Arbeit machte mich unruhig. Was würde die Gesundheitsreform bringen?

Daheim hatte ich noch zwei Tage frei, die ich nutzte, um die sich angehäufte Post durchzuarbeiten, das Auto mit Arbeitsmaterial und Mustern zu beladen und die Arbeitstour der kommenden Woche vorzubereiten.

Als am ersten Arbeitstag im neuen Jahr der Wecker mich um sechs Uhr aus meinem Schlaf riss, war ich zunächst ganz durcheinander und brauchte einen Moment, um richtig wach zu werden. Ich hatte mich in der Nacht unruhig hin und her gedreht und war erst gegen Morgen eingeschlafen. So war der Wecker jetzt besonders unangenehm. Nach meinem üblichen morgendlichen Ritual und dem Frühstück ging es dann aber besser.

Kurz nach acht stand ich in der ersten Arztpraxis. „Es dauert nicht lange,“ versicherte mir die Helferin. Tatsächlich wurde ich bereits zehn Minuten später ins Sprechzimmer geführt.

„Einen schönen guten Morgen und ein gesundes und glückliches neues Jahr,“ begrüßte ich den Arzt. „Das wünsche ich Ihnen auch,“ erhielt ich zur Antwort. „Es hat ja schon schlimm genug angefangen.“ Ich schaute ihn fragend an. Er kramte in seiner Schreibtischschublade und zeigte mir ein Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung. Ich überflog es kurz und sah den dick gedruckten Betrag von zwanzigtausend Mark. Der Brief sagte aus, dass die Verordnung von Medikamenten in Rheinland-Pfalz überdurchschnittlich hoch liege und entsprechend gespart werden sollte. Auf ihn persönlich bezogen bedeutete das, wenn er weiterhin in gleichem Maße Rezepte ausstellte, würde er am Ende mit zwanzigtausend Mark zu Kasse gebeten. In dem Augenblick, als ich den Brief las, kam seine Helferin herein und legte ihm ein Rezept vor.

„Da muss es noch etwas Preiswerteres geben.“ Der Arzt nahm die Rote Liste und blätterte darin herum. „Ich habe schon alles durchgeschaut, aber nichts gefunden,“ meinte die Helferin. Er wollte sich selbst überzeugen und suchte weiter. „Hier, die Packung der Firma Sparsam ist drei Pfennig billiger. Bitte ändern Sie das Rezept.“

Irgendwie habe ich ihn wohl sehr überrascht angesehen. „Es kann nicht meine Sache sein, die Medikamente für meine Patienten zu bezahlen,“ machte er mir klar. „Bei mir gibt es nur noch das Billigste. Für Sie tut es mir leid, Ihre Produkte sind zwar gut, aber zu hoch im Preis, da kann ich nichts mehr verordnen.“ „Zum Glück haben Sie ja eine Menge Privatpatienten,“ erwiderte ich. „Da gibt es keine Einschränkungen.“ „An die werde ich mich auch halten. Die Kassenpatienten können von mir gerne ein Privatrezept bekommen, aber das werden die wenigsten einlösen. Wenn die Leute erst einmal sehen, was die Medikamente kosten, ist die Krankheit plötzlich gar nicht mehr so schlimm.“ „Haben Sie keine Angst, dass dadurch der Heilungsprozess hinaus geschoben wird, oder die Krankheit sich auch noch verschlimmert. Vielleicht macht es sogar eine Krankenhauseinweisung notwendig. Dann hat die Krankenkasse nichts gespart, im Gegenteil.“ „Das ist mir völlig egal. Die Krankenhäuser haben ein eigenes Budget, da wird nicht gekürzt, die können weiter Geld ausgeben. Aber ich zahle nicht.“ „Ich lasse Ihnen ein paar Muster da, für die Patienten, die sich die Ware nicht kaufen können,“ damit legte ich zwei Packungen unseres Antiphlogistikum und ein Antiallergikum auf den Tisch. „Die Allergietropfen können Sie mir da lassen für den Notfall und davon dürfen Sie mir auch noch ein paar Ampullen zuschicken. Das andere nehmen Sie bitte wieder mit. Ich gebe es nicht aus, dann kommen die Patienten und wollen es wieder verordnet bekommen und ich habe keine Lust, mit den Leuten zu diskutieren.“

Hier saß eine dicke Wut im Bauch, da war mit Vernunft nichts zu machen. Wir wechselten noch ein paar Worte, dann verabschiedete ich mich.

Wenn das heute so weiterging!

Nachdem ich die Parkuhr nachgefüttert hatte, marschierte ich in die nächste Praxis. Der Chef stand gerade am Empfang und redete auf eine Patientin ein. „Einen schönen guten Morgen und alles Gute zum neuen Jahr.“ Ich legte ein Pfund Kaffee auf den Tresen, wusste ich doch, dass die Damen gerne Kaffee tranken. Mit der Bemerkung „Wenn jeder Pharmareferent Sekt zum neuen Jahr mitbringt, können Sie ab elf Uhr morgens nicht mehr vernünftig arbeiten, deshalb habe ich lieber Kaffee dabei“ lächelte ich zum Arzt herüber. Er lächelte freundlich zurück. „Gehen Sie schon Mal nach hinten, ich komme gleich.“ Nach hinten bedeutete in den Aufenthaltsraum. Dort war eine kleine Küchenzeile und eine gemütliche Sitzecke. Na ja, dachte ich mir, mit ihm wird es wohl besser laufen. Die Praxis war voll wie immer, dennoch wartete ich nur knappe zwanzig Minuten. „Wie geht es Ihnen, haben Sie Ihren ersten Frust schon hinter sich?“ Der Arzt schüttete sich und mir eine Tasse Kaffee ein. Ich wagte nicht zu sagen, dass ich als Teetrinker den Kaffee nicht vertrage und mein Magen mich den ganzen Tag daran erinnern würde, nickte und nahm das Getränk an. „Sie haben ja sicher von den Kollegen schon gehört, was uns unsere Standesvertretung beschert hat.“ Ich nickte wieder. Nur erst einmal reden lassen. „Ich bin mit achtzigtausend Mark dabei. Wobei ich ehrlich zugeben muss, dass ich bei den Verordnungen manchmal wirklich etwas großzügig war, in sofern ist es gut, wenn man sein Verhalten mal überdenkt. Viele Rezepte sind über meine Mädchen gelaufen, jetzt sehe ich mir jede einzelne Verordnung genau an. Zum Teil werde ich auch von den Originalpräparaten auf Generika umsteigen müssen, so diese auch ordentlich dokumentiert sind.“ „Na das hört sich ja schon Mal gut an,“ bemerkte ich. „Denn jetzt nur noch immer das Billigste zu verordnen, würde Ihre bisherige Therapie gewaltig infrage stellen. Außerdem, was machen Ihre Kollegen beim nächsten Rundschreiben der KV , wenn es nichts Preiswerteres mehr gibt, Händchen auflegen?“ Er grinste. „Wenn ich mir die Summen so ansehe, mit denen die KV in ihrem Schreiben droht, macht es den Eindruck, als stände unser Bundesland für ganz Deutschland gerade. Da stimmt doch die Berechnung nicht. Da will doch jemand Panik machen.“ „Vielleicht muss man etwas lauter bimmeln, damit man auch gehört wird. Aber, um auf Ihre Produkte zu kommen, was Sie ja wohl besonders interessiert, so bin ich natürlich gezwungen, auch daran zu sparen.

Venenmittel werde ich nur noch dann einsetzen, wenn ich den Patienten eine Kompression nicht zumuten kann. Im Übrigen können die Leute auch mal Wasseranwendungen und Venengymnastik machen.“ Sofort bot ich ihm unsere entsprechenden Patientenbroschüren an, froh jemanden getroffen zu haben, der wenigstens noch etwas verordnet. „Wenn ich am Ende noch ein paar tausend Mark zahlen muss, ist es nicht so schlimm, denn ich habe keine Schulden mehr, wie die jungen Kollegen, aber achtzigtausend sind mir auch zuviel.“

„Wir haben wirklich genug Wirksamkeitsbeweise für unser Venenmittel. Wenn Sie da mal Schwierigkeiten haben, melden Sie sich bei mir.“ „Ich bin überzeugt von der Wirksamkeit, sonst hätte ich es nicht so oft verordnet. Meine Frau nimmt es auch und schwört darauf. Doch der Krankenkasse ist es völlig egal. Es tut mir leid für Sie, aber ich werde Ihre Produkte nicht ganz vergessen. Sie haben ja auch noch ein gutes Antiallergikum.“ Eine seiner Helferinnen betrat den Raum und meinte: „Wir sollten vielleicht weitermachen, das Wartezimmer wird immer voller.“ Ich schaute auf die Uhr. „Oh je, vor lauter, lauter haben wir gar nicht auf die Zeit geachtet.“ Damit erhob ich mich, legte meine Musterempfangsbestätigung zur Unterschrift auf den Tisch und packte die gewünschten Muster aus. Die Helferin gab mir noch den notwendigen Arztstempel. „Das ist eine zeitaufwendige Diskussion mit den Patienten jetzt, wir werden gar nicht mehr fertig.“ „Es wird eine Weile dauern, dann haben die Leute es begriffen. Also ärgern Sie sich nicht, Ihrem Chef gefällt die Sache auch nicht.“

Als ich zurück ans Auto kam, war die Parkuhr inzwischen abgelaufen, aber ein Strafzettel war zum Glück noch nicht an der Windschutzscheibe.

Der nächste Arzt war ein Kinderarzt. Ob er auch einen Brief erhalten hatte? Er hatte! Zwar war der Betrag nicht so hoch, aber die Fachgruppe verfügte ohnehin schon immer über ein recht niedriges Budget. Auch hier war die Stimmung in der Praxis entsprechend.

Genauso verhielt es sich beim nächsten Allgemeinmediziner. Dieser zeigte, als er mich hereinkommen sah, sofort auf ein gerahmtes Schreiben, das auffällig in der Anmeldung aushing. Mit einen Blick hatte ich die Summe gesehen, fünfunddreißigtausend. Auch hier bestand für Argumente keine Chance. Der Schreck saß tief, hatte er doch erst neu gebaut und entsprechende Schulden. Außerdem munkelte man, dass er eine Eigentumswohnung für seine Freundin bezahlen musste. Das war ihm zuzutrauen.

Langsam fragte ich mich, warum ich an diesem Tag überhaupt das Haus verlassen hatte. Aber die Arbeit sollte in den folgenden Tagen nicht besser laufen. Der Ärger der Ärzte wurde bei mir abgeladen, ich war verständnisvoller Zuhörer, Umsätze kamen bei den Gesprächen nicht zustande.

Am Ende der Woche rief ich in der Firmenzentrale an und verlangte den Produktmanager für unser Venenmittel. Ich schilderte ihm die Situation, wie sie sich mir vor Ort darstellte. „Beruhigen Sie sich,“ bekam ich zur Antwort. „Bei uns im Haus ist die Hölle los. Die Chefetage läuft im Dreieck und weiß nicht, wie sie den Umsatzrückgang erklären soll. Die Tagesumsätze sind katastrophal, es herrscht absolute Panikstimmung. Vielleicht hatten Sie mit Ihrer Aussage bei der Weihnachtstagung doch nicht so ganz unrecht.“ Darauf antwortete ich besser nicht.

Auch in den nächsten Wochen bestanden die Besuche nicht aus Informationsgesprächen sondern mehr daraus, dass man die Wut über die Mahnschreiben der KV an mir ausließ.

In einzelnen Gebieten wirkte sich die Angelegenheit zum Teil unterschiedlich aus. Einmal gab es Absprachen zwischen den Ärzten. So fand ich im Wartezimmer Mitteilungen für die Patienten, in denen aufgeführt war, welche Präparate ab sofort von allen Ärzten im Ort nicht mehr auf Kassenrezept verordnet würden, unter anderem Mittel gegen Erkältungssymptome, Venenmittel, Rheumasalben und einiges mehr. Auch unsere Firma war betroffen. Alle Ärzte hatten das Schreiben mit Stempel und Unterschrift versehen. Dagegen gab es Gebiete, in denen man in der Anmeldung ein Schild vorfand mit der Aufschrift - Bei mir bekommen Sie alle für Sie notwendigen Medikamente auch verordnet. - Hier herrschte ein großer Konkurrenzkampf.

In jedem Fall war unsere Firma stark betroffen, was eine Erweiterung der Arbeitsgebiete und somit Entlassungen zur Folge hatte. Nun durfte ich die weiten Anfahrten von bis zu zwei Stunden wieder auf mich nehmen. Mit Freuden hatte ich vor einigen Jahren bei einer Reform die weit entfernten Gebiete an einen Kollegen abgegeben. Es gab zwar sehr nette Kunden dort, aber man konnte sich bei der Entfernung einfach nicht optimal um sie kümmern. Außerdem war es ein sehr umsatzschwaches Gebiet, das einen besonders hohen Einsatz erforderte. So war es nicht möglich, wenn der Arzt einen speziellen Wunsch hatte , zu sagen: „Ich bringe Ihnen die Sachen morgen vorbei.“ Dieser Service von mir wurde aber bei den Verordnungen immer wieder honoriert. Da es meine Art war, möglichst erfolgreich zu arbeiten, belastete mich die Tatsache sehr.

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9783844262278
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