Читать книгу: «Doch das Hamsterrad dreht sich weiter», страница 2

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Hier gab es dann auch keine Schwierigkeiten. Meine Mutter war sofort einverstanden, mir das Geld auszuleihen, auch sie hatte Interesse, dass es mir bald wieder besser ging.

Ich setzte mich mit dem Therapeuten in Verbindung und bekam auch recht bald einen Termin nach seiner offiziellen Sprechzeit. In den ersten zwei Stunden ließ er mich viel erzählen und stellte Fragen. Dann arbeitete er mit mir und es gelang ihm schon bald, mir wieder eine positive Lebenseinstellung zu vermitteln. Nach der sechsten Stunde sagte er:“ So, jetzt gehen Sie nicht gleich nach Hause, sondern machen einen Spaziergang in die Stadt und kaufen sich ein hübsches neues Kleid. Denken Sie nicht an das Geld, Sie haben lange genug an sich selber gespart. Mit neuer Garderobe fühlen Sie sich dann gleich ganz anders.“ Ich habe seinen Rat befolgt, kaufte mir einen bunten Rock und ein passendes T-Shirt und fühlte mich sehr wohl darin. Glücklich fuhr ich heim.

Inzwischen ging es mir um soviel besser, dass ich den Mut fasste, mich um eine Arbeitsstelle zu bewerben. Einmal stellte ich mich im Krankenhaus vor. Dort wurde eine Medizinisch-Technische Assistentin für das Labor gesucht. Man hätte mich auch auf der Stelle genommen, denn hier hatte ich einige Erfahrungen, aber es waren zuviel Nacht- und Sonntagsdienste zu leisten. Am Tag konnte ich eine Kinderfrau finden, aber nachts wären meine beiden Kleinen alleine gewesen, denn Volker hielt sich mehr und mehr bei seiner Freundin auf.

Dann las ich von einem Gemeinschaftslabor. Dort wurde eine Leiterin gesucht. Hier sah die Sache schon besser aus, denn es gab regelmäßige Arbeitszeiten ohne Nachtdienst. Schnell bekam ich eine Zusage, doch ich hatte mich gleichzeitig noch bei einem Pharmaunternehmen beworben. Man suchte eine Pharmareferentin in der Umgebung meines Wohnortes. Das war zwar nicht mein Beruf, aber aus meiner Tätigkeit in einer Arztpraxis hatte ich des Öfteren Kontakt mit Ärztebesuchern und wusste, was auf mich zukam. Die Aussicht, meine Arbeitszeit einigermaßen einteilen zu können, war für mich günstig. So konnte ich Rücksicht nehmen auf die Bedürfnisse meiner Kinder. Auf der Fahrt zur Vorstellung nach Niedersachsen fuhr ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Abteil der ersten Klasse eines ICE’s. Die Firma hatte mir die Fahrkarte zugeschickt, ich selbst fühlte mich etwas deplatziert. Mir gegenüber saß ein älterer Herr, adrett gekleidet, sicher ein erfahrener Geschäftsmann, der mir offensichtlich meine Unsicherheit nehmen wollte. Er sprach mich an: „Sie fahren sicher zu einem Vorstellungsgespräch nach Hannover.“ Ich muss reichlich überrascht geschaut haben. „Man sieht es Ihnen an,“ fuhr er fort. Als ich ihm dann erzählte, welchen Beruf ich ausgewählt hatte, sagte er in sehr ernstem Ton: „Entschuldigen Sie, wenn ich so offen bin, aber sind Sie dazu nicht ein bisschen zu introvertiert?“ Der Mann hatte Menschenkenntnis. „Dieser Job verlangt ein hohes Maß an Selbstbewusstsein und sicheres Auftreten.“ Er merkte, dass ich etwas erschrocken war und ängstlich wurde. „Nun machen Sie sich mal keine Sorgen, gehen Sie ganz sicher an die Sache heran. Ich drücke Ihnen jedenfalls fest die Daumen.“

In der Firma wurde ich zunächst vom Pförtner in die Ausbildungsabteilung geführt. Dort hatte ich ein ausführliches Gespräch mit dem Ausbildungsleiter, anschließend sah er sich meine Zeugnisse an. „Von mir aus geht die Sache in Ordnung,“ meinte er, „Ihre beruflichen Voraussetzungen sind gegeben, so dass Sie keine Prüfung brauchen. Nur zur Präparateschulung müssen Sie ungefähr vier Wochen zu uns kommen.“ Danach brachte er mich in die Personalabteilung. Dort wurden mir ausführlich meine Arbeitsbedingungen erklärt, Kündigungszeiten, Rentenanspruch, Dienstwagen und was man so wissen musste. Es war soviel, dass ich gar nicht alles behalten konnte. In dieser großen Firma kam ich mir vor, wie ein kleines Würstchen. Anschließend wollte mich der Außendienstleiter, Herr Gross, noch sehen. Er redete kaum ein paar Worte mit mir, brachte mich dann zurück ins Vorzimmer und wies seine Sekretärin an, mir meine Auslagen zu erstatten. Fräulein Bauer stellte freundlich mit mir die Kosten zusammen. Als sie die Taxirechnung sah, erklärte sie mir den Weg zur Haltestelle der Straßenbahn und meinte, ich könnte auch damit zum Bahnhof fahren. Auf der Heimfahrt war ich mir sicher, dass der Außendienstleiter mir gegenüber vom ersten Augenblick an skeptisch war. Mein Zugbegleiter auf der Hinfahrt hatte wohl recht gehabt, ich war nicht selbstbewusst genug aufgetreten. Später erfuhr ich dann den Grund, Herr Gross hatte Sorge, ich könnte mit meinen dreißig Jahren noch ein Kind bekommen und sie hatten gerade drei Damen in Schwangerschaftsurlaub. Die Sorge hätte ich ihm gleich nehmen können.

Nach ein paar Tagen erhielt ich dann die schriftliche Zusage.

Als ich später meinem Therapeuten in unserer letzten gemeinsamen Sitzung berichtete, dass ich als Pharmareferentin arbeiten würde, meinte er: „Überlegen Sie sich das gut, das ist ein knallharter Job. Sie werden Umsatzdruck von der Firma bekommen, denn der Firmenleitung geht es nicht um Ethik, sondern ums Geld. Auch die niedergelassenen Ärzte empfangen Sie nicht alle mit offenen Armen. Sie werden Abfuhren erhalten und ich befürchte, dass Sie das nicht verkraften. Dazu braucht man einen breiten Buckel und den haben Sie nicht. So wie ich Sie jetzt kennen gelernt habe, werden Sie eines Tages an der Aufgabe zugrunde gehen.“

Wie recht er hatte.

Inzwischen war ich fast neunzehn Jahre für die gleiche Pharmafirma tätig, aber es hatte sich durch mehrere Fusionen viel verändert.

Während meiner Ausbildungszeit war im Gesundheitswesen noch alles in bester Ordnung.

Am Anfang, so die ersten drei bis vier Tage, fiel mir das lange Konzentrieren sehr schwer und ich glaubte schon, meine grauen Zellen wären auf nahe Null zusammengeschrumpft. Schließlich war ich fünf Jahre nicht mehr im Beruf gewesen, hatte mich um Haushalt und Kinder gekümmert und geistig nicht gerade rege gearbeitet. An das Lernen musste ich mich daher erst wieder gewöhnen. Dann lief aber alles ganz gut. Mit viel Kaffee, der mich lange Abende wach hielt, paukte ich den ganzen Stoff in mich hinein. Mit mir zur Ausbildung war noch eine Pharmazeutisch-Technische-Assistentin, die sich im Außendienst bei der Pharmaindustrie eine bessere Dienstzeit erhoffte, außerdem ein Kollege, der bereits in dem Beruf bei einer Konkurrenzfirma gearbeitet hatte und sich in der Branche gut auskannte. Wir drei arbeiteten viel miteinander, wobei die neue Kollegin auch gerne abends ihre Freizeit in der Stadt genoss, während Peter und ich meist lernten. An einem Wochenende erlaubten wir uns einen Ausflug ins Umland. Es war ein warmer, sonniger Herbsttag, die Luft war klar und die Landschaft zeigte sich in wunderschön leuchtenden bunten Herbstfarben. Körper und Geist konnten sich absolut entspannen und wir fuhren abends gut erholt in unser Hotel zurück. Die beiden anderen Wochenenden nutzten wir für eine Heimfahrt. So vergingen die vier Wochen sehr schnell und es kam der Tag, an dem ich mit neuem Dienstwagen, voll beladen mit Ausbildungsmaterial, Broschüren und auch Ärztemustern den Heimweg antrat. Die Umsätze der Firma waren sehr gut, zweistellige Zuwachsraten pro Jahr galten als normal und selbstverständlich, entsprechend überheblich traten unsere Ausbilder auf. So war es wohl kein Wunder, dass ich mit völlig falschen Erwartungen an meine neue Tätigkeit nach Hause fuhr. Glaubte ich doch tatsächlich, die niedergelassenen Ärzte warten ausgerechnet auf mich und meine Produkte. Dem war aber beileibe nicht so, das sollte ich sehr bald zu spüren bekommen. Schließlich gab es noch andere Firmen und jeder Händler lobt seine Ware, wie man so schön sagt.

Zunächst freute ich mich aber auf meine Kinder. Die lange Trennung von ihnen war mir sehr schwer gefallen, da halfen auch die vielen Telefongespräche, die wir während meiner Abwesenheit führten, meinem Trennungsschmerz nicht weiter. Jetzt konnte ich es kaum erwarten, beide an mich zu drücken.

Während der ganzen Heimfahrt regnete es in Strömen und ich hatte das Gefühl, alle LKW’s der Welt wären ausgerechnet auf meiner Autobahn. So kam ich nur schleppend voran, die Strecke erschien mir unendlich lang. Eine große Erleichterung ging durch meinen Körper und ich atmete tief ein, als ich schließlich vor unserem Haus hielt. Kaum, dass ich die Autohupe betätigt hatte, kamen Sven und Melanie schon aus der Türe auf mich zu gelaufen. Wie lange wir draußen in der Kälte auf der Straße gestanden und uns in den Armen gehalten haben, weiß ich heute nicht mehr, aber es war ein wunderschönes Gefühl, die beiden so nahe zu spüren. Wir beschäftigten uns den ganzen Abend miteinander, bis es an der Zeit war, die Kinder ins Bett zu schicken. Erst dann packte ich meine Koffer aus und bereitete alles für den ersten Arbeitstag im Außendienst vor. Es wurde ein langer Abend, aber das folgende Wochenende war dadurch frei für meine Kinder.

Den ersten Arbeitstag plante ich in der nahe gelegenen Kleinstadt zu verbringen. Hier kannte ich die meisten Straßen, so dass ich die Arztpraxen nicht lange suchen musste. Ohnehin kam soviel Neues auf mich zu. Als ich die erste Praxis betrat, wurde mir gleich der Zahn eines willkommenen Besuches gezogen. „Wir machen Termine für die Pharmaindustrie, Sie können gerne übermorgen um fünfzehn Uhr wiederkommen.“ Ich schaute etwas enttäuscht, willigte ein und fuhr zum nächsten Arzt. Mein erstes Gespräch war reichlich verkrampft. Mit bunten Bildchen, Wirkungs- und Verträglichkeitskurven und komplizierten chemischen Formeln versuchte ich, meine Medikamente an den Mann, sprich Arzt, zu bringen. Nach einer Weile lachte er mich an und meinte:“ Sie sind noch neu, nicht wahr, und kommen frisch aus der Ausbildung. Sie müssen aber nicht jedes Mal Ihr ganzes Wissen hier abstrahlen.“ Als ich die Praxis verließ, schämte ich mich für meine Dummheit und nahm mir fest vor, nie wieder, ohne vom Arzt entsprechend gefragt zu werden, so hoch wissenschaftlich zu argumentieren, denn das wollte offensichtlich niemand hören. Kurz und knapp sollte die Information sein, ehrlich und aufrichtig und daran hielt ich mich dann auch, gleichzeitig merkten meine Kunden sehr bald, dass ich mit meinem fundierten Wissen ein kompetenter Diskussionspartner war, auf dessen Informationen man sich verlassen konnte. So baute sich rasch ein sehr guter Kontakt auf und darauf folgte ganz automatisch ein guter Umsatz. Die Firma konnte zufrieden sein.

Aber was sich bald herausstellte, je bessere Zahlen man zur Firma lieferte, umso mehr musste man im nächsten Quartal leisten. Immer höhere Umsätze wurden erwartet, nach dem Motto: „Sie machen das schon!“

Zu Hause war ich inzwischen mit meinen Kindern alleine. Volker kam eines Tages und teilte mir mit, dass er gerne mit seiner Freundin zusammenziehen wollte. Eine Wohnung war schon angemietet. Es war für mich keine Überraschung. Er hatte vor einiger Zeit den Versuch gestartet, mich in die Arme zu nehmen und alles Vergangene vergessen zu machen, aber ich wies ihn zurück. „Du lass es,“ sagte ich zu ihm, „ich kann nicht mehr, es hat keinen Sinn.“ Er hatte mir zu oft zu weh getan, eine intime Beziehung zu ihm war für mich daher nicht mehr möglich. Also musste ich damit rechnen, dass er uns eines Tages verlassen würde. „Ich nehme nur meine persönlichen Sachen und die Möbel aus meinem Arbeitszimmer mit, alles andere wollen wir nicht.“ Ich nickte, hatte ich doch unser Schlafzimmer schon die Wohnung wechseln sehen, schließlich brauchte ich keine zwei Betten mehr. „Wo hast Du denn unser Sparbuch?“ fragte er, „ich brauche jetzt natürlich Bargeld.“ Ich gab es ihm, konnte mich aber nicht zurückhalten und fragte: „Meinst Du nicht, dass das Mädchen viel zu jung für Dich ist? Das kann doch auf Dauer nicht gut gehen. Eines Tages wird sie Papa zu Dir sagen und sich nach einem jüngeren Mann umsehen.“ Dabei grinste ich ihn leicht an. „Ganz bestimmt nicht, Helga ist ganz anders,“ erhielt ich zur Antwort. Er sollte schon recht bald eines Besseren belehrt werden.

Nun hieß es, eine Kinderfrau zu finden, die sich um Sven und Melanie kümmerte, bis ich von der Arbeit nach Hause kam. Volker war ja bisher immer mittags für die beiden da gewesen und hatte als Lehrer auch viel Ferien. Jetzt musste neu geplant werden. Es war nicht einfach, bis ich endlich Frau Winter fand, die selbst eine dreijährige Tochter hatte und froh war, sie mit zu uns ins Haus nehmen zu können. Eine perfekte Hausfrau war sie nicht gerade, verstand sich aber ausgezeichnet mit den Kindern, was für mich eine große Beruhigung und viel wichtiger war.

Im dritten Jahr meiner Zugehörigkeit zur Firma feierte der Außendienst gemeinsam mit dem Innendienst während einer Weihnachtstagung einen Jahresumsatz von einhundert Millionen Mark. Die Freude war groß und auch der Optimismus, weiterhin diese Erfolge zu verzeichnen.

Diese Jahrestagungen waren immer sehr schön. Sie fanden unter anderem in europäischen Hauptstädten statt und jedes Mal gab es neben den wissenschaftlichen Vorträgen ein Freizeitprogramm. Besonders nett war das festliche Abendessen in einem Restaurant in Prag, begleitet von ausgezeichneten Musikern, die im Hintergrund dezent spielten. Unser Geschäftsführer legte sehr viel Wert auf eine gepflegte Atmosphäre und verstand es gut, den Außendienst für das kommende Jahr zu motivieren.

Dann kam die Gesundheitsreform.

Die niedergelassenen Ärzte wurden von ihrer Kassenärztlichen Vereinigung und von den Krankenkassen angewiesen, sparsam zu sein, dies besonders bei der Verordnung von Medikamenten. Das schlug bei uns natürlich sofort zu Buche, denn wir hatten nicht ein einziges lebensnotwendiges Produkt. Klar verschafften alle in gewisser Form Erleichterung und waren zum Teil zur Prophylaxe gut geeignet, aber lebenswichtig war keines.

Es war Samstag Vormittag und ich räumte in der Küche gerade das Kaffeegeschirr auf, als das Telefon läutete. „Hier Chris Eberts,“ meldete ich mich. „Einen schönen guten Morgen, Frau Eberts,“ sagte eine Stimme am anderen Ende der Leitung. „Hier ist Dr. Sinn. Ich störe Sie ungern am Wochenende, aber meine Information ist sicherlich sehr wichtig für Sie. Gestern erhielt ich ein Schreiben unserer Kassenärztlichen Vereinigung, das an alle Kollegen unseres Gebietes verschickt wurde, was ja auch Ihr Arbeitsgebiet ist, mit der Aufforderung, nur noch die preisgünstigsten Medikamente zu verordnen. Sie wissen, dass Ihre Produktpalette relativ hochpreisig ist, deshalb sehe ich mich gezwungen, meine Verordnungen umzustellen, ungern denn ich halte ihre Produkte für sehr gut, was Sie unschwer an meinen vielen Rezepten erkennen können, aber ich bin leider verpflichtet, davon Abstand zu nehmen, da man mir sonst vielleicht sogar mein Honorar kürzt. Meine Information an Sie war mir wichtig, damit Sie nicht überrascht sind, wenn sich in Ihrem Gebiet in nächster Zeit etwas ändert. Andererseits würde ich gerne weiter die bekannten guten Produkte einsetzten und wollte Sie bitten, doch mit Ihrer Firma über mögliche Preissenkungen zu reden.“

„Für diese Information bin ich Ihnen sehr dankbar, Herr Dr. Sinn, denn ich hatte keine Ahnung, was sich auf dem Gebiet tut und wäre mit Sicherheit überrascht gewesen. Wir haben am kommenden Mittwoch unsere Jahrestagung, dort werde ich das Problem aufgreifen.“ „Lassen Sie sich deshalb aber jetzt das Wochenende nicht verderben,“ sagte Herr Dr. Sinn. „Nein, nein, sicherlich nicht. Ihnen und Ihrer Familie wünsche ich einen schönen Adventsonntag. Nach der Tagung werde ich mich wieder bei Ihnen melden.“ Damit beendeten wir das Telefongespräch.

Da kam ja einiges auf mich zu und ich hatte Angst vor dem politisch angeordneten Sparprogramm und davor, dass vielleicht sogar mein Arbeitsplatz gefährdet war. Hier war überhaupt immer meine größte Sorge, denn zwei Kinder und ein Haus waren zu unterhalten.

Zwei Arbeitstage standen mir noch bevor, um die Stimmung bei den anderen Ärzten abzuklopfen. Es stellte sich heraus, dass das Sparprogramm ab Januar gelten sollte, so wurde in den letzten Tagen des alten Jahres noch auf Vorrat verordnet. Jeder hatte sich aber vorgenommen, im neuen Jahr möglichst nur noch Billigprodukte einzusetzen.

Waren es wirklich nur die Medikamente, welche die Kosten in die Höhe trieben, war es nicht auch die Apparatemedizin? Musste jeder Arzt sein eigenes teueres Ultraschallgerät, sein eigenes EKG-Gerät in der Praxis haben, was dann natürlich auch so oft wie möglich zum Einsatz kam. So wurden nicht selten Untersuchungen durchgeführt, die nicht unbedingt notwendig waren, denn die teueren Geräte sollten sich ja amortisieren. Hätte man nicht genauso gut auch den Nachbarkollegen beauftragen können, die Apparatediagnose zu stellen. Aber nein, aus lauter Angst, der Patient könnte dann zum Kollegen überwechseln und es ginge ein Krankenschein im Quartal verloren, wollte jeder alles selber anbieten. Auch sollte die Erwartungshaltung der Patienten befriedigt werden, die meisten Leute kamen sich besonders wichtig vor, wenn man sie häufig in die Praxis einbestellte und sie mit Hilfe der modernen Technik stundenlang beschäftigte. „Der Doktor hat mich ganz gründlich untersucht!“ Eine kollegiale Zusammenarbeit wäre sicherlich wirtschaftlicher.

Und warum wagte man keinen kritischen Blick auf die Krankenhäuser? Ich hatte lange genug in dem Bereich gearbeitet und wusste, wie großzügig man dort mit dem Arbeitsmaterial umging.

Natürlich waren die Diagnosemöglichkeiten wesentlich verbessert worden und Gott sei Dank damit auch die Therapie. Das alles kostete aber viel Geld. So wehrte ich mich innerlich dagegen, dass hier alleine an den Medikamenten, zum Teil auch auf Kosten der Patienten, gespart werden sollte.

Ohnehin traf es wieder den kleinen Mann, die Leute mit hohem Einkommen konnten sich das Beste und Teuerste kaufen. Obgleich ich natürlich auf der anderen Seite verfolgen konnte, mit welchen Möglichkeiten eine Pharmaindustrie in der Lage war, Bedarf zu wecken und so die Umsätze massiv zu steigern.

Die Jahrestagung stand vor der Türe. Nach den Vorträgen gab es am Nachmittag eine Stunde, in der unser Außendienst zu Worte kam. Ich gab die Aussagen von Herrn Dr. Sinn weiter.

„Unsere Umsätze waren in letzter Zeit so gut, wir haben da keine Bedenken. Im Gegenteil, für das neue Jahre haben wir erheblich höher budgetiert.“ bekam ich zu Antwort. Die Geschäftsführung hatte offensichtlich nicht verstanden. Natürlich waren die Umsätze gut, aber hier wurden Hamsterkäufe getätigt. Man wollte es mir nicht glauben und warf mir sogar vor, die Außendienstkollegen zu demotivieren. „Sie sehen das alles viel zu schwarz, es gibt kein Gesetz, das verbietet, unsere Produkte zu verordnen. Noch gibt es keine Negativliste.“

Da hatten die Herren natürlich recht, aber der Druck der Kassen war massiv. Bei zu hohen Verordnungskosten wollte man sich das Geld durch Honorarkürzungen bei den Ärzten wiederholen. Ethik hin und her, da hilft auch der Eid des Hippokrates nicht weiter, denn welcher Mediziner wollte schon die Medikamente seiner Patienten aus der eigenen Tasche bezahlen.

Ich äußerte mich nicht mehr dazu, der festen Überzeugung, dass die Firma im neuen Jahr sehr bald selber erleben würde, wie völlig unrealistisch ihre Umsatzerwartungen waren.

Jetzt freute ich mich auf die Feiertage mit meiner Familie und auf die arbeitsfreie Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr.

Es war bereits später Nachmittag, als ich freitags von der Tagung nach Hause kam. Schon vorher hatte ich haltbare Lebensmittel und Tiefkühlkost eingekauft, so musste nur noch die frische Ware am Samstag besorgt werden. Schlimm genug, denn am letzten Einkaufstag vor Weihnachten war immer die Hölle los in den Geschäften und so etwas war für mich der absolute Stress. Da meine Kinder inzwischen schon etwas älter waren, konnten sie einige Aufgaben übernehmen und auch meine Mutter half mit.

Sie war inzwischen zu mir ins Haus gezogen. Nachdem mein Stiefvater verstorben war, blieb sie noch eine Weile in dem kleinen Häuschen alleine wohnen, das ich früher mal für sie angemietet hatte. Mein Angebot, jederzeit zu mir ziehen zu können, machte ich ihr ein paar Tage nach dem Tod meines Stiefvaters. „ Das ist ganz alleine Deine Entscheidung, ob und wann Du einen Wohnungswechsel vornehmen möchtest,“ sagte ich zu ihr bei meinem Besuch. „Meine Freundinnen und alle Bekannten wohnen halt hier im Ort. Hier ist der Wanderverein, die Sportgruppe, mein Rommé-Club, da muss ich mir das schon gut überlegen,“ antwortete sie. „Aber es sind doch nur drei Kilometer und es gibt eine Busverbindung,“ erwiderte ich. „Da kostet die einfache Fahrt über zwei Mark, das wird ja unverschämt teuer.“ „Hin und wieder kann ich Dich ja fahren, aber leider nicht oft. Du weißt ja, ich bin laufend unterwegs. Aber es gibt Monats- oder sogar Jahreskarten, dann wird die Fahrt für Dich günstiger. Letztlich ist es alleine Deine Entscheidung, es ist mein Angebot, nur Du musst es wirklich wollen, sonst fühlst Du Dich nachher nicht wohl in Deiner neuen Umgebung.“ Eine Millionärin zur Mutter hatte ich nicht, aber sie bekam eine sehr gute Rente von meinem Stiefvater. Am Geld lag es also nicht.

Eines Tages stand sie bei mir in der Türe und sagte: „Ich will umziehen, so bald wie möglich.“

Sie machte es sehr dringend, nun sollte plötzlich alles am besten gleich morgen passieren. „So schnell geht es nun auch wieder nicht,“ erklärte ich ihr. „Noch habe ich die Zimmer an zwei Studenten vermietet, die aber Ende des nächsten Monats ausziehen. Dann können wir renovieren, da alles vor kurzem noch frisch gemacht wurde, wird wohl nur eine neue Tapete notwendig sein. Das haben wir bald erledigt.“

Mit der Vermietung an Studenten hatte ich nach meiner Scheidung begonnen, da ich auf zusätzliche Einnahmen angewiesen war. Die jungen Leute fuhren meist übers Wochenende nach Hause, dann konnte ich die Räume gründlich reinigen und auch die Küche, die gleichzeitig mein Wirtschaftsraum war, zum Waschen und Bügeln nutzen. Der Einzug meiner Mutter würde für mich auf jeden Fall eine Erleichterung werden. Zu Putzen hatte ich in meiner eigenen Wohnung genug und den Berg Wäsche immer nur am Wochenende bewältigen zu müssen war auch nicht gerade vom Feinsten.

So richtete sich meine Mutter die zwei Zimmer, Küche und Bad gemütlich ein. Vor der Wohnung war eine große Terrasse und ein Blumenbeet. Beides ließen wir von einem Gärtner so erneuern, dass alles für sie bequem zu begehen und zu bearbeiten war.

Am Heiligen Abend wachte ich morgens schon sehr früh auf. Die Nacht war äußerst unruhig verlaufen, immer wieder machte ich mir Notizen auf meinem neben dem Bett liegenden Zettel, damit ich auch am nächsten Tag ja nichts vergessen würde. Früher hatte ich das alles mit links geschafft, bewältigte besondere Aufgaben ohne Probleme, war ein perfekter Organisator. Jetzt fiel es mir zunehmend schwer, irgendwie war ich durch meinen Beruf so voll ausgelastet, für die private Denke blieb in meinem Kopf kein Platz mehr.

Zuerst machte ich meine Lockerungsübungen im Bett, dann ging ich ins Bad zum Zähneputzen und wälzte mich anschließend im Wohnzimmer auf dem Boden hin und her um, wie jeden Morgen, meine Rückengymnastik durchzuführen. Ein paar Streckübungen hinterher und dann ab unter die Dusche. Das anschließende kalte Abbrausen der Beine nach der warmen Dusche brachte mich etwas in Schwung. Während der Frühstückstee noch ziehen musste, goss ich schon Mal die Blumen. Die kamen ohnehin immer zu kurz und sahen entsprechend traurig aus. „Ich rede immer mit den Pflanzen,“ pflegte meine Mutter zu sagen, „Das sind schließlich Lebewesen und so wollen sie auch behandeln werden.“ Irgendwie hatte sie wohl recht.

Auf dem Grab meines Stiefvaters stand ein kleiner Rosenstrauch, der einfach nicht blühen wollte. Eines Tages stellte sich meine Mutter davor und meinte: „Wenn Du in den nächsten Tagen keine Knospen zeigst und dann nicht blühst, schmeiße ich Dich raus!“ Was soll ich sagen, vierzehn Tage später kamen die ersten Blüten. Der Strauch steht immer noch und erfreut meine Mutter jedes Jahr aufs Neue.

Meine Blumen wurden nur gegossen und damit hatte sich die Angelegenheit. Heute war Weihnachten, heute wollte ich mir auch mal die Zeit nehmen und mit ihnen reden, sie loben, wie schön sie doch waren, trotz der spärlichen Pflege. Ich zupfte den Veilchen die welken Blüten und Blätter ab, besprühte die Blattpflanzen, damit nicht nur die Erde Feuchtigkeit bekam und reinigte die großen Blätter der Gummibäume mit Essigwasser. Zwischendurch gönnte ich mir immer wieder einen Schluck Tee.

„Hallo, bist Du schon lange auf?“ Melanie schaute zur Wohnzimmertüre herein. Sie war noch im Schlafanzug. „Ja, schon eine Weile. Hast Du gut geschlafen oder hat Dich die Spannung auf Dein Weihnachtsgeschenk nicht schlafen lassen?“ „Ein bisschen aufgeregt bin ich schon,“ antwortete sie, „aber trotzdem hab’ ich fest gepennt und irre geträumt.“ „Was möchtest Du denn zum Frühstück, Müsli oder Früchtetee mit Brötchen?“ „Hast Du schon was gegessen?“ „Nein, nur Tee getrunken.“ „Dann trinke ich auch Tee und esse mit Dir zusammen ein Brötchen.“ Damit verschwand sie ins Badezimmer. Nachdem ich den Frühstückstisch gedeckt hatte, kam sie auch schon und setzte sich zu mir. Wir ließen es uns schmecken und planten den Tag. „Zuerst räumen wir die Zimmer auf, wischen Staub und machen das Bad sauber, dann schmücken wir den Christbaum. Sven wird hoffentlich bald aus den Federn kriechen, denn er muss uns helfen, den Baum in den Ständer zu stellen und zu befestigen.“ „Ach, das können wir auch alleine,“ antwortete meine Tochter. „Auf jeden Fall mache ich das Bad erst sauber, wenn Sven es verlassen hat, sonst kann ich anschließend gerade noch Mal anfangen.“ „Für heute Mittag habe ich eine Gemüsesuppe geplant, das geht schnell und ist etwas Leichtes, denn heute Abend das Fondue mit den vielen Saucen wird wieder reichhaltig.“

Wir erhoben uns, deckten den Tisch ab, machten die Wohnung soweit sauber und warfen einen Blick auf die Uhr. Langsam könnte sich der junge Mann mal aus seinem Bett erheben, dachte ich. „Komm, lass ihn schlafen, wir stellen den Christbaum auf.“ Melanie machte sich gleich ans Werk. Sie holte den Baumständer vom Speicher und trug ihn auf die Terrasse. Er war ganz schön schwer. Mit drei großen Schrauben konnte man den Baum darin befestigen. Melanie lockerte zunächst die Schrauben und half mir dann, den Baum in den Ständer hinein zu heben. Während ich das Prachtstück hielt, schraubte sie den Stamm fest.

Gut sah er aus, unser Weihnachtsbaum. Er war schön gerade gewachsen, hatte dichte Zweige und genau die richtige Größe für unser Wohnzimmer. Wir platzierten ihn neben den Kamin, von dort konnte man ihn sowohl von der Couchgarnitur als auch vom Esszimmertisch aus gut sehen. „Wie soll er denn dieses Jahr geschmückt werden?“ fragte ich. Zur Auswahl hatte ich alte Silberkugeln, lila Kugeln, die Idee war vor drei Jahren geboren, alles in Lila zu halten. Damals kaufte ich Kugeln, Schleifen, Kerzenhalter, Kerzen und Lametta in Lila und es sah super aus. Heute war aber Natur angesagt. Schon im letzten Jahr strahlte unser Baum mit bunten Holzkugeln, Holzfiguren, selbst gebastelten Stroh- und Spansternen und honigfarbenen Kerzen. Das gefiel uns allen gut und so wollte Melanie ihn in diesem Jahr gerne wieder herrichten. Wir machten uns gemeinsam ans Werk und es wurde ein prachtvoller Baum.

Mit dem Aufstecken der letzten Kerze erschien mein Sohn. „Oh, Ihr habt ja den Baum schon geschmückt!“ rief er aus. „Na, schau mal auf die Uhr,“ sagte ich zu ihm, „Du kannst schon bald Mittagessen.“ „Ich habe gestern Abend noch so lange gelesen und bin so spät eingeschlafen.“

Dann verschwand er in sein Zimmer. Kurz darauf hörte ich das Klavier. Innerlich war ich immer ganz gerührt, wenn er spielte und stolz, was er in den paar Jahren alles gelernt hatte. Es war zur Gewohnheit geworden, dass er am Heiligen Abend vor der Bescherung ein paar Lieder auf dem Klavier spielte und das eine oder andere konnten wir auch mitsingen. Für manchen mag das altmodisch gewesen sein, uns gefiel es und sicher sollte es heute auch wieder so ablaufen. Melanie zog sich auch zurück. „Ich habe noch ein paar Geschenke einzupacken, Überraschung.“ Ich gönnte mir einige Minuten Pause und dachte an unser erstes Weihnachtsfest nach der Scheidung.

Zu der Zeit waren die Kinder noch recht klein. Sven hatte mit mir zusammen den Christbaum bei unserem Gärtner im Dorf geholt, ein kleiner Baum, er trug ihn am Stamm, ich an der Spitze und so marschierten wir damit durch die Straßen. Melanie lief hinterher. Ich war damals wahnsinnig nervös und durcheinander, hatte Angst vor dem Abend ohne den Vater der Kinder. Nur nichts falsch machen, damit das Fest den Kindern ja auch gut gefiel und sie ihn nicht zu sehr vermissten. Der Abend verlief relativ locker, Volker rief am späten Nachmittag an, was er auch über die nächsten Jahre beibehalten hat, die Kinder freuten sich über ihre Geschenke, wir spielten gemeinsam, bis es Zeit für sie wurde, ins Bett zu gehen. Dann, alleine neben dem Christbaum, überkam es mich doch und ich fing an zu weinen. Wie sollte es nur weitergehen. Es war verdammt viel, Beruf, Haus, Garten, Kinder und die volle Verantwortung und das alles alleine. Aber ich war noch jung und mobilisierte alle Kräfte.

Wenn ich heute darüber nachdenke, glaube ich, dass ich es nicht noch einmal schaffen würde. Aber wahrscheinlich verliefe es genauso wieder. Was hätte ich auch machen sollen.

Mit allen Mitteln wollte ich das Haus erhalten. Die Kinder sollten, nachdem sie den Vater schon nicht bei sich hatten, nicht auch noch auf die gewohnte häusliche Umgebung verzichten müssen. Das bedeutete für mich fleißig arbeiten, mit hohem Einsatz und großem Erfolg, damit man mit mir zufrieden war und keinen Grund fand, mich eines Tages zu entlassen., schließlich brauchte ich den Job. Trotz Kinderfrau blieb noch reichlich Beschäftigung für mich zu Hause übrig. Die schlimmste Zeit waren die ersten Monate nach der Scheidung gewesen.

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9783844262278
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