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Читать книгу: «Kopf hoch, Kleiner!», страница 2

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ZWEITES KAPITEL

1

Als ich vier Tage später vom Joggen nach Hause kam, rief Paul Jansen an. Er war als Redakteur für meine letzte Fernsehserie verantwortlich gewesen und hatte mittlerweile die Fronten gewechselt, wie er sich ausdrückte. Seit zwei Monaten arbeitete er für eine Kölner TV-Produktionsfirma. Ich erwartete jeden Augenblick, dass Jansen mich bitten würde, Ellen ans Telefon zu holen, aber nein: Er schien tatsächlich mit mir sprechen zu wollen. Dann fragte er mich plötzlich doch nach Ellen.

“Wie geht‘s denn Ihrer Frau?“

“Gut“, antwortete ich knapp.

“Freut mich.“

Pause. War das etwa alles?

“Wissen Sie denn nichts von ihrem Riesenerfolg mit dem Hundebuch?“ erkundigte ich mich sicherheitshalber.

“Was für ein Hundebuch?“

“Kennen Sie nicht TIMO?“

“Muss man den kennen?“

Vor Freude hätte ich beinahe den Hörer geküsst.

Wir plauderten über dies und jenes, so auch über den Niveauverfall der aktuellen Fernsehunterhaltung. Das gehörte seit mindestens fünfzehn Jahren zum Pflichtprogramm aller Gespräche zwischen Fernsehleuten. Wann würde er endlich fragen, ob ich ihm eine neue Serie anzubieten hätte? Und was würde ich darauf antworten? Aber er wollte etwas ganz anderes von mir, und als wir mit dem Smalltalk fertig waren, rückte er endlich damit raus.

“Haben Sie keine Lust, für uns zu arbeiten?“

“Sie meinen schreiben?“

“Nein, als Redakteur. Also Manuskripte lesen, mit uns zusammen neue Konzepte erarbeiten, Kontakte zu Autoren und Sendern halten und so weiter. Wir haben hier ein sehr schönes Büro für Sie mit Blick auf den Rhein. Von Düsseldorf nach Köln ist es nur eine halbe Stunde mit der Bahn. Na? Was halten Sie davon?“

“Wissen Sie, warum ich Schriftsteller geworden bin? Weil ich nie in meinem Leben von acht bis vier in einem Büro sitzen wollte.“

Jansen lachte. “Dann sind Sie bei uns genau richtig. Wir arbeiten nämlich von neun bis fünf. Sie müssen sich nicht sofort entscheiden. Reden Sie erst mit Ihrer Frau und Ihrem Sohn darüber.“

“Tochter“, berichtigte ich ihn.

“Und dann kommen Sie einfach mal vorbei und sehen sich unsern Laden an. Ich könnte Sie hier gut gebrauchen. Obwohl Sie eigentlich schon zehn Jahre zu alt sind für den Job“, fügte er hinzu.

Ich war dreiundvierzig und Jansen Mitte Fünfzig. Der letzte Satz hatte sich trotzdem nicht scherzhaft angehört.

Er gab mir seine Büro- und Privatnummer, und ich musste ihm versprechen, mich zu melden, sobald ich zu einem Entschluss gekommen war. Dann verabschiedeten wir uns.

“War das Hanna wegen des Essens morgen?“ rief Ellen aus der Küche, wo sie an ihrem neuen Bestseller schrieb.

“Nein, es war geschäftlich.“

“Warum hast du mich denn nicht gerufen?“

“Es war geschäftlich für mich.“ Ich konnte nicht verhindern, dass ein bisschen Stolz in meiner Stimme mitschwang. Aber wenn ich geglaubt hatte, dass Ellen sofort sterbend vor Neugier ins Wohnzimmer stürzen würde, war das ein Irrtum gewesen. Sie blieb in der Küche und arbeitete weiter.

Erst beim Mittagessen sahen wir uns wieder. Es gab zwei Fertigmenüs aus der Tiefkühltruhe. Wenn ich mir vor dem Essen nicht die Zutatenliste durchgelesen hätte, dann hätte es mir vielleicht sogar geschmeckt.

“Wo hast du das Zeug gekauft?“ fragte ich Ellen nach dem zweiten Bissen. “In einem Chemielabor?“

“Nun erzähl schon, wer vorhin angerufen hat. Wird etwas von dir wiederholt?“

Ich schüttelte den Kopf und kaute weiter. Ellen sah mich ungeduldig an. Ich fragte nach Vanessa und erfuhr, dass sie gerade eine Radtour mit David machte. Es war ihr erster Ferientag. David hatten wir bisher immer noch nicht zu Gesicht bekommen.

Ellen fragte mich wieder nach dem Anruf, und ich fing an zu erzählen. Mein Bericht über das Gespräch mit Jansen entsprach nicht ganz der Wahrheit. Ich verriet Ellen nichts von der Hochstimmung, in die mich Jansens Angebot kurzzeitig versetzt hatte, und übertrieb ein wenig sein Interesse an mir. Was das Aufgabengebiet betraf, für das ich in der Produktionsfirma zuständig sein sollte, so grenzte ich es weniger eng ein als Jansen vorhin am Telefon. Es hörte sich für Ellen so an, als ob ohne mich künftig nichts mehr laufen würde in der deutschen Fernsehunterhaltung. Zudem deutete ich noch etwas an von einer eigenen Sekretärin und einem großen, luxuriösen Büro hoch über dem Rhein mit direktem Blick auf den Drachenfels. Ich hatte keine Skrupel, die Wahrheit auszuschmücken. Ellen kannte mich so gut, dass sie mir sowieso nie etwas richtig glaubte.

Als ich ausgeredet hatte, fragte Ellen erstaunt: “Du nimmst Jansens Angebot also an?“

“Sonst noch was?“

Es war tatsächlich mein erster Impuls gewesen, nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte. Doch dann hatte ich darüber nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass das eine Kapitulation gewesen wäre, eine Flucht vor meinem Computer, meinem Arbeitszimmer und meiner Ideenlosigkeit. Genauso pathetisch schilderte ich Ellen diese Überlegungen, und sie stimmte mir zu.

“Aber vielleicht solltest du es trotzdem mal versuchen“, riet sie mir dann. “Du kämst hier raus, würdest neue Gesichter sehen und auf andere Gedanken kommen. Schreiben kannst du ja abends oder am Wochenende, wenn dir was einfällt.“

Ich verzog das Gesicht. Jansens Angebot hatte mir deutlich gemacht, wie ich einmal enden würde, wenn ich nicht so bald wie möglich wieder etwas Brauchbares zustande brachte. So wie bisher konnte es einfach nicht weitergehen. Und darum hatte ich auch kurz nach dem Anruf bereits am Computer gesessen und in Windeseile eine Ausgangssituation mit dem dazugehörigen Personal für eine Serie entworfen. Hinterher zwang ich mich dazu, die Qualität dieses Entwurfs nicht allzu gewissenhaft nachzuprüfen. Das war sicher mein Hauptfehler gewesen im letzten halben Jahr: Ich war zu kritisch mit meinen Ideen umgegangen. Waren die Serien, die ich bisher verkauft hatte, nicht alles in allem totaler Schrott gewesen? Genau an diesen Punkt musste ich wieder gelangen: Ich musste meine Ideen als schwachsinnig akzeptieren und dennoch versuchen, Fernsehserien daraus zu entwickeln.

Ellen hörte mich kommentarlos an. lm Gegensatz zu mir liebte sie das Schreiben und konnte es nicht leiden, wenn ich so zynisch darüber redete. Und sie schien enttäuscht darüber zu sein, dass ich Jansens Angebot nicht annehmen wollte. Ob sie mir nicht mehr zutraute, jemals wieder an alte Erfolge anknüpfen zu können? Ich wäre ihr deswegen nicht böse gewesen, denn im Grunde traute ich es mir selbst nicht mehr zu.

Ellen schlug mir vor, an einem der nächsten Tage nach Köln zu fahren und mir die Firma unverbindlich anzuschauen. Um ihr einen Gefallen zu tun, versprach ich es ihr.

Wir würgten die letzten Bissen hinunter.

“Ja, ich weiß, das Zeug war ekelhaft“, gab Ellen zu. “Wegen der Schreiberei komme ich einfach nicht mehr dazu, was Frisches zu kochen.“

“Dann müsste die Familie von Rosamunde Pilcher ja längst an Vitaminmangel gestorben sein.“

2

Am Abend darauf gingen wir zu Knut und Hanna.

“Wir haben die beiden doch erst letzte Woche gesehen“, maulte ich, als ich im Flur meinen Trenchcoat anzog.

“Irrtum, es ist fast einen Monat her. Mach ja nicht den ganzen Abend so ein Gesicht. Hanna ist meine beste Freundin.“

“Aber Knut ist nicht mein bester Freund.“

Seit Ellens Bestsellererfolg wurde sie natürlich mit Einladungen überschüttet, aber zum Glück konnte ich mich meistens davor drücken, sie zu begleiten. Der Smalltalk der Werbeleute, Schönheitschirurgen, Anlageberater und Waschmittelhersteller, die sich für die feine Düsseldorfer Gesellschaft hielten, war für mich nicht ohne Walkman mit Heavy Metal zu ertragen. Ellen fand es ganz amüsant, ein wenig im Mittelpunkt zu stehen, und sie freute sich kindisch, wenn sie ein Bild von sich in den Gesellschaftsrubriken entdeckte. Wie sich das für einen treuen Hund gehört, wich TIMO auch dort seinem Frauchen nicht von der Seite: Hinter Ellens Name tauchte in Klammern und Anführungszeichen immer der von TIMO auf.

“Bist du bald fertig?“ fragte ich Ellen, die vor dem Garderobenspiegel verschiedene Haarspangen ausprobierte.

Vanessa kam die Treppe herunter. Als sie hörte, wo wir hinwollten, meinte sie ironisch: “Viel Spaß!“ Dann verriet sie uns, dass sie noch Besuch bekommen würde.

“Von David?“ fragte Ellen.

Ein breites Lächeln erschien auf Vanessas Gesicht.

“Wann lernen wir ihn denn endlich kennen?“ wollte ich wissen. “Oder hat der Junge Angst vor uns?“

“David kommt mit seinen Ängsten besser zurecht als du“, antwortete sie schnippisch.

“Hat der Herr Professor noch einen Termin für mich frei? Was verlangt er denn für eine Analyse? Eine Tüte Chips?“

“Haarspangen finde ich bescheuert“, sagte Vanessa zu Ellen. “Wehe, ihr schenkt mir noch mal eine zu Weihnachten. Was krieg‘ ich eigentlich zu Ostern?“

“Wie wär‘s mit einem Scheck über 10.000 Mark?“ fragte ich.

“Warum bist du denn heute so blöd?“ giftete sie mich an.

“Weil er zu Knut und Hanna muss“, antwortete Ellen fürmich. Sie hatte sich für eine schwarze Spange entschieden. “Wir müssen los. Es ist schon halb acht.“

Sie gab Vanessa einen Kuss. Ich holte fünf Mark aus meinem Portemonnaie und drückte sie Vanessa in die Hand. Sie sah mich erstaunt an.

“Für den Kondomautomaten im Schlosspark“, erklärte ich.

Sie schleuderte mir den Fünfer vor die Füße, stürmte die Treppe hinauf und knallte ihre Tür zu. Ellen warf mir einen empörten Blick zu, als ich den Geldschein aufhob.

“Muss ich jetzt zur Strafe hierbleiben?“ fragte ich hoffnungsvoll.

Ellen öffnete die Haustür und ging hinaus. Ich folgte ihr. Unser Nachbar, Herr Freese, machte gerade sein Garagentor zu. Ich grüßte kurz, ging zu unserem Wagen, der am Straßenrand parkte, schloss ihn auf und stieg ein. Ellen wechselte ein paar Sätze mit Herrn Freese. Obwohl sie nur übers Wetter redeten, legte Ellen so viel Wärme und Zärtlichkeit in ihre Stimme, dass ich gerührt war. Wir fanden Herrn Freese außerordentlich sympathisch. Er war höflich und zurückhaltend und verlor kaum jemals ein Wort über sich selbst. Wie schwer er den Tod seiner Frau verwinden konnte, merkten wir lediglich daran, dass seitdem ausschließlich ihre Lieblingsblumen in seinem Garten wuchsen - weiße Rosen.

Ich ließ den Motor an. Ellen wünschte Freese einen schönen Abend und stieg ein. Er winkte uns lächelnd zu, als wir losfuhren.

Ellen hatte einen Minirock an, was meine Konzentration auf den Straßenverkehr erheblich beeinträchtigte. Schließlich konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und musste meine rechte Hand auf ihre Oberschenkel legen. Sie schob sie unsanft weg und brummte: “Wie alt bist du eigentlich?“

“Zu Rentner Freese warst du eben viel netter“, protestierte ich. “Weißt du übrigens, was mich als einziges an ihm stört?“

“Was denn?“

“Dass er mich immer an meinen Vater erinnert. Ich muss dauernd daran denken, dass ich diesen alten Herrn, der zufällig neben uns wohnt, tausendmal öfter sehe als den alten Herrn, der zufällig mein Vater ist.“

“Dein Vater hätte ja nicht in dieses Heim in der Eifel ziehen müssen.“

“Stimmt“, gab ich zu. “Wahrscheinlich hat er unser Angebot, zu uns zu ziehen, nicht richtig ernstgenommen.“

“Wir auch nicht.“

Wir wechselten einen schuldigen Blick und das Thema.

“Wenn mit mir eine Frau so reden würde wie du vorhin mit Freese, würde ich mich sofort in sie verlieben.“

Ellen stöhnte auf. “Wenn mir einer im Auto Schwachsinn erzählt, würde ich am liebsten das Radio anmachen.“

“Warum hat sich Vanessa eigentlich so aufgeregt, als ich ihr das Geld für Kondome gegeben habe?“

Ellen machte das Radio an.

3

Bei Knut und Hanna gab es als Hauptgericht einen ausgezeichneten Gemüseauflauf und zum Nachtisch Knuts zähe Anekdoten über seine Kunden - er arbeitete in der Kreditabteilung einer großen Bank - und Hannas Klagen über die Zerstörung der Umwelt. je nachdem, wer von beiden gerade sprach, musste ich entweder lächelnd den Kopf schütteln oder mit düsterer Miene vor mich hin nicken. Knut und Hanna waren eigentlich sehr nett, aber außer Ellen, Vanessa, Steve Martin und Dostojewski konnte mich kaum jemand auf der Welt länger als zehn Minuten unterhalten.

Natürlich erkundigten sie sich auch nach Ellens Fortschritten mit ihrem neuen TIMO-Buch. Sie wollten unbedingt wissen, wovon die neuen Geschichten handeln. Aber nicht einmal mir hatte Ellen bisher etwas darüber verraten. Sie vertröstete die beiden auf das Freiexemplar, das sie in vier, fünf Monaten in den Händen halten würden. Dann erzählte sie ihnen von Jansens Anruf und von dem Angebot, das er mir gemacht hatte.

“Und da zögerst du noch?“ rief Knut verwundert aus.

“Greif ja zu, Achim! Dann hast du einen sicheren Job für deine alten Tage. Oder willst du für den Rest deines Lebens so einen Mist schreiben wie deine Vorabendserien?“

Ich wäre froh gewesen, wenn ich noch einmal auch nur drei Seiten von einem solchen Mist hätte zustande bringen können. Aber das verriet ich ihm natürlich nicht. Die beiden hatten keine Ahnung, dass mir schon länger nichts mehr eingefallen war, und ich hoffte, dass Ellen es ihnenauch jetzt nicht erzählen würde.

Nach dem dritten Glas Wein musste ich Knut in seinen Hobbykeller begleiten, wo er mir das Buddelschiff zeigte, an dem er gerade bastelte.

“Wird bestimmt toll“, meinte ich und unterdrückte dabei ein Gähnen.

“Genauso toll wie die andern zwanzig Schiffe!“ fuhr mich Knut so unerwartet barsch an, dass ich erschrocken zusammenzuckte. “In jeder freien Minute habe ich mich mit diesem Mist beschäftigt. Wieso hat mir nie jemand gesagt, was das für ein Quatsch ist? lm Sommer werde ich fünfundvierzig, verdammt noch mal! Und was hab' ich geschaffen? Buddelschiffe!“

Er sah mich so traurig an, dass ich aufhörte zu grinsen. Dann drehte er mir den Rücken zu. Ich sah mir die Buddelschiffe auf den Regalen an und fragte mich, was mit Knut geschehen war, dass er plötzlich zu solch existentiellen Erkenntnissen gelangen konnte. Der einzige Philosoph, mit dem er sich je beschäftigt hatte, war Captain Cook.

Eigentlich war mir Knut so gleichgültig wie die Farbe unserer Badezimmerkacheln. Er hörte einem nie zu, nervte jeden mit seinen endlosen Geschichten ohne irgendwelche Pointen und hatte so viel Feingefühl wie eine Handgranate. An dem Abend, als ich vom plötzlichen Tod meiner Mutter erfuhr, erzählte er mir zum Trost, wie miserabel er sich gefühlt hatte, nachdem er einmal auf der Autobahn einen Hasen überfahren hatte. Ich schmiss ihn damals raus, weil ich diese Art von Feingefühl nicht ertragen konnte.

Und jetzt stand er da wie ein Häufchen Elend und tat mir Leid. Seit fast zwei Minuten hatte er nichts gesagt - so lange hintereinander hatte ich ihn bis dahin noch nie schweigen gehört. Es musste also tatsächlich irgendwas Schlimmes passiert sein.

“Was ist denn los, Alter?“ fragte ich ihn und legte eine Hand auf seine Schulter. Er schüttelte sie ab.

Nach einer Weile stieß er einen Seufzer aus und fragte leise: “Hast du Ellen schon mal betrogen?“

“Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Er drehte sich langsam um und sah mich kopfschüttelnd an. “Ist das nicht furchtbar? Ich hab' Hanna auch noch nie betrogen. Seit fünfzehn Jahren sind wir jetzt verheiratet, und ich Idiot war ihr die ganze Zeit treu.“

“Und die Nacht in diesem Frankfurter Puff mit deinen Kollegen?“

“Da war ich besoffen.“

“Und was war mit der Urlaubsvertretung deiner Sekretärin?“

Er winkte ab. “Das ging ja nur zwei Wochen. Aber ich hab‘ mich seit fünfzehn Jahren in keine andere Frau mehr verliebt. Richtig verliebt, verstehst du? Mit Herzklopfen, Schlaflosigkeit und Bauchschmerzen.“

Plötzlich strahlte er übers ganze Gesicht. Ich verstand sofort.

“Wie heißt sie denn?“

Und schon sprudelte es aus ihm heraus. Sie hieß Tanja, war

Friseurin und hatte Knut vor einer Woche die Haare geschnitten. Zehn Minuten lang schwärmte er von ihrer Figur, um dann anschließend zu beteuern: “Aber glaub mir, Achim, eigentlich spielt ihr Aussehen gar keine Rolle.“

Ich runzelte die Stirn.

“Na schön, ich geb‘s zu. Ich kann nicht mehr einschlafen, weil ich dauernd an sie denken muss. An ihre Lippen, ihren Körper. In jeder Mittagspause renne ich zehnmal an ihrem Salon vorbei. Und wenn sie einen Minirock anhat oder ein enges T-Shirt . . .“ Seine Augen glänzten, als hätte er gerade eine Ladung Koks geschnupft. “Aber es geht um mehr. Ehrlich! Tanja ist irgendwie - wie soll ich sagen? Sie kann so gut zuhören, obwohl sie erst Anfang Zwanzig ist. Ich habe das Gefühl, als könnte ich über alles mit ihr reden.“

Wenn ich ihn darauf hingewiesen hätte, dass Friseurinnen genau wie Gastwirte ihre Ohren abschalten, wenn die Kunden anfangen ihre privaten Geschichten zu erzählen, hätte er mich mit seinem größten Buddelschiff erschlagen.

“Ich muss mich einfach mit ihr treffen, Achim, sonst werde ich wahnsinnig. Aber wie soll ich das bloß anstellen? Sie ist so verdammt jung. Und ich? Sieh mich an!“

Halbglatze, Tränensäcke, Bierbauch und mit Sicherheit Krampfadern. Er besaß so viel Charme wie ein kaputter Rasenmäher. Die Sache war absolut hoffnungslos.

“Schick ihr jeden Tag Blumen“, schlug ich vor, weil mir nichts Besseres einfiel.

Knut hämmerte mir vor Begeisterung beide Fäuste auf die Schultern. “Na klar, Blumen! Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Das ist die Idee, Achim! Eine Woche lang werde ich sie überschütten mit Blumen. Und dann lass ich mir wieder die Haare von ihr schneiden und verrate ihr, dass die Blumen von mir waren. Und dann schlage ich einfach eine Verabredung vor. Was meinst du, wie sie darauf reagieren wird?“

Mit einem Lachkrampf, dachte ich.

“Sie wird bestimmt nicht nein sagen.“

So glücklich hatte mich Knut noch nie angelächelt. Hatte er denn keine Schuldgefühle wegen Hanna?

“Und was ist mit Hanna?“

Er verstand meine Frage ganz anders.

“Kein Problem“, meinte er locker. “Die hat natürlich keinen Schimmer, was mit mir los ist. Du kennst sie doch. Sie ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Außerdem würde sie mir so was nie im Leben zutrauen. Ist das nicht wahnsinnig komisch? Seit fünfzehn Jahren verheiratet – und meine Frau versteht so viel von mir wie ich von Molekularbiologie!“

4

“Hanna glaubt, dass Knut eine Freundin hat“, meinte Ellen auf der Heimfahrt zwei Stunden später. Ich fing an zu lachen und erzählte ihr dann von Knuts Friseurin. Ellen fand die Geschichte alles andere als komisch.

“Hanna tut mir leid“, sagte sie nachdenklich. “Und Knut auch.“

“Ja ja, dir tut die ganze Welt Leid“, knurrte ich.

“Wäre es nicht schade, wenn die beiden sich trennen würden?“

“Und wie! Ich würde wochenlang heulen, weil wir die zwei dann nicht mehr besuchen könnten.“

Sie stieß einen Seufzer aus und schwieg eine Weile.

“Und du?“ fragte sie dann. “Willst du das nicht auch noch einmal erleben? Herzklopfen, Bauchschmerzen, Schlaflosigkeit?“

“Das erlebe ich jeden Tag. Nach dem Joggen hab‘ ich immer Herzklopfen. Und von deinem Essen krieg‘ ich Bauchschmerzen. Und ich kann nie einschlafen, weil du immer so laut schnarchst.“

“Mit dir kann man kein vernünftiges Wort reden.“

“Jedenfalls nicht nach sechs Gläsern von Knuts Billigwein.“

Da Ellen jetzt am Steuer saß, konnte sie sich nicht wie auf der Hinfahrt so gut gegen meine Hand wehren, die sich wieder an ihren Oberschenkeln zu schaffen machte.

“Lass das, wir sind gleich zu Hause“, sagte sie streng und schlug mir auf die Finger.

“Weißt du noch, damals in München?“ fragte ich sie lächelnd und legte wieder die Hand zwischen ihre Schenkel.

“Wir beide in meiner roten Ente? Auf dem Parkplatz in Pasing?“

Mein Mittelfinger wurde immer frecher. Sie bog in unsere Straße ein. Es waren noch etwa zweihundert Meter bis zu unserm Haus. Ellen gab Gas. Ein paar Minuten später hatten wir einen einsamen Parkplatz in der Nahe vom Benrather Bahnhof entdeckt. Nachdem sie das Licht ausgeschaltet hatte, fielen wir übereinander her.

Unser Wagen war beträchtlich geräumiger als meine alte Ente, er hatte bequeme Liegesitze und eine viel bessere Federung. Trotzdem gestaltete sich das ganze Unternehmen weitaus schwieriger, als wir es uns vorgestellt hatten. Nach dem Höhepunkt musste ich sofort lachen wie verrückt. Dann zählten wir unsere blauen Flecken.

“Wir sind wohl nicht mehr so drahtig wie früher“, vermutete Ellen beim Anziehen. “Das mach‘ ich jedenfalls nicht noch einmal. Dann lieber auf den Kieselsteinen unten am Rhein.“

“Jetzt gleich?“

“Aber nur, wenn du unten liegst.“

Ich gähnte und zwängte mich in meine Jeans. “Komisch, ich bin auf einmal so furchtbar müde.“

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