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Papst Paul VI. und Newman

Für die Auswirkung des religiösen Genius J. H. Newman in unseren Tagen hat wohl kein anderer so viel getan wie Papst Paul VI. Er wusste sich dabei mit seinem Vorgänger, dem unvergesslichen Papst Johannes XXIII., einig, der, wie wir oben erwähnten, in seiner Enzyklika zur Ankündigung des Konzils Newman zum Zeugen für die Freiheit der Diskussion auf dem Konzil anrief. Hier zitiert Papst Johannes eine Vorlesung aus dem Jahr 1850: »Differenzen unter Katholiken sind kein Einwand gegen die Einheit der Kirche«: »Kontroversen dieser Art spalten die Kirche nicht, sie können vielmehr nicht wenig dazu beitragen, dass gerade durch die Konfrontierung verschiedener Meinungen neues Licht gewonnen wird.«75

Für Papst Paul ergab sich während des Konzils eine Gelegenheit, die Bedeutung Newmans zu unterstreichen: Am 27. Oktober 1963 erfolgte die Seligsprechung des Passionistenpaters Dominicus Barberi, der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in England gewirkt hatte und dessen Anteil an der Konversion Newmans zur katholischen Kirche C. S. Dessain beschreibt. Papst Paul VI. charakterisiert Newman als Wahrheitssucher unserer Zeit und sagt: »Newman, dessen Leben unter dem Wort stand: ›Ich habe eine Sendung zu erfüllen‹, hat einzig von der Liebe zur Wahrheit und der Treue zu Christus geleitet einen Weg vollendet, der zu den wirkmächtigsten und auch zu den bedeutendsten, charakteristischsten und konsequentesten Wegen gehört, die das menschliche Denken im vergangenen Jahrhundert, ja man kann sagen, in der ganzen modernen Zeit gegangen ist mit dem Ziel, zugleich zur Fülle der Weisheit und des inneren Friedens zu gelangen.«76

Bei einer Audienz für Vertreter der Oratorien des heiligen Philipp Neri aus vielen Ländern eröffnete Papst Paul ihnen seinen Wunsch, den kanonischen Prozess zur Seligsprechung Kardinal Newmans bald beendet zu sehen. 1975 benutzte er das »Jahr der Versöhnung« (»Heiliges Jahr«), um Newman, wie er sagte, »eine besondere Ehrung zu erweisen«. Unter Mitwirkung der »Kongregation für die Glaubenslehre« und unter dem Protektorat des Kurienkardinals Wright wurde im April ein Newman-Kongress in Rom veranstaltet in der Reihe der Internationalen Newman-Kongresse, denen Papst Paul schon zweimal durch Grußadressen seine Sympathie gezeigt hatte (1967 und 1970). Schon in seiner Botschaft von 197077 hatte der Papst erklärt, dass die Stunde Newmans heute gekommen sei, »heute vielleicht noch mehr als in irgendeiner früheren Zeit«. Der Papst sprach auch von der großen ökumenischen Bedeutung der Gestalt und des Werkes Newmans.

Die Ansprache, die Papst Paul VI. 1975 vor den Teilnehmern des von ihm selbst angeregten Newman-Kongresses im Heiligen Jahr hielt, ist von solcher Unmittelbarkeit und theologischer Tiefe, dass sie hier vollständig wiedergegeben werden soll.

Die Ansprache Papst Pauls Vl. vom 25. April 1975

»Mit besonderer Freude haben Wir Ihren Wunsch erfüllt, Sie, die sachverständigen Teilnehmer an dem Akademischen Kardinal-Newman-Symposium, das zurzeit hier in Rom stattfindet, zu dieser Audienz zu empfangen. Wir begrüßen Sie von Herzen und heißen Sie herzlich willkommen.

Ihr Symposium steht in einer Reihe von Newman-Kongressen, die für gewöhnlich in Luxemburg abgehalten werden. Aus Anlass des Heiligen Jahres halten Sie es diesmal in Rom. Sie haben sich dem Studium des großen Kardinals gewidmet und kommen zusammen, um Ihre Kenntnis von Newmans Leben und Denken zu vertiefen, um aus seinem Beispiel und seiner Lehre praktische Schlussfolgerungen zu ziehen und Antworten auf die mannigfaltigen Probleme der Gegenwart zu finden. Das Echo Ihrer beachtlichen Initiative bei den zahlreichen Bewunderern Kardinal Newmans überall in der Welt und die Teilnahme vieler junger Menschen sind unverkennbare Anzeichen der großen Anziehungskraft Newmans und der Bedeutung, die ihm heute zukommt – gerade heute vielleicht noch mehr als in irgendeiner früheren Zeit. Wir heißen diejenigen unter Ihnen, die zum anglikanischen Klerus gehören, besonders herzlich willkommen; durch Ihre Teilnahme an dem Symposium tritt die große ökumenische Bedeutung der Gestalt und des Werkes Newmans besonders zutage.

Heute wird Newman, der überzeugt war, zeit seines Lebens stets gläubig gewesen zu sein, und der von ganzem Herzen dem Licht der Wahrheit die Treue gehalten hat, ein immer heller erstrahlender Leitstern für alle, die auf der Suche nach einer sachgerechten Orientierung und sicheren Führung mitten in der Unsicherheit der modernen Welt sind – einer Welt, die er selbst prophetisch vor Augen sah. Viele Probleme, die er mit Weisheit behandelt hat – obgleich er selbst in seiner Zeit oft missverstanden und falsch interpretiert wurde –, sind Gegenstand der Diskussion und des Studiums der Konzilsväter gewesen, wie zum Beispiel die Frage des Ökumenismus, die Beziehung von Christentum und Welt, die Betonung des Laientums in der Kirche und die Beziehung der Kirche zu den nicht christlichen Religionen.

Nicht nur das II. Vatikanische Konzil, sondern auch die gegenwärtige Zeit kann man in besonderer Weise als Newmans Stunde betrachten, auf die er voll Vertrauen in Gottes Vorsehung seine große Hoffnung und Erwartung setzte: ›Vielleicht wird es einst geschehen, dass mein Name zur Geltung kommt als Rückhalt und Ausgangspunkt für andere, die als meine Gesinnungsgenossen an meiner statt schreiben und publizieren und so die Weitergabe von Ansichten in religiösen und intellektuellen Fragen, die den meinigen kongenial sind, an die kommende Generation ins Werk setzen.‹78 Und gerade im gegenwärtigen Augenblick legt sich das Studium und die Verbreitung der Gedanken Kardinal Newmans in besonders dringlicher und überzeugender Weise nahe.

Jetzt ist nicht Zeit und Ort für eine ins Einzelne gehende Darstellung des ausgedehnten Programms der Aufgaben, die sich Ihnen als den sachverständigen Schülern und Freunden Newmans heute stellen angesichts der Notwendigkeiten des gegenwärtigen Augenblicks. Das Thema Ihres Symposiums ›Newmans Verwirklichung des christlichen Lebens‹ steht ja in naher Beziehung zum zentralen Anliegen des Konzils und des Heiligen Jahres. Im Sinne Newmans ist ›Realisierung‹ des christlichen Ideals nur ein anderer Ausdruck für das beständige Streben nach Erneuerung des Lebens des Einzelnen und der Gemeinschaft im Geist des Evangeliums und in Übereinstimmung mit den berechtigten Forderungen des gegenwärtigen geschichtlichen Augenblicks. Unsere christliche Berufung zu ›realisieren‹, bedeutet in der Schau Newmans, die Wahrheiten unseres Glaubens lebendig zu verwirklichen mit allen praktischen Konsequenzen für den Alltag; es bedeutet, treu in der Nachfolge Christi zu stehen. Und für die gewaltige und schwierige Aufgabe, zu der uns der Heilige Geist mit aller Dringlichkeit aufruft, bringen das Denken und das Beispiel Newmans Licht und Ansporn.

Mögen wir alle uns sein Gebet zu eigen machen: ›Mache mich fähig zu glauben, als ob ich sähe; lass mich dich stets vor Augen haben, als wärest du allzeit leibhaftig und fühlbar gegenwärtig; lass mich immer bleiben in Gemeinschaft mit dir, du, mein verborgener, mein lebendiger Gott.‹79

Es ist Unsere Hoffnung, dass Ihr Symposium über Newmans Leben und Denken fruchtbar wird und einen spezifischen, wertvollen Beitrag zum Heiligen Jahr darstellt, im Dienst einer tief gehenden Erneuerung im Leben der Kirche. Wir begleiten Ihre Arbeit mit Unserem Gebet, indem Wir alles Licht und alle Kraft für Sie vom Herrn erflehen.«

Spontan fuhr der Papst in französischer Sprache fort: »Leider bin ich nicht so sehr Gelehrter, um Ihnen die Geheimnisse dieser Persönlichkeit eröffnen zu können … Aber vielleicht bin ich ebenso wie Sie ein Schüler, der von der Erfahrung dieses Mannes des Glaubens und der menschlichen Weisheit lernen möchte. Und ich wünschte, dass wir alle in seiner Erfahrung, in seinen Leiden und besonders in der Treue, mit der er seine Lebenslinie durchgehalten hat, ebenso den Frieden finden möchten, wie es in seinem Gedicht zum Ausdruck kommt: »Lead, kindly light, Führe du mich, liebes Licht, luce, light …«80

Werner Becker

Bei der Wiedergabe der zahlreichen Zitate im zu übersetzenden Text war es mir eine selbstverständliche Pflicht, die vorliegenden deutschen Ausgaben der Werke Newmans – insbesondere die Ausgewählten Werke und die Gesamtausgabe der Predigten heranzuziehen. Wenn es mir in bestimmten Fällen trotz meines Respekts vor diesen sorgfältigen Übersetzungsleistungen geboten schien, von der bereits vorhandenen deutschen Fassung abzuweichen, habe ich in der Regel auf die entsprechenden Stellen zum Vergleich hingewiesen.

Es ist mir ein Bedürfnis, Herrn Pfarrer Dr. Werner Becker, Leipzig, der mit sachkundigem Rat und bereitwilliger Hilfe meine Arbeit an dieser Übersetzung unterstützte, aus ganzem Herzen meinen Dank zu sagen. Was dennoch unzulänglich geblieben ist, trifft selbstverständlich mich allein.

Der Übersetzer

Einleitung

Für eine Predigt, die Newman am 19. August 1832 in Tunbridge Wells und vierzehn Tage später in St Mary the Virgin in Oxford hielt und die Anfang 1834 veröffentlicht wurde, wählte er das Schriftwort: »Wenn ihr das wisset, so seid ihr selig, wenn ihr danach tut« (Joh 13,17). Und er fügte dem unmittelbar hinzu: »Auf kein Volk und kein Zeitalter der Vergangenheit lässt sich dieses Schriftwort besser anwenden als auf dieses unser Land in heutiger Zeit. Denn soweit wir zu urteilen vermögen, hatte bislang kein Volk eine bessere Kenntnis von der Art, Gott zu dienen, von unserer Pflicht, unseren Vorrechten und unserem Lohn, als wir.«1 Wenn auch der insulare Charakter dieser Feststellung teilweise dadurch erklärt werden kann, dass Newman damals noch der festen Überzeugung war, die römische Kirche sei mit der Sache des Antichristen verbunden, so bleibt dies dennoch ein erstaunlicher Anspruch für das England der industriellen Revolution im selben Jahr, in dem die erste Reform Bill (Gesetzesvorlage zur Reform der Abstimmungen im Parlament, Anm. d. V.) verabschiedet wurde.

Eine Predigt aus der gleichen Zeit macht den Sinn seiner Worte etwas deutlicher, wenn er davon spricht, dass »alles im Land, was Rang und Stellung, Intelligenz und Reichtum hat, sich zur Religion bekennt … dass die öffentlichen Einrichtungen unseres Landes auf der Anerkennung der Religion als der Wahrheit aufgebaut sind«.2 Noch als alter Mann, in seiner Kontroverse mit Gladstone im Jahr 1874, rief er aus: »Als ich jung war, hatte der Staat ein Gewissen, und der Oberrichter jener Zeit erklärte, das Christentum sei das Gesetz des Landes: nicht etwa als ein Bestandteil eines verstaubten Gesetzes, sondern als eine kraftvolle, lebendige Wahrheit.«3 Aber Newman dachte dabei noch an mehr. »Ist die Bibel die Religion der Protestanten«, die sie aufgrund ihres Privaturteils deuten, dann können wir sagen, dass der Protestantismus im dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts eine größere Kraft im Leben der Engländer darstellte als zu irgendeiner Zeit davor oder danach. Während des vorausgehenden Jahrhunderts hatte sich dank der methodistischen Predigten unter den weniger gebildeten Schichten ein kraftvoller Protestantismus ausgebreitet, auf den dann in der Kirche von England die evangelikale Erneuerung folgte, die sogar noch weitere Kreise erfasste. Obwohl diese Bewegung in den 30er-Jahren an Schwungkraft verlor, gewann sie doch noch weitere Anhänger, besonders in den mittleren und wohlhabenden Schichten. Sie hatte eine kultivierende Wirkung auf die englische Gesellschaft in ihrer Gesamtheit und gab zugleich dem englischen Sonntag ein strengeres Aussehen. Vergleicht man dies alles mit der Strömung des Unglaubens, die sich von Frankreich ausgehend über Europa ausbreitete, dann erschien England als wahrhaft christliches Land. Newman sagte später vom Evangelikalismus4: »Diese Lehre war für England ein großer Segen gewesen; sie hatte den Herzen Tausender die grundlegenden und vitalen Wahrheiten der Offenbarung wieder nahegebracht.«5 Diese Bewegung proklamierte die Notwendigkeit des persönlichen Glaubens, der Hingabe der Sünder an den Erlöser und der Erfahrung der Bekehrung. So kann sie verglichen werden mit der franziskanischen Erneuerung oder der »Neuen Frömmigkeit« in den Niederlanden. Aber sie war protestantisch in ihrer Betonung der religiösen Erfahrung und der subjektiven Reaktion des Glaubenden, der sich um eine »geistliche Gesinnung« bemühen sollte, für die er dann bald andere zu gewinnen suchte. Die Gefahren einer religiös motivierten Selbstbespiegelung, der Verirrung in Scheinheiligkeit und Heuchelei waren offensichtlich. Davon zeugen unter anderem auch die Werke der großen Romanciers, in denen Gestalten wie Pecksniff, Mr Brocklehurst, Lady Sothdown, Mrs Proudie und viele andere diese Seite des Evangelikalismus verkörpern. Für die künftige Entwicklung war es jedoch noch gefährlicher, dass die Konzentration auf die inneren Gefühle zu einer Abwertung des sinnenfälligen und objektiven Bestandes der Religion, der Glaubenssätze, der Sakramente und der sichtbaren Kirche führte. Die Gefühle eines Menschen waren wichtiger als die Inhalte seines Glaubens. Die Theologie und die intellektuelle Grundlage der Religion wurden unterbewertet, sodass dem Rationalismus der Weg bereitet wurde. Noch fehlte es der latitudinarischen6 Richtung an Einfluss, die ihrerseits das Dogma noch weniger betonte als die Evangelikalen, mit diesen aber den gleichen unscharfen Kirchenbegriff teilte. Bald sollte Thomas Arnold den Vorschlag machen, alle Christen mit Ausnahme der Anhänger Roms in diese Kirche miteinzubeziehen, um auf diese Weise einen Verlust der gesetzlich garantierten Stellung der Kirche abzuwenden.

Obwohl solche Gefahren heraufzogen, war der Evangelikalismus für den Moment außerordentlich mächtig. Unter seiner Führung wurden Vereine zur Linderung leiblicher und geistlicher Not gegründet, denen viel Geld zufloss. Die Bibel- und Missionsgesellschaften verbreiteten die evangelikale Lehre bis in die Kolonien. Neben dieses Bild eines weitverbreiteten und einflussreichen Protestantismus muss man nun den in der Bevölkerung vorherrschenden Hass setzen, den die Bischöfe durch ihren Widerstand gegen die Reform Bill erregt hatten und der durch die Pfründenhäufung und den Reichtum der anglikanischen Kirche genährt wurde. Überwiegend richtete sich dieser Hass nicht gegen die Religion selbst, sondern gegen eine religiöse Körperschaft, die man als eine privilegierte Einrichtung des Staates ansah. Das Recht der weltlichen Macht, die Kirche zu kontrollieren, wurde als selbstverständlich hingenommen, und erastianische Auffassungen7 hatten fast alle Richtungen in der Kirche von England gemein. Bald sollte der Staat auf dem Wege eines typisch englischen Kompromisses Kirchenkommissare ernennen, die auf der einen Seite sicherzustellen hatten, dass Pfründenhäufung und ähnliche Missbräuche abgestellt wurden und dass auf der anderen Seite der Reichtum der Kirche erhalten blieb, wenn er auch eine gewisse Umverteilung erfuhr.

Die einzige Gruppe, die die Kirche wirklich als eine göttliche und vom Staat unabhängige Einrichtung betrachtete – die extrem hochkirchliche Richtung – war sehr klein. Sie hielt weiterhin an der Lehre von der apostolischen Sukzession fest, hatte aber auf die übrigen Anglikaner und die Gesellschaft im Allgemeinen nur geringen Einfluss. In liturgischen Dingen war auch diese Gruppe protestantisch und benutzte z. B. nicht die vom Book of Common Prayer8 sanktionierten liturgischen Gewänder. Die Anhänger dieser Gruppe fand man in ein paar Landpfarreien und Bischofsstädten. Im Jahr 1834 bemerkte Newman, F. W. Hook in Coventry sei der einzige hochkirchliche Pfarrer in einer größeren Stadt, und dieser sah sich einer beträchtlichen Opposition vonseiten der dortigen Evangelikalen gegenüber.

Die protestantische Ausprägung des Christentums herrschte unter den Engländern vor und führte in hohem Maß zu Frömmigkeit, Moral und Philanthropie, wenngleich Letztere leider gelegentlich unschöne und herablassende Formen annahm. Der englische Protestantismus war betont antikatholisch und viele glaubten allen Ernstes, dass die römische Kirche mit der Sache des Antichristen verbunden sei. Zur wirklich intellektuellen Verteidigung des Glaubens hatten die Evangelikalen nichts beizusteuern. Andererseits verließen sich die Latitudinarier auf eine oberflächliche natürliche Theologie. Beide Richtungen beteten das Credo und bekannten sich zum Glauben an die katholische Kirche, doch hatten weder Substantiv noch Adjektiv hier irgendeine präzise Bedeutung.

Die christliche Religion erhebt den Anspruch, auf göttlicher Offenbarung zu beruhen, und nur dann, wenn sie getreu das Wort des Offenbarers bewahrt, vermag sie ihre Kraft voll zu entfalten. Wenn die Botschaft verändert oder vereinseitigt wird, muss sie im gleichen Maß versagen, ein Zerrbild ihres wahren Wesens darbieten und jene abschrecken, die sie anziehen sollte. Es gab viel Christliches im England des Jahres 1832, genug, um Newman sagen zu lassen, dass »bislang kein Volk eine bessere Kenntnis von der rechten Art, Gott zu dienen«, hatte, aber wie viel fehlte von dem, was wesentlich war, und wie viel gab es, was dem ernsthaft Suchenden den Blick verstellte.

Das grundlegende Motiv des Newman’schen Lebens war seine Hingabe an die Sache der Offenbarungsreligion. Schon als Schüler wurde er dazu bewegt, sie von ganzem Herzen zu bejahen und sich um die Erkenntnis ihres vollen und ausgewogenen Gehalts zu mühen. Diese Hingabe verlieh seinem Leben die innere Einheit. Sie ließ ihn zum Führer einer Bewegung werden, die der Kirche von England neue Lebenskraft geben und ihren übernatürlichen Charakter zur Geltung bringen sollte. Sie ließ ihn aber auch diese Kirche zugunsten der römischen Kirche verlassen. Sie ließ ihn den Versuch machen, die zahlreichen Mängel, auf die er dort traf, abzustellen und Auswüchse zu mildern. In vielen seiner Bemühungen war ihm zu seiner Zeit der Erfolg versagt, aber die Geschichte hat ihm recht gegeben, und die katholische Reformbewegung hat ihn als ihren Propheten auf den Schild gehoben. Stets war er ein Künder vergessener Wahrheiten. Wir wollen der Frage nachgehen, wie er diese wiederentdeckte und was ihn dazu befähigte, die christliche Offenbarungsreligion in ihrer katholischen Fülle zu entfalten.

Die ersten dreißig Jahre (1801–1832)

John Henry Newman wurde am 21. Februar 1801 in der City of London – dem historischen Stadtkern – im Haus Old Broad Street 80 geboren und starb am 11. August 1890 im Oratorium in Birmingham. Sein Vater, ein Londoner Bankier, war in religiösen Fragen liberal und dem Evangelikalismus wie auch jeder anderen Art von religiösem Enthusiasmus abhold. Seine Mutter, Jemima Fourdrinier, entstammte einer Hugenottenfamilie, die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes aus Frankreich vertrieben worden war. Sie führte ihren Sohn in jene »Bibelreligion« ein, die er später in An Essay in Aid of a Grammar of Assent (»Entwurf einer Zustimmungslehre«) »sowohl den anerkannten Titel als auch die beste Beschreibung der englischen Religion« nennen sollte. »Sie besteht nicht in Riten oder Bekenntnissen, sondern hauptsächlich darin, dass die Bibel in der Kirche, in der Familie und privat gelesen wird.« Das prägte die religiöse Gedankenwelt der englischen Menschen, bestimmte ihren hohen moralischen Anspruch sich selbst gegenüber und vermittelte ihnen eine Erkenntnis von der Vorsorge Gottes für die Menschen. »Sie ist nicht eine Religion von Personen und Dingen, von Glaubensakten und unmittelbarer Andacht, sondern von heiligen Szenen und frommen Gefühlen.«1 Und obwohl ihm der anglikanische Katechismus gelehrt worden war, konnte Newman sagen, dass er als Kind »keine eigentlichen religiösen Überzeugungen«2 hatte. Aber er kannte die Bibel in allen Einzelheiten und gründlich, da ihm seine Mutter und seine Großmutter daraus vorgelesen hatten, noch bevor er selbst lesen konnte. Seine Eltern waren praktizierende Glieder der Kirche von England und blieben vom Evangelikalismus unberührt. Briefe aus der Zeit nach ihrer Hochzeit im Jahr 1799 sprechen von Abendgesellschaften, an denen sie teilnahmen, und Theaterbesuchen. Auch ihre sechs aufgeweckten Kinder, drei Jungen und drei Mädchen, von denen John Henry der Älteste war, gingen gern ins Theater und spielten Theater. Sie wuchsen in solidem Wohlstand auf und ihre literarischen, musikalischen und künstlerischen Begabungen erfuhren jede Art von Förderung.

Im Jahr 1808 ging John zusammen mit seinem Bruder Charles als Internatsschüler an die im 17. Jahrhundert gegründete große Privatschule in Ealing. Diese Einrichtung für 200 bis 300 Jungen war damals im Besitz und unter der Leitung von Dr George Nicholas. Im Allgemeinen richtete sich der Unterricht nach dem Eton’schen Modell, doch hatte die Schule ein höheres kulturelles Niveau als die damaligen public schools, wenn auch, bedingt durch den Abschluss bereits mit sechzehn Jahren, die Ausbildung in den alten Sprachen nicht so gründlich war. In pädagogischer Hinsicht folgte man jedenfalls fortgeschritteneren Auffassungen, und die spätere Kritik Newmans an den Anforderungen und Lehrmethoden in Oxford wurzelte in der hier genossenen Erziehung. Später pflegte Nicholas, sein Schuldirektor, zu sagen, dass niemand seine Lehranstalt so rasch durchlaufen hätte wie John Newman. George Huxley, der Vater des Naturforschers, war einer seiner Lehrer, und als Newman die Schule verließ, schrieb er ihm, er sei stolz darauf, dass er »dazu beitragen konnte, Ihnen zu dem Rüstzeug zu verhelfen, das Ihren künftigen Möglichkeiten angemessen ist. Auch darf ich Ihr stets untadeliges Betragen und Ihr unermüdliches Interesse während der ganzen Zeit Ihres Hierseins nicht unerwähnt lassen und werde beides immer in Erinnerung behalten. Wenn ich eine glänzende Zukunft für Sie voraussehe, so bin ich mir dessen gewiss, dafür gute Gründe zu haben.« Unter den Mitschülern Newmans waren der Bildhauer Richard Westmacott, George Selwyn, später Bischof von New Zealand, und Frederick Thesiger, der spätere Lord Chelmsford, der im Achilli-Prozess gegen Newman die Anklage vertreten sollte. Kurz nach Newmans Abgang wurde Charles Francis Adams, Sohn und Enkel von Präsidenten der Vereinigten Staaten, auf Wunsch seines Vaters, der damals amerikanischer Gesandter in London war, als Schüler aufgenommen. Vom Evangelikalismus blieb die Schule unberührt: Man erteilte Tanzunterricht, ermunterte zum Musizieren (Newman lernte dort das Geigenspiel) und führte alljährlich ein Stück von Terenz oder Plautus in Latein auf. Als einige Jahre später – Newman hatte die Schule schon verlassen – sein jüngster Bruder Francis während seiner Schulzeit evangelikale Ansichten und Verhaltensweisen übernahm, hatte er von seinen Mitschülern einiges zu erdulden.

Newman war jedoch nicht nur ein glänzender Schüler, sondern entwickelte sich auch zu einem Führer unter seinen Altersgenossen. Er gab eine Schülerzeitschrift heraus und war Vorsitzender eines Klubs. Aber der Erfolg birgt auch Versuchungen. »Mit vierzehn Jahren las ich Paines Abhandlungen gegen das Alte Testament und mit Vergnügen dachte ich über die Einwände nach, die sie enthielten. Auch einige von Humes Essays las ich, vielleicht auch den über die Wunder. So gab ich es wenigstens meinem Vater zu verstehen, es kann jedoch sein, dass ich damit nur großtun wollte. Ebenso erinnere ich mich, dass ich französische Verse, vermutlich von Voltaire, gegen die Unsterblichkeit der Seele abschrieb und mir dabei sagte: ›Wie furchtbar und doch wie einleuchtend!‹«3 So bekannte er später öffentlich in der Apologia Pro Vita Sua.

Schon 1823 schrieb er in sein privates Tagebuch:

»Ich erinnere mich (1815 war es, glaube ich) des Gedankens, ich möchte wohl tugendhaft sein, aber nicht religiös. Es lag etwas in der Vorstellung des Letzteren, das ich nicht mochte. Auch hatte ich nicht erkannt, was es für einen Sinn hätte, Gott zu lieben.«4 Noch war der Glaube Newmans nicht eine »Religion von Personen«. Und doch stand jener Wendepunkt seines Lebens, von dem er an so vielen Stellen seiner Schriften, den veröffentlichten wie auch den unveröffentlichten, spricht, unmittelbar bevor – seine erste Bekehrung.

In der Apologia beschrieb er sie so:

»Als ich fünfzehn war (im Herbst 1816) erlebte ich einen tief greifenden Denkwandel. Ich kam unter den Einfluss eines bestimmten Glaubensbekenntnisses und mein Denken wurde von dogmatischen Grundsätzen geprägt, die durch Gottes Barmherzigkeit niemals wieder ausgelöscht oder verdunkelt wurden.«5

Ein Unglück, das über die Familie hereinbrach, bereitete den Weg für diesen »großen Denkwandel«. Im Gefolge der Finanzkrise nach den Napoleonischen Kriegen war die Bank, zu deren Eigentümern Newmans Vater gehörte, am 8. März 1816 gezwungen, ihre Zahlungen einzustellen. Zwar wurden die Gläubiger innerhalb eines Monats vollständig befriedigt, aber die Bank musste ihre Pforten schließen und der Newman’sche Wohlstand war dahin. Das Haus in London wurde vermietet, das Landhaus in Norwood verkauft und für den Vater begann eine unsichere Existenz als Direktor einer Brauerei in Alton in der Grafschaft Hampshire. Im gleichen Sommer wurde sein Sohn von einer schweren Krankheit niedergeworfen. Von dieser Krankheit schrieb er lange Zeit danach in seinem Tagebuch: »Sie machte mich eigentlich zum Christen – mit Erfahrungen vorher und nachher, Ehrfurcht gebietend und nur Gott allein bekannt.«6 Dr Nicholas erwies sich als Freund in der Not und Newman durfte zur Genesung während der Sommerferien an der Schule bleiben. Zugleich war er so aus dem Weg, während sich seine Familie in die neuen Verhältnisse hineinfinden musste. Außer ihm blieb während der Ferien ein junger Latein- und Griechischlehrer an der Schule – der sechsundzwanzigjährige Geistliche Walter Mayers, der erst kürzlich seine Bekehrung erlebt und sich dem Evangelikalismus zugewandt hatte. In der Apologia nannte ihn Newman »das menschliche Werkzeug für den Beginn des göttlichen Glaubens in mir«. Nun, da seine Freunde fort waren, hatte er Zeit zum Nachdenken, und Mayers’ Worte fielen auf fruchtbaren Boden.

Newman notierte die genauen Daten des großen Denkwandels, »den ersten bzw. letzten Tag des Halbjahres meiner Bekehrung, den 1. August und 21. Dezember 1816«.7 So groß Mayers’ Anteil an Newmans Bekehrung auch war, so wurde diese nach seinen eigenen Worten noch stärker durch die Bücher beeinflusst, die Mayers ihm gab, vor allem »von einem Schriftsteller, der auf mich einen tieferen Eindruck machte als jeder andere und dem ich (nach menschlichem Ermessen) fast meine Seele verdanke, … es ist Thomas Scott«.8 Vom Deismus hatte Scott sich nach langem Suchen und innerem Kampf dem Christentum in seiner gemäßigt calvinistischen Form zugewandt. Diese theologische Entwicklung und seine Überzeugungen hatte er in dem 1779 erschienenen Werk The Force of Truth dargestellt. Seit 1801 war er Pfarrer von Aston Sandford in Buckinghamshire, wo er 1821 nach einem Leben voller Hingabe starb. In der Apologia pries Newman Scotts »stark weltabgewandten Sinn und die kraftvolle Unabhängigkeit seines Geistes. Er folgte der Wahrheit, wohin sie ihn führte. Er begann als Unitarier und endete im eifrigen Glauben an die Heilige Dreifaltigkeit. Er war es, diese Grundwahrheit der Religion meinem Geiste zuerst tief einprägte.«9 Die Lehre von der Trinität, der Inkarnation und der Erlösung wurde Newman jetzt zur Realität, wie die Gebete zeigen, die er zu dieser Zeit für den persönlichen Gebrauch niederschrieb. Er versuchte, in seinem Leben der von Scott immer wieder herausgestellten Lehre gerecht zu werden, dass der Heilige Geist in der Seele anwesend ist und in ihr Wohnung genommen hat. Er nahm uneingeschränkt den Glauben an die ewige Seligkeit an, aber auch den an die »ewige Verdammnis, wie vom Herrn selbst mitgeteilt«. Aus den calvinistischen Büchern, die er las, lernte Newman die »katholische Lehre vom Krieg zwischen der Stadt Gottes und den Mächten der Finsternis« kennen. Aus der gleichen Quelle übernahm er auch die Lehre, dass er nach seiner Bekehrung zur ewigen Herrlichkeit bestimmt sei. Doch ließ ihn dies nicht sorglos werden, und als er einundzwanzig Jahre alt war, spielte diese Vorstellung in seinem Denken keine Rolle mehr. Was er jedoch die »verabscheuungswürdige Lehre« von der Vorherbestimmung zum ewigen Tod nannte, so hatte sich Newman diese niemals zu eigen gemacht, und sie war auch von Scott eindeutig verworfen worden.10

Newman wurde nun ein Anhänger des Evangelikalismus, aber er scheint keine für diese Bewegung typische Bekehrung erlebt zu haben. Sie war kein plötzliches Ereignis, sondern erstreckte sich über einen längeren Zeitraum und war auch nicht von jenen besonderen emotionalen Erlebnissen begleitet, die nach evangelikaler Auffassung so wichtig waren. Er wurde nicht von heftigen Gefühlen bewegt und musste zugeben, dass sich seine Bekehrung stark von den Schilderungen, die er gelesen hatte, unterschied. Evangelikale mussten bezweifeln, ob er überhaupt eine Bekehrung erlebt hatte. Newman nannte sein Erlebnis einen »Denkwandel«, um den intellektuellen Charakter zu unterstreichen, und er ahnte schon die rationale Rechtfertigung seiner neuen Gewissheiten. Er war beeindruckt von ihrem introspektiven Charakter – »Ich weiß, dass ich weiß« – und von ihrer inneren Folgerichtigkeit, jenem Kennzeichen der Wahrheit. Hier ist bereits An Essay in Aid of a Grammar of Assent (»Entwurf einer Zustimmungslehre«) im Keim erkennbar.11 Auch stellte er detaillierte Verzeichnisse von Schriftstellen zusammen, die die Trinität wie auch alle anderen Teile des Athanasischen Credos belegen. Die Offenbarungsreligion, die er nun angenommen hatte, wollte er in ihrer ganzen Fülle studieren. Gleichzeitig mit der intellektuellen Zustimmung wandte er sich uneingeschränkt dem Heiligkeitsideal des Evangeliums zu. Er begann, ein strengeres Leben zu führen und sich in Gottes Gegenwart zu versenken, »um im Gedanken der zwei Wesen zu ruhen, die einzig absolut und zweifelsfrei existent sind – ich und mein Schöpfer«. Die sichtbare Welt, so schön und bedeutsam sie auch sein mag, schien weniger wichtig als das Unsichtbare. Dies war nicht irgendeine Art von beginnendem Idealismus, sondern eine tief christliche Weise des Denkens. Sein objektiver Trinitätsglaube bewahrte ihn vor der subjektiven Kontemplation seines eigenen Ichs, zumal er von Natur aus ein Mann der Tat war. Zwei Aussprüche Scotts machte er sich zu eigen: »Heiligkeit statt Frieden« und: »Wachstum ist das einzige Zeichen von Leben«. Als die Zeit seiner Bekehrung zu Ende ging, fuhr er mit seinem Vater nach Oxford und trat ins Trinity College ein, wohnte jedoch dort erst ab Oktober des folgenden Jahres. Die dazwischenliegenden Monate, die unmittelbar auf seine Bekehrung folgten, verbrachte er in harter geistiger Arbeit. Er hatte nun seinen eigenen Weg durchs Leben zu finden, und seine Talente sollten im Dienste Gottes genutzt werden.

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