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Zur Wirkungsgeschichte Newmans

Es gibt eine Äußerung Newmans, die fast prophetisch zu nennen ist, dass ein neuer Papst oder ein neues Konzil seine Ideen wieder zur Geltung bringen werde. Ein Stück Verwirklichung dieser Voraussage wurde ihm schon zu Lebzeiten geschenkt: Leo XIII., der Nachfolger von Papst Pius IX., erhob den einfachen Priester und Vorsteher einer zahlenmäßig unbedeutenden Priestergemeinschaft, des Oratoriums, zum Kardinal. Der Antrag bei Papst Leo XIII. ging von englischen Laien aus. Der Papst gab seiner ersten Kardinalserhebung programmatischen Charakter: Was sein Vorgänger versäumt hatte, wollte der neue Papst nachholen, um, wie er sagte, »die Kirche zu ehren«. Damit war, wie Newman sagte, »die Wolke von ihm genommen«, die Wolke des Misstrauens vonseiten maßgebender Katholiken, die über seiner katholischen Zeit gehangen hatte. Nach seinem Tode musste selbst Kardinal Manning zugeben, dass er der »größte Glaubenszeuge« seiner Zeit gewesen war.26

Ein Rückschlag dieser weltweiten Anerkennung, die sich über sein Todesjahr hinaus auswirkte, geschah zu Beginn des neuen Jahrhunderts, zur Zeit des Kampfes gegen den »Modernismus« in der katholischen Theologie. Manche meinten, Newman habe niemals so recht katholisch denken gelernt.27 Nicht nur seine Freunde, sondern auch Papst Pius X. verteidigten seine Rechtgläubigkeit, und 1907 kam die erste bedeutende Newman-Biografie zustande, verfasst von Henri Bremond, mit dem Untertitel »Versuch einer psychologischen Biografie«. 1912 erschien die »klassische« Newman-Biografie von Wilfrid Ward in England.

In Deutschland war Kardinal Newman damals durch Übersetzungen vieler seiner Werke (seit 1845), die auch in den Pfarrbüchereien einen Ehrenplatz hatten, kein Unbekannter. Die 1903 gegründete katholische Reformzeitschrift Hochland nahm sich seiner an. Vorkämpfer für die rechte Einschätzung Newmans in Deutschland waren Matthias Laros (1882–1965) und Erich Przywara (1889–1972). Auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkrieges warb Laros u. a. in der Bonifatius-Korrespondenz, einer Zeitschrift der katholischen Studenten und Akademiker, mutig für den großen Engländer. Die Newman-Renaissance, die sehr bald nach dem Ersten Weltkrieg begann, ist wiederholt beschrieben worden.28 Diese Wirkungsgeschichte Newmans kann nach verschiedenen Gesichtspunkten dargestellt werden; sie läuft parallel mit dem Fortschreiten der Übersetzung der Werke Newmans ins Deutsche, die heute mit vereinzelten Ausnahmen alle wichtigen Bestandteile seines geistlichen und theologischen Werkes umfasst.29 Hier soll ein Versuch gemacht werden, an Beispielen aus den 20er-Jahren zu zeigen, dass es sich bei dieser Renaissance um eine wirkliche Bewegung gehandelt hat, die über den Bereich der theologischen Wissenschaft hinausging und ebenso der Vorbereitung des II. Vatikanischen Konzils diente wie andere Bewegungen in der katholischen Kirche, die in den Beschlüssen des Konzils ausdrücklich genannt werden.30 Die weiteste Verbreitung fanden Übersetzungen der Gebete und Betrachtungen Newmans unter dem Titel Gott und die Seele, herausgegeben von Matthias Laros, Mainz 1919, »der geistig lebendigen Jugend dieser Zeit« gewidmet, sowie die Auswahl aus Newmans Werk in fünf kleinen Bänden von Erich Przywara, erschienen 1922.31 Seit 1921 wurde auch die vollständige Übersetzung der Hauptwerke Newmans in Angriff genommen, für die sich auch der »Verband der Vereine Katholischer Akademiker« eingesetzt hat. Das größte Interesse galt zunächst Newman als Beter und Zeuge eines lebendigen, Welt und Zeit zugewandten Glaubens, wie er besonders in seiner Selbstbiografie und in seinen Briefen zum Ausdruck kam. Vorträge und Arbeitsgemeinschaften über Newman sowie Kongresse führten katholische Intellektuelle und die studentische Jugend zusammen, die zum Teil durch die Jugendbewegung der 20er-Jahre geprägt war.

Als erstes Beispiel mag hier die Wirkung Newmans auf einen kleinen Kreis von Theologiestudenten herangezogen werden – gewiss eine subjektive Auswahl! Der Philosoph Dietrich von Hildebrandt veröffentlichte 1922 Vorträge Newmans über den heiligen Philipp Neri, gehalten vor den Mitgliedern und Freunden des englischen Oratoriums.32 So lernte eine junge Generation von katholischen Studenten den großen, wahrhaft menschlichen Heiligen der Reformation in der Sicht Newmans kennen. Im Jahr 1923 kamen diese Vorträge einer Gruppe von Innsbrucker Theologiestudenten in die Hände, die sich Gedanken über ein zukünftiges gemeinschaftliches Leben von Priestern in der Diaspora machten. Mit Rücksicht auf die Situation seiner Zeit zeichnete Newman ein Bild von den Wirren der Renaissancezeit, in der der heilige Philipp als Apostel Roms wirkte, einer Zeit des Sittenverfalls, der, wie Newman rückhaltlos darstellte, auch die höchsten Stände der Kirche ergriffen hatte. Über die Notwendigkeit einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern gab es damals keinen vernünftigen Zweifel. Ein Reformversuch Savonarolas in Florenz war gerade gescheitert, als Philipp Neri dort geboren wurde (1515). Newman stellt in den beiden Vorträgen der radikalen Weltverneinung Savonarolas Philipp Neris Art der Zuwendung zur Welt und zu den Menschen entgegen. Er sagte: »Meiner Ansicht nach gibt es Heilige, deren Sendung darin besteht, Welt und Wahrheit voneinander zu trennen; die Sendung der anderen Heiligen liegt darin, sie wieder zusammenzubringen« (S. 34).

Newman nennt hier drei große Orden als Erneuerungsbewegungen in der Kirche, mit denen Philipp Neri in Florenz, Monte Cassino33 und Rom in Berührung gekommen war. Er sagt: »Wenn der heilige Philipp vom heiligen Benedikt gelernt hat, was er sein sollte, und vom heiligen Dominikus, was er zu tun habe, so hat er nach meiner Meinung vom heiligen lgnatius gelernt, wie er es zu tun habe.« Ignatius und Philipp Neri »führten die Kirche hinaus in die Welt« (S. 43).

Der Gründungskreis des Oratoriums war in Innsbruck jungen Menschen begegnet, die sich anschickten, Benediktiner, Dominikaner oder Jesuiten zu werden. Sie selbst wollten den Weg Newmans gehen in der Absicht, ähnlich wie Philipp Neri vom Geist der großen Orden zu lernen, ohne sich selbst durch Ordensgelübde zu binden. Der jüngste von ihnen, Josef Gülden, wurde damals zusammen mit einem Freund als Gastnovize im Benediktinerkloster Beuron aufgenommen, zwei andere, die in besonderer Weise das Vertrauen des Kreises hatten, Theo Gunkel und Ernst Musial, gingen als Novizen nach Birmingham ins Oratorium, wo Newmans Geist noch ganz lebendig war. Nach seiner Rückkehr war Theo Gunkel jahrzehntelang das Herz des 1930 in Leipzig gegründeten deutschen Oratoriums. (Er starb 73-jährig 1972.) Im Lauf der Jahre wurde das Leipziger Oratorium auch ein Brennpunkt der deutschen Newman-Forschung in den Grenzen seiner Möglichkeiten. So kann man sagen, dass bei der Gründung des deutschen Oratoriums, die auf das Jahr 1923 zurückgeht, Newman Pate gestanden hat, wenn auch diese »Patenschaft« nicht als einseitige Festlegung für die Zukunft gedacht war.34

Die beiden genannten Gründer des Oratoriums hatten von ihrem Noviziat in Birmingham ein kleines Werk Newmans mitgebracht, das als Manuskript etwa 1861 gedruckt worden war.35 Es handelte sich um Vorträge über die Berufung und die Spiritualität des Oratoriums, die Newman seit 1846 den Mitgliedern und Novizen seines Oratoriums gehalten hatte. Nach seinen Konstitutionen sollen die Mitglieder des Oratoriums einen Weg gehen, der von dem der Orden »recht verschieden ist«. Sie legen keine Gelübde ab. Sie sind »Weltpriester, die in Gemeinschaft leben«. Newman sagt: »In diesen beiden Punkten liegt unser Wesen und zugleich der Charakter der Vollkommenheit, die von uns verlangt wird.« Unter den Oratorianern soll es eine gegenseitige »liebende Vertrautheit« aus dem täglichen Umgang miteinander geben, die Berufungsentscheidung des Oratorianers erfolgt für ein bestimmtes Haus, an das er sich gebunden fühlt, für eine bestimmte »Familie von Freunden«. »Ordensleute mögen sich als Pilger auf dieser Erde betrachten«, sie mögen aus Askese »Verzicht leisten auf wissenschaftliche und literarische Betätigung und auf die Geistesbildung, die damit gegeben ist«, oder auch auf »menschliche Zuneigung oder persönliche Anhänglichkeit«. In einem anderen Vortrag kommt Newman auf das Bild des englischen Gentlemans zu sprechen. Dieser Begriff aus der Feudalzeit war das Zielbild der Bildung an der Oxforder Universität. Newman löste ihn von allen Vorstellungen von Rang und Stand und fasste ihn neu als Verfeinerung und Differenzierung des Geistes und des Herzens, als Fähigkeit des Sichhineindenkens in andere Menschen innerhalb und außerhalb der engeren Gemeinschaft. Newman beklagt bei manchen Heiligen und manchen Ordensgemeinschaften sowie »einer Menge von durchschnittlichen Christen« die Unfähigkeit, den »liebenswürdigen rücksichtsvollen Geist Christi vom Herzen her in Auge und Zunge« als Mittel der äußeren Kommunikation zur Wirksamkeit zu bringen.

Entscheidend war für ihn u. a. die grundsätzliche Öffnung des Oratoriums für Aufgaben in der Welt und unter den Menschen – jene Zuwendung zur Welt, die das II. Vatikanische Konzil für die ganze katholische Kirche gefordert hat. Bei einem Christen wird diese liebende und dienende Zuwendung, die in menschlicher Sympathie ihre Grundlage hat, zur christlichen Tugend, auch mit allen Konsequenzen, die das Kreuz Christi für das christliche Leben bedeutet. Jeder Einzelne wird in dieser Gemeinschaft »einen erheblichen Teil seines Privaturteils aufgeben« müssen, und so muss es auch im Oratorium »einen sich selbst verleugnenden, religiösen Gehorsam« geben, der »ein Wohnheim in eine Gemeinschaft« von Priestern und christlichen Laien »verwandelt«.

Die Konfrontierung des 1930 gegründeten Leipziger Oratoriums mit diesem Gedanken Newmans bezeichnet J. Gülden als fruchtbare Begegnung, und so kann er die Aufgaben, die die Diaspora-Großstadt Leipzig dem Oratorium stellte, in diesem Licht sehen und schildern. Wer von uns älteren Mitgliedern auf die Zeit seiner theologischen und spirituellen Ausbildung zurückblickt, wird Kardinal Newman unter seinen Meistern und Lehrern an hervorragender Stelle finden, so wie es J. Gülden in seinem autobiografischen Beitrag zum 28. Jahrestag seines »Katholischen Hausbuchs«, »Die Kirche – in unserem Leben«, überzeugend darstellt. Es waren ja Newmans Gedanken, die »ihn und seine Freunde bei der ersten Lektüre wie kaum je andere faszinierten«.36

Was damals in den Seelen einer kleinen Gruppe von katholischen Studenten vorging, war natürlich nur ein unbedeutendes Symptom des Durchbruchs des katholischen Denkens nach dem Ersten Weltkrieg, den Romano Guardini als »das Erwachen der Kirche in den Seelen« bezeichnet hatte.

Es herrschte damals gleichsam eine Aufbruchstimmung. Diese kam auch in den Zeitschriften der katholischen Jugendbewegung zur Auswirkung, z. B. in: Die Schildgenossen37 und Werkblätter38. In der Zeitschrift Die Schildgenossen erschienen zur Zeit der Gründung des Leipziger Oratoriums Auszüge aus den jüngst veröffentlichten Briefen Newmans mit einem Kommentar von Theo Gunkel. In einem dieser Briefe schreibt Newman unter Berufung auf Philipp Neri zur Charakterisierung der Oratorianer: »Sie sind home people (›eine heimgebundene Familie‹), sie halten keine Predigten, sondern sie sprechen und plaudern nur mit ihren Beichtkindern und Schülern.«39

Theo Gunkel veröffentlichte 1930 in derselben Zeitschrift eine Betrachtung zu J. H. Newmans Briefen. Hier heißt es: »Es sind Briefe einer entscheidenden und bewegten Zeit; ein großer Teil sind aber auch Briefe der Freundschaft … sie sind ein Stück englischer Kirchengeschichte, die sich spiegelt in einer großen Seele.« Die Eigenart der Stellung des Christen Newman zu Gott und Welt sieht er in dem Miteinander eines »unmittelbaren, dichterischen Mitfühlens mit Menschen und Dingen … in all ihrer Schönheit und Fülle« und zugleich »einer eigenartigen Distanz, sodass es oft ist, als ob Menschen und Dinge durchsichtig würden, dahinter Gott und die Seele als das einzig Wirkliche bestehen blieben«. Für Newmans Vorstellung von der christlichen Vollkommenheit findet Theo Gunkel die Formel »menschliche Heiligkeit«, wie sie auch sein Vorbild, den heiligen Philipp Neri, auszeichnete (S. 566 ff.).40

Damals suchte sich die katholische deutsche Jugend ihre geistlichen Lehrer selbst. Dazu gehörten auch führende Theologen des »Verbandes der Katholischen Akademiker«, der Anliegen der Zeitschrift »Hochland« nach 1918 aufgenommen hatte. Alljährlich wurden Kongresse veranstaltet, bei denen z. B. Abt Ildefons Herwegen, Karl Adam, Romano Guardini als Redner auftraten. Besonders der Kongress in Ulm im Jahr 1923 wurde von großen Scharen von katholischen Studenten geradezu gestürmt, und gerade hier vermittelte Przywara ihnen in seinen Vorträgen eine Begegnung mit Newman. Nach dem Kongress schrieb Przywara an J. Bacchus, den Verwalter des Newman-Archivs in Birmingham, dessen Gedächtnis Dessain sein Buch über Newman gewidmet hat: »Ich war wirklich erstaunt, auf diesem Kongress zu erfahren, wie weit ausgebreitet die philosophische und religiöse Bewegung unter den deutschen Katholiken ist. An einem Abend behandelte ich einzig das Thema Newman, indem ich versuchte, die thomistische Philosophie der Persönlichkeit des Objekts mit Newmans Philosophie der Persönlichkeit und seiner psychologischen Sicht vom Glauben zu kombinieren.«41 Przywara erklärt: »Newmans erkenntnistheoretische Nöte sind auch die unseren, er kennt unsere geschichtliche Situation, und er kennt unser Herz, er hat die Realitätstheorie gefunden, die wir heute erstreben.« Er findet in der »monumentalen Abgeklärtheit des Thomas« verborgene personale Züge, und er sieht in der personalen Philosophie des englischen Kardinals eine Neugeburt der Objektphilosophie des Thomas. Das Programm für ein wahrhaft katholisches, das heißt alles in Gott umspannendes Geistesleben wird in dem ergänzenden Miteinander dieser beiden Namen Thomas und Newman sozusagen personhaft dargestellt. Und so schließt er mit der Formulierung: »Nicht Thomas oder Newman, sondern … Thomas und Newman« (S. 176). In dem zitierten Brief heißt es sogar, dass die Schriften Newmans »für die Gegenwart von ähnlicher Bedeutung sind wie die des heiligen Thomas zu seiner Zeit«, denn die Aufgabe der Synthese zwischen der aristotelischen Philosophie und der vom Platonismus beeinflussten Theologie der Väter sei immer neu zu leisten.

Auch in seinen späteren Werken kommt Przywara immer wieder auf Newman zurück. In seinem Buch »Augustinus, die Gestalt als Gefüge« sagt Przywara, dass der Geist des Augustinus in der Neuzeit allein in Newman »seine Vollauferstehung hat«.42 Newman habe in einem »unerbittlichen Realismus« und im Drang zur »Realisierung« philosophisch und theologisch die durch die Reformation bestimmte Neuzeit überwunden (S. 72).

Newman und die moderne katholische Theologie

In dieser Zeit gab es in Deutschland eine Erneuerung der Theologie, wenigstens bei den Theologen, die die Auseinandersetzung mit den Zeitströmungen nicht scheuten. Nur scheinbar blieb die alte Lehrbuchtheologie im Besitzstand. Im Folgenden sollen einige führende Theologen dieser Zeit zu Wort kommen. Dabei ist es kaum zu vermeiden, dass hier die dem Nichttheologen schwer verständliche Sprache der theologischen Wissenschaft gesprochen wird. Hier wird gleichsam von einer anderen Ebene als in der bisherigen Darstellung die Wende in der Geschichte der Theologie beschrieben, deren »genialer Vorläufer« Newman war. Vielleicht könnten die nächsten Seiten dem nicht theologisch vorgebildeten Leser helfen, die Hintergründe des theologischen Fortschrittes beim II. Vatikanischen Konzil wenigstens zu erahnen. Immer mehr vollzog sich eine »Abkehr von der starken Betonung der apologetischen Funktion der Theologie mit ihren rationalistischen Methoden«. Zugleich mit der Entfaltung der »dem Glauben immanenten Vernuftgemäßheit« wurde die Apologetik als Fundamentaltheologie, das heißt an den Glauben gebundene dogmatische Wissenschaft gefasst. Die Lehre von der Kirche als umfassende Wirklichkeit trat in den Vordergrund. In seiner Darstellung der Geschichte jener Jahre hebt Adolph Kolping auch die Christozentrik der neu gestalteten Theologie hervor sowie die Anfänge eines ökumenischen Denkens.43

Diese Erneuerung kann nicht ohne Newman gedacht werden, wenn man auch nicht sagen kann, dass sie sich seine Theologie schlechthin zum Vorbild genommen hätte. Es wurde aber anerkannt, dass vieles in der Fragestellung und in der Lösung von Newman schon vorweggenommen war. Nur vereinzelt wurde Newman in den Abhandlungen über diese Fragen ein eigener Abschnitt gewidmet. Wie oft begnügte man sich mit der bloßen Feststellung, Newman sei als einer der Vorläufer dieser Lehre zu betrachten! Man berief sich oft auf Newman, ohne eine konkrete Kenntnis seiner wissenschaftlichen Bedeutung zu haben. Man wusste von dem Ernst seines Suchens nach der Wahrheit und von seiner Aufgeschlossenheit für die modernen theologischen Probleme ebenso wie von seiner Treue zur Kirche. Es bedurfte ja noch vieler Spezialstudien, um Newman richtig zu verstehen. Nirgendwo hat er sein theologisches System in einer geordneten Form vorgelegt.

Eine Schwierigkeit für den deutschen Theologen war natürlich auch die Sprachgrenze. Bis zum Zweiten Weltkrieg fehlten die fünf »konstruktiven Bücher« Newmans in der Reihe der Ausgewählten Werke und die Oxforder Universitätspredigten erschienen erst 1936 und 1940.44 Von manchen Übersetzungen dieser Zeit muss man sagen, dass sie das wissenschaftlich-theologische Verständnis Newmans für den deutschen Leser eher blockiert als gefördert haben – was nicht ausschließt, dass etwa die eigenwillige Sprache des Laientheologen Theodor Haecker in seinen Übersetzungen der Hauptwerke Newmans einem offenen Geist ein wahrhaft kongeniales Verständnis der Anliegen Newmans verriet.

Wir sahen: Die Newman-Forscher waren unter den deutschen Theologen schon seit dem Ersten Weltkrieg keine isolierte Gruppe. Die Theologen, die Thomas von Aquin neu verstehen und über ihn hinaus weitergehen wollten, taten das nicht zuletzt im Zeichen Newmans. Die jüdische Konvertitin Edith Stein arbeitete über Thomas von Aquin und übersetzte zugleich Kardinal Newman. An den Theologischen Fakultäten von Bonn und Tübingen konnte man damals Vorlesungen über Newman hören, dessen Werk mit der Tübinger Schule und mit Matthias Joseph Scheeben in Beziehung gesetzt wurde. Die große Dogmatik von Schmaus45, die allerdings erst im Jahr 1958 vollendet wurde, ist das erste Beispiel dafür, dass ein Dogmatiker damit ernst macht, in Newman einen Klassiker der Theologie zu sehen, der so viele heute wichtige Gedanken vorweggenommen hat, dass man immer wieder auf seine Lehre zurückgreifen muss.

In breiter Front wagte sich die Theologie damals aus der bloßen Haltung der Defensive hervor. Es bildete sich ein Strom, in dem zunächst so mancher Theologieprofessor wie ein Felsen Widerstand leistete. Die Dogmatiker konnten nicht mehr bei der Scholastik stehen bleiben, Exegeten sich nicht mehr ängstlich auf die philologische Akribie zurückziehen. Die Theologie ging jetzt daran, sich geschichtlich zu orientieren. Als das geschehen war, blieben eigentlich aus dem 19. Jahrhundert nur drei große Namen übrig, Möhler, Newman und Scheeben – wobei Scheeben am weitesten der von ihm groß gesehenen Tradition verhaftet blieb, dazu, schon ins 20. Jahrhundert übergreifend, H. Schell.

Eine neue Newman-Renaissance sollte erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland entstehen.

Die Newman-Renaissance

Die zweifache Newman-Renaissance in den 20er-Jahren und seit 1945 kam aus dem Herzen der Reformbewegung, die das katholische Denken schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfasst hatte und die durch das II. Vatikanische Konzil für die ganze Kirche fruchtbar geworden ist. Mit W. Lipgens kann man sagen: »In Newman sieht der Katholizismus seine eigene geistige und religiöse Erneuerung seit dem Ersten Weltkrieg vorgebildet.«46 Es gab und gibt keinen anderen Namen aus der Geschichte, den die neue Bewegung auf ihre Fahne hätte schreiben können. Nicht nur das Ethos seiner Frömmigkeit, mit dem er sein persönliches Schicksal meisterte, sondern auch die Inhalte seines Denkens mussten sich immer mehr auswirken, auch auf der Ebene der systematischen Theologie.

Für die Zeit nach dem Ende des Krieges darf ich vielleicht mit einer persönlichen Erfahrung beginnen. Kurz nach der Entlassung aus der Gefangenschaft stieß ich im Oktober 1945 in Köln auf eine Universitätswoche, die dort zur Feier des hundertjährigen Gedächtnisses von Newmans Konversion veranstaltet wurde. Hier sprachen u. a. Matthias Laros, Robert Grosche, Gottlieb Söhngen und Paul Simon, vereint im selben Geist der Verehrung Newmans und in dem Willen, den Teilnehmern, die sich damals auf den Trümmern der Stadt sammelten, Newman als religiösen Denker und Theologen nahezubringen. Nicht zuletzt auch durch den großen Erfolg der Kölner Tagung ermutigt, entstand in Tübingen der Plan einer Folge von Newman-Studien, von denen 1948 der erste Band erscheinen konnte.47 Damals wurde auch ein Newman-Kuratorium aus gleich gesinnten Theologen gegründet in der Absicht, »die Kräfte zu sammeln, die sich um die Erschließung des theologischen Werkes Newmans bemühen und die Verpflichtung verspüren, sein Vermächtnis in unseren Tagen einzulösen«. Die beiden Herausgeber sagten damals im Vorwort des ersten Bandes: »Wir haben nicht nur ein historisches Interesse, sondern eine wissenschaftlich-theologische wie geistig-religiöse Zielsetzung.«

Auch der Dichter Reinhold Schneider trat dem Newman-Kuratorium bei. Er, der durch seine Sonette ein Führer im Kampf gegen den Faschismus gewesen war, schrieb 1945 ein Lebensbild Newmans48 und rief die Generation der Heimkehrer zu einem neuen Anfang auf.

Im ersten Band der Newman-Studien schrieb H. Fries programmatisch über »Newmans Bedeutung für die Theologie«.49 Nicht das theologische System mit seiner Begrifflichkeit, sondern die Wirklichkeit des konkreten Menschen und die Wirklichkeit des lebendigen Gottes ist die Welt Newman’schen Denkens (S. 181). Der Zusammenbruch hatte uns so sehr auf unsere menschliche und christliche Existenz zurückgeworfen, dass für uns Theologie in keiner Weise ein Selbstzweck sein konnte. Die neu aufzubauende Theologie in Deutschland musste im Dienst der Wirklichkeit stehen, im Dienst der Offenbarung Gottes und des Glaubens. Newman war für uns der Lehrer einer kerygmatischen Theologie.50 Newman hatte ja wie Thomas von Aquin versucht, geistige Bewegungen und Intentionen seiner Zeit aufzufangen und in eine lebendige Beziehung zum Wort Gottes und zum christlichen Leben zu bringen.

Newmans Glaubensbegriff ist für Fries eine wahre Befreiung und Erlösung gegenüber einer rationalistischen Apologetik und zugleich einer falschen Gnosis, die das Denken aufhebt (S. 187). Durch Newmans Glaubensbegründung vom personalen Gewissen her wird der Glaubensbegriff erhellt und lebendig gemacht. »Was Newman in der Frage nach dem Verhältnis von natürlicher Religion und Offenbarungsreligion und der Begründung der Offenbarung zu sagen hat … ist für die Verlebendigung der Fundamentaltheologie vom menschlichen Dasein her von großer Bedeutung.«

So fordert Fries auch, dass die Theologie Newman nachfolgt, wenn sie den Charakter von Offenbarung als geschichtlicher Größe zu erheben sucht und den Gesetzen und der Struktur dieses Geschehens als einer geschichtlichen Entwicklung nachgeht. Sodann wird von Fries Newmans realistische Sicht der Kirche behandelt. Newman sieht ja die Einheit der Kirche nicht als Uniformität, sondern als Einheit in Mannigfaltigkeit ihrer Ämter und Funktionen, und zwar so, dass auch der Glaubenssinn des christlichen Volkes seine grundlegende Bedeutung erhält (S. 197). Fries sagt: »Auch gegenüber der unfehlbaren Lehrautorität der Kirche und des Papstes bleibt bei Newman die Autorität des Gewissens gewahrt.« Sein Kirchenbild sei das Bild von der pilgernden Kirche.

Inzwischen hatte Otto Karrer unter dem Titel »Kardinal Newman. Die Kirche« eine neue Newman-Synthese vorgelegt, aus der die deutschen Theologen Newman besser kennenlernen konnten als bisher.51

Unser Interesse gilt der Beantwortung der Frage, was von diesem Programm der 40er-Jahre in der heutigen deutschen Theologie durchgeführt worden ist.

Ausführlicher wollen wir einen der bedeutendsten Fundamentaltheologen in Deutschland behandeln, Gottlieb Söhngen. Wir begegnen seinem Namen unter den Einberufern des Newman-Kongresses von 1945. Sein Vortrag in Köln hatte hohen theologischen Rang und seine Gedanken zum Verständnis Newmans wurden dann alsbald in einer Broschüre, Kardinal Newman. Sein Gottesgedanke und seine Denkergestalt, veröffentlicht.52 Söhngen will in seiner Schrift die eigentümliche theologische Sehweise und Denkweise herausstellen, »die in Newmans Gottesbegriff und Glaubensgewissheit am Werke ist«. Er sieht Newman in der Linie der platonischen Denkart, in der Linie Augustinus’, Bonaventuras, Möhlers (S. 17, 63). Die Stimme Gottes im Gewissen ist der Ausgangspunkt, und zugleich öffnet sich das Problem Verborgenheit Gottes in der Welt. Auch wenn Newman (ebenso wie Augustinus) »das Herz in die schreibende Hand tritt«, bleibt er Theologe. Sein bedeutendes Anliegen ist die »Vereinigung … von Religion und Theologie zu einer Theologie der Erfahrung: eine Theologie der ›Realisierung‹ (realising), d. h. der Einbildlichung der religiösen Wirklichkeit durch die lebens- und wirklichkeitsvolle Erfassung und Vergewisserung des Glaubensgehaltes« (S. 40). Nur ein Philosoph und Theologe, der von dem Genius Newmans berührt war, konnte, wie man von Söhngen gesagt hat, die Fundamentaltheologie in Deutschland wieder zu neuem Ansehen bringen. Wie Newman trug er »den Ernst philosophischen Fragens ins theologische Gespräch« (S. 9).

Im Jahr 1952 erschienen gesammelte Aufsätze Söhngens unter der Überschrift »Die Einheit in der Theologie«. Es ging dabei um die »Einheit von natürlicher und übernatürlicher, historischer und systematischer Theologie christlicher und humaner Existenz«. Hier wird unter Berufung auf Newman auch der Begriff der Voraussetzung entwickelt und klar zwischen den innerwissenschaftlichen und den weltanschaulichen Voraussetzungen unterschieden. Zehn Jahre später bezeugen die Herausgeber der Festgabe zum 70. Geburtstag Söhngens53, dass Söhngen die Fragen und Antworten Newmans für die anstehende Problematik des Geschichtlich-Konkreten und Personalen erschlossen und fruchtbar gemacht habe (S. 8). Das Erscheinungsjahr dieses Buches ist zugleich das Jahr der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils durch Papst Johannes XXIII.

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