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Kapitel 2

Raven

"Das stimmt doch gar nicht!", lache ich, lege mein Nutella Brötchen auf meinen Teller und zeige auf Aiden. "Du bist mir doch ständig hinterhergelaufen, wie ein Hund!"

Dad, er und ich frühstücken gemeinsam in der Küche und reden und lachen. Nachdem ich gestern mit Dad geredet habe, ist seine Laune viel besser und ich merke jetzt, dass er Aiden tatsächlich sehr mag, denn sie machen durchgehend Witze zusammen. Meistens auf meine Kosten, doch das ist in Ordnung, ich kenne es ja nicht anders, so sind sie nun mal. Ich finde es einfach schön zu sehen, dass die beiden sich so gut verstehen und wir gemeinsam lachen können.

Gerade reden wir darüber, wie Aiden und ich uns kennengelernt haben.

"Und was war dann die Sache mit Noahs Party? Du hast mir dein Hinterteil so offensichtlich entgegengestreckt, dass es schon fast pervers war!", erzählt er lachend.

Ich verschränke die Arme. "Du hast mich nachts einfach mit zur Kirche geschleppt! Hallo? Mehr Argumente brauche ich eigentlich gar nicht!"

Aiden schnaubt. "Du hättest mich ja wieder wegschicken können."

"Hab ich aber nicht."

"Ganz genau! Weil du volles Rohr auf mich standest!"

Mit den Augen rollend, sage ich: "Nicht so sehr, wie du auf mich."

"Okay", sagt Dad und lacht. "Anscheinend kommen wir hier zu keinem Ergebnis."

"Doch", meint Aiden und sieht mich frech an. "Raven wollte mich mit ihren ganzen Körben nur neugierig machen und daraufhin habe ich ihr nur das gegeben, was sie wollte - Dass ich ihr ständig hinterher laufe."

Ich seufze schmunzelnd. "Genau so war das und nicht anders. Dad, weißt du, ob heute die Mula auf hat?"

Er überlegt kurz, dann sagt er: "Ja, sie sollte aufhaben. In der Zeitung stand sogar, dass heute verkaufsoffener Sonntag ist, also habt ihr Glück."

"Perfekt", sage ich und sehe zu Aiden. "Heute zeige ich dir mal ein bisschen von meiner alten Welt."

Er hebt eine Braue, beißt in sein Brötchen und sagt mit vollem Mund: "In einer Mula? Was zur Hölle ist eine Mula?"

"Das siehst du dann. Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass du es mindestens genau so cool finden wirst, wie ich."

Aiden sieht zu meinem Vater. "Werde ich das cool finden?"

Dad lacht auf. "Ich finde es ganz und gar nicht cool, aber ich bin auch von einer ganz anderen Spezies als ihr beiden."

"Stell dich nicht so an, du sagtest doch, dass du ein bisschen von Aldbury sehen willst und das ist der erste Schritt", sage ich.

"Da vorne links", weise ich Aiden an, während wir durch Amersham, die nächstgelegene Stadt, fahren.

Ich habe ihm versprochen, dass ich ihm die schönsten Sachen von meiner Heimat zeigen werde und das tue ich auch. Er verhält sich zwar so, als hätte er da überhaupt keine Lust drauf, doch ich weiß ganz genau, dass seine Augen nicht einfach so funkeln, wenn ich ihm etwas zeige, das mir früher gefallen hat und womit ich meine Zeit so nebenbei verbracht habe. Ich habe ihm die schönsten Aussichtspunkte in Aldbury gezeigt, zu denen ich früher oft gegangen bin und meine Lieblingsläden in Amersham, vor allem meine Lieblingsbibliotheken. Ich weiß einfach, dass es ihm mindestens genauso gefallen hat, wie mir.

"Fahren wir jetzt endlich zu dieser Mula?", fragt Aiden, als er links abbiegt.

Ich nicke. "Ja, das habe ich mir als letztes ausgesucht, da die erst um fünf Uhr auf."

"Mula könnte ein Name für ein Bordell sein."

"Es ist aber kein Bordell, Aiden."

"Ist es besser als ein Bordell?"

"Das musst du mir dann sagen."

Er grinst schelmisch. "Mach ich."

Ich rolle mit den Augen. "Ich weiß, dass du noch nie in einem Puff warst, also tu nicht so. Halte hier an dem Parkplatz."

Aiden fährt auf den Parkplatz. "Was macht dich da so sicher?"

Ich sehe ihn mit erhobener Braue an.

Er lacht. "Ist ja gut!"

Wir steigen aus dem Auto aus und ich führe Aiden zu einem großen, altmodischen Gebäude auf dem mit großer, roter Schrift Le Mula darüber steht. Das Gebäude hat ungefähr vier Stöcke und gleicht ein wenig dem Lincoln Center in New York. Ich liebe es, dass es in so einem altmodischen Stil gehalten ist, das gibt dem Ambiente einen gemütlichen Charme.

"Wow, das ist riesig", staunt Aiden, als wir unter dem steinigen Vordach hindurch laufen, vorbei an zwei großen Statuen, die Engel darstellen sollen, sie zeigen beide auf den Eingang.

"Ich weiß", lächele ich und öffne für ihn die große Glastür, die in die Eingangshalle führt.

"Merci jolie", sagt er, verbeugt sich vor mir und geht durch die Tür.

Ich lache. "Du kannst französisch?"

"Ich hatte es in der High School, aber ich habe so gut wie fast alles verlernt." Er lässt seinen Blick durch die riesige Eingangshalle gleiten, dessen Wände komplett aus Stein bestehen.

Mich hat das alles immer an ein Schloss erinnert. An manchen Ecken stehen Statuen und oben an der Decke sind unendlich viele Muster eingraviert, genau wie an manchen Wänden. Es ist einfach traumhaft.

Aiden scheint es auch zu gefallen, denn er kann seine Augen gar nicht mehr von den Wänden und der Decke lassen.

"Und, ist es besser als ein Bordell?", frage ich ihn und stumpe ihn leicht mit meinem Ellenbogen in die Rippen.

Er wacht aus seiner Trance auf, blickt aber immer noch an die Decke. "Das hoffe ich doch."

Ich schmunzele. "Komm, wir müssen noch Eintrittskarten kaufen", lasse ich ihn wissen und gehe auf den Ticketstand zu.

"Eintrittskarten?", fragt Aiden, als er mir folgt. "Ist das eine Veranstaltung?"

"So ähnlich."

"Aber hier ist doch überhaupt niemand."

Wir kommen beim Ticketstand an und ich lächele der Verkäuferin nett zu, als ich ihr fünf Pfund auf den Tresen lege. "Wir sind eine halbe Stunde zu früh da", sage ich zu Aiden als sie mir zwei Tickets gibt.

"Hätte ich nicht eigentlich bezahlen sollen? Ich bin der Mann", meint Aiden, als ich ihm ein Ticket in die Hand drücke.

Ich gehe auf eine große Steintreppe zu, die mit einem roten Teppich bedeckt ist. "Nur weil du reich bist, heißt das nicht, dass du alles bezahlen darfst", necke ich ihn.

Wir gehen die Treppe hoch.

"Ich werde diesen Spruch jetzt ignorieren und mich wieder auf diese einzigartige Atmosphäre konzentrieren", sagt Aiden und lässt seinen Blick wieder durch das große Gebäude gleiten.

Ich kichere leise und wir kommen an einer Art Tor an, wo ein Mann in einem weißen Anzug steht, mit weißen Handschuhen.

Er nickt uns freundlich zu. "Bonjour, die Dame und der Herr", sagt er mit einem französischen Akzent.

Ich lächele ihm zu und halte ihm die Tickets hin. "Bonjour monsieur gentil."

Er lächelt zurück und nimmt mir die Tickets ab: "Viel Vergnügen."

Als Aiden und ich durch das Tor gehen, sieht er mich mit erhobenen Brauen an. "Du kannst französisch?"

Ich zucke selbstgefällig mit den Schultern. "Ich hatte es in der High School, habe aber so gut wie fast alles verlernt", zitiere ich seine Worte von eben.

"Touché."

Wir laufen durch einen abgedunkelten Gang, der ebenfalls nur aus Steinen besteht, zu einer großen Metalltür.

"Das ist ja richtig aufregend", meint Aiden belustigt, als wir an der Tür ankommen.

Wir bleiben davor stehen.

Ich sehe zu ihm auf und lächele. "Jetzt wirst du sehen, was mir in an meiner Heimat am meisten den Atem geraubt hat."

Er öffnet die große Tür und lässt sie hinter uns ins Schloss fallen.

Er sieht schweigend geradeaus, seine Augen sind riesig.

Aiden

Ich muss mir mehrmals über die Augen reiben, um auch wirklich zu kapieren, was ich hier gerade vor mir sehe. Bücher, überall Regale mit Büchern. Sprachlos trete ich einen Schritt nach vorne, um über den Rand des Balkons sehen zu können auf dem wir stehen. Es bietet sich mir eine Unendlichkeit von Büchern. Zwischen den Regalen ist ein Durchgang, auf dem Tische platziert sind.

Das ist sie also, Ravens Welt. Sie ist beeindruckend, mehr als ich sie mir je hätte vorstellen können. Ich kann mir schon genau ein Bild davon machen, wie Raven da unten an einem Tisch sitzt und durch die vielen Bücher stöbert.

"Was sagst du?", fragt Raven, die wieder neben mir auftaucht und mit mir geradeaus sieht.

"Es ist -“, ich muss kurz meinen Kopf schütteln, um wieder klar denken zu können. "Es ist Wahnsinn! Ich meine, sieh dich um!" Ich halte mir staunend die Hände an den Kopf. "Das sind ja abartig viele Bücher!"

Raven kichert. "Ich wusste, dass es dir gefallen wird."

"Mir gefallen ist gar kein Ausdruck!"

"Komm", sagt sie lächelnd und geht nach links, ein paar Treppen vom Balkon hinunter zu den vielen Regalen.

Ich folge ihr, mit dem Blick immer noch auf diese wahnsinnige Aussicht, die sich uns bietet.

"Das hier ist keine normale Bibliothek", erzählt Raven, als wir zwischen zwei Regalen hindurch laufen. Sie lässt ihren Finger an den Büchern streifen.

Ich höre ihr aufmerksam zu.

"Es gibt sie schon seit mehreren hundert Jahren. Ich glaube, sie wurde 1438 gebaut, oder 1439, ich bin mir nicht mehr sicher, aber das Einzigartige hieran ist, dass alle diese Bücher", sie macht eine allumfassende Geste, "zu neunzig Prozent aus selbstgeschrieben Gedichten, Poesie und anderer Literatur bestehen."

Wir laufen langsam weiter durch die Regale.

"Man findet hier wirklich sehr selten eine richtige Geschichte", erzählt Raven weiter. "Jede Woche findet hier eine Veranstaltung statt, in der Menschen sich versammeln um ihre eigenen Werke vortragen. Deshalb mussten wir die Karten kaufen. Man kann selbst etwas vortragen oder auch einfach nur zuhören. Aber das, was die meisten anspornt hier ihre Gefühle zu veröffentlichen ist, dass jedes Gedicht, jede Poesie, jeder kleinste Spruch, der hier vorgetragen wird, in ein Buch eingetragen wird. So ist das schon seit dem Mittelalter. Alle die Bücher hier enthalten die Gedanken der Menschen von früher, die ihre Lyrik hier geschrieben haben und das ist eine Tradition, die es bis heute gibt."

"Und das wird heute auch passieren?", frage ich sie.

Sie nickt lächelnd. "Ja, deswegen sind wir extra früher gekommen, ich wollte dir die Bibliothek unbedingt zeigen."

"Das war eine gute Idee", lächele ich und verfolge mit meinem Blick die unendlichen Bücher an denen wir langsam vorbeigehen. "Das hast du früher gemacht? Mit Leuten Poesie ausgetauscht?"

"Ja", meint sie. "Ich habe die Mula entdeckt, als ich zwölf war. Ich weiß noch, dass ich an dem Tag total schlechte Laune hatte, weil meine Mutter meinem Vater einen weiteren Job versaut hat und wir wieder kaum Geld hatten. Ich war so stur und genervt von alldem, dass ich einfach abgehauen bin und mit dem Zug nach Amersham gefahren bin. Mein Dad hat sich höllische Sorgen gemacht." Sie lacht leicht, in Erinnerungen schwelgend. "Es hat geregnet und das Gebäude war das einzige in der Nähe, das auf hatte, damit ich mich irgendwo hinein setzen konnte. Und als ich dann die Bibliothek betreten habe, war irgendwie alles anders. Es klingt bescheuert... Aber ich habe hier schon so viele Bücher gelesen, die voll mit den Gedanken und Problemen der Menschen der letzten Jahrhunderte sind und irgendwie haben sie mich jedes Mal aufmuntern können. Sie haben mir auf eine Art und Weise gezeigt, dass es Leute gab, die sich manchmal genauso gefühlt haben wie ich, nur halt unter anderen Umständen und das hat mich immer wieder hier her gezogen."

Bei der Vorstellung, wie eine jüngere, einsamere Raven sich hier in den Büchern dieser Bibliothek verliert, weil sie traurig ist und Aufmunterung braucht, dreht sich mir der Magen um.

"Und tja, das habe ich gemacht, bevor ich auf das College gekommen bin", sagt sie lachend.

"Steht von dir auch etwas in den Büchern?", frage ich interessiert.

"Nein", sagt sie und bleibt vor einem Regal stehen, lässt ihren Blick suchend über die Bücher gleiten. "Ich habe lieber den Leuten hier zugehört, die etwas zu erzählen hatten."

Ich runzle die Stirn und bleibe neben ihr stehen. "Wieso? Ich wette, es würde dir gefallen, wenn du deine eigene Marke in einem der Bücher hinterlassen kannst."

Sie zuckt mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Mir war es irgendwie nie so wichtig. Kannst du mir mal das braune Buch mit den roten Verzierungen runterholen?", fragt sie und zeigt nach oben in die erste Reihe.

Ich greife danach und ziehe es aus den vielen Büchern hervor. Partie Espoir III steht darauf. In meinen hintersten Erinnerungen meiner Französischkenntnisse, weiß ich, dass Partie Teil und Espoir Hoffnung bedeutet. Es sieht extrem alt aus und die Seiten sind auch schön braun und faltig. Ich reiche es Raven, die es mir aus der Hand nimmt und es öffnet.

"Das war damals mein Lieblingsbuch", sagt sie schmunzelnd und blättert suchend durch die Seiten. Sie geht ein paar Schritte von mir weg, dreht sich dann theatralisch um und legt sich mit geschlossenen Augen die Hand aufs Herz, in der anderen Hand hält sie das aufgeschlagene Buch. Ich sehe, dass sie sich ein Lächeln verkneifen muss. Sie räuspert sich und spricht dann mit geschwollener Stimme: "Ihn muss ich beklagen - der die Hoffnung senkt - Ach, wie konnt‘ er verzagen, wo des Herren Wille lenkt!" Sie hält sich die Hand schmachtend an die Stirn und ich muss mir ein Lachen verkneifen. "All sein Trost in Schmerz und Leiden, all sein Ruhm in Spott und Schmach - mussten von ihm scheiden, da die Hoffnung... brach." Raven klappt das Buch wieder zu und verbeugt sich als Abschluss.

Erst herrscht eiserne Stille zwischen uns beiden, doch dann fange ich an zu klatschen und wir brechen in Gelächter aus. "Wie eine richtige Magd aus dem Mittelalter, die sich über ihren Ehemann beschwert", gluckse ich und stelle das Buch wieder zurück in das Regal.

"Das ist meine Spezialität", lacht Raven und sieht auf ihre Uhr im Handy. "Wir müssen langsam los, die Vorträge fangen gleich an."

"Und heute trägst du etwas vor", sage ich und grinse sie frech an, als wir, an den Regalen vorbei, zu einer weiteren Tür am anderen Ende der Bibliothek gehen.

Sie lacht belustigt auf. "Vergiss es!"

"Das werden wir noch sehen", murmle ich.

Wir betreten einen großen Raum, mit vielen Sitzplätzen und einer großen Bühne. Es ist ebenfalls in einem sehr altmodischen Stil gehalten und die Wände sind genauso wie in der Eingangshalle an manchen Stellen mit Mustern verziert. Der Raum ist voll mit Menschen, die sich auf ihren Plätzen einfinden. Ich hätte mir irgendwie nie vorstellen können, dass hier tatsächlich so viele Leute hingehen, es ist ja fast so voll, wie in einer Oper oder einem Musical. Kaum zu glauben, dass Raven sich unter so viele Menschen gemischt hat und das jedes Mal alleine.

"Wir sitzen ziemlich mittig", ruft mir Raven über das laute Gemurmel der Leute zu . Ich nicke und folge ihr, vorbei an jungen und älteren Menschen, zu unseren Plätzen.

Was mir auffällt ist, dass sie alle sehr gut gekleidet sind. Ihr Aufzug schreit einem schon quasi ins Gesicht, dass sie sehr reich sein müssen. Umso lustiger ist es, dass Raven und ich überhaupt nicht hierher passen, wir sehen aus wie zwei verdammte Penner im Gegensatz zu dem ganzen Rest.

Aber sie scheint es genau so wenig zu interessieren, wie mich.

Wir quetschen uns an den Leuten in unserer Reihe vorbei uns lassen uns in unsere Sitze fallen. Wir sitzen genau in der Mitte und haben den perfekten Blick auf die Bühne. Rechts neben mir sitzt eine alte Frau und unterhält sich gerade mit ihrem Mann. Sie ist ebenfalls sehr edel gekleidet und ihre weiße Perlenkette zeigt mir, dass sie sich wohler mit ihrem Kontostand fühlt, als manch anderer.

"Aiden", flüstert Raven mir zu und lehnt sich zu mir.

"Ja?"

"Können wir vielleicht die Plätze tauschen?", sagt sie leise und deutet auf den Platz neben sich.

Ich runzle die Stirn und sehe über sie hinweg, zu ihrem Sitznachbarn. Ein älterer Mann, ungefähr Ende fünfzig sitzt neben ihr und steckt sich gerade den Finger in die Nase und lässt danach einen lauten Grunzer heraus.

"Bitte", fleht Raven leise und sieht mich mit einem Hundeblick an, dem ich wahrscheinlich nicht widerstehen könnte. "Er riecht nach reinem Fischkutter."

Ich lache leise und sehe sie an. "Tut mir leid, Baby, aber du willst mir doch nicht meinen ersten Besuch in einer Mula versauen oder?"

Sie sieht mich böse an und setzt sich wieder gerade hin. "Arsch", murmelt sie und sieht nach vorne zur Bühne, auf der gerade ein Mann in einem Anzug zu einem Mikrofon läuft.

"Das habe ich gehört", flüstere ich amüsiert, während die Lichter ausgehen und nur noch ein Scheinwerfer auf den Mann auf der Bühne gerichtet ist.

Sie schnaubt.

"Guten Abend, meine Damen und Herren", spricht der Mann durch das Mikrofon.

Der Raum wird still.

"Ich heiße Sie alle recht herzlich Willkommen zu einer neuen Vorstellung hier in der Mula. Wir freuen uns, Sie bei einem Treffen der Menschen, die ihre Empfindungen, Erinnerungen und auch Gefühle mit uns teilen, begrüßen zu dürfen. Freuen Sie sich auf einzigartige Poesie, Dichtung und Lyrik der letzten Jahrhunderte am Ende der Vorstellung, genauso wie auf Auftritte der bekanntesten Dichter aus Amersham. Lassen Sie sich inspirieren und begeistern, von Literatur und Gedichten aller Art. Natürlich sind alle Menschen hier im Raum dazu eingeladen ihre Gedankengänge hier oben vorzutragen. Wir freuen uns immer wieder auf neue Gesichter. Fangen wir auch schon gleich mit dem ersten Künstler an: Adam Poway, dreiunddreißig Jahre alt, aus Amersham. Applaus!" Er sieht nach rechts und ein Mann im Jackett betritt lächelnd die Bühne, während der Raum begeistert klatscht.

Er stellt sich vor das Mikrofon und der Raum wird wieder still. "Hallo", sagt er ein wenig nervös. "Das ist das erste Mal, dass ich etwas vortrage, deswegen bitte ich um ein wenig Verständnis, falls ich vor lauter Nervosität in die Hose mache oder weinend zusammenbreche."

Der Raum lacht, mich eingeschlossen.

Er holt einen Zettel aus seiner Jacke hervor. "In dieser Lyrik geht es um meine Tochter. Sie feiert heute ihren dritten Geburtstag. Happy Birthday mein Schatz." Bevor er anfängt, räuspert er sich noch einmal und schließt die Augen. "Caitlin... Caitlin, Caitlin, Caitlin. Ich könnte deinen Namen hundert Mal wiederholen und er würde mir immer noch den Atem rauben, mir immer noch das Herz erwärmen, während ich an dich denke. An deine schönen, blauen Augen, die du von deiner Mutter geerbt hast. Oder an das kleine Muttermal neben deinem rechten Auge, das du von mir geerbt hast. Ich kann mich noch an den Moment erinnern als du das erste Mal gelacht hast. Du hast gelacht und gelacht ... und gelacht und gelacht. Deine Mutter hatte Tränen in den Augen als wir das erste Mal dein schönes Lachen gehört haben. Sie gibt es zwar heute immer noch nicht zu, dass sie geweint hat, doch ich weiß, dass sie lügt. Du kennst sie, sie ist stur. Ich weiß noch, wie sich eine kleine Falte um dein Auge gebildet hat, als du so heftig gelacht hast. Das kleine Muttermal ist in dieser Falte verschwunden. Es nahm uns beiden irgendwie die Zweisamkeit, als ich sah, dass es weg war. Denn du warst glücklich in diesem Moment, doch ich war nicht mehr auf deiner Haut für ein paar Sekunden. War das ein Zeichen? War das das Zeichen, dass ich etwas hätte anders machen sollen? Caitlin... Caitlin, Caitlin, Caitlin. Ich könnte deinen Namen hundert Mal sagen und er würde mir immer noch den Atem rauben. Ich weiß noch, wie du deinen ersten Schritt gelaufen bist. Deine Mutter schrie durchs ganze Haus, sie schrie: Adam, Adam, Caitlin läuft! Ich stand in diesem Moment gerade unter der Dusche und bin fast ausgerutscht, weil ich unbedingt zu dir wollte. Ich rannte zu dir, in Euphorie … Doch als ich bei dir ankam, da saßt du schon wieder. War das ein Zeichen? War das das Zeichen, dass ich etwas hätte anders machen sollen? Ich wünschte, du könntest mich jetzt sehen. Ich wünschte, du könntest mich verstehen und mich anhören. Dann würde ich dir jetzt sagen, wie sehr ich dich liebe. Doch das kannst du nicht. Du wurdest uns genommen. Du wurdest uns genommen, weil wir nicht gut genug waren. Du starbst, weil wir nicht gut genug waren. Mein kleiner Schatz … du starbst, weil wir nicht gut genug waren. Du saßt, während wir auf dich zu rannten. Ich liebe dich, Caitlin. Caitlin, Caitlin, Caitlin. Ich kann deinen Namen unendlich mal sagen, und er raubt mir immer noch den Atem. " Eine Träne läuft ihm über das Gesicht, als er das letzte Mal in das Mikrofon haucht: "Ende."

Der Raum ist erst komplett still, dann fangen alle an laut zu klatschen und zu jubeln.

Adam sieht erst noch sehr traurig aus, dann fängt er an zu lächeln. Er hebt dankend einen Arm. "Vielen, vielen Dank!"

Raven klatscht ebenfalls laut und jubelt ihm zu.

Ich sitze nur starr in meinem Sitz und fühle mich schlecht, dass ich nicht für ihn klatsche, doch ich bin zu betroffen von seinen Worten.

Während der ganzen Zeit, in der er redete, musste ich an Tammy denken. Fast alles was er gesagt hat, hat meine Gefühle beschrieben und das haut mich um. Wie er von ihren blauen Augen schwärmte und wie sie gelacht hat.

Ich habe in letzter Zeit oft versucht nicht an sie zu denken, weil ich endlich wieder unbeschwert leben will, doch anscheinend habe ich gerade einen Aussetzer. Ich meine, ich weine nicht oder schreie herum, aber die Tatsache, dass sich genau so fühlt wie ich, macht mich betroffen.

Vielleicht ist es das, was Raven vorhin meinte. Sie kam hierher, weil es hier Menschen gibt, die sich manchmal so fühlen wie sie und jetzt kann ich es nachvollziehen, schon nach den ersten zehn Minuten.

"War das nicht Wahnsinn?", fragt Raven mich leise, als Adam von der Bühne geht. "Was hast du?"

Ich schlucke und fange mich wieder, atme tief ein und aus. "Ich musste nur gerade an Tammy denken. Aber ja, er war wirklich gut."

Sie vergräbt ihre Hand in meiner. "Hier wirst du verstanden, Baby."

Ich lächele sie an. "Das merke ich."

In der nächsten Stunde stehen verschiedene Leute auf der Bühne und haben ihre Gedichte und Poesie vorgetragen. Die einen lesen lustige Geschichten vor und manche auch abgrundtief traurige, wie Adam. Es ist wirklich alles dabei und das beste ist, dass ich während der ganzen Zeit nicht an Tammy denken muss.

"So kommen wir auch schon am Ende der Veranstaltung an", spricht der Host durch das Mikrofon. "Für manche, die neu hier sind, erkläre ich nochmal die Regeln für den Abschluss: Wir suchen heute ein Opferlamm aus. Das bedeutet, irgendjemand aus dem Publikum wird ausgesucht und kommt nicht darum herum hier vorne etwas vorzutragen, sei es auch noch so kleingeistig. Es kann natürlich auch gerne jemand freiwillig nach vorne kommen. Hat jemand irgendwelche Vorschläge?"

Das ist perfekt, das ist meine Chance! Ich stehe schnell auf, bevor irgendwer anderes es kann und brülle nach vorne: "Hier ist jemand!"

Alle starren mich an und drehen sich zu mir um. Ich habe das breiteste Grinsen, das ich bieten kann, im Gesicht.

"Aiden, setz dich sofort wieder hin!", zischt Raven mich an und zieht an meinem T-Shirt.

"Ah, der junge Mann im schwarzen T-Shirt", sagt der Host durch das Mikrofon. "Möchten Sie etwas vortragen?"

Ich schüttele den Kopf und zeige auf Raven. "Ich nicht, aber meine Freundin! Sie kommt hier schon seit Jahren her, hat sich aber nie getraut!"

"O, Gott", höre ich Raven eingeschüchtert sagen.

"Dann nach oben mit ihr!", ruft der Host durch das Mikrofon und das Publikum jubelt.

Ich sehe sie stolz an.

Sie versinkt in ihrem Sitz und hält sich ihre Hand vors Gesicht, als würde sie dann niemanden mehr sehen.

"Komm, Baby", sporne ich sie lachend an. "Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass ich das nicht machen würde."

"Das kannst du getrost vergessen."

"Na los", sagt die alte Frau neben mir. Sie lächelt aufmunternd zu Raven. "Wir hören so selten Gedichte von jungen Mädchen. Tun Sie uns doch bitte den Gefallen."

Raven sieht sie hilflos an und weiß nicht was sie sagen soll.

"Jetzt steh schon auf Kleine", brummt der Mann neben ihr und stupst sie amüsiert an. "Sonst ist dein Freund umsonst aufgestanden."

"Genau!", sage ich und grinse frech, verschränke die Arme.

"Der Applaus ist für Sie!", ruft der Host durch das Mikrofon. "Geben Sie sich einen Ruck!"

Raven seufzt und richtet sich auf. Ihr Gesicht ist knallrot. Sie sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an als sie aufsteht. "Dafür werde ich dich umbringen!", zickt sie mich leise an und geht durch die Sitzreihe, nach vorne.

Ich lache. "Das ist es mir wert!" Zufrieden setze ich mich wieder hin und beobachte sie, wie sie unsicher auf die Bühne geht.

"Na geht doch", sagt der Host zufrieden in das Mikrofon. "Wie ist denn Ihr Name? Ravel? Raven? Raven Green? Achtzehn Jahre alt aus Aldbury. Okay! Also liebes Publikum! Wir haben hier die nette Raven Green, achtzehn Jahre alt aus Aldbury. Applaus!" Er geht lächelnd davon.

Raven geht mit kleinen Schritten und angezogenen Schultern an das Mikrofon. Ich kann mir mein breites Grinsen einfach nicht verkneifen.

"Hallo", piepst Raven in das Mikrofon, räuspert sich dann und sagt: "Hallo."

Der Applaus verstummt und man hört sie tief durchatmen.

"Um ehrlich zu sein, habe ich überhaupt nichts vorbereitet", sagt sie entschuldigend.

"Improvisiere!", ruft jemand aus dem Publikum und die Menge klatscht wieder anspornend.

Komm schon, Raven, hau sie um.

Raven scheint nachzudenken und der Raum ist wieder komplett still. Plötzlich gehen die Lichter wieder aus und der Scheinwerfer ist auf sie gerichtet. Sie sieht mich an und ich lächele ihr aufmunternd zu.

"Okay", keucht sie ins Mikrofon. "Das, was ich jetzt vortragen werde, habe ich geschrieben, das ist noch gar nicht so lange her. Um ehrlich zu sein war es letzte Nacht." Sie lacht leicht.

Ich runzle verwirrt die Stirn. Letzte Nacht?

"Ich, ähm, das ist etwas, was ich geschrieben habe, weil ich wusste, dass ich es endlich kann", sagt sie leise. "Es heißt: Du."

Niemand im Raum spricht, hustet oder scheint zu atmen.

Sie holt das letzte Mal tief Luft und schließt die Augen. "In einer stillen Nacht als du in meinem Bett schliefst und ich aus dem Fenster sah, ein Gedicht über dich schrieb ... Da machtest du auf einmal ein süßes, leises Geräusch, das mich dazu brachte, dich anzusehen. Und da warst du. Sahst warm aus, deine Wangen gerötet. Wie du immer nachts aussiehst. Diese Art von schön, die meine Hände zum jucken bringen, weil ich dich unbedingt berühren möchte. Deine Locken fielen auf das weiße Kissen und ich erinnerte mich, wie sie sich jedes Mal wie eine weiche Wolken anfühlten, wenn ich mein Gesicht darin vergrabe ... Als ich dich so ansah; der Mond schien durch das Fenster ... Du bewegtest dich plötzlich, legtest dich in eine andere Position und deine Haut strahlte ... Und ich dachte: Ich würde alles für ihn tun, Verdammt, diese Art von Liebe macht mich so zerbrechlich. Und ... Wie könnte ich jemals ohne ihn leben?" Sie atmet tief ein und aus, ihre Augen sind immer noch geschlossen. "Er ist es. Er, verdammt nochmal, ist es. Ich könnte es nicht noch mehr beschreiben, er ist es. Er ist der einzige, den ich jemals haben wollte. Ich gehöre zu ihm. Er ist mein Zuhause. Ich meine … Ich sehe ihn an und irgendwie beginne ich, uns beide in fünfzig Jahren zu sehen, sitzend, auf einer alten Veranda, mitten im Nirgendwo, zusammen. … Ich brauche ihn. Er ist das einzige, das mich interessiert. Er ist mein Glück. Er wird es immer sein, denn er ist es. … Er ist es."

Der Raum ist in totale Stille gehüllt und in meiner Lunge scheint der komplette Sauerstoff zu entweichen. Was zur Hölle war das denn?

Plötzlich fängt der Mann, der neben Raven saß, an zu klatschen und steht auf. Alle anderen erheben sich ebenfalls von ihren Stühlen. Ich stehe auch auf, klatsche so laut ich kann und muss feststellen, dass ein beschissener Kloß in meinem Hals steckt. Was macht sie nur immer wieder mit mir?

Raven steht vorne und strahlt.

Das Licht geht wieder an und mittlerweile stehen alle Leute in diesem Raum und jubeln ihr zu, mich eingeschlossen.

Sie geht breit lächelnd von der Bühne und der Raum beruhigt sich wieder.

"Sie haben wirklich Glück", sagt der Ehemann der alten Frau, die neben mir sitzt.

Mein Grinsen scheint wie fest getackert und ich nicke. "Ja", sage ich. "Ja, ich weiß."

Raven quetscht sich durch die Reihe und ab und zu hört man von jemandem aus der Reihe ein: "Gut gemacht!", oder "Sehr schön!" Sie bedankt sich mindestens tausend Mal und plumpst dann in den Sitz neben mir.

Als ich sie ansehe, lächelt sie mich unschuldig an als wüsste sie nicht, dass das gerade einer der emotionalsten Momente ist, den wir je gemeinsam teilen werden.

Ich schüttele unglaubwürdig den Kopf und ziehe ihren Kopf zu mir, küsse sie so fest und liebevoll wie ich kann. Als ich von ihr ablasse, ihr Gesicht aber immer noch in meinen Händen halte, sehe ich ihr ganz tief in die Augen. "Du würdest mir nicht glauben, wie sehr ich dich liebe, wenn ich es dir sagen würde", hauche ich ihr zu.

Die Leute um uns herum fangen wieder an zu klatschen und sehen zu uns.

Verwirrt blicken wir auf, müssen aber feststellen, dass sie tatsächlich wegen uns klatschen.

Unsere Liebe könnte die ganze Welt erstrahlen.

Raven

"Können wir nochmal bei Scar vorbeifahren?", frage ich Aiden, der gerade aus unserem Hof fährt, um wieder nach London zu fahren.

Mittlerweile ist es schon acht Uhr abends und alleine der Abschied von meinem Dad hat eine Stunde gedauert. Er war wirklich traurig, dass wir wieder nach London fahren, denn wir haben kaum Zeit mit ihm verbracht. Mir tut es für ihn unheimlich leid, dass ich wieder zurück muss, da er nun für die nächsten Wochen wieder alleine ist. Ich habe ihm dieses Wochenende mindestens zehn Mal gesagt, dass er sich endlich eine Freundin suchen soll, damit er seine Zeit nicht alleine verbringen muss. Ein Leben, das nur aus Arbeit und Langweile besteht, hat er nicht verdient. Er ist zwar - wie immer - diesem Thema aus dem Weg gegangen, aber ich hoffe trotzdem, dass er irgendwann wieder eine nette Frau kennenlernt, die er tatsächlich liebt.

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430 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783738054521
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Вторая книга в серии "Collide-Lovestory"
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