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Samstagnachmittag, Frauenchiemsee

»Aha, das ist er wirklich auf den Fotos?«

»Ich würde sagen, ja. Wir hatten es vermutet, die Fotos sind zwar unscharf, trotzdem ist eigentlich klar, dass es sich um Robert handelt. Außerdem hat sein Gesicht Bände gesprochen.«

Oliver saß im Biergarten auf der Fraueninsel, ganz der Anwalt im Wochenende: dunkelblaue Bermudashorts, rosa Polohemd und teure Männer-Flipflops. Auf seinem Kopf trug er die Baseballkappe eines namhaften italienischen Sport-Labels. Er hatte Messer und Gabel sinken lassen, während Katharina von ihrem Gespräch mit Adelhofer erzählte. »Wo hat Birgit diese Fotos noch mal entdeckt?«, hakte er nach.

»Das war in diesem Fall nicht schwierig. Auf Fanclubseiten auf Facebook und Instagram gibt es jede Menge Fotos von Begegnungen mit Robert. Auf einigen sieht man ihn undeutlich in einer Menge von Autogrammjägerinnen an der Kampenwand unterhalb vom Gipfel. Sie halten alle ihre Smartphones hoch, drum ist er nicht gut erkennbar.«

Katharina schaute versonnen auf Olivers Teller.

Mit dem Schweinsbraten und den Knödeln war er inzwischen fertig. Die Kellnerin brachte gerade einen großen Becher Spaghettieis. Vorne am Wasser saß Svenja auf dem Steg und hatte offenbar eine interessante, circa achtjährige Männerbekanntschaft gemacht. Eigentlich hätte Katharina ihrer Tochter gern kurz Hallo gesagt. Als könnte Oliver Gedanken lesen, riet er:

»Lass es sein, Svenja hat gerade sowieso keine Augen für dich.«

Tatsächlich war ihre Tochter so vertieft ins Gespräch mit dem rothaarigen Wuschelkopf, dass Mütter nur stören würden.

»Bei diesem ausgefallenen Männergeschmack muss sie sich später wenigstens nicht mit anderen Mädels um den Gleichen kloppen«, seufzte Katharina.

Nachdem sie beschlossen hatte, Olivers Beispiel zu folgen und heute Kalorien Kalorien sein zu lassen, bestellte sie ebenfalls den Schweinsbraten mit Knödeln, Rotkraut und »viel Kruste«.

»Hat Birgit sich bei dir gemeldet?«, fragte sie Oliver, der mit weiten Teilen seines Gesichts im Eisbecher verschwunden war, um noch den letzten Rest rauszuschlecken.

»Nein, du müffteft doch beffer wiffn, wo fie fteckt«, ertönte es undeutlich aus der Glasschale.

Weiter kamen sie nicht, denn Svenja hatte offenbar bereits genug von ihrem rothaarigen Flirt. Sie kam ohne Schuhe und mit nassen Füßen an den Tisch und forderte in klarem Befehlston: »Ich will auch Schweinsbraten und Spaghettieis.«

»Hallo, Svenja«, blieb Katharina freundlich und drückte ihrer Tochter einen Kuss auf den Wuschelkopf. »Warum hast du deinen Freund nicht mitgebracht?«

»Der ist nicht mein Freund. Der ist saudoof. Und außerdem heißt er Konstantinus. Voll arschblöder Name.«

Oliver und Katharina warfen sich einen Blick zu und wechselten das Thema. Svenja würde ohnehin nicht mehr erzählen über ihren Ärger.

»Was haben Oliver und du Schönes gemacht, mein Schatz?«, fragte Katharina liebevoll, nachdem die Kinderportion Schweinsbraten bestellt war.

»Wir haben im Klosterladen Marzipan gekauft und wir waren baden. Ich bin Olli davongeschwommen.« Svenja kicherte bei der Erinnerung daran.

»Olli?«, fragte Katharina mit hochgezogenen Augenbrauen in Richtung Oliver. »Wenn ich dich Olli nennen will, sprichst du drei Tage nicht mehr mit mir, und Svenja darf das?«

»Svenja ist eben was Besonderes«, grinste Oliver und streichelte seinem liebsten Pflegekind über die heute zu zwei Zöpfen gefassten braunen Wuschelhaare.

»Logisch ist Svenja was Besonderes«, tönte es hinter Katharina. »Bei dieser Mama cool zu bleiben, da muss man was Besonderes sein, gell Svenja?«

Svenja strahlte vor Stolz darüber, dass eine Erwachsene sie als cool bezeichnete, während sich Birgit Wachtelmaier auf den letzten freien Stuhl am Tisch setzte.

»Oh, Schweinsbratentag. Bin dabei«, sagte sie mit einem Blick über den Tisch, auf dem Olivers leerer und Katharinas gut gefüllter Teller standen.

»Passt die Eier-Diät nicht zum kleinen Schwarzen?«, fragte Katharina grinsend. »Wobei«, sie warf einen prüfenden Blick über Birgits Freizeitoutfit – knallrote Turnschuhe, gelbe Leggings, darüber schwarze Leinenshorts und dies kombiniert mit einem giftgrünen, tief dekolletierten T-Shirt, unter dem ein orangefarbener Spitzen-BH hervorlugte – »du siehst wieder normal aus.«

Svenja hatte inzwischen den Nächsten an der Angel – am Nachbartisch saß ein circa zehnjähriger bayerischer Bursch mit Lederhose und kariertem Hemd, verspeiste genüsslich seinen Schweinsbraten, flirtete mit Svenja … und sie zurück. Sie grinsten sich an, schauten weg, grinsten sich wieder an. Bis Svenja die Sache in die Hand nahm und zu ihrer Mutter im Aufstehen sagte: »Du, Mama, sag der Kellnerin bitte, sie soll meinen Schweinsbraten an den Nachbartisch bringen.«

Sprach’s und saß neben ihrem neuen Schwarm, schüttelte dessen Eltern artig die Hand und war flugs in ein Gespräch mit Ludwig vertieft. So hatte sich der braungelockte Nachwuchs-Casanova jedenfalls eben vorgestellt.

»Na, in Sachen Männeraufriss könntest du von deiner Tochter echt noch was lernen«, kommentierte Birgit.

»Danke für den Tipp. Und, was ist noch passiert auf der Beerdigung?«

»Mmh, vielen Dank.« Birgit strahlte die Kellnerin an, die ihr ihren Schweinsbraten, bestehend aus zwei großen Bratenscheiben mit lecker duftender dicker brauner Sauce, zwei ebenfalls recht überdimensionierten Kartoffelknödeln und einer beachtlichen Schale Rotkraut, vor die Nase stellte.

»Die Kinderportion bitte für die Partnerin des jungen Herrn am Nachbartisch«, bat Birgit schmunzelnd die Bedienung. Während sie ihre Knödel zerlegte, begann sie, über Schweinsbratenrezepte zu philosophieren: »Der Arnulf wollte ihn nur mit Biersauce, finde ich auch nach wie vor am besten. Man kann alternativ Brühe nehmen. Das Wichtigste ist sowieso, den Braten stundenlang mit der Schwarte nach unten in Flüssigkeit zu legen, sonst wird sie nie knusprig. Mmh, genau so haben die das hier gemacht. Köstlich.«

Oliver warf Katharina einen verwirrten Blick zu, sie machte unauffällig eine beschwichtigende Geste in seine Richtung.

»Birgit?«, fing sie vorsichtig an.

»Ja? Willst du noch ein Stück, könnte ich verstehen, der ist zum Reinlegen, hier, nimm.« Birgit hielt ihrer Freundin eine Gabel mit einem ansehnlichen Bratenstück vor die Nase.

»Danke, ich bin satt. Könnten wir noch mal kurz über die Beerdigung sprechen?«

»Logisch. Die meisten Botox-Tanten sind abgedüst, als Robert weg war. Nur diese fürchterliche Heike Ballinger von ›Szene‹ stand noch eine Weile mit dem Wedel herum und es ging offenbar um die nächste Sendung von Adelhofer. Der Wedel hat der Heike auf die Schulter geklopft und ›gut gemacht‹ gesagt.«

»Wusste ich es, dass das geplant war«, sagte Katharina und berichtete Oliver und Birgit von ihrer Beobachtung am Grab. »Alle haben gehört, warum es ohne Unterbrechung mit Roberts Sendung weitergehen wird, und viele der Kollegen werden es brav schreiben und den untadeligen Ruf des Robert Adelhofer weiter zementieren«, erläuterte Katharina entnervt. »Und ich muss mir die Sendung natürlich reinziehen.«

Während Birgit weiter den Schweinsbraten in sich hineinschaufelte, berichtete Katharina ihr von dem Gespräch mit Adelhofer und seiner Reaktion auf die vermeintlichen Fotos aus den Bergen.

Birgit wischte sich den Mund ab und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Das ist doch ein Beweis, dass er lügt.«

»Das glaube ich auch, aber so richtig gut erkennt man ihn auf den Fotos nicht.« Ein breites Grinsen ging über Birgits Gesicht. »Er ist es, Wahrscheinlichkeit 98,6 Prozent.«

Katharina und Oliver starrten Birgit verwundert an.

»Tja, ihr Lieben, ihr habt es schließlich nicht mit einer Dilettantin zu tun. Ich habe mir eine Gesichtserkennungssoftware besorgt, die nicht mal die Polizei nutzt, und die hat dieses Ergebnis ausgespuckt. Beautiful Robert war definitiv noch mindestens einmal in den Bergen.«

Bester Laune bestellte sich die Archivarin einen Apfelstrudel, hob ihr Glas und sagte: »Prost, lasst uns Wochenende machen.«

Samstagabend, München Haidhausen

Oliver Arends saß in Katharinas Küche und rieb sich die Schläfen. Es war kurz nach 10 Uhr, Svenja befand sich nach einem flirtreichen Tag am Chiemsee im Bett, Birgit, Katharina und Oliver saßen vor der zweiten Flasche Rotwein. Aufs Abendessen hatten sie nach dem übermäßigen Bratenkonsum zu Mittag verzichtet.

»Wie macht sich eigentlich ein Aneurysma bemerkbar?«, fragte Oliver recht unvermittelt nach seiner sachlichen Zusammenfassung des aktuellen Recherchestandes im Fall Adelhofer.

Katharina stöhnte leise auf. Birgit, die Olivers hypochondrische Seite nicht gut kannte, fing sofort an, medizinisches Wissen auszupacken: »Na ja, das kann unterschiedlich sein. Viele merken nichts, manchen wird schwindlig, andere haben Kopfschmerzen.«

»Kopfschmerzen«, stieß Oliver erschreckt hervor. »Ich habe ständig Kopfschmerzen. Im Moment klopft es an den Schläfen.«

Er sah Katharinas entnervtes Gesicht und schob nach: »Sind sicher nur Verspannungen, der Physiotherapeut langt meist zu fest zu, danach ist mir oft schwindlig. Wo waren wir? Katharina, du glaubst, dass an dem Adelhofer und seiner Geschichte irgendwas faul ist. Warum? Weil ihm nicht gefallen hat, dass Leute über ihn erzählen, sie hätten ihn in den Bergen gesehen. Hm, bisschen dünn, finde ich.«

Katharina staunte, dass Oliver von selbst das Thema wechselte, ließ sich aber nur zu gerne darauf ein. »Na ja, fassen wir zusammen: Er behauptet in seiner ersten Sendung, er sei nie mehr in den Bergen gewesen. Sieht danach aus, dass das nicht stimmt. Könnte also sein, dass das Trauma des Bergwinters nicht so groß ist. Und ansonsten sagt mein Bauchgefühl mir, dass irgendwas nicht stimmt. Du hast recht, seine Reaktion auf die Bergfotos reicht nicht, aber ich bin erst am Anfang. Lass mich nur mal recherchieren, also Birgit und mich«, sagte sie und streckte ihrer Freundin den erhobenen Daumen entgegen.

Einige Stunden vorher,
Breitbrunn am Chiemsee

Achim Wedel wurde langsam unruhig. Okay, Robert hatte heute seinen Bruder beerdigt. Es gab lustigere Termine. Aber eigentlich konnte er froh sein, dass er Lukas loshatte. Er war in den letzten Jahren nur noch ein Klotz am Bein gewesen. Neidisch, ständig besoffen, pleite. Keine gute PR für beautiful Robert.

Jetzt lag Lukas unter der Erde. Eigentlich besser fürs Business.

Robert schien das anders zu sehen. Er saß wie erstarrt neben ihm, seitdem sie vom Adelhofer-Hof weggefahren waren. Hatte sich auf den Beifahrersitz gesetzt. Und sprach kein Wort. Seit einer halben Stunde.

Dabei mussten sie dringend die Sendung planen. Wedel beschloss zu handeln:

»Robert, ist irgendwas?« Wedel nahm eine Hand vom Lenkrad und klopfte unbeholfen auf Roberts Oberschenkel.

Robert fuhr auf, als würde ihm gerade erst klar, dass jemand neben ihm saß. Er schaute Achim mit starrem Blick an und sagte: »Mein Bruder ist heute beerdigt worden, schon vergessen?«

»Nein, nein, Robert, klar, tut mir leid. Ich dachte nur …«

»Du dachtest nur, das wäre mir egal. Nein, du dachtest, das wäre mir sogar recht. Endlich ist der Lukas weg. Gell, Achim? Bloß so einfach ist das nicht, verstehst du? Nein, das verstehst du natürlich nicht. Familie ist dir ja fremd. Gibt’s nicht bei Herrn Wedel. Sondern nur Geld und Macht und Macht und Geld, ich weiß. Aber ich habe eine Familie. Verstehst du? Eine Mutter, die fast stirbt vor Kummer über den Tod ihres Sohnes, und einen Vater, der die Welt nicht mehr versteht.« Jetzt brüllte Robert. »Und du fragst mich, ob irgendetwas ist? Du Vollidiot!«

Achim Wedel hätte gute Lust gehabt zurückzubrüllen. Wahrscheinlich war es mit der Tussi von »Fakten« nicht gut gelaufen. Deshalb machte er hier einen auf betroffen.

Ausrasten würde Achim erst, wenn Robert die Sendung platzen ließe. Sie musste stattfinden. Traumquoten waren garantiert. Und ein deutlich höheres Honorar für alle auch.

»Tut mir leid, Robert. Ich bin ein Gefühlstrampel. Ich war nur den ganzen Nachmittag in Kontakt mit der Redaktion wegen der Sendung und es gäbe einiges zu besprechen.« Dramatische Kunstpause. »Aber ich bin der Letzte, der dich zu der Sendung zwingt. Wenn es dir nicht gut geht, fällt ›Krise‹ mit Robert Adelhofer nächste Woche eben aus. Das wird jeder verstehen. Norma kann dich bestimmt vertreten.«

Jetzt würde sich rausstellen, wie sehr Robert litt. Wenn er freiwillig zuließ, dass Norma Andall ihm den Sendeplatz abnahm – und sei es nur für einen Abend –, müsste man ernsthaft anfangen, sich Sorgen zu machen.

Dass Norma seine Urlaubsvertretung war, hatte Robert am Anfang akzeptiert. Sie machte ihre Sache allerdings so gut, dass der Programmchef bereits geäußert hatte, es seien zwei Moderatoren für »Krise« denkbar. Das passte Robert gar nicht.

Seine Urlaube in diesem Jahr hatten deshalb maximal sechs Tage gedauert, jede Sendung hatte er moderiert.

Wedel trat zufrieden aufs Gaspedal, schaltete im Radio auf Bayern zwei und sagte entschuldigend zu Robert: »Sorry, dass ich die ganze Zeit das Popgedudel laufen hatte. Danach ist dir wahrscheinlich nicht.«

Robert fuhr sich durch die Haare, holte fahrig sein iPhone aus der Hosentasche. Als er die eingegangenen Nachrichten gecheckt hatte, fragte er: »Silke Heinrich kommt also nicht?«

Wedel musste sich ein Grinsen verkneifen. Er starrte – ganz der konzentrierte Autofahrer – auf die Fahrbahn und gab in bedauerndem Tonfall zurück: »Nein, sie haben wirklich alles versucht. Aber die Frau schirmt sich komplett ab. Ihre Eltern kriegt man nicht, Heinrichs Eltern auch nicht. Die Freunde blocken, ihr jetziger Mann sowieso. Keine Chance. Verstehe ich zwar nicht, ist inzwischen eine Weile her und sie könnte gut Geld verdienen mit einem Auftritt bei uns, aber wer nicht will, der hat schon.« Er schaute vorsichtig zu Adelhofer rüber, um zu checken, ob er zu weit gegangen war. Robert saß neben ihm, als hätte er überhaupt nicht zugehört.

»Wir haben also die Frau, deren Baby im Krankenhaus durch die infizierte Spritze gestorben ist, den alten Mann, dessen Frau sich neben ihm im Bett mit Schlaftabletten umgebracht hat, und den Siebzehnjährigen, dessen Freundin vergewaltigt und umgebracht wurde an dem Abend, als er keine Lust hatte, sie nach Hause zu bringen. Sonst noch jemand?«

»Nein, Robert, das sind bisher alle, die wir kriegen konnten. Ich weiß, es ist ein Gast zu wenig …«

»Und mein Vater.«

»Bitte?«

»Mein Vater kommt. Ich habe ihn vorhin gefragt. Er hat zugesagt.«

Jetzt nichts Unüberlegtes sagen. Robert durfte nicht merken, dass Achim Wedel am liebsten laut »Juhu« gebrüllt hätte.

»Willst du ihm das wirklich zumuten, Robert?«

»Er schafft das. Und er will das. Ich habe ihn nicht gedrängt. Er hat es angeboten.«

»Gut.«

Klappe halten, nicht gleich weiter planen. Sonst würde er vielleicht wieder durchdrehen. Wedel kannte seinen Robert.

»Du, Robert, super, wir haben alle Gäste, lass uns für heute Schluss machen. Was meinst du? Ich fahr dich heim, du ruhst dich aus und morgen um zehn bestell ich die ganze Truppe in die Redaktion?«

»Gute Idee, Achim.«

Adelhofer stellte den Autositz in Schlafposition und schloss die Augen. Die Unruhe über die Andeutungen der Langenfels ließ ihn nicht los.

Samstagabend, München Bogenhausen

Die widerspenstige Welle fiel über das rechte Auge. Das durfte sie nicht. Alles musste akkurat sein auf ihrem Kopf. Aber wofür gab es Haarspray. Sie hielt die Locke in der richtigen Position und sprühte. Na bitte. Zufrieden lächelte sie ihr Spiegelbild an und verließ das Badezimmer.

Entspannt konnte sie die nächsten Schritte planen. In ihrer neuen Designerküche machte sie sich einen doppelten Espresso. Nach dem konnte sie besser denken, in ihrem Lieblingssessel vor dem Panoramafenster. Achter Stock Bogenhausen mit einem fantastischen Blick über München – genau, wie sie es sich gewünscht hatte. Und die Wohnung kostete sie letztlich keinen Cent, überlegte sie und war sehr zufrieden mit sich.

So sollte das auch bleiben. Wie es künftig geregelt werden würde, wusste sie noch nicht. Aber dass es geregelt werden musste, und zwar von ihm, daran bestand kein Zweifel. Er wollte sie nicht, das war hart gewesen, aber sie konnte ja ansonsten jeden haben. Zahlen würde er trotzdem, da kannte sie kein Pardon. Er wusste, was passieren würde, wenn er sich nicht an die Vereinbarung hielt. »Ein Leben lang«, hatte sie gefordert und er hatte es damals wohl oder übel zugesagt. Zusagen müssen, sie hatte ihm keine andere Chance gelassen. Darin war sie einfach gut.

Mal sehen, wie er sich das künftig vorstellte, überlegte sie und lehnte sich entspannt zurück.

Montagvormittag,
Redaktion »Fakten«, München

»Und, war’s a scheene Leich?«

Katharina kannte diese Frage seit ihrer Kindheit. Trotzdem überkam sie ein leichtes Schaudern, wenn im Zusammenhang mit einer würdigen Beerdigung in Bayern von einer »scheenen Leich« gesprochen wurde.

Bei Kriminalhauptkommissarin Nina Obermann meinte Katharina immerhin, etwas Ironie herauszuhören.

Sie hatte gleich beim Aufwachen am Montag beschlossen, die Polizistin noch mal anzurufen.

Zuerst waren Svenja und sie pünktlich aufgestanden, hatten gemütlich zusammen gefrühstückt und Svenja hatte ihr zum Abschied einen Kuss gegeben mit den Worten: »Das war ein tolles Wochenende, Mama.« Nur beim Gedanken daran wurde Katharina warm ums Herz. Ihrer Tochter hatte das Wochenende gefallen, obwohl sie am Samstag hatte arbeiten müssen. Ihre Kleine war nicht beleidigt, sondern hatte den halben Samstag mit Oliver genossen. Und der Sonntag war auch nach ihrem Geschmack gewesen. Sie hatten nur herumgelümmelt – in Katharinas Bett, auf dem Sofa, auf dem Balkon und wieder auf dem Sofa. Kulinarisch war es ein »Bestell-Sonntag« gewesen. Mittags indisch, abends italienisch. Auch das hatte Svenja geliebt.

»Frau Langenfels, sind Sie noch dran?«

»Äh, ja, also nein, eine schöne Beerdigung war es eigentlich nicht, eine würdevolle auch nicht. Dafür war zu viel Botox und Getue im Spiel. Dass Sie nicht gekommen sind, bedeutet, Ihre Ermittlungen sind abgeschlossen?«

»Sieht danach aus. Ich kann Ihnen gern noch mehr berichten. Wie wäre ein gemeinsames Mittagessen? Ich muss sowieso nach München, kurz zum Adelhofer. Vorher vielleicht? 12 Uhr im ›Brauhaus‹? Die haben super Schweinsbraten.«

»Oh, den hatte ich am Chiemsee reichlich. Aber ›Brauhaus‹ ist bestens. Bis später.«

Katharina legte auf und begann, den zweiten Artikel der Adelhofer-Reihe vorzubereiten. Die Beerdigung, ihr exklusives Treffen mit Adelhofer und am Mittwoch würde sie noch die Sendung mit unterbringen.

Anschließend berichtete sie ihrem Chef vom Trip nach Breitbrunn, vom Gespräch mit Adelhofer und dem engen Kontakt mit Nina Obermann. RG zog beeindruckt die Augenbrauen hoch, mehr Zustimmung war von ihm nicht zu erwarten.

Von ihrem Verdacht gegenüber Adelhofer hatte sie nichts erzählt. Das war noch viel zu dünn.

Zwei Stunden später traf sie im »Brauhaus« ein und brauchte nicht lang zu suchen. Eine kräftige Frau Mitte 40 mit roten Haaren und flottem Kurzhaarschnitt trat auf sie zu und drückte fest ihre Hand: »Hallo, Frau Langenfels. Ich bin Nina Obermann. Ich hab da drüben den Tisch freigehalten.«

Es war nach wie vor ungewohnt für Katharina, dass Menschen, die sie noch nie gesehen hatte, sie sofort erkannten. Eigentlich war das der Vorteil einer schreibenden Journalistin, dass man nicht wusste, wie sie aussah. Seit der Medell-Sache hatte sich das bei ihr grundlegend geändert. Sie war selbst fast genauso ins Zentrum des Interesses gerückt wie ihre Story. Ihr Foto tauchte in allen Zeitungen auf, sie hatte diversen Radio- und Fernsehsendern Interviews gegeben. Höhepunkt: ihr Auftritt bei Anne Will. Nette Frau, gute Journalistin, die im Gegensatz zu vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen sinnvolle Fragen gestellt und ihre Privatsphäre respektiert hatte. Die »Alleinerziehende Mutter deckt Mega-Skandal auf«-Nummer war ihr erspart geblieben.

Katharina folgte Nina Obermann zu dem Tisch in der Ecke, wo sie ungestört sprechen konnten.

Tatsächlich bestellte die Kommissarin sich einen Schweinsbraten, Katharina beließ es bei einem Salat mit Putenstreifen. Dazu orderten beide große Johannisbeer-Schorlen – »zwoa große Johann für die Damen«, wiederholte die für Münchner Verhältnisse ungewohnt freundliche Kellnerin. »Wenn Ihnen des mit dem Salat zu grün wird, lasst sie Ihre Freundin bestimmt vom Krusterl probiern, ge«, fügte sie noch hinzu, als wollte sie ihre gute Laune und Kunden-Zugewandtheit definitiv unter Beweis stellen.

Nina Obermann und Katharina grinsten sich an, die Bedienung verschwand zufrieden.

»Frau Obermann, nachdem wir fast Freundinnen sind: Können Sie mir noch mehr über den Zustand von Lukas’ Zimmer sagen?«

»Sie verlieren keine Zeit, ich merk’ schon. Kein unnötiger Small Talk, gleich zum Punkt. Ehrlich gesagt, ich bin genauso, passt.«

Die »zwoa großen Johann« kamen, Frau Obermann hob das Glas und deutete ein Anstoßen an. »Auf die neue Freundschaft.«

»Dem Lukas sein Zimmer – grauslig eben, das hatte ich Ihnen ja gesagt. Essensreste überall, das Bett nicht gemacht, die Bettwäsche wahrscheinlich wochenlang nicht gewechselt, wenn man von dem – vorsichtig ausgedrückt – unangenehmen Geruch in dem Zimmer ausgeht. Überall lag dreckige Wäsche rum, alte Zeitungen … Langer Rede kurzer Sinn: das Zimmer eines Messies. Es gab einen kleinen Pfad von der Zimmertür zum Schreibtisch und zum Bett, ansonsten alles voll mit Müll. Und eben das besagte Heftchen mit den verschiedenen Selbsttötungsmethoden, furchtbar, übrigens handschriftlich. Lukas Adelhofer muss eine Weile dran gesessen haben. Wahrscheinlich aus dem Internet zusammengetragen.«

»Noch eine Frage zu den Zeitungen: Waren es Ausschnitte, die herumlagen, oder einfach irgendwelche alten Zeitungen?«

Frau Obermann schaute Katharina interessiert an.

»Ein Braterl mit Krüsterl und Knödl und einmal Grün mit Putenstreifen.« Das gastronomische Gute-Laune-Wunder stellte zwei nicht gerade kleine Teller vor den Frauen ab. »Lassens sich guad schmecka und …«, sie deutete auf die Schweinebratenkruste, »Krüsterl probiern lassn.«

Einen Moment lang blieb es still am Tisch, bis beide den ersten Happen gegessen hatten. Nina Obermann tunkte das nächste Stück Knödel in die Sauce, während sie weiter berichtete. »Es waren tatsächlich Zeitungsausschnitte, und zwar ging es nur um Robert Adelhofers Bergwinter, sein Wiederauftauchen, seine beginnende Karriere und so weiter. Völlig unsortiert übrigens, nichts angestrichen, keine Ordner irgendwo zu dem Thema – sah aus, als hätte der Lukas alles aufgesaugt, was über seinen Bruder geschrieben wurde, und es – im wahrsten Sinne des Wortes – einfach fallen lassen.«

»Eine perfekte Methode, depressiv zu werden – sich an der Karriere des Bruders weiden, der einen umgekehrt links liegen lässt«, überlegte Katharina laut.

»Krüsterl probiern?« Frau Obermann deutete grinsend auf die Schweinsbratenkruste. Katharina lehnte dankend ab und widmete sich weiter ihrem Salat.

»Und das Büchlein, das Sie gefunden haben, was hat es damit auf sich?«

Nina Obermann zog eine graublaue abgegriffene Kladde aus ihrer Handtasche und schob sie über den Tisch: »Schaun Sie sich’s an.«

Katharina blickte überrascht auf das Buch und dann auf die Kommissarin. Die beantwortete die unausgesprochene Frage direkt: »Ja, Sie dürfen reinschauen, ich habe die alten Adelhofers gefragt. Sie wollen nur nicht, dass es der Robert bekommt. Als ich gesagt habe, dass ich eine hervorragende Journalistin kenne, die mit dem Buch verantwortungsvoll umgehen wird und nichts veröffentlicht, ohne nachzufragen, waren sie einverstanden. Nichts veröffentlichen, ohne nachzufragen, Frau Langenfels, in Ordnung? Ich habe mich für Sie verbürgt!«

»Selbstverständlich geht das in Ordnung, vielen Dank! Dass Robert Adelhofer das Buch nicht bekommen soll, das haben sie so gesagt?«

»Die Rosa Adelhofer hat sowieso die ganze Zeit geweint, und als ich von dem Buch erzählt habe, wollten sie es beide nicht sehen. Der Max Adelhofer hat nur gesagt, dass Robert das nicht in die Finger kriegen darf, damit er es nicht in seiner Sendung verwendet. Das spricht Bände.«

»Gut, ich nehme es mit und schaue es mir gründlich an.« Katharina steckte die Kladde ein. »Das heißt, für Sie ist der Fall Adelhofer Geschichte?«

Nina Obermann wischte mit dem letzten Stück Kartoffelknödel über den Teller und steckte es sich in den Mund.

»Na ja, die Obduktion hat genau die Verletzungen bestätigt, die bei einem Sprung entstanden sein müssen. Keine Spuren von Fremdeinwirkung. Reichlich Alkohol im Blut, der zu den leeren Flaschen in seinem Zimmer passt. In der Scheune haben wir eine umfassende Beweisaufnahme und Spurensicherung gemacht, haben Fingerabdrücke von Robert und den Adelhofer-Eltern genommen, und: nichts, absolut nichts. Die einzigen Spuren, die wir gefunden haben, sind von Lukas. Überall seine Fingerabdrücke. Auf den Glasscherben, auf dem NATO-Draht, Fußabdrücke von ihm auf dem Boden der Scheune, Faserspuren im Stroh, aus dem er runtergestürzt ist. Keine anderen Spuren oder unbekannte Fingerabdrücke, nichts.«

»Sie haben Fingerabdrücke von den Eltern genommen? Wie haben die reagiert?«

Nina Obermanns Miene wurde ernst: »Es war schrecklich, dass wir der alten Frau Adelhofer das antun mussten, dafür hasse ich meinen Beruf. Sie war wie erstarrt. Und die ganze Zeit hat sie gemurmelt: ›Wir ham doch unsern Buben ned umbracht, wir ham doch unsern Buben ned umbracht.‹ Der alte Bauer hat ihr die Wange gestreichelt und nichts gesagt. Und wie nicht anders zu erwarten, haben wir keinerlei Fingerabdrücke von den beiden in der Scheune gefunden.«

Katharina überlegte: »Ist das nicht seltsam, dass vom alten Adelhofer keine Fingerabdrücke in der Scheune zu finden sind? War er nicht öfter dort? Könnte es sein, dass jemand gründlich Fingerabdrücke beseitigt hat?«

Nina Obermann grinste: »Bei Ihnen muss man gescheit achtgeben, dass Sie einem nicht den Job streitig machen. Wenn’s Ihnen bei ›Fakten‹ zu blöd wird, die Polizei kann schlaue Frauen brauchen. Jetzt im Ernst: Das habe ich mich natürlich auch gefragt. Der alte Adelhofer sagt, dass er seit Jahren nicht in der Scheune war. Die Adelhofers haben keine Landwirtschaft mehr, leben von der Rente und der Vermarktung des Sohnemanns. Der Einzige, der oft in der Scheune war, war der Lukas. Das bestätigen unabhängig voneinander seine Mutter, sein Vater und sein Kumpel Alfred Birnhuber.«

Katharina horchte auf: »Alfred Birnhuber ist …«

»Der, der uns angerufen hat, als er mitgekriegt hat, dass der Lukas nicht bei der Pressekonferenz war.« Nina Obermann grinste Katharina an. »Übrigens würde er gern mit Ihnen sprechen, soll ich Ihnen ausrichten. Er hat uns jedenfalls zur Scheune geschickt, weil er einen Verdacht hatte. ›Robertfreier Raum‹ hat der Lukas die Scheune genannt, sagt der Birnhuber.«

»Robertfreier Raum?« Katharina zog fragend die Augenbrauen hoch.

»Ja, ein Herz und eine Seele waren sie wohl schon lange nicht mehr, die beiden Adelhofer-Brüder. Die Vermarktung auf dem Hof hat dem Lukas wohl noch den Rest gegeben, sagt zumindest der Alfred. Er hätte sich oft bei ihm ausgeweint darüber, dass niemand sieht, dass Robert ohne ihn, den Bruder, niemals diese Karriere gemacht hätte. Und dass man sich für ihn mindestens genauso interessieren müsste wie für Robert. Aber er war halt kein Menschenfänger wie der Robert. Das hat sich Alfred wohl in den letzten Jahren ständig angehört.«

Nina Obermann schaute auf die Uhr: »Ich würde gern noch weiter mit Ihnen plaudern, aber beautiful Robert darf man nicht warten lassen.« Sie rollte die Augen.

»Bevor Sie fragen: Ja, ich werde Ihnen von dem Treffen mit Adelhofer berichten.«

»Warum fahren Sie überhaupt zu ihm, wenn der Fall abgeschlossen ist?«

»Ich will ihm unsere Ermittlungsergebnisse mitteilen, das gehört sich so zum Abschluss. Und nachdem ich sowieso in München zu tun hab, habe ich ihm die Fahrt nach Rosenheim erspart.« Nina Obermann winkte die Kellnerin heran, die mit Unverständnis reagierte, als Katharina auf ihre Nachfrage verneinte, das »Krusterl« probiert zu haben. Kopfschüttelnd steckte sie ihr Trinkgeld ein, während Katharina der Kommissarin zur Tür folgte.

»Nett war’s mit Ihnen, Frau Langenfels, und denkens an unsere Vereinbarung, was Lukas’ Buch betrifft, bitte. Normalerweise bin ich nicht so freundlich zu Journalisten.«

»Versprochen, Frau Obermann, Sie können sich hundertprozentig auf mich verlassen. Eine Frage noch: Wo finde ich diesen Alfred Birnhuber?«

»Anscheinend jeden Tag ab 17 Uhr beim Seewirt in Gstadt, freitags ab 12. Servus Frau Langenfels.«

Katharina beschloss, zu Fuß in die Redaktion zurückzugehen. Zum einen, um ihre Gedanken zu sortieren, und zum anderen bewegte sie sich sowieso viel zu wenig. Mit Alfred Birnhuber müsste sie in den nächsten Tagen reden. Gstadt am Chiemsee war zwar nicht gerade der perfekte Rechercheort für eine alleinerziehende Mutter aus München, aber in diesem Fall hatte sie Glück: Freitag war Oma-Tag. Svenja freute sich seit Wochen darauf, nach der Schule zur Oma zu dürfen. Katharinas Mutter war – manchmal leider, meistens Gott sei Dank – keine von den Omas, die zu Hause saßen und darauf warteten, dass ihre Enkel zu Besuch kamen. Stattdessen musste Katharina mit ihrer Mutter Susanne Wochen im Voraus einen Termin vereinbaren.

Vor zehn Jahren hatte Susanne ihrer Tochter mitgeteilt, dass sie sich von ihrem Vater scheiden lassen würde. Nachdem Katharina auf eigenen Füßen stand, hatte ihre Mutter genug gehabt vom Leben an der Seite eines eher wortkargen Polizisten. Katharina wunderte das nicht, sie selbst hatte auch nie richtig Zugang zu ihrem Vater gefunden. Seitdem er im Ruhestand war und die meiste Zeit auf Mallorca lebte, bestand ihr Kontakt aus zwei bis drei Telefonaten im Jahr und Geburtstagspostkarten.

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Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
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333 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783839267028
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