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Patton hatte zudem, wie auch Ma Rainey und viele andere, das Pech, von Paramount aufgenommen zu werden, einer Firma, die für ihre miese Aufnahmetechnik berüchtigt war, was zur Folge hat, dass ihre Aufnahmen heutzutage echt antiquiert klingen, wohingegen »Robert Johnson und Bessie Smith, die elektrische Aufnahmen für die Firma, die später Columbia werden sollte, machten, immer noch so gut klingen, als befänden sie sich mit uns im gleichen Raum.«

Die Aufnahmepolitik der Firmen hatte noch eine weitere, wenig bekannte Folge: Der Blues wurde im Gegensatz etwa zu den kollektiven Gospelgesängen als One-Man- oder One-Woman-Angelegenheit definiert. Dabei gab es sowohl Gitarrenevangelisten wie Blind Joe Taggart, Washington Phillips oder Blind Willie Johnson als auch Bluescombos wie die allseits beliebten String- und Jugbands, in denen viele Musiker spielten, die auch als Einzelinterpreten bekannt waren. Erste Aufnahmen von Jugbands gab es auch schon ab 1924 mit Bands aus Louisville, Kentucky. Dort war diese Musik, die eine Zwischenstufe von Jazz zu Blues darstellte, als Unterhaltung bei Pferderennen erfunden worden.

An fast allen frühen Jugbands war übrigens der umtriebige Geiger Clifford Hayes beteiligt. Das angebliche Blueskernland Mississippi hinkte auch hier nach. Die berühmte Memphis Jug Band war mit Aufnahmen erst 1927 dran, 1928 folgten Gus Cannon's Jug Stompers und erst 1930 die Mississippi Sheiks.

Solchermaßen setzte sich das Image vom heulenden Einzelwolf mit Gitarrenbegleitung seit den Zwanziger Jahren fest. Höchstens dem blinden Bluesbarden wollte man noch einen koffertragenden Lehrling auf staubigen Straßen zugestehen, der eventuell ein zweites Instrument spielte. Doch es gibt glaubwürdige Aussagen, etwa von Son House, dass er, Charley Patton und Willie Brown häufig zusammen auftraten.

Auch geographische Gegebenheiten spielten damals eine Rolle. Die Bahnverbindungen zwischen Chicago, dem Delta und Memphis waren günstiger als nach dem konkurrierenden New York oder in das weit entfernte Texas. »Das änderte sich auch nicht nach dem Erfolg des texanischen Sängers und Gitarristen Blind Lemon Jefferson mit ›That Black Snake Moan‹ von 1926. ... Egal, wie sie sich selbst einschätzten, in den Augen der Plattenfirmen waren die Bluesmänner Folksänger und keine professionellen Unterhalter. Ganz ähnlich wie bei den Feldarbeitern, die ihre Platten kauften, nahm man von Bluessängern an, es gäbe von ihnen einen unerschöpflichen Vorrat, sie seien beliebig austauschbar und gewillt, billig zu arbeiten. Sie waren praktisch die Hilfsarbeiterreserve der Musikindustrie.«

Die meisten von ihnen hatten angeblich nur ein begrenztes Repertoire von kaum mehr als einem Dutzend Stücke. Frank Walker, der Mann, der Bessie Smith entdeckt hatte, war jedenfalls dieser Ansicht: »Wenn du also die drei oder vier besten Songs aus dem sogenannten ›Repertoire‹ aufgenommen hattest, warst du mit dem Mann künstlerisch fertig. Du warst durch ... auf Wiedersehen. Und sie fuhren wieder heim.«

Jeder, der selbst einmal als Straßenmusiker oder in einer Band gearbeitet hat, weiß, dass mit einem so begrenzten Angebot an Material kein Durchkommen ist. Auch hier liegt noch ein relativ dicker Hund begraben, nämlich das Konzept des Hundertfünfzigprozent-Bluessängers, der seiner Lebtage nichts anderes hat und singt als den guten alten Blues. In Wirklichkeit dürfte das eine sehr späte Entwicklung gewesen sein.

Die frühen Interpreten waren vielmehr Songster: Sie sangen, was ihnen gefiel und was die Leute wollten. Und möglicherweise wollten die Leute gar nicht immer Blues. Das Repertoire der weißen und schwarzen Stringbands, das sich übrigens ebenfalls häufig überschnitt und gegenseitig beeinflusste, unterstützt diese Vermutung. Es bestand aus weißen Folksongs, schwarzen Folksongs, Bluesnummern, Tagesschlagern, Instrumentals wie den beliebten Breakdowns, Bawdy-Songs und Hokum, also schlüpfriger weißer und gepfefferter schwarzer Erotik, usw. Gut möglich, dass ein versierter Songster nur ein Dutzend Bluestitel auf Lager hatte. Vielleicht wäre er aber auch in der Lage gewesen, auf Anfrage mehr zu spielen. Und in jedem Fall umfasste sein Gesamtrepertoire viel mehr Lieder.

Lead Belly, mit seinem Riesenrepertoire von angeblich fünfhundert Songs, darunter auch Cowboylieder wie »When it's Springtime in the Rockies« – nachzuhören etwa auf Cowboy Songs on Folkways (1991) – war ebenso entschieden ein Songster wie Mississippi John Hurt, Hambone Willie Newbern, Jim Jackson, Frank Stokes aus Memphis, die Texaner Henry Thomas und Mance Lipscomb, der reisende Ragtime-Wizard Blind Blake aus Georgia oder der früh aufgenommene Papa Charlie Jackson.

Trotz aller Rassengesetze und aller Segregation scheinen zumindest die Lieder zwischen den Musikern, die kaum je Rassisten gewesen sein dürften, gewandert und getauscht worden zu sein. Davis kommt zu dem Schluss: »Das unterstreicht die frühere Behauptung, das Repertoire des typischen schwarzen Country-Songsters der Zwanziger Jahre sei mehr oder weniger identisch gewesen mit dem der weißen ländlichen Musiker der Zeit.« Als weiteren Beweis führt Davis Leslie Riddle an, einen typischen schwarzen Songster aus North Carolina, der der berühmten Carter Family viele Songs lieferte, aber kaum einem Blues- oder Countryfan bekannt sein dürfte. In den Städten, in den Barrelhouses oder bei privaten Rent-Parties wird wohl auch gemischte Kost geboten worden sein – eine Vermutung, die aber noch der Bestätigung bedarf.

Festzuhalten bleibt, dass die Geschichte des Blues anhand seiner Aufnahmen allein auch nicht exakt beschreibbar sein wird. Es bedarf wohl noch vieler interdisziplinärer Forschungen, bis die Entwicklung des frühen ländlichen Blues in einer Gesamtschau darstellbar sein wird. Für den frühen städtischen Blues sieht es etwas besser aus. Denn hier gibt es zusätzliche Quellen, mehr Fotografien, sogar filmisches Material – man denke nur an St. Louis Blues mit Bessie Smith von 1929, jetzt wieder zu sehen auf Hollywood Rhythm Vol. I, oder The Jailhouse Blues aus demselben Jahr. Bluesgeschichte ist also zuletzt auch noch Mediengeschichte – der Bücher, die über den Blues geschrieben wurden, der Fotografien und Filme, die ihn dokumentieren und auch die seiner Rezeption durch Kritiker und Fans.

Kapitel 2: Frühe Dokumente

Es wird alle Leserinnen, Feministinnen oder nicht, erfreuen, dass der allgemein als erste Bluesaufnahme anerkannte »Crazy Blues« im Jahr 1920, als die Frauen in den USA das Stimmrecht erhielten, von einer Frau, Mamie Smith (1890 – 1946), gesungen wurde. Mamie Gardener Smith war bereits im Januar des Jahres für das Label RCA Victor im Studio gewesen, ihre Aufnahme der Ballade »That Thing Called Love« wurde aber nicht veröffentlicht. Ihr Agent Perry Bradford verschaffte ihr im Februar einen neuen Termin im Studio von Okeh Records, die General Phonograph gehörten. Die gleiche Ballade und »You Can't Keep a Good Man Down« wurden im Sommer ohne große Werbung, aber mit Unterstützung der schwarzen Presse herausgebracht. Die Platte wurde sofort ein Riesenhit unter der schwarzen Bevölkerung, die buchstäblich die Läden leerkaufte. Angeblich sollen hunderttausend Exemplare abgesetzt worden sein. Okeh war auf eine Goldmine gestoßen.

Am 10. August 1920 nahm Okeh Records dann »Crazy Blues« auf. Das Studio-Orchester unter der Leitung von Perry Bradford wurde in Mamie Smith's Jazz Hounds umbenannt und auf dem Notenheft abgebildet. Ganz zu Recht beanspruchte Perry Bradford in seinen wenig bekannten Memoiren Born With The Blues (1965) seinen Anteil am Blueskuchen und brachte wenig bekannte Details zur Aufnahmegeschichte von Mamie Smith.

»Mamie Smith nahm ihre erste Platte, ›That Thing Called Love‹ und ›You Can't Keep A Good Man Down‹ mit Fred Hagers Ofay-Orchester auf (Ofay bedeutete im Theaterslang eine weiße Musikgruppe). Die Aufnahme geschah im Februar 1920.«

Patentstreitigkeiten zwischen den frühen Plattenfirmen Vocalion und Okeh auf der einen und Victor und Columbia auf der anderen Seite verhinderten jedoch eine Veröffentlichung vor August. »Während des Veröffentlichungsmonats August hatte Okeh Records über zehntausend Stück verkauft – fast so schnell wie sie die Knopflochfabrik in Scranton, Pennsylvania nachpressen und in den Süden schicken konnte. Obwohl diese Platte mit dieser Ofay-Band aufgenommen wurde, machte sie den Weg frei für einen Deal, ›It's Right Here For You‹ und ›Crazy Blues‹ einzuspielen, und die Plattenfirmen, die man [zuvor] mit einem Boykott bedroht hatte, falls sie eine junge Schwarze aufnehmen würden, flippten aus.«

Nun erhielt Bradford den Auftrag, eine Band zusammenzustellen, der er den Namen Jazz Hounds gab, und die Gelegenheit, als erster schwarzer Bandleader mit einer schwarzen Sängerin einen Blues einzuspielen. Er wählte ein Stück, das er »Harlem Blues« genannt hatte, und übte es mit den Musikern und der Sängerin ein.

»Nach der Probe am Samstag wollte ich am ›Harlem Blues‹ noch einiges ändern … Das erzählte ich zumindest Mamie; aber ich hatte bloß Schiss, falls der Song ein großer Hit werden würde, denn ich hatte die gleichen Lyrics schon drei Mal vorher verwendet. Also übten Mamie und ich von Sonntag Nachmittag um vier bis Montag früh um halb drei, konnten aber nichts verändern, außer den Titel ... Ich arbeitete hart, spielte den Song ein übers andere Mal, aber nichts passierte, denn er war einfach in sich stimmig. Meine Vermieterin, Mrs. Hall, muss Mitleid mit mir gekriegt haben, denn sie ging los und kam mit einer Flasche King Kong zurück (einer Komposition aus Alkohol und Zucker mit einem Hauch von Whiskygeschmack). Sie musste nicht weit laufen, denn der Stoff wurde über Nacht gebraut; und eine Destillerie nebenan brachte ihn alle zwölf Stunden frisch unter die Leute, damit die Kundschaft am Morgen vor der Arbeit schon einen Augentrost hatten. Ich trank den ganzen guten Liter King Kong, konnte aber nicht schlafen … bis Montag früh. Als ich aufwachte, deutete Mrs. Hall lakonisch auf einen weiteren halben Liter King Kong, riet mir, ihn zu vernichten und meinte, das würde mir auf die Beine helfen. Mamie und ich nahmen die U-Bahn, stiegen Zweiundvierzigste Straße Ecke Times Square aus und gingen ums Eck in das Okeh Studio

Da es erst acht Uhr morgens war, die Session aber für halb zehn angesetzt waren, nahmen die beiden als Frühstück noch einen Riesen-Free-Lunch für insgesamt zehn Cents ein, bestehend aus Schinken und Kartoffeln, Kaffee und Semmeln nebst zwei Glas Bier.

»Als wir dann im Aufnahmeraum waren und vier oder fünf Mal mit dem ›Harlem Blues‹ durch waren, sagte ich Mr. Hibbard, dem Toningenieur, alles sei Paletti. War aber nicht. Bis wir wirklich so weit waren, hatten wir zwölf Testplatten kaputtgemacht. Denn die Okeh Studios benutzten Hill&Dale-Equipment, das bei weitem nicht so sensitiv war wie die modernen elektrischen Geräte (die heutzutage aus Flüsterern Sänger machen). Dazwischen hatten sich alle außer Mamie eine Gallone Brombeere und Gin, das bevorzugte Prohibitionsgesöff der Musiker in Harlem, einverleibt und fühlten sich gut und high.«

Leider hatte Mamie vergessen, den Musikern die Titeländerung bekanntzugeben. Deshalb hörten sie bei der Aufzeichnung mitten im Stück auf, da sie glaubten, Mamie habe das Stück vermasselt. Aber dann war es endlich so weit.

»Als wir die Einleitung spielten, genau so, wie eingeübt und Mamie anfing zu singen, hatte ich den Thrill meines Lebens. Johnnie Dunns Kornett klagte diese träumerischen Blues, Dope Andrews machte einige Downhome-Zieher auf seiner Posaune, Ernest Elliott jivte auf der Klarinette und Leroy Parker sägte mit seiner Fiedel in den Groove. Mann, es war schier zu viel für mich.«

Diesmal lief die Werbemaschine auf vollen Touren. »Crazy Blues« von Mamie Smith & Her Jazz Hounds war ein beispielloser Erfolg und löste eine jahrelange Erfolgswelle für Bluesinterpretinnen aus. Einen guten Überblick über die Epoche verschafft das Doppelalbum Women in Blues, das auch die Originalaufnahme von »Crazy Blues« bringt.

Angeblich war es der Manager der Firma, ein gewisser Ralph Peer, dem der schöne Begriff Race Market einfiel, aus dem später die Race Records wurden. Binnen eines Jahres boomte der Markt. Im Wochentakt wurden neue sensationelle Sängerinnen angepriesen, der weitverbreitete Name Smith, mit dem sich in Krimis zwielichtige Figuren in Hotelbücher eintrugen, war auf einmal gar nicht mehr karrierehinderlich. Nach Mamie kamen noch Bessie, Clara, Clementine und Trixie Smith, alle zu hören auf Blue Ladies (Memphis Archives 1993). Die schwarze Presse wurde nicht müde, auf den Umstand hinzuweisen, dass Mamie die erste schwarze Sängerin war, die Popsongs aufgenommen hatte. Den Jazz Hounds kommt sogar noch eine weitere Pioniertat zu: Sie war das erste schwarze Ensemble, das bereits im Januar 1921 den »Royal Garden Blues« aufnahm, also noch vor Kid Orys berühmter erster Aufnahme des New-Orleans-Jazz »Society Blues« vom Juni 1922. Die weiße Truppe der Original Dixieland Jazz Band war beiden allerdings mit dem »Tiger Rag« im März 1918 vorausgegangen.

In ihrem grundlegenden Buch Black Pearls – Blues Queens Of The Twenties (1988) gab Daphne Duvall Harrison einen Überblick über die ersten Tondokumente schwarzer Musik. »Schwarze wurden schon 1895 hörbar, als George W. Johnson auf einem Edison-Phono-Zylinder »The Laughing Song« aufnahm. Es gab auch eine Victor-Aufnahme des brillanten jungen Komödianten Bert Williams, eine Aufnahme des Dinwiddie Colored Quartet von 1902, Aufnahmen von Carroll Clark mit sogenannten Plantation Melodies; die Fisk Jubilee Singers sangen ihre Sorrow-Songs und es gab Coon-Songs von ein paar schwarzen Minstrels (die das ein paar Jahre später öffentlich bedauerten).«

Ergänzend können seit 1998, dem Erscheinen der Anthologie American Pop: An Audio History – From Minstrel to Mojo: 1893 – 1946 noch weitere Dokumente angeführt werden: Das Unique Quartette mit »Mama's Black Baby Boy«, aufgenommen bereits im Herbst 1893, ein klassischer A-cappella-Song; eine von Dick Spottswood entdeckte Aufnahme von 1897 einer Gruppe namens Cousins & De Moss, betitelt »Poor Mourner«, mit zwei Sängern und Banjobegleitung, wie sie in den Aufnahmen schwarzer Musik selten ist, da die Produzenten meist den Gitarrensound bevorzugten. Bert Williams (1874 – 1922) nahm 1906 auch einen Song auf, »Nobody«. Eine weiße Sängerin namens May Irwin (1862 – 1938) sang im Mai 1907 ein Stück »The Bully« ein, dessen Autorschaft von einem Sportjournalisten beansprucht wurde, der aber zugab, es von Schwarzen gesungen gehört zu haben.

Ein überraschend hoher Anteil am späteren Erfolg des Blues kommt laut Harrison dem anhaltenden Interesse weißer Sängerinnen an gutem Songmaterial zu. »Diese frühen Aufnahmen brachten komische Monologe und Choralversionen schwarzer akademischer Chöre von religiöser Musik, aber keine Blues. Die einzige Ausnahme war ein Bluestitel in einer Serie von neunundvierzig Pianorollen, die 1906 herauskam, Music for the Aeolian Grand. Vielleicht war dies eine Anomalie, aber das war der Vorläufer jener Bluesrollen, die zehn Jahre danach herauskamen. Ironischerweise, aber typisch, war es die aktive Suche bekannter weißer Unterhaltungskünstlerinnen nach Bluessongs, die ihn ins Zentrum der Unterhaltungsindustrie stellte. Nach Ronald Foreman, einem Erforscher der Geschichte des Jazz und der Race Records, waren es Sophie Tuckers Interesse am Blues und die nachfolgenden Adaptionen durch Blossom Seeley, Al Bernard und Nora Bayes ..., welche das Wort Blues für viele Vaudeville- und Theaterbesitzer mit Bedeutung aufluden.«

So konnte Nora Bayes bereits 1916 einen »Homesickness Blues« aufnehmen, 1917 folgte Mary Cahill mit »Dallas Blues«, 1918 sang Irving Kaufman einen »Chinese Blues«, 1919 hatte er bereits den »Alcoholic Blues«. Alle Titel nebst vielen Späteren sind zu hören auf Tin Pan Alley Blues (Memphis Archives 1994).

James Reese Europe mit seiner Band aus schwarzen Musikern, der 1913 den »Down Home Rag« aufnahm, Al Jolson und auch W.C. Handy, der sich neben Mamie Smiths Manager Perry Bradford bei den Plattenfirmen unermüdlich dafür einsetzte, schwarze Sängerinnen aufzunehmen, waren weitere Pioniere auf dem Weg zu Mamies Erfolg. Für Mamie selbst machte sich der Durchbruch bezahlt. Allein 1921 warf sie neunundzwanzig Songs auf den Markt. Aber sie sollte nicht die einzige Nutznießerin bleiben.

Schon 1921 tauchten Konkurrentinnen auf: Mary Stafford und Edith Wilson für Columbia, die junge Ethel Waters lief bei Cardinal als Sweet Mama Stringbean, Emerson hatte Lillyn Brown, Arto brachte Lucille Hegamin, ging aber trotzdem bald ein. Dafür erblühte Black Swan. Ethel Waters hatte mit »Down Home Blues« Erfolg und rekrutierte Katie Crippen und Lula Whidby. Später übernahm Paramount das Label.

Bereits 1922 schrieb The Metronome: »Eine Plattenfirma hat über vier Millionen Dollar am Blues verdient. Jetzt hat jede Firma ein farbiges Girl, das Aufnahmen macht. Blues wird bleiben.« Dafür sorgten unter anderem außer den bereits Genannten Daisy Martin, Ester Bigeou, Lavinia Turner, Laura Smith, Monette Moore und Gladys Bryant. Und es kam zu ersten Firmengründungen unabhängiger, rein schwarzer Plattenproduzenten. Die Ersten hießen laut Perry Bradford The Grey-Gull und Black Swan Records, welch Letztere einem gewissen Harry Pace gehörten.

Als Dokumente schwarzer Musik kommen natürlich auch Filme in Frage. Schon in der Stummfilmzeit vor 1928 wurden Gruppen wie das Cleveland Coloured Quartet dokumentiert. Maude Mills war mit den Club Alabama Stompers und »I'm Gonna Loose Myself Down in Louisville« vertreten. Bessie Smith sang in St. Louis Blues, einem Kurzfilm von Dudley Murphy, Mamie Smith trat in The Jail House Blues erstmals vor die Kamera, später dann noch in Mystery in Swing, Sunday Sinners (beide 1940), Murder on Lenox Avenue (1941) und Paradise in Harlem (1939). Trixie Smith war zu sehen in The Black King (1932), Louisiana (1934), Swing! (1938) und God's Step Children (1938). Alberta Hunter tauchte in der Radio Parade of 1935 (1934) auf. Wild Women Don't Get the Blues (1985) war eine späte Dokumentation über sie.

Eine weitere kaum bekannte Quelle sind die synchronen Film- und Tonaufnahmen von Dr. Milton Metfessel für ethnologische Forschungszwecke aus dem Jahr 1926, der 1928 ein Buch dazu veröffentlichte. Titel wie »Westindies Blues«, »John Henry« oder »You Ketch Dis Train« erregen Bluesverdacht. Noch in Belle Of The Nineties (1934) von und mit Mae West, der im alten New Orleans spielte und von Duke Ellington musikalisch untermalt wurde, waren bewährte Vaudeville-Nummern wie der »Hesitation Blues« zu hören und zu sehen, Anklänge gab es auch in I'm no Angel (1933). Filme wie Cotton Club (1984) oder Pete Kelly's Blues (1955), ja selbst Eddie Murphys Klamotte Harlem Nights (1989) vermittelten eher Atmosphäre als das von Jennifer Jason Lee zerschwätzte Robert-Altman-Fiasko Kansas City (1996).

Für die Bluesladies der Zwanziger Jahre waren neben den Plattenverkäufen vor allem die Auftritte bei Tourneen wichtig. Die ausgefeilteste Form der Unterhaltung zwischen 1900 und 1925 stellten die Vaudeville genannten Nummernshows dar, die zudem die höchsten Gagen zahlten. In den weißen Varietétheatern traten die berühmtesten Unterhaltungskünstler der Epoche in eleganter Umgebung vor einem zahlungskräftigen Publikum auf. Oft gab es zwei verschiedene Orchester. Ein großes für die weiße Musik und eine kleine, heiße schwarze Band für das anschließende Tanzvergnügen. Schwarze Sänger freilich hatten keine Chance. Sie waren auf die rein schwarzen Theater angewiesen. Die Organisation ihrer Auftritte oblag fast ausschließlich einer Dachorganisation schwarzer Veranstalter, der TOBA (Theater Owners Booking Association). Die Abkürzung wurde nicht selten als Tough On Black Asses uminterpretiert. Die Arbeitsbedingungen dürften also kein Zuckerlecken gewesen sein. Die Shows der TOBA ähnelten denen der weißen Vaudevilles, fanden aber in bescheideneren Lokalitäten statt und waren ausschließlich auf den schwarzen Geschmack zugeschnitten.

Nathan W. Pearson, Jr. beschreibt in seinem Buch Going To Kansas City die zentrale Bedeutung der TOBA: »Die TOBA war die wichtigste Arena für Blueskünstlerinnen wie Ma Rainey, Mamie Smith und Bessie Smith und trug viel dazu bei, stilisierten Blues bei einem schwarzen Publikum landesweit populär zu machen. Es war freilich immer noch Vaudeville und man konnte eine große Anzahl anderer Künstler wie Louis Armstrong, Buck & Bubbles, Bill »Bojangles« Robinson und Eddie »Rochester« Anderson in TOBA-Häusern antreffen. In der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts war das die höchstentwickelte Form des schwarzen Theaters und wurde zum Trainingslager für viele Musiker, die später in Tanzhallen- und Nachtklub-Orchestern spielten.« Die TOBA war sehr stark und präsent in Kansas City und war nicht das schlechteste Argument für die häufige Reise von Bluesleuten nach Kansas City. »I'm goin to Kansas City ...«

Eine ähnliche Ausbildungsfunktion hatten, wie Pearson durch Interviews belegte, auch die schwarzen Minstrelshows gehabt, in denen überwiegend einfach strukturierte, ragtimeartige Musik gespielt wurde. »... Minstrelshows waren sowohl eine günstige Gelegenheit als auch eine Inspiration, gleichzeitig Schule und Beruf. Was heute oft an den Minstrelshows als rassistisch eingestuft wird, wurde damals häufiger als legitime Art von Unterhaltungskünstlertum betrachtet und gute Unterhalter waren immer gesucht.«

Seit Anfang des Jahrhunderts war Amerika eine hochmobile Gesellschaft geworden, mit der Erfindung des Automobils und schnellen Zugverbindungen wurde der ganze Kontinent bespielbar und dementsprechend viele Entertainer versuchten ihr Glück unterwegs.

»Eine Überfülle von Unterhaltungsangeboten – Vaudevilleunternehmen, Medizin-, Wildwest- und Minstrelshows – reisten zwischen 1900 und 1930 durch Amerika. Reisende Shows übten auf ehrgeizige und neugierige Musiker eine mächtige Anziehungskraft aus. Die Aufführungen waren wundervolle und exotische Ereignisse, ihre Darsteller welterfahrene Troubadours. Für viele junge Musiker, die ihr frisches Talent ausloten wollten, boten ›Traveling Shows‹ die perfekte Gelegenheit zu Abenteuern und zu musikalischer Ausbildung. In der Konsequenz stellten diese Shows auch einen mächtigen Faktor in der musikalischen Entwicklung Amerikas dar; sie integrierten Musiker mit sehr verschiedenem Hintergrund und aus verschiedenen Stilrichtungen und verbreiteten selbst weiträumig die Entwicklung neuartiger Stile.«

Zieht man noch die rasche Verbreitung der Phonographen in Betracht, wird klar, dass es seit Beginn des letzten Jahrhunderts tatsächlich schon eine allgemeinverbindliche populäre schwarze Musikkultur in den USA geben konnte. Und das Ferment, das sie durchdrang und entscheidend prägte, war der Blues.

Was waren nun die frühesten Bluesaufnahmen im »genuine Negro style«? Laut Francis Davis ging es ab 1924 los, mit den Aufnahmen von Johnny »Daddy Stovepipe« Watson, 1867 in Alabama geboren, einem Minstrel- und Medizinshow-Sänger, der im Mai 1924 für Gennett aufnahm. Seine Frau, »Mississippi Mary« sang meist die zweite Stimme dazu. Doch schon im April 1924 hatte Ed Andrews seinen »Barrelhouse Blues« in Atlanta eingespielt, aller Wahrscheinlichkeit nach die erste stilistisch saubere Bluesaufnahme. Papa Charlie Jacksons »Lawdy Lawdy Blues« wurde ebenfalls noch 1924 aufgezeichnet.

Erst 1927 kam Henry »Ragtime Texas« Thomas zum Zug, der im Oktober fünfundzwanzig Titel für Vocalion einspielte. Im November nahm Charlie Lincoln (Charlie Hicks) in Atlanta sechs Bluesstücke auf: »Jealous Blues«, »Hardluck Blues«, »Mojoe (!) Blues«, »My Wife Drove Me From My Door«, »Country Breakdown« und »Chain Gang Trouble«. Etwa zur gleichen Zeit entstanden die Aufnahmen von Emery Glen in Chicago und Sammy Brown in Richmond, Indiana. Beachtenswert wegen ihrer primitiven Ursprünglichkeit sind die vier Blues von Lewis Black, aufgenommen im Dezember 1927 in Memphis, Tennessee. Der Pianist Will Ezell hatte schon im September des Jahres eine erste Soloplatte bespielt: »Barrelhouse Man« und »Westcoast Rag«. Sein kurzlebiger Kollege Hersal Thomas (ca.1906 – 1926) aus Chicago hatte allerdings bereits am 25. Februar 1925 einen »Suitcase Blues« aufgenommen. Der Gitarrist Sylvester Weaver lieferte seinen »Guitar Rag« am 13.April 1927 ab, ein vollendet gepicktes Slide-Stück über Ragtime-Harmonien. Auch er hatte seine ersten Aufnahmen schon 1924 gemacht, aber alle ohne Gesang.

Früheste Jugband-Aufnahmen, wie die von Sara Martin's Jugband in New York oder von Whistler & His Jug Band in Richmond, Indiana datieren vom September 1924. Im Dezember desselben Jahres nahm die Old Southern Jug Band zwei Titel in Chicago auf. Der unglaubliche Clifford Hayes mit seiner Band aus Louisville folgte im Mai 1925.

Andere Quellen verweisen vor allem auf Blind Lemon Jefferson (ca. 1893 – 1929), der schon seit 1926 Aufnahmen gemacht haben soll, etwa den »Long Lonesome Blues«. Peg Leg Howell (1888 – 1966), ein Songster aus Georgia, nahm am 8. April 1927 seinen »New Jelly Roll Blues« auf, der große Lonnie Johnson wachte am zweiten Mai 1927 mit dem Blues in seinen Fingern auf und Blind Willie McTell, der Twelve-String-Wizard aus Atlanta, spielte einen Titel »Mama 'Taint Long Fo' Day« im Oktober 1927 ein. Die Memphis-Musiker Gus Cannon und Barbecue Bob folgten im November, Blind Willie Johnsons unheimlicher Slide-Blues »Dark Was the Night, Cold Was the Ground«, der »Dallas Rag« der Dallas String Band und Willard Robisons »Deep Elm« gehören ebenfalls noch zu den erwähnenswerten frühen Aufnahmen des Blues10.

Da die Suche nach den frühesten Dokumenten des Blues immer noch im Gang ist, kann es ohne weiteres sein, dass noch frühere Aufnahmen gefunden und veröffentlicht werden. Ein Blick in die Kataloge der genannten Spezialfirmen oder auf einschlägige Internetseiten lohnt sich also immer.

Aber Vorsicht! Denn wer sich erst einmal an das mehr oder weniger starke Grundrauschen der alten Schellacks gewohnt hat und die Musik mit mentaler Kraft in den Vordergrund holt, wird aller Wahrscheinlichkeit nach bald süchtig werden nach diesen Dokumenten hochprofessionellen, garantiert schwindelfreien Musizierens lang vor unserer Zeit.

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