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Beim Erwachen widerfuhr Ransom etwas, das vielleicht nur jemand erlebt, der seine eigene Welt verlassen hat: Er sah die Wirklichkeit und hielt sie für einen Traum. Er schlug die Augen auf und erblickte einen seltsam heraldisch gefärbten Baum mit gelben Früchten und silbrigem Laub. Um den unteren Teil des indigoblauen Stammes ringelte sich ein kleiner Drache mit rotgoldenen Schuppen. Sofort erkannte er den Garten der Hesperiden. »So einen deutlichen Traum habe ich noch nie gehabt«, dachte er. Irgendwie merkte er dann, dass er wach war; aber sowohl den Schlaf, der ihn gerade verlassen hatte, als auch die Erfahrung nach dem Erwachen erlebte er in einer Art Trance und empfand sie als so angenehm, dass er reglos liegen blieb. Er erinnerte sich, wie er auf jener ganz anderen Welt namens Malakandra – einer kalten und archaischen Welt, wie ihm jetzt schien – dem Urbild der

Zyklopen begegnet war, einem Riesen, der in einer Höhle hauste und Hirt war. War am Ende alles, was auf Erden Mythologie war, auf anderen Welten Wirklichkeit? Dann erst fiel ihm wieder ein, dass er auf einem unbekannten Planeten war, nackt und allein, und dass dieses Tier gefährlich sein könnte. Aber er hatte keine große Angst. Er wusste, dass die Angriffslust irdischer Tiere im Kosmos eher die Ausnahme war, und seltsamere Geschöpfe als dieses hier waren ihm wohlgesonnen gewesen. So blieb er noch eine Weile liegen und beobachtete es. Es war eine Art Echse, groß wie ein Bernhardiner, und hatte einen gezackten Rückenkamm. Seine Augen waren offen.

Nach einer Weile richtete er sich ein wenig auf und stützte sich auf einen Ellbogen. Das Tier schaute ihn unverwandt an. Die Insel war jetzt völlig eben. Er setzte sich auf und sah durch die Baumstämme, dass die Insel in ruhigem Wasser trieb. Die See sah wie vergoldetes Glas aus. Wieder beobachtete er den Drachen. Konnte dies ein intelligentes Lebewesen sein – ein Hnau, wie man auf Malakandra sagte –, und war er vielleicht hergeschickt worden, um mit diesem Geschöpf zusammenzutreffen? Es sah nicht danach aus, aber er konnte ja einen Versuch machen. Er bildete einen ersten Satz auf Alt-Solarisch, und seine eigene Stimme kam ihm fremd und ungewohnt vor.

»Fremder«, sagte er, »ich bin von den Dienern Maleldils durch den Himmel zu deiner Welt geschickt worden. Heißt du mich willkommen?«

Das Tier blickte ihn sehr fest und vielleicht sehr weise an. Dann schloss es die Augen. Kein viel versprechender Anfang. Ransom schickte sich an aufzustehen, und die Echse schlug die Augen wieder auf. Er stand da und sah sie an, ungewiss, was er als Nächstes tun sollte. Nach einer Weile sah er, dass das Tier sich langsam entrollte. Es kostete ihn große Willenskraft, stehen zu bleiben; ob das Geschöpf vernunftbegabt war oder nicht, mit Flucht war auf Dauer nichts gewonnen. Der Drache löste sich vom Baum, schüttelte sich und breitete zwei schimmernde Reptilienflügel aus – bläulich, golden und fledermausähnlich. Nachdem er sie geschwungen und wieder angelegt hatte, ließ er seinen Blick wieder auf Ransom ruhen; schließlich machte er sich halb watschelnd, halb kriechend auf den Weg zum Rand der Insel, wo er seine lange, metallische Schnauze ins Wasser tauchte. Als er getrunken hatte, hob er den Kopf und gab ein nicht ganz unmelodisches Blöken oder Krächzen von sich. Dann wandte er sich um, blickte wieder zu Ransom herüber und kam schließlich auf ihn zu. »Es ist Wahnsinn, auf das Untier zu warten«, flüsterte die falsche Vernunft, doch Ransom biss die Zähne zusammen und rührte sich nicht vom Fleck. Die Echse kam ganz nahe und stupste mit der kalten Schnauze gegen seine Knie. Ransom war völlig verwirrt. War das Tier intelligent, und war dies seine Sprache? War es unvernünftig, aber freundlich – und wenn ja, wie sollte er reagieren? Ein Tier mit Schuppen konnte man kaum streicheln! Oder scheuerte es sich bloß an seinen Beinen? In diesem Moment schien die Echse ihn so plötzlich zu vergessen, dass Ransom jetzt sicher war, nur ein Tier vor sich zu haben; sie wandte sich ab und begann, gierig das Unterholz abzufressen. Mit dem Gefühl, dass der Ehre nun Genüge getan sei, wandte auch Ransom sich ab und ging wieder in den Wald.

In seiner Nähe standen Bäume mit den Früchten, die er bereits gekostet hatte, aber seine Aufmerksamkeit wurde von einer seltsamen, etwas weiter entfernten Erscheinung in Anspruch genommen. Mitten im dunkleren Laubwerk eines graugrünen Dickichts schien etwas zu funkeln. Sein erster Eindruck, aus dem Augenwinkel heraus, war der eines Treibhausdaches im Sonnenschein. Auch als er es jetzt deutlicher sah, wirkte es noch wie Glas, aber wie Glas in ständiger Bewegung. Licht schien in unregelmäßigen Abständen zu kommen und gehen. Gerade als er dieses Phänomen genauer untersuchen wollte, schreckte er auf, weil ihn etwas an seinem linken Bein berührt hatte. Das Tier war ihm gefolgt. Wieder beschnupperte es ihn und stieß ihn leise an. Ransom ging schneller. Die Echse auch. Ransom blieb stehen. Die Echse auch. Als er weiterging, blieb sie so dicht an seiner Seite, dass ihre Flanke immer wieder seine Hüften streifte und ihr kalter, harter und schwerer Fuß gelegentlich auf seinen trat. Die Entwicklung der Dinge behagte ihm so wenig, dass er ernsthaft überlegte, wie er dem ein Ende machen könnte. Doch dann wurde seine ganze Aufmerksamkeit plötzlich auf etwas anderes gelenkt. Über seinem Kopf hing an einem haarigen, röhrenartigen Ast eine große, glänzende und beinahe durchsichtige Kugel. Das Licht spiegelte sich darin, und an einer Stelle spielten Regenbogenfarben. Das war also die Erklärung für die glasähnlichen Erscheinungen im Wald. Als er umherblickte, sah er überall unzählige dieser glänzenden Kugeln. Aufmerksam betrachtete er diejenige, die am nächsten hing.

Zuerst schien sie sich zu bewegen, dann wieder nicht. Unwillkürlich streckte er die Hand aus und berührte sie. Im nächsten Augenblick ergoss sich eine für diese warme Welt eiskalte Dusche über Kopf, Gesicht und Schultern; zugleich erfüllte ein scharfer, durchdringender, erlesener Duft seine Nase, und wie von ungefähr ging ihm Popes Verszeile »An einer Rose sterben in duftiger Pein« durch den Kopf. Er fühlte sich so erfrischt, dass ihm war, als sei er bisher nur halb wach gewesen. Als er die Augen, die sich im ersten Schreck unwillkürlich geschlossen hatten, wieder öffnete, schienen alle Farben ringsum frischer zu sein, und sogar das Matte dieser Welt wirkte klarer. Wieder fühlte er sich wie verzaubert. Das goldene Tier an seiner Seite kam ihm nicht länger gefährlich oder lästig vor. Wenn ein nackter Mensch und ein weiser Drache wirklich die einzigen Bewohner dieses schwimmenden Paradieses sein sollten, dann war es gut so, denn in diesem Augenblick hatte er weniger das Gefühl, ein Abenteuer zu bestehen, als vielmehr einen Mythos darzustellen. Und er wollte gar nicht mehr als in diesem unirdischen Geschehen die Gestalt sein, die er war.

Wieder wandte er sich dem Baum zu. Das Ding, das ihn übergossen hatte, war verschwunden. Der röhrenartige Zweig endete, seiner hängenden Kugel beraubt, in einer kleinen zitternden Öffnung, an der ein Tropfen kristallklarer Flüssigkeit hing. Verdutzt sah Ransom sich um. Nach wie vor war der Wald voll von den schillernden Früchten, doch nun merkte er, dass irgendetwas langsam, aber stetig vor sich ging; einen Moment später wusste er auch, was. Jede der schimmernden Kugeln nahm langsam an Umfang zu, und wenn sie eine gewisse Größe erreicht hatte, verschwand sie mit einem leisen Geräusch; für kurze Zeit war da, wo sie gehangen hatte, der Boden feucht, und in der Luft blieben ein köstlicher, flüchtiger Duft und eine gewisse Kühle zurück. Eigentlich waren die Dinger gar keine Früchte, sondern Blasen: Die Bäume (er taufte sie in dem Augenblick) waren Blasenbäume. Sie sogen anscheinend Wasser aus dem Ozean, reicherten es in ihrem saftigen Innern an und gaben es dann auf diese Weise wieder von sich. Er setzte sich nieder, um sich an dem Schauspiel zu ergötzen. Nun, da er das Geheimnis kannte, konnte er sich

erklären, warum dieser Wald so anders aussah und wirkte als alle anderen Teile der Insel. Jede Blase konnte man, einzeln betrachtet, als erbsengroße Perle dem Mutterzweig entquellen, langsam anschwellen und platzen sehen; betrachtete man jedoch den Wald als Ganzes, so nahm man nur eine leichte Veränderung des Lichtes wahr, eine kaum merkliche Unterbrechung der allgegenwärtigen perelandrischen Stille, eine ungewöhnliche Kühle und einen frischeren Duft in der Luft. In diesem Wald hatte ein auf unserer Welt Geborener in weit stärkerem Maß das Gefühl, sich im Freien aufzuhalten, als in den unbewaldeten Teilen der Insel, oder sogar auf dem Meer. Ransom blickte zu einer schönen Traube von Blasen auf, die über seinem Kopf hing, und dachte, wie einfach es wäre aufzustehen, in die ganze Traube einzutauchen und diese magische Erfrischung verzehnfacht noch einmal zu genießen. Doch das gleiche Gefühl, das ihn am Abend zuvor gehindert hatte, eine zweite Frucht zu genießen, hielt ihn auch diesmal zurück. Er hatte immer etwas gegen Leute gehabt, die in der Oper ihre Lieblingsarie noch einmal gesungen haben wollten. Das verderbe den Genuss, hatte er gemeint. Hier nun schien ihm dieses Prinzip eine viel größere Tragweite und tiefere Bedeutung zu haben. Der Drang, sich etwas immer wieder zu verschaffen, so als wäre das Leben ein Film, der zweimal oder sogar rückwärts laufen könnte … War das vielleicht die Wurzel allen Übels? Nein, die lag, wie man so sagte, in der Liebe zum Geld. Aber liebte man das Geld an sich? Vielleicht schätzte man es vor allem als Schutz vor Schicksalsschlägen, als Garantie, Dinge immer wieder bekommen zu können, als Mittel, den Ablauf des Films aufzuhalten …

Er wurde unsanft aus seinen Betrachtungen gerissen, weil irgendetwas unangenehm auf sein Knie drückte. Der Drache hatte sich niedergelegt und seinen langen, schweren Kopf auf Ransoms Beine gebettet. »Weißt du eigentlich, dass du ziemlich lästig bist?«, fragte Ransom auf Englisch. Das Tier regte sich nicht. Er sollte vielleicht versuchen, sich mit ihm anzufreunden, und streichelte den harten, trockenen Kopf, aber es nahm keine Notiz davon. Er ließ seine Hand weiterwandern. Unten am Hals war die Haut weicher oder sogar ein Spalt im Schuppenpanzer. Aha – dort ließ es sich gerne kraulen. Es grunzte, ließ eine lange, zylindrische, schiefergraue Zunge herausschnellen und leckte ihn. Dann wälzte es sich auf den Rücken und enthüllte einen fast weißen Bauch, den Ransom mit den Zehen knetete. Seine Bekanntschaft mit dem Drachen entwickelte sich sehr zu seiner Zufriedenheit. Schließlich schlief das Tier ein.

Ransom stand auf und stellte sich wieder unter einen Blasenbaum. Die zweite Dusche machte ihn so frisch und wach, dass er allmählich Hunger verspürte. Er hatte vergessen, wo auf der Insel die gelben Kürbisfrüchte zu finden waren, und als er sich auf die Suche machte, merkte er, dass es schwierig geworden war zu gehen. Zuerst fragte er sich, ob die Flüssigkeit in den Blasen eine berauschende Wirkung haben mochte, doch ein Blick auf die Landschaft zeigte ihm den wahren Grund. Vor seinen Augen schwoll die ebene Fläche kupferfarbener Heide zu einem niedrigen Hügel an, der in seine Richtung wanderte. Der Anblick von Land, das wie Wasser in einer Welle auf ihn zurollte, schlug ihn aufs Neue in seinen Bann; er vergaß, sich der Bewegung anzupassen, und fiel. Nachdem er sich aufgerappelt hatte, ging er vorsichtiger weiter. Diesmal war kein Zweifel möglich: Die See wurde wieder unruhig. Zwischen zwei Wäldern hindurch konnte er bis zum Rand dieses lebenden Floßes sehen; dort war das Wasser aufgewühlt, und der warme Wind war inzwischen so stark, dass er ihm das Haar zerzauste. Er bewegte sich behutsam auf die Küste zu, doch bevor er sie erreichte, kam er an einigen Büschen vorbei, die voller ovaler grüner Beeren hingen, etwa dreimal so groß wie Mandeln. Er pflückte eine und brach sie auf. Das Fleisch war eher trocken und wie Brot oder vielleicht wie eine Banane. Es schmeckte gut. Es verschaffte nicht den orgiastischen und schon fast beängstigenden Genuss wie die Kürbisfrüchte, sondern eher den Genuss eines einfachen Essens – das Vergnügen, zu kauen und satt zu werden, eine »nüchterne Gewissheit wachen Glücks«. Ein Mensch, oder wenigstens

jemand wie Ransom, hat in solchen Augenblicken das Bedürfnis, ein Dankgebet zu sprechen; und das tat er auch. Zu den Kürbisfrüchten hätten eher ein Oratorium oder eine mystische Verzückung gepasst. Aber auch diese einfache Mahlzeit hatte ihre unerwarteten Höhepunkte. Hin und wieder stieß man auf Beeren, die in der Mitte hellrot waren; diese schmeckten vorzüglich, stachen aus tausendundeinem Aroma heraus, sodass er wohl nur nach ihnen Ausschau gehalten und sich nur von ihnen ernährt hätte, hätte ihn nicht derselbe innere Ratgeber, der ihn seit seiner Ankunft auf Perelandra schon zweimal ermahnt hatte, daran gehindert. Auf der Erde, dachte Ransom, würde man bald lernen, diese Rotherzen zu züchten, und sie wären viel teurer als die anderen. Und das Geld würde die Möglichkeit schaffen, mit gebieterischer Stimme »mehr!« zu rufen.

Als er fertig gegessen hatte, ging er hinunter zum Ufer, um zu trinken, aber ehe er dort anlangte, lief es bereits zum Ufer »hinauf«. Die Insel war in diesem Moment ein kleines Tal hellen Landes zwischen grünen Wasserhügeln, und als er auf dem Bauch lag und trank, machte er die außerordentliche Erfahrung, sein Gesicht in ein Meer zu tauchen, das höher war als die Küste. Dann saß er eine Weile aufrecht und ließ die Beine über den Rand in die roten Pflanzen hängen, die sein kleines Reich säumten. Seine Einsamkeit kam ihm immer deutlicher zu Bewusstsein. Wozu hatte man ihn hierher gebracht? Ihm ging die fantastische Idee durch den Kopf, diese leere Welt habe auf ihn als ersten Bewohner gewartet, er sei auserwählt als Begründer und Adam dieser Welt. Es war seltsam, dass die völlige Einsamkeit während all dieser Stunden ihn weit weniger bedrückt hatte als eine Nacht des Alleinseins auf dem Mars. Vielleicht lag der Unterschied darin, dass ein bloßer Zufall, oder was er für einen Zufall gehalten hatte, ihn nach Malakandra geführt hatte, während er hier Teil eines Plans war. Er war nicht mehr ungebunden, kein Außenstehender mehr.

Wenn seine Insel die glatten Hänge des matt schimmernden Wassers hinaufglitt, konnte er immer wieder sehen, dass viele andere Inseln in der Nähe waren. Sie unterschieden sich in den Farben von seiner Insel und untereinander mehr, als er für möglich gehalten hätte. Es war faszinierend, überall diese großen Matten oder Teppiche schaukeln zu sehen, wie Segelboote im Hafen an einem stürmischen Tag – und genau wie die Masten standen die Bäume jeden Augenblick in einem anderen Winkel. Es war faszinierend zu sehen, wie weit über ihm ein leuchtend grüner oder samtig roter Saum über einen Wellenkamm glitt, und dann zu warten, bis die ganze Insel über die Flanke herabkam und sich seinem Blick darbot. Zuweilen befanden sich seine und eine andere Insel auf den gegenüberliegenden Hängen eines Wellentals und waren nur durch eine schmale Wasserstraße voneinander getrennt; dann gaukelte einem ein Moment lang eine irdische Landschaft vor. Es sah aus, als wäre man in einem dicht bewaldeten Tal mit einem Fluss unten auf dem Grund. Aber während man es betrachtete, tat der vermeintliche Fluss das Unmögliche: Er hob sich empor, sodass das Land zu beiden Seiten abfiel, bis die eine Hälfte der Landschaft hinter dem Kamm nicht mehr zu sehen war. Gleich darauf ragte er als ein mächtiger goldgrü-ner Wasserrücken zum Himmel und drohte auch die andere Landhälfte zu verschlingen, die nun rückwärts hinuntergewirbelt und den nächsten Rücken hinaufgetragen wurde.

Ein brausendes, surrendes Geräusch schreckte ihn auf. Im ersten Augenblick dachte er, er sei in Europa und ein Flugzeug fliege dicht über ihn hinweg. Dann erkannte er seinen Freund, den Drachen. Das Tier hatte den Schwanz lang ausgestreckt und sah aus wie ein fliegender Wurm. Es hielt auf eine benachbarte, etwa eine halbe Meile entfernte Insel zu. Als Ransom ihm nachblickte, sah er geflügelte Lebewesen – dunkel vor dem goldenen Firmament – in zwei langen Reihen von links und rechts auf dieselbe Insel zusteuern. Aber es waren keine Reptilien mit Fledermausflügeln. Er versuchte, sie aus der Ferne zu erkennen, und kam zu der Überzeugung, dass es Vögel waren; als der Wind sich dann drehte und ihm melodisch schnatternde Töne zutrug, war er sich seiner Sache sicher. Sie mussten ein wenig größer als Schwäne sein. Dass sie alle auf dieselbe Insel wie der Drache zuhielten, ließ ihn aufmerken und erfüllte ihn mit einer unbestimmten Erwartung. Was dann geschah, steigerte diese zu regelrechter Erregung. Vor ihm, im Wasser, entdeckte er eine weiche, schäumende Unruhe, die ebenfalls der Insel zustrebte. Eine ganze Flotte von Dingern bewegte sich wie in einer Formation vorwärts. Er stand auf. Eine Welle erhob sich und nahm ihm die Sicht. Dann konnte er sie wieder sehen, hunderte von Fuß unter sich. Silbrige Dinger, die springende, kreisende Bewegungen vollführten … Wieder verlor er sie aus den Augen und fluchte. In einer so ereignisarmen Welt kam ihnen große Bedeutung zu. Aha, da waren sie wieder. Offensichtlich Fische, sehr große, dicke, delfinartige Fische, von denen einige regenbogenfarbene Wasserfontänen aus ihren Nasen bliesen. Sie schwammen in zwei langen Reihen, angeführt von einem Leittier. Mit diesem schien etwas nicht zu stimmen, es hatte eine Art Buckel oder Verwachsung auf dem Rücken. Wenn sie doch nur ein einziges Mal länger als fünfzig Sekunden zu

sehen wären! Mittlerweile hatten sie die andere Insel fast erreicht, und die Vögel kamen alle herunter, um am Ufer mit ihnen zusammenzutreffen. Da war wieder das Leittier mit seinem Buckel oder Sockel auf dem Rücken. Einen Augenblick lang schien Ransom seinen Augen nicht zu trauen, dann versuchte er, sich breitbeinig am äußersten Rand seiner Insel zu halten, und schrie aus Leibeskräften. Denn in dem Augenblick, da der Fisch die Nachbarinsel erreicht hatte, war diese von einer Welle zwischen Ransom und den Himmel gehoben worden; deutlich und unverkennbar hatte er in der Silhouette des Dinges auf dem Fischrücken eine menschliche Gestalt erkannt – eine menschliche Gestalt, die ans Ufer sprang, sich mit einer leichten Verneigung zum Fisch umwandte und dann aus Ransoms Gesichtskreis verschwand, als die ganze Insel über den Wellenkamm davonglitt. Mit pochendem Herzen wartete Ransom, bis er die andere Insel wieder sah. Diesmal war sie nicht zwischen ihm und dem Himmel, und anfangs konnte

er die menschliche Gestalt nicht entdecken. Wie ein Stich durchfuhr ihn die Verzweiflung; doch da war sie wieder – eine winzige dunkle Figur, die langsam vor einem Stück blauer Vegetation entlangging. Er winkte, fuchtelte und schrie, bis er heiser war, aber die Gestalt beachtete ihn nicht. Immer wieder verlor er sie aus den Augen, und selbst wenn er sie dann wieder entdeckte, fragte er sich, ob es nicht doch eine optische Täuschung war – eine Form des Laubwerkes, der sein sehnlicher Wunsch Menschengestalt verliehen hatte. Aber jedes Mal, wenn er der Verzweiflung nahe war, tauchte sie unverkennbar wieder auf. Dann begannen seine Augen zu ermüden, und er wusste, dass er immer weniger sehen würde, je länger er hinüberspähte. Trotzdem hielt er weiter Ausschau.

Schließlich war er so erschöpft, dass er sich setzen musste. Die Einsamkeit, die er bisher kaum als schmerzlich empfunden hatte, war ihm ein Gräuel geworden. Die Aussicht, wieder allein zu sein, schien unerträglich. Seine Umgebung hatte ihre überwältigende, betörende Schönheit verloren. Ohne diese eine menschliche Gestalt war der Rest dieser Welt auf einmal ein Albtraum, eine schreckliche Zelle oder Falle, in der er gefangen saß. Der Verdacht, er beginne an Halluzinationen zu leiden, ging ihm durch den Sinn. Er sah sich für immer und ewig auf dieser scheußlichen Insel leben, allein, doch umgetrieben von den Trugbildern menschlicher Wesen, die ihm lächelnd und mit ausgestreckten Händen entgegenkamen, sich aber verflüchtigten, sobald er auf sie zuging. Er legte den Kopf auf die Knie, biss die Zähne zusammen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Zuerst lauschte er nur seinem eigenen Atmen und zählte seine Herzschläge. Aber er versuchte es noch einmal, und nun gelang es ihm. Wie eine Offenbarung kam ihm auf einmal der einfache Gedanke, dass er, um die Aufmerksamkeit dieses menschenähnlichen Wesens zu erregen, warten müsse, bis er auf dem Kamm einer Welle wäre. Wenn er dann aufstünde, müsste es seine Silhouette vor dem Himmel sehen.

Dreimal wartete er, bis das Ufer, auf dem er stand, zu einer Hügelkuppe wurde, erhob sich, schwankend auf diesem seltsamen Land, und winkte mit den Armen. Beim vierten Mal hatte er Erfolg. Die Nachbarinsel lag gerade wie ein Tal unter ihm, und die kleine dunkle Gestalt dort unten winkte unverkennbar zurück. Sie löste sich von einem undeutlichen Hintergrund grünlicher Vegetation und lief über ein orangefarbenes Feld auf ihn zu, das heißt zu dem Teil der Küste, der seiner Insel am nächsten war. Sie lief leichtfüßig; die wogende Oberfläche des Feldes schien sie nicht im Mindesten zu stören. Dann wirbelte Ransoms Insel rückwärts hinunter; eine gewaltige Wasserwand drängte zwischen den beiden Ländern empor und nahm ihnen die Sicht. Kurz darauf sah Ransom aus dem Tal, in dem er nun stand, hoch über sich das orangefarbene Feld wie einen beweglichen Hang über den leicht nach außen gewölbten Wellenkamm zu sich herabgleiten. Das Wesen lief immer noch. Der Wasserarm zwischen den beiden

Inseln war nur noch etwa dreißig Fuß breit, und die Gestalt war jetzt weniger als hundert Schritt von ihm entfernt. Er sah, dass sie nicht nur menschenähnlich war, sondern ein Mensch – ein grüner Mensch auf einem orangefarbenen Feld, grün wie die prächtig schimmernden grünen Käfer in einem englischen Garten; er lief leichtfüßig und sehr schnell zu Ransom herunter. Dann hob das Meer Ransoms Insel, und der grüne Mensch wurde zu einer perspektivisch verkürzten Gestalt tief unter ihm, so wie ein Sänger in Covent Garden von der Galerie aus betrachtet. Ransom stand am äußersten Rand seiner Insel, beugte sich weit vor und brüllte. Der grüne Mensch blickte zu ihm auf. Auch er schien zu rufen und hatte die Hände wie einen Trichter an den Mund gelegt; aber das Rauschen der See übertönte die Stimmen, und im nächsten Augenblick sank Ransoms Insel in ein neues Wellental, und der hohe grüne Wasserrücken nahm ihm die Sicht. Es war zum Verrücktwerden. Quälende Angst, die Entfernung zwischen den beiden Inseln könnte sich vergrößern, befiel ihn. Gott sei Dank: da kam das orangefarbene Land über den Kamm und folgte ihm ins Tal hinab. Und dort war der andere jetzt unmittelbar am Ufer, direkt ihm gegenüber. Einen Moment lang blickten die fremden Augen voller Liebe und Erwartung in die seinen. Dann veränderte sich das ganze Gesicht schlagartig und nahm einen Ausdruck von Bestürzung und Enttäuschung an. Ransom begriff seinerseits enttäuscht, dass er für jemand anderen gehalten worden war. Das Laufen, das Winken und die Rufe hatten nicht ihm gegolten. Und der grüne Mensch war kein Mann, sondern eine Frau.

Es ist schwer zu sagen, warum ihn das so sehr überraschte. Wenn die Gestalt ein Mensch war, konnte sie ebenso gut eine Frau wie ein Mann sein. Aber es hatte ihn überrascht, und erst als die beiden Inseln aufs Neue in verschiedene Wellentäler sanken, wurde ihm klar, dass er nichts gesagt, sondern sie nur närrisch angestarrt hatte. Und nun, da sie außer Sicht war, überfielen ihn die Zweifel. War sie es, wegen der man ihn hergeschickt hatte? Er hatte Wunder erwartet, war auf Wunder vorbereitet gewesen, doch nicht auf eine Göttin, die aussah wie aus grünem Stein gemeißelt, aber lebte. Und dann fiel ihm ein – er hatte es nicht bemerkt, solange er das Bild vor Augen gehabt hatte –, dass sie in seltsamer Begleitung gewesen war. Sie hatte zwischen allen möglichen Tieren und Vögeln gestanden wie ein junger Baum zwischen Büschen. Da waren große taubenblaue und feuerrote Vögel gewesen, Drachen und biberähnliche Geschöpfe so groß wie Ratten, und zu ihren Füßen im Wasser heraldisch aussehende Fische. Oder hatte er sich das eingebildet? Waren dies die ersten Sinnestäuschungen, wie er befürchtet hatte? Oder war hier ein weiterer Mythos Wirklichkeit – vielleicht ein schrecklicherer Mythos, von Circe oder Alcina? Und der Ausdruck auf ihrem Gesicht … Wen mochte sie erwartet haben, dass sein Anblick sie so enttäuschte?

Die andere Insel kam wieder in Sicht. Mit den Tieren hatte er Recht gehabt. Etwa zehn oder zwanzig von ihnen umgaben die Frau, alle sahen sie an, die meisten reglos, doch einige suchten wie bei einer Zeremonie mit sanften, leisen Bewegungen ihre Plätze. Die Vögel bildeten lange Reihen, und immer mehr schienen sich auf der Insel niederzulassen und diesen Reihen anzuschließen. Aus einem Wald von Blasenbäumen hinter der Frau kam ein halbes Dutzend Tiere – wie längliche Schweine mit sehr kurzen Beinen, vielleicht eine Art Dackel unter den Schweinen – herangewatschelt und gesellte sich zu den anderen. Winzige froschartige Wesen, wie er sie im Regen hatte herabfallen sehen, sprangen um die Frau herum, gelegentlich über ihren Kopf hinaus, und landeten dann und wann auf ihren Schultern. Ihre Farben waren so lebhaft und leuchtend, dass er sie zuerst für Eisvögel hielt. Und die Frau stand inmitten dieses Gewimmels und blickte zu Ransom herüber. Ihre Füße waren geschlossen, ihre Arme hingen seitlich herab, ihr Blick war ruhig und furchtlos und verriet nichts. Ransom beschloss, sie auf Alt-Solarisch anzusprechen. »Ich bin von einer anderen Welt«, hub er an und brach gleich wieder ab. Die grüne Frau hatte etwas getan, worauf er nicht gefasst gewesen war. Sie hatte einen Arm gehoben und auf ihn gezeigt: nicht drohend, sondern so als fordere sie die anderen Geschöpfe auf, ihn anzusehen. Gleichzeitig veränderte sich ihr Gesichtsausdruck erneut, und einen Augenblick lang glaubte er, sie werde weinen. Stattdessen brach sie in schallendes Gelächter aus; Kaskaden von perlendem Gelächter brachen aus ihr hervor, sie schüttelte und bog sich, stützte die Hände auf die Knie, lachte weiter und deutete immer wieder auf ihn. Wie bei ähnlichen Gelegenheiten

unsere Hunde, verstanden die Tiere, dass etwas Lustiges im Gange war; sie begannen herumzuspringen, mit den Flügeln zu schlagen, zu grunzen und sich auf die Hinterbeine zu stellen. Und die grüne Frau lachte, bis eine Welle sie wieder trennte und sie nicht mehr zu sehen war.

Ransom war wie vom Donner gerührt. Hatten die Eldila ihn hergeschickt, um mit einer Idiotin zusammenzutreffen? Oder mit einem bösen Geist, der ihn verspottete? Oder war es letztlich eine Sinnestäuschung? Denn genau so stellte man sich doch eine Sinnestäuschung vor. Dann kam ihm ein Gedanke, der bei dem Leser oder bei mir vielleicht länger auf sich hätte warten lassen: möglicherweise war nicht sie verrückt, sondern er lächerlich. Er sah an sich herunter. Seine Beine boten in der Tat einen seltsamen Anblick, denn das eine war rotbraun wie die Flanken eines tizianischen Satyrs, und das andere weiß – von einem vergleichsweise beinah leprösen Weiß. Soweit er sich selbst sehen konnte, war er von oben bis unten zweifarbig – ein natürliches Ergebnis der einseitigen Sonnenbestrahlung während seiner Reise. War das die Ursache ihrer Heiterkeit? Er wollte sich schon ärgern über das Geschöpf, das die Begegnung zweier Welten verdarb, indem es über eine solche Nebensächlichkeit lachte. Doch dann musste er wider Willen über seine wenig eindrucksvolle Karriere auf Perelandra lächeln. Auf Gefahren war er vorbereitet gewesen; aber zuerst eine Enttäuschung und dann etwas absolut Lächerliches zu sein … Halt! Da kamen die Frau und ihre Insel wieder in Sicht.Sie hatte sich von ihrem Lachanfall erholt, saß am Ufer und ließ die Beine ins Wasser hängen; halb abwesend liebkoste sie ein gazellenähnliches Tier, das die weiche Schnauze unter ihren Arm geschoben hatte. Es war kaum zu glauben, dass sie jemals gelacht oder irgendetwas anderes getan hatte, als am Rand ihrer schwimmenden Insel zu sitzen. Nie zuvor hatte Ransom ein so ruhiges und unirdisches Gesicht gesehen, trotz der vollkommen menschlichen Züge. Vielleicht rührte die unirdische Wirkung daher, meinte er später, dass in diesem Ant-litz keine Spur von Resignation lag, die, wenn auch in noch so geringem Maße, bei jeder tiefen Ruhe auf irdischen Gesichtern immer mitschwingt. Dies hier war eine Ruhe, der noch nie ein Sturm vorausgegangen war. Vielleicht war es Schwachsinn, vielleicht war es Unsterblichkeit, vielleicht ein Geisteszustand, für den keine irdische Erfahrung irgendeinen Hinweis bot. Ein seltsames und erschreckendes Gefühl beschlich ihn. Auf dem alten Planeten Malakandra war er Geschöpfen begegnet, deren Gestalt nicht im Entferntesten menschlich gewesen war, die sich jedoch bei näherer Bekanntschaft als vernunftbegabt und freundlich erwiesen hatten. Unter einem fremdartigen Äußeren hatte er ein Herz wie sein eigenes entdeckt. Sollte er nun die umgekehrte Erfahrung machen? Denn jetzt wurde ihm klar, dass das Wort ›menschlich‹ mehr als nur die körperliche Gestalt oder den Verstand bezeichnete. Es bezeichnete auch das gemeinsame Blut und die gemeinsame

Erfahrung, die alle Männer und Frauen auf der Erde verbindet. Aber dieses Geschöpf war nicht von seiner Rasse; keine noch so gewundenen Verästelungen irgendeines Stammbaums konnten jemals eine Verbindung zwischen ihm und ihr ziehen. In diesem Sinne war kein Tropfen ihres Blutes ›menschlich‹. Das Universum hatte ihre Art und die seine völlig unabhängig voneinander hervorgebracht.

All das schwirrte ihm durch den Kopf; doch bald wurde er in seinen Überlegungen unterbrochen, denn er merkte, dass das Licht sich veränderte. Anfangs dachte er, die grüne Frau habe sich von selbst bläulich verfärbt und eine seltsam elektrische Strahlung angenommen. Dann entdeckte er, dass die ganze Landschaft in blauen und purpurnen Tönen leuchtete – und dass die beiden Inseln nicht mehr so nah beieinander waren wie zuvor. Er blickte auf. Der Himmel schien in Flammen zu stehen, glühte in den Farben des kurzen Abends. In wenigen Minuten würde es stockfinster sein … Und die Inseln trieben auseinander. So laut und deutlich er konnte, rief er in der alten Sprache zu ihr hinüber: »Ich bin ein Fremder. Ich komme in Frieden. Möchtest du, dass ich zu dir hinüberschwimme?«

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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301 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783865064295
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