Читать книгу: «Jenseits des schweigenden Sterns», страница 3

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Ransoms Beine gaben nach und er musste aufs Bett zurückgesunken sein, doch wurde er sich dessen erst Minuten später bewusst. Im Augenblick existierte nur seine Angst; alles andere war wie ausgelöscht. Er wusste nicht einmal, wovor er sich fürchtete; die Angst, eine schreckliche, formlose, übermächtige Ahnung beherrschte sein ganzes Bewusstsein. Er verlor nicht die Besinnung, obwohl er sich gern in eine Ohnmacht geflüchtet hätte. Jede Veränderung – Tod oder Schlaf oder am besten ein Erwachen, das all dies als einen Traum erwies – wäre ihm unsäglich willkommen gewesen. Doch nichts davon stellte sich ein. Stattdessen kehrte die lebenslange Selbstbeherrschung eines Mannes in Gesellschaft zurück, dessen Tugenden zur Hälfte Heuchelei sind und dessen Heuchelei eine halbe Tugend ist, und bald antwortete er Weston mit fester Stimme, in der kein beschämendes Beben mehr mitschwang.

»Ist das Ihr Ernst?«, fragte er.

»Gewiss.«

»Aber wo sind wir dann?«

»Etwa fünfundachzigtausend Meilen von der Erde entfernt.«

»Sie meinen, wir sind im – Weltraum?« Ransom brachte das Wort nur mit Mühe über die Lippen, so wie ein ängstliches Kind von Gespenstern spricht oder ein ängstlicher Mensch von Krebs.

Weston nickte.

»Wozu?«, sagte Ransom. »Und weshalb um alles in der Welt haben Sie mich entführt? Und wie haben Sie es gemacht?«

Weston schien zunächst nicht antworten zu wollen; dann, als habe er es sich anders überlegt, setzte er sich neben Ransom aufs Bett und sagte: »Ich nehme an, es erspart uns Ärger, wenn ich sofort auf diese Fragen eingehe und Sie uns während des nächsten Monats nicht unausgesetzt damit in den Ohren liegen. Die Frage, wie wir es machen – vermutlich meinen Sie damit, wie das Raumschiff funktioniert –, ist sinnlos. Sie würden es nicht verstehen, es sei denn, Sie wären einer der vier oder fünf wirklich großen heutigen Physiker. Und wenn Sie etwas davon verstünden, so würde ich es Ihnen nicht sagen. Wenn es Sie glücklich macht, bedeutungslose Worte zu wiederholen – was wissenschaftlich ungebildete Leute nämlich meist wollen, wenn sie um eine Erklärung bitten –, sagen Sie meinetwegen, dass wir mit der Nutzung von weniger bekannten Eigenschaften der Sonnenstrahlung arbeiten. Und warum wir hier sind? Wir sind unterwegs nach Malakandra …«

»Meinen Sie einen Stern, der Malakandra heißt?«

»Selbst Sie können kaum annehmen, dass wir das Sonnensystem verlassen. Malakandra ist viel näher: Wir werden es in ungefähr achtundzwanzig Tagen erreichen.«

»Es gibt keinen Planeten, der Malakandra heißt«, wandte Ransom ein.

»Ich nenne ihn bei seinem richtigen Namen, nicht dem, den die irdischen Astronomen erfunden haben«, sagte Weston.

»Aber das ist doch Unsinn«, entgegnete Ransom. »Wie zum Henker haben Sie den richtigen Namen, wie Sie es nennen, herausgebracht?«

»Von den Bewohnern.«

Ransom brauchte eine Weile, bis er das verdaut hatte. »Wollen Sie damit sagen, Sie wären schon einmal auf diesem Stern oder auf diesem Planeten, oder was immer es ist, gewesen?«

»Ja.«

»Sie können wirklich nicht von mir verlangen, das zu glauben«, sagte Ransom. »Verdammt noch mal, so etwas ist doch nichts Alltägliches. Warum hat niemand davon gehört? Warum hat es nicht in den Zeitungen gestanden?«

»Weil wir keine Idioten sind«, sagte Weston grob.

Nach kurzem Schweigen fing Ransom wieder an. »Welcher Planet ist es nach unserer Terminologie?«, fragte er.

»Ein für alle Mal«, sagte Weston, »ich werde es Ihnen nicht sagen. Wenn Sie es nach unserer Ankunft herausbringen, soll es mir recht sein. Ich glaube nicht, dass wir von Ihren wissenschaftlichen Kenntnissen viel zu befürchten haben. Einstweilen gibt es keinen Grund, dass Sie es erfahren sollten.«

»Und Sie sagen, dieser Ort sei bewohnt?«, sagte Ransom. Weston warf ihm einen eigentümlichen Blick zu, dann nickte er. Ransoms Unbehagen ging rasch in einen tiefsitzenden Zorn über, den er angesichts seiner vielen widerstreitenden Empfindungen schon beinahe vergessen hatte.

»Und was hat das alles mit mir zu tun?«, brach es aus ihm hervor. »Sie sind über mich hergefallen, haben mich betäubt und scheinen mich jetzt in diesem Teufelsding als Gefangenen zu verschleppen. Was habe ich Ihnen getan? Wie wollen Sie Ihr Tun rechtfertigen?«

»Ich könnte mit der Gegenfrage antworten, warum Sie wie ein Dieb in mein Anwesen geschlichen sind. Hätten Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert, wären Sie jetzt nicht hier. Wie die Dinge liegen, gebe ich zu, dass wir in Ihre Rechte eingreifen mussten. Meine einzige Rechtfertigung

ist, dass kleine Ansprüche hinter größeren zurücktreten müssen. Soweit wir wissen, vollbringen wir etwas, das in der Geschichte der Menschheit, vielleicht sogar in der Geschichte des Universums, nie zuvor unternommen worden ist. Wir haben gelernt, uns von dem Klumpen Materie zu lösen, auf dem die Menschheit entstanden ist; die Unendlichkeit und vielleicht die Ewigkeit sind in die Reichweite der menschlichen Rasse gelangt. Sie können nicht so engstirnig sein zu glauben, dass die Rechte oder das Leben eines Individuums oder einer Million Individuen im Vergleich damit auch nur von der geringsten Bedeutung wären.«

»Da bin ich anderer Meinung«, sagte Ransom, »und bin es immer schon gewesen, sogar bei Tierversuchen. Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Wozu brauchen Sie mich? Was versprechen Sie sich von meiner Anwesenheit auf diesem – auf Malakandra?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete Weston. »Es war nicht unsere Idee. Wir befolgen nur Befehle.«

»Von wem?«

Wieder entstand eine Pause. »Kommen Sie«, sagte Weston schließlich, »es hat wirklich keinen Zweck, mit diesem Kreuzverhör fortzufahren. Sie stellen mir immerfort Fragen, die ich nicht beantworten kann: zum Teil, weil ich die Antworten nicht weiß, zum Teil, weil Sie diese nicht verstehen würden. Unsere Reise wird sich weit angenehmer gestalten, wenn Sie sich mit Ihrem Schicksal abfinden und aufhören, sich und uns zu quälen. Es wäre einfacher, wenn Sie nicht so eine unerträglich enge und individualistische Lebensphilosophie hätten. Ich hatte geglaubt, die Rolle, die Sie spielen sollen, müsste jedermann begeistern. Ich hatte gedacht, dass selbst ein Wurm, wäre er mit Verstand begabt, sich dem Opfer nicht entziehen würde. Ich meine selbstverständlich das Opfer an Zeit und Freiheit und ein gewisses Risiko. Bitte missverstehen Sie mich nicht.«

»Nun«, sagte Ransom, »Sie halten die Trümpfe in der Hand und ich muss das Beste daraus machen. Ich halte Ihre Lebensphilosophie für hellen Wahnsinn. Vermutlich bedeutet all dieses Zeug über Unendlichkeit und Ewigkeit, dass Sie sich für berechtigt halten, hier und jetzt alles zu tun, absolut alles, nur um der schwachen Aussicht willen, dass irgendwelche vom heutigen Menschen abstammenden Geschöpfe ein paar Jahrhunderte länger irgendwo im Weltall umherkriechen können.«

»Ja – zu allem berechtigt«, entgegnete der Wissenschaftler hart. »Und alle wirklich Gebildeten – denn Geisteswissenschaften und Geschichte und solchen Plunder bezeichne ich nicht als Bildung – denken genau wie ich. Es freut mich, dass Sie den Punkt angesprochen haben, und ich rate Ihnen, meine Antwort im Gedächtnis zu behalten. Und jetzt werden wir frühstücken, wenn Sie mir in den Nebenraum folgen wollen. Seien Sie vorsichtig beim Aufstehen; Sie haben hier ein kaum nennenswertes Gewicht im Vergleich zu Ihrem Gewicht auf der Erde.« Ransom erhob sich und Weston öffnete die Tür. Blendend goldenes Licht durchflutete den Raum und brachte das blasse Erdenlicht hinter ihm völlig zum Erlöschen.

»Ich gebe Ihnen gleich eine dunkle Brille«, sagte der Wissenschaftler, als er in den Raum voranging, aus dem das strahlende Licht kam. Ransom hatte den Eindruck, dass Weston zur Türöffnung bergauf ging und plötzlich nach unten verschwand, nachdem er sie passiert hatte. Als er vorsichtig folgte, hatte er das seltsame Gefühl, an den Rand eines Abgrunds zu treten: Der Raum auf der anderen Seite schien auf der Seite zu liegen, sodass die gegenüberliegende Wand beinahe eine Ebene mit dem Boden des Raums bildete, den er gerade verlassen wollte. Doch als er seinen Fuß durch die Öffnung setzte, entdeckte er, dass der Boden auch weiterhin eben verlief, und nachdem er den Nebenraum ganz betreten hatte, richteten die Wände sich auf und die gerundete Decke befand sich über seinem Kopf. Er blickte zurück und jetzt sah die Schlafkammer so aus, als würde sie kippen – die Decke wurde zur Wand und eine der Wände zur Decke.

»Sie werden sich bald daran gewöhnen«, sagte Weston, der seinem Blick gefolgt war. »Das Schiff ist ein Sphäroid, ein kugelförmiger Körper, und da wir nun das Schwerefeld der Erde verlassen haben, empfinden wir den Mittelpunkt unserer kleinen Metallwelt als unten. Das haben wir natürlich vorausgesehen und das Schiff entsprechend konstruiert. Das Innere des Schiffs ist eine Hohlkugel, in der wir unsere Vorräte verwahren, und die Oberfläche dieser Hohlkugel ist der Boden, auf dem wir gehen. Ringsherum sind die Kabinen angeordnet. Deren Wände wiederum tragen eine äußere Kugelschale, die von hier aus gesehen Dach oder Decke ist. Da sich der Mittelpunkt unten befindet, wirkt das Stück Fußboden, auf dem Sie gerade stehen, immer eben oder horizontal und die Wand, an der Sie stehen, immer vertikal. Andererseits ist die Kugel des Fußbodens flächenmäßig so klein, dass Sie stets darüber hinaussehen – hinaus über das, was Ihnen als Horizont erscheinen würde, wenn Sie ein Floh wären –, und dann nehmen Sie Fußboden und Wände der nächsten Kabine in einem anderen Winkel wahr. Genauso verhält es sich im Übrigen auf der Erde, nur sind wir nicht groß genug, um das sehen zu können.«

Nach dieser Erklärung kümmerte Weston sich in seiner knappen, ungefälligen Art um das Wohlergehen seines Gastes oder Gefangenen. Auf seinen Rat hin legte Ransom seine Kleidung ab und ersetzte sie durch einen schmalen Gürtel, der mit schweren Gewichten behangen war, um die ungewohnte Leichtigkeit seines Körpers ein wenig auszugleichen. Dann setzte er eine dunkle Brille auf und folgte Weston an einen kleinen Tisch, auf dem das Frühstück stand. Er war hungrig und durstig und machte sich gierig über die Mahlzeit aus Büchsenfleisch, Zwieback, Butter und Kaffee her.

Doch all dies hatte er fast mechanisch ausgeführt. Beinahe automatisch zog er sich aus, aß und trank, und alles, was ihm von seiner ersten Mahlzeit an Bord des Raumschiffs im Gedächtnis blieb, war die alles beherrschende Intensität von Hitze und Licht. Beide hatten ein Ausmaß, das auf der Erde unerträglich gewesen wäre, waren aber von neuartiger Qualität. Das Licht war blasser als jedes ähnlich starke Licht, das er je gesehen hatte; es war nicht rein weiß, sondern von äußerst blassem Gold und warf ebenso scharfe Schatten wie Flutlicht. Die sehr trockene Hitze schien wie ein riesiger Masseur über die Haut zu streichen und sie zu kneten; sie machte keineswegs schläfrig, sondern höchst munter. Ransoms Kopfschmerzen waren vergangen; er fühlte sich so aufmerksam, mutig und großmütig wie kaum je auf der Erde. Nach einiger Zeit wagte er, zu der Deckenluke aufzublicken. Bis auf einen schmalen gläsernen Spalt war sie mit stählernen Schiebern verschlossen, und selbst dieser Spalt war mit einer Blende aus schwerem, dunklem Material abgedeckt; dennoch war es so hell, dass man nicht lange hineinsehen konnte.

»Ich dachte immer, der Weltraum sei dunkel und kalt«, sagte er unsicher.

»Und die Sonne?«, merkte Weston verächtlich an.

Ransom aß schweigend weiter. Nach einer Weile begann er von Neuem: »Wenn es schon am frühen Morgen so ist …« Doch gewarnt von Westons Gesichtsausdruck brach er ab.

Natürlich, dachte er ehrfürchtig, hier gibt es keinen Morgen, keinen Abend und keine Nacht – nichts als immergleichen helllichten Tag, der jenseits aller Geschichte seit Urzeiten Milliarden von Kubikmeilen erfüllt. Er blickte wieder zu Weston, doch dieser hob die Hand.

»Reden Sie nicht so viel«, sagte er. »Wir haben alles Nötige besprochen. Im Schiff gibt es nicht genug Sauerstoff für irgendwelche überflüssigen Anstrengungen; auch nicht für Gespräche.«

Kurz danach stand er auf, ohne den anderen aufzufordern, es ihm gleichzutun, und verließ den Raum durch eine der vielen Türen, die Ransom bis dahin kaum wahrgenommen hatte.

5 _______

Die Reise im Raumschiff hätte für Ransom eine Zeit voller Furcht und Schrecken sein können. Eine astronomische Entfernung trennte ihn von allen menschlichen Geschöpfen bis auf zwei, denen er mit gutem Grund misstraute. Er fuhr einem unbekannten Ziel entgegen und seine Entführer weigerten sich beharrlich, ihm zu verraten, zu welchem Zweck er dorthin gebracht wurde.

Devine und Weston lösten einander regelmäßig bei der Wache in einem Raum ab, den Ransom nicht betreten durfte und wo er die Steueranlagen des Schiffs vermutete. Weston blieb während seiner Freiwachen meist schweigsam. Devine war gesprächger, plauderte und lachte häufig mit dem Gefangenen, bis Weston an die Wand des Kontrollraumes klopfte und davor warnte, die Luft zu vergeuden. Doch in bestimmten Punkten zeigte sich auch Devine verschlossen. Er war stets bereit, sich über Westons feierlichen wissenschaftlichen Idealismus lustig zu machen. Er gebe keinen Pfifferling, sagte er, für die Zukunft des Menschengeschlechts oder die Begegnung zweier Welten.

»Malakandra ist mehr als das«, meinte er oft augenzwinkernd. Doch wenn Ransom ihn fragte, worin dieses »Mehr« bestehe, verfiel er in einen satirischen Ton und machte ironische Bemerkungen über die Bürde des weißen Mannes und die Segnungen der Zivilisation.

»Dann ist der Planet also bewohnt?«, bohrte Ransom.

»Ach – bei solchen Dingen gibt es immer das Problem der Eingeborenen«, antwortete Devine dann. Meistens aber sprach er über das, was er nach seiner Rückkehr zur Erde tun wollte. Hochseejachten, kostspielige Frauen und ein großes Landhaus an der Riviera spielten in diesen Plänen eine große Rolle. »Ich nehme alle diese Risiken nicht zum Spaß auf mich.«

Direkte Fragen nach Ransoms eigener Rolle stießen gewöhnlich auf Schweigen. Nur einmal, als er nach Ransoms Einschätzung alles andere als nüchtern war, gab Devine auf eine solche Frage zu, dass sie ihm »noch allerhand aufhalsen« würden.

»Aber ich bin sicher«, ergänzte er, »dass du dich des alten Schulschlipses würdig erweisen wirst.«

Wie ich bereits gesagt habe, war all dies ziemlich besorgniserregend. Seltsamerweise jedoch beunruhigte es ihn nicht sehr. Es ist schwierig, trüben Gedanken über die Zukunft nachzuhängen, wenn man sich so ausgezeichnet fühlt wie Ransom jetzt. Auf der einen Seite des Schiffs herrschte endlose Nacht, auf der anderen endloser Tag; beides war großartig, und er genoss es, nach Lust und Laune von der einen Seite zur anderen zu gehen. In den Nächten, die er sich verschaffen konnte, indem er einen Türgriff drehte, lag er oft stundenlang da und starrte durch die Deckenluke. Die Erdscheibe war nun nicht mehr zu sehen; die Sterne, dicht gesät wie Gänseblümchen auf einem ungemähten Rasen, beherrschten das Blickfeld und keine Wolken, kein Mond oder Sonnenaufgang beeinträchtigten ihren Zauber. Da gab es geradezu majestätische Planeten, nie gesehene Sternbilder, es gab himmlische Saphire, Rubine, Smaragde und Schmucknadeln aus brennendem Gold; in weiter Ferne zur Linken hing ein winziger, entrückter Komet; und zwischen und hinter allem, bei Weitem eindringlicher und spürbarer als auf der Erde, die unauslotbare, rätselhafte Schwärze. Die Lichter zitterten: Sie schienen an Helligkeit zuzunehmen, je länger er sie betrachtete. Wie eine zweite Danae nackt auf seinem Bett ausgestreckt, fiel es ihm von Nacht zu Nacht schwerer, an der alten Astrologie zu zweifeln. Er stellte sich vor, spürte beinahe, wie ›süße Einflüsse‹ von den Sternen in seinen dargebotenen Körper strömten oder ihn gar durchbohrten. Alles war still bis auf die unregelmäßigen, klirrenden Geräusche, von denen er nun wusste, dass sie von Meteoriten herrührten, kleinen Materieteilchen, die ständig gegen die hohle Stahltrommel schlugen. Oft beschäftigte ihn die Überlegung, dass sie jeden Augenblick mit etwas zusammenstoßen könnten, das groß genug wäre, Schiff und Insassen in Meteoriten zu verwandeln. Aber er konnte sich nicht fürchten. Das Abenteuer war zu erhaben, die Umstände, unter denen es sich vollzog, waren zu feierlich, als dass andere Gefühle als eine ernste Freude möglich gewesen wären. Aber die Tage – oder besser die Stunden –, die er auf der sonnigen Seite ihrer kleinen Welt verbrachte, waren die schönsten von allen. Oft stand er nach nur wenigen Stunden Schlaf wieder auf, denn unwiderstehlich zog es ihn in die Regionen des Lichts; er konnte nicht aufhören, über den helllichten Tag zu staunen, der ihn dort erwartete, ganz gleich, zu welcher Zeit er kam. Dann lag er lang ausgestreckt und mit halb geschlossenen Augen in ein Bad reiner, ätherischer Farben und unerbittlicher, doch nicht schmerzhafter Helligkeit getaucht, während das seltsame Gefährt ihn mit leisem Vibrieren durch die Tiefen nachtentrückter Stille trug. In solchen Momenten spürte er, wie Leib und Seele jeden Tag aufs Neue gereinigt und mit frischer Lebenskraft erfüllt wurden. In einer seiner wortkargen, widerwilligen Antworten räumte Weston ein, dass es für diese Empfindungen eine wissenschaftliche Erklärung gab: Sie empfingen, sagte er, viele Strahlungen, die nie durch die Erdatmosphäre drangen.

Doch mit der Zeit entdeckte Ransom einen weiteren und eher geistigen Grund für sein zunehmendes Glücksgefühl. Ein Albtraum, ein Mythos, dem der moderne, von der Wissenschaft geprägte Mensch anhing, wich allmählich von ihm. Er hatte über den Weltraum gelesen und seit vielen Jahren rief der Begriff in seiner Vorstellung das düstere Bild einer schwarzen, kalten Leere hervor, einer absoluten Leblosigkeit zwischen den Welten. Es war ihm bis jetzt nicht bewusst gewesen, wie sehr er dieser Vorstellung verhaftet war – jetzt, da ihm das bloße Wort »Weltraum« schon als Blasphemie erschien, als Verleumdung dieses himmlischen Strahlenozeans, in dem sie schwammen. Er war nicht leblos; Ransom fühlte, wie in jedem Augenblick Leben aus diesem Ozean in ihn strömte. Wie konnte es auch anders sein, da alle Welten und ihr Leben diesem Ozean entsprungen waren? Er hatte ihn für unfruchtbar gehalten; jetzt aber erkannte er, dass er der Mutterschoß der Welten war, dessen unzählige Sprösslinge allnächtlich mit feurigen Augen auf die Erde hinabschauten – und wie viele mehr waren es hier! Nein, Weltraum war der falsche Ausdruck. Die Denker vergangener Zeiten hatten mehr Weisheit bezeugt, als sie vom Himmel sprachen – dem Himmel, der des Ewigen Ehre rühmt –, der

»holden Glückseligkeit lächelndes Bild,

wo Nacht des Tages Auge nie verhüllt,

hoch droben im weiten Himmelsgefild«.

Er sprach Miltons Verse liebevoll und nicht nur einmal vor sich hin.

Natürlich lag er nicht die ganze Zeit herum und träumte. Er erforschte das Schiff (soweit es ihm erlaubt war) und ging von Raum zu Raum mit jenen langsamen Bewegungen, die Weston ihnen auferlegte, da größere körperliche Anstrengungen den Sauerstoffvorrat zu sehr belasteten. Das Raumschiff hatte mehr Kabinen, als derzeit benötigt wurden; vielleicht, weil es eine bestimmte Form haben musste, vielleicht aber auch, weil, wie Ransom vermutete, die Eigner – zumindest aber Devine – auf der Rückreise irgendeine Ladung mitnehmen wollten. Außerdem wurde er, ohne recht zu wissen wie, zum Steward und Koch der kleinen Gemeinschaft; zum einen war es für ihn selbstverständlich, sich an den einzigen Arbeiten zu beteiligen, die er tun konnte – denn den Kontrollraum durfte er nie betreten; zum anderen wollte er Westons Tendenz, ihn zum Diener zu machen, zuvorkommen. Er arbeitete lieber freiwillig statt in eingestandener Sklaverei; außerdem schmeckten ihm seine eigenen Gerichte viel besser als die seiner Gefährten.

Ebendiese Aufgaben machten ihn zum zunächst unfreiwilligen und dann höchst beunruhigten Mithörer eines Gesprächs, das seiner Einschätzung nach ungefähr zwei Wochen nach Antritt ihrer Reise stattfand. Er hatte nach dem Abendessen das Geschirr abgewaschen, ein Sonnenbad genommen, mit Devine geplaudert – der ein angenehmerer Gesellschafter war als Weston, aber in Ransoms Augen der bei Weitem unsympathischere der beiden – und war zur gewohnten Zeit zu Bett gegangen. Er konnte nicht einschlafen und nach etwa einer Stunde fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, in der Kombüse ein paar kleine Vorbereitungen zu treffen, die seine Arbeit am nächsten Morgen erleichtern würden. Man betrat die Kombüse durch den Salon oder Tagesraum und ihre Tür lag neben der zum Kontrollraum. Er stand auf und ging sofort hinüber, barfuß und nackt wie er war.

Obwohl die Kombüse auf der Nachtseite des Schiffs lag, schaltete Ransom das Licht nicht ein. Er brauchte nur die Tür einen Spalt offen zu lassen, sodass ein Streifen strahlendes Sonnenlicht in den Raum fiel. Jeder, der selbst einen Haushalt geführt hat, wird verstehen, dass seine Vorbereitungen für den Morgen noch unzureichender waren, als er gedacht hatte. Er war geübt und erledigte die Arbeit schnell und leise. Als er gerade fertig war und sich die Hände an dem Rollhandtuch hinter der Kombüsentür abtrocknete, hörte er, wie die Tür des Kontrollraums aufging. Durch den Spalt sah er die Silhouette eines Mannes vor der Kombüse stehen; es war Devine. Dieser ging nicht in den Salon, sondern blieb stehen und redete weiter – offensichtlich in den Kontrollraum hinein, denn Ransom konnte zwar deutlich hören, was Devine sagte, doch Westons Antworten verstand er nicht oder nur bruchstückhaft.

»Ich glaube, das wäre verdammt unklug«, sagte Devine. »Wenn wir sicher sein könnten, dass wir gleich nach der Landung auf die Scheusale stoßen, dann hätte der Gedanke etwas für sich. Aber angenommen, wir müssen ein Stück laufen? Dann müssten wir nach deinem Plan einen bewusstlosen Mann mitsamt seinem Gepäck schleppen, anstatt ihn selbst gehen und seinen Teil der Arbeit tun zu lassen.«

Offenbar entgegnete Weston etwas.

»Aber er kann es unmöglich rauskriegen«, versetzte Devine. »Es sei denn, einer von uns ist so dumm und erzählt es ihm. Und selbst wenn er Verdacht schöpft: Glaubst du, jemand wie er hat den Mut, auf einem fremden Planeten wegzulaufen? Ohne Nahrung? Ohne Waffen? Du wirst sehen, sobald er den ersten Sorn zu Gesicht bekommt, frisst er uns aus der Hand.«

Wieder hörte Ransom undeutlich Westons Stimme.

»Woher soll ich das wissen?«, sagte Devine. »Vielleicht eine Art Häuptling. Aber wahrscheinlich eher irgendein Hokuspokus.«

Diesmal kam eine sehr kurze Äußerung aus dem Kontrollraum, anscheinend eine Frage. Devine antwortete sofort.

»Das würde erklären, warum sie ihn haben wollen.«

Weston stellte eine weitere Frage.

»Menschenopfer, würde ich sagen. Von ihrem Standpunkt aus natürlich nicht; du weißt schon, was ich meine.«

Diesmal hatte Weston eine ganze Menge zu sagen und Devine lachte in seiner typischen Art leise vor sich hin.

»Klar«, sagte er. »Versteht sich, dass du alles aus den erhabensten Motiven tust. Solange sie zu den gleichen Ergebnissen führen wie meine Motive, seien sie dir von Herzen gegönnt.«

Weston sprach weiter und diesmal schien Devine ihn zu unterbrechen.

»Du wirst dich doch nicht etwa aufregen?«, sagte er. Dann schwieg er eine ganze Weile und schien zuzuhören.

»Wenn du die Scheusale so gern hast«, erwiderte er schließlich, »kannst du ja bleiben und dich mit ihnen paaren – falls es bei ihnen Geschlechtsunterschiede gibt, was wir noch nicht wissen. Aber keine Bange, wenn es Zeit ist, dort aufzuräumen, werden wir einen oder zwei für dich übrig lassen, und die kannst du dann als Schoßtiere halten oder Versuche mit ihnen anstellen oder mit ihnen schlafen oder alles zusammen – was immer du willst … Ja, ich weiß. Einfach abscheulich. War auch nur ein Scherz. Gute Nacht.«

Einen Augenblick später schloss Devine die Tür zum Kontrollraum und ging durch den Salon in seine eigene Kabine. Ransom hörte, wie er die Tür verriegelte, was er aus unerfindlichen Gründen immer tat. Die Spannung, mit der er dem Gespräch zugehört hatte, ließ nach. Er hatte die Luft angehalten und atmete nun mehrere Male tief durch. Dann betrat er vorsichtig den Tagesraum.

Obwohl er wusste, dass er gut daran täte, so schnell wie möglich wieder ins Bett zu gehen, blieb er in dem inzwischen so vertrauten strahlenden Licht stehen und betrachtete es mit einem neuen, beinahe schmerzlichen Gefühl. Aus diesem Himmel, diesen Gefilden des Glücks sollten sie nun bald hinabsteigen – und wohin? Zu Sornen, Menschenopfern, abscheulichen, geschlechtslosen Ungeheuern. Was war wohl ein Sorn? Seine eigene Rolle bei der ganzen Sache war jetzt hinlänglich klar. Jemand oder etwas hatte ihn angefordert. Die Anforderung konnte kaum ihm persönlich gelten. Der Jemand wollte offenbar ein Opfer von der Erde, irgendein Opfer. Die Wahl war auf ihn gefallen, weil Devine sie getroffen hatte; er musste feststellen – eine späte und in jeder Beziehung erschreckende Entdeckung –, dass Devine ihn all diese Jahre genauso von Herzen gehasst hatte, wie er selbst Devine hasste. Aber was war ein Sorn? Sobald er einen sähe, würde er Weston aus der Hand fressen. In seinem Kopf – wie in den Köpfen so vieler seiner Zeitgenossen – spukten eine ganze Reihe von Schreckgespenstern herum. Er hatte H. G. Wells und andere Autoren gelesen. Sein Universum war von Ungeheuern bevölkert, mit denen die antike oder mittelalterliche Mythologie kaum Schritt halten konnte. Insektenähnliche, wurmförmige oder krustentierartige Scheusale mit zuckenden Fühlern, kratzenden Flügeln, schleimigen Windungen, tastenden Fangarmen – solche und andere monströse Verbindungen von übermenschlicher Intelligenz und unersättlicher Grausamkeit schienen ihm in einer fremden Welt etwas nur allzu Wahrscheinliches zu sein. Die Sorne waren vermutlich … waren sicherlich … Er wagte nicht, sich auszumalen, wie die Sorne waren. Und er sollte ihnen ausgeliefert werden. Irgendwie erschien ihm dies schrecklicher als die Vorstellung, von ihnen gefangen zu werden. Überreicht, ausgehändigt, dargeboten. Seine Fantasie spiegelte ihm verschiedene Scheußlichkeiten ohne jeden Zusammenhang vor – hervorquellende Augen, gähnende Mäuler, Hörner, Stacheln, Kieferzangen. Der Abscheu vor Insekten, vor Schlangen, vor allem, was schleimig und gallertartig war, spielte eine grausige Symphonie auf seinen Nerven. Und die Wirklichkeit würde noch schlimmer sein: etwas Außerirdisches, Andersartiges – etwas, woran man nie gedacht hatte, nie auch nur hätte denken können. In diesem Augenblick fasste Ransom einen Entschluss. Er konnte dem Tod ins Auge sehen, nicht aber den Sornen. Wenn es irgendeine Möglichkeit gab, musste er fliehen, sobald sie auf Malakandra gelandet waren. Der Hungertod oder sogar die Aussicht, von Sornen gejagt zu werden, waren immer noch besser als eine Auslieferung. War eine Flucht unmöglich, musste er Selbstmord begehen. Ransom war ein frommer Mensch. Er hoffte auf göttliche Vergebung. Er sah keine andere Möglichkeit mehr. Ohne zu zögern, stahl er sich zurück in die Kombüse und sicherte sich das schärfste Messer. Um keinen Preis würde er es mehr hergeben.

Auf den Schrecken folgte eine große Erschöpfung, und sobald er in seinem Bett lag, fiel er in einen tiefen und traumlosen Schlaf.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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251 стр. 2 иллюстрации
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9783865064288
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