Читать книгу: «Jenseits des schweigenden Sterns», страница 2

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Das Zimmer, in das man ihn geführt hatte, wies eine seltsame Mischung aus Luxus und Verwahrlosung auf. Die Fenster hatten keine Vorhänge und waren von außen mit Läden verschlossen; der nackte Boden war mit Kisten, Holzwolle, Zeitungen und Büchern übersät; auf der Tapete hatten die Bilder und Möbel der früheren Bewohner helle Stellen hinterlassen. Die einzigen beiden Sessel dagegen waren höchst wertvoll und in dem Durcheinander auf dem Tisch fanden sich Zigarren, Austernschalen und leere Champagnerflaschen neben Kondensmilchdosen, geöffneten Ölsardinenbüchsen, billigem Geschirr, Brotresten, halb leeren Teetassen und Zigarettenstummeln.

Seine Gastgeber schienen lange auszubleiben und Ransom überließ sich seinen Gedanken an Devine. Er empfand für ihn jene Abneigung, die man jemandem entgegenbringt, den man in seiner Jugend sehr kurze Zeit bewundert und dann als hohl durchschaut hat. Devine hatte einfach etwas früher als andere jene Art von Humor beherrscht, die aus einer ständigen Parodie überlieferter sentimentaler oder idealistischer Klischees besteht. Ein paar Wochen lang hatten seine Anspielungen auf die »gute alte Schule«, »Fairness«, die »Bürde des weißen Mannes« und »Geradlinigkeit« alle, auch Ransom, begeistert. Doch schon bevor Ransom Wedenshaw verließ, hatte er Devine langweilig gefunden; in Cambridge war er ihm aus dem Weg gegangen und hatte sich von ferne gewundert, wie ein so oberflächlicher und letzten Endes alltäglicher Mensch so viel Erfolg haben konnte. Dann war es zu der rätselhaften Berufung Devines an die Universität Leicester gekommen; und sein zunehmender Reichtum war ein nicht minder rätselhaftes Phänomen. Devine war seit Langem nach London übergesiedelt und stellte in der Geschäftswelt vermutlich etwas dar. Hin und wieder fiel sein Name und gewöhnlich schloss der Gesprächspartner mit der Bemerkung, Devine sei »auf seine Art ein verdammt gerissener Bursche«, oder seufzte, »es sei ihm ein Rätsel, wie dieser Mann es so weit habe bringen können«.

Soweit Ransom dem kurzen Gespräch im Hof entnehmen konnte, hatte sein alter Schulkamerad sich kaum geändert.

Die Tür öffnete sich und er wurde in seinem Gedankengang unterbrochen. Devine war allein und brachte ein Tablett mit einer Flasche Whisky, Gläsern und einem Siphon.

»Weston sucht etwas zu essen«, sagte er, setzte das Tablett neben Ransoms Sessel auf dem Boden ab und machte sich daran, die Flasche zu öffnen. Ransom, der inzwischen wirklich brennenden Durst hatte, sah, dass sein Gastgeber zu den irritierenden Leuten gehörte, die beim Sprechen vergessen, ihre Hände zu gebrauchen. Devine hatte angefangen, das Stanniol, das Flaschenhals und Korken umhüllte, mit der Spitze des Korkenziehers aufzuschlitzen. Doch dann ließ er seine Hand sinken und fragte: »Wie kommst du eigentlich in diese gottverlassene Gegend?«

»Ich bin auf einer Wanderung«, sagte Ransom. »Gestern habe ich in Stoke Underwood übernachtet und heute wollte ich in Nadderby einkehren. Dort habe ich aber kein Quartier bekommen und mich also auf den Weg nach Sterk gemacht.«

»Mein Gott!«, rief Devine, den Korkenzieher in der untätigen Hand. »Machst du das für Geld oder ist es purer Masochismus?«

»Vergnügen, natürlich«, sagte Ransom, den Blick unverwandt auf die noch immer ungeöffnete Flasche gerichtet.

»Kann man den Reiz daran einem Uneingeweihten erklären?«, fragte Devine. Er erinnerte sich seines Vorhabens insoweit, dass er ein kleines Stück Stanniol abriss.

»Ich weiß nicht. Zunächst einmal laufe ich einfach gern …«

»Mein Gott! Nun, dann muss es dir beim Militär ja gefallen haben. Links zwo drei vier, eh?«

»Nein, nein. Es ist gerade das Gegenteil vom Militär. Dort läuft alles darauf hinaus, dass man keinen Augenblick allein ist und nie bestimmen kann, wohin man geht. Man kann sich nicht einmal aussuchen, auf welcher Straßenseite man gehen will. Bei einer Wanderung bist du völlig unabhängig. Du rastest, wo du willst, und gehst weiter, wann du willst. Solange du unterwegs bist, brauchst du auf niemanden Rücksicht zu nehmen und niemanden um Rat zu fragen als dich selbst.«

»Bis du eines Abends im Hotel ein Telegramm vorfindest, in dem steht: ›Komm sofort zurück‹, nicht wahr?«, sagte Devine, der endlich das Stanniol ablöste.

»Das kann dir nur passieren, wenn du dumm genug bist, eine Adressenliste zu hinterlassen und dich auch danach zu richten. Das Schlimmste, was mir zustoßen könnte, wäre, dass der Rundfunksprecher sagt: ›Doktor Elwin Ransom, zurzeit auf einer Wanderung durch die Midlands, wird gebeten …‹«

»Verstehe«, sagte Devine und hielt mitten im Korkenziehen inne. »Das könntest du nicht tun, wenn du wie ich im Geschäftsleben stündest. Bist du ein Glückspilz! Aber kannst du wirklich einfach so verschwinden? Hast du keine Frau, keine Kinder, keine alten, ehrwürdigen Eltern oder so?«

»Nur eine verheiratete Schwester in Indien. Und dann bin ich Dozent, verstehst du? In den Sommerferien ist ein Dozent sozusagen inexistent, wie du dich vielleicht erinnerst. Die Universität weiß nicht, wo er steckt, und kümmert sich auch nicht darum, und das gilt erst recht für alle anderen.«

Endlich kam der Korken mit einem herzerquickenden Geräusch aus dem Flaschenhals.

»Sag halt, wenn du genug hast«, sagte Devine, als Ransom ihm sein Glas hinhielt. »Aber irgendwo hat die Sache doch bestimmt einen Haken. Du meinst, niemand weiß, wo du bist, wann du zurückkommst oder wie man dich erreichen kann?«

Ransom nickte und Devine, der jetzt den Siphon in der Hand hatte, fluchte plötzlich. »Das Ding ist leer«, sagte er. »Macht es dir was aus, wenn wir gewöhnliches Wasser nehmen? Ich muss welches aus der Küche holen. Wie viel möchtest du?«

»Mach das Glas bitte voll«, sagte Ransom.

Bald darauf kehrte Devine zurück und endlich konnte Ransom seinen Durst löschen. In einem Zug trank er das

Glas halb aus, stellte es mit einem zufriedenen Seufzer ab und meinte dann, Devines Wohnort sei doch mindestens ebenso sonderbar wie seine eigene Art und Weise, die Ferien zu verbringen.

»Durchaus«, sagte Devine. »Aber du kennst Weston nicht, sonst würdest du begreifen, dass es weit weniger lästig ist, dahin zu gehen, wo er will, als darüber zu streiten. Ein ziemlich energischer Kollege.«

»Kollege?«, fragte Ransom.

»In gewissem Sinne schon.« Devine blickte zur Tür, zog seinen Sessel näher und fuhr in vertraulicherem Ton fort: »Trotz allem ist er in Ordnung. Unter uns gesagt, ich habe etwas Geld in einige Experimente gesteckt, die er gerade durchführt. Alles ganz reell – dem Fortschritt und dem Wohl der Menschheit verpflichtet und so weiter, aber es hat auch eine geschäftliche Seite.«

Während Devine redete, wurde Ransom seltsam zu Mute. Zuerst kam es ihm so vor, als ergäben Devines Worte keinen Sinn mehr. Er schien zu sagen, dass er durch und durch Geschäftsmann sei, in London aber keine Möglichkeit finde, die nötigen Experimente durchzuführen. Dann erkannte Ransom, dass Devine nicht unverständlich, sondern unhörbar redete, was nicht weiter überraschend war, da er sich weit entfernt hatte – ungefähr eine Meile. Dabei war er jedoch ganz deutlich zu sehen, wie durch ein umgedrehtes Fernrohr. Aus dieser hellen Ferne, wo er in seinem winzigen Sessel saß, sah er Ransom mit verändertem Gesichtsausdruck an. Es war ein unangenehmer Blick. Ransom versuchte, sich in seinem Sessel zu bewegen, entdeckte aber, dass er alle Gewalt über seinen Körper verloren hatte. Er fühlte sich recht wohl, aber es war, als ob seine Arme und Beine mit Bandagen an den Sessel gebunden wären und sein Kopf in einer Schraubzwinge steckte: einer gut gepolsterten, doch absolut unnachgiebigen Schraubzwinge. Er hatte keine Angst, obwohl er ahnte, dass er allen Grund hatte, sich zu fürchten. Dann schwand der Raum ganz allmählich aus seinem Gesichtsfeld.

Ransom wusste nie genau, ob das, was dann geschah, irgendeine Beziehung zu den in diesem Buch aufgezeichneten Ereignissen hatte oder ob es nur ein unbedeutender Traum war. Es schien ihm, dass er und Weston und Devine in einem kleinen, von Mauern umgebenen Garten standen. Der Garten war hell und sonnig, doch hinter der Mauer war nichts als Finsternis zu sehen. Sie versuchten, über die Mauer zu klettern, und Weston bat sie, ihm hinaufzuhelfen. Ransom redete auf ihn ein, nicht über die Mauer zu steigen, weil es auf der anderen Seite so dunkel sei, aber Weston ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen, und schließlich kletterten sie hinauf. Ransom war der Letzte. Er kam rittlings auf der Mauer zu sitzen und hatte sich wegen der Flaschenscherben, die dort waren, seinen Mantel untergelegt. Die anderen beiden waren auf der Außenseite bereits in die Finsternis gesprungen, aber ehe er ihnen folgte, wurde in der Mauer eine Tür, die keiner von ihnen bisher bemerkt hatte, von außen geöffnet und die seltsamsten Geschöpfe, die er je gesehen hatte, kamen in den Garten und brachten Weston und Devine wieder mit. Sie ließen die beiden im Garten, zogen sich selbst wieder in die Dunkelheit zurück und schlossen die Tür hinter sich ab. Ransom kam nicht mehr von der Mauer herunter. Er blieb oben sitzen, ohne Angst, aber mit einem ziemlich unbehaglichen Gefühl, denn sein rechtes Bein hing nach außen und war so dunkel, und sein linkes so hell. »Mein Bein wird abfallen, wenn es noch dunkler wird«, sagte er. Dann blickte er in die Dunkelheit hinunter und fragte: »Wer seid ihr?«, und die seltsamen Geschöpfe mussten noch da sein, denn sie antworteten alle: »Hu-hu-hu!«, genau wie Eulen.

Er begriff langsam, dass sein Bein weniger dunkel als vielmehr kalt und steif war, weil das andere so lange darauf gelegen hatte; und auch, dass er in einem Sessel in einem erleuchteten Zimmer saß. In seiner Nähe wurde gesprochen und ihm wurde bewusst, dass dieses Gespräch wohl schon einige Zeit dauerte. Sein Kopf war einigermaßen klar. Er merkte, dass man ihn betäubt oder hypnotisiert hatte, oder beides; nach und nach gewann er die Herrschaft über seinen Körper zurück, doch er war immer noch sehr schwach. Er hörte aufmerksam zu, ohne sich zu bewegen.

»Ich habe dieses Hin und Her allmählich satt, Weston«, sagte Devine gerade, »umso mehr, als schließlich mein Geld auf dem Spiel steht. Ich sage dir, er ist genauso gut geeignet wie der Junge, in mancher Hinsicht sogar besser. Aber er wird

jetzt bald wieder zu sich kommen und wir müssen ihn sofort an Bord bringen. Das hätten wir schon vor einer Stunde tun sollen.«

»Der Junge war ideal für uns«, sagte Weston verdrießlich. »Er ist unfähig, der Menschheit zu dienen, und wahrscheinlich wird er nichts Besseres zu tun haben, als seinen Schwachsinn auch noch zu vererben. In einer zivilisierten Gesellschaft würden Burschen wie er automatisch einem staatlichen Labor zu Versuchszwecken überlassen.«

»Schon möglich. Aber hier in England würde sich für einen Burschen wie ihn vielleicht Scotland Yard interessieren. Nach diesem Wichtigtuer dagegen wird monatelang kein Hahn krähen, und selbst dann wird niemand wissen, wo er war, als er verschwand. Er ist allein gekommen. Er hat keine Adresse hinterlassen. Er hat keine Familie. Und schließlich hat er seine Nase von sich aus in diese Angelegenheit gesteckt.«

»Trotzdem, mir gefällt das nicht. Schließlich ist er ein Mensch. Der Junge war im Grunde eher ein – ein Präparat. Allerdings ist auch der hier nur ein Individuum, und wahrscheinlich ein völlig nutzloses. Außerdem riskieren auch wir unser Leben. Für etwas Großes …«

»Um Himmels willen, fang nicht wieder damit an. Dazu haben wir keine Zeit.«

»Ich glaube«, erwiderte Weston, »er wäre einverstanden, wenn man es ihm klar machen könnte.«

»Nimm du seine Beine; ich nehme ihn unter den Armen«, sagte Devine.

»Wenn du wirklich glaubst, dass er zu sich kommt«, sagte Weston, »solltest du ihm lieber noch eine Dosis verpassen. Wir können erst nach Sonnenaufgang starten. Es wäre ziemlich lästig, wenn er drei Stunden lang da drin herumzappeln würde. Mir wäre es lieber, er wachte erst auf, wenn wir unterwegs sind.«

»Richtig. Behalt du ihn im Auge, ich gehe nach oben und hole das Zeug.«

Devine verließ das Zimmer. Durch halb geschlossene Lider sah Ransom, dass Weston über ihm stand. Er wusste nicht, wie sein Körper – wenn überhaupt – auf den Versuch einer plötzlichen Bewegung reagieren würde, aber er begriff, dass er die Gelegenheit nutzen musste. Kaum hatte Devine die Tür geschlossen, als Ransom sich mit aller Macht gegen Westons Beine warf. Der Wissenschaftler fiel auf den Sessel, Ransom stieß ihn mit letzter Kraft von sich und stürzte in die Halle.

Er war sehr schwach und stolperte. Aber das Entsetzen saß ihm im Nacken und innerhalb weniger Sekunden hatte er die Haustür gefunden. Er bemühte sich verzweifelt, die Verriegelung zu öffnen, doch die Dunkelheit und das Zittern seiner Hände waren gegen ihn. Noch bevor er den oberen Riegel aufgestoßen hatte, kamen hinter ihm gestiefelte Füße über den nackten Boden gepoltert. Er wurde bei Schultern und Knien gepackt. Er trat um sich, wand sich, brüllte in der schwachen Hoffnung auf Hilfe aus Leibeskräften und verlängerte schweißbedeckt den Kampf mit einer Heftigkeit, die er sich nie zugetraut hätte. Einen herrlichen Augenblick lang war die Tür offen, die frische Nachtluft streifte sein Gesicht und er sah die tröstlichen Sterne und sogar seinen Rucksack, der auf der überdachten Veranda liegen geblieben war. Dann traf ihn ein schwerer Schlag auf den Kopf. Sein Bewusstsein schwand. Als Letztes spürte er noch, wie kräftige Hände ihn packten und zurück in den dunklen Flur zerrten, und hörte, wie eine Tür ins Schloss fiel.

3 _______

Als Ransom wieder zu sich kam, schien er in einem dunklen Raum im Bett zu liegen. Er hatte ziemlich starke Kopfschmerzen und verspürte ein allgemeines Schwächegefühl, sodass er sich zunächst nicht dazu aufraffen konnte, aufzustehen und seine Umgebung zu untersuchen. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und merkte, dass er stark schwitzte. Das machte ihm bewusst, dass in dem Raum (wenn es einer war) eine ungewöhnlich hohe Temperatur herrschte. Als er die Arme bewegte, um die Bettdecke abzuwerfen, berührte er die Wand rechts vom Bett; sie war nicht nur warm, sondern heiß. Auf der linken Seite tastete er mit der Hand

ins Leere und stellte fest, dass die Luft dort kühler war; die Hitze schien also von der Wand auszugehen. Er befühlte sein Gesicht und fand eine aufgeschürfte Schwellung über dem linken Auge. Dies erinnerte ihn an den Kampf mit Weston und Devine, und er schloss daraus, dass sie ihn in eines der Nebengebäude hinter ihrem Schmelzofen gesperrt hatten. Im selben Moment blickte er auf und entdeckte die Quelle des trüben Lichts, in dem er, ohne sich dessen bewusst zu sein, die ganze Zeit über die Bewegungen seiner Hände hatte sehen können. Unmittelbar über seinem Kopf befand sich eine Luke – ein viereckiger Ausschnitt des sternenübersäten Nachthimmels. Ransom kam es vor, als habe er noch nie in eine so eisige Nacht hinausgeblickt. Die Sterne schienen in ihrem Glanz wie in unerträglicher Qual oder Lust zu pulsieren, drängten sich dicht und zahllos in ungeordneter Fülle, waren traumhaft klar und strahlend auf dem tiefschwarzen Hintergrund. Sie zogen all seine Aufmerksamkeit auf sich, beunruhigten und erreg-

ten ihn so, dass er sich aufsetzte. Das schmerzhafte Pochen in seinem Kopf wurde stärker und erinnerte ihn daran, dass er niedergeschlagen und betäubt worden war. Während er überlegte, ob das Mittel irgendeine Wirkung auf seine Pupillen gehabt haben mochte und so die unnatürliche Pracht und Fülle des Himmels erklärte, lenkte eine silbrige Lichterscheinung, eine Art blasser und verkleinerter Sonnenaufgang, seinen Blick von Neuem nach oben. Kurze Zeit später schob sich die Scheibe des Vollmonds in sein Gesichtsfeld. Ransom saß still und schaute. Er hatte noch nie einen solchen Mond gesehen – so weiß, so blendend und so groß. Wie ein großer Fußball direkt vor dem Fenster, dachte er, und gleich darauf: nein – noch größer. Er war mittlerweile überzeugt, dass mit seinen Augen etwas nicht stimmte; kein Mond konnte so groß sein wie das Ding, das er dort sah.

Das Licht des riesigen Mondes – wenn es denn ein Mond war – erleuchtete seine Umgebung jetzt beinahe so hell, als ob es Tag wäre. Er befand sich in einem sehr merkwürdigen Raum. Der Boden war so klein, dass das Bett und ein Tisch daneben die gesamte Breite einnahmen. Die Decke schien etwa doppelt so groß zu sein und die Wände wölbten sich nach außen, sodass Ransom das Gefühl hatte, am Boden einer tiefen, engen Schubkarre zu liegen. Das bestärkte ihn in der Annahme, sein Sehvermögen sei entweder vorübergehend oder dauernd geschädigt. Im Übrigen erholte er sich jedoch rasch und verspürte sogar eine unnatürliche Leichtigkeit und eine angenehme Erregung. Die Hitze war noch immer drückend und bevor er aufstand, um den Raum genauer zu untersuchen, streifte er alle Kleider bis auf Hemd und Hose ab. Das Aufstehen hatte verheerende Folgen und er befürchtete, die Nachwirkungen des Betäubungsmittels seien noch stärker als zunächst gedacht. Obgleich er sich keiner ungewöhnlichen Muskelanstrengung bewusst war, sprang er mit solcher Kraft vom Bett auf, dass er mit dem Kopf hart gegen die Luke schlug und von dort jäh zu Boden prallte. Er lag jetzt an der anderen Wand – der Wand, die sich seinem ersten Eindruck zufolge wie die Wandung einer Schubkarre nach außen hätte wölben müssen. Doch das traf nicht zu. Er befühlte und betrachtete sie: Sie stand unverkennbar senkrecht, im rechten Winkel zum Boden. Wieder stand er auf, diesmal vorsichtiger. Er verspürte eine außerordentliche Schwerelosigkeit. Es bereitete ihm sogar Mühe, mit den Füßen am Boden zu bleiben. Zum ersten Mal kam ihm der Verdacht, dass er tot und bereits bei den Engeln sein könnte. Er zitterte, aber seine geistige Disziplin verbot ihm, diese Möglichkeit auch nur in Erwägung zu ziehen. Stattdessen erforschte er sein Gefängnis. Das Ergebnis war eindeutig: Alle Wände sahen aus, als wölbten sie sich nach außen, sodass der Raum an der Decke breiter war als am Boden; trat man jedoch an eine der Wände, so erwies sie sich als völlig senkrecht – nicht nur beim Anblick, sondern auch bei der Berührung, wenn man sich bückte und mit den Fingern den Winkel zwischen Wand und Boden abtastete. Bei dieser Gelegenheit entdeckte er noch zwei weitere seltsame Tatsachen. Wände und Boden des Raums waren mit Metall ausgekleidet und befanden sich in einem Zustand ständiger, leichter Vibration – einer lautlosen Vibration, die etwas sonderbar Lebendiges und nicht Mechanisches hatte. Doch wenn die Vibration auch lautlos war, so gab es genug andere Geräusche – eine Reihe musikalischer Klopftöne oder Schläge, die in unregelmäßigen Abständen von der Decke zu kommen schienen. Es war, als ob die Metallkammer, in der er steckte, von winzigen, klirrenden Geschossen getroffen würde. Ransom war inzwischen zutiefst verängstigt, doch nicht die prosaische Furcht, die man im Krieg empfindet, erfüllte ihn, sondern eine ungestüme Angst, die sein Herz klopfen ließ und kaum von seiner allgemeinen Erregung zu trennen war: Er befand sich in der Schwebe, auf einer Art Wasserscheide des Gefühls; ihm war, als könne er jeden Augenblick entweder in ekstatische Freude oder in panisches Entsetzen abgleiten. Er wusste jetzt, dass er nicht in einem Haus war, sondern in einer Art Schiff, das sich fortbewegte. Es war offensichtlich kein Unterseeboot und die kaum spürbaren Vibrationen des Metalls schlossen ein Fahrzeug auf Rädern aus. Ein Schiff also, sagte er sich, oder eine Art Luftschiff … Doch alle seine Wahrnehmungen und Empfindungen waren so seltsam, dass sie zu keiner der beiden Annahmen passten. Verwirrt setzte er sich wieder aufs Bett und starrte den ungeheuren Mond an.

Ein Luftschiff, eine Art Flugmaschine … Aber warum sah der Mond so groß aus? Er war noch größer, als Ransom zunächst gedacht hatte. Kein Mond konnte so groß sein; und Ransom begriff jetzt, dass er dies von Anfang an gewusst, das Wissen aber voller Entsetzen unterdrückt hatte. Im selben

Augenblick schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf, der seinen Atem stocken ließ: In dieser Nacht konnte kein Vollmond sein. Er erinnerte sich deutlich, dass er in einer mondlosen Nacht von Nadderby aufgebrochen war. Selbst wenn die dünne Sichel eines Neumonds seiner Aufmerksamkeit entgangen sein sollte, konnte sie in ein paar Stunden nicht zu dem angewachsen sein, was er hier sah. Dies hier war eine größenwahnsinnige Scheibe, bei weitem größer als der Fußball, mit dem er sie anfangs verglichen hatte, eine Scheibe, die beinahe die Hälfte des Himmels einnahm. Und wo war der alte ›Mann im Mond‹ – das vertraute Gesicht, das auf alle Menschengenerationen herabgeblickt hatte? Das Ding war überhaupt nicht der Mond; und Ransom fühlte, wie seine Haare sich sträubten.

In diesem Moment hörte er eine Tür und wandte den Kopf. Er sah ein blendendes Lichtrechteck, das sofort wieder verschwand, als die Tür geschlossen wurde. Im Raum stand die massige Gestalt eines nackten Mannes, in der Ransom schließlich Weston erkannte. Kein Vorwurf, keine Bitte um eine Erklärung kam Ransom über die Lippen oder auch nur in den Sinn; nicht mit dieser monströsen Scheibe über ihren Köpfen. Die bloße Gegenwart eines menschlichen Wesens, das zumindest ein wenig Gesellschaft zu bieten versprach, löste die nervöse Spannung, in der seine Nerven bislang einer bodenlosen Verzweiflung widerstanden hatten. Als er sprach, merkte er, dass er schluchzte.

»Weston! Weston!«, stieß er hervor. »Was ist das? Das ist nicht der Mond – der ist nicht so groß. Er kann es nicht sein, oder?«

»Nein«, erwiderte Weston, »es ist die Erde.«

765,11 ₽
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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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251 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783865064288
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