Читать книгу: «Seewölfe Paket 18», страница 2

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Mardengo zog sein Messer. „Du hörst gleich auf zu grinsen“, sagte er. „Warte. Du sollst die Sterne sehen.“

„Es ist noch nicht dunkel“, sagte Carberry.

Mardengo fluchte und wollte sich auf ihn stürzen, doch Oka Mama hielt ihn zurück.

„Laß dich von ihm nicht reizen“, zischte sie. „Das will er doch nur erreichen. Begreifst du das nicht?“

Mardengo ließ das Messer langsam sinken. „Doch“, erwiderte er. „Aber wenn er so weitermacht, kann ich für nichts garantieren. Wir haben ja auch noch die beiden anderen Kerle, oder?“

Oka Mama antwortete nicht. Carberry grinste immer noch und sagte: „Aha, Roger und Sam leben also noch.“

„Steh auf!“ befahl Oka Mama.

Carberry mußte sich aufrappeln, ihm blieb nichts anderes übrig. Als er leicht wankend vor ihnen stand, vertauschte Mardengo das Messer mit der Pistole und forderte ihn durch einen Wink auf, vor ihm her durch den Dschungel zu gehen.

Auch dieser Aufforderung mußte der Profos Folge leisten, er hatte keine andere Wahl. Mardengo dirigierte ihn mit der Pistole vor sich her durch das Dickicht, Oka Mama folgte ihnen. In ihrem Geleit befanden sich die vier Piraten. Der Korse hatte sich mit den beiden Negersklaven zum Lager entfernt, um dort auf Oka Mamas Befehl hin nach dem Rechten zu sehen und die Hütten nach allen Seiten hin abzusichern. Die Engländer schienen in der Falle zu sitzen, dennoch traute Oka Mama dem Frieden nicht und wollte sicher sein, alles getan zu haben, was dem Schutz des Lagers dienen konnte.

Carberry kochte vor Wut. Wie ein Anfänger hatte er sich übertölpeln lassen, dazu noch von einem alten Hutzelweib, wie er Oka Mama im stillen nannte. Er konnte sich diese Niederlage selbst nicht verzeihen und hörte nicht auf, sich selbst zu beschuldigen.

Was aber viel schlimmer war: Er hatte immer noch keine Ahnung, wo sich Roger und Sam befanden. Immer wieder grübelte er darüber nach, was mit ihnen geschehen sein konnte. Wenn sie tot waren, würde er sich ein gewisses Mitverschulden zuschreiben, denn er hätte zumindest versuchen können, etwas für ihre Rettung zu tun, als er im Wasser gelandet war.

Daß Oka Mama wie eine Wilde auf ihn eingestochen hatte, daß sein Blut mit Sicherheit die Alligatoren angelockt hätte, daß er fast ohnmächtig geworden war – all das vergaß er in diesem Moment. Er nannte sich einen Narren, einen Anfänger und einen Stümper und konnte sich nicht beruhigen.

Die schlimmste Schmach stand ihm aber noch bevor. Er ahnte, was folgte – Mardengo trieb ihn auf das Ufer des Flusses zu. Mardengo hatte mit Oka Mama getuschelt, als er eingetroffen war, sie schienen sich einen Plan zurechtgelegt zu haben. Wie der aussah, konnte sich Carberry denken.

Doch bevor sie aus dem Urwald auf den schmalen Streifen Sand traten, der die Mündung des Flusses säumte, hielt Mardengo ihn am Arm fest und zischte ihm ins Ohr: „Verrate mir eins, du Hund. Wer ist der schwarzhaarige Bastard, der euch befehligt? Wie heißt euer Kapitän?“

„Da rate mal schön“, erwiderte Carberry in seinem schrecklichen Spanisch. „Von mir erfährst du nichts. Ich bin der Profos, das habe ich der alten Hexe auch bereits gesagt. Ich bin auf vielen Schiffen gefahren, und die Namen meiner Kapitäne kann ich mir nicht alle merken, kapiert?“

„Du lügst!“ Mardengo rammte ihm die Pistole in den Rücken.

Carberry sah im wahrsten Sinne des Wortes rot – es flirrte vor seinen Augen. Er fuhr herum. Ihm war egal, ob Mardengo jetzt abdrückte. Er schlug die Pistole zur Seite und wollte sich auf ihn stürzen, doch Oka Mama und die anderen Kerle waren heran und hielten ihn fest. Carberrys Schulter schmerzte wieder wie verrückt.

Er fluchte, konnte Mardengo immerhin noch gegen das Schienbein treten, und dann brüllte er: „Dir ziehe ich die Haut in Streifen von deinem Affenarsch, du verlauste Mißgeburt!“

Mardengo wich unwillkürlich zwei Schritte vor ihm zurück, und beinah stolperte er in eine der Fallgruben, die – aus naheliegenden Gründen – vorwiegend an der nordwestlichen Seite der Insel ausgehoben waren. Für einen Augenblick verspürte Mardengo Respekt und einen Anflug von Angst vor dem tobenden Riesen, der jetzt Anstalten traf, sich loszureißen.

Erst ein neuerlicher Hieb gegen seine schlimme Schulter brachte den Profos zur Räson. Er mußte kapitulieren, denn er hatte keine Chance. Ohne die Schulterverletzung wäre es ihm vielleicht gelungen, die Feinde in einem Überraschungsangriff zu überrumpeln – so aber war er ihnen ausgeliefert. Er verbiß sich die Schmerzen. Aber er hörte nicht auf zu fluchen. Sein Gebrüll tönte über die ganze Insel.

3.

Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätten die Männer der „Isabella“ jetzt gegrinst. Sie hörten das Gebrüll ihres Profos, und auch sie wußten, was geschehen würde, ehe die Piraten mit ihrem Gefangenen am Ufer des Flusses erschienen.

Sir John schlug wild mit den Flügeln und krächzte. Batuti hielt den Papagei zurück, damit er nicht in den Dschungel flog.

„Ganz ruhig bleiben, Sir John“, sagte er sanft. „Die Piraten schießen auf alles, was sich bewegt.“

Auch Arwenack, der Schimpanse, und Plymmie, die Wolfshündin, schienen mit ihren Instinkten etwas von dem drohenden Verhängnis zu spüren. Arwenack fletschte die Zähne, Plymmie knurrte. Philip und Hasard, die Söhne des Seewolfs, redeten leise auf die Hündin ein und versuchten, sie zu beruhigen. Tamao und Asiaga hatten den Affen, mit dem sie sich bestens angefreundet hatten, in ihre Mitte genommen, und Asiaga streichelte ihm den Hinterkopf. Arwenack verdrehte die Augen, gab seine aggressive Haltung auf und setzte eine Art verzücktes Grinsen auf.

Little Ross wandte sich mit gedämpfter Stimme an Smoky: „Die Drecksäcke haben den Profos. Wie wäre es, wenn wir ein Zielschießen auf sie veranstalten – mit Pfeil und Bogen? Shane und Batuti können doch hervorragend damit umgehen, sie würden Carberry bestimmt nicht verletzen.“

„Das weiß ich“, brummte Smoky. „Aber wir unternehmen trotzdem nichts. Wir haben unsere klaren Anweisungen, hast du das vergessen? Du mußt bei uns wohl doch noch einiges lernen.“

„Ich stinke ja nicht gegen die Befehle von Hasard an“, sagte Little Ross. „Aber mir juckt es ganz höllisch in den Fingern. Ich hätte große Lust, den Hurensöhnen da drüben noch einmal meinen Säbel um die Ohren zu hauen.“

„Was meinst du, wo es uns juckt?“ sagte Gary Andrews. „Besonders die Alte würde ich mir gern vorknöpfen. Hast du eine Ahnung, wer sie ist, Little Ross?“

„Sie muß Okachobee sein, Mardengos Mutter. Über sie werden die verrücktesten Geschichten erzählt. Sie ist eine echte Seminolin. Die Piraten nennen sie Oka Mama, glaube ich.“

„Sie ist eine Hexe“, sagte Philip junior.

„Hexen gibt es nicht“, sagte sein Bruder.

Philip stieß ein wütendes Schnaufen aus. „Doch. Hier, auf dieser Insel.“

Es wurden noch ein paar Worte gewechselt, doch dann verstummten alle, denn die Piraten traten mit Carberry aus dem Dickicht – am Ostufer, keine dreißig Yards von der „Isabella“ entfernt.

Mardengo und die anderen Kerle hielten den Profos fest, Oka Mama fuchtelte mit ihrem Messer herum.

Mardengo richtete seinen Blick auf die „Isabella“, hob den Kopf und schrie: „Engländer! Ich will euren Kapitän sprechen!“

Ben Brighton stand am Steuerbordschanzkleid des Achterdecks. Ruhig erwiderte er: „Der Kapitän hat sich in seine Kammer zurückgezogen.“

„Dann ruft ihn!“ brüllte Mardengo.

Ben tat alles, um Zeit zu gewinnen. Das war jetzt das wichtigste – Hasard brauchte sie, um sich bewegen zu können, er mußte soviel Spielraum wie möglich gewinnen. Es hatte wenig Zweck, wenn er Oka Mama, Mardengo und den anderen Freibeutern jetzt in den Rücken fiel. Befreite er Carberry, befanden sich Roger und Sam – falls sie noch lebten – nach wie vor in Gefahr.

Hasards Plan sah anders aus. Er war einfach, aber vom strategischen Standpunkt logisch. Auch Ben hatte noch einmal alles durchdacht und war zu dem Schluß gelangt, daß der Seewolf im Begriff war, das in ihrer Situation einzig Richtige zu tun.

„Mister O’Flynn“, sagte Ben. „Holen Sie den Kapitän.“

„Aye, Sir!“ Old Donegal Daniel O’Flynn zeigte klar, verlor dabei eine seiner Krücken und kippte prompt um. Fluchend landete er auf den Planken. Er streckte die Hand nach der Krücke aus, zog sie wieder zu sich heran, rappelte sich ächzend auf und drohte dabei wieder das Gleichgewicht zu verlieren. Die ganze Angelegenheit zog sich in die Länge, der Alte brauchte viel Zeit, um überhaupt das Achterdeck zu verlassen.

„Mardengo!“ schrie Oka Mama. „Sie halten uns zum Narren!“

„Halt dein Maul, du Nebelkrähe!“ brüllte Carberry. „Du wirst heute noch gerupft, keine Angst!“

Mardengo hieb ihm den Pistolenkolben in die Seite, dann sprang er einen Schritt vor und rief: „Engländer! Wagt es nicht, uns hinzuhalten! Her mit dem Kapitän – oder ich kitzle euren Profos mit dem Messer!“

„Sie haben ihn schon verletzt“, sagte Big Old Shane grollend. „Er blutet. Herrgott, das werden sie noch schwer bereuen.“

Old O’Flynn war auf dem Quarterdeck, riß das Achterdecksschott auf und brüllte: „Sir! Sie werden verlangt!“

„Wer will mich sprechen?“ ertönte eine Stimme aus der Achterdeckskammer.

„Der Piratenführer, Sir!“ schrie Old O’Flynn.

Es polterte und krachte – Oka Mama und Mardengo, die die Laute deutlich vernahmen, tauschten unwillkürlich einen verdutzten Blick. Dumpfe Schritte marschierten durch das Achterkastell der „Isabella“. Selbst Carberrys Augen verengten sich, er senkte den Kopf und schob dabei das Rammkinn vor. Hölle, Hasard, dachte er, warum machst du es bloß so spannend?

In diesem Augenblick erschien der „schwarzhaarige Bastard“ auf dem Quarterdeck und enterte das Achterdeck. Carberry erkannte sofort, daß es nicht Hasard, sondern Ferris Tucker war, der sich eine schwarze Perücke aufgesetzt hatte. Aber er hielt den Mund. Daß die Kameraden sich einen Trick zurechtgelegt hatten, um die Piraten zu überlisten, konnte er sich denken. Um welche Art von Plan es sich genau handelte, wußte er noch nicht, aber er ahnte, daß sich Hasard nicht mehr an Bord der „Isabella“ befand.

Mardengo und Oka Mama spähten lauernd zur „Isabella“, ebenso die Piraten, die den Profos nach wie vor festhielten. Hatte sich der schwarzhaarige Kapitän nicht irgendwie verändert? War nicht etwas Seltsames an seinem Verhalten, an seiner Art, sich zu bewegen?

Nein, das konnte nicht sein. Es waren die angespannten Nerven, die ihnen einen Streich zu spielen drohten.

„Ist er das auch wirklich?“ fragte Oka Mama mißtrauisch.

„Du hast ihn doch aus der Nähe gesehen“, antwortete ihr Sohn.

„Es ging alles viel zu schnell, ich habe ihn nicht richtig bemerkt“, sagte die Alte. „Aber du – du hast ihn beim Gefecht von Fort St. Augustine dicht vor dir gehabt.“

„Ja, aber auch dort ging alles viel zu schnell.“ Mardengos Miene wurde finster. Ungern erinnerte er sich an die Niederlage von St. Augustine. Die Engländer hatten ihn mit ihrem Katapult vom Schiff in den Rio Matanzas befördert – schimpflicher hätte der Kampf nicht enden können.

Dieses Detail hatte Mardengo wohlweislich verschwiegen, als er Oka Mama seinen Bericht erstattet hatte, und auch Gato und die anderen hüteten sich, etwas darüber verlauten zu lassen.

„Ist er’s nun, oder ist er’s nicht?“

Mardengo kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Ferris hatte inzwischen eine Haltung eingenommen, die er von Hasard abgeschaut hatte, und die Ähnlichkeit mit dem „echten Seewolf“ war auf einige Distanz tatsächlich verblüffend.

„Er ist es“, sagte Mardengo. „Daran gibt es keinen Zweifel.“

Selbstverständlich hatte Ferris sich auch entsprechend umgezogen, und so war die Maskerade perfekt. Die Piraten fielen darauf herein, und die Grundvoraussetzung für das Gelingen von Hasards Plan war erfüllt.

„Was wollt ihr von uns?“ schrie Ferris auf spanisch zu den Piraten hinüber.

„Wer bist du?“ rief Mardengo. „Gib deinen Namen preis, oder du kannst deinen Profos schreien hören, wie er noch nie geschrien hat!“

„Ich bin Philip Hasard Killigrew!“ rief Ferris, ohne zu zögern, zurück.

„Killigrew“, wiederholte Mardengo grimmig. „Diesen Namen habe ich schon einmal gehört. Killigrew – einer der gefährlichsten Schnapphähne zur See, ein Korsar, der überall sein Unwesen treibt. Jetzt wird mir einiges klar.“

„Was denn, zum Beispiel?“ fragte Oka Mama mit drohendem Unterton in der Stimme. Wenn Mardengo etwas über diesen Killigrew wußte, so hatte sie ein Recht darauf, es unverzüglich zu erfahren.

Mardengo grinste. „Killigrew, der auch der Seewolf genannt wird, soll irgendwo seine erbeuteten Schätze gehortet haben. Wir werden aus ihm herauskitzeln, wo dieser Ort ist. Und wir werden dorthin segeln. Verstehst du? Wir sind reich – reicher als je zuvor. Wir haben mit diesem dicken Fisch, der uns ins Netz gegangen ist, ein für allemal ausgesorgt.“

„Sehr gut“, sagte sie. „Aber weiter jetzt. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“

„Killigrew!“ brüllte Mardengo. „Ich verlange, daß ihr euch ergebt! Ihr kommt an Land und werdet von uns gefangengenommen!“

„Niemals!“ schrie Ferris.

„Oka Mama!“ stieß Mardengo mit verzerrtem Gesicht aus. Seine Stimme überschlug sich jetzt fast.

Oka Mama hob das Messer gegen Carberry. Sie schien bereit zu sein, zuzustechen – und der Profos wußte, daß sie nicht zögern würde, ihn zu mißhandeln und zu töten, falls die Männer der „Isabella“ nicht auf die Forderung eingingen.

„Killigrew!“ schrie Mardengo. „Ich zähle bis drei, dann stirbt dein Profos einen langsamen und grausamen Tod! Eins!“

„Gib mir Bedenkzeit!“ rief Ferris Tucker.

„Die hast du gehabt!“ brüllte Mardengo. „Dein Profos stirbt – und anschließend töten wir auch die beiden anderen und werfen sie vor euren Augen in den Fluß!“

Jetzt war es heraus – Roger Brighton und Sam Roskill lebten. Mehr hatten die Seewölfe vorläufig nicht wissen wollen. Ferris blickte zu Ben, Shane und den beiden O’Flynns. Ben nickte ihm unmerklich zu. Wieder konnten Hasards Anweisungen präzise befolgt werden. Er hatte ihnen befohlen, Mardengos Bedingungen anzunehmen.

„Zwei!“ schrie Mardengo.

Oka Mamas Messer schwebte immer noch drohend über Carberry. Ihr Mund war halb geöffnet, ihre Augen blitzten tückisch.

Doch in diesem Augenblick hob Ferris die Hand und rief: „Halt! Wir ergeben uns! Wir wollen nur dein Wort, daß keinem von uns ein Haar gekrümmt wird!“

Oka Mama ließ das Messer sinken. Carberry hatte die ganze Zeit über keine Miene verzogen.

Mardengo lachte, wies auf den Profos und rief: „Ist das nicht der beste Beweis für unsere Absichten? Wir wollen euch lebend, nicht tot! Wir töten nur, wenn ihr uns dazu zwingt!“

Kein Mann der „Isabella“ glaubte ernsthaft daran, daß Mardengo es mit diesen Versicherungen ehrlich meinte, aber zum Schein gingen sie auf das Spiel ein. Ferris gab ein Zeichen, und Gary Andrews, Al Conroy, Paddy Rogers und Jack Finnegan begannen, die große Jolle auszuschwenken und abzufieren.

Carberry glaubte seinen Augen nicht zu trauen. War das wirklich ihr Ernst? Wollten sie wirklich kapitulieren? Er konnte es nicht fassen. Was immer der Seewolf auch planen mochte – er mußte doch einsehen, daß der Preis zu hoch war. Die Piraten waren unberechenbar. Was geschah, wenn sie ein paar Arwenacks töteten, nur um ein Exempel zu statuieren?

Die ersten Männer stiegen in die Jolle hinunter, legten ab und pullten zum Ostufer des Flusses. Mardengo, Oka Mama und die Kerle lachten triumphierend. Carberry schloß in ohnmächtiger Wut die Augen. Er wollte aufbrausen, von neuem explodieren, wurde sich aber klar, daß es keinen Sinn hatte. Er gefährdete dadurch nur seine Kameraden, die sich eben anschickten zu landen. Es war besser, wenn er schwieg und sich ruhig verhielt, was immer auch geschah.

Die Piraten empfingen die Männer und nahmen ihnen die Waffen ab. Sie durchsuchten sie, bis sie sicher waren, daß auch das kleinste versteckte Messer ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen war.

So begaben sich alle an Land. Vier Bootsfahrten waren erforderlich, dann blieb die „Isabella“ verlassen in der Flußmündung zurück. Die Seewölfe wurden einer nach dem anderen gefesselt. Ihre Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden, ihre Füße durch kurze Tauenden so umschlungen, daß sie sich nur mit kleinen Schritten vorwärts bewegen konnten. Unter der scharfen Bewachung der Piraten und unter Mardengos scharfen Kommandorufen begann die traurige Prozession durch den Urwald von Pirates’ Cove. Sie führte an den Fallen vorbei, die von den Piraten geschickt umgangen wurden, bis tief ins Innere der Insel – zum Lager der Bande.

Die Seewölfe durften kein Wort miteinander wechseln. Wer sprach, wurde durch einen Hieb mit dem Kolben einer Muskete zum Schweigen gebracht.

Ferris Tucker atmete trotzdem auf. Im allgemeinen Durcheinander und in der Eile, zu der vor allem Oka Mama drängte, war es Mardengo und seinen Kerlen nicht aufgefallen, daß er eine Perücke trug und nicht der Seewolf war. Sie hatten die Täuschung auch diesmal übersehen und ahnten nicht, daß sich der echte Hasard frei auf der Insel bewegte.

Carberry hatte keine Möglichkeit, sich mit seinen Kameraden zu verständigen. Die Blicke, die sie ihm immer wieder zuwarfen; wußte er nicht richtig zu deuten. Seine Wut und die aufsteigende Verzweiflung brachten ihn fast um. So hilflos hatte er sich noch nie gefühlt. Ja – ihn packte fast das heulende Elend, als er seine Mannschaft dahinziehen sah. Wie sollte das alles enden?

Keiner wußte eine Antwort darauf.

4.

Hasard stieg zu diesem Zeitpunkt in den Felsen der Insel auf, die sich im nördlichen Bereich des Westufers erhoben. Er hatte das Geschrei an der Flußmündung recht deutlich vernommen und einzelne Worte verstehen können. Kein Schuß war gefallen – das war für ihn die Hauptsache.

Mardengo hatte Carberry, Roger und Sam als Geiseln genommen, soviel schien inzwischen festzustehen. Er nutzte sie als Faustpfand aus – und Ferris, Ben und die anderen hatten sich an die Anweisungen gehalten. Die Gefangennahme aller Seewölfe, der Marsch zum Lager – all das mußte Mardengo täuschen und von Hasards eigentlichem Vorhaben ablenken.

Hasard hielt im abklingenden Licht des Tages von den Felsen aus Umschau. Im Norden konnte er das Riff mit der „San Carmelo“ und den beiden Einmastern sehen, weiter die Flußmündung und das schmale, tiefblaue Band des Flusses, der sich durch das Grün des Dschungels zu ihm heraufschlängelte. Praktisch war er dem Verlauf des Gewässers gefolgt, um es an einer geeigneten Stelle zu überqueren.

Die „Isabella“ lag nach wie vor in der Flußmündung – jetzt wieder vor Anker, wie er sie verlassen hatte. Einen Kieker hatte er nicht mitgenommen, weil er ihn nur behindert hätte, die beiden Waffen waren bereits genug Ballast. Doch mit dem bloßen Auge konnte er verfolgen, wie ein Boot der Piraten auf die „Isabella“ zuhielt und bei ihr längsseits ging.

Die Seewölfe waren gefangengenommen worden. Auch durch die Verzögerungstaktik, die Hasard Ben, Ferris, Shane und allen anderen empfohlen hatte, hatten sich Mardengo oder seine Kerle nicht lange hinhalten lassen. Jetzt war die „Isabella“ herrenlos geworden, und die Piraten, die als Wachtposten an der Mündung des Flusses zurückgeblieben waren, verließen ihre Deckung im Dickicht und gingen an Bord.

Hasard preßte die Lippen zusammen. Er mußte sich beeilen, wenn er noch etwas ausrichten wollte. Sein Blick wanderte weiter. Er sah die Bucht im Osten, erspähte Skull-Eiland, dessen kahler Felsen einem liegenden Totenschädel ähnelte, und erkannte auch, daß am Ufer der Bucht eine Werft liegen mußte. Auf der Werft befand sich ein Schiff im Bau, das Spantengerüst des Rumpfes war fertiggestellt.

Im Zentrum der Insel, das konnte der Seewolf jetzt ebenfalls sehen, gähnte mitten im Dschungel – am Fuß der Felsen – ein kreisrunder Kahlschlag. Die Dächer von Hütten bildeten einen Ring, Gestalten bewegten sich auf und ab.

Er hatte das Lager der Piraten entdeckt und wußte jetzt, wohin Mardengo aller Wahrscheinlichkeit nach seine Gefangenen bringen würde. So schnell wie möglich mußte er wieder in den Dschungel hinuntersteigen.

Er hatte Fallgruben, Schlingen, spitze Gatter und Giftfallen geschickt orten und umgehen können, aber er wußte, daß er es im Dunkeln schwerer haben würde. Lange dauerte es nicht mehr, und die Dämmerung setzte ein. Es folgte rasch die Finsternis – und wenn er in eine Falle stolperte, war alles verloren.

Er vernahm das Rauschen von Wasser, nicht weit entfernt. Warum war er nicht schon vorher darauf aufmerksam geworden? Plötzlich grinste er. Der Wind hatte gedreht – und er bemerkte es erst jetzt. Er wehte nicht mehr aus Norden, sondern aus Westen. Unberechenbar war die See, das Wechseln von Wind und Wetter konnte von einem Augenblick zum anderen erfolgen. Falls der Wind aus Westen andauerte, würde er ihnen bei der Flucht – falls alles klappte – dienlich sein, denn sie brauchten nicht mehr zu kreuzen, um die Mündung des Flusses zu verlassen.

Er kletterte noch ein Stück höher und sah sich plötzlich einem Wasserfall gegenüber, der aus einer Höhe von etwa zweieinhalb Yards herabrauschte. Einem unbestimmten Gefühl folgend, watete er durch das flache Wasser des Flusses, der hier oben nur noch ein Bach war.

Er wußte nicht, was es war, das ihn wie eine magische Kraft anzog. Aber wenig später begriff er, daß es der nahezu untrügliche Instinkt des erfahrenen Korsaren war. Er trat unter den Wasserfall, schritt hindurch und blieb abrupt stehen.

Hinter dem Wasserfall war der Eingang einer Höhle verborgen. Hasard betrat sie, ohne zu zögern. Nirgends war ein Wächter zu sehen, alle Posten, die die Bande über die Insel verteilt hatte, schienen für den Kampf gegen die „Isabella“ abgezogen worden zu sein. Jedenfalls war er bisher nicht behelligt worden, und auch jetzt trat keine unerfreuliche Überraschung ein, die ihn in seinen Nachforschungen behinderte. Er war ungestört.

Etwa zehn Yards weit schritt er voran. Es wurde fast stockdunkel. Er stolperte um ein Haar über einen halbhohen, harten Widerstand, verharrte und betastete ihn mit beiden Händen.

Eine Truhe. Ihr Deckel ließ sich öffnen. Hasard war kaum noch erstaunt, als er in leise klirrenden Schmuck griff, mit dem die Truhe bis zum Rand gefüllt war. Er hatte keinen Zweifel daran, daß es sich um Gold, Silber und kostbare Juwelen handelte.

Er arbeitete sich weiter voran und entdeckte immer mehr Truhen und Kisten. Da hatte er also Mardengos geheimes Schatzversteck gefunden – und Little Ross hatte recht gehabt. Ein Abstecher zu diesem Schlupfwinkel lohnte sich, sie gingen nicht leer aus, sondern würden die Stauräume der „Isabella“ bis unter die Luken vollstopfen.

Das aber nur, wenn es ihm wirklich gelang, die Kameraden zu befreien. Er pirschte vorsichtig weiter, und wenig später stieß er auf einen natürlichen Stollen, der in die Tiefe führte. Gebückt konnte er sich darin bewegen, und wieder scheute er sich nicht, auch diesen Weg zu nehmen.

Der Boden wurde abschüssiger, er mußte jetzt aufpassen, nicht auszugleiten. Stockfinster war es, er konnte nicht mehr die Hand vor Augen erkennen. Es hätte ihm aber auch nichts genutzt, wenn er eine Fackel gehabt hätte. Er hätte sie nicht entfacht, denn irgendwo mußte der Tunnel zu Ende sein, und dort, am Ausgang, würde ihn die Flamme sofort verraten haben.

Er war sicher, daß der Stollen eine zweite Mündung hatte, denn ein leichter Luftzug umfächelte sein Gesicht. Hätte es sich um einen geschlossenen Schacht gehandelt, wäre dieser feine Durchzug nicht möglich gewesen.

Tatsächlich – plötzlich sah er vor sich, nicht weit entfernt, einen blassen Lichtschimmer. Er huschte weiter und hatte etwas später den Auslaß erreicht. Vorsichtig schlüpfte er in die Büsche, die das Loch im Felsen vollständig zudeckten. Er konnte sich jetzt wieder zu seiner vollständigen Größe aufrichten, kauerte sich aber hin, weil er damit rechnen mußte, entdeckt zu werden.

Er hörte leise Stimmen. Regungslos hockte er da und wagte nicht, sich zu rühren. Erst nach und nach wurde ihm bewußt, daß die Männerstimmen nicht ihm galten, obwohl sie sich nicht weit entfernt befanden.

Der Stollen hatte ihn zum Fuß der Felsen hinuntergeführt, und er konnte, wenn ihn sein Orientierungsvermögen nicht täuschte, nicht mehr weit vom Lager der Piraten entfernt sein. Mardengos Schatzversteck hatte also zwei Zugänge, und beide waren hervorragend durch die Natur getarnt.

Hasard wagte sich aus seiner Deckung hervor. Er robbte ein Stück auf dem Boden entlang und war weiterhin auf der Hut. Bisher waren keine tödlichen Fallen mehr aufgetaucht, doch das wollte nichts heißen. Er mußte auch weiterhin damit rechnen.

Seine Vorsicht zahlte sich aus. Er war nur wenige Yards in die Richtung gekrochen, in der sich nach seinen Schätzungen das Lager befand, da entdeckte er ein dünnes Tau, das in Knöchelhöhe über dem Boden gespannt war. Er verharrte und war versucht, das Tau mit der Hand zu berühren, vermied es aber.

Wieder schaute er sich nach allen Seiten um. Kein Gegner war zu entdecken, niemand schien im Hinterhalt zu lauern. Behutsam erhob er sich und folgte dem Verlauf des Taus mit dem Blick. Es führte bis zu einem Baum mit dickem Stamm, von dort nach oben weiter und endete in einer Astgabel, die sich gut vier Yards über dem Boden ausstreckte. Steine baumelten von dem Ast herab. Wer gegen die Schnur trat, löste einen simplen Mechanismus aus, der die Halterungen der Steine lockerte. Sie stürzten dann zu Boden – dicke Brocken, die einen ausgewachsenen Mann ohne weiteres erschlagen konnten.

Hasard stieg über den Fallstrick und schlich weiter. Trotz des nachlassenden Lichtes sah er eine Fallgrube, die auf die übliche Weise zugedeckt und getarnt worden war. Er tauchte seitlich im Dickicht unter und brachte auch dieses Hindernis hinter sich. Weitere Fallen fand er nicht, und er war dem Lager jetzt sehr, sehr nahe, wie er der zunehmenden Lautstärke der Stimmen entnahm.

Mardengo hatte die Fallen nicht nur geschaffen, um sich gegen etwaige Angreifer der Insel zu sichern. Er wußte sich auf diese Weise auch gegen seine eigenen Kumpane zu schützen, denen früher oder später durchaus einfallen konnte, sich den Schatz anzueignen und damit zu verschwinden – spurlos und auf Nimmerwiedersehen.

Hasard kannte die Mentalität von Piraten dieser Sorte zur Genüge. Sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel, gewiß, aber sie benahmen sich untereinander auch wie wilde Tiere, die ohne erkennbaren Anlaß zu den gefährlichsten Ausbrüchen fähig waren. Unberechenbar waren sie, eiskalt und skrupellos. Das wußte auch Mardengo. Er hatte sich auf jeden Eventualfall vorbereitet und eingerichtet. Er würde nicht zulassen, daß man ihn hinterging und betrog.

Hasard tat Schritt um Schritt auf die Lichtung zu und konnte jetzt das rauhe Lachen eines Mannes vernehmen. Das Dickicht wurde undurchdringlich, er mußte sich mit dem Entermesser einen Weg bahnen. Mangroven und Lianen schienen ihm den Zutritt zum Lager verweigern zu wollen, und er durfte nicht zu heftig zuschlagen, um sich nicht zu verraten.

Endlich hatte er es geschafft. Er blieb stehen, steckte das Entermesser weg und duckte sich. Dann teilten seine Hände vorsichtig Zweige und Blätter, und er konnte einen Blick auf die Lichtung werfen.

Zwischen zwei Hütten hindurch sah er zu Mardengo und Oka Mama, die soeben mit ihren Gefangenen eingetroffen waren.

Mardengo war es, der gelacht hatte. Er schien sich kaum beruhigen zu können und kostete seinen Triumph voll aus, als er die betretenen Gesichter seiner geschlagenen Gegner sah.

Hasard mußte sich bezwingen. Er hätte das Überraschungsmoment ausnutzen und sich in einer blitzschnellen Attacke auf Mardengo werfen können, doch das hätte ihm wenig genutzt. Oka Mama, der Korse und acht andere Piraten bewachten die Gefangenen. Er hätte den Kampf gegen sie allein bestreiten müssen, denn die Arwenacks waren gefesselt. Ehe er auch nur einen von ihnen befreit hatte, würden sich die Piraten auf ihn werfen. Nein, es hatte keinen Zweck. Er mußte einen günstigeren Zeitpunkt für seine Aktion abwarten.

Ferris, der vermeintliche Seewolf, trat dicht vor Mardengo hin. Mardengo hatte den Schwindel nicht erkannt, und jetzt, im Dunkelwerden, würde er erst recht nicht begreifen, daß man ihn getäuscht hatte. Darauf baute Ferris. Er mußte jetzt wissen, wo Roger und Sam waren. Waren sie wohlauf – oder waren sie verletzt wie Carberry?

Carberrys Schulterwunde hatte aufgehört zu bluten. Dem Kutscher und Mac Pellew war es gelungen, während des Marsches durch den Inseldschungel neben ihm zu gehen und ihn notdürftig zu untersuchen.

„Du hast Glück gehabt, Ed“, sagte der Kutscher leise. „Wenn der Schnitt nur etwas tiefer ausgefallen wäre, hätte ich dich operieren müssen.“

„Der Henker bewahre mich davor“, brummte der Profos. „Das hätte mir gerade noch gefehlt. Such dir ein anderes Opfer.“

„Keine Angst, das wächst sich wieder zurecht, Ed“, sagte Mac Pellew mit tieftrauriger Miene. „Aber selbst wenn wir den Arm amputieren müßten, wäre das nicht so schlimm. Sieh dir Donegal an, wie glücklich der mit seinem Holzbein lebt.“

„Halt’s Maul!“ zischte Carberry. „Dein Gequatsche hat mir gerade noch gefehlt.“ Immer wieder suchte er mit seinem Blick nach Roger und Sam, aber sie tauchten nirgends auf.

Es war der reine Galgenhumor, der die Seewölfe aufrecht hielt. Sie wußten gut genug, was sie erwartete, wenn Hasard nicht rechtzeitig genug auftauchte und eingriff. Mardengo würde sein Wort nicht halten. Er und seine Kerle würden sich einen grausamen Spaß daraus bereiten, ihre Gefangenen zu quälen. Sie würden sie töten, einen nach dem anderen.

„Wo sind Roger Brighton und Sam Roskill?“ fragte Ferris laut. „Wir haben ein Recht darauf, es zu erfahren!“

„Ein was?“ Mardengo lachte wieder. „Ein Mann in deiner Lage hat kein Recht mehr, Killigrew, auf nichts! Du hast lediglich meine Fragen zu beantworten. Soll ich sie dir gleich stellen oder noch ein bißchen warten?“

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ISBN:
9783954397761
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