Читать книгу: «Seewölfe Paket 17», страница 28

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5.

Die Seewölfe saßen da, als sei zwischen ihnen die Lunte zu einer Pulverkammer gezündet worden – wie hypnotisiert, sprachlos, starr. Es war, als seien sie zu leblosen Puppen geworden. Eike und der Boston-Mann hatten die Köpfe gesenkt. Es war auch gut, daß Carberry sich wieder gesetzt hatte. Er wäre doch ins Wanken geraten. Und er schien am betroffensten zu sein.

„Ja“, sagte Hasard und durchbrach damit die Stille, „darauf sollten wir wohl alle erst mal was trinken. Ihr seht ziemlich verstört aus, Leute. Das überrascht mich etwas. Meintet ihr, der Wikinger sei ein alter Hagestolz, ein Frauenfeind – oder wie ich das nennen soll?“ Hasard lächelte leicht. „Er war auf der Suche nach Thule und hat es auf andere Weise gefunden. Was ist daran so schlimm?“

„Ich werd nicht mehr“, ächzte Carberry und stürzte das Wässerchen die Kehle hinunter.

Sie taten es ihm alle nach, auch Eike und der Boston-Mann, die wie erlöst schienen. Hasard lächelte vor sich hin. Sie hatten sich nicht getraut, den Seewölfen reinen Wein einzuschenken. Verständlich. Sie hatten den Spott befürchtet. Sie hatten vermeiden wollen, ausgelacht zu werden. Nein, Meuterer waren sie ganz gewiß nicht, da hatte sich der alte Carberry total verrannt.

Das Problem lag ganz woanders und viel, viel tiefer. Hasard schaute zu Arne von Manteuffel hinüber, dem Nils Larsen getreulich alles übersetzt hatte, was gesprochen worden war. Die Blicke der beiden Vettern begegneten sich – und Arne nickte, denn er hatte verstanden, warum ihn Hasard anschaute.

Denn das war es doch wohl: Er, Arne, würde seinen Vetter nie in die Karibik begleiten, wenn er, wie es vorgesehen gewesen war, jetzt im April die Freiin von Lankwitz geheiratet hätte. Und wiederum Hasards Leben wäre anders verlaufen, wenn nicht ein böses Schicksal Gwen, die Mutter der Zwillinge, von seiner Seite gerissen hätte.

Ja, Frauen veränderten das Leben ihrer Männer.

Und wenn die Männer Kapitäne waren, dann veränderten diese Frauen auch zwangsläufig das Leben der Männer, die unter diesen Kapitänen fuhren, dies vor allem, wenn sich die Kapitäne entschlossen, nicht mehr zur See zu fahren.

Genau das schien das Problem der Crew des Schwarzen Seglers zu sein. Ihr Kapitän Thorfin Njal war im wahrsten Sinne des Wortes vor Anker gegangen. Er wollte Island nicht mehr verlassen. Und „Eiliger Drache über den Wassern“ würde dort ankern „bis ans Ende aller Tage“, wie der Boston-Mann gesagt hatte.

Nur – diese Mannschaft, harte Kerle allesamt, wollte das nicht. Sie wollten dorthin zurück, wo es ihnen wert war, zu leben, nach ihren eigenen Gesetzen, als Freie und ungebunden, nur dem Gesetz ihrer Bruderschaft unterworfen – und der Autorität ihres Kapitäns. Aber Freiheit war eben doch nicht grenzenlos.

Ja, wenn einer aus der Mannschaft beschloß, seinen eigenen Weg zu gehen und die Bruderschaft zu verlassen, dann rückte ein anderer an seine Stelle, und nichts änderte sich.

Aber wenn der Kapitän diesen Weg ging – ein Kapitän, der so unangefochten und beherrschend seine Funktion wahrgenommen hatte wie der Wikinger, dann brach eine Welt zusammen. Da war an dieser Stelle plötzlich eine Leere. Der Kopf fehlte. Und meist brach dann die Mannschaft auseinander. Es war der Anfang vom Ende.

Verdammt, verdammt, dachte Hasard. Und mir schieben diese Kerle eine Rolle zu, die ich gar nicht spielen will. Bin ich vielleicht das Kindermädchen des Wikingers?

Eike und der Boston-Mann blickten ihn erwartungsvoll an.

„Warum seid ihr nicht nach Plymouth gesegelt?“ fragte Hasard schroff. „Jean Ribault müßte noch dort sein. Er gehörte zu eurer Crew und wäre der richtige Mann gewesen, euer Problem zu lösen.“

„Wir wollten aber zu dir“, sagte der Boston-Mann störrisch. „Auf dich hört der Kapitän.“

„Da bin ich mir gar nicht so sicher.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Thorfin Njal ist ein alter Dickschädel, das wißt ihr genausogut wie ich. Wenn er auf euch nicht hört, warum sollte er es dann bei mir tun? Soll ich ihm vielleicht ausreden, eine Frau zu lieben, he?“

Sie schwiegen. Verlegen waren sie noch dazu.

„Wie heißt denn die Lady?“ erkundigte sich Hasard.

„Gotlinde“, sagte der Boston-Mann heiser.

O Heiland! Was für ein Name!

Prompt war die Bande auch am Grinsen.

„Gotlinde“, sagte Hasard wütend. „Und weiter? Hat sie auch einen Nachnamen?“

„Gotlinde Thorgeyr“, knurrte der Boston-Mann.

„Aha.“ Hasard knurrte jetzt auch. „Was noch, verdammt noch mal! Ihr seid auch nicht gerade gesprächig! Ich soll euch helfen, aber das kann ich nur, wenn ich mehr erfahre. Ist sie hübsch, schielt sie? Hat sie eine Warze auf der Nase und einen dicken Hintern? Oder was?“

Es war zum Auswachsen mit diesen beiden Kerlen. Die kriegten einfach die Zähne nicht auseinander, hockten da, glotzten, soffen, schnitten Grimassen, und jede Antwort mußte man aus ihnen herauspulen.

Eike war am Drucksen und preßte schließlich heraus: „Sie ist so groß wie unser Kapitän – so!“ Und er zeigte es. Nur zeigte er mit beiden Armen nicht nach oben, sondern er reckte sie weit nach vorn.

Hasard stieß zischend die Luft aus.

„Mann!“ fauchte er. „Du zeigst die Breite an, nicht die Höhe oder Größe! Ist das Weib so dick?“

„Ach so, nein, nicht dick …“ Eike geriet ins Stottern. „Sie – sie ist schon eine Riesin – äh – auch vorn …“ Er verstummte mit knallrotem Kopf.

Für Sekunden herrschte Kirchenstille in der Messe, aber nur für Sekunden. Dann war’s aus. Eine Lachsalve raste wie eine Bö durch den Raum, brach sich an den Eichenholzwänden und brachte die Lichter zum Flackern. Sie wieherten und johlten und brüllten. Plymmie, die mit in der Messe weilte, zog den Schwanz ein und steckte den Kopf unter Hasard Juniors Knie. Dem Profos liefen die Tränen über die Wangen, auch aus dem linken Auge, obwohl das zugeschwollen war. Old O’Flynn japste nach Luft und hatte rote Ohren. Ben Brighton saß vornübergebeugt, die Arme um den Magen geschlungen, als müsse er den festhalten. Big Old Shane hatte den Kopf in den Nacken geworfen und röhrte wie ein Hirsch. Smoky betrommelte seinen Bauch, und Ferris Tucker warf sich vor und zurück und klatschte sich dabei auf die mächtigen Oberschenkel.

Na ja, sie waren schon eine wilde Horde.

Zuletzt konnten sie nur noch schnaufen.

Nur Eike und der Boston-Mann saßen still und stumm wie Stockfische und hatten keinen Anteil. Ihre Mienen waren trübe wie der Himmel im November, trübe und verhangen, grau in grau, farblos.

Als das letzte Kichern verstummte, sagte Hasard: „Damit wären wir über die Körpermaße Gotlindes also informiert …“ Old O’Flynn begann schon wieder zu kichern, und Hasard warf ihm einen strafenden Blick zu. „Mister O’Flynn“, sagte er, „für Eike und den Boston-Mann ist das weniger lustig, und ich möchte verdammt nicht in ihrer Haut stecken, umgeben von wiehernden Hengsten, die sich so albern wie Halbwüchsige aufführen, von denen du bei deinem Alter offenbar der schlimmste bist.“

„Entschuldigung“, murmelte Old O’Flynn, „aber mich hat’s wirklich umgehauen – und dann noch die Vorstellung, wie groß bei der Riesin …“

„Schon gut“, unterbrach ihn Hasard und räusperte sich, weil die Kerls schon wieder verdächtig die Lippen zusammenpreßten.

Der Boston-Mann räusperte sich auch, und jetzt sprach er sogar von selbst.

Er sagte: „Danke, Sir, das war eben sehr fair von dir. Und es wird Zeit, dir alles zu berichten. Nein, Gotlinde Thorgeyr ist nicht irgendwie verunstaltet, keineswegs. Sie ist rotblond und grünäugig.“ Seine Stimme wurde leiser. „Sie paßt irgendwie zu unserem Kapitän. Ihre Sippe stammt aus dem Norden Norwegens. Man erzählt sich, der Stammvater der Sippe, Trygve Thorgeyr, habe wegen eines Totschlags den Hof in Norwegen verlassen und sei nach Island ausgewandert. Und von dort sei er mit Erik dem Roten nach Grönland gesegelt, später aber wieder zurückgekehrt. Seitdem sitzen die Thorgeyrs auf dem Thorgeyr-Hof im Isa-Fjord auf Island, reiche Leute, die entweder zur See fahren oder den Hof bewirtschaften. Mit irgendwelchen Nachbarn liegen sie in ständiger Fehde.“ Wieder räusperte sich der Boston-Mann. „Das muß eine ziemlich wilde Sippe sein, nach dem, was wir so gehört haben. Jedenfalls hatte Gotlinde drei Brüder – ihr Vater und ihre Mutter leben nicht mehr …“

„Wie alt ist sie?“ unterbrach ihn Hasard.

„Schätze, knapp über dreißig. Du hast schon recht, Sir, unser Kapitän könnte ihr Vater sein. Aber das trifft alles nicht zu.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Dieses Weib sprengt alle Vorstellungen. Wenn behauptet würde, sie stamme in unmittelbarer Linie von Odin ab, würde mich das nicht wundern, obwohl ich solchen Unsinn nicht glaube. Verdammt, sie ist was Besonderes, sonst wäre unser Kapitän bestimmt kalt wie eine Hundeschnauze geblieben. Also, sie hatte drei Brüder. Zwei fielen in einer Fehde, der dritte segelte westwärts, ist aber nie zurückgekehrt. Man nimmt an, daß er auf See geblieben ist. Das war wohl vor vier Jahren. Seitdem ist sie die Herrin auf dem Thorgeyr-Hof – und was für eine! Stell dir vor, Sir, mit dem Messerchen des Kapitäns – du kennst ja dieses fürchterliche Ding – hat sie Holz gehackt, daß die Fetzen nur so geflogen sind. Da war gerade keine Axt zur Hand, und unser Kapitän mußte ihr sein Messerchen ausleihen. Sie hat diesen riesigen Prügel gehandhabt, als hantiere sie mit einem lächerlichen Kochlöffel.“

„Eine Walküre, wie?“ fragte Hasard.

„So kann man’s nennen, Sir“, sagte der Boston-Mann erbittert. „Die richtige Schuhgröße für unseren Kapitän. Zuerst haben wir genauso unsere Witzchen gerissen, wie ihr das getan habt. Aber das ist uns bald vergangen.“ Er fluchte vor sich hin. „Spätestens dann, als unser Kapitän tage- und nächtelang auf dem Hof blieb, wurde uns klar, daß sich da mehr abspielte als nur ein flüchtiges Abenteuer.“

„Wann war das?“ fragte Hasard.

„Etwa Ende Februar, Sir. Zu dieser Zeit passierte folgendes: Es war ja nicht viel los in dem verdammten Fjord, wir gammelten auf dem Schwarzen Segler herum, von Thule war nicht mehr die Rede, unser Kapitän geruhte, uns ab und an an Bord einen Besuch abzustatten – mehr so, um sich mal wieder zu zeigen, und dann verschwand er wieder für Tage und Nächte. Ausgerechnet der Stör, dieser Armleuchter, fing an, mit einer Magd aus dem Gesinde des Hofes herumzuturteln, und der Kapitän erwischte ihn, als er eines Nachts in deren Kammer stieg …“

Die Arwenacks waren schon wieder am Grinsen. Und der Boston-Mann knurrte: „Ja, grinst nur! Wir hätten am liebsten geheult. Der Stör bezog die Dresche seines Lebens, was ihn aber nicht davon abhielt, dem Kapitän rundweg zu erklären, er könne ja wohl das gleiche tun, was der Kapitän seit einiger Zeit betreibe. Na, der Kapitän hätte ihn fast erschlagen, aber der Stör konnte noch rechtzeitig die Flucht ergreifen und sich an Bord verholen. Am nächsten Tag war die Hölle los. Der Kapitän erschien an Bord, aber bevor er wieder auf den Stör losgehen konnte, traten ihm Eike, Arne, Olig, Juan, unser Bootsmann, Bill, the Deadhead, und ich entgegen. Wir wünschten, darüber aufgeklärt zu werden, wie das eigentlich weitergehen solle. Wenn der Kapitän nicht mehr die Absicht habe, Thule zu finden, dann sei es wohl an der Zeit, wieder über England zur Schlangeninsel zurückzukehren. Das sagten wir. Der Kapitän kriegte einen Tobsuchtsanfall. Er brüllte uns an, daß er gar nicht daran dächte, Island zu verlassen. Er hätte beschlossen, Gotlinde zu heiraten und den Thorgeyr-Hof zu übernehmen – punktum. Wir könnten uns am Fjord ansiedeln, der sei ja sowieso im Besitz der Thorgeyrs. Mit Gotlinde habe er das schon alles abgesprochen. Außerdem gäbe es genug feindliche Nachbarn, die Gotlinde den Besitz neideten, da sei die Crew des Schwarzen Seglers genau richtig, um dazwischenzuschlagen und zu demonstrieren, wer der Herr im Hause sei. So ungefähr drückte er sich aus. Wir waren nahezu sprachlos und dachten, unser Kapitän sei übergeschnappt. Wir sind ja nicht seine Leibeigenen, nicht wahr? Es hätte nicht viel gefehlt, und wir wären über unseren Kapitän hergefallen. Es war aber Eike, der die Ruhe behielt und dem Kapitän sagte, daß man das alles sehr genau überlegen müsse, und der Kapitän möge uns doch eine Bedenkzeit einräumen. Das käme alles sehr unerwartet und so weiter. Da gäb’s überhaupt nichts zu überlegen, erklärte der Kapitän, räumte uns dann aber doch eine Bedenkzeit ein, bevor er wieder von Bord verschwand. Zu diesem Zeitpunkt war er völlig vernagelt und überhaupt nicht ansprechbar.“

Für den sonst so schweigsamen Boston-Mann war das eine sehr lange Rede gewesen. Jetzt stärkte er sich aus seinem Becher, und Mac schenkte ihm sofort nach.

Dabei klopfte er ihm auf die Schulter und sagte: „Für mich seid ihr keine Meuterer, mein Junge. Aber da siehst du mal wieder, was die Weiber alles anrichten – hicks!“ Das letztere klang wie eine Bekräftigung.

Carberry starrte grübelnd vor sich hin und war nicht in die Luft gegangen, als Mac ihm indirekt mit seinem ersten Satz eins ausgewischt hatte.

Aber mit der Aussage Macs schienen alle Arwenacks einverstanden zu sein. Da wurde auch nicht mehr gespottet, gelacht oder gegrinst – o nein. Sie waren nachdenklich geworden. Auch empörte Mienen stellte Hasard fest, die darauf schließen ließen, daß sie mit dem Verhalten des Wikingers keineswegs einverstanden waren.

Jetzt ergriff Eike das Wort. Er sagte: „Das ist noch nicht alles. Wir informierten die Crew, und da war keiner, der irgendwelche Lust verspürte, auf Island zu bleiben, geschweige denn, sich für Gotlinde Thorgeyr zu schlagen. Sie wollten alle wieder in die Karibik zurück und waren der Ansicht, daß der Kapitän kein Recht habe, sie davon abzuhalten. Da tauchte noch ein Problem auf: Was sollte mit unserem Schiff geschehen? Es ist doch so, daß es zu gleichen Teilen Siri-Tong und Thorfin Njal gehört und im gewissen auch uns, der Crew. Wenn man so will, ist es unsere Heimat. Auf und mit diesem Schiff haben wir gekämpft und sind mit ihm über die Meere gesegelt. Die Schnapphähne in der Karibik zittern vor diesem Schiff. Es garantiert uns unsere Freiheit und erlaubt es uns, unser eigener Herr zu sein. Wenn also Thorfin Njal die Absicht hatte, das Schiff in Island zu behalten, dann war das eine Entscheidung, die auch Siri-Tong betroffen hätte.

Am nächsten Tag erschien Thorfin Njal wieder an Bord und wünschte zu wissen, wie wir uns entschieden hätten. Da schnitten wir dieses Problem an. Der Kapitän erklärte, das Schiff bliebe selbstverständlich in Island. Da hätte doch wohl auch Siri-Tong noch ein Wörtchen mitzureden, erwiderte ich. Prompt ging Thorfin Njal wieder in die Luft und brüllte herum, daß die Felsen im Fjord erzitterten. Aber da blieben wir stur. Erst müsse das geregelt werden, erklärten wir. Ob er vielleicht deswegen in die Karibik segeln solle, brüllte uns der Kapitän an. Das wäre wohl das beste, sagten wir. Schließlich könne er ja nicht über den Kopf von Siri-Tong weg über den Schwarzen Segler verfügen, wie ihm das gerade passe. Außerdem müsse für diejenigen von uns, die nicht in Island bleiben wollten, eine Möglichkeit geschaffen werden, in die Karibik zurückzukehren.

Wie Ed Carberry warf uns Thorfin Njal vor, Meuterer zu sein. Wir stellten dagegen, daß hier von Meuterei wohl kaum die Rede sein könne. Und dann sagten wir ihm ins Gesicht, daß keiner der Crew die Absicht habe, am Isa-Fjord zu siedeln. Wir seien keine Bauern oder Schafzüchter, sondern Männer, die auf die freie See gehörten. Und wenn wir ein Zuhause hätten, dann sei es die Schlangeninsel. Und was der Kapitän betreibe, sei Verrat an Siri-Tong, er sei der Meuterer, nicht wir.“

Eike lachte grimmig.

„Da hättet ihr ihn erleben sollen. Am liebsten hätte er uns erschlagen, aber wir standen wie eine Mauer, und Arne sagte: Nur zu, Thorfin Njal, bring deine ganze Mannschaft um, einen wie den anderen, schlag uns die Köpfe ab, mit deinem verdammten Messerchen – und dann feiere deine Hochzeit, unser Geschenk sind unsere Köpfe, aus denen kannst du für deine Gäste Humpen drechseln lassen. Aber wenn ihr daraus sauft, dann vergiß den Trinkspruch nicht. Er sollte lauten: Das waren einmal meine Männer! Ja, das sagte Arne, und ich werde es nie vergessen. Und Thorfin Njal prallte zurück, als habe Arne mit einer riesigen Axt zugeschlagen. Dann ging er von Bord, ohne noch ein Wort zu sagen.“

Jetzt hätte man in der Messe eine Stecknadel fallen hören, so still war es. Bestürzung malte sich in den Gesichtern der Seewölfe. Ja, sie waren alle zutiefst erschüttert. Unvorstellbares war geschehen, etwas, was sie nie und nimmer für möglich gehalten hätten.

Carberry schüttelte fast hilflos den Kopf und sagte: „Ich begreife das alles nicht mehr. Das geht über meinen Verstand. Kann ein Mann sich so verändern? Sir, was sagst du dazu?“

„Nichts“, sagte Hasard ruhig. „Ich möchte mir die Geschichte bis zu Ende anhören.“

Carberry stöhnte. „Geht das denn noch weiter? Langt das noch nicht?“

„Sicher geht’s noch weiter“, sagte Hasard, „zumindest bis zum Entschluß der Crew, Eike und den Boston-Mann auf die Suche nach uns zu schicken. Eine andere Frage von mir lautet: Warum ist die Crew nicht ankerauf gegangen und in die Karibik zurückgesegelt?“

Eike senkte den Kopf und murmelte: „Wir wollten unseren Kapitän nicht im Stich lassen, Sir. Wir haben das überlegt, aber keiner wollte es. Wir schickten eine Abordnung zum Thorgeyr-Hof, aber unser Kapitän ließ sich nicht sprechen. Er sei nicht anwesend, hieß es.

Wir warteten, aber nichts passierte. Wir saßen in der Zwickmühle. Schließlich konnten wir ja nicht einfach mit dem Schwarzen Segler abhauen, also einem Teil des Besitzes von Thorfin Njal. Das wäre Raub gewesen. Auch das wollten wir nicht.

Da hatte Arne die Idee, dich suchen zu lassen, Sir. Und wir dachten auch, daß wir dann zu dir übersteigen könnten, um mit dir auf der ‚Isabella‘ zur Schlangeninsel zurückzusegeln, falls es mit dem Kapitän nichts mehr wird und er unbedingt auf Island bleiben will. Schließlich muß man das ja respektieren. Wir kauften einem isländischen Fischer die Schaluppe ab, und das Los, dich zu suchen, fiel auf den Boston-Mann und mich. Eines Nachts, Mitte März, verließen wir den Isa-Fjord. Alles andere weißt du.“

Und nun bin ich dran, dachte Hasard erbittert und kippte sich das Bornholmer Wässerchen in die Kehle. Teufel auch, dieser verdammte Wikinger war schon immer ein verrückter Hecht gewesen, aber das hier war die Spitze aller Verrücktheiten. Wie hieß dieser kleine Liebesgott? Ja, Amor, dessen Pfeil hatte voll im Zentrum getroffen – ein Pfeil mit Widerhaken, den zog keiner mehr raus, der saß unverrückbar fest. Ob man’s mit List versuchte?

Hasard merkte, daß ihn alle anstarrten, als erwarteten sie, daß er ein Wunder vollbringe. Na klar, Hasard, der Zauberer, der Hexenmeister, der Kapitän, der für alles eine Lösung weiß. Und die Lösung schüttelt er nur so aus dem Ärmel, mir nichts, dir nichts! Hokuspokus – Abrakadabra, nicht wahr?

„Wenn ich im Isa-Fjord aufkreuze“, sagte Hasard wütend, „dann riecht euer verliebter Kapitän doch sofort den Braten. Meint ihr, auf mich hört er mehr als auf euch?“

Der Boston-Mann und Eike nickten.

Und Eike sagte: „Viel mehr, Sir, davon bin ich überzeugt. Er hat immer mit Hochachtung von dir gesprochen, und das will bei ihm viel heißen. Du bist ihm in vielem voraus. Sieh mal, du hast sogar zwei prächtige Söhne, er aber noch keinen einzigen. Wir glauben, das wurmt ihn mächtig …“

„Söhne sind kein Besitz, sondern ein Geschenk!“ knurrte Hasard. „Und es war ein reiner Zufall, daß ich meine Söhne wiederfinden durfte.“

„Du bist unsere letzte Rettung“, murmelte Eike.

„Ich kann auch nicht hexen. Mann, nimm doch mal Vernunft an: Euer Kapitän hat eine Frau gefunden, die er heiraten will. Daran ist wohl kaum zu zweifeln nach allem, was ihr berichtet habt. Das ist seine ureigene Entscheidung.“ Hasard stutzte. „Will sie ihn denn auch heiraten?“

„Ja.“

„Na gut, dann haben sie also beide diese Entscheidung getroffen“, sagte Hasard, „wie das üblich ist zwischen Mann und Frau, und das ist auch richtig so. Da haben weder Väter noch Mütter, Brüder, Schwestern oder Freunde dreinzureden. Es ist ihre eigene Sache, die ich auch respektieren muß. Ich kann natürlich Bedenken äußern, aber nur, wenn ich gefragt werde, was ich davon halte. Selbst wenn ich dagegen bin, darf ich den Fragenden nicht verletzen. Also kurz und gut: Daß Thorfin Njal und Gotlinde Thorgeyr heiraten werden, daran ist nicht zu rütteln, auch von mir nicht. Ist das klar?“

Der Boston-Mann und Eike nickten kläglich und waren ziemlich betreten.

„Etwas völlig anderes“, fuhr Hasard fort, „ist die Sache, mit dem Schwarzen Segler. Da bin ich eurer Meinung. Thorfin Njal hat nicht das Recht, das Schiff allein für sich zu behalten. Er hat auch weiterhin nicht das Recht, von euch zu verlangen, daß ihr auf Island bleibt und am Isa-Fjord siedelt oder euch niederlaßt oder gar irgendwelche Nachbarn bekämpft, mit denen ihr absolut nichts zu tun habt, die ihr noch nicht einmal kennt. Da, so meine ich, hat er den Bogen überspannt. In diesem Fall bin ich bereit, euren Standpunkt ihm gegenüber zu vertreten und mit ihm zu sprechen. Das bin ich auch Siri-Tong schuldig.“

Der Boston-Mann und Eike atmeten auf, und jetzt lächelten sie dankbar.

Und Eike sagte: „Wir wußten doch, daß du uns hilfst, Sir! Alle wußten das.“

„Da freut euch mal nicht zu früh.“ Hasard winkte ab. „Ich habe lediglich erklärt, zu was ich bereit bin. Meine Partner auf diesem Schiff sind die Männer der Crew. Sie könnten also jetzt entscheiden, von hier nicht nach Island, sondern über England zurück in die Karibik zu segeln. Dann müßten wir drei mit eurer Schaluppe allein nach Island segeln und würden mit ‚Eiliger Drache über den Wassern‘ – nach Rücksprache mit Thorfin Njal – zur Schlangeninsel zurückkehren …“

Arne von Manteuffel hob die Hand, und Nils Larsen übersetzte, was er sagte: „Ihr brauchtet nicht mit der Schaluppe zu segeln. Ich stelle die ‚Wappen von Kolberg‘ für die Reise nach Island zur Verfügung.“

Beifälliges Gemurmel erklang. Dieser Arne von Manteuffel war wirklich ein feiner Kerl. Sie nickten ihm zu, und Hasard sagte lächelnd: „Eine gute Idee, Arne, herzlichen Dank. Aber warten wir ab, wie die Crew sich entscheidet. Ben, übernimmst du das? Ich enthalte mich der Stimme.“

Ben ließ abstimmen. Das Ergebnis: die gesamte Crew wünschte mit Hasard und der „Isabella“ nach Island zu segeln. Da gab’s überhaupt kein Zaudern.

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9783954397754
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