Читать книгу: «Seewölfe Paket 15», страница 4

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„Haben sie sich untereinander mal mit Vornamen angeredet?“

„Nein, Namen nannten sie nicht. Der Dürre hatte nur immer so verrückte Vorschläge und Ideen. Der Kerl mit dem Bart war auf alle Fälle der Klügere von beiden.“

Nach diesem Bescheid sahen sich die Seewölfe ratlos an. Allgemeines Achselzucken, fragende Blicke.

„Haben wir jemanden in Plymouth, auf den die Beschreibung paßt?“ erkundigte sich Hasard.

„Unsere damaligen Gegner sind längst tot“, sagte Dan O’Flynn. „Und über Nacht sind bestimmt keine neuen nachgewachsen.“

„Wahrscheinlich doch“, widersprach Matt Davies, „sonst hätten sie Mister Ramsgate ja nicht entführt und den ganzen Zauber auf der Werft veranstaltet.“

„Ich wüßte jedenfalls keinen“, meinte Sam Roskill.

„Ich auch nicht.“

„Keine Ahnung.“

So ging es weiter. Sie zermarterten sich die Köpfe, doch ein brauchbares Ergebnis fanden sie nicht.

Der einzige, der gedankenverloren und so, als ginge ihn das alles gar nichts an, vor sich hin starrte, war Mac Pellew. Er kramte mühselig in seinen Erinnerungen, und damit bewies sich zum zweiten Male, daß sie in ihm einen unentbehrlichen Helfer an Bord hatten.

Mac richtete sich auf und blickte Ramsgate an.

„Der Kerl mit dem grauen Bart“, sagte er, hellhörig geworden, „was trug der für Kleidung?“

Ramsgate schabte sein Stoppelkinn und überlegte.

„Einen hohen Hut, Kniehosen, weiße Strümpfe und ganz weiche Schuhe. Dann eine Lederweste mit einem Wams darüber. Dadurch wirkte er noch fülliger.“

„Und sein Blick war stechend?“ vergewisserte sich Mac.

„Ein, scharfer, durchdringender Blick. Beim Sprechen verzog er leicht den Mund.“

Mac schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.

„Der Beschreibung nach“, sagte er überlegend, „kann das eigentlich nur Burton sein, der Halunke, von dem ich das Geld geliehen habe, das mir seine Kerle später wieder abnahmen. Das ist der verdammte Drecksack, der mich in den Schuldturm brachte. Klar, alles paßt haargenau zusammen.“

„Und wer, bei allen guten Geistern, ist Burton?“ fragte Hasard.

„Ein Wucherer und Halsabschneider, ein übler Gauner“, sagte Mac mit griesgrämigem Gesicht.

„Das sagt mir auch nichts, verdammt noch mal. Burton, Burton“, wiederholte Hasard ungeduldig.

Mac Pellew schien ihn gar nicht zu hören, er murmelte weiter vor sich hin, bis Carberry ihn bat, etwas lauter zu sprechen und nicht ständig zu brummeln.

„Der andere müßte dann Bromley sein“, meinte Mac. „Die beiden Halunken stecken ja immer zusammen, wenn es etwas auszuhecken gibt. Bromley ist aber nicht aus Plymouth, der ist aus eurer Ecke, wo die Killigrews und die O’Flynns herstammen, aus Falmouth nämlich.“

„Kennst du einen Bromley aus Falmouth?“ fragte Hasard den alten O’Flynn, der in Cornwalls Zipfel Gott und die Welt kannte.

Old O’Flynn zog mindest ein ebenso grämliches Gesicht wie Mac Pellew.

„Nie gehört, Sir, bei meiner Seele nicht. Wenn dieser Bromley aus Falmouth stammt, dann laß ich mein Holzbein mit Rosenblättern garnieren und freß es als Nachtisch.“

„Ich habe ja nicht gesagt, daß er da herstammt“, meinte Mac grämlich, „ich habe nur gesagt, daß er von dort ist. Wie lange er da schon haust, weiß ich doch nicht. Vielleicht ist er irgendwann mal dahin gezogen.“

„Jetzt sind wir genauso schlau wie am Anfang“, sagte Smoky. „Das wird ja immer geheimnisvoller.“

In das allgemeine Schweigen platzte wiederum Mac.

„Von Burton habt ihr sicher schon mal irgendwann gehört“, versicherte er. „Der war doch ganz früher mal Friedensrichter von Plymouth. Samuel Taylor Burton heißt er mit vollem Namen.“

„Jetzt weiß ich, wo ich den Kerl schon mal gesehen habe!“ schrie Ramsgate. „Klar, der alte korrupte Burton! Jetzt fällt mir alles wieder ein, es ist aber schon lange her.“

Hasard stand da, als hätte ihn der Blitz getroffen. Ben Brighton sah kopfschüttelnd in die Gegend und lachte stoßartig auf.

„Das gibt’s gar nicht“, sagte er, „wenn du denselben Burton meinst wie wir, nein, der ist schon verdammt lange tot. Seit mindestens zehn oder zwölf Jahren, wenn nicht noch länger.“

„Ich meine Samuel Taylor Burton, den ehemaligen Friedensrichter aus diesem lausigen Kaff“, beharrte Mac.

„Den meine ich auch“, sagte Ben.

„Na also, der ist es. Aber tot ist er nicht.“

Wieder sahen sich alle eine Weile schweigend an. Hier standen anscheinend die Toten wieder auf, oder hier gingen Geister um.

Doch auch das wußte Mac Pellew besser, und selbst Ramsgate bekräftigte ihn jetzt in seiner Aussage und nickte immer wieder, wenn Mac etwas sagte.

„Ich kenne die Geschichte“, sagte Mac, und als er jetzt sprach, erinnerte er die anderen nur allzu deutlich an das alte Essigfaß aus alten Zeiten.

„Burton sollte bestraft werden für das, was er damals getan hatte, ich weiß nicht genau, was das war, aber alle redeten davon. Doch er erlitt einen Schlaganfall und war jahrelang gelähmt. Er konnte nicht mehr laufen und nicht mehr sprechen. Dann genas er wieder und kehrte nach Plymouth zurück. Er wurde nicht weiter verfolgt, vielleicht konnte man ihm auch nichts beweisen, jedenfalls lebt er seither unbehelligt hier und geht irgendwelchen üblen Geschäften nach, unter anderem verleiht er Geld zu Wucherpreisen. Und der andere Kerl ist Mark Bromley; der war früher bei der Armee in London, wie man hörte. Der hat auch wegen irgendwelcher miesen Sachen im Tower gesessen, und zwar auf den Tag genau zehn Jahre lang. Dann wurde er entlassen und ging nach Falmouth. Aber seit knapp zwei Jahren sind die beiden Halunken wieder zusammen und besuchen sich gegenseitig.“

Hasard fiel es jetzt wie Schuppen von den Augen.

„Bromley“, sagte er leise, „Mark Bromley, der Tower-Hauptmann, der sich an unseren Schätzen bereichern wollte. Wir brachten damals den goldenen Anker nach London, und in der Nähe des Towers gab es eine fürchterliche Schlägerei. Entsinnt ihr euch nicht mehr?“

Und ob sie sich entsannen! Die Vergangenheit wurde schlagartig wieder lebendig und stand auf. Jedem fiel das wieder ein, was vor etlichen Jahren geschehen war. Man hatte sie, als sie mit einer Schiffsladung voller Gold, Silber und Perlen nach London segelten, gedemütigt, schmählich behandelt und sich an den Schätzen vergriffen, die der englischen Krone zugedacht waren. Es war eine entwürdigende Ankunft in London gewesen, und es hatte Radau gegeben, daß die ganze Stadt wakkelte.

„Jetzt werden mir die Zusammenhänge klarer“, sagte der Seewolf. „Bromley hat seine Strafe abgesessen und will sich rächen. Und dieser Burton will das ebenfalls und vermutet wieder riesige Schätze bei uns an Bord. So einfach ist das alles, man muß es nur wissen.“

Ja, man mußte es nur wissen.

5.

Inzwischen hatten sie den alten Ramsgate nach Rame Head gebracht und dort in die Obhut verläßlicher Leute gegeben. Der Baumeister war durch nichts davon abzubringen gewesen, daß er zurückmüsse. Allerdings würden sie jetzt aufpassen, damit sich so etwas nicht wiederholte.

Jetzt standen die Seewölfe an Deck und beratschlagten. Wenn man den Gegner erst einmal kannte, dann konnte man Vorsorge treffen und hatte einen größeren Vorteil, als wenn der Feind aus dem Hinterhalt agierte.

„Weißt du, wo dieser Burton wohnt?“ fragte Hasard.

„Nein, keine Ahnung, Sir“, sagte Mac.

„Aber du hast doch Geld von ihm geliehen.“

„Das war in einer Kneipe, in seiner Wohnung bin ich nie gewesen.“

„Das herauszufinden dürfte nicht schwierig sein“, meinte Blacky. „Wir können ja beim dicken Plymson mal anklopfen.“

Hasard schüttelte den Kopf.

„Dann sind die Kerle gewarnt oder erfahren etwas, denn bei Plymson spricht sich ja alles schnell herum. Aber ich will die beiden Halunken haben, um …“

Er sprach nicht weiter, als er Carberrys grinsendes Gesicht sah.

„Was hast du denn wieder ausgeheckt, Mister Profos?“

„Ramsgate sagte doch, daß immer ein Wächter nach ihm gesehen hat“, erwiderte Ed. „Meistens abends, was, wie? Jetzt ist es bald Abend, und wenn der Kerl dort antanzt, wird er keinen mehr vorfinden. Damit sind die Halunken aber gewarnt, wenn sie ein wenig Spuren lesen können.“

„Sprich nur weiter, Ed“, sagte Hasard lächelnd. „Obwohl ich mir schon denken kann, was du vorhast.“

Carberry, rieb sich genüßlich die gewaltige rechte Faust mit der linken Hand und grinste hinterhältig.

„Nun, für so was bin ich der richtige Mann“, diente er sich gleich an. „Angenommen, der Kerl ist heute abend da, und angenommen, ich bin rein zufällig auch da, dann wird er sehr erstaunt sein, anstelle von Ramsgate den freundlichen Profos vorzufinden. Ich würde ihn natürlich ganz freundlich angrinsen, ein paar nette Worte mit ihm wechseln und ihn dann sehr höflich fragen, wo dieser Burton seine Hütte stehen hat. Selbstverständlich in ausgesucht freundlichem Ton.“

„Selbstverständlich“, sagte Hasard ernst. „Kein Mensch denkt auch nur entfernt daran, du würdest ihn anbrüllen.“

„Nun, er würde mir das selbstverständlich in aller Freundschaft verraten.“

„Weil du so überzeugend sprichst“, sagte Hasard.

„Genau, Sir. Haben wir dann die Adresse von Burton oder dem anderen Halunken, dann, so dachte ich wenigstens, können wir mit ihnen zusammen ja mal in aller Ruhe die Pläne für die neue ‚Isabella‘ durchsprechen und ihnen verklickern, wie das Schiffchen aussehen wird. Dann wissen sie es ganz genau.“

Hasard verbiß sich nur mühsam das Lachen, als er den heuchlerischen Blick Carberrys sah, dessen Augen so lammfromm und bescheiden auf die Planken blickten, als könne er kein Wässerchen trüben.

Aber sein Vorschlag war gut, und so nickte er, diesmal mit einem kleinen Lächeln, weil Ed jetzt wie ein frommer Chorknabe dahockte und immer noch so bescheiden dreinblickte. Im Geiste sah der Profos aber wohl schon die alte Mühle als Trümmerbrocken durch die Gegend fliegen.

„Die Idee ist gut“, sagte Hasard. „Wenn ein Nagel zu weit heraussteht, muß man ihn einhämmern.“

„Ganz meine Meinung, Sir. Ich werde den Nagel schon an die richtige Stelle rücken.“

„Dann geht jetzt gleich los, sonst ist es zu spät.“

Ed und Dan blickten sich nur kurz an, dann grinsten beide ein bißchen und zogen sofort los. Den Weg zur Mühle kannte Dan ja.

Mac Pellew erhielt an diesem Abend seine fünfzig Golddublonen und bezahlte davon gleich seine Schulden. Er konnte es immer noch nicht fassen, daß er von einer Stunde zur anderen ein reicher Mann geworden war.

„Ist das nicht ein Segen?“ fragte er immer wieder. „Heute morgen saß ich noch im Gefängnis, und jetzt habe ich so viel Geld, daß ich den ganzen Schuldturm kaufen könnte.“

„Dann kauf ihn doch“, riet Big Old Shane freundlich. „Wenn er dir gehört, hast du wenigstens die Gewähr, daß sie dich nicht mehr einbuchten können.“

Mac Pellew sah den ehemaligen Schmied von Arwenack sauertöpfisch an und versuchte zu grinsen. Aber sein Gesicht wirkte so, als ginge er diesmal zu seiner eigenen Beerdigung.

Als er sich umdrehte und dem Kutscher zur Kombüse folgte, grinste Blacky hinter ihm her und sagte zu Shane: „Ein Gesicht wie damals, nur etwas faltiger. Der gute Mac geht jetzt wieder zur Beerdigung fünfter Klasse.“

„Beerdigung fünfter Klasse?“ fragte Shane verständnislos. „Wie geht das denn vor sich?“

„Dann muß er selbst vor seinem eigenen Leihsarg ohne Hemd herlaufen und die Kerze tragen.“

Shane tippte sich mit dem Finger bezeichnend an die Stirn.

„Du bist ja bescheuert, Blacky.“

„Klar“, gab Blacky zu, „mich haben sie schon in den Windeln mit dem Holystone gepudert, deshalb bin ich bescheuert.“

Jetzt grinste auch der graubärtige Exschmied.

6.

Carberry und O’Flynn erreichten die Mühle gerade zu dem Zeitpunkt, als die Sonne hinter dem Horizont verschwand und die Dämmerung einsetzte.

„Anscheinend ist noch keiner nach uns hier gewesen“, sagte Dan. „Alles liegt noch so rum, wie wir es verlassen haben.“

Der Profos war ganz in den Anblick der Mühle versunken und schnüffelte überall herum. Er stieg auch über eine halbverfallene Treppe auf den Speicherboden und sah sich die riesigen Grite an, die Mühlsteine, die früher hier, verbunden durch eine sinnreiche Transmission aus Lederriemen, das Korn gemahlen hatten.

„Schnüffel nicht überall herum“, sagte Dan, „man hört dich ja meilenweit, und wenn der Kerl wirklich erscheint, ist er längst vorgewarnt und verschwindet wieder.“

Der Profos murrte, kehrte dann aber wieder zurück.

„Reg dich nicht auf“, sagte er, „von da oben hat man einen prächtigen Überblick. Jeden, der sich der Mühle nähert, sieht man schon auf große Entfernung. Bis jetzt ist noch nichts zu sehen. Fragt sich, ob der Kerl überhaupt geruht, hier zu erscheinen.“

„Laut Ramsgate kam er oder ein anderer jeden Abend.“

Carberry besah sich die Ketten, die man dem alten Ramsgate um den Leib geschlungen hatte. Es war jetzt schon so dunkel, daß man nur noch mühsam einzelne Gegenstände unterscheiden konnte.

O’Flynn hockte sich an den Eichenbalken und nahm die Position ein, die Ramsgate innegehabt hatte. Die Kette schlang er sich lose um den Bauch und lehnte sich zurück.

„Es ist besser, wenn ich hier sitze“, sagte er zu Ed. „Du kannst dich ja hinter der Tür auf dem Absackboden verstecken. Wenn der Kerl wirklich kommt und eine Lampe dabeihat, falle ich nicht so auf wie du. Meine Figur entspricht eher der von Ramsgate.“

„Ein Hänfling bist du nicht gerade“, meinte Ed, „aber ich würde noch mehr auffallen.“

„Er würde schon dein Kinn für einen Amboß halten“, lästerte Dan, „und glauben, er sei in einer Schmiede.“

„Paß auf, O’Flynn“, grollte Ed, „daß ich dir die Kette nicht wirklich um deinen Wanst schlinge und dich verhungern lasse.“

Ihre sinnigen Gespräche wurden leiser, schließlich flüsterten sie nur, damit man sie von außen nicht hörte.

Eine gute halbe Stunde verging. Der Wind frischte ein wenig auf und heulte um die alte Mühle. Manchmal fuhr er jammernd und klagend durch die Ritzen und Fugen. Dann fiepten die Mäuse, und die Mühle ähnelte einer verlassenen Geisterstätte.

Carberry hatte in der Nähe der Tür Stellung bezogen und harrte genüßlich der Dinge. Allerdings mußten sie noch einmal fast eine halbe Stunde warten, bis sich etwas tat.

Draußen waren Schritte zu hören.

Ein kaum sichtbarer Lichtschein flackerte auf und fiel durch die schmalen Ritzen. Der Kerl hatte offenbar den Docht seiner Lampe ganz weit heruntergeschraubt, damit er nicht auffiel.

Dann wurde die Tür aufgestoßen. Ein leichter Luftzug fuhr durch den Absackboden. Der Kerl schloß die Tür wieder, es klirrte ein wenig, dann stellte er die Lampe auf den Boden und legte einen Schürhaken daneben.

Carberry stand höchstens zwei Yards hinter ihm und hätte ihn jetzt mühelos packen können. Aber er wartete, weil er sich nicht selbst den kleinen Spaß verderben wollte.

Er beobachtete den Kerl. Es war ein grobschlächtiger Bursche mit einem Stiernacken und einem dümmlichen Gesicht. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf den vermeintlichen Ramsgate, dann grinste er und schraubte den Docht der Lampe höher.

Mildes Licht warf zuckende und tanzende Schatten durch die Mühle. Die Schatten geisterten umher, ins Groteske verzerrt wie höllische Dämonen der Nacht, die vor dem Lichtschein flohen.

„So, mein Freund“, sagte der Kerl hämisch. „Dich hat noch keiner zum Reden gebracht, was? Ich werde dich dazu bringen, ich habe da ein ganz feines Mittel.“

Dan O’Flynn klirrte ein wenig mit den Ketten und grinste. Der Eichenbalken warf einen gnädigen Schatten auf ihn. Der Folterknecht konnte sein Gesicht nicht erkennen.

Genüßlich hielt der Stiernackige den Feuerhaken über die Lampe und drehte ihn hin und her, bis sich die Spitze allmählich rötete.

Im Hintergrund schwoll dem Profos der Kamm, wenn er daran dachte, daß dieser Kerl den alten, hilflos gefesselten Ramsgate damit gepiesackt hätte. Das hätte Ramsgate nicht heil überstanden, und vor allem wäre er völlig hilflos gewesen.

Während der Kerl immer noch den Schürhaken über der Flamme rötete, erging er sich genüßlich in ziemlich üblen Tiraden gegen den vermeintlichen Ramsgate.

„Wirst bald reden, Alterchen“, verkündete er. „Wenn dir der Schürhaken erst das Fleisch versengt, wirst du froh sein, quatschen zu können. Du wirst den Tag deiner Geburt verfluchen. Hast du Angst, Alter?“

Dan klirrte wieder mit den Ketten und murmelte etwas. Daraufhin lachte der Kerl laut.

„Jetzt wirst du gleich geröstet“, versprach er, um seinen Delinquenten schon im voraus weichzukochen und ihm Angst einzuflößen.

„Tut verdammt weh, kann ich dir sagen, denn so ein Haken brennt verflucht große Löcher ins Fleisch.“

„Huhu“, keuchte Dan und grinste wieder.

Der Kerl bückte sich gerade. Carberry war versucht ihm mit seinem gewaltigen Stiefel in den Hintern zu treten. Der Tritt hätte mit Sicherheit ausgereicht, den Kerl durch die Wand der Mühle zu befördern.

Ed mußte sich zusammenreißen, um das nicht zu tun.

„Ja, jetzt hast du Angst, was? Noch habe ich dich nicht gebrannt, Alterchen, du kannst noch antworten. Wo sind die Pläne, und wo hat dieser Kerl das Gold versteckt, he?“

„Ich sag nichts!“ kreischte Dan. Er bog den Kopf noch weiter zurück und lachte sich eins.

Der Schürhaken leuchtete jetzt in heller Glut. Der Stiernackige nickte zufrieden, spuckte ein bißchen über die Glut, und man hörte es durch die ganze Mühle zischen.

„Hähä“, lachte er meckernd, „schön heiß das Eisen!“

Dann setzte er sich langsam in Bewegung. Er warf keinen einzigen Blick zurück, und er sah auch Ed nicht, der ihm jetzt ebenfalls folgte.

„Na, wo ist das Gold?“ fragte er noch einmal.

Der glühende Haken zuckte vor, die Lampe wurde wieder auf den Boden gestellt, und der Kerl blieb dicht vor Dan stehen, der ihm jetzt voll das Gesicht zuwandte.

Als er den Haken vorstreckte, sah er fassungslos in ein junges, hartes und verdammt kantiges Gesicht. Zwei Augen blitzten ihn an, die absolut nichts Gutes verhießen. Dan O’Flynn richtete sich langsam auf.

Was dann geschah, war eine Verkettung unglückseliger Umstände, und weder Dan noch der Profos konnten etwas dafür.

Der Stiernackige war entsetzt, verblüfft, verwirrt und schluckte heftig.

Dann war der Profos hinter ihm. Ein riesiger Schatten tauchte auf und griff aus dem Nichts zu.

Carberrys Griff in das Genick des Stiernackigen war nicht gerade liebevollbesorgt und zärtlich. Er packte zu, wie er es gewohnt war: hart und fest, als wollte er einen davongelaufenen Stier festhalten.

Der Folterknecht wand sich unter diesem erbarmungslosen Griff und sackte in den Knien ein. Und weil er das glühende Schüreisen trotz allem noch nicht losließ, drückte Ed noch etwas kräftiger zu und trat ihm dabei gleichzeitig seitlich auf die Füße. Dann bog er den Arm des Kerls noch ein wenig herum.

Der glühende Haken geriet dem Kerl an den Hosenboden. Leinenstoff begann zu glimmen und zu sengen. Eine kleine Rauchwolke stieg vom Achtersteven des Folterknechtes auf, und es roch so ähnlich, als hätte der Kutscher gerade ein Stück Schweinefleisch auf den Bratrost gelegt.

Der Mann zuckte vor, stolperte über die Kette, die Dan abgestreift hatte, um aufzuspringen, und geriet dabei an Dan selbst. Weil er dabei wie ein angestochener Büffel tobte, riß er Dan O’Flynn mit sich um, der sich nun seinerseits mit dem Fuß in der Kette verhedderte und der Länge nach hinschlug.

Carberry drückte fluchend noch einmal zu und hielt den Kerl fest. Sein Hosenboden geriet erneut mit dem glühenden Ding in Berührung, und das war selbst für den Stiernakken zuviel. Einmal geröstet ließ sich schon schwer ertragen, aber dieselbe Stelle ein zweites Mal angesengt, wo schon die Haut in Fetzen ging, das war einfach zuviel.

Er stieß einen so entsetzlichen Schrei aus, wie Carberry ihn noch nie in seinem Leben gehört hatte. Dieser Schrei ging dem Profos durch und durch. Er zuckte zurück, als hätte ein Wahnsinniger gebrüllt, und ließ für eine Sekunde den Kerl los.

Der Stiernacken hatte nur noch Angst, nackte, hündische Angst, denn hier ging es offenbar nicht mit rechten Dingen zu. Da kam alles auf einmal zusammen: der harte Griff aus der Dunkelheit, der fremde Kerl am Eichenbalken und schließlich dieser verfluchte höllische Schmerz, der ihm fast die Besinnung raubte.

Sein Tun und Handeln wurde nur von automatisch ablaufenden Reflexen bestimmt, er selbst dachte sich nichts mehr dabei, er wollte nur diesem irrsinnigen Schmerz entrinnen.

Er keilte aus wie ein wildgewordener Gaul und traf mit dem Fuß die Öllampe. Die flog durch den Absackboden, knallte an einen dicken Balken und zerplatzte.

Das auslaufende Öl spritzte nach allen Seiten. Ein kleiner Glutball zuckte auf, und wie mit einem Donnerschlag stand der Absackboden der Mühle schlagartig in Flammen,

Carberry riß die Hände vor das Gesicht. Dan O’Flynn stieß einen üblen Fluch aus, verhedderte sich erneut in der Kette und fiel hin.

Um sie herum war plötzlich wabernde Helligkeit. Das ausgelaufene und brennende Öl kroch in die Ritzen des uralten Holzes, fraß sich fest und entzündete das knochentrockene Holz.

Die Mühle stand so schnell in Flammen, als hätte jemand zentnerweise Schießpulver auf das Holz gestreut.

Carberry griff nach Dan, fluchte wie ein Maultiertreiber und half Dan aus der Eisenkette heraus.

Um sie herum lohte, brannte und knisterte es jetzt. Gleißende Helligkeit ließ sie fast erblinden.

Ein kühler Windzug, der durch die nun offene Tür fauchte, blies das Feuer zu weiterer Glut an. Die Flammen zuckten schon die Treppe hoch und fanden überall genügend Nahrung.

„Raus hier!“ brüllte Dan.

Vor lauter Feuer war nicht einmal mehr die Tür zu sehen. Auch der Folterknecht war verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst.

Sie spürten die Feuerzungen von allen Seiten und tasteten sich über brennende Planken zur Tür. Hoch über ihnen brach etwas krachend zusammen, dann schoß eine Flamme bis zum Binsendach hoch, das augenblicklich einer lohenden Fackel glich.

Als Carberry sich umdrehte, um nach draußen zu flüchten, fand er die Tür nicht mehr. Der Eingang glich ebenfalls einer brennenden Wand.

Die ersten Flammen leckten nach draußen und versengten ihnen die Haare. Die Augen brannten höllisch, sie glaubten, inmitten eines glühenden Backofens zu stehen.

Da entdeckte Dan das schwarze Viereck, durch das die Flammen nun auch von außen hereinleckten.

„Dort, nach Backbord!“ schrie er Ed zu.

Seine Worte gingen im Tosen des Feuersturmes unter, der jetzt einsetzte. Die Luft um die Mühle herum brauste und pfiff.

Carberry drehte sich um, zog den Kopf zwischen die Schultern, griff mit der linken Hand nach Dans rechter und zog ihn hinter sich her.

Tief geduckt stürmten sie keuchend los. Ihre Lungen brannten, im Brustkorb stach es wie mit glühenden Nadeln. Dann erreichten sie das Freie und rannten hinaus.

Von draußen sah es genauso schlimm aus. Die Mühle brannte wie eine Riesenfackel und erleuchtete meilenweit die Nacht.

Es war zwecklos, jetzt nach dem angesengten Folterknecht zu suchen. Der hatte längst die Gunst des Augenblick genutzt und war wie ein Irrer in die Dunkelheit gerannt.

„Verdammt und kalfatert!“ rief Ed und entfernte sich vorsichtshalber noch ein Stück. „Das ging ja höllisch schnell. Ich hätte nie geglaubt, daß Holz so schnell brennen kann.“

„Wie ein Brander“, meinte Dan, Rötlicher Flammenschein zuckte über sein Gesicht. Noch immer spürte er die brennende Hitze in den Augen und auf dem Körper. „Wir müssen hier verschwinden. Bald werden Neugierige anrücken, um sich das Spektakel anzusehen. Es ist nicht gerade nötig, daß man uns hier sieht.“

Sie liefen ein Stück weiter, übersprangen den kleinen Mühlbach und schöpften mit den Händen Wasser auf der anderen Seite, um ihre erhitzten Gesichter ein wenig abzukühlen.

Knistern, Prasseln und Fauchen waren zu hören. Die Flammen schlugen immer höher hinauf. Oben blies der Wind in sie hinein und bog sie zu einer langen Fahne aus Feuer zurecht. Der Rest der Mühle sah aus, als stünde er schräg.

In das Prasseln der Flammen mischten sich die Geräusche von krachendem Gebälk. Riesige Funkenfontänen stoben auf, feurige Glut ergoß sich nach allen Seiten.

Die beiden Männer nahmen einen kleinen Umweg in Kauf, um nicht mit dem Brand in Zusammenhang gebracht zu werden. Die Mühle war zwar längst verfallen und wurde nicht mehr benutzt, aber vielleicht verfiel doch noch einer auf die Idee, ein angemessenes Sümmchen als Schadenersatz zu verlangen.

Eine Viertelmeile weiter hockten sie sich ins Gras und sahen zu, wie sich die Fackel immer mehr aufblähte, wie das Dach zusammensank und wie weitere Balken funkensprühend nach unten fielen.

Da hatten sich auch schon die ersten Neugierigen eingefunden.

„Hasard wird entzückt sein“, sagte Ed verbiestert. „Ich habe mich benommen wie ein Anfänger. Verdammt, dieser Hurenbock hätte mir nie durch die Lappen gehen dürfen.“

„Jedenfalls ist er weg, und wir können nichts mehr daran ändern“, meinte Dan.

„Nur einen Lidschlag lang habe ich mich ablenken lassen“, grollte Ed. „Und das nur, weil dieses Rübenschwein wie eine Horde abgestochener Eber losquiekte. Was erzählen wir bloß Hasard?“

„So, wie es war. Einerseits haben wir Pech gehabt, andererseits können wir froh sein, da drin nicht verschmort zu sein. Viel hätte nicht mehr daran gefehlt, und wir wären jetzt geröstet.“

Carberry spuckte voller Wut ins Gras. Es wurmte ihn mächtig, daß der Kerl entwischt war, daß Dan sich in der Kette verheddert hatte und er selbst durch das Quieken des Kerls so irritiert worden war.

„Das kommt davon“, brummte Ed, „wenn man nicht zur See fährt und an Land umhergeistert. Da habe ich immer Pech, und diesmal ist es auch wieder voll in die Windeln gegangen.“

„Beruhige dich, alles kann schließlich nicht gelingen.“

„So was darf aber einfach nicht passieren, verflucht noch mal. Die anderen Rübenschweine an Bord werden sich krank lachen. Carberry, werden sie sagen, den kann man nicht mal in eine alte Mühle schikken, ohne daß die gleich auseinanderfällt. Ich könnte mich selbst kalfatern und dreimal ums Gangspill wickeln.“

„Sag mir, wenn es soweit ist“, erklärte Dan grinsend, „da wirst du eine Menge interessierter Zuschauer haben.“

„Ach, leck mich doch!“ knurrte Ed gereizt.

„Hab ich schon ’nem anderen Rübenschwein versprochen“, sagte Dan schnoddrig.

Daraufhin gestattete sich der Profos auch ein kleines Grinsen, aber so richtig wohl fühlte er sich trotzdem nicht. Bei ihm zählten nur Erfolge. Über Niederlagen ärgerte er sich halb tot, hauptsächlich dann, wenn er selbst daran schuld war, wie er glaubte.

Der größte Teil der Mühle war jetzt abgebrannt. Aschewolken flogen zum rötlich erleuchteten Himmel, und die Neugierigen hatten einen weiten Kreis um die Mühle gebildet und starrten wie hypnotisiert in die Flammen.

Daß niemand versuchte, hier etwas zu löschen, war nur verständlich. Erstens juckte das alte Ding niemanden, und zweitens war doch nichts mehr zu retten. Weshalb sich also der sinnlosen Mühe unterziehen?

„Gehen wir“, sagte Ed schließlich mit einem Seufzer. „Ich habe schon so viele brennende Trümmer gesehen, daß ich mich daran überhaupt nicht mehr begeistern kann. Hasard wird wirklich entzückt sein, wenn er das hört.“

„Das hast du schon mal gesagt.“

„Ach, leck mich doch!“

„Das auch, aber wie gesagt …“

„Jaja, ich weiß, das hast du schon einem anderen Rübenschwein versprochen.“

„Dann verschieben wir es auf morgen“, sagte Dan.

Lustlos kehrten sie zum Hafen zurück und gingen an Bord, wo die Arwenacks standen und neugierig zum Horizont blickten. Dort war immer noch rötlicher Schein am Himmel zu sehen.

„Was ihr da seht“, erklärte Ed finster, „war die alte Mühle. Und damit du es gleich weißt, Sir, der Halunke ist uns ebenfalls durch die Lappen gegangen, weil ich so dämlich war, ihn einmal kurz loszulassen. Es war eine prächtige Pleite, wir haben nichts erreicht.“

Hasard sah seinen Profos an und wußte Bescheid. Wenn Ed sich so biestig gab, dann warf er sich selbst etwas vor, was allerdings nicht unbedingt stimmen mußte. Mitunter bildete der Profos sich einen Fehler auch nur ein. Schön, es hatte eine Pleite gegeben, aber damit war noch nicht die Welt untergegangen. Ed nahm das viel zu tragisch.

„Na und?“ sagte Hasard lakonisch. „Weg ist weg, deswegen tragen wir doch keine Trauer. Wenn dir mal ein Fehler unterläuft, dann kannst du dich freuen, sonst wärst du nämlich zu perfekt.“

„Trotzdem ärgert mich das“, knurrte Ed verbiestert. Er blickte Mac Pellew an und mußte grinsen. Der sah nämlich aus, als sei ihm total die Petersilie verhagelt. Dieses grämlich verzogene Gesicht! Mac Pellew wirkte, als sei ihm ein noch viel schlimmerer Fehler unterlaufen, und das heiterte Ed dann doch ein wenig auf.

Hasard winkte ab, als der Profos erneut zu einer Entschuldigung ansetzen wollte.

„Keine Sorge, Ed. Wir wissen, wen wir vor uns haben, und das ist doch schon eine ganze Menge. Das ist viel besser, als wenn jemand im Hintergrund agiert, den wir nicht kennen. Plymouth hat auch nur vier Himmelsrichtungen, und auf die Dauer werden uns Burton und dieser Bromley ganz sicher nicht entgehen. Und jetzt hat der Kutscher das Essen fertig.“

„Eine Kakerlake hat er bei mir ja noch gut“, sagte Ed.

„Eine?“ fauchte der Kutscher. „Jede Woche eine, hast du gesagt.“

„Ich war noch nie kleinlich, also gut.“

Damit war der Tag für heute wieder einmal gelaufen.

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