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7.

Auf dem Basar war Sam Roskill nicht mehr zu entdecken, also setzte Old O’Flynn nach einigem Umherforschen seine Suche in den Gassen des Hafenviertels fort. Dabei murmelte er Sätze wie „Wo steckt der Hund bloß“ und „Na warte, Sam, du Satansbraten, wenn ich dich erwische“, und er geriet ahnungslos immer mehr in die Nähe von Uluch Alis Prunkresidenz.

Wer konnte auch wissen, daß sich ein alter Feind der Seewölfe ausgerechnet hier, in Benghasi, häuslich niedergelassen hatte? Überhaupt, wer wußte schon, daß der Kerl nach dem erbitterten Gefecht von damals noch am Leben war? Die Bewohner der Stadt und des Küstenstriches bis nach Tunis hinauf nahmen es als eine unabwendbare Tatsache hin – Uluch Ali, der alte Piratenknochen, war nun mal zäh wie Leder und schien überdies unsterblich zu sein.

Die Seewölfe aber und mit ihnen alle englischen Seefahrer, ja, selbst die Spanier und Portugiesen hielten Uluch Ali für tot, und in den europäischen Hafenstädten des Mittelmeergebietes kursierte allenfalls die Legende, daß der Kerl immer noch irgendwo in Nordafrika säße und böse Pläne aushecke. Dies aber wurde vom Großteil der Seeleute selbstverständlich für dickstes Seemannsgarn gehalten.

Aus diesem Grund war Old O’Flynn auch völlig verblüfft, als er Uluch Ali plötzlich vor sich sah – und seine Überraschung wiederum wurde ihm zum Verhängnis.

Gerade hatte der Alte den Palast erreicht, war stehengeblieben und ließ seinen Blick über die weiße Fassade, die Zwiebeltürmchen und die Balkone wandern, da öffnete sich auch schon das Tor, und es erschienen acht bewaffnete Araber, von denen vier eine Sänfte trugen und die vier anderen die Aufgabe hatten, den Insassen dieser Sänfte nach bestem Vermögen zu beschützen. Wenn nicht, würden alsbald ihre Köpfe über die Pflaster von Benghasi rollen, ein Anblick, der lustig und schaurig zugleich war.

Der große Beylerbey hatte jetzt, da Muley Salah mit den drei Feluken ausgelaufen war, beschlossen, einen Abstecher zum Basar zu unternehmen. Dieser Ausflug sollte ihn von seiner schwelenden Wut auf die Engländer ablenken. Außerdem hegte er schon seit einiger Zeit den Wunsch, mal wieder eines jener hübschen kleinen Berbermädchen zu erstehen, die dort als Sklavinnen feilgeboten wurden.

Die Sänfte wurde von den Dienern genau an Old Donegal Daniel O’Flynn vorbeigetragen, und wie das Verhängnis es wollte, steckte Uluch Ali auch ausgerechnet in diesem Moment seinen knochigen Kopf mit der großen Nase zum Fenster heraus. Sofort erblickte er den alten Mann mit dem verwitterten Gesicht und dem Holzbein, und auch Old O’Flynn musterte ihn entgeistert.

So erkannte der eine den anderen wieder, und beiden Männern sackte sogleich der Unterkiefer herunter.

„Heiliger Patrick“, sagte Old O’Flynn irritiert. „Das ist ja Uluch Ali, der alte Oberschnapphahn und Galgenstrick.“

„Einer der Engländer!“ stieß Uluch Ali keuchend hervor. „Ein räudiger Bastard, der es wagt, in mein Reich einzudringen! Packt ihn!“

Die Wachen glaubten, nicht richtig gehört zu haben. Was sollte denn dieser arme Teufel mit dem Holzbein und den Krücken schon angerichtet haben? Sollte man ihm nicht lieber ein Almosen geben, statt ihn festzunehmen?

Aber da brüllte Uluch Ali auch schon, daß es bis zum Markt hin zu vernehmen war: „Ergreift diesen Christenhund, oder ich lasse euch eure Köpfe abhacken, noch bevor die Sonne im Meer versinkt!“

Das wirkte. Die Wächter, auf ihr Leben und ihre Gesundheit bedacht, sprangen auf Old O’Flynn zu und packten ihn, ehe er sich richtig zur Wehr setzen konnte. Er war ja auch viel zu betroffen über das plötzliche Auftauchen des alten Feindes, und genau das besiegelte sein Schicksal.

Sie zerrten ihn fort und traten ihm in die Seite, als er jetzt doch versuchte, sich loszureißen. Sie nahmen ihm seine Krücken weg und entledigten ihn seiner Waffen, und als er einem seiner Bezwinger den Ellenbogen in den Leib rammte, fielen die anderen über ihn her und schlugen ihn nieder.

Uluch Ali war aufgestanden und lehnte sich weit aus dem Fenster seiner Sänfte, so weit, daß es schon aussah, als müsse er jeden Moment auf die Straße fallen.

„Genug!“ schrie er. „Tötet ihn nicht. Ich will ihn lebend, verstanden?“

„Ja, o Herr“, brummten die Wächter, dann schleppten sie Old O’Flynn durch das Tor in den Palast. Uluch Ali gab seinen Trägern ein Handzeichen, und so kehrten sie um und beförderten ihn zurück in sein Allerheiligstes, wo er sich eingehend mit seinem Fang beschäftigen würde. Vergessen waren die niedlichen Berbermädchen, Uluch Ali dachte nur noch an Philip Hasard Killigrew und dessen Bande von Ungläubigen, denen er jetzt endlich, nach so vielen Jahren, wieder ans Leder konnte.

Sam zeigte dem Kerl mit dem Schnauzbart und dem Glatzkopf sein Messer von allen Seiten, doch auch das schien sie keineswegs zu beeindrucken. Vielmehr griffen sie ebenfalls an die Gürtel und förderten zwei blitzende Dolche zutage.

„So, so“, sagte Sam, und plötzlich grinste er hart. „Na, dann weiß ich ja wenigstens, von wo der Wind weht.“

Das häßliche Mädchen sagte etwas, das wie ein Fluch klang, dann versuchte sie, sich von hinten an ihn heranzupirschen und ihn zu packen. Hier täuschte sie sich aber gründlich in Sam Roskill, denn der war auf der Hut und schien auch in seinem Hinterkopf Augen zu haben. Plötzlich fuhr er zu ihr herum, stieß sie von sich fort und wandte sich wieder ihren Beschützern zu.

Sie stürzte und begann zu jammern, und das wirkte auf den Schnauzbärtigen und den Glatzkopf wie ein auslösendes Signal. Gemeinsam stürzten sie sich auf Sam und hackten mit ihren Messern auf ihn ein. Es wäre sein Untergang gewesen, wenn er nicht sehr schnell reagiert hätte.

Er ließ sich zu Boden sinken und rollte sich ab, brachte einem seiner Gegner rasch noch eine Wunde am Bein bei und sprang wieder auf. Sie prallten mit den Schultern gegeneinander, und der eine, vom Messer getroffene Kerl stieß einen Wehlaut aus. Es war der Glatzkopf.

Sam warf sich auf den Schnauzbärtigen und rammte ihm das Heft des Messers gegen das Kinn. Er hätte ihn niederstechen können, doch so wild war er noch nicht.

Der Kerl ging in die Knie, wollte aber noch nicht ohnmächtig werden. Sam schlug deshalb noch einmal zu, und dieses Mal brach der Gegner wirklich zusammen. Rasch fuhr Sam wieder zu dem Glatzkopf herum, der sich gerade anschickte, den Dolch nach ihm zu schleudern.

Sam duckte sich, der Dolch flog über seinen Rücken und bohrte sich in die schmutzige Wand des Hinterzimmers. Sam stürzte sich auf den Kerl, unterlief dessen zupackende Hände und knallte ihm die Faust so hart unters Kinn, daß auch er vorläufig außer Gefecht gesetzt war.

Das häßliche Mädchen hatte sich wieder erhoben und griff nach einem Gegenstand, der wie ein Krug oder eine Vase aussah. Sam lachte, sprang mit einem Satz zur Tür und verschwand in dem Moment, in dem sie das Ding nach ihm schleuderte. Es zersprang klirrend am Türpfosten, dann sank die schaurige Lady in die Knie und schlug die Hände vors Gesicht. Sam hörte ihr Schluchzen noch, als er die Toreinfahrt schon erreicht hatte.

Irgendwie konnte er sie verstehen, aber Mitleid hatte er trotzdem nicht mit ihr. Schließlich mußte sich jeder Mensch mit seinem Los abfinden, und es war einfach keine Art, Männer auf diese Weise hereinzulegen und ihnen dann auch noch mit Messern zu drohen.

Sam war vorerst von seinem Verlangen nach Frauen kuriert. Er kehrte zum Basar zurück und hielt nach Old O’Flynn Ausschau. Doch der zeigte sich nicht und war auch durch Rufen nicht herbeizulocken. War er etwa zur Sambuke zurückgegangen, um Ben zu benachrichtigen? Sicherlich bereitete auch er sich Sorgen, was aus ihm, Sam, geworden war.

Sam wollte schon seine Schritte in Richtung Hafen lenken, da bemerkte er, daß ihm ein etwa zwölf Jahre alter Junge folgte. Was hatte das jetzt wieder zu bedeuten? War das noch eine Falle? Hatte die Häßliche den Bengel hinter ihm hergeschickt?

Sich darüber Gewißheit zu verschaffen, war kein Problem. Sam bog in eine Seitengasse ab, versteckte sich in einem Hauseingang – und kurze Zeit darauf schnappte er sich den kleinen Kerl, der ihn aus weit aufgerissenen Augen anblickte.

Richtige Angst schien der Junge aber doch nicht zu haben, das ließ sich aus seinem ganzen Verhalten schließen.

„Was willst du von mir?“ fragte Sam, zuerst auf englisch, dann auf spanisch. Er wollte es schon mit ein paar arabischen Brocken versuchen, da hellte sich die Miene des Jungen plötzlich auf, und er antwortete:

„Nichts Böses, Senor – Hassan nur helfen will.“

Spanisch war das, kein besonders gutes zwar, aber immerhin doch zu verstehen.

„Helfen? Warum denn?“ fragte er ihn.

„Hassan ist guter Junge, Senor.“

„Ja, in Ordnung, das glaube ich dir ja. Sag mal, wo hast du denn Spanisch gelernt?“

„In Geschäft von meine Brotherr.“

„Wer ist das?“

„O, ist ein Kaufmann hier von Benghasi. Gutes Mann.“

„Er hat Handelsbeziehungen zu Spanien?“

„Ja. Viele Spanier kommen, gehen, sprechen viel. Hassan schnappt auf vieles Wörter.“

„Als was arbeitest du denn?“ fragte Sam.

„Laufbursche.“

Sam hatte ihn längst losgelassen und hockte sich jetzt mit ihm auf die Steinstufe des Hauseinganges.

„Aber in Spanien bist du noch nicht gewesen, was?“ fragte er. Zum Teufel, was ging ihn das überhaupt an?

Hassan gab einen Seufzer von sich. „Bin selbst halbes Spanier, Senor. Doch Pech hat verfolgt Hassan von Anbeginn an. Du verstehst?“

„Nein. Und ich habe auch keine Ahnung, was du eigentlich von mir willst, Hassan.“

„Mein Padre ist verschollenes spanisches Seemensch.“

„Seemann“, korrigierte Sam.

„Ja, Seemann. Meine Mutter aus Benghasi. Bin ein Bastard, Senor.“

„Das solltest du dir nicht zu Herzen nehmen, Junge. Außerdem kannst du mich Sam nennen, so heiße ich nämlich.“ Merkwürdig, er fand dieses Bürschchen richtig sympathisch, obwohl immer noch nicht feststand, wer es war und was er bezweckte.

„Gracias, Ssämm“, sagte Hassan, wobei er den Namen übertrieben akzentuierte. Seine Miene wurde plötzlich traurig. „Meine Madre nach meine Geburt gleich tot, Amigo Ssämm.“

„Sie war krank?“

„Nein, nicht. Ganz gesund. Aber wurde sie von Leute totgeschlagen, mit Steine.“

„Du meinst – sie wurde gesteinigt? Ist das dein Ernst?“

„Volle, volle Ernst“, erwiderte Hassan leise. „Frau ist böse, wenn Bastard zur Welt bringt, darum muß sterben.“

„Wer bestimmt das?“

„Uluch Ali. Hat meine Madre totgemacht.“

„Uluch Ali? Das gibt’s doch nicht.“

„Ist alles wirklich wahr“, erklärte Hassan jedoch. „Uluch Ali ist böse wie Scheitan. Kaufmann hat mich aufgenommen zu sich, weil Mitleid gehabt. Du verstehst?“

„Ja, mein Junge. Irgendwann hast du alles über deine Herkunft erfahren, nicht wahr?“

„Ja.“

Sam Roskill dachte: Und seitdem haßt du Uluch Ali.

„Aber – dieser Uluch Ali ist doch der berüchtigte Pirat, nicht wahr?“ sagte er dann laut.

Hassan nickte.

Merkwürdig, dachte Sam, Hasard hat diesen Hurensohn doch damals getötet, als wir den armen Godefroy von Manteuffel von der Galeere befreiten. Oder hat der Kerl seinerzeit etwa überlebt? Herrgott, das kann nicht sein, er war doch von Cutlasshieben zersäbelt, und wir alle haben ihn blutend in der See davontreiben sehen.

Hassan redete erregt weiter: „Ich dich gesehen habe mit altes Mann, das Holzbein hat, vorhin auf Basar. Dann du plötzlich weg sein, und ich aber altes Mann wieder neu gesehen.“

„Ach so“, sagte Sam überrascht. „Jetzt begreife ich. Hassan, du Teufelskerl, du willst mir also helfen, meinen Kameraden Old Donegal Daniel O’Flynn wiederzufinden? Das ist nett von dir. Ich hätte wirklich nicht erwartet, daß es hier so freundliche Leute wie dich gibt. Wo in aller Welt steckt das alte Rauhbein denn?“

„Bei Uluch Ali.“

„Was? Ist das dein Ernst?“

„Immer noch volle Ernst. Uluch Ali raus aus sein Palast, altes Donnerwetter gesehen und dann …“

„Donegal“, berichtigte Sam.

„Ja, Donnägäll. Wächter ihn gefaßt haben und dann gleich wieder ab, rein in Uluch Ali sein Haus und Tür zu.“

Es war ein fürchterliches Kauderwelsch, aber Sam verstand genug und wußte jetzt Bescheid. Er zwang sich zur Ruhe, obwohl ihn diese Nachricht in Alarmstimmung versetzte. Old O’Flynn in Uluch Alis Gewalt! Was das bedeutete, lag auf der Hand, wie auch klar war, daß der Pirat den Alten gleich erkannt haben mußte.

„Beschreibe mir den Palast von Uluch Ali, so gut du kannst“, sagte er zu Hassan. „Uluch Ali ist dein Feind, und meine Freunde und ich haben auch noch eine alte Rechnung mit ihm zu begleichen. Deshalb tust du ein gutes Werk. Bist ein kluger Junge, Hassan, das werde ich dir nicht vergessen.“

Hassan lief vor lauter Stolz unter seiner hellbraunen Gesichtsfarbe rot an. Dann legte er sich ins Zeug und schilderte Sam so gut wie möglich, wo der Palast des allmächtigen Beylerbeys Ali stand und wie er aussah.

Sam blickte sich nach allen Seiten um, bis er davon überzeugt war, daß sie auch wirklich nicht belauscht wurden. Es wurde Zeit, daß er zur Sambuke zurückkehrte, darum wartete er nur noch ab, bis der Junge mit seinem Bericht am Ende angelangt war, griff dann in die Tasche, stand auf und drückte seinem Informanten zwei Perlen in die Hand.

„Nein“, sagte Hassan entgeistert. „Kann das nicht annehmen.“

„Du mußt es tun“, brummte Sam. „Stell dich nicht so an. Du hast uns einen unschätzbaren Dienst erwiesen, dafür sind zwei Perlen sogar noch ein geringes Entgelt. Nimm schon hin, steck die Dinger weg und laß sie dir nicht wieder abnehmen.“

„Gracias, danke“, stammelte Hassan.

„Vielleicht sehen wir uns noch wieder“, raunte Sam ihm zu. „Aber vorläufig ist es das beste, wenn du verschwindest, damit uns keiner zusammen sieht und Uluch Ali später etwas über unsere Unterredung erzählen kann, kapiert?“

„Ja.“

Sam strich ihm mit der Hand über das Kraushaar, dann ging er fort und drehte sich nicht mehr nach ihm um. Er rannte fast zum Hafen, suchte die Pier auf, an der die Sambuke vertäut lag, und unterrichtete Ben Brighton und die anderen über das, was er soeben vernommen hatte.

„So ein Mist“, sagte Ben. „Es war wohl doch eine blöde Idee von mir, euch an Land zu schicken. Jetzt können wir sehen, wie wir Donegal da wieder heraushauen.“

„Ich schlage vor, wir verschwinden hier erst einmal“, sagte Smoky. „Donegal wird seinen Mund zwar halten, wenn Uluch Ali, dieser alte Hurensohn, ihn vernimmt. Aber Uluch kann sich ja selbst genug zusammenreimen.“

„Natürlich“, pflichtete Ben ihm bei. „Der weiß jetzt schon, daß sich Donegal nicht allein in Benghasi aufhält, und kann sich denken, daß er zu einer Schiffsbesatzung gehört.“

„Folglich wird Ali nach dem Schiff suchen lassen, nach einem Pott, auf dem sich Engländer befinden“, sagte Pete Ballie.

„Wir liegen hier wie auf dem Präsentierteller“, meinte nun auch Will Thorne.

„Löst die Festmacher“, sagte Ben. „Wir laufen gleich aus und suchen uns nach Möglichkeit eine abgelegene Bucht, in der uns kein Mensch entdecken kann.“

Gesagt, getan – sie legten ab und glitten an Bord ihres Zweimasters aus dem Hafen von Benghasi. Immer wieder warfen sie besorgte Blicke zu den Piers, doch da tauchten vorläufig keine Soldaten des Uluch Ali auf, und auch aus den Reihen der dicht an dicht liegenden Segler löste sich kein Fahrzeug, um sie zu verfolgen. Vorläufig blieb alles ruhig.

Etwa zwei Meilen nördlich von Benghasi fanden sie die für ihre Zwecke geeignete Bucht und zögerten nicht, sie anzusteuern und dort vor Anker zu gehen. Inzwischen wehte es auch nicht mehr ganz so ruppig – jedenfalls nicht hier, im Schutz der Leeküste.

„Die Frage ist jetzt nur, wie wir Donegal befreien können“, sagte Sam Roskill, der neben Ben auf dem Achterdeck stand.

Al Conroy gesellte sich zu ihnen und sagte: „Hör mal, Sam, du und ich, wir sind doch dunkelhaarig und dunkeläugig.“

„Da erzählst du mir ganz was Neues“, brummte Sam.

„Wir sollten uns als Araber verkleiden. Dann können wir zum Palast von Uluch Ali schleichen, ohne daß uns jemand vorzeitig entlarvt.“

„Keine schlechte Idee“, meinte Ben. „Aber woher kriegen wir so schnell die passende Kleidung?“

„Ja, das möchte ich auch mal wissen“, sagte Sam.

Al lachte grimmig. „Die besorgen wir uns schon, und zwar im Hafen von Benghasi. Wenn wir jetzt mit unserem kleinen Beiboot dorthin zurückkehren, fällt das nicht weiter auf.“

Sie hielten noch eine Weile Kriegsrat, und auch Pete, Smoky, Bob und Will meldeten sich zu dem Unternehmen, schließlich aber überließ es Ben Brighton doch Sam und Al, die Sache in die Hand zu nehmen.

Kurze Zeit darauf trafen sie erneut im Hafen ein und sahen sich nach einer Möglichkeit um, sich passende Kleidung zu beschaffen. Sie stießen auf einen ambulanten Händler, der, voll bepackt mit Tüchern und Gürteln, schweren Schrittes am Kai entlangmarschierte und nach Kundschaft Ausschau hielt, und plötzlich grinste Al und stieß Sam mit dem Ellbogen an.

„Das ist unser Mann“, zischte er. „Los, nichts wie hin.“

Für nur eine Münze erstanden sie zwei Kaftans, die sie sich schleunigst überstülpten, und auch Kopftücher erhielten sie, die sie nach Art der Beduinen um ihre Köpfe wickelten. Einigermaßen gut getarnt verabschiedeten sie sich von dem Händler, der nicht aufhörte, sich tief vor ihnen zu verneigen, und begaben sich zu dem Palast von Uluch Ali, über dessen Lage Sam ja durch Hassan genau unterrichtet war.

8.

Uluch Ali liebte öffentliche Auftritte über alles. So saß er auf dem freien Platz vor seiner Residenz unter einem Baldachin, der die Sonnenstrahlen von ihm fernhielt, eine Messingkanne mit Tamarindensaft in Reichweite, und schaute böse auf Old O’Flynn, der vor ihm stand.

Man hatte dem alten O’Flynn einen Strick um den Hals gebunden, und einer von Uluch Alis Schergen, ein bulliger negroider Typ mit Ohrringen, hielt das andere Ende des Seiles fest, damit der Gefangene ja nicht weglaufen konnte. Hinter Ali standen zwei weitere Muselmanen mit finsteren Mienen, und im Hintergrund konnte man die Segler beobachten, die im Hafen von Benghasi vor Anker lagen oder an den Piers vertäut hatten.

Nur einer der hinter Uluch Ali stehenden Männer war ein Leibwächter wie der Schwarze, der andere war gerufen worden, um bei dem nun beginnenden Verhör als Dolmetscher zu fungieren. Viele Menschen hatten sich inzwischen auf dem gepflasterten Vorplatz der Residenz versammelt, und alles wartete gespannt auf das, was sich abspielen würde.

Sam Roskill und Al Conroy gelang es, sich unter die Neugierigen zu mischen. Sie drängelten sich so weit nach vorn vor, wie es ihnen möglich war, und konnten nun von der zweiten Reihe der Schaulustigen aus alles genau verfolgen.

Old Donegal Daniel O’Flynn ahnte bereits, was ihm bevorstand, und gab sich über sein Schicksal keinen Illusionen hin. Der Kerl da mit dem Bart und der großen Nase war Uluch Ali, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, aus dieser üblen Lage gab es vorerst keinen Ausweg. Ali würde Rache üben für die Schmach, die sie, die Seewölfe, ihm seinerzeit zugefügt hatten. Gewiß, das alles lag lange zurück, aber ein Mann wie Ali vergaß nichts, er konnte über Jahrzehnte hinaus seine Rache nähren.

Dennoch waren Old O’Flynns Mut und Widerstandsgeist ungebrochen. Er nahm sich in diesem Augenblick fest vor, nichts zu verraten, nicht einmal etwas darüber, ob er nun allein nach Benghasi gekommen war oder ob er Begleiter hatte, die auf ihn warteten.

Er hatte außerdem noch eine Trumpfkarte im Ärmel, von der er selbst seinen Kameraden gegenüber nie etwas hatte verlauten lassen. Nicht mal Hasard hatte er eingeweiht. Das Geheimnis hatte er stets für sich behalten. Das war so eine Marotte von ihm, gewiß nicht seine einzige, aber doch wohl seine wertvollste, wie er jetzt selbst erkannte. Diese Trumpfkarte also, die er wie seinen Augapfel hütete, konnte über Leben und Tod entscheiden, und er beschloß, sie erst im Moment höchster Gefahr auszuspielen.

Uluch Ali betrachtete seinen Gefangenen mit einem Ausdruck triefenden Hohns. Er hob die Hand, winkte seinem Dolmetscher zu und sagte: „Befiehl ihm, vor mir niederzuknien.“

Der Dolmetscher verneigte sich vor seinem Herrn, trat dann einen Schritt näher an Old O’Flynn heran und wiederholte auf englisch, was Ali angeordnet hatte.

„Dein Englisch ist miserabel“, sagte Old O’Flynn. „Laß dir dein Lehrgeld zurückgeben, Kerl.“

„Was sagt er?“ fragte Uluch Ali.

„Daß mein Englisch schlecht ist“, erwiderte der Übersetzer.

„Dein Kopf wird rollen und noch heute abend ins Hafenwasser fallen, wenn du dich nicht verständigen kannst!“ schrie Ali, und seine Schläfenadern schwollen bedrohlich an. Er hatte ohnehin schon Schwierigkeiten gehabt, einen Mann zu finden, der der englischen Sprache einigermaßen mächtig war. Was nun, wenn eine Verständigung unmöglich war?

„Knie nieder!“ fuhr der Dolmetscher Old O’Flynn an.

„Dir huste ich was!“ gab der Alte nicht weniger laut zurück.

„Mein Herr und Fürst“, wandte der Dolmetscher sich nun wieder an Ali. „Ich bin überzeugt, daß er den Sinn meiner Worte voll erfaßt. Doch er weigert sich, den Befehl zu befolgen.“

Uluch Ali sah seinen Gefangenen aus zornblitzenden Augen an. „Auf die Knie mit dir, du Bastard von einem Giaur!“ brüllte er.

„Knie nieder!“ schrie auch der Dolmetscher.

Old O’Flynn verzog ein wenig den Mund, dann ruckte sein Kopf nach vorn, und er spuckte genau auf den Rand des Teppichs, der unter dem erhabenen Beylerbey ausgebreitet worden war – zum Entsetzen Alis und seiner Gefolgschaft und zur Erheiterung der Menschenmenge. Jemand lachte laut, verstummte aber sofort, als Alis Leibwächter mit ihren Speeren zu fuchteln begannen.

Uluch Ali war auf seiner Sitzbank zurückgezuckt, jetzt aber schoß sein Kopf wieder vor, als wolle er mit seiner Nase nach dem Alten hacken.

„Auf die Knie!“ rief er noch einmal, obgleich ihm das Blut zu Kopfe stieg und er Old O’Flynn am liebsten hätte niederstechen lassen. „Zwingt ihn dazu!“

Er wollte durchsetzen, daß sich der Alte vor ihm auf das Pflaster warf, und das war eine doppelt gemeine Demütigung, weil Old O’Flynn mit seinem Holzbein ohnehin Schwierigkeiten hatte, sich hinzuknien.

Noch einmal forderte auch der Dolmetscher den Gefangenen dazu auf, die Anweisung des großen Ali endlich zu befolgen, doch Old O’Flynn dachte nach wie vor nicht daran, ihr Folge zu leisten. Also blieb er stur stehen und setzte obendrein auch noch ein herausforderndes Grinsen auf.

Das war zuviel. Uluch Ali gab dem Schwarzen einen Wink, und dieser fing sofort an, wie verrückt an dem Strick zu zerren. Da konnte der alte O’Flynn um sein Gleichgewicht kämpfen, soviel er wollte, alles Sträuben und Fluchen nutzte ihm nichts mehr, denn der Strick schnürte sich um seine Kehle und raubte ihm die Atemluft. Stöhnend krümmte er sich.

Dann benutzte der Leibwächter das andere Ende des Seiles auch noch dazu, um ihn zu züchtigen. Heftig knallte es auf den Rücken des Gefangenen. Schlimmer hätte auch eine Bestrafung durch die neunschwänzige Katze an Bord eines Segelschiffes nicht ausfallen können. Old O’Flynn knickte mit seinem gesunden Knie ein und ging zu Boden. Uluch Ali und seine Untergebenen begannen amüsiert zu lachen.

Sam Roskill hatte seine rechte Hand bereits unter den Kaftan geschoben und fing an, an seiner Pistole herumzunesteln. Er erstickte fast vor Wut und wollte die Waffe zükken, um Uluch Ali ein Stück Blei zu verpassen.

Zum Glück hatte das Al Conroy rechtzeitig genug bemerkt. Er schob sich dicht neben den Kameraden und legte ihm die Hand auf den Unterarm.

„Mann, Sam“, flüsterte er. „Dreh jetzt nicht durch. Wenn du schießt, ist hier im Nu der Teufel los, und wir kriegen ihn überhaupt nicht mehr frei. Glaubst du etwa, wir beide könnten gegen diese Übermacht ernstlich was ausrichten?“

„Ich glaube gar nichts“, zischte Sam. „Ich weiß nur, daß ich nicht zulasse, daß diese Schweine unseren Donegal so dreckig behandeln.“

„Er zieht sich schon selbst aus der Affäre.“

„Wie denn?“

„Warte doch mal ab“, raunte Al. „Donegal ist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen.“

Sam konnte sich nur mit Mühe bezwingen, nicht doch die Pistole zu ziehen und Uluch Ali was auf den Pelz zu brennen. Hölle, dachte er, vielleicht kriegen wir die Gelegenheit dazu nie wieder. Er sah aber auch ein, daß er durch sein unüberlegtes Handeln Old O’Flynns Lage nur noch verschlechterte, auf keinen Fall aber verbesserte.

„Den Strick lockern!“ schrie Uluch Ali jetzt. „Sonst stirbt der Hund uns noch unter den Händen weg!“

Der Schwarze beeilte sich, die Schlinge um Donegals Hals zu lösen, und so konnte der Alte keuchend wieder frischen Atem schöpfen. Es war ihm schon fast schwarz vor Augen geworden, und die Sinne drohten ihm zu schwinden. Jetzt aber nahmen Uluch Alis Gesicht und Gestalt vor seinen Augen wieder klare Formen an.

„Wir schreiten zum Verhör“, sagte Ali. „Wo sind die anderen, Giaur, wo halten sich deine Kumpane versteckt? Heraus mit der Sprache!“

Der Dolmetscher übertrug dies sofort ins Englische.

Old O’Flynn versuchte, sich aufzurappeln, doch es wollte ihm nicht gelingen. Ziemlich verkrümmt lag er am Boden, fixierte Uluch Ali und sann angestrengt nach, was er wohl am besten erwidern konnte.

Schließlich antwortete er: „Kreuzdonnerwetterundschockschwerenot, fahr doch zur Hölle, du triefäugige Seegurke.“

Der Dolmetscher geriet ins Schwitzen, denn er kam erstens nicht so recht mit, und zweitens wußte er auch beim besten Willen nicht, wie er die „triefäugige Seegurke“ ins Arabische übersetzen sollte.

Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, dann sagte er zu Uluch Ali gewandt: „Er will nicht mit der Sprache heraus, o Herr. Er beschimpft dich nur und vergleicht dich mit einem Meerestier.“

„Mit einem was?“

„Mit einem Fisch, nehme ich an.“

„Beim Scheitan, das wird ja immer schöner!“ schrie Uluch Ali. „Das Fluchen und Lästern wird ihm schon noch vergehen! Drohe ihm! Sage ihm, was ich mit ihm tun werde, wenn er sich nicht gefügig zeigt, dann kriegt er es mit der Angst zu tun!“

Eigentlich hätte Old O’Flynn ja längst Angst haben müssen, aber er dachte nicht daran, sich diesen Kerlen gegenüber auch nur die geringste Blöße zu geben. Aufs Kreuz gelegt hast du mich zwar, Ali, du verlauster Hurensohn, dachte er, aber ein O’Flynn gibt nie auf, da kann geschehen, was will.

Der Dolmetscher sprach jetzt eindringlich auf ihn ein, hütete sich aber, ihm zu nahe zu treten, denn irgendwie hatte er das Gefühl, dieses alte Rauhbein mit dem zerknitterten Gesicht sei zu allem fähig, auch dazu, ihm plötzlich in die Wade zu beißen.

Old O’Flynn hörte aufmerksam zu und gelangte zu der Überzeugung, daß sich die Foltermethoden des Orients von denen des Abendlandes nicht wesentlich unterschieden. Da gab es das Streckbrett und die Daumenschrauben, da war von glühenden Zangen, von Fässern voller giftiger Schlangen und von allerlei anderen Gerätschaften die Rede. Der Dolmetscher ging sämtliche Abstufungen des peinlichen Verhörs durch, dann verstummte er und beobachtete den Giaur interessiert.

Der hatte für kurze Zeit die Augen geschlossen, um in aller Ruhe nachdenken zu können. Der Dolmetscher hingegen wertete dies als Furcht und sagte: „Jetzt scheint er wirklich eingeschüchtert zu sein, ehrenwerter Uluch Ali.“

„So?“ Auch Ali sah Old O’Flynn an, doch so recht überzeugt war er noch nicht. „Dann wiederhole die Fragen, die ich eben gestellt habe. Wird’s bald?“

„Wo halten sich deine Freunde versteckt?“ fuhr der Dolmetscher den Gefangenen an.

Old O’Flynn schlug die Augen auf, dann verdrehte er sie ein bißchen. Er hatte sich jetzt eine Taktik zurechtgelegt und nahm sich vor, sie hartnäckig und kompromißlos anzuwenden.

„Freunde?“ murmelte er. „Na, die liegen wohl alle auf dem Grund der See. Die haben längst die Haie gefressen.“

Alis Übersetzer teilte dies seinem Herrn mit, doch der wurde sofort wieder wütend und schrie: „Lüge, alles Lüge! Gleich lasse ich aus diesem Hund herauspeitschen, wie die Wahrheit lautet!“

Old O’Flynn quittierte das Geschrei mit einem grunzenden Laut.

„Ich bin ein Fahrensmann. Auf der ‚Empreß of Sea‘ hab’ ich meine Zeit abgerissen, aber dann hatte ich die Nase voll, denn der Kahn ist ein verdammter Seelenverkäufer.“

Das war eine gleichsam heroische Lüge, denn die „Empreß of Sea“ war ja alles andere gewesen als ein Jammerkahn – doch für diese Schwindelei mußte sie jetzt herhalten, denn etwas Besseres fiel dem Alten im Moment nicht ein. Und falls ihn die ganze Story vor einem grausamen Ende bewahrte, dann hatte ihm die „Empreß“ sogar noch einen guten Dienst erwiesen.

Der Dolmetscher und Uluch Ali sahen sich verblüfft an, und auch die Leibwächter des großen Beylerbeys tauschten verdutzte Blicke miteinander. Was war denn das für eine Geschichte, und überhaupt, was hatte sie mit der Sache als solcher zu tun?

„Außenbords gejumpt bin ich“, fuhr Old O’Flynn fort. „Und wollt ihr wissen, warum? Na, ich will es euch verraten, Leute. Der Kapitän der ‚Empreß‘ ist ein Schweinehund, ein Leuteschinder, eine verfluchte Kanalratte, ein Himmelhund und Rübenschwein. Natürlich bin ich an Land geschwommen, ist doch klar. Mich haben die Haie nicht gepackt, an mir haben sie kein Interesse, Hölle, ich bin viel zu alt und viel zu zäh und völlig ungenießbar.“

Er wollte weitersprechen, aber der Dolmetscher mußte seinen Redefluß erst einmal stoppen, um das Gehörte ins Arabische übertragen zu können. Uluch Ali und seine Gefolgschaft gelangten aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was war denn jetzt in den Alten gefahren? Erst hatte er nichts sagen wollen, und nun plapperte er derart bereitwillig, ja, fast vergnügt darauf los, daß man ihn bremsen mußte.

„Ja“, sagte Old O’Flynn, als er in seinem seltsamen Bericht fortfahren durfte. „So war das auf der ‚Empreß‘. Na, ich nehme fest an, daß sie inzwischen abgesoffen ist. Wie ich sie kenne, hat sie keine zehn Meilen mehr geschafft, nachdem ich abgemustert hatte. War ja schon ganz morsch. Und von Würmern und Ratten verseucht. Ein Teufelskahn, sage ich euch. Wo meine Kameraden sind? Habe ich das nicht schon mal gesagt? Entweder liegen sie auf dem Meeresgrund, oder aber sie befinden sich stückchenweise in den Bäuchen der Haie. O Lord, letzteres ist wohl wahrscheinlicher. Was meint ihr?“

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