Читать книгу: «Seewölfe Paket 10», страница 4

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5.

Louis hatte sich zuerst in südlicher Richtung bewegt, dann aber einen Bogen geschlagen und pirschte jetzt nach Norden, weil Marcel und die anderen von dorther auftauchen würden. Louis konnte es kaum erwarten, mit ihnen zusammenzutreffen, denn in ihm gärten der Haß und der Wunsch nach blutiger Rache. Mit einem starken Trupp würde er die Engländer verfolgen und aus dem Hinterhalt niederschießen.

Tod, dachte er immer wieder, Tod euch allen, ihr verfluchten Bastarde!

Wer war dieser schwarzhaarige Riese mit den blauen Augen, der wie der Teufel zwischen sie gefahren war und Richard gefällt hatte? Wie hatte dieser Hund sich überhaupt anschleichen können? Wer schickte ihn, wie hieß er, was wollte er?

Fragen über Fragen, auf die Louis keine Antwort wußte. Er sann nicht weiter darüber nach, sondern malte sich nur aus, wie grausam er Rache nehmen würde. Für Alewa, so überlegte er, darf es keinen schnellen Tod geben, sie hat uns diese Dreckskerle auf den Hals geholt, sie muß auf grauenvolle, unendlich langsame Weise sterben.

Louis hatte sein Entermesser gezückt und hielt es für den Fall bereit, daß die Fremden wieder aus dem Dickicht auftauchten und ihm den Weg versperrten. Er würde alles daransetzen, sich den Pfad freizufechten, ganz gleich, wie viele Engländer sich ihm entgegenstellten.

Warum war er vor dem Schwarzhaarigen geflohen? Warum hatte er sich nicht mit ihm duelliert? Louis verging fast vor Wut darüber. Hatte er etwa Angst gehabt? Nein, das konnte nicht sein. Er, Louis, fürchtete weder Tod noch Teufel. Nein – das, was er getan hatte, war ein taktischer Rückzug gewesen, denn er hatte ja richtig vermutet, daß sich die Kameraden des Schwarzhaarigen nicht weit entfernt befanden und binnen kurzer Zeit alle Mann über ihn hergefallen wären.

Louis hatte den Terrassenhügel hinter sich gebracht und bog jetzt ins Inselinnere ab. Bald, so wußte er, würde er auf den Pfad treffen, der in das Hauptdorf im Herzen der Insel führte. Auf diesem Weg mußten ihm die anderen begegnen.

Er war so tief in seine Gedanken verstrickt, daß er die Gestalten vor sich erst im allerletzten Augenblick bemerkte. Mit einem Fluch riß er sein Entermesser hoch.

„Louis!“ rief Marcel entsetzt aus. „Mon Dieu, was ist denn in dich gefahren?“

Die Männer hinter Marcels Rükken verharrten betroffen. Es waren acht wilde, abenteuerlich gekleidete Gestalten, die allesamt bis an die Zähne bewaffnet waren – mit Musketen, Blunderbüchsen und Arkebusen, Pistolen, wuchtigen Entermessern und Piken.

Louis blieb wie gelähmt stehen. Er musterte die Ankömmlinge aus seinen glitzernden blauen Augen, ließ das Entermesser langsam sinken und sagte nach einigen Momenten betretenen Schweigens: „Um ein Haar hätte ich euch nicht erkannt. Ich dachte, ihr wäret gottverfluchte Engländer.“

„Was ist geschehen?“ fragte Marcel. „Wir haben Geräusche aus dem Dikkicht gehört. Wo ist Richard?“

„Niedergeschlagen und gefangengenommen“, erwiderte Louis lakonisch. „Los, nichts wie ’runter zum Strand! Wir können diese Hundesöhne noch einholen – und gnade ihnen Gott, wenn wir sie erwischen! Dann schießt ihr, was die Rohre hergeben, verstanden?“

„Ja“, murmelten die Männer.

Unter Louis’ Führung gelangten sie rasch ins Uferdickicht, kauerten sich in die Büsche und spähten in südwestlicher Richtung über den breiten Strand und die Brandung hinweg zu der dreimastigen Galeone, die sich auf den Wellen der Bucht hob und senkte. In derselben Richtung war auch die Jolle zu sehen. Sie lag praktisch auf einer Linie zwischen der „Isabella“ und den Piraten.

Louis, Marcel und die acht anderen Kerle sahen in aller Deutlichkeit, wie vier Engländer die beiden Gefangenen in die Jolle hoben, während der Schwarzhaarige, ein sechster Mann und das Mädchen bereits zupackten und versuchten, das Boot in die Brandung zu schieben.

Richard und Luc lagen jetzt zwischen den Duchten, und ihre Träger griffen ebenfalls mit ans Dollbord, um die Jolle vom Strand herunterzubekommen.

„Los“, zischte Louis. „Wir stürmen. Wir schießen sie nieder, rennen sie über den Haufen, stechen sie ab. Los!“

Er fuhr als erster hoch, brach aus dem Dickicht hervor, rannte eine flache Böschung hinunter, war dann auf dem breiten weißen Strand und stürmte auf die verhaßten Widersacher zu. Er hatte sich von einem seiner Kumpane eine Blunderbüchse aushändigen lassen. Den Hahn der Waffe spannte er jetzt im Laufen, hob die Büchse und preßte den Kolben gegen die Schulter.

Er zielte auf die Jolle, blieb stehen, hielt den Blunderbuss so ruhig wie möglich und drückte ab. Brüllend entlud sich die Waffe. Gehacktes Blei und Eisenstücke stoben auf die Jolle, das Mädchen und die Männer zu.

Marcel und die anderen waren heran und begannen ebenfalls zu feuern.

Im Nu war der Teufel los.

Hasard hatte die Angreifer als erster bemerkt. „Schnell!“ rief er den Kameraden zu. „Ins Wasser mit dem verdammten Kahn und dann nichts wie an Bord! Sie rücken an, um uns zu erledigen!“

Ein letzter Ruck mit vereinten Kräften beförderte die Jolle vollends ins Wasser. Alewa stieß einen Laut des Entsetzens aus, wurde dann aber von Dan O’Flynn in das Boot gehievt. Carberry, Ferris Tucker, Shane und Batuti enterten auf die Duchten und griffen fluchend nach den Riémen. Hasard stieg als letzter zu. Er hob das linke Bein, schwang es über die Heckducht, verlieh der Jolle mit dem rechten Bein Schub und kletterte dann auf die Ducht.

Blei und Eisen hagelte in den Ufersand und ließ kleine Fontänen aufsteigen. Die Piraten schrien und stießen Verwünschungen aus, liefen noch ein Stück näher und schossen wieder. Diesmal stoben ihre Kugeln und das gehackte Blei und Eisen gleich hinter dem Bootsheck ins Wasser.

Der Seewolf und seine Begleiter duckten sich.

„Pullt!“ schrie Hasard. „Pullt wie die Teufel, sonst kriegen sie uns doch noch!“

Er drehte sich um, hatte die Reiterpistole, die er inzwischen nachgeladen hatte, in der Faust und zielte, so gut es in dem schwankenden Boot ging, auf die Feinde.

Er feuerte beide Läufe kurz hintereinander ab. Die Franzosen waren jetzt fast bis ans Wasser gelangt, zückten ihre Pistolen, weil sie die Langwaffen leer geschossen hatten, und legten von neuem auf die Männer der „Isabella“ und das Mädchen an. Hasard sah im Aufblitzen des Mündungsfeuers seiner Doppelläufigen, wie einer von ihnen zusammenbrach.

Die anderen quittierten es mit haßerfülltem Geschrei.

Ihre Pistolen krachten, und plötzlich stöhnte Big Old Shane auf. Hasard fuhr zu ihm herum, sah, wie der Riese sich krümmte und fast von der Ducht rutschte. Der Stoff seines linken Hemdsärmeln begann sich dunkel zu färben.

„Shane!“ rief Ferris Tucker.

„Himmel, Shane, mach bloß keinen Mist!“ stieß der Profos entsetzt aus.

Alewa kroch ein Stück weiter nach vorn und stützte Shane. Der Schmied von Arwenack murmelte einen saftigen Fluch, richtete sich wieder etwas auf und tat dann genau das, was typisch für einen Kerl seines Formats war: Er packte den Riemen mit der rechten, gesunden Hand und pullte weiter.

„Ferris!“ schrie der Seewolf im Donnern der Brandung. „Wirf ihnen eine Flasche zwischen die Beine, diesen Hunden!“

Ferris überließ den Riemen, den er bedient hatte, Batuti. Der Gambia-Mann packte zu und pullte mit zwei Riemen weiter. Ferris drehte sich zu Dan O’Flynn um, und dieser ließ für eine Weile auch von dem Riemen ab, holte Feuerstein und Feuerstahl aus seinen Jackentaschen hervor und schlug sie aneinander, als der Schiffszimmermann ihm die eine Flaschenbombe entgegenhielt.

Der Funke sprang auf die trockene Lunte über und entfachte sie. Ferris Tucker hob die Höllenflasche mit einem grimmigen Laut, stand von seiner Ducht auf, balancierte die heftigen Bewegungen des Bootes durch geschickte Beinarbeit aus, zählte noch bis fünf – und schleuderte die mit Pulver, Blei, Eisen und Glasscherben gefüllte Flasche zu den lärmenden Franzosen hinüber.

Eine Pike, von Marcel geworfen, flog der Jolle nach. Sie war für den Seewolf bestimmt. Alewa, Ferris, der Profos und Dan O’Flynn stießen gleichzeitig einen Warnruf aus. Der Seewolf beugte sich vor und zog den Kopf ein. Aber die Pike erreichte das Bootsheck nicht mehr. Wirkungslos schlug sie ins Wasser.

Ferris und Dan hatten wieder die Riemen gepackt und halfen mit, das Boot durch die wogende Brandung zu befördern.

„Die Flasche“, sagte Dan O’Flynn. „Sie ist mitten zwischen ihnen gelandet und rollt über den Strand.“

„Sie geht gleich hoch“, sagte Ferris Tucker mit einem Ausdruck der Genugtuung auf den Zügen. „Geschieht ihnen recht, diesen elenden Hunden.“

„Was sagt ihr?“ brüllte der Profos.

„Die Flasche fliegt ihnen gleich um die Ohren!“ schrie der Zimmermann der „Isabella“.

„Das will ich aber auch hoffen!“ brüllte Ed Carberry. „Wenn nicht, helfe ich dir auf die Sprünge, du verdammter alter Holzwurm!“

Verblüfft blickten die Piraten auf die Flasche aus grünlichem Glas, die mitten zwischen ihnen auf den Sand gefallen war und jetzt allmählich ausrollte. Sie blieb dicht vor den nackten Füßen eines glatzköpfigen Bretonen liegen, der sich verwundert darüberbeugte und nicht wußte, was er von der Sache halten sollte.

„Verdammt!“ rief Marcel. „Die Flasche hat eine Lunte!“

„Die Lunte brennt!“ sagte der Bretone.

„Tretet die Glut aus!“ brüllte Marcel. „Los, schnell!“

„Nein!“ schrie Louis. „Laßt die Finger von dem Ding! Lauft lieber weg, los, nichts wie weg!“

Sie standen da und blickten sich untereinander unschlüssig an. Marcel bückte sich schließlich mit einem Fluch nach der Flasche, hob sie auf und schickte sich an, sie zur Jolle zurückzuschleudern. Die Lunte ließ sich jetzt nicht mehr löschen, sie war schon bis durch den Korken hindurch ins Innere der Flasche abgebrannt.

Louis drehte sich um und begann zu laufen.

Die meisten anderen folgten sofort seinem Beispiel und glaubten zu wissen, was jetzt passierte. Sie hatten nichts Eiligeres zu tun, als soviel Distanz wie irgend möglich zwischen sich und Marcel zu legen. Nur der Bretone stand immer noch wie angewurzelt auf seinem Platz und beobachtete entgeistert, was Marcel tat.

Marcel hatte die Flasche hoch über den Kopf gehoben.

Er wollte seine Hand vorschnellen lassen, um die Flasche zur Jolle zurückzubefördern, aber die Zeit reichte nicht mehr aus, sie war abgelaufen. Mit einem grellen Feuerblitz zerplatzte die Bombe in Marcels Hand.

Marcel sah noch das grelle Licht und hörte das Donnern der Explosion, aber dann versagten seine Sinne. Nur eine heiße Welle fühlte er noch durch seinen Körper rasen, und der Himmel, der sich blutrot färbte, schien auf ihn niederzustürzen.

Der Bretone fühlte sich hochgehoben und von einem glühenden Sturm mitgerissen, weit weg, über die See hinaus und dann in einen schwarzen Strudel, der direkt ins Jenseits führte und mit seiner Finsternis alles auslöschte.

Louis stoppte abrupt und blickte über die Schulter zurück. Er sah alles bis ins Detail, und ein kehliger Laut löste sich von seinen Lippen. Marcel und der Bretone waren durch die Explosion der Flasche zerfetzt worden, die anderen sieben Piraten hatten sich auf den Strand geworfen und schienen unverletzt zu sein.

Die Druckwelle wehte heran und warf auch Louis aus dem Gleichgewicht. Er stolperte, fiel hin, rappelte sich wieder auf und torkelte benommen und verwirrt auf das Dickicht zu. Er wankte zwischen die Büsche, ziellos, und wußte nicht mehr, was er tun sollte.

Wer seid ihr Teufel, fragte er sich, wer nur, wer? Was ist los, was geht hier vor?

Marcel und der Bretone hatten nicht einmal mehr einen Schrei ausgestoßen, so schnell war alles gegangen.

Teufel, dachte Louis, die Hölle hat euch ausgespuckt. Schwarzhaariger Bastard, wer bist du?

„Ich – werde dich töten“, keuchte er.

Dann blieb er wie vom Donner gerührt stehen. Er war mit seinen bloßen Füßen gegen die Beine eines Mannes gestoßen. Er schaute in die blicklosen, gebrochenen Augen und erkannte Jean, den Kumpan, der mit Luc zusammen das Pfahldorf und die Bucht bewacht hatte – für den Fall, daß die flüchtigen Insulaner mit der Absicht zurückkehrten, eins oder mehrere Auslegerboote flottzumachen.

„Jean“, würgte Louis entsetzt hervor.

Übelkeit stieg in ihm auf, er fühlte seine Knie weich werden. Ein Tosen war mit einemmal in seinen Ohren, ihm wurde schwindlig. Er sank auf die Knie und stammelte Unverständliches.

Dann war es vorbei. Er konnte sich wieder erheben, hatte sich gefaßt, konnte das Dickicht verlassen und zu seinen Männern zurückkehren. Er trat vor sie hin und sagte: „Verscharrt das, was von Marcel und dem Bretonen übriggeblieben ist. Hier im Gebüsch liegt Jean. Sie haben auch ihn umgebracht. Hebt eine Grube aus, wir vergraben auch seinen Leichnam.“

Er blickte zu der Jolle, die jetzt durch die stärkste Brandung hindurch war und zügig auf die Dreimast-Galeone zuhielt. „Hunde“, sagte er. „Das werdet ihr mir büßen. Und wenn es mich selbst den Kopf kostet – das zahle ich euch heim.“

6.

Der Seewolf sah Shane, seinen väterlichen Freund, an. So kalkig weiß im Gesicht war Shane noch nie gewesen, und auch aus der Art, wie er die Lippen zusammengepreßt hatte, ließ sich schließen, daß es alles andere als gut um ihn bestellt war. Dennoch pullte er weiter.

„Shane“, sagte Hasard. „Du solltest dich jetzt nicht mehr anstrengen. Hör mit dem Pullen auf. Wir sind sowieso gleich da.“

Big Old Shane grinste matt. „Sir – der Teufel soll mich holen, wenn ich mich von so einem kleinen Kratzer gleich umhauen lasse. Ho, ich bin doch kein Milchbart, der sich von dem ersten Ding, das er verpaßt kriegt, gleich aus den Stiefeln schmeißen läßt. Wo kämen wir denn da hin?“

Alewa hatte geistesgegenwärtig gehandelt und Shanes linken Arm so gut wie irgend möglich abgebunden. Sie kauerte immer noch bei dem graubärtigen Riesen, hielt ihr Gesicht aber dem Seewolf zugewandt. Hasard konnte aus ihrer Miene lesen, daß sie sehr besorgt um das alte Rauhbein war.

Dan O’Flynn sagte: „Der eine Bursche hier kommt gerade zu sich. Soll ich ihm noch eins überziehen, damit er sich wieder schlafen legt?“

„Nein, nicht nötig. Er wird schon nicht über Bord springen. Und gefährlich werden kann er uns auch nicht“, erwiderte der Seewolf.

Er blickte zu dem Piraten – es war Luc, der Bärtige – und verfolgte, wie dieser, zwischen Dans und Ferris’ Ducht liegend, die Augen aufschlug und verwirrt um sich schaute. Ehe er irgend etwas unternehmen konnte, sagte Hasard auf französisch: „Keine Dummheiten, Mann! Du bist unser Gefangener.“

Luc musterte ihn aus schmalen, haßlodernden Augen. Er war zwar an den Händen und den Füßen gefesselt, aber um sich treten konnte er immer noch. Hasard richtete vorsichtshalber die Reiterpistole auf ihn. Die war zwar leer geschossen, aber das konnte Luc nicht wissen.

„Hör mal, Sir“, sagte der Profos nach einem verächtlichen Blick auf den Gefangenen. „Wir haben doch diese beiden Geiseln hier. Wenn wir den Piraten auf der Insel damit drohen, daß wir die zwei ersäufen, können wir sie doch erpressen, oder?“

„Und sie zwingen, Hawaii zu verlassen, meinst du?“

„Genau das.“

Hasard schüttelte den Kopf. „Darauf lassen sich die Kerle niemals ein. Und so, wie ich diesen Louis einschätze, wird er sogar das Leben von Luc und Richard bereitwillig aufs Spiel setzen, wenn er uns bloß eins auswischen kann. Was die Flaschenbombe eben angerichtet hat, wird der Kerl uns nie vergessen.“

„Verdammt“, stieß Ferris Tucker hervor. „Und das, was sie Shane angetan haben, werden wir diesen Hurensöhnen auch nicht vergessen. Außerdem wären wir alle verreckt, wenn Jean und Luc, die Heckenschützen, mehr Glück mit ihrem Überfall auf uns gehabt hätten. Ja, und darum meine ich, daß es nur einen Weg gibt, diesen Piraten eine zünftige Lektion zu erteilen.“ Er wies mit dem Daumen über seine Schulter auf die „Isabella“.

„Wir sollen also ihren Stützpunkt beschießen, Ferris?“ sagte der Seewolf. „Dazu müßten wir erst einmal wissen, wo der liegt.“

„Was redet ihr?“ fragte Alewa. „Ich verstehe eure Sprache nicht.“

Hasard setzte ihr wieder auseinander, um was es ging, und sie erklärte ziemlich aufgeregt: „Die weißen Männer – ja, Louis ist ihr Anführer, und sie haben ein Schiff. Ein Schiff mit Segeln wie das eure!“

„Augenblick“, sagte der Seewolf. „Laß uns erst mal an Bord der ‚Isabella‘ gehen, dann erzählst du uns alles hübsch der Reihe nach, ja?“

„Ja.“ Sie nickte eifrig.

Wenig später war die Jolle längsseits der „Isabella“ geglitten, und Hasard ließ Alewa als erste an der Jakobsleiter aufentern, schickte dann Ed Carberry, Dan O’Flynn und Ferris Tucker nach oben und fragte Big Old Shane: „Schaffst du es – oder soll ich dich stützen?“

„Du mich stützen?“ Shane grinste verkniffen. „Sag mal, du machst wohl Witze, was? Nein, besten Dank, Sir, das erledige ich schon allein.“

Er brachte wirklich das Kunststück fertig, allein an der Jakobsleiter hochzuklettern, was ihn natürlich erhebliche Energien kostete. Sein Zustand konnte sich dadurch nicht verbessern, aber der Seewolf ließ ihn gewähren, denn er kannte Shanes Stolz in diesen Dingen.

Mit vorgehaltener Pistole zwang Hasard Luc, den Bärtigen, ebenfalls auf die Kuhl zu entern. Batuti hatte dem Kerl die Handfesseln gelöst und die Stricke, die seine Fußknöchel zusammenhielten, gelockert. Luc konnte sich ausreichend bewegen. Mit vor Haß verzerrter Miene stieg er die Holzsprossen empor.

Richard war immer noch bewußtlos. Batuti hatte ihm Fesseln angelegt und blieb jetzt noch im Boot, um die Taue zu belegen, an denen die Jolle hochgehievt werden sollte.

Hasard kletterte hinter Luc her.

Auf der Kuhl gab es eine herzliche Wiedersehensszene, denn die Männer hatten jetzt natürlich alle Alewa erkannt. Sie umringten sie und bestürmten sie mit ihren Fragen. Alewa lächelte und beugte sich hier und da vor, um Freundschaftsküsse auszuteilen.

Siri-Tong stand etwas abseits und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sie schien das Verhalten des Mädchens nicht zu billigen, aber was sie genau dachte, ging aus ihren Zügen nicht hervor.

Der Kutscher bemühte sich bereits um Shanes linken Arm.

Jeff Bowie und Bob Grey nahmen den gefangenen Freibeuter in Empfang. Sie musterten ihn ungefähr so freundlich, wie ein Scharfrichter einen todgeweihten Delinquenten ansehen mochte, und Luc wurde jetzt richtig mulmig zumute.

„Der andere Gefangene liegt im Boot“, sagte Hasard. „Er scheint immer noch besinnungslos zu sein. Vielleicht stellt er sich aber auch nur so. Paßt auf, wenn ihr ihn aus der Jolle holt. Er ist zwar gefesselt, aber ich will nicht das geringste Risiko eingehen.“

„Aye, aye, Sir!“ riefen die Männer.

„Sperrt die beiden ins Kabelgatt“, ordnete Hasard an. „Später überlege ich mir, was wir mit ihnen tun.“

„Wir sollten sie vernehmen“, schlug Blacky vor. „Sie werden zwar nichts ausspucken wollen, aber …“

Der Seewolf hob die Hand und beschrieb eine verneinende Geste. „Ich weiß, was du sagen willst, Blacky, aber ich bin dagegen. Vergiß nie, daß wir uns auf die primitive Ebene solcher Burschen nicht herablassen. Was sie tun würden, tun wir noch lange nicht.“

„Verzeihung“, sagte Blacky. „Natürlich weiß ich das. Was wir wissen müssen, wird uns wohl auch Alewa erzählen können, nehme ich an.“

„Ja, bestimmt.“

Ben Brighton hatte Stenmark, Luke Morgan, Sam Roskill und Gary Andrews die Anweisung gegeben, die Jolle hochzuhieven, und die Männer gingen in diesem Moment an die Arbeit. Ben trat mit Smoky, Old O’Flynn und der Roten Korsarin quer über die Kuhl auf den Seewolf zu.

„Ihr habt euch hervorragend geschlagen“, sagte er. „Ich habe die ganze Zeit über darauf gewartet, daß das Zeichen für unseren Einsatz erfolgt, aber es gab ja offensichtlich nichts für uns zu tun.“

Hasard lächelte. „Ben, wenn du scharf darauf bist, dich mit den französischen Freibeutern herumzuschlagen, dann kriegst du noch die Gelegenheit dazu, das versichere ich dir.“

Ben wollte etwas dazu sagen, aber sie alle wurden jetzt durch Big Old Shane abgelenkt, der einen wütenden Schrei ausstieß und den Kutscher anfuhr: „Kutscher, bist du des Teufels? Hau mit deiner Tinktur und deinem Quacksalberzeug ab, sonst werde ich verflucht ungemütlich! Hol mir lieber die Rumbuddel. Das ist der richtige Balsam für mich, verstanden?“

„Ich werde die Wunde auswaschen und die Tinktur draufpinseln“, sagte der Kutscher ruhig. „Ob es dir nun paßt oder nicht. Man sollte meinen, es hat deinen Kopf erwischt, Shane, so einen Blödsinn redest du.“

„Das wagst du, zu mir zu sagen?“

„Das und noch viel mehr, wenn du dich so bescheuert anstellst!“ rief der Kutscher ärgerlich.

Old O’Flynn grinste. „Holla, er ist so richtig schön in Fahrt, unser Kutscher. Aber ich an seiner Stelle würde doch vorsichtig sein. Wenn Shane, dieser krummbucklige Eisenbieger, seine große Wut kriegt, dann ist er imstande und rammt den Kutscher ungespitzt durch die Planken.“

„Shane“, sagte Hasard scharf.

Big Old Shane hob verdutzt den Kopf. „Was …“

„Du hinderst den Kutscher nicht an der Ausübung seiner Pflicht, verstanden? Das ist ein Befehl!“

„Aye, Sir“, murmelte der Schmied von Arwenack.

„Philip“, sagte der Seewolf zu seinem Sohn. „Lauf in die Kombüse und hol eine Flasche Rum. Shane soll ruhig einen ordentlichen Schluck davon nehmen, aber erst, wenn der Kutscher ihn fertig verbunden hat.“

„Ja, Dad, Sir“, gab Philip junior zurück. Und fort war er, flitzte über die Kuhl zum Kombüsenschott, öffnete es und schlüpfte in das Allerheiligste des Kutschers, um die gewünschte Flasche zu holen.

Hasard ließ seinen Blick weiter nach links wandern und sah das Boot, das eben außenbords auftauchte, von den Männern höher gehievt und dann binnenbords geholt wurde. Vorsichtig fierten sie es auf die Kuhl ab. Batuti und Richard, der mittlerweile nun doch zu sich gekommen war, stiegen aus.

Der Gambia-Mann, Jeff Bowie und Bob Grey dirigierten Luc und Richard vor sich her, führten sie zum Vordecksschott und brachten sie ins Kabelgatt, um sie dort ausbruchssicher einzusperren.

Hasards Blick wanderte wieder über Deck und verharrte auf Alewas Gestalt. Sie schien den Männern, die sich rund um sie herum aufgebaut hatten, gerade etwas über die Begebenheiten an Land erzählt zu haben, soviel ließ sich aus ihrer ernsten Miene und ihren Gesten schließen. Dan O’Flynn stand dicht vor ihr und sagte auf spanisch: „Toll, wie du dich aus Louis’ Griff befreit hast, Alewa. Aber wie konntest du wissen, daß die Pistole nicht geladen war?“

„Einmal hat er auf mich geschossen und dann nicht nachgeladen. Keine Zeit dazu gehabt“, erklärte sie, und ein feines Lächeln stahl sich in ihre Züge.

„Ein hübsches Kind“, sagte die Rote Korsarin. „Und rein wie die Natur, nicht wahr? Hat sie dich auch geküßt?“

„Ja.“

„Sie sind schon hinreißend, diese Hawaii-Mädchen, nicht wahr?“

Er sah sie an. „Ich finde deine Bemerkung ziemlich unpassend und unangebracht. Alewas Leute schweben sicherlich in der gleichen tödlichen Gefahr, in der sie sich bis vor kurzem befunden hat. Da solltest du nicht auch noch sticheln, Siri-Tong.“

Sie nahm es hin, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ja, du hast recht, ich sehe es ein. Aber wenn das so ist, dann dürfen wir keine Zeit verlieren. Wir müssen handeln. Die Piratenbande könnte sich aus Wut über unsere Landung über die gefangenen Insulaner hermachen. Denn Zegús Leute und auch Thomas Federmann befinden sich doch in der Gewalt der Seeräuber; nicht? Oder wie ist das eigentlich?“

„Das will ich gerade von dem Mädchen erfahren“, sagte der Seewolf und ging zu Alewa hinüber. Siri-Tong, Ben Brighton, Old O’Flynn, Smoky und Hasard junior folgten ihm auf dem Fuß. Philip junior, der die Flasche Rum gerade an den Kutscher übergeben hatte, schloß sich ihnen an.

Der Seewolf bedeutete dem Polynesiermädchen, sich auf dem Rand der Kuhlgräting niederzulassen. Er selbst nahm neben ihr Platz und begann: „Wann sind die Piraten auf Hawaii gelandet?“ Er hielt es für das beste, gezielte Fragen an sie zu richten. So gut, daß sie einen kompletten, zusammenhängenden Bericht liefern konnte, war ihr Spanisch nun doch wieder nicht.

Sie dachte nach und hielt schließlich die gespreizten Finger beider Hände hoch. „Zehn – zehn Tage. Richtig?“

Die Zeitrechnung der Bewohner von Hawaii schien sich von der der Europäer wesentlich zu unterscheiden, doch Thomas Federmann mußte auch diese Art des Denkens und Messens in seinem Bestreben, ihnen soviel wie möglich über die abendländische Kultur zu vermitteln, an seine eingeborenen Freunde weitergegeben haben.

„Zehn Tage nur“, sagte Hasard nachdenklich. „Ich dachte, die Franzosen hätten sich schon seit längerer Zeit auf der Insel niedergelassen.“ Er sprach spanisch, damit auch Alewa ihn verstand.

„Vielleicht sind wir gerade rechtzeitig gekommen“, warf Siri-Tong ein. „Das ist ja ein toller Zufall.“

„Warte“, sagte er. „Nicht so voreilig.“

Alewa blickte sie alle der Reihe nach an, ihre Augen waren geweitet, als wäre sie von einer wunderbaren Erscheinung überwältigt. „Pele – die Göttin der Feuerseen –, sie hat euch geschickt“, sagte sie. „Sie hat Alewas Flehen erhört.“

„Alewa“, fuhr der Seewolf in seiner Befragung fort. „Wo sind die anderen? Deine Schwestern und Brüder? Zegú, der König von Hawaii – und Thomas Federmann, unser deutscher Freund?“

„Fort …“

„Was? Alle fort?“

Sie holte tief Luft, dann entgegnete sie: „Nicht alle, Lobo del Mar. Zwei Schiffe erschienen vor zehn Tagen. Zwei. Jedes mit drei Bäumen.“

„Masten“, berichtigte Hasard.

„Ja, Masten. Männer landeten, und wir dachten, sie wären Freunde. Zegú ließ Musik spielen und Tänze vorführen. Wir Mädchen hängten Fremden Kränze aus Blumen um. Dann kam das Böse …“

„Die Franzosen zeigten sich von ihrer üblen Seite?“

„Ja. Ein kurzer Kampf – zwei Brüder von uns wurden getötet. Wir weinten und klagten. Die Piraten wollten uns Mädchen in den Busch schleppen. Aber Thomas Federmann half uns. Er rettete uns.“

„Dieser Teufelskerl“, entfuhr es Siri-Tong. „Aber ich möchte gern wissen, wie er das fertiggebracht hat. Die Freibeuter sind wie die wilden Tiere. Es erscheint mir unwahrscheinlich, daß er das verhindern konnte.“

„Warte doch“, sagte der Seewolf noch einmal. Zu Alewa gewandt, erkundigte er sich: „Was tat Thomas Federmann?“

„Sagte, er würde ihnen seinen Schatz schenken.“

„Seinen Schatz?“

„Ach, ich weiß schon!“ rief Carberry. „Sir, die ‚Pieces of eight‘, die Achterstücke, die wir ihnen damals hiergelassen haben. Der Anteil der Insulaner am Schatz der ‚Santa Ana‘.“

„Ja, ja“, sagte Alewa aufgeregt. Obwohl der Profos englisch gesprochen hatte, hatte sie doch die Wörter „Pieces of eight“ und „Santa Ana“ verstanden. „Nao de China“, stieß sie hervor. „Die Manila-Galeone. Thomas Federmann hat die Münzen vergraben, damals. Wie Lobo del Mar ihm gesagt hatte.“

„Himmel“, sagte der Seewolf. „Er wollte sie nicht annehmen, aber ich riet ihm dazu. Ich war der Meinung, eines Tages könnte der Stamm das Geld doch vielleicht gebrauchen. Wenn ich gewußt hätte, daß er es benutzen müßte, um sich und seine Freunde freizukaufen, hätte ich das wahrscheinlich anders formuliert.“

„Piraten waren gierig. Ließen von uns ab. Drohten Thomas, er würde sterben, falls gelogen“, fuhr Alewa erregt fort. „Dann Mitte der Insel, Hügel. Dort graben, viel graben. Thomas und vier Männer des Stammes. Masot brüllte los wie böser Geist, als er dann Achterstücke sah.“

„Masot? Wer ist das?“ wollte Hasard wissen.

„Der Anführer.“

„Moment mal, ich denke, das ist Louis.“

Sie schüttelte den Kopf. „Masot Häuptling. Louis Unterhäuptling von anderes Schiff. Louis hiergeblieben mit Hälfte von Horde. Masot mit den anderen auf größerem Schiff fort. Fort – vor sieben Tagen.“

„Masot ist der wirkliche Piratenführer“, sagte Hasard versonnen. „Louis ist der Kapitän auf dem zweiten Segler, untersteht aber Masots Kommando. So weit, so gut. Warum aber haben sie sich getrennt?“

Alewa wußte die Antwort: „Piraten waren wie im Rausch über den Fund. Konnten sich gar nicht beruhigen. Thomas sagte ihnen, er wüßte, wo mehr Silbergeld und Gold liegt.“

„Masot glaubte ihm?“

„Ja.“

„Das hätte ich nach dem Ausgraben von mehr als einer halben Million Achterstücke auch getan“, sagte der Seewolf. „Ein überzeugenderes Argument als die Münzen gab es wohl nicht. In seinem Freudentaumel hätte Masot es Thomas wohl auch abgenommen, wenn dieser behauptet hätte, er hätte sämtliche Schätze der Spanier und Portugiesen auf der Insel zusammengetragen. Ich schätze, Thomas hat dies entsprechend ausgenutzt.“

„Masot befragte ihn“, erklärte Alewa in ihrem etwas holprigen, akzentgeladenen Spanisch. „Thomas antwortete, anderer, größerer Schatz wäre auf anderer Insel vergraben. Er zeigte Karte vor.“

„Eine Karte?“ wiederholte Old O’Flynn verblüfft. „Wie denn das?“

„Du vergißt, daß Thomas Federmann ein geborener Künstler und hervorragender Maler und Zeichner ist“, erwiderte Hasard. „Ich glaube, er hat viele Phantasiekarten skizziert, von der Südsee und von anderen Teilen der Welt, und eine von diesen Zeichnungen muß er wohl diesem Masot unter die Nase gehalten haben.“

„Und dann hat Masot ihn als Geisel mitgenommen und ist aufgebrochen, um den riesigen Schatz zu heben?“ fragte die Rote Korsarin.

„Mit großem Schiff“, sagte Alewa. „Und Zegú und zwanzig andere Gefangene an Bord. Auch Mara und, Hauula, Alewas Freundinnen, dabei. Sie müssen alle sterben, wenn Masot den Schatz nicht findet.“

Hasard stieß einen leisen Pfiff aus. „Donnerwetter, ich verstehe ja, daß Thomas einen Teil der Piraten von Hawaii fortlocken wollte, aber er hat trotzdem hoch gesetzt. Was will er Masot denn noch alles vorschwindeln? Und glaubt er denn im Ernst, daß er sich und die anderen befreien kann?“

„Er hofft es“, sagte Ben Brighton. „Er klammert sich an diese Möglichkeit. Ich kann begreifen, wie ihm zumute ist.“

„Ja, sicher, Ben, ich natürlich auch“, meinte der Seewolf. „Noch etwas kommt hinzu. Thomas rechnet sich aus, daß die auf Hawaii zurückgebliebenen Insulaner sich früher oder später gegen Louis und die übrigen Freibeuter erheben, eine Revolte vom Zaun brechen und die Bezwinger im Kampf besiegen. Wahrscheinlich denkt er, daß sie es dank ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit schaffen können.“

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