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Читать книгу: «Moderne Geister», страница 36

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III

Die psychologische Analyse ist nun so weit geführt, dass wir den Standpunkt dieses Geistes so sehen können, wie ihn das litterarische Bewusstsein und Streben seiner Zeitgenossen beleuchtet. Ich sage ausdrücklich seine Zeitgenossen, nicht sein Volk, denn Ibsen ist ein ebenso ausgeprägt europäischer Geist, wie Björnson trotz seiner kosmopolitischen Bildung national ist. Die Stellung eines Dichters zu den Zeitgenossen – das heisst genauer das Verhältniss, in welchem er zu den Ideen und Formen seiner Zeit steht. Jede Zeit hat ja ihre Ideen, welche innerhalb der Kunst als Gestalten und Ideale auftreten.

Die Ideen stammen nicht von den Dichtern her. Sie tauchen auf bei der Arbeit der Denker und Forscher; sie treten hervor als grosse, geniale Ahnungen von den Verhältnissen und Gesetzen der Wirklichkeit; sie entwickeln und gestalten sich unter naturwissenschaftlichen Versuchen, unter historischer und philosophischer Forschung; sie wachsen, läutern sich und erstarken im Kampfe für und gegen ihre Wahrheit, bis sie, wie die Engel der Bibel, ihre Schwingen entfalten, zu Mächten, Thronen, Fürstenthümern werden und die Zeitgenossen beherrschen.

Ideen hervorzubringen, das ist nicht die Sache noch der Beruf der Dichter. Die echten Dichter aber werden, während die Ideen im Wachsen begriffen sind und sich durchkämpfen müssen, von ihnen erfasst und stellen sich mitkämpfend auf ihre Seite. Sie werden hingerissen und können nicht anders; sie verstehen, ohne immer gelernt zu haben. – Die schlechten Poeten, jene, welche nichts anderes vom Dichter an sich haben als die ererbte oder erworbene Routine, haben kein Ohr für das dumpfe Tosen der Ideen, die unter der Erde ihre Minen graben, kein Ohr für ihren Flügelschlag in der Luft. Heine sagt in der Vorrede zu „Neue Gedichte“: „Während dem Schreiben war mir, als hörte ich über meinem Haupte ein Rauschen wie den Flügelschlag eines Vogels. Als ich meinen Freunden, den jungen Berliner Dichtern, davon erzählte, sahen sie sich einander an mit einer sonderbaren Miene und versicherten mir einstimmig, dass ihnen nie Dergleichen beim Dichten passirt sei“. Dieses Rauschen, welches die Berliner Dichter nie gehört hatten, war eben jener Flügelschlag der Ideen.

Ohne Ideen kann indessen kein Dichter etwas hervorbringen. Die schlechten Poeten haben desshalb auch welche, diejenigen der Vergangenheit nämlich; und diese, denen die Meister der älteren Periode einen ausgezeichneten dichterischen Ausdruck verliehen, geben sie nun in mattem, schlaffem Ausdruck wieder. Die Ideen der Gegenwart kommen ihnen in der Regel ganz und gar „unpoetisch“ vor: sie halten es für unmöglich, diesen Gedanken Poesie abzugewinnen.

Aber der Dichter, welcher schon in seiner Jugend (in den „Kronprätendenten“) den denkwürdigen Satz schrieb: „Für Euch ist's unausführbar, denn Ihr könnt einzig die alte Sage wiederholen, aber für mich ist's leicht, wie es leicht für den Aar ist, die Wolken zu zertheilen“, hat sich niemals dauernd von den Gedanken seines Zeitalters schrecken lassen. Mancher neuen Idee hat er Fleisch und Blut gegeben, und indem er sie verkörperte, half er zu ihrer Verbreitung; manchen zeitgenössischen Gedanken hat er erweitert und vertieft, indem er denselben mit seinem Gefühlsquell durchströmte. Wie stark Ibsen die Nothwendigkeit eines lebendigen Verhältnisses zu den keimenden Ideen gefühlt, das ahnt man, wenn man die schönen Strophen liest, in welchen Garnknäuel, trockene Blätter und geknickte Halme Peer Gynt anklagen:

 
Wir sind die Gedanken,
Die du hättest denken sollen.
 
 
Wir strebten nach vollen,
Rauschenden Chören,
Und müssen hier rollen —
Wer mag uns hören?
 
 
Wir sind das Feldgeschrei
Das du hättest verkünden sollen;
Im matten Einerlei
Hast du es nicht finden wollen.
 
 
Die Werke sind wir,
Die zu üben du säumtest;
Doch geknickt sind vom Wind wir,
Während zweifelnd du träumtest.
 

Anklagende Worte, womit der Dichter in schlaffen Zeiten sich selbst angespornt haben mag, die man sich aber unmöglich in Form einer Selbstanklage Peer Gynts vorstellen kann. Wie hätte der jämmerliche Peer jemals eine Loosung aufstellen können, wie kann er sich vorwerfen, es unterlassen zu haben!

Sehen wir nun, welche Ideen und Stoffe das Bewusstsein des Zeitalters vorzugsweise erfüllen. Sie fallen, wie ich glaube, in folgende Gruppen:

Erstens solche Ideale und Stoffe, welche Bezug haben auf die Religion, das heisst, das Ehrfurchtsverhältniss der Menschen zu Ideen, die als Mächte betrachtet werden – von Einigen als äussere, von Anderen als innere Mächte – besonders solche Stoffe, die auf die Kämpfe zwischen denen Bezug haben, welche jene Ideen als äussere, und denen, die sie als innere Mächte auffassen.

Demnächst solche Stoffe und Ideale, die sich auf den Unterschied beziehen zwischen zwei Zeitaltern: Vergangenheit und Zukunft, Alt und Jung oder Altes und Neues, besonders auf den Kampf zwischen zwei aufeinander folgenden Generationen.

Ferner solche, welche auf die Gesellschaftsklassen und ihren Lebenskampf Bezug haben, auf Standesvorurtheile, besonders auf den Unterschied zwischen Reich und Arm, socialem Einfluss und socialer Abhängigkeit.

Endlich eine ganze Gruppe von Ideen und Stoffen, die sich auf den Gegenstand der Geschlechter beziehen, auf das gegenseitige erotische oder sociale Verhältniss von Mann und Weib, ganz besonders auf die ökonomische, sittliche und geistige Emancipation der Frau.

Die religiösen Stoffe und Probleme sehen wir in unseren Tagen höchst verschiedenartig, wenn auch überall in modernem Geiste behandelt. Man durchlaufe in der Erinnerung einige Hauptnuancen. Bei dem grössten Dichter der älteren Generation in Frankreich, Victor Hugo, macht sich, trotz seiner leidenschaftlichen Freidenkerei, ein unbestimmter, pantheistisch gefärbter Deismus geltend; man spürt bei ihm noch den Einfluss des vorigen Jahrhunderts; die Religion wird verherrlicht auf Kosten der Religionen, die Liebe als vereinigende Macht gepriesen im Gegensatz zum Glauben, der trennt und zersplittert. Bei den hervorragendsten Dichtern des nächsten Geschlechts, wie Flaubert, wird die Religion mit wissenschaftlicher Kälte, doch stets von der Schattenseite dargestellt; für ihn und seine Geistesverwandten ist sie eine Hallucination, an die man glaubt. Der grösste englische Dichter unserer Tage, Swinburne, ist ein leidenschaftlicher, poesiereicher Heide; das Christenthum als Naturverleugnung aufgefasst, ist für ihn der Feind, welchen er bekämpfen will. Der grösste unter den modernen italienischen Dichtern, Leopardi, versenkte sich in einen erhabenen metaphysischen Pessimismus, welcher in stoische Resignation ausmündet; Carducci, der erste von Italiens jetzt lebenden Dichtergeistern, ist ebenso modern und noch mehr polemisch. In der Schweiz und in Deutschland haben die ersten Dichter, wie Gottfried Keller, Paul Heyse, Fr. Spielhagen, in ihren Werken einen seelenvollen atheistischen Humanismus verfochten.

Im Norden war die Constellation besonderer Art. Die dänischen Dichter der hervorgehenden Periode hatten durchgehends der Orthodoxie gehuldigt; der einzige philosophisch angelegte unter ihnen, J. L. Heiberg, welcher anfänglich protestirt hatte, endigte damit, der Kirchenlehre, wenigstens anscheinend, Einräumungen zu machen (im Gedicht „Gottesdienst“); und die Versuche, welche in Dänemark gemacht wurden, um die Autorität der Kirche zu untergraben, Kierkegaards gewaltsame Angriffe auf die Staatskirche, waren nicht gegen die Lehre, sondern gegen deren Bekenner gerichtet, namentlich insofern das Leben der Pfarrer nicht mit der Lehre übereinstimmte. Diese Haltung Kierkegaards ist für die dänisch-norwegische schöne Litteratur bis auf die jüngste Zeit bestimmend gewesen. Die moderne Poesie in Dänemark und Norwegen hat selten oder nie die objective Seite der Sache, das Wesen der Religion, sondern fast ausschliesslich die subjective Seite berührt; darauf beruht der ausserordentliche Reichthum an Priestergestalten in dieser Litteratur, sowohl bevor als nachdem die Schriftsteller sich von der Rechtgläubigkeit emancipirten. Die Priester in Björnson's und Magdalena Thoresen's Bauernerzählungen bezeichnen den Standpunkt vor der Emancipation, diejenigen in Schandorph's, Kielland's, Ibsen's neueren Werken den Standpunkt darnach.

Ibsen folgt der von Kierkegaard angegebenen Spur. Wie alle nordischen Männer seiner Generation im Zeitalter der Romantik aufgewachsen, beginnt er in seinem Verhältniss zur Religion mit Unklarheit. Ausserdem war in seiner Natur ein doppelter Hang, der ihn innerem Ringen aussetzen musste; eine Neigung zur Mystik und eine ebenso ursprüngliche Anlage zu schneidendem, trockenem Verstand. Bei wenigen Andern findet man einen solchen fast krampfhaften Aufschwung vereinigt mit einem solch ruhigen Weilen bei der Prosa des Lebens. „Brand“ und „Stützen der Gesellschaft“ sind in einem Hauptpunkte so verschieden, dass sie von zwei verschiedenen Verfassern herrühren könnten. Das erstere Werk ist in seinem Wesen die lautere Mystik, das andere dreht sich um die reine Prosa. Dort eine bis zum Aeussersten exaltirte, hier eine gut bürgerliche Moral.

Für Niemand, der nordische Gemüthszustände kennt, kann ein Zweifel darüber obwalten, dass „Brand“, welches Werk Ibsen's Dichterruhm begründete, nur darum so grosse Aufmerksamkeit erregte, weil es als eine Art poetischer Predigt, als eine Strafrede, ein Erbauungsbuch betrachtet wurde. Nicht die wirklichen Vorzüge der Dichtung waren es, welche der Menge imponirten und die vielen Auflagen veranlassten, – nein man strömte in die Buchläden, um „Brand“ zu kaufen, wie man in die Kirche strömt, die einen neuen, scharf eifernden Prediger bekommen hat. In Privatäuserungen hob Ibsen indessen ausdrücklich hervor, dass Brand's Wirksamkeit als Priester nur die rein äusserliche, zufällige Seite der Sache sei. In einem Briefe vom 26. Juni 1869 schreibt er:

„… Brand ist missdeutet worden, jedenfalls was meine Intention betrifft … Die Missdeutung hat offenbar ihre Ursache darin, dass Brand ein Priester und das Problem in's Religiöse gelegt ist. Ich würde im Stande sein, den ganzen Syllogismus ebenso gut über einen Bildhauer oder einen Politiker zu machen, wie über einen Priester. Ich könnte mich von der Stimmung, die mich zur Produktion trieb, ebenso gut dadurch befreit haben, wenn ich anstatt Brand z. B. Galilei behandelt hätte (mit der Aenderung natürlich, dass er sich stramm gehalten und das Stillestehen der Erde nicht eingeräumt hätte), ja wer weiss – wär' ich hundert Jahre später geboren, so hätte ich vielleicht ebenso gut Sie selbst und Ihren Kampf gegen Rasmus Nielsen's Vergleichsphilosophie behandelt. Im Ganzen genommen ist mehr Objectivität in „Brand“, als man bis jetzt darin gesucht; und darauf thu' ich mir, qua Poet, etwas zu Gute …“

Obschon ich sonst alles Persönliche aus diesen Citaten sorgfältig zurückhielt, führe ich hier die scherzhafte Hindeutung auf litterarische Streitigkeiten jener Tage an, weil sie beweist, wie wenig das Priesterliche Ibsen hier die Hauptsache war. Einen weiteren Beweis davon gibt die Aeusserung in einem Briefe, den ich von Ibsen erhielt, als ich über der Einleitung zu meinem Buche „Hauptströmungen“ brütete. Die Stelle lautet:

„… Es kommt mir vor, als befänden Sie sich nun in derselben Krise, wie ich in jenen Tagen, als ich daran ging, „Brand“ zu schreiben; und ich bin gewiss, dass auch Sie das Heilmittel finden werden, welches die Krankheit aus dem Körper treibt. Ein energisches Produciren ist eine vortreffliche Cur …“

Wie man sieht, liegt nach des Dichters eigener Auffassung in „Brand“ das Hauptgewicht in der Opferwilligkeit und Charakterstärke, nicht in der Lehre. Obwohl Ibsen selbstverständlich der beste, der einzig competente Richter ist über das, was er mit seinem Werk beabsichtigte, so unterschätzt er doch nach meiner Meinung die Stärke des Unbewussten, wovon er gedrängt wurde, gerade diesen Stoff zu wählen und keinen anderen; und dieses Unbewusste war, wie ich glaube, sein norwegisch romantischer Hang zur Mystik. Doch selbst wenn man Brand genau nach Ibsen's Deutung auffasst, so ist gleichwohl die Parallele mit religiösen Gestalten im nordischen Geistesleben eine sehr naheliegende. Den Dänen musste es vorkommen, als hätte Ibsen ausschliesslich Kierkegaard in mente gehabt; denn auch Dieser legte ja das ganze Gewicht auf die persönliche Innigkeit. Ein norwegischer Freier Priester, Namens Lammers, der übrigens von Kierkegaard beeinflusst war, hat indessen, wie der Dichter mir einmal andeutete, an der Figur des Brand grösseren Antheil gehabt, als irgend eine litterarische Einwirkung von dänischer Seite.

In „Kaiser und Galiläer“ ist der Einfluss des Kierkegaard'schen Standpunktes, obgleich immer noch stark, schon im Abnehmen. Zwar ist auch hier die Märtyrer-Begeisterung als Kraftmesser für die Wahrheit aufgestellt; Zwar ist die psychologische Grundansicht des Stückes die, dass nur die Lehre innere Wahrheit besitzt, welche im Stande ist, Märtyrer hervorzubringen; aber hiermit vereinigt sich ein in halb mystischem, halb modernem Geist durchgeführter Determinismus, ferner ein Schopenhauer'scher Glaube an den unbewussten und unwiderstehlichen Weltwillen, endlich eine moderne Prophezeihung von der Ablösung sowohl des Heidenthums wie des Christenthums durch ein drittes Reich, das beide verschmelzen wird. Bezeichnend für Ibsen's geistigen Habitus ist, dass die beiden Male, wo er religiöse Stoffe behandelt, all' das, welches Kampf und Streben vergegenwärtigt, unendlich mehr hervortritt und viel besser gelungen ist, als die Darstellung der Versöhnung und Harmonie. „Das dritte Reich“ steht in „Kaiser und Galiläer“ ebenso undeutlich im Hintergrund, wie jener Deus caritatis, mit welchem „Brand“ schliesst.

Stoffe, die sich um das Verhältniss zwischen zwei auf einander folgende Zeitaltern oder Generationen, oder schlichtweg um das Verhältniss zwischen zwei Lebensaltern drehen, welche in modernen Werken in Russland, Deutschland, Dänemark und Norwegen von so vielen Seiten und auf so verschiedene Weise behandelt worden sind, haben auch Ibsen beschäftigt: in seiner ersten Periode in den „Kronprätendenten“, beim Uebergang zu seiner zweiten Periode im „Bund der Jugend“. Beide Dramen sind ausgezeichnete Werke, aber keines von ihnen hat seine Stärke in historischem Blick oder historischer Unparteilichkeit.

„Die Kronprätendenten“ ist kein wirklich historisches Drama. Es war nicht der Plan des Dichters, durch eine Reihe von Bildern aus der Vergangenheit uns eine Vorstellung von der Menschennatur zu geben, wie sie unter bestimmten Verhältnissen in einer bestimmten Zeit auftrat; er ging nicht von einem historischen Standpunkt aus, sondern gebrauchte das Historische nur als Vorwand. Der Hintergrund des Stückes ist mittelalterlich, der Vordergrund modern; denn Jarl Skule ist eine moderne Figur. Die historische Auffassung würde dazu geführt haben, Skule als Vollblut-Aristokraten und Bischof Nikolas als fanatischen, aber ehrlichen Klerikalen darzustellen. Denn Skule's Kampf gegen Hakon bezeichnet historisch den letzten misslungenen Versuch der Aristokratie, die königliche Gewalt einzuschränken, und der Kampf des Bischofs den vom Standpunkte der Geistlichkeit berechtigten Hass gegen den Kirchenfeind und Usurpator Sverre und sein Geschlecht. Statt dessen hat Ibsen Bischof Nikolas zu einem Unmenschen gemacht, welcher als Finsterling den Neid, die Zwietracht in Norwegen durch die Zeiten hindurch symbolisirt, und Skule zu einem Ehrgeizigen, der, nach dem höchsten Ziele strebend, von einem unglücklichen Zweifel an seinem Recht und Beruf gepeinigt wird, jenes Ziel zu erreichen. Hakon und Skule stehen sich zwar gegenüber als Vertreter zweier Zeitalter; da aber des Dichters Interesse für das Psychologische so viel grösser ist als sein Sinn für das Historische, wird jener Gegensatz ganz zurückgedrängt von dem Unterschied zwischen den individuellen Charakteren und ihrem Verhältniss zu Einer Idee. Hakon vertritt den „Königsgedanken“, den er zuerst gedacht hat, und geht darin auf; Skule vertritt keine ältere historische Idee, sondern nur den Mangel an Selbstvertrauen. Er stiehlt Hakon's Königsgedanken, um dadurch sich die Berechtigung zum Thron zu verschaffen. Dies gelingt ihm nicht; der Skalde erklärt ihm, dass ein Mann nicht für das Lebenswerk eines Andern leben könne, und Skule selbst erkennt die Wahrheit hiervon an. Ganz klar ist der Gedanke des Skalden nicht ausgedrückt. Denn warum sollte man nicht für fremde Ideen leben können, die man sich anzueignen und in sein eigenes Fleisch und Blut zu verwandeln suchte, natürlich ohne sie zu stehlen und sich für den Erfinder auszugeben? Der Diebstahl, nicht das Leben für fremde Ideen wär's, was Einen unglücklich machen würde. Das ist's auch, was Skule's Unglück verursacht. Aber die Sache ist, dass Ibsen zufolge seines ganzen Naturells sich mehr für die Kämpfe interessirt, welche in der einzelnen Persönlichkeit vorgehen, als für die Kämpfe zwischen historischen Mächten. Das, was ihn an Skule fesselte und diesen zur Hauptperson des Stückes machte, war das „Interessante“ an dieser Gestalt, ihre zusammengesetzte Natur, ihr kämpfender Geist, der selbst im Unrecht Hakon's fertiges, siegesgewisses Wesen überstrahlt, es war die verzweifelte Kraft in diesem grossen Grübler, der wie der Grübler Nureddin in Oehlenschläger's berühmtem Gedicht trotz der Sehnsucht nach der Zauberlampe, trotzdem er Aladdin's Lampe entwendet, zu Grunde gehen muss: er ist ein Geist, der höher hinauf will, als er vermag; und diese selbe Vorstellung ist's, welche in Bischof Nikolas variirt wird, dessen grosse Gaben in lauter theils körperlich, theils geistig ohnmächtigen Begierden und Wünschen zu Grunde gegangen sind. Der Kampf zwischen Fähigkeit und Sehnen, zwischen Wille und Möglichkeit in der Seele des Einzelnen, dies Verhältniss, welches schon in „Catilina“ und in „Gunnar“ (in „Nordische Heerfahrt“) angedeutet wurde, tritt hier in Skule's Verhältniss zu dem Gedanken Hakon's von neuem hervor. Skule steht dem Königsgedanken gegenüber wie Julian dem Christenthum, betroffen durch die Ahnung von der Grösse der Macht, welche er bekämpft, in einer unheilbar schiefen Stellung zu der grossen siegreichen Idee. Das psychologische Interesse schlägt das historische aus dem Felde.

Das Verhältniss zwischen zwei auf einander folgenden Generationen ist ferner dargestellt im „Bund der Jugend“, ein Lustspiel, das in äusserst witziger Weise eine Parodie auf das Streben eines jüngeren Geschlechtes liefert, ohne zugleich dessen Berechtigung zuzugeben. Man kann diese Arbeit nicht mit Werken vergleichen, wie Turgenjew's „Väter und Söhne“ oder „Neuland“, welche mit grosser Strenge gegen das jüngere Geschlecht Schonungslosigkeit gegen das ältere verbinden und nichtsdestoweniger beide mit Sympathie umfassen. Ibsen's Pessimismus hat die Sympathie zurückgedrängt. Der einzige ehrenvolle Vertreter des jüngeren Geschlechts in diesem Stücke ist Dr. Feldmann, eine ganz passive Natur. Dass er Arzt ist, dürfte kaum ein Zufall sein; der tüchtige Arzt spielt überhaupt eine schöne Rolle in der modernen Poesie, er ist augenscheinlich der Held der Zeit. Die Ursache ist wohl, dass er als Incarnation von den streng modernen Ideen der Zeit gelten kann, welche sind: theoretisch die Wissenschaft, welche sich zu den Gegensätzen Wahr und Falsch verhält, praktisch die Humanität, welche sich auf die Gegensätze Glücklich und Leidend bezieht, jene Gegensätze, die psychologisch und social das Zeitalter in Anspruch nehmen.

In Schiller's Dramen ebenso wie in denen des Jungen Deutschlands spielt der Kampf für politische und geistige Freiheit eine Hauptrolle. Auch die Standesunterschiede sind in verschiedenen deutschen Schauspielen aus einem jüngeren Zeitraum ein beliebtes Thema, selten dagegen hat in früheren Zeiten die Poesie herangezogen, was man heutzutage „das sociale Problem“ nennt. In der schönen Litteratur unserer Tage hat allmälig die sociale Frage die politische vom hervorragendsten Platze verdrängt. Die moderne Poesie lässt sich in manchen Ländern durch das Mitleid mit den kleinen Leuten inspiriren; sie erinnert die Bessergestellten an ihre Pflichten. Diese Frage ist keine von denen, welche Ibsen als Dichter stark beschäftigten, aber dennoch hat er sie nicht selten berührt. Als er „Catilina“ schrieb, war er noch zu unentwickelt, um sociale Probleme zu verstehen; doch viele Jahre später führte er in „Stützen der Gesellschaft“ einen Schlag gegen die leitenden Klassen in seinem Vaterland. Eine socialpolitische Tendenz hatte das Stück bekanntlich durchaus nicht, aber so tief ist der darin enthaltene Pessimismus, dass, wenn man mit nordischen Verhältnissen und namentlich mit der Stellung des Dichters zu seinem Publikum nicht bekannt war, man eine solche Tendenz herauslesen konnte. Als das Stück in Berlin aufgeführt wurde, gaben manche Zuschauer (und, wie ich versichern kann, nicht die unverständigsten) sich dem Irrthum hin, es sei von einem Socialisten geschrieben. Ich musste Einigen erklären, dass es vielmehr den (damaligen) Lieblingsdichter der conservativen Partei in Norwegen zum Verfasser habe.

In dem Schauspiel „Stützen der Gesellschaft“, das sich wie ein Supplement zum „Bund der Jugend“ ausnimmt, kommen indess so wenig wie im letztgenannten Lustspiel die beiden Seiten der Sache zum Vorschein. Ibsen wirkt hier, wie überall, durch Einseitigkeit.

Das Verhältniss zwischen Mann und Frau ist eines von denen, welche ihn am stärksten beschäftigt haben, und wo er am meisten originell und modern empfunden hat.

In seinen ersten Jugendarbeiten ist dies Verhältniss noch etwas traditionell behandelt. In „Das Fest zu Solhaug“ ergreift er dasselbe Motiv, welches Björnson später in „Hulda“ behandelt hat: die Stellung des jungen Mannes zwischen der etwas älteren Frau, die er als Jüngling geliebt, und dem jungen Mädchen, um das er nun gern werben möchte – ein allgemein menschliches, wenn auch schon häufig variirtes Motiv. Demnächst stellt Ibsen in „Catilina“ und in „Die Herrin von Oestrot“ ein und dasselbe etwas gesuchte, aber ergreifende Motiv dar: wie ein Mann nach übel verbrachter Jugend durch seine Liebe zu einem Mädchen gestraft wird, das ihn trotz ihrer Gegenliebe verabscheut und verflucht, weil er dessen Schwester verführt und frühzeitig in's Grab gebracht hat.

Dann nimmt der Dichter in der „Komödie der Liebe“ zum ersten Male die erotischen Zustände in seinem Vaterlande als Thema auf. Eine nicht geringe Anregung hatte er augenscheinlich durch die damalige nordische Litteratur erhalten. Während Björnson in seiner ersten Periode sich von Volkssagen und Volksdichtungen beeinflussen liess, war Ibsen schon in seiner frühesten Zeit durch die fortgeschrittensten zeitgenössischen Geister in Bewegung gesetzt. Es ist etwas in der Inspiration der „Komödie der Liebe“, das sich auf Camilla Collett's „Die Amtmannstöchter“ zurückführen lässt. Dies kühne Buch erfüllte zu jener Zeit alle nordischen Gemüther; es richtete bereits sehr witzig, nur etwas formloser, den ganzen Angriff gegen Verlobungen und Ehen, der in Ibsens Drama mit männlicher und festerer Hand geführt ist. In Gleichnissen und Bildern verspürt man an einzelnen Punkten Frau Collett's Einfluss. Das in Ibsen's Wiedergabe so berühmte Thee-Gleichniss stammt von ihr. In den „Amtmannstöchtern“ heisst es von der Liebe:

„Beschütze denn, o Menschheit, diese erste Blüthe unseres Lebens … Achte auf ihr Wachsthum und ihre Frucht … Zerstöre nicht leichtsinnig die zarten Herzblättchen in dem Glauben, dass die gröbern Blätter nachher noch gut genug sind … Nein, sie sind nicht gut genug! Es ist ein ebenso grosser Unterschied zwischen diesen beiden Arten, wie zwischen der Sorte Thee, mit welcher wir gewöhnlichen Erdbewohner fürlieb nehmen, und jener, wovon der Kaiser des himmlischen Reiches trinkt, welche erst der wirkliche Thee ist; der wird zuerst geerntet und ist so fein und zart, dass er mit Handschuhen gepflückt wird, nachdem die Einsammler sich, glaub' ich, vierzigmal gewaschen“.

Bei Henrik Ibsen heisst es:

 
„Ach, meine Damen, jedes Mädchen hält
Ihr eigen „himmlisch Reich“ in sich verschlossen;
Da sieht man tausend zarter Keime sprossen,
Wenn der Verschämtheit Chinamauer fällt“.
 

Und die Stelle schliesst:

 
„Doch folgt noch eine zweite Ernte (beide
Verhalten sich wie Hanf zu feiner Seide),
Die man mit Schutt und Stiel zusammenharkt.
Das ist der schwarze Thee.
Der füllt den Markt“.
 

Ibsen hat dies Gleichniss nur weiter entwickelt und ihm das feste Gefüge des Verses gegeben.

Wie bekannt ist in der „Komödie der Liebe“ nichts unzweifelhaft als der Spott. Das Stück enthält eine Satyre auf die Ehe, welche gleich wenig Sympathie für die Vertheidiger wie für die Angreifer des Bestehenden einflösst und aus der man unmöglich entnehmen kann, ob des Dichters Meinung in letzter Instanz dahin geht, an dem Ueberlieferten festzuhalten oder es über den Haufen zu werfen. Das einzige Gewisse ist nur sein misanthropischer Blick auf die Verlobungen und Ehen, welche rings um ihn her geschlossen werden. Ich entsinne mich eines Gesprächs mit Ibsen bezüglich dieser Komödie, das sich um die Liebe zwischen Brautpaaren im Allgemeinen drehte. Ich sagte: „Es gibt kranke Kartoffeln und es gibt gesunde“. Ibsen antwortete: „Ich fürchte, ich habe niemals welche von diesen Kartoffeln zu sehen bekommen, die gesund waren“.

Indess zieht sich durch Ibsens Werke ein stets steigender Glaube an die Frau und eine stets entschiedenere Verherrlichung der Frau. Bisweilen tritt diese Verherrlichung sogar abstossend doktrinär hervor, z. B. wenn Solveig in „Peer Gynt“, in dem seit Goethe's „Faust“ und Paludan-Müller's „Adam Homo“ überlieferten Stil, durch ihre Liebe die – in diesem Falle wahrlich allzu unwürdige – Seele des Geliebten rettet; aber dieser Glaube an das Weib, durch welchen Ibsen gleichsam seine Geringschätzung des Mannes aufwägen zu wollen scheint, ist immer vorhanden, und derselbe hat eine Reihe schöner und wahrer Frauengestalten hervorgebracht, wie jene Margaretha in „Die Kronprätendenten“, die in wenigen Strichen in unvergänglicher Schönheit gezeichnet ist, oder jene Selma in „Der Bund der Jugend“, welche den ersten Entwurf zur Gestalt der Nora bildet. Als diese Figur noch neu war, bemerkte ich in einer Kritik, dass dieselbe nicht genug Spielraum im Stücke habe, Ibsen solle ein ganz neues Schauspiel über sie schreiben. Er that es in „Nora“.

Nach meiner Meinung war die sogenannte Emancipation der Frau im modernen Sinne Henrik Ibsen zu Beginn seiner Laufbahn durchaus nicht lieb und vertraut. Im Gegentheil. Ibsen hat ursprünglich keine sonderlich grosse Sympathie für die Frau. Es gibt Schriftsteller, die in sich eine Affinität mit dem weiblichen Wesen haben, ja bis zu einem gewissen Grade feminin angelegt sind. Zu diesen gehört Ibsen nicht. Ich glaube, er findet mehr Vergnügen daran, mit Männern zu sprechen als mit Frauen: und gewiss hat er weit weniger Zeit in der Gesellschaft von Frauen zugebracht, als sonst Dichter zu thun pflegen. Man glaube auch nicht, dass moderne Schriften über die Berechtigung einer Veränderung in der gesellschaftlichen Stellung der Frau einen begeisterten Leser in ihm fanden. Wenn ich nicht irre, so missfiel ihm Stuart Mill's Buch über die Frauenfrage recht sehr, und Mill's Schriftstellerpersönlichkeit flösste ihm keine Sympathie ein. Es war besonders die Behauptung oder das Zugeständniss Mill's, dass er seiner Frau Vieles und das Beste in seinen Schriften verdanke, welches Ibsen bei seinem ausgeprägten Individualismus lächerlich vorkam. „Denken Sie“, sagte er lächelnd, „wenn man Hegel oder Krause lesen müsste mit dem Gedanken, nicht bestimmt zu wissen, ob man eigentlich Herrn oder Frau Hegel, Herrn oder Frau Krause vor sich habe!“

Ich glaube nicht, dass bei Ibsen jener Unwille gegen die Persönlichkeit Stuart Mill's eine Sache für sich war, ohne Zusammenhang mit seinem Gefühl für die Frauenfrage. Ich vermuthe vielmehr, es fand sich bei ihm ein Anfangswiderstand, entweder durch die Erziehung oder durch einen natürlichen Aerger über die Caricaturformen der Frauenemanzipation hervorgerufen; jedoch ein Widerstand, dessen Bestimmung es war, durch einen desto leidenschaftlicheren Anschluss abgelöst zu werden. Hier war es Ibsen's Verstand, der die Umwandlung in seinem Gefühlsleben bewirkte. Er ist ächt dichterisch im Stande, mit voller Brust sich für eine Idee, die ihn zuerst kalt liess, zum Organ zu machen, wenn er fühlt, dass diese Idee einer der zukunftsreichen Kampfgedanken des Zeitalters ist. Und liest man nun die letzte Scene in „Nora“, diese Repliken, welche wie Schwertschläge fallen; diejenige Helmer's:

Niemand opfert seine Ehre, für die, welche er liebt —

und Nora's Antwort:

Das haben hunderttausend Frauen gethan —

Repliken, in welchen zwischen den beiden Eheleuten, die an dem Tisch sich gegenüber sitzen, der Abgrund sich entsetzlicher öffnet als jemals die Unterwelt in alten romantischen Dramen – so fühlt man, dass Ibsen nicht nur seine Seele mit den Gedanken der Zeit erfüllt, sondern dieselben grösser gedacht und schärfer zugeschliffen hat, so dass er sie durch seine Kunst selbst in verhärtete Herzen eintreibt. Das Stück machte einen mächtigen, wenn auch erschreckenden Eindruck. Seit Jahrhunderten hatte die Gesellschaft durch ihre Priester und Dichter die in Liebe gestiftete und von keinem Dritten gestörte Ehe als einen sicheren Hafen aufgefasst und besungen. Nun sah man, dass dieser Hafen voll Klippen und Untiefen war. Und es war, als ob Ibsen jedes Leuchtfeuer ausgelöscht habe.

Die „Gespenster“ folgten. Wieder wie in „Nora“ ist hier eine Ehe analysirt, das Gegenstück von jener. Das Grosse und Feine in „Nora“ war vornehmlich, dass Ibsen dem Ehemann so viel eingeräumt hatte. Was hatte er ihm nicht alles zugegeben! Helmer ist ein grundehrenwerther, pünktlich rechtschaffener Mann, ein vorzüglicher Haushalter, eifersüchtig auf seine Selbständigkeit Fremden und Untergebenen gegenüber, ein strenger und liebevoller Vater, ein gutherziger, ästhetisch gebildeter Mann u. s. w. – und doch! Doch war die Gattin dieses Mannes ein Opfer und die Ehe der Beiden ein übertünchtes Grab.

Der Mann in der Ehe, in welche, die „Gespenster“ uns einen tiefen Einblick geben, ist von einer gerade entgegengesetzten Beschaffenheit gewesen: roh, versoffen, rücksichtslos ausschweifend; doch besass er so viel von jener, zügellosen Menschen oft eigenen Fähigkeit, durch anscheinende Gutmüthigkeit Herzen zu gewinnen, dass es seiner Frau gerade noch möglich war, seine Lebensweise zu verhüllen und den Schein zu wahren. Indem sie bei ihm aushielt, sich ihm hingab, brachte sie nicht nur ihre persönliche Wohlfahrt und ihr Glück zum Opfer, sondern wurde Mutter eines von Geburt an zu Grunde gerichteten Wesens, eines Sohnes, den Todesmattigkeit, Verzweiflung, Wahnsinn, Idiotismus beim Eintreten des Mannesalters ergreifen – und doch! Doch nennt derjenige Theil der Gesellschaft, den Herr Pastor Manders vertritt, dieses Opfer ihrer selbst und ihres Sohnes Pflicht, und findet, dass ein Aufstandsversuch gegen dieses Grässliche ein Verbrechen gewesen wäre.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
05 июля 2017
Объем:
680 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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