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Читать книгу: «Moderne Geister», страница 35

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Für den pessimistischen Philosophen ist der Optimismus eine Art von Materialismus. In dem Umstand, dass der Optimismus auf allen Strassen gepredigt wird, erblickt der Pessimist die Ursache, dass die sociale Frage ein Weltbrand zu werden droht. Nach seiner Auffassung gilt es vor Allem, die grosse Masse zu lehren, dass sie von der Zukunft nichts zu hoffen habe, da nur die pessimistische Erkenntniss des All-Leidens die Menge über die Zwecklosigkeit ihres Strebens aufklären könne. Diese Anschauungsweise findet sich nirgends bei Ibsen. Wo er die sociale Frage berührt, wie in „Stützen der Gesellschaft“ und anderweitig, sind die Schäden stets moralischer Natur, sie beruhen in der Schuld. Ganze Gesellschaftsschichten sind verfault, ganze Reihen von Gesellschaftspfeilern sind morsch und hohl. Die Stickluft in der kleinen Gesellschaft ist ungesund; in den grossen Ländern ist Platz für „grosse Thaten“. Ein Windstoss von aussen, das heisst ein Hauch von dem Geiste der Wahrheit und der Freiheit kann die Luft reinigen.

Wenn Ibsen also die Welt schlecht findet, so fühlt er kein Mitleid mit den Menschen, sondern Entrüstung über sie. Sein Pessimismus ist nicht metaphysischer, sondern moralischer Natur, begründet in der Ueberzeugung, dass sehr wohl die Möglichkeit vorhanden ist, die Ideale in die Wirklichkeit zu überführen; er huldigt mit einem Wort dem Entrüstungspessimismus. Und sein Mangel an Mitgefühl mit manchen Leiden ist durch seine Ueberzeugung von der erziehenden Macht des Leidens bedingt. Diese kleinen, elenden Menschen vermögen nur durch Leiden gross zu werden. Diese kleine, elende, nordische Gesellschaft kann nur durch Kämpfe, Züchtigung, Niederlagen, gesund werden. Er, der selbst gefühlt, wie Missgeschick stählt, der selbst den stärkenden Heiltrank der Bitterkeit leerte, glaubt an den Nutzen des Schmerzes, des Missgeschickes, der Unterdrückung. Man sieht dies vielleicht am deutlichsten in seinem „Kaiser und Galiläer“. Ibsen hat sich augenscheinlich nicht wenig mit Schriften über und von Julian beschäftigt. Aber dennoch ist in seiner Gestalt wenig historisches. Er hat Julian dessen wirkliche Grösse geraubt. Er hat ihn gesehen, zwar nicht wie die officielle Kirche ihn betrachtet, aber doch mit christlichen Augen. Er legt den Nachdruck auf eine Christenverfolgung, von der Julian nichts wissen wollte. Und seine Auffassung von Julianus Apostata ist, dass dieser durch die Verfolgung seiner christlichen Unterthanen der eigentliche Schöpfer des Christenthums in seiner Zeit, das heisst, der Wiedererwecker desselben vom Tode wird. Julians weltgeschichtliche Bedeutung ist für Ibsen folgende: Er gab dem Christenthum, indem er es aus einer Hof- und Staatsreligion zu einer verfolgten, unterdrückten Lehre verwandelte, das ursprüngliche Geistesgepräge und die primitive Märtyrerleidenschaft zurück. Herausgefordert von den Christen, straft Julian mit Strenge, aber seine Strenge hat eine von ihm selbst nicht geahnte Wirkung. Seine alten Studiengenossen, jener Gregor, der nicht den Muth zu einer rasch entscheidenden Handlung besass, sondern „seinen kleinen Kreis, seine Verwandten zu vertheidigen hatte“, und jener Basilios, „der weltliche Weisheit auf seinem Landgute erforschte“, die erheben sich nun, stark durch die Verfolgung, wie Löwen gegen ihn.

II

Ein Schriftsteller gibt sich nicht ganz in seinen Werken, das ist klar. Zuweilen macht sogar die Persönlichkeit einen Eindruck, der seinen Schriften einigermassen widerspricht. Das ist bei Ibsen nicht der Fall. Und dass er die oben besprochenen Ansichten nicht nur zur Schau trägt oder seinen Büchern zu lieb annimmt, kann ich nach vieljähriger Bekanntschaft mit ihm durch manchen kleinen Zug erhärten.

Ich will versuchen, durch einzelne seiner mündlich hingeworfenen Aeusserungen, die in der Form eines Scherzes, eines Paradoxon oder eines bildlichen Vergleichs das Gedankenleben des Dichters illustriren, und durch ein paar schriftliche Aeusserungen, in deren Mittheilung Ibsen eingewilligt hat, einige Hauptumrisse seines Geistes lebendiger und getreuer zu zeichnen, als die Bücher allein es möglich machen.

Als im Jahr 1870 Frankreich blutend, verstümmelt vor Deutschlands Füssen lag, war Ibsen, der mit seinen Sympathien zu jener Zeit eher auf Frankreichs Seite stand, weit entfernt, die in den nordischen Ländern herrschende Niedergeschlagenheit über diesen Sachverhalt zu theilen. Während alle anderen Freunde Frankreichs sich in Klagen des Mitleids ergingen, schrieb Ibsen (20. December 1870):

„… Die Weltbegebenheiten nehmen übrigens einen grossen Theil meiner Gedanken in Anspruch. Das alte illusorische Frankreich ist in Stücke zerschlagen; wenn nun auch das neue factische Preussen zerschlagen würde, so wären wir mit einem Sprunge drinnen in einem neu beginnenden Zeitalter. Hei, wie die Gedanken rings um uns rumoren würden! Und es wäre wahrhaftig auch an der Zeit. All' das, wovon wir bis dato leben, sind ja doch nur die Brosamen von dem grossen Revolutionstisch des vorigen Jahrhunderts, und diese Kost ist nun lange genug widergekäut worden. Die Begriffe verlangen nach einem neuen Inhalt und nach einer neuen Erklärung. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind nicht mehr dieselben Dinge, wie zur Zeit der seligen Guillotine. Dies ist's was die Politiker nicht verstehen wollen, und darum hasse ich sie. Diese Menschen wollen nur Specialrevolutionen, Revolutionen im Aeusserlichen, in dem Politischen. Aber das sind lauter Lappalien. Um was es sich handelt, das ist das Revoltiren des Menschengeistes …“

Keiner kann in diesem Briefe den historischen Optimismus übersehen, den ich bei Ibsen angedeutet habe. So düster er auch die Zukunft zu sehen scheint, so hat er doch die beste Hoffnung, das grösste Vertrauen auf das neue Leben, welches durch Unglück hervorgerufen wird. Ja mehr als das: nur so lange das Unglück, welches das Eintreten der Ideen in die Welt begleitet, die Sinne wach hält, sind die Ideen ihm eine wirkliche Macht. Selbst das Rasseln der Guillotine schreckt ihn so wenig, dass es im Gegentheil mit seiner optimistischen und revolutionären Weltbetrachtung harmonisch zusammenklingt. Nicht die Freiheit als todter Zustand, sondern die Freiheit als Kampf, als Streben scheint ihm von Werth. Lessing sagte, dass wenn Gott ihm die Wahrheit in seiner rechten, das Streben nach Wahrheit in seiner linken Hand böte, so würde er nach Gottes Linken greifen. Ibsen unterschriebe diesen Satz, wofern man statt „Wahrheit“ das Wort „Freiheit“ setzte. Wenn er die Politiker verabscheut, so beruht dies darauf, dass sie nach seiner Ansicht die Freiheit als etwas Aeusserliches, Seelenloses auffassen und behandeln.

Aus Ibsen's optimistischer, sozusagen pädagogischer Auffassung des Leidens, erklärt sich vornehmlich der Eifer, womit er die Idee verfolgte, Norwegen sollte Dänemark im Kampf um Schleswig beistehen. Natürlich ging er wie die übrigen Skandinaven von der Stammverwandtschaft, von den gegebenen Versprechen, von Dänemarks Recht als Ausgangspunkt aus; aber sein Optimismus liess ihn den Nutzen eines solchen Beistandes als untergeordnet betrachten. Auf die Bemerkung: „Ihr hättet gehörige Prügel bekommen!“ antwortete er einmal: „Gewiss. Aber was hätte es geschadet? Wir wären mit in die Bewegung gekommen, hätten zu Europa gehört. Nur nicht bei Seite bleiben!“

Ein andermal – 1874 glaub ich – pries Ibsen in hohen Tönen Russland: „Ein prächtiges Land“, sagte er lächelnd, „all' die brillante Unterdrückung dort drüben!“

„Wieso?“

„Denken Sie nur an all' die herrliche Freiheitsliebe, die dadurch erzeugt wird. Russland ist eines von den wenigen Ländern auf Erden, wo Männer die Freiheit noch lieben und ihr Opfer bringen. Darum steht auch das Land so hoch in Poesie und Kunst. Denken Sie nur, dass es einen Dichter besitzt wie Turgenjew, und es hat auch Turgenjew's unter den Malern; wir kennen sie nur nicht, aber ich sah ihre Bilder in Wien“.

„Wenn all' diese guten Dinge eine Folge der Unterdrückung sind,“ sagte ich, „so müssen wir dieselbe freilich preisen. Aber die Knute – schwärmen Sie auch für sie? Gesetzt, Sie wären ein Russe: Ihr kleiner Junge da,“ (ich deutete auf seinen damals halbwüchsigen Sohn) „sollte der Knutenhiebe bekommen?“ – Ibsen schwieg einen Augenblick mit einer undurchdringlichen Miene. Dann erwiderte er lachend: „Bekommen sollte er sie nicht, geben sollte er sie“. Der ganze Ibsen ist in dieser humoristischen Ausflucht. Er selbst gibt in seinen Dramen dem Geschlecht beständig Knutenhiebe. Hoffentlich sollten die eventuellen Schläge in Russland zur Abwechslung einmal die Unterdrücker treffen.

Man wird sich nicht darüber wundern, dass Henrik Ibsen bei solchen Anschauungen keineswegs begeistert war, als Rom von den italienischen Truppen eingenommen wurde. Er schrieb in launigem Missmuth:

„… So hat man denn nun Rom uns Menschen genommen und den Politikern gegeben! Wo sollen wir jetzt hin? Rom war der einzige geweihte Ort in Europa, der einzige, welcher wahre Freiheit, die Freiheit von der politischen Freiheitstyrannei, genoss … Und der schöne Freiheitsdrang – der ist nun auch vorbei; ja ich muss jedenfalls sagen, das Einzige, was ich an der Freiheit liebe, ist der Kampf für sie, um den Besitz kümmere ich mich nicht …“

Mir scheint, dieser Standpunkt gegenüber der Politik hat zwei Seiten: einestheils alte romantische Reminiscenz – der Abscheu vor dem Utilitarismus, welcher den romantischen Schulen aller Länder gemeinsam ist – anderntheils etwas Persönliches und Eigenthümliches: der Glaube an die Kraft des Einzelnen und die Neigung für radicale Dilemmen. Der Mann, welcher in Brand die Losung formulirte: „Alles oder Nichts!“ kann der Parole des politischen Praktikers „Jeden Tag einen kleinen Schritt“ kein williges Ohr leihen. Ich möchte wissen, ob Ibsen's obenerwähnte, voreingenommene Stimmung für Russland nicht zum Theil ihre Ursache darin hatte, dass dort kein Reichstag ist. Seinem ganzen Naturell zufolge muss Ibsen einen Unwillen gegen Parlamente haben. Er glaubt ans Individuum, an die einzelne grosse Persönlichkeit: ein Einzelner kann Alles ausrichten, und zwar nur ein Einzelner. Solch' eine Corporation wie ein Parlament ist für ihn eine Versammlung von Rednern und Dilettanten, was natürlich nicht ausschliesst, dass er für den einzelnen Parlamentarier als solchen grosse Achtung hegen kann.

Ibsen hat darum sein ewiges Ergötzen, so oft er in einer Zeitung liest: „Und dann ernannte man eine Commission“, oder: „Dann gründete man einen Verein“. Er sieht ein Symptom der modernen Entmannung darin, dass, sobald Einer eine Sache oder einen Plan durchsetzen möchte, sein erster Gedanke dahin zielt, einen Verein zu stiften oder eine Commission aufzurufen. Man denke nur an das Hohngelächter, welches durch den „Bund der Jugend“ schallt.

Ich glaube, dass Ibsen in seinem stillen Sinn den Individualismus bis zu einem Extrem treibt, von dem man aus seinen Werken allein keinen Eindruck empfangen kann. Er geht in diesem Punkte sogar weiter als Sören Kierkegaard, an welchem er sonst in diesem Punkte stark erinnert. Ibsen ist z. B. ein weitgehender Gegner der modernen strammen Staatsidee. Nicht in dem Sinne, dass er Kleinstaaten wünschte. Niemand kann einen grösseren Schrecken haben vor der Tyrannei, welche sie ausüben, und vor der Kleinlichkeit, die sie mit sich führen. Wenige haben desshalb so warm wie er das Wort dafür ergriffen, dass die drei nordischen Reiche dem Beispiele Italiens und Deutschlands folgen und sich zu einem politischen Ganzen verbinden sollten. Sein werthvollstes historisches Drama „Die Kronprätendenten“ behandelt ja ausschliesslich eine ähnliche historische Zusammenschmelzungs-Idee. Ibsen geht in diesem Punkte so weit, dass er, nach meiner Ansicht, die Gefahren übersieht, welche das politische Einheitsstreben für die Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit des Geisteslebens in sich birgt. Italien erreichte in künstlerischer Hinsicht seine höchste Blüthe zu der Zeit, da Siena und Florenz zwei verschiedene Welten bezeichneten, und Deutschland stand in geistiger Hinsicht niemals höher als zu dem Zeitpunkt, wo Königsberg und Weimar Centren waren. Aber trotz seines Schwärmens für Einheit träumt Ibsen's Dichterhirn von einer Zeit, da ein weit grösseres Maass als nun von individueller und communaler Freiheit gewährt wird, wo also Staaten, wie wir sie jetzt haben, nicht mehr existiren. Obschon Ibsen wenig liest und sich durch Bücher nicht sonderlich über die Gegenwart orientirt, schien es mir doch oft, als ob er in einer Art heimlicher Uebereinstimmung mit den gährenden und keimenden Zeitideen stände. In einem einzelnen Fall hatte ich sogar den bestimmten Eindruck, dass Gedanken, die historisch im Ausbruch waren, ihn beschäftigten und gleichsam peinigten. Unmittelbar nach dem Ende des deutsch-französischen Krieges, zu einer Zeit, da alle Gemüther ganz von diesem Ereigniss erfüllt waren, und der Gedanke an etwas wie die Commune in Paris kaum in einem einzigen nordischen Hirn auftauchte, stellte mir Ibsen als politische Ideale, Zustände und Ideen dar, deren Wesen mir zwar nicht klar durchdacht vorkamen, die aber unzweifelhaft nahe verwandt mit jenen waren, welche kaum einen Monat darnach, von der Pariser Commune proclamirt, in stark verzerrter Form durchbrachen. Durch das Auseinandergehen unserer Ansichten über Freiheit und Politik veranlasst, schrieb Ibsen (17. Februar 1871): „Der Kampf für Freiheit ist ja nichts Anderes als die beständige, lebendige Aneignung der Freiheitsidee. Wer die Freiheit anders besitzt als wie etwas, wonach er strebt, der besitzt sie todt und seelenlos; denn der Begriff der Freiheit hat ja gerade das an sich, dass er, während wir suchen sie uns anzueignen, sich mehr und mehr erweitert. Wenn daher Jemand während des Kampfes stehen bleibt und ruft: „Jetzt hab' ich sie!“ – so beweist er eben dadurch, dass er sie verloren hat. Aber gerade dies todte Stehenbleiben auf einem gewissen gegebenen Freiheitsstandpunkt ist etwas für unsere Staaten Charakteristisches; und das war's, wovon ich sagte, es sei nicht von dem Guten. Ja, gewiss kann es ein Gut sein, Wahlrecht, Steuerbewilligungsrecht u. s. w. zu besitzen, aber wer hat den Gewinn? Der Bürger, nicht das Individuum. Es ist aber durchaus keine Vernunftnothwendigkeit für das Individuum, Bürger zu sein. Im Gegentheil. Der Staat ist der Fluch des Individuums. Womit ist Preussens Staatsstärke erkauft? Mit dem Aufgehen des Individuums in den politischen und geographischen Begriff. Der Kellner ist der beste Soldat. Und auf der anderen Seite das Judenvolk, der Adel des Menschengeschlechtes. Wie bewahrte es seine Eigenart, seine Poesie, trotz aller Rohheit von Aussen? Dadurch, dass es keinen Staat durchzuschleppen hatte. Wär' es in Palästina geblieben, so würde es längst in seiner Construction untergegangen sein, ebenso wie alle anderen Völker. Der Staat muss fort. Die Revolution will ich mitmachen. Man untergrabe den Staatsbegriff, man stelle Freiwilligkeit und geistige Verwandtschaft als das einzig Entscheidende für eine Vereinigung auf – das ist der Beginn zu einer Freiheit, die etwas taugt. Eine Umänderung der Regierungsform ist nichts anderes als ein Kramen im Detail. Etwas mehr, oder etwas weniger. – Erbärmlichkeit alles miteinander! … Der Staat wurzelt in der Zeit, er wird in der Zeit gipfeln. Grössere Sachen als er werden fallen. Jegliche Religionsform wird fallen. Weder die Moralbegriffe, noch die Kunstformen haben eine Ewigkeit vor sich. An wie Vielem sind wir im Grunde festzuhalten verpflichtet? Wer bürgt mir dafür, dass 2 und 2 nicht droben auf dem Jupiter 5 machen?“

Henrik Ibsen hat sicher den ebenso sinnreichen wie paradoxen Versuch des anonymen Schriftstellers a barrister nicht gekannt, der gerade beweisen will, wie denkbar es sei, dass 2 und 2 auf dem Jupiter 5 ergeben; wahrscheinlich hat er auch nicht gewusst, wie stark Stuart Mill und alle anderen Anhänger des radicalen Empirismus jene Schlusszeile applaudiren würden; seine Geistesrichtung hat ihn aber durch ihren eigenen Hang zu der universellen Skepsis geführt, die bei ihm so merkwürdig mit thatkräftigem Vertrauen vereint ist. Liess er doch schon seinen Brand sagen:

 
„Der Kirche Satzungen und Lehren
Vermag ich füglich nicht zu ehren;
Sie sind entstanden in der Zeit,
Und also kann es wohl gescheh'n,
Dass sie auch in der Zeit vergeh'n.
Erschaff'nes ist dem Tod geweiht:
Was Motten nicht und Würmer fressen,
Weicht einstens, laut Gesetz und Norm,
Einer noch ungebor'nen Form“.
 

Die angeführte Briefstelle liefert einen energischen Commentar zu diesen Worten und man kann dieselbe als Beweis von Ibsen's genialen Ahnungen über das, was in seiner Zeit verborgen vorgeht, wohl mittheilen, ohne fürchten zu müssen, ihn in den Augen eines geehrten Publikums herabzusetzen, nachdem ja selbst Fürst Bismarck das „Körnchen gesunden Vernunft“ öffentlich anerkannt hat, welches den Kern bildete von dem verirrten Streben der Pariser Commune. Am 18. Mai 1871 schrieb Ibsen:

„… Ist es nicht niederträchtig von der ‚Commune‘ in Paris, herzugehen und mir meine vortreffliche Staatstheorie oder vielmehr Nicht-Staatstheorie zu verderben? Nun ist die Idee für lange Zeit zu Grunde gerichtet, und ich kann sie anständiger Weise nicht einmal mehr in Versen darstellen. Aber sie hat einen gesunden Kern in sich, das seh' ich klar, und einmal wird sie schon noch ohne jede Caricatur practicirt werden …“

In seinem Behaupten der Selbstherrlichkeit des Individuums gelangt Ibsen dazu, sich der Staatsidee wie der Idee der Gesellschaft polemisch gegenüberzustellen. Ich bin nicht sicher, ob ich ihn in diesem Punkte völlig verstehe; ich begreife, dass man, wie z. B. Lorenz von Stein oder nach ihm Gneist, in der Geschichte der neueren Zeit einen beständigen Kampf zwischen Staat und Gesellschaft sehen und, von einer neuen energischen Auffassung des Staatsgedankens ausgehend, sich polemisch gegen die Gesellschaft wenden kann; aber die doppelte Frontstellung, die ich bei Ibsen finde, versteh' ich nicht recht, und ich weiss nicht einmal, ob er fühlt, dass hier eine doppelte Front ist.

Doch Ibsen erstreckt seine sorgenvolle Furcht, dass der Stachel der Persönlichkeit abgestumpft werde und dass sie ihr bestes Eigenthum zusetze, noch weiter. Er meint, das Individuum müsse, um Alles zu entwickeln, was in seinem Wesen als fruchtbare Möglichkeit liegt, vor allen Dingen frei stehen und allein; desshalb hat er einen wachsames Auge für die Gefahren, welche jede Association, die Freundschaft, ja selbst die Ehe, in dieser Hinsicht mit sich führt. Ich entsinne mich seiner Antwort auf einen meiner Briefe, worin ich einmal in einer jener missmuthigen Stimmungen, denen man in der Jugend so bereitwillig Ausdruck gibt, geäussert hatte, dass ich wenige oder gar keine Freunde hätte. Ibsen schrieb (6. März 1870):

„… Sie sagen, dass Sie keine Freunde daheim haben. Das dachte ich mir längst. Wenn man, wie Sie, in einem innigen Persönlichkeitsverhältniss zu seiner Lebensaufgabe steht, so kann man eigentlich nicht verlangen, seine Freunde zu behalten … Freunde sind ein kostbarer Luxus; und wenn man sein Capital für einen Beruf und eine Mission hier im Leben einsetzt, so hat man nicht die Mittel, Freunde zu halten. Das Kostspielige, Freunde zu halten, liegt ja nicht in dem, was man für sie thut, sondern in dem, was man aus Rücksicht für sie zu thun unterlässt. Desshalb verkümmern viele geistige Keime in Einem. Ich habe dies durchgemacht, und desshalb liegt ein Theil meiner Jahre hinter mir, wo ich nicht dazu gelangte, ich selbst zu werden …“

Fühlt man nicht Ibsen's ganzen Unabhängigkeitsdrang und sein Bedürfniss nach Einsamkeit in diesem ironischen „das Kostspielige, Freunde zu halten“; und liegt nicht in den angeführten Worten eine Aufklärung über die Ursache des verhaltnissmässig späten Durchbruchs von Ibsen's Genialität? Er hat, wie ich oben behauptete, seine Bahn augenscheinlich ohne überschwängliches Selbstvertrauen begonnen.

Und wie die Freundschaft unter gewissen Umständen ein Hinderniss für die Selbständigkeit des Individuums werden kann, so auch die Ehe. Darum weigert Nora sich, die Pflichten gegen ihren Mann und ihre Kinder als ihre heiligsten Pflichten anzusehen; sie hat eine noch heiligere Pflicht gegen sich selbst. Darum antwortet sie auf Helmers: „Du bist vor Allem Gattin und Mutter!“:

„Ich glaube, dass ich zuerst ein Mensch bin – oder jedenfalls, dass ich versuchen muss, es zu werden“.

Ibsen theilt mit Kierkegaard die Ueberzeugung, dass in jedem Menschen eine Riesenseele schlummert, eine unüberwindliche Macht; aber er hat diese Ueberzeugung in anderer Form als Kierkegaard, für welchen der Werth der Persönlichkeit ein übernatürlicher ist, während Ibsen auf dem Grund und Boden des menschlichen steht. Der Mensch soll bei ihm auf sich allein gestellt sein, nicht um höherer Mächte, sondern um seiner selbst willen. Und da er vor allen Dingen frei und ganz dastehen soll, erblickt Ibsen in den Einräumungen, die der Welt gemacht werden, den Feind, das böse Princip.

Hier stehen wir bei dem Grundgedanken von „Brand“. Man entsinne sich, wie Brand spricht:

 
„Und doch, aus diesen Seelenstümpfen,
Aus diesen Geistestorsorümpfen,
Aus diesen Köpfen, diesen Händen,
Soll einst ein Ganzes sich vollenden,
Das Gotteswerk, ein Mann voll Mark,
Der neue Adam, jung und stark“.
 

Darum muss „Alles oder Nichts“ Brand's scheinbar so unmenschliches Loosungswort werden. Darum ist ihm „der Geist des Vergleichs“ im Augenblick des Todes nichts anderes als eine Versucherin, die seinen kleinen Finger fordert, um sich der ganzen Hand zu bemächtigen; und darum kehrt der Geist des Vergleichs in „Peer Gynt“ wieder als „der Biegsame“, das heisst, all' das Feige, Geschmeidige im Menschen, das ab- und umbiegt:

 
Schlag' dich!
So dumm ist der Biegsame nicht!
Er schlägt sich niemals.
Kämpfe, du Wicht!“
„Der Biegsame sucht nicht ein Schwert voll Scharten.
 
 
Der grosse Biegsame siegt durch Warten.
 

Das Geschlecht loszureissen aus der erdrosselnden Umarmung des „Biegsamen“, den Geist des Vergleiches zu fangen, in einen Schrein zu zwängen, diesen zu versiegeln und in's Meer zu versenken, wo es am tiefsten – dies ist das Ziel, welches Ibsen als Dichter vor Augen hat. Und dies Losreissen des Einzelnen von dem Vergleich und dem „Biegsamen“, das ist seine Revolution.

Ich fragte Ibsen einmal: „Ist unter allen dänischen Dichtern ein einziger, um welchen Sie sich auf Ihrer jetzigen Entwicklungsstufe etwas kümmern?“ Er antwortete, nachdem er mich eine Zeit lang vergeblich hatte rathen lassen: „Auf Seeland war ja einmal ein alter Mann, der im Bauernkittel hinter seinem Pfluge herging, und auf Welt und Menschen recht böse geworden war, den mag ich ganz gut leiden“. – Es ist bezeichnend, dass Bredahl derjenige dänische Dichter ist, welcher Ibsens Herzen am nächsten steht. Auch Bredahl war ja ein Entrüstungspessimist – gewiss kein sehr tiefblickender Psychologe, aber doch ein Geist, in dessen Pathos man gleichsam den Donner hat, welcher Ibsen's Blitz vorausgeht. Bredahl gewahrt annoch nur die äussere, grobe Tyrannei und Heuchelei, während Ibsen sie in den verborgenen Falten des Herzens aufsucht; Bredahl ist nur wie Ibsen's Revolutionsredner:

Er sorgt für den Wasserschwall rings m der Welt.

Sein grosser Nachfolger geht gründlicher zu Werke:

Er legt Torpedo's, dass die Arche zerschellt.44

Wenn ich also Ibsen eine revolutionäre Natur genannt habe, so brauche ich mich nun kaum gegen das Missverständniss zu vertheidigen, dass ich eine Natur damit meinte, welche für äussere, gewaltsame Umwälzungen schwärmt. Weit entfernt – ja, im Gegentheil! Denn einsam wie er ist und sich fühlt, unwillig gestimmt gegen alle Parteien, vornehm, geschliffen, zurückhaltend, „das Nahen der Zeit abwartend in einem fleckenlosen Hochzeitskleide“45, ist er in dem bloss äusseren Sinn am nächsten conservativ, zwar ein etwas sonderbarer Conservativer, der aus Radicalismus, weil er von Specialreformen sich nichts erwartet, sich keiner Fortschrittspartei anschliessen will. In seinem Gedankenleben ist er entschiedener Revolutionär; aber die Revolution, für welche er schwärmt und wirkt, ist die rein innere, die ich geschildert habe. Man wird die Schlussworte der citirten Briefstelle vom December 1870 nicht übersehen haben: Um was es sich handelt das ist Revoltiren des Menschengeistes. Diese Worte sind in meinem Gedächtniss haften geblieben: denn sie enthalten gewissermassen Ibsen's ganzes dichterisches Programm – ein vortreffliches Programm für einen Dichter.

Ich würde indessen mein eigenes Wesen verleugnen, wenn ich sagte, dass Ibsen's Lebensanschauung mir mehr zu enthalten scheint als ein kräftiges Wahrheitselement. Es ist eine Lebensanschauung, auf Grund deren man denken und dichten, aber nicht handeln, ja, streng genommen, in der Welt, wie sie ist, sich nicht einmal direct aussprechen kann, denn man fordert bis zu einem gewissen Grade Andere schon dadurch zur Handlung und das heisst in diesem Falle zu sehr gewagten Unternehmen auf. Wer aus Sehnsucht nach grossen, entscheidenden, durchgreifenden Umwälzungen gleichgültig oder verächtlich auf die langsamen, kleinen Veränderungen des Entwickelungsganges herabsieht, auf die saumseligen, schrittweise vorsichgehenden Verbesserungen der Politik, auf die Compromisse, welche der Praktiker schliessen muss, weil er nur so die theilweise Verwirklichung seiner Ideen erreichen kann, auf die Associationen endlich, ohne welche es für Jeden, der nicht brutal zu befehlen vermag, unmöglich ist, einen einzigen Gedanken in die Wirklichkeit zu übertragen – der muss im practischen Leben darauf verzichten, einen Finger zu rühren; der kann, wie Sören Kierkegaard, wie Brand, niemals etwas Anderes thun, als auf die gähnende Kluft deuten, welche die Wirklichkeit, in der wir leben, vom Ideale trennt. Eine dem ersehnten Ziel entsprechende Handlung mit der Hilfe Anderer zu versuchen, hiesse sein Gefolge über den Rand jenes schwindelnd tiefen Abgrundes, welcher das Existirende von dem Erwünschten scheidet, kopfüber springen zu lassen, und sich selbst augenblicklicher Arrestation auszusetzen. Ja, sogar der Dichter kann eine so abstract ideale Lebensanschauung nur indirect, andeutungsweise, vieldeutig aussprechen, in dramatischer Form durch voll verantwortliche Personen, also mit jedem Vorbehalt, was den Autor selbst anbelangt. Selbstverständlich waren es nur plumpe Gegner, welche den grausamen Scherz mit dem Torpedo unter die Arche Legen für buchstäblichen, blutdürstigen Ernst halten konnten. Diese Lebensbetrachtung bedingt also und führt mit sich einen Dualismus zwischen Theorie und Praxis, zwischen dem Individuum und dem Bürger, zwischen der geistigen Freiheit und jenen praktischen Freiheiten, welche die Form einer Verpflichtung haben – einen Dualismus, der sich in der Wirklichkeit nur durchführen lässt von einem in der Verbannung lebenden Dichter, welcher nach Staat, Gesellschaft, Politik, Parteien und Reformen gar nichts zu fragen braucht.

Auch das Ideal von geistiger Vornehmheit, welches dieser Lebensanschauung entspricht, scheint mir nicht das höchste zu sein. Gewiss sorgt ein ausgezeichneter Schriftsteller am besten für seine äussere Würde, wenn er sich nicht in's Handgemenge begibt; gewiss ist es vornehm, sich zurückzuhalten, sich nie in Tagesstreitigkeiten zu mischen, niemals einen Zeitungsartikel zu schreiben. Aber vornehmer, dünkt mich, handelt man, wenn man es macht wie jene legitimistischen Generäle, die sich als gemeine Soldaten zum Dienst in Condé's Armee meldeten, und die es trotz ihrer Generalsepauletten nicht verschmähten, sich zuweilen zu Fusse und in erster Reihe zu schlagen. Von ihrer innern wirklichen Würde büssten sie dadurch nicht das Geringste ein.

44
  An meinen Freund, den Revolutionsredner!
Du sagst ich sei „conservativ“ geworden.Ich gehöre noch immer zum selben Orden.Schachsteine zu rücken kann nicht mich erlaben.Stürzt um das Spiel, dann sollt Ihr mich haben.Ihr sorgt für den Wasserschwall einst in der Welt;Ich lege Torpedo's, dass die Arche zerschellt.

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45
Doch mich schreckt der Lärm der Massen;Will mir nicht vom Schmutz der GassenMein Gewand bespritzen lassen;Will im reinen HochzeitskleideHarren auf den Zukunftstag.Ibsen's „Ballonbrief“.

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Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
05 июля 2017
Объем:
680 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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