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Kapitel 2: Das Evangelium nach Markus

Wenn man eine Liste mit den bekanntesten und beliebtesten Traditionen der Evangelien zusammenstellen würde, fände man darin wahrscheinlich die Seligpreisungen, die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter, vom verlorenen Sohn oder auch vom Gericht mit der so betroffen machenden Aussage „Was ihr dem geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt …“ In dieser Liste fänden sich Wunder wie das der Hochzeit zu Kana, Gespräche wie das mit der Frau am Jakobsbrunnen oder die Erzählungen von Hirten auf dem Feld und die Flucht nach Ägypten, die unsere Weihnachtstraditionen so beeinflusst haben. Die Lehre Jesu lebt von der Bergpredigt und ihren Seligpreisungen der Armen und Marginalisierten. Die „Goldene Regel“ fasst diese Lehre zusammen. Jesu Beten umfasste das „Vater unser“, das er auch die lehrte, die ihm nachfolgten. Alle diese Erzählungen aus den Evangelien haben allerdings etwas gemeinsam: Sie stehen nicht im Markusevangelium. Man könnte fast vermuten, das Markusevangelium sei so etwas wie ein vergessenes Evangelium.

Im Markusevangelium gibt es allerdings auch Erzählungen, die zu den bekannteren Traditionen der Jesusüberlieferung gehören. Die Gleichnisse vom Sämann, dessen Saat auf verschiedene Arten von Boden fällt, oder vom winzigen Samenkorn, das zu einem großen Baum heranwächst, gehören dazu. Jesu Tröstung der Jünger beim Seesturm oder sein Gang über das Wasser des Sees Gennesaret sind bekannt. Und schließlich ist es die Erzählung von Jesu schrecklichem Ende am Kreuz auf Golgatha, die fest mit der christlichen Tradition verwoben ist. Markus widmet dieser Erzählung fast ein Viertel seines gesamten Evangeliums. Aber auch hier lässt sich sagen, dass diese Geschichten in mehr oder weniger abgewandelter Form auch in den anderen Evangelien auftauchen. Sucht man nach Erzählungen, die alleine Markus überliefert, so findet man nicht allzu viel.


Abbildung 6: Markinisches Eigenmaterial

Zum markinischen Eigenmaterial gehört eine Notiz über die Familie Jesu, die ihn für besessen hält und nach Hause holen möchte. Zwei Wundergeschichten, eine über einen Taubstummen und eine über einen Blinden bei Bethsaida, werden nur von Markus berichtet und enthalten eigenartige Details über die sehr handfeste Art von Jesu Zugang zu den Kranken. Auch der nackte junge Mann, der vor den Häschern im Garten Getsemani flieht, existiert nur im Markusevangelium. Doch dieses Eigenmaterial lässt wenig Rückschlüsse auf die Eigenart des Markusevangeliums zu.

Aufschlussreicher ist, was Markus nicht berichtet. Es gibt keinerlei Berichte über die Geburt oder die Kindheit Jesu. Immer wieder berichtet Markus zwar, dass Jesus die Jünger oder die Volksmenge belehrt, aber es findet sich keine Bergpredigt, und sehr häufig wird, wie in 1,21–22 oder 2,2, berichtet, dass Jesus lehrte und dass Menschen durchaus auf seine Lehre reagierten. Inhaltlich jedoch erzählt Markus nicht, was Jesus gelehrt hat. Vielleicht langt dem Evangelium die als zentrale Botschaft in 1,15 verkündete Nachricht: „Die Zeit ist erfüllt, und gekommen ist die Herrschaft Gottes; kehrt um und glaubt an das Evangelium!“

Die weitaus größte Überraschung jedoch hält das Ende des Markusevangeliums bereit (Mk 16,1–8). Frauen kommen, den Leichnam Jesu mit wohlriechenden Ölen zu salben. Doch als sie das Grab erreichen, treffen sie lediglich einen jungen Mann in einem weißen Gewand an, der ihnen erzählt, Jesus sei auferstanden und sie sollten den Jüngern und besonders Petrus die Botschaft bringen, Jesus gehe ihnen voraus nach Galiläa, wo sie ihn sehen würden. Doch Markus endet die Geschichte mit einem eigenartigen Bericht: „Da gingen sie hinaus und flohen weg vom Grab, denn sie waren starr vor Angst und Entsetzen. Und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich“ (Mk 16,8).

Dies ist der letzte Satz des Markusevangeliums, der viele Fragen offenlässt. Wer ist dieser junge Mann? Gingen die Frauen trotz ihrer Furcht letztlich doch zu Petrus und den Jüngern? Gab es überhaupt irgendjemanden, der den Auferstandenen gesehen hat? Markus beantwortet diese Fragen nicht. Es gibt keine Ostererzählungen außer dem Bericht vom leeren Grab, der Botschaft des jungen Mannes und den furchtsamen Frauen. Man hat den Eindruck, das Markusevangelium ist unfertig.

Dass dieser Schluss des Markusevangeliums problematisch ist, zeigt sich schon allein daran, dass verschiedene spätere Verfasser einen neuen Schluss hinzugefügt haben. Insgesamt vier solcher Versuche finden sich in den Manuskripten der ausgehenden Antike. Den vier Schlüssen ist jedoch gemeinsam, dass sie in den ältesten Manuskripten nicht vorhanden sind und dass sie sich in Vokabular und Stil vom Markusevangelium deutlich unterscheiden. Zudem sind auch frühe Kirchenväter wie der Bibelkommentator Origenes oder der Kirchenhistoriker Eusebius Zeugen für das Ende des Markusevangeliums in 16,8. In neueren Bibelübersetzungen werden zwei dieser alternativen Schlüsse zwar angeboten, sind jedoch in der Regel in Klammern gesetzt.


Abbildung 7: Kurzer und langer Markusschluss

Der kürzere der beiden Schlüsse umfasst lediglich einen Satz, der von der Erfüllung des Auftrages des jungen Mannes spricht und von der Verbreitung des Evangeliums durch „die um Petrus“. Der längere der beiden Schlüsse ist ganz offensichtlich eine Zusammenfassung der Ostererzählungen, die sich in den anderen Evangelien finden. Zuerst wird die Erscheinung vor Maria Magdalena aus Joh 20,11–18 geschildert, dann die Erscheinung auf dem Weg nach Emmaus aus Lk 24,13–35. Auch eine Interpretation des Missionsbefehls aus Mt 28,16–20 wird wiedergegeben. Abschließend wird die aus Lk 24,50–53 bekannte Himmelfahrt erwähnt und die Ausbreitung des Evangeliums in der ganzen Welt durch die Apostel geschildert. So handelt es sich auch bei dem längeren Markusschluss um eine spätere Hinzufügung.

In moderner Forschung wird gelegentlich auch suggeriert, dass der ursprüngliche Schluss des Markusevangeliums verlorengegangen sei. Dies ist allerdings ein Argument, dass sich auf keinerlei verifizierbare Daten stützen kann, sondern lediglich aus der Überzeugung erwächst, der jetzige Schluss in Mk 16,8 sei unbefriedigend, weil er die Erzählung von Jesu Leiden und Sterben nicht in die Auferstehung hinein auflöst. Wegen fehlender Gegenargumente sind sich die meisten Exegeten heute daher einig, dass das Markusevangelium tatsächlich mit dem Schrecken der Frauen endet.

Dieses offene Ende des Markusevangeliums hinterlässt Leserinnen und Leser mit vielen Fragen. Wie geht die Geschichte Jesu weiter? Wie lässt sich der Auferstandene erkennen? Wie begegnet man dem Christus des Glaubens? Wie geht es mit den Jüngern weiter? Wie kommt es zu Gemeindebildung? Diese und weitere Fragen laden ein, die Geschichte Jesu mit seinen Jüngern weiterzudenken und selbst zu vervollständigen, vielleicht auch aufzufüllen mit den eigenen Erfahrungen. Das Ende des Markusevangeliums ist also auch eine Aufforderung, die Geschichte Jesu weiterzuspinnen.

A. Wie entstand das Markusevangelium?

Das Markusevangelium ist chronologisch das erste Evangelium, das niedergeschrieben wurde. Darüber herrscht heute weitgehender Konsens in der Forschung. Allerdings ist auch wahrscheinlich, dass der Niederschrift des Evangeliums ein längerer Traditionsprozess voranging. Der Autor des Evangeliums hat seine Geschichte nicht frei erfunden, sondern konnte auf Material zurückgreifen, das schon längere Zeit im Umlauf war und das sicher mündlich, teilweise vielleicht auch schriftlich, schon in erzählerische Formen gegossen war. Markus war diesen Traditionen verpflichtet und konnte auf sie als Quellen zurückgreifen. Es ist heute schwierig, diese Quellen genau zu charakterisieren, da sie nicht eigenständig erhalten sind und letztlich nur aus dem Evangelium heraus erschlossen werden können. Trotzdem gibt es einige literarische Auffälligkeiten, die die markinische Benutzung von Quellen durchaus nahelegen und die diese Quellen auch beschreiben lassen.


Abbildung 8: Mögliche Quellen des Markusevangeliums

Zunächst einmal sticht ins Auge, dass Markus gerne ähnliches Material miteinander gruppiert. So findet sich in Mk 2,1–3,6 eine Reihe von fünf Erzählungen, in denen es immer wieder um Konflikte zwischen Jesus und Gegnern geht. Diese Erzählungen werden zur Gattung der Streitgespräche gerechnet. In den Streitgesprächen geht es um Jesu Autorität, Sünden zu vergeben (Mk 2,1–12), um das Mahl mit Sündern (Mk 2,15–17), um das Fasten (Mk 2,18–22), zwei Erzählungen setzen sich mit der Frage nach dem Sabbatgebot auseinander (Mk 2,23–28; 3,1–6). Das letzte Streitgespräch endet mit der Allianz von Pharisäern und Herodianern, um Jesus zu töten.

Es ist durchaus möglich, dass eine solche Sammlung von Erzählungen schon in der Tradition vor Markus gebündelt war. Nimmt man dies an, stellt man auch fest, dass es andere markinische Sammlungen gibt. In Mk 4–8 findet sich eine Häufung von Wundergeschichten. Wenn Markus eine Quelle von Streitgesprächen hatte, wären auch eine oder vielleicht zwei Quellen von gesammelten Wundern Jesu denkbar. Oft wird auch argumentiert, dass die Endzeitrede in Mk 13 einer Tradition entstammt, auf die Markus zurückgreifen konnte. Dies wird auch für die Passionserzählung angenommen.

Während der Darstellung der Kreuzigung gibt es eine kleine Randbemerkung, die eine weitere Quelle benennen könnte. So heißt es in Mk 15,21: „Und sie zwingen einen, der gerade vorbeigeht, Simon aus Kyrene, der vom Feld kommt, den Vater des Alexander und des Rufus, ihm das Kreuz zu tragen.“ Diese Information über Simon und seine Söhne ist eigentlich sinnlos, denn die Figuren tauchen nicht wieder aufund werden im Evangelium lediglich hier erwähnt. Werden die Namen hier genannt, bedeutet dies vielleicht, dass Markus’ Leserinnen und Leser wahrscheinlich Alexander und Rufus kannten, vielleicht sogar ihren Vater Simon. Damit wäre aber auch klar, dass Markus tatsächlich Augenzeugen befragen konnte. Simon, Alexander und Rufus dürften solche Zeugen sein, und man kann ähnliche Überlegungen auch für Bartimäus in Mk 10,46 anstellen.

Die Annahme, Markus habe Quellen benutzt, ist an sich unproblematisch. Doch gibt es Uneinigkeit unter Forschern, wie umfangreich die Quellen gewesen sein könnten und ob es sich dabei um schriftliche oder mündliche Quellen gehandelt haben muss. Während im letzten Jahrhundert Forscher noch stark von schriftlichen Vorlagen ausgingen, scheint sich heute eher ein Konsens für eine mündliche Tradition zu finden. Es war aber auf jeden Fall die Leistung des Autors des Evangeliums, die verschiedenen mündlichen oder schriftlichen Traditionen zu bündeln und in ein literarisches Werk von erstaunlicher Kohärenz zu verwandeln. Dabei entstand nicht nur eine Sammlung von Sprüchen, wie es Q wahrscheinlich gewesen ist und wie es später auch das Thomasevangelium sein wird. Markus hingegen schuf ein literarisches Werk, das tatsächlich ein Evangelium ist: „Die gute Nachricht von Jesus, dem Messias, dem Sohn Gottes“ (Mk 1,1).

B. Die literarische Kunst des Markusevangeliums

Im Blick auf die Quellen des Evangeliums sahen noch gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Forscher in der historisch-kritischen Tradition den Verfasser des Markusevangeliums hauptsächlich als „Jäger und Sammler“ von Überlieferungen ohne jegliche Kreativität in der Zusammenstellung der Traditionen zu einem Evangelium. Dazu trägt bei, dass das Evangelium sprachlich keinen besonders gepflegten Stil vorweisen kann. Die Sprache ist einfach gehalten und entspricht dem, was man in der Antike Koinē nannte, die gemeine Umgangssprache, die sich vom klassischen Griechisch eines Homer oder Aristoteles deutlich abhob. Tatsächlich sind alle Evangelien in gemeinem Griechisch geschrieben, aber Markus scheint eben noch weniger stilsicher zu sein als die anderen Evangelien.

Ein schon erwähntes umgangssprachliches Phänomen sind die häufigen Satzanfänge mit „und“ oder „und sofort“. Ein weiteres Element ist der häufige und scheinbar unmotivierte Wechsel von Vergangenheitsformen zu dem, was man das historische Präsens nennt. Hier wird eine Gegenwartsform benutzt, die Vergangenes ausdrücken will. Ein typisches Beispiel ist Mk 4,1: „Und wieder fing er an, am See zu lehren. Und es versammelt sich viel Volk.“

Ein weiteres Problem betrifft die Geographie des Evangeliums. Im ersten Teil spielt sich das Geschehen hauptsächlich in Galiläa ab, mit einigen Aufenthalten in der Gegend des südlichen Syrien und der Dekapolis jenseits des Jordan. Aber die Ortsangaben des Evangeliums machen zumindest in ihrer Sequenz kaum Sinn. Eine konkrete Reiseroute Jesu lässt sich nicht mehr rekonstruieren.

Diese Charakteristika scheinen die These von der literarischen Ungelenkheit des Markus zu stützen. Doch lassen sich auch einige Gegenargumente anführen. Die Kunstfertigkeit des Autors zeigt sich schon in der Tatsache, dass er ein völlig neues literarisches Genre schuf, das die wichtigsten Stationen des Lebens Jesu nachzeichnet, ohne jemals mit antiken Biographien verwechselt werden zu können. Auch das Werk selbst gibt Auskunft über die literarischen Fähigkeiten eines Autors, die weit über die eines bloßen Sammlers von Traditionen hinausgehen. Markus ist tatsächlich ein Schriftsteller im besten Sinn des Wortes. Neuere Forschungen mit Hilfe narrativer Analysen sind der Kreativität des Autors sehr viel näher gekommen.

a. Die Gliederung des Evangeliums

Die Kunst des Erzählens wird schon in der Anlage des Evangeliums deutlich. Markus benutzt eine Gliederung seines Materials, die sich in den Dienst der inhaltlichen Aussagen des Evangeliums stellt. Das Evangelium beginnt mit einer Art Prolog (Mk 1,1–15) oder auch Vorspiel, in dem die Figur Jesu vorgestellt wird als Messias und Sohn Gottes. Danach wird Johannes der Täufer vorgestellt, bevor der Prolog mit einem kurzen Bericht über Taufe und Versuchung Jesu in das erste öffentliche Auftreten Jesu mündet und seine programmatische Predigt vorstellt: „Die Zeit ist erfüllt, und die Herrschaft Gottes ist nahe gekommen. Kehrt um und glaubt an das Evangelium.“ Der Abschnitt ist klar umrissen durch den Begriff „Evangelium“ am Beginn und am Ende des Prologs.


Abbildung 9: Gliederung des Markusevangeliums

Damit beginnt der erste Hauptteil des Evangeliums (Mk 1,16–8,21). Er beschreibt das Wirken Jesu in Galiläa und den umliegenden Gebieten. Jesus heilt, lehrt und predigt. Ab Mk 6,7 weitet sich die Tätigkeit Jesu insofern aus, als er zwölf Männer auswählt, die seine Tätigkeit unterstützen. Während es auch andere Männer und Frauen gibt, die Jesus nachfolgen, sind diese Zwölf die Einzigen, die auch Jünger genannt werden.

Die Tätigkeit Jesu richtet sich in diesem Teil an das Volk in Galiläa und den umliegenden Regionen. Im zweiten Hauptteil (Mk 8,22–10,52) macht sich Jesus mit seinen Jüngern auf den Weg nach Jerusalem. Am Anfang wie am Ende dieses Teils steht jeweils eine Blindenheilung. Doch Wunder nehmen in diesem Abschnitt sehr viel weniger Raum ein. Stattdessen enthält er umfangreiche Unterweisungen der Jünger, unter denen drei Ankündigungen von Jesu Leiden und Auferstehung besonders hervorstechen. Die Jünger mit ihrer komplizierten Beziehung zu Jesus treten deutlich in den Vordergrund. Der dritte Hauptteil schließlich findet während einer einzigen Woche in Jerusalem statt (Mk 11,1–15,47). Dieser Teil wird deutlich von den Konflikten Jesu bestimmt, und die Gegner treten in den Vordergrund, während die Jünger schließlich verschwinden. Im dritten Hauptteil lassen sich wieder zwei Teile unterscheiden. Im ersten Teil (Mk 11,1–13,37) konfrontiert Jesus die religiöse Führungselite in Jerusalem. Dabei handelt es sich um die Tempelreinigung, um Streitgespräche, die im Tempel stattfinden, und letztlich um die Endzeitrede. In Mk 14,1–15,47 erzählt das Evangelium von der Passion Jesu. Den Epilog des Evangeliums bildet die Geschichte vom leeren Grab (Mk 16,1–8).

Die hier vorgeschlagene Gliederung des Markusevangeliums orientiert sich also stark an geographischen Beobachtungen, wird jedoch durch eine Verschiebung inhaltlicher Schwerpunkte untermauert.

b. Die Kunst des Erzählens im Markusevangelium

1. Im Markusevangelium sticht zunächst die äußerste Dringlichkeit, mit der erzählt wird, ins Auge. Im ersten Kapitel schon wird in 15 Versen von der Predigt des Täufers, von der Taufe selbst und der anschließenden Versuchung Jesu berichtet. Der Prolog endet mit der Aussage, dass die Zeit erfüllt ist. Ab 1,16 schließt sich in schneller Folge die Berufung von vier Jüngern an, eine Krankenheilung in einer Synagoge, eine Heilung der Schwiegermutter des Petrus, eine Zusammenfassung von Heilungen und Verkündigung, ein Gespräch mit Petrus über die Mission Jesu und schließlich noch die Heilung eines Aussätzigen. Man hat den Eindruck, dass sich die Ereignisse überschlagen, so schnell geht alles vonstatten.

An dieser Stelle wird auch deutlich, dass der Gebrauch von „und“ sowie „und sofort“ nicht nur eine Ungelenkheit des Verfassers ist, sondern auch ein Stilmittel zum Ausdruck dieser Dringlichkeit und Überstürztheit der Erzählung. Allein im ersten Kapitel des Markusevangeliums erscheint das Wort „sofort“ elf Mal, insgesamt taucht es im Evangelium 47 Mal auf.

Die Schnelligkeit der Erzählung setzt sich auch im weiteren Verlauf des Evangeliums durchaus fort. Man hat den Eindruck, das gesamte Wirken Jesu, das im Johannesevangelium über drei Jahre hinweg geschildert wird, passiere im Markusevangelium im Zeitraum von wenigen Wochen.

2. Markus ist ein Meister der Charakterisierung von Nebenfiguren. Obwohl das Markusevangelium kürzer ist als die anderen Evangelien, fallen doch die Sorgfalt und das Auge für Details auf, mit der das Markusevangelium auch Figuren zeichnet, die keine Hauptfiguren sind. So nennt Markus als Einziger den Namen des Blinden vor den Toren von Jericho (Mk 10,46–52). Die Frau mit dem Blutfluss in Mk 5,25–34 wird nicht nur in ihrem Leid detailliert beschrieben, es wird auch erzählt, dass die Behandlung durch Ärzte alles nur noch schlimmer gemacht hat. Schließlich berichtet Markus auch noch, dass sie zwar geheilt ist, dass sie aber im anschließenden Gespräch mit Jesus zunächst noch furchtsam ist. Sowohl Matthäus als auch Lukas sparen diese sehr menschliche Seite der Frau aus. Besonders deutlich allerdings wird die Kunst der Charakterisierung in der Erzählung des Besessenen von Gerasa, bei dem Markus nicht nur das Leid des Mannes in aller Ausführlichkeit schildert, sondern auch den Geheilten in seiner Veränderung deutlich zeichnet. Ein weiteres Beispiel ist die Erzählung vom epileptischen Jungen (Mk 9,14–29), in der nicht nur das Kind in seinem Leid klar geschildert wird, sondern auch der Vater in seiner Sorge um sein Kind dargestellt wird. Ein Höhepunkt dieser Erzählung ist der Ruf des Vaters, „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Auch die Frau, die Jesus in Betanien mit Nardenöl salbt, wird in den Worten Jesu weiter charakterisiert, die mit dem Vorausblick auf ihr Gedächtnis in den nachösterlichen Gemeinden schließen: „Amen, ich sage euch: Wo immer in der ganzen Welt das Evangelium verkündigt wird, da wird auch erzählt werden, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis“ (Mk 14,9).


Abbildung 10: Charakterisierung des Besessenen von Gerasa

Diese Gabe der Charakterdarstellung setzt sich auch in den Gleichnissen Jesu fort, die sehr detailreich ausgeführt sind. Man kann also durchaus schließen, dass Markus gerade in der kleinen Form von Wundergeschichten und Heilungen zu einer erstaunlichen Unmittelbarkeit und Plastizität fähig ist.

3. Ein weiteres Merkmal des Evangeliums ist die Priorität der Taten über die Lehre Jesu. Dabei sei festgehalten, dass Jesus immer wieder als Lehrer auftritt und durchaus auch konkrete Lehrinhalte vertritt. Dies kommt besonders im zweiten Hauptteil immer wieder zur Sprache. Doch fällt auch auf, dass oft von der Lehre Jesu die Rede ist, ohne dass konkrete Inhalte der Lehre erwähnt werden (Mk 1,21–22; 2,13; 6,2; 6,6; 6,34; 10,1 etc.). Dazu kommt, dass die Lehre Jesu bei Matthäus oder Lukas proportional einen sehr viel breiteren Raum einnimmt als im Markusevangelium.

Wenn das Markusevangelium Jesus oft in seiner Lehrtätigkeit beschreibt, um gleich eine wunderbare Tat Jesu anzuschließen, muss es dafür Gründe geben. Markus betrachtet die Wunder und Taten Jesu als Teil der Lehre. So kann Jesus die Jünger fragen, ob sie denn nichts aus der Brotvermehrung gelernt hätten (Mk 8,18–21). Unbelehrbare hingegen wie die Pharisäer bekommen kein Zeichen (Mk 8,10–13).

Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang in der Perikope von der Heilung in der Synagoge von Kafarnaum (Mk 1,21–26). Zunächst lehrt Jesus, und die Reaktionen auf seine Lehre sind Erstaunen und Überraschung, die Frage nach seiner Autorität taucht auf. Inhaltlich wird die Lehre nicht weiter beschrieben, sondern durch die Heilung eines Besessenen illustriert. Die Menge wundert sich und fragt: „Was ist dies? Eine neue Lehre mit Vollmacht!“ Jesu Macht über die unreinen Geister wird in direkten Zusammenhang mit seiner Lehre gebracht. Mit diesem ersten und programmatischen Wunder Jesu signalisiert Markus, dass die Taten Jesu nicht auf ihren wundersamen Aspekt reduziert werden können, sondern als Ausdruck und Legitimation seiner Lehre zu verstehen sind. Für Leserinnen und Leser gilt, dies bei den weiteren Darstellungen im Gedächtnis zu halten.

4. Das Markusevangelium weist zudem einige Stilmerkmale auf, die regelmäßig wiederkehren. So verwendet das Evangelium gerne Rahmungen. Damit ist gemeint, dass zwischen zwei Erzählteile, die offensichtlich aufeinander bezogen sind, ein kontrastierender Erzählteil eingeschoben wird. Ein Beispiel dafür ist der Bericht über Jesu Familie. In Mk 3,20–21 wird berichtet, dass große Menschenmengen Jesus in einem Haus aufsuchen, so dass er nicht einmal essen kann. Die Verwandten Jesu wollen ihn daraufhin zurückholen, denn, so ihr Urteil, Jesus sei „von Sinnen“. In Mk 3,31–35 schließlich wird wieder von einer Menschenmenge berichtet, die Jesus in einem Haus umlagert. Hier nun stehen die Mutter und Jesu Brüder vor der Tür und rufen ihn heraus; Jesus hingegen spricht von seinen wahren Verwandten als denen, die den Willen Gottes tun. Zwischen diesen beiden Erzählungen liegt die Auseinandersetzung Jesu mit dem Vorwurf seiner Gegner, er sei von einem bösen Geist besessen. Ähnliche Arrangements finden sich in der durch die Frau mit dem Blutfluss unterbrochenen Heilung der Tochter des Jairus (Mk 5,21–43), in der Aussendung und Rückkehr der Jünger mit der Erzählung von Herodes dazwischen (Mk 6,7–30) oder der Verfluchung des Feigenbaums mit der Tempelreinigung in der Mitte (Mk 11,12–20). Diese Art der Verflechtung von scheinbar unterschiedlichen Erzählungen suggeriert eine Interpretation, die diese Geschichten aufeinander bezieht. Der unfruchtbare Feigenbaum ist ein Bild, das die Unfruchtbarkeit des Tempels im übertragenen Sinn belegen soll; das Schicksal des von Herodes hingerichteten Täufers betont die erfolgreiche Missionserfahrung der Jünger umso mehr, die Heilungen der Frau und der Tochter des Jairus beleuchten in einer Steigerung die Macht Jesu, der Vorwurf der Besessenheit gegen Jesus findet sich nicht nur bei Pharisäern, sondern auch bei seiner leiblichen Familie und illustriert so an Jesus, was auch das Schicksal der Jünger sein wird (Mk 13,12).


Abbildung 11: Stilmerkmale

Ein weiteres Stilmerkmal ist ein wiederkehrendes Muster von Prophezeiung und Erfüllung. In Mk 3,9 gibt Jesus den Auftrag an die Jünger, ein Boot bereitzuhalten, das erst in Mk 4,1 wirklich gebraucht wird. Die drei Ankündigungen von Passion und Auferstehung in Mk 8–10 erfüllen einen ähnlichen Zweck, und auch die Vorbereitung des Abendmahles wird in Gestalt einer Vorhersage und ihrer Erfüllung geschildert (Mk 14,12–16). Die Salbung in Betanien (Mk 14,3–9) funktioniert als eine Ankündigung der Passion Jesu. Ähnlich funktioniert auch der Hinweis auf Jesus als den Sohn Gottes in Mk 1,1, denn der Titel provoziert die Frage, wie dies denn sichtbar wird. Eingelöst wird letztlich diese Prophezeiung erst im Bekenntnis des Hauptmannes unter dem Kreuz Jesu (Mk 15,39).

Zum literarischen Stil des Markusevangeliums gehört auch, dass immer wieder Kommentare des Erzählers eingestreut werden, die offensichtlich wenig zur Handlung beitragen, diese aber illustrieren oder erklären. Solche Kommentare stehen bei Markus gerne in Sätzen, die mit dem griechischen Wort gar gekennzeichnet sind, im Deutschen zumeist mit „aber“ oder „nämlich“ übersetzt. Die Beschreibung pharisäischer Reinheitsriten in Mk 7,3–4 ist ein solcher Kommentar oder auch die Erkenntnis des Pilatus, dass die Gegner Jesus aus Neid hinrichten lassen wollen (Mk 15,10).

5. Im Markusevangelium ist Jesus zutiefst menschlich dargestellt. Jesus kann müde (Mk 6,31) und hungrig (Mk 11,12) werden, er spürt Mitleid (Mk 1,41; 6,34), aber auch Zorn (Mk 3,5) oder Überraschung (Mk 6,6). Jesus kann zittern vor Unwillen (Mk 10,14), und er kann lieben (Mk 10,21). Er weiß nicht immer alles (Mk 13,32), und seine Fähigkeit, Wunder zu wirken, kann von anderen behindert werden (Mk 6,5). Markus beschreibt Jesus durchaus als Sohn Gottes, der mit außerordentlicher Macht ausgestattet ist. Doch scheut sich Markus auch nicht, diese Macht in ein sehr menschliches Gewand zu hüllen. Dies fällt umso mehr auf, als die anderen Evangelien diese menschlichen Züge im Porträt Jesu eher auflösen als vertiefen.

6. Das Markusevangelium benutzt immer wieder das Motiv des Geheimnisses um die Person Jesu. Die Botschaft der Herrschaft Gottes ist ein Geheimnis (Mk 4,11), das denen verborgen bleiben soll, deren Herzen im Sinne von Jes 6,9–10 verstockt sind (Mk 4,10–12). Oft werden die Taten Jesu von der Aufforderung begleitet, niemandem etwas davon zu sagen (Mk 1,43–44; 5,43; 7,36; 9,9). Insbesondere Dämonen werden zum Schweigen aufgefordert, wenn sie erkennen, wer Jesus ist (Mk 1,23–25.34; 3,11–12). Doch auch Petrus und die Jünger werden aufgefordert, Jesus nicht als Messias bekanntzumachen (Mk 8,30). Durch dieses Geheimnismotiv entsteht eine eigenartige Spannung im Evangelium. Auf der einen Seite legen die Taten und Wunder Zeugnis von der Identität Jesu ab, auf der anderen Seite scheint es, dass Jesus dies zu verbergen sucht. Die Spannung, die aufgebaut wird, zieht sich durch das gesamte Evangelium bis hin zu dem Punkt, an dem Jesus selbst nichts mehr zu seiner Person sagt (Mk 15,4–5). Diese Spannung sucht nach einer Auflösung innerhalb der Erzählung.


Abbildung 12: Erzählkunst im Markusevangelium

c. Zusammenfassung

Das Markusevangelium ist keineswegs eine lose Sammlung von Traditionen über Jesu Leben und Sterben, sondern ein kunstvoll gestaltetes literarisches Werk, das in einem sprachlich etwas unscheinbaren Gewand daherkommt. Die Erzählung des Markus ist dynamisch, sie sprüht vor Lebendigkeit, die Figuren werden vielschichtig und detailreich charakterisiert. Dies betrifft nicht nur die Hauptfiguren, sondern auch die weniger auffälligen Figuren am Rande. Sie tauchen vielleicht lediglich in einer kurzen Erzählung auf, aber sie hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Dies macht das Markusevangelium äußerst attraktiv, und im Folgenden wird zu beobachten sein, dass der literarischen Vielschichtigkeit auch eine theologische entspricht.

C. Die theologische Kunst des Markusevangeliums

Im Markusevangelium fällt auf, dass Jesus mehr über die Herrschaft Gottes spricht als über irgendetwas anderes. Jesu Botschaft definiert sich von Gottes Herrschaft her, und dieser Herrschaft sollen auch die Jünger dienen. Einer der theologischen Schwerpunkte des Markusevangeliums ist also die Herrschaft Gottes. Ihm tritt Jesus als der Künder der Herrschaft zur Seite. Jesus nun sammelt Jünger um sich, denen er seine Botschaft anvertraut. Damit ergeben sich drei Schwerpunkte in der Betrachtung der markinischen Theologie: die Gottesherrschaft, die Identität Jesu und die Jünger.

a. Die Gottesherrschaft

Der Prolog des Evangeliums endet mit der programmatischen Botschaft Jesu „Erfüllt ist die Zeit, und nahe gekommen ist die Herrschaft Gottes. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15). Es ist das erste Mal, dass Jesus überhaupt spricht. Für das Evangelium ist diese Botschaft programmatisch, da im ersten Satz Jesu das beherrschende Thema des Evangeliums ausgesprochen wird: Jesus geht es um die Herrschaft Gottes, und dies ist eine gute Nachricht.

Die Ankunft der Gottesherrschaft markiert die Erfüllung der Zeit. Markus sieht die Ankunft der Herrschaft als den Beginn der Endzeit, die sich in der Ewigkeit vollendet (Mk 14,25). Dabei ist der griechische Text in Mk 1,15 nicht leicht zu übersetzen. Das griechische Wort eggiken ist die Perfektform von eggizein, nahe kommen. Die Herrschaft ist nahe gekommen, also schon präsent. Markus scheint also zu implizieren, dass sie zwar schon gegenwärtig ist, aber sich auch immer noch in der Annäherung befindet. Damit wird aber auch deutlich, dass Markus die Herrschaft Gottes in der Spannung zwischen dem Hier und Jetzt und der Vollendung der Endzeit sieht. Daher lässt sie sich als ein Geheimnis beschreiben, das den Jüngern anvertraut ist (Mk 4,11). Es ist eine Herrschaft, die nicht in Kategorien von Raum und Zeit existiert, sondern in Gleichnissen und Metaphern umschrieben wird (Mk 4,30). Gottes Herrschaft ist schon angebrochen, aber sie ist auch eine zukünftige Realität (Mk 9,1), die man freudig erwartet (Mk 15,43).

Eine zweite Schwierigkeit ergibt sich aus dem griechischen Wort basileia. Viele deutsche Übersetzungen geben es mit „Reich“ oder gar „Königreich“ wieder. Dies ist ein relativ statischer Begriff, der einen bestimmten Ort suggeriert. Doch in der griechischen Wurzel steckt nicht nur ein Hauptwort, sondern auch ein Tätigkeitswort. Daher wird man wohl besser basileia mit „Herrschaft“ wiedergeben, da darin ja auch „herrschen“ steckt. Gleichzeitig trifft diese Übersetzung besser den zeit- und ortlosen Charakter, der mit einer Übersetzung durch „Reich“ verlorenginge. Wenn es aber um die Herrschaft Gottes geht, dann bedeutet dies auch, dass der Wille Gottes geschieht. Die Ankündigung Jesu von der nahe gekommenen Herrschaft Gottes bezieht sich zunächst einfach auf die Tatsache, dass der Wille Gottes nun endlich erfüllt wird.

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