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Zu beobachten ist, dass die verschiedenen Forscher jeweils Rekonstruktionen vorlegen, die hypothetisch sind. Drei Hauptthemen kehren mit unterschiedlichen Akzenten immer wieder:

– Erstens beschäftigt die Frage nach dem Verhältnis Jesu zum Judentum seiner Zeit. So wird er als unkonventioneller Jude, als marginaler Jude, als jüdischer Mystiker und Wundertäter oder auch als endzeitlicher Prophet beschrieben. Umstritten ist, ob Jesus sich selbst als Messias betrachtete. Oft wird diese Frage auch generell gestellt: Welches Selbstverständnis hatte Jesus?

– Zweitens wird immer wieder auf die Frage nach der Haltung Jesu zu religiösen und politischen Autoritäten eingegangen. So wird bei Jesus immer wieder eine Sozialkritik beobachtet, die bestehende Besitzverhältnisse grundsätzlich in Frage stellt. Auch die Predigt von der Gottesherrschaft wird oft als direkte Kritik am Römischen Reich gesehen.

– Drittens wird Jesus als eschatologischer Prediger verstanden, der die nahende Endzeit verkündet, die die Umkehrung aller Werte und Verhältnisse impliziert und die Herrschaft Gottes endgültig aufrichten wird. Umstritten ist in diesem Bereich besonders, ob sich Jesus selbst als den betrachtete, der diese Endzeit nicht nur predigte, sondern in ihrer Herbeiführung eine tragende Rolle einnahm.

Alle drei Themen sind natürlich miteinander verwoben und tauchen mit unterschiedlichen Akzenten in fast allen Jesusbüchern auf.

In den Jesusbüchern wird die Frage der Auferstehung in der Regel ausgeklammert. Dies schuldet sich der Einsicht, dass die Auferstehung für Historiker nicht mehr fassbar ist. Man kann belegen, dass Jesusgläubige von seiner Auferstehung überzeugt waren, aber ob ihnen der Auferstandene tatsächlich begegnet ist, lässt sich weder beweisen noch widerlegen. Hier trennen sich Geschichtswissenschaft und Theologie.

D. Rezeption und Interpretation der Evangelien

Mit der Niederschrift der Evangelien beginnt der Prozess der Rezeption und Interpretation. Die enorme Anzahl der Abschriften, die schon in der Antike unternommen wurden, geben Zeugnis von der schnellen und weiten Verbreitung der Evangelien. Inmitten dieser Vielfalt von Manuskripten besteht die erste Aufgabe darin, einen Text zu sichern, der möglichst nahe am Original ist.

a. Textkritik

Die ursprünglichen Texte sind nicht mehr erhalten, doch existieren Fragmente von Abschriften, die bis in das 2. Jh. zurückreichen. Allein an griechischen Fragmenten und vollständigen Texten sind über 5000 verschiedene Manuskripte erhalten. Dies ist auch für heutige Verhältnisse eine hohe Zahl, bedenkt man dazu noch, dass die Kopien von Hand angefertigt wurden. Die moderne Textkritik macht sich zur Aufgabe, aus den verschiedenen erhaltenen Fragmenten einen Gesamttext herzustellen, der möglichst nahe an die ursprünglichen Texte herankommt.

Dies bedeutet, dass der heute zugängliche Text ein rekonstruierter Text ist. In weiten Teilen des Neuen Testaments ist die Rekonstruktion mit sehr großer Sicherheit möglich, in einigen wenigen Abschnitten jedoch besteht Unsicherheit bezüglich der originalen Textform. Ein Beispiel für eine solche Unsicherheit ist Mk 1,1. Der rekonstruierte Text lautet: „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes“. Jedoch fehlt in den ältesten Handschriften der Titel „dem Sohn Gottes“ und wird daher als unsicher betrachtet. Moderne Ausgaben des griechischen Textes vermerken solche Unsicherheiten und Variationen in den Manuskripten in einem textkritischen Apparat. Bei gewichtigen Abweichungen werden diese gelegentlich auch in Übersetzungen deutlich gemacht.

b. Übersetzung

Die Aneignung der Texte setzt sich fort in Übersetzungen. Schon für Menschen in der Antike war Griechisch nicht immer verständlich; es entstanden Übersetzungen in verschiedene Sprachen. Papst Damasus beauftragte den Kirchenvater Hieronymus im Jahr 382 damit, die verschiedenen lateinischen Übersetzungen des Neuen Testaments in der Vulgata zu vereinheitlichen. Sie erfüllte eine ähnliche Funktion wie die Einheitsübersetzung heute, indem sie Liturgie und Bibelstudium für viele Jahrhunderte vereinheitlichte.

Was für die lateinische Bibel Hieronymus war, wurde für die deutsche Bibel Martin Luther. Obwohl es schon vor Luther deutsche Übersetzungen gab, setzte sich Luthers Übersetzung schnell als eine elegante Version durch, die bis heute großes Ansehen genießt und stark zur Vereinheitlichung der deutschen Sprache beitrug.

Im deutschen Sprachraum gibt es heute neben der Einheitsübersetzung noch eine ganze Reihe anderer Übersetzungen, die sich verschiedener Anliegen annehmen. Manche suchen eher die Nähe zum Text in der Originalsprache. Dazu gehören Übersetzungen wie die Revidierte Elberfelder Bibel oder die Zürcher Bibel. Andere versuchen, den Text durchaus frei, aber sinngemäß in eine moderne Sprache zu kleiden. Dazu gehören die Gute Nachricht Bibel. Oft kommt es hier zu Paraphrasen der originalen Texte. Der Spagat, den jede Übersetzung zu leisten hat, ist der zwischen der Treue zur Originalsprache und der Verständlichkeit des Textes in der modernen Sprache. Bei liturgisch gebräuchlichen Übersetzungen kommt noch dazu, dass die Texte auch eine sprachliche Form haben sollen, die dem Anlass angemessen ist.


Abbildung 5: Übersetzungsvergleich für Mk 1,30–31

Ein typisches Beispiel für unterschiedliche Zugänge zu Übersetzungstechniken findet sich im Markusevangelium. Bei den Zeitwörtern wechselt Markus im Originaltext ständig zwischen Gegenwarts- und Vergangenheitsformen, oft sogar im gleichen Satz. Gleichzeitig beginnt Markus fast jeden Satz mit „und“ oder „und sofort“. Die Revidierte Elberfelder Bibel übersetzt beides sehr treu, man kann also diese Phänomene auch in der Übersetzung verfolgen. Daher eignen sich solche Übersetzungen sehr gut für das Bibelstudium in modernen Sprachen. Die Einheitsübersetzung glättet beide Phänomene, indem sie durchgängig Vergangenheitsformen verwendet und Sätze eher selten mit „und“ beginnen lässt. Dadurch wird der Text sehr viel leichter lesbar und in liturgischen Kontexten auch hörbar.

Ein besonderes Problem moderner Übersetzungen ist die Frage nach inklusiver Sprache. Es wird noch verschärft, wenn kirchliche Autoritäten ausdrücklich inklusive Übersetzungen für den liturgischen Gebrauch untersagen, wie geschehen mit der vatikanischen Instruktion Liturgiam Authenticam aus dem Jahr 2001. Hier werden moderne Sensibilitäten getroffen, die den antiken Autoren unbekannt waren. Oft benutzen die Evangelien männliche Pronomina, die aber auch Frauen mit einschließen. Dies in einer Übersetzung zu berücksichtigen ist äußerst schwierig. So heißt es in Lk 9,23 nach der Zürcher Bibel: „Wenn einer mir auf meinem Weg folgen will, verleugne er sich und nehme sein Kreuz auf sich, Tag für Tag, und so folge er mir!“ Die Bibel in Gerechter Sprache aus dem Jahr 2006 behilft sich mit einer Paraphrase: „Wenn ihr mir folgen wollt, so müsst ihr euch verleugnen und euer Kreuz tragen, jeden Tag, und mir nachfolgen!“ Schwieriger noch wird es bei männlich geprägten Gottesbezeichnungen wie „Vater“. Die Frage nach inklusiver Sprache ergibt sich jedoch zwingend aus dem Anspruch biblischer Texte und der Evangelien im Besonderen, Texte für alle Menschen zu sein, nicht nur Kuriositäten aus einem literarischen Antiquitätenkabinett.

c. Kanonbildung

Schon im 2. Jh. stellte sich die Frage, welche Evangelien überhaupt eine besondere Autorität genießen sollten. Markion (ca. 85–160), ein reicher Kaufmann in Rom und unter gnostischem Einfluss, stellte die Frage explizit, indem er behauptete, dass lediglich das Lukasevangelium, und dies nur in Auszügen, kirchliche Autorität genießen sollte; die anderen Evangelien seien zu sehr den jüdischen Gottesvorstellungen verhaftet. Während Markion sich nicht durchsetzen konnte, löste er doch eine lebhafte theologische Debatte aus. Gegen Ende des 2. Jh.s vertritt Irenäus von Lyon (ca. 135–ca. 202) die These, dass die vier Evangelien, neben anderen Schriften, eine besondere Autorität in der Kirche besitzen und als kanonisch gelten. Dieser Begriff leitet sich vom griechischen kanōn ab, was so viel bedeutet wie Maßstab oder Messlatte, ein im Bauhandwerk benötigtes Werkzeug.

Mit Irenäus war die Kanondebatte nicht abgeschlossen, sondern wurde weiter verfeinert und mit neuen Argumenten unterlegt. Tatsächlich zählte Irenäus nicht alle heutigen neutestamentlichen Schriften zum Kanon. Doch im Laufe der Zeit kristallisierten sich vier Kriterien heraus, mit denen die besondere Autorität der neutestamentlichen Schriften gefasst wurde:

– Die Schriften sind apostolischen Ursprungs.

– Die Schriften sind in der gesamten Kirche in Gebrauch.

– Sie eignen sich für den liturgischen Gebrauch.

– Alle Schriften transportieren in ihrer Verschiedenheit doch eine einheitliche Botschaft.

Die Kanondebatte hielt lange Zeit an, selbst Luther war noch geneigt, einige Bücher des Neuen Testaments aus dem Kanon auszuschließen. Doch die vier Evangelien waren ab dem Ende des 2. Jh.s nicht mehr umstritten. Athanasius von Alexandrien führt als Erster im Jahre 367 den neutestamentlichen Kanon in seinem heutigen Umfang an. Für die katholische Kirche wurde der Kanon vom Konzil von Trient im Jahr 1546 endgültig festgelegt.

Die Kanondiskussion zeigt, warum die Evangelien als Zeugnisse von Jesus ein so hohes Ansehen genießen. Sie sind auch heute noch der privilegierte Zugang zu den Taten und Lehren Jesu. Dies äußert sich darin, dass sie nicht nur dem privaten Studium oder einer kollektiven Theologie dienen. Sie bleiben der Maßstab, an dem sich christliche Authentizität und Glaubwürdigkeit messen lassen müssen. Daher bleiben sie auch zentrales Ereignis der liturgischen Feier des Glaubens.

d. Inspiration

In etwa gleichzeitig mit der Kanonbildung entstand in der theologischen Entwicklung auch die Idee der Inspiration. Grundsätzlich ist sowohl die Terminologie als auch die grundlegende Theorie der Inspiration schon im Neuen Testament selbst angedeutet: „Jede von Gott eingehauchte Schrift ist auch nützlich zur Belehrung, zur Zurechtweisung, zur Besserung und zur Erziehung in der Gerechtigkeit“ (2 Tim 3,16).

Der zweite Timotheusbrief stellt hier zur Diskussion, dass es Schriften gibt, die „von Gott eingehaucht“ sind, so als ob Gott die betreffenden Schriften mit seinem Geist beatmet hätte. Der Kirchenvater Hieronymus (347–420), als großer Interpret und Übersetzer in die Geschichte der Exegese eingegangen, übersetzt das griechische Wort mit dem lateinischen Adjektiv inspiratus, inspiriert. Daher leitet sich der Begriff „Inspiration“ ab. Die theologische Entwicklung während der Zeit der Kirchenväter interpretiert diese Einhauchung so, dass Gott selbst der Urheber der Schriften ist. Grundsätzlich ist dies zunächst einmal eine sehr abstrakte These, die noch keine Angaben macht, wie sich menschliche Autorenschaft und göttliche Urheberschaft miteinander in diesen Schriften verbinden. Dazu hat es in der Kirchengeschichte mehrere Interpretationsmodelle gegeben, die teilweise heute noch Verwendung finden.

Mit dem Inspirationsbegriff sind zwei wichtige Thesen der Schriftauslegung untrennbar verbunden. Zum einen ist die Schrift ohne Irrtum („Inerranz“). Zum anderen ist die Kenntnis der Schrift ausreichend zum ewigen Heil („Suffizienz“). Diese beiden Themenkreise bestimmen ebenfalls die Inspirationsbegriffe.

Verbalinspiration bezeichnet die Auffassung, dass der Text in seinem wörtlichen Bestand dem menschlichen Autor von Gott eingegeben ist. Damit wird der menschliche Anteil an der Verschriftlichung minimalisiert. Varianten dieser Auffassung finden sich, wenn bestimmte Übersetzungen wie die Septuaginta oder die Vulgata als inspiriert im Gegensatz zu anderen Textformen gesehen werden. Wenn Gott selbst der Urheber der wörtlichen Wendungen ist, so ist dies natürlich auch an bestimmte Sprachen gebunden.

Grundsätzlich findet sich diese These schon bei Augustinus, führte allerdings erst im orthodoxen Protestantismus zu ihrer ausführlichen Formulierung. Heute wird diese These vor allem von konservativ-evangelikalen Gruppen vertreten. Gelegentlich finden sich Variationen auch in extrem konservativen katholischen Kreisen. Letztlich scheint die Liturgieinstruktion „Liturgiam authenticam“ zu einer solchen Verbalinspiration zu neigen, wenn sie die Nova Vulgata als authentischen Text zu definieren sucht.

Der Vorteil dieser Art der Schriftinterpretation ist, dass sie kaum Vermittlung braucht. Man geht einfach hin und nimmt die Anweisungen in der Schrift wörtlich.

Allerdings kann man auch beobachten, dass kaum eine Gruppe dies tatsächlich konsistent tut. Vor allem die jüdischen Gebote werden dann doch entschärft. Wenn jemand dafür argumentiert, dass Ehebrecherinnen heute mit dem Tod bestraft werden sollten, so sind dies meistens keine Christen mehr. Ähnliches gilt natürlich für andere Gebote wie das Vermischen verschiedener Gewebesorten oder das Verbot bestimmter Speisen. Auch neutestamentliche Verhaltensregeln werden heute oft nicht mehr wörtlich genommen, so beispielsweise das Verbot für Frauen, während des Gottesdienstes zu sprechen, oder die Verhaltensregeln für Sklaven gegenüber ihren Herren. Dies bedeutet natürlich, dass die Inerranz der Schrift de facto aufgegeben wird.

In der Regel kann man also schließen, dass selbst Gruppen, die sich zur Verbalinspiration bekennen, Ausnahmen von dieser Regel kennen. Daher scheint die Verbalinspiration eher nicht praktikabel zu sein.

Die Realinspiration versucht das Dilemma der Verbalinspiration zu vermeiden, indem sie postuliert, dass nicht der wörtliche Text inspiriert ist, sondern die in ihm beschriebene Sache, lateinisch „res“. Diese Theorie erklärt also die Inhalte des Textes für inspiriert, nicht die Formulierungen der Inhalte. Dies bedeutet auch, dass diese Theorie Abweichungen und Diskrepanzen in Texten erklären kann, ohne gleich die Inspiration als solche in Frage stellen zu müssen. Zudem kann diese Theorie auch menschliches und göttliches Wirken beim Verfassen der Texte besser zusammenhalten. Letztlich macht auch die Möglichkeit der Inerranz und der Suffizienz diese These durchaus attraktiv.

Allerdings beinhaltet auch diese Theorie ihre Probleme. Zunächst besteht ja die Schwierigkeit darin, die Inhalte eines Textes überhaupt zu definieren. Was genau ist der inspirierte Inhalt des Matthäusevangeliums, und was ist zufälliges Beiwerk? Die Realinspiration trennt die Inhalte der Texte von ihrer literarischen Gestalt. Bedeutet dies also, dass die literarische Form der Texte keine Rolle spielt? So ist beispielsweise der Prozess vor Pilatus im Johannesevangelium äußerst kunstvoll gestaltet. In seinem Zentrum steht die Frage nach der Identität und Art des Königtums Jesu. Die Frage stellt sich, ob wesentliche Inhalte so von der sprachlichen Form getrennt werden können, wie es diese Theorie vorsieht; der Prozess vor Pilatus zeigt aber, dass der Inhalt wesentlich von der literarischen Form vermittelt wird.

Die Personalinspiration ist eng mit der Realinspiration verwandt. Sie behauptet nicht die Inspiration der realen Inhalte, sondern die persönliche Inspiration der menschlichen Verfasser der Schriften, die nun als freie menschliche Subjekte geachtet werden, die unter dem Einfluss einer persönlichen Geisteingebung mit ihren Mitteln die Texte verfassten. Will man also den inspirierten Inhalten der Texte näherkommen, muss man versuchen, die Intention dieser Autoren zu eruieren, ihre Situation zu erfassen und ihre literarischen Fähigkeiten und unterschiedlichen Ausdrucksweisen zu analysieren.

Allerdings stellt sich hier die Frage, ob eine solche Suche nach den Autorenintentionen überhaupt erfolgreich sein kann, wenn wir doch über viele der neutestamentlichen Autoren so gut wie nichts wissen und diese über 2000 Jahre Geschichte und Kultur von uns getrennt sind. Gerade die Evangelien sind ja anonym verfasst – und dies wohl auch mit Absicht. Zudem sind gerade die Evangelien Zeugnisse eines langen Traditionsprozesses. Die Rückfrage nach den Verfassern der Evangelien wird damit aber äußerst komplex.

Die These von einer ekklesialen Inspiration wurde von Karl Rahner entwickelt. Rahners Anliegen war, die Inspirationslehre an die Geschichte der Kirche und des Kanons rückzubinden. Rahner postulierte, dass Gott als Autor der Schrift gleichzeitig auch der Stifter der Kirche ist. Ist das Werden der Kirche nun an den Willen Gottes gebunden, so entspricht dies dem Prozess der Schriftwerdung. So wie Kirche wird, wird auch der Kanon. Daher ist der inspirierte Kanon jeweils in der Kirche zu interpretieren. Die Inspiration der Schrift findet sich in der Kirche, und die Kirche als Ausdruck des Willens Gottes findet sich gleichzeitig in der Schrift. Es handelt sich dabei also um eine fast symbiotische Beziehung zwischen Kirche und Schrift. Dies bedeutet für Rahner dann als Konsequenz, dass die göttliche Inspiration der Schrift in der gemeinschaftlichen Auslegung der Kirche erhoben werden kann. Dabei lässt Rahner noch offen, ob es innerhalb kirchlicher Instanzen auch eine Rangordnung der Auslegung geben kann oder soll. Im Übrigen kann die ekklesiale Inspiration auch die Traditionsbildung bis hin zu den Evangelien sehr gut integrieren.

Die katholische Kirche bekennt sich zwar zur Inspiration, nicht aber zu einer bestimmten Theorie, wie diese zu verstehen sei. Selbst das nachsynodale Apostolische Schreiben „Verbum Domini“ von Papst Benedikt XVI. aus dem Jahr 2010 geht zwar auf eine ekklesiale Inspirationstheorie zu, konstatiert aber auch, dass dies Modell lediglich im übertragenen Sinn anwendbar ist. Letztlich bleibt also die konkrete Art des Verwebens von Menschenwort und Gotteswort in den Texten der Schrift offen.

e. Bekenntnis

Am Beginn des Markusevangeliums steht der Aufruf zur Bekehrung und zum Glauben an das Evangelium (Mk 1,15). Die Evangelien beschreiben immer wieder Menschen, die Jesus mit Begeisterung nachfolgen. Immer wieder werden Menschen beschrieben, die Jesus als ihren Herrn bekennen. Neben diesen Figuren gibt es allerdings auch genügend, die sich von Jesus abwenden oder denen die Nachfolge zu schwierig erscheint. Dazu gehören nicht nur der reiche Jüngling (Mt 19,16–22), sondern auch die zahlreichen Gegner Jesu, die ihn schließlich ans Kreuz schlagen lassen. Jesus wird zur Figur, an der sich die Geister scheiden. Die Evangelien sind Schriften, die zur Nachfolge aufrufen wollen.

In der Geschichte wird immer wieder deutlich, dass der Aufruf zur Nachfolge ganz unterschiedliche Formen annehmen kann. Augustinus, Franz von Assisi, Oscar Romero oder Franz Jägerstätter, Hildegard von Bingen, Teresa von Avila, Madeleine Delbrêl oder Doris Day sind Beispiele für Menschen, die diesem Aufrufgefolgt sind. Die Liste ließe sich beliebig weiterführen, doch wird aus dieser willkürlichen Auswahl deutlich, wie unterschiedlich sich an den Evangelien orientierte Lebensentwürfe entwickeln können.

Wie auch immer man auf den Anruf des in den Evangelien bezeugten Gottes reagieren mag, ob man ihn aufnimmt oder ablehnt, letztlich bleiben die Evangelien nur dann verständlich, wenn man ihren Anruf ernst nimmt. Die Faszination der Evangelien besteht darin, dass diese Einladung auch nach 2000 Jahren durch alle kulturellen und historischen Entwicklungen hindurch noch immer klingt.

E. Literatur zur Vertiefung

Einen guten, wenn auch sehr technischen Überblick über die verschiedenen Modelle zur Entstehung der Evangelien bietet Sandra Hübenthal: Das Markusevangelium als kollektives Gedächtnis (Göttingen 2014), S. 11–71. Die neueren Modelle mündlicher Tradition wurden hauptsächlich im englischsprachigen Raum entwickelt. Thomas Söding: Die Verkündigung Jesu – Ereignis und Erinnerung (Freiburg 2011) bietet eine deutschsprachige Diskussion.

Zur Rekonstruktion der Redequelle bietet Christoph Heil: Das Spruchevangelium Q und der historische Jesus (Stuttgart 2014) einen verständlichen Zugang.

1 626,94 ₽
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9783429062910
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