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KAPITEL VIER

Ungefähr eine halbe Stunde später fuhr Riley auf den Parkplatz in Quantico ein. Als sie Meredith gefragt hatte, wie bald er sie sehen wollte, hatte sie eine ernstliche Dringlichkeit in seiner Stimme gespürt…

„Vor einer Stunde. Noch eher, wenn’s geht.“

Natürlich war es fast immer so, dass die Zeit davonlief, wenn Meredith sie zuhause anrief. Manchmal ganz wörtlich, wie in ihrem letzten Fall. Der sogenannte Sandmann hatte Sanduhren benutzt um die Stunde zu bestimmen, zu der sein nächster brutaler Mord verrichtet werden würde.

Etwas in Merediths Ton verriet aber, dass die Situation heute auf irgendeine Weise einzigartig war.

Als sie parkte bemerkte sie Bill und Jenn, die auch gerade in ihren Autos auffuhren. Sie stieg aus und wartete auf sie.

Ohne viele Worte machten sich die drei auf den Weg zum Gebäude. Riley sah, dass Bill und Jenn genau wie sie ihre Reisetaschen mitgenommen hatten. Sie wussten alle, dass sie höchstwahrscheinlich kurzerhand Quantico verlassen würden.

Sie identifizierten sich am Eingang und betraten das Gebäude um Chief Merediths Büro aufzusuchen. Sobald sie zu seiner Tür gelangt waren sprang der kräftige und imposante Afro-Amerikaner hinaus zu ihnen auf den Flur. Er war offensichtlich über ihre Ankunft in Kenntnis gesetzt worden.

„Keine Zeit eine Konferenz abzuhalten“, grummelte er die drei Agenten an. „Wir müssen im Gehen sprechen.“

Als sie Meredith nacheilten bemerkte Riley, dass sie direkt auf Quanticos Landebahn zusteuerten.

Wir haben es ja wirklich eilig, dachte Riley. Es war ungewöhnlich, nicht einmal ein kurzes Treffen abzuhalten, um sie über den neuen Fall aufzuklären.

In großen Schritten neben Meredith schreitend fragte Bill ihn: „Worum geht’s denn, Chief?“

Meredith antwortete: „In diesem Moment liegt ein enthaupteter toter Körper auf den Eisenbahnschienen in der Nähe von Barnwell, Illinois. Es ist eine Linie, die von Chicago ausgeht. Eine Frau wurde vor nur wenigen Stunden an die Gleise gebunden und von einem Güterzug überfahren. Es ist der zweite solche Mord in vier Tagen und scheinbar gibt es überwältigende Ähnlichkeiten zwischen den Fällen. Es sieht ganz nach einer Serie aus.“

Meredith legte in seinem Schritt zu und die drei Agenten hasteten ihm nach, um nicht zurückzubleiben.

Riley fragte: „Und wer hat das FBI angerufen?“

Meredith antwortete: „Ich habe den Anruf von Jude Cullen bekommen, dem Deputy Chief der Eisenbahnpolizei des Raums Chicago. Er meinte, er brauche sofort Fallanalysten vor Ort. Ich habe ihm aufgetragen, den Körper zu lassen, wo er ist, bis ihn sich meine Agenten angeschaut haben.

Meredith schnaubte.

„Das ist ziemlich viel verlangt. Drei weitere Güterzüge und ein Passagierzug sollen heute noch die Strecke fahren. Die Verzögerungen richten jetzt schon richtiges Chaos an, deshalb müssen Sie sobald wie möglich zum Tatort um den Körper inspizieren zu können. Erst danach kann er bewegt werden und die Züge können wieder fahren. Naja und dann…“

Meredith schnaubte wieder.

„Dann müssen Sie den Killer aufhalten. Und ich bin mir sicher, dass wir uns alle darüber einig sein können: er wird wieder morden. Abgesehen davon wissen sie jetzt genau so viel über den Fall wie ich. Cullen wird Ihnen alle anderen Einzelheiten selbst erzählen müssen.“

Die Gruppe betrat das Rollfeld der Landebahn, wo ein kleiner Jet mit laufenden Motoren bereits auf sie wartete.

Gegen den Lärm anbrüllend, rief Meredith ihnen zu: „Sie werden am O’Hare Airport von ein paar Eisenbahnpolizisten empfangen. Die fahren Sie dann direkt zum Tatort.“

Meredith machte kehrt und begab sich auf den Weg zurück zum Gebäude. Riley und ihre Kollegen stiegen die Treppe hinauf und gingen an Bord. Die Hastigkeit ihrer Abreise hinterließ ein Gefühl des Schwindels bei Riley. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Meredith sie jemals so hinausgehetzt hatte.

Aber es überraschte nicht, wenn man bedachte, dass der Zugverkehr durch den Vorfall behindert war. Riley konnte sich nur ausmalen, welch enorme Schwierigkeiten dies gerade bereitete.

Sobald das Flugzeug in der Luft war holten die drei Agenten ihre Laptops heraus um zu versuchen die wenigen Informationen, die zu diesem Zeitpunkt womöglich bereits vorlagen, zu recherchieren.

Riley stellte schnell fest, dass die Neuigkeiten bezüglich des letzten Mordes sich bereits verbreitet hatten, obwohl der Name des Opfers noch nicht vorlag. Sie fand aber heraus, dass der Name des vorherigen Opfers Fern Bruder war. Es handelte sich um eine 25-jährige Frau, dessen enthaupteter Körper auf den Zuggleisen in der Nähe von Allardt, Indiana aufgefunden wurde.

Riley fand nicht sehr viel mehr über die Morde. Sollte die Eisenbahnpolizei bereits Verdächtige haben oder ein Motiv vermuten, so hatte diese Information die Öffentlichkeit noch nicht erreicht –– und das war gut so, wie Riley wusste.

Trotzdem war es frustrierend gerade nicht mehr herausfinden zu können.

Da sie sich gegenwärtig nicht mit dem Fall beschäftigen konnte, versank Riley in Gedanken darüber, was soweit heute geschehen war. Sie fühlte immer noch den Schmerz, den der Verlust von Liam hinterlassen hatte –– allerdings erkannte sie auch…

„Verlust“ ist nicht wirklich das treffende Wort.

Nein, sie und ihre Familie hatten ihr Bestes für den Jungen gegeben. Und nun ergab es sich noch besser für Liam, dass er in der Obhut von Menschen war, die ihn liebten und sich gut um ihn sorgen würden.

Gleichzeitig fragte Riley sich…

Wieso fühlt es sich dann wie ein Verlust an?

Riley war auch zwiegespalten was Aprils Pistole und ihr Schießtraining anging. Die Reife, die April gezeigt hatte, machte Riley auf jeden Fall stolz, genauso wie ihre zunehmende Treffsicherheit. Auch war Riley zutiefst berührt, dass April in ihre Fußstapfen folgen wollte.

Und doch… Riley konnte nicht anders, als sich vor Augen zu führen…

Ich bin auf dem Weg zu einem enthaupteten Körper.

Ihre gesamte Karriere war eine lange Aneinanderreihung von Grausamkeiten. War das wirklich das Leben, dass sie sich für April wünschte?

Es ist nicht meine Entscheidung, dachte Riley. Es ist ihre.

Riley fühlte sich auch komisch wegen des schwierigen Gesprächs, dass sie vorhin mit Jenn gehalten hatte. So vieles war unausgesprochen geblieben und Riley hatte keine Ahnung, was gerade möglicherweise zwischen Jenn und Tante Cora vorgehen könnte. Jetzt war aber natürlich auch nicht der richtige Zeitpunkt das alles anzusprechen –– nicht jetzt in Bills Gegenwart.

Riley konnte nicht anders, als sich zu fragen…

Hat Jenn Recht? Sollte sie vielleicht doch ihre Dienstmarke ablegen?

Machte Riley alles vielleicht schlimmer für die junge Agentin, indem sie sie ermutigte weiterhin beim FBI zu bleiben?

Und war Jenn gerade in der richtigen Verfassung um einen neuen Fall anzufangen?

Riley schaute zu Jenn hinüber, die in ihrem Sitz versunken angestrengt auf ihren Computer starrte.

Jenn schien gerade voll und ganz bei der Sache zu sein –– sehr viel mehr als Riley, jedenfalls.

Rileys Gedanken wurden von Bills Stimme unterbrochen.

„An die Bahngleise gefesselt. Das klingt fast wie…“

Riley sah, dass auch Bill auf seinen Bildschirm schaute.

Er hielt inne, aber Jenn führte seinen Satz zu Ende.

„Wie einer dieser alten Stummfilme, oder? Ja, das dachte ich mir auch.“

Bill schüttelte den Kopf.

„Ich will mich natürlich nicht darüber lustig machen, aber… ich muss andauernd an einen schnurrbärtigen Bösewicht im Zylinderhut denken, der ein junges Fräulein an die Gleise fesselt bis irgendein flotter Held eintrifft um sie zu retten. War das nicht das Standardszenario all dieser Stummfilme?“

Jenn zeigte auf ihren Bildschirm.

„Naja, eigentlich nicht wirklich. Ich habe das mal recherchiert. Es ist ein Motiv, ein Klischee. Und jeder meint es irgendwann mal so gesehen zu haben. Aber es ist nie tatsächlich so in irgendeinem Stummfilm verfilmt worden. Jedenfalls nicht als ernsthafte Geschichte.“

Jenn drehte ihren Bildschirm zu Bill und Riley, sodass sie ihn sehen konnten.

Sie führte aus: „Das erste fiktionale Beispiel eines Bösewichts, der jemanden an Bahngleise fesselt scheint lange vor dem Film erschaffen geworden zu sein. Es handelt sich um das 1867 erschienene Theaterstück „Unter dem Gaslicht“. Aber –– passt auf! –– der Bösewicht fesselte einen Mann an die Gleise und es war die Protagonistin, die ihn befreien musste. Dasselbe Motiv kommt in einer Kurzgeschichte und einigen anderen Theaterstücken dieser Zeit vor.“

Riley sah, dass Jenn ziemlich vereinnahmt war von dem, was sie herausgefunden hatte.

Jenn fuhr fort: „Was alte Filme angeht, es gab da grad mal zwei Stummkomödien, in denen genau das passierte –– eine kreischende, hilflose junge Dame wurde von einem heimtückischen Schurken an die Bahngleise gefesselt und wurde dann von einem schönen Helden wieder befreit. Aber die waren der Lacher halber, so wie Zeichentrickfilme am Samstagmorgen.“

Bills Augen weiteten sich vor Interesse.

„Parodien auf etwas, was nie wirklich existiert hatte“, sagte er.

„Genau“, sagte Jenn.

Bill schüttelte den Kopf.

Er sagte: “Aber Dampflokomotiven waren zu diesen Zeiten eine alltägliche Sache –– in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts, meine ich. Gab es keine Stummfilme, die jemanden darstellten, der in Gefahr war von einem Zug überfahren zu werden?“

„Doch, klar“, sagte Jenn. „Manchmal fielen Figuren auf die Gleise oder wurden geschubst und durch den Fall K.O. geschlagen. Aber das ist nicht dasselbe Szenario, oder? Außerdem waren die Filmfiguren meistens Männer, wie in dem Theaterstück, und mussten von der weiblichen Heldin gerettet werden.“

Riley war nun ganz Ohr. Sie wusste genau, dass Jenn nicht ihre Zeit vergeudete, wenn sie solche Dinge recherchierte. Sie mussten alles wissen, was einen Killer womöglich antreiben könnte. Es könnte sich als nützlich erweisen die kulturellen Vorläufer der Szenarien, mit denen sie zu tun hatten, zu kennen und zu verstehen–– selbst, wenn diese womöglich fiktional waren.

Oder in diesem Fall, nichtexistent, dachte Riley.

Alles, was den Killer möglicherweise beeinflusst hatte, könnte relevant werden.

Sie dachte einen Moment lang nach, fragte dann Jenn: „Bedeutet das, dass es keine realen Fälle gab, in denen Menschen umgebracht wurden, indem sie an Bahngleise gefesselt wurden?“

„Nein, es ist tatsächlich auch mal passiert“, antwortete Jenn, auf den Bildschirm zeigend. „Zwischen 1874 und 1910 sind mindestens 6 Menschen so umgekommen. Ich kann gerade keine anderen Beispiele seit dieser Zeit ausfindig machen, außer dieses eine, das erst vor Kurzem passiert ist. Es ging um ein entfremdetes Ehepaar in Frankreich. Der Mann hatte damals seine Frau an ihrem Geburtstag an die Gleise gefesselt und warf sich gleichzeitig selber vor den Zug um mit ihr zu sterben –– ein erweiterter Selbstmord also. Ansonsten scheint das eine ziemlich unübliche Art um jemanden umzubringen. Und in keinem dieser Fälle handelte es sich um eine Mordserie.“

Jenn drehte ihren Computerbildschirm wieder zu sich und schwieg.

Riley ließ sich eine Phrase, die Jenn benutzt hatte, durch den Kopf gehen …

„…eine ziemlich unübliche Art jemanden umzubringen.“

Riley dachte sich…

Unüblich, aber nicht unerhört.

Jetzt fragte sie sich, ob die Mordfälle zwischen 1874 und 1910 alle von diesen alten Theaterstücken inspiriert waren, in denen die Figuren an Gleise gefesselt wurden. Riley konnte sich in der jüngsten Vergangenheit auch an andere grauenhafte Umsetzungen von Kunst ins eigentliche Leben erinnern –– dort waren Mörder von Büchern oder Filmen oder Videospielen inspiriert worden.

Vielleicht hatten sich die Dinge gar nicht so sehr verändert.

Vielleicht hatten sich die Menschen gar nicht so sehr verändert.

Und was war mit dem Killer, nach dem sie sich bald auf die Suche machen würden?

Es schien lächerlich anzunehmen, dass sie nach einem Psychopaten suchten, der einen heimtückischen, melodramatischen, Schnurrbart-zwirbelnden Bösewicht nachahmte, welcher nie wirklich existiert hatte –– nicht einmal im Film.

Aber was könnte dann diesen Killer antreiben?

Die Situation war ihr klar und allzu gut bekannt. Riley und ihre Kollegen würden diese Frage so bald wie möglich beantworten müssen, sonst würden weitere Menschen sterben.

Riley sah Jenn dabei zu, wie diese an ihrem Laptop arbeitete. Es war ein ermutigender Anblick. Gegenwärtig schien Jenn ihre Sorgen was die mysteriöse “Tante Cora” anging beiseite gelegt zu haben.

Doch wie lange wird das anhalten? fragte sich Riley.

Jenns Anblick rief Riley zurück zu ihren eigenen Rechercheaufgaben. Sie hatte nie an einem Fall gearbeitet der Züge involvierte und musste sich daher noch vieles aneignen. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Bildschirm.

*

Genau wie Meredith es versprochen hatte, wurden Riley und ihre Kollegen in O’Hare von zwei uniformierten Eisenbahnpolizisten empfangen. Alle stellten sich vor und Riley stieg zusammen mit Bill und Jenn in den Dienstwagen.

„Wir sollten uns beeilen“, sagte der Polizist, der im Beifahrersitz saß. Die Eisenbahnlobby macht dem Chief grade echt die Hölle heiß, weil die Leiche immer noch auf den Gleisen ist.“

Bill fragte: „Wie lange brauchen wir denn dahin?“

Der Polizist am Lenkrad antwortete: „Normalerweise `ne Stunde, aber wir werden nicht solange brauchen.“

Er schaltete die Lichter und Sirene ein und das Auto begann sich durch den dichten Feierabendverkehr zu winden. Es war eine angespannte, chaotische, sehr schnelle Fahrt, die sie schließlich zu einem kleinen Städtchen Namens Barnwell, Illinois brachte. Kurz nachdem sie den Ort passierten, kamen sie an einer Eisenbahnkreuzung vorbei.

Der Polizist im Beifahrersitz zeigte aus dem Fenster.

„Es sieht ganz danach aus, als wäre der Killer in einem Geländewagen genau hier von der Straße abgebogen und die Gleise entlang gefahren bis zu dem Ort, an dem er mordete.“

Kurz danach parkten sie an einem Waldstück. Ein anderes Polizeiauto und der Van des Gerichtsmediziners standen auch schon dort.

Die Bäume waren nicht besonders dicht und die Cops führten Riley und ihre Kollegen direkt durch das Waldstück zu den Eisenbahngleisen, die nur etwa zwanzig Meter entfernt lagen.

Genau in diesem Augenblick sah Riley den Tatort.

Sie musste schlucken.

Weit weg waren die kitschigen Vorstellungen über schnurrbärtige Bösewichte und hilflose junge Damen.

Das hier war allzu echt –– und allzu grausam.

KAPITEL FÜNF

Eine ganze Weile lang starrte Riley den Körper auf den Gleisen an. Sie hatte alle möglichen, auf schreckliche Art und Weise entstellten Leichen gesehen. Trotzdem, dieses Opfer bot einen besonders schockierenden Anblick. Der Kopf der Frau war von den Eisenbahnrädern sauber abgetrennt worden, fast wie von der Klinge einer Guillotine.

Riley stellte überrascht fest, dass der Körper der Frau unberührt von dem Zug geblieben schien, der über ihr entlang gerast war. Das Opfer war mit Panzertape gefesselt worden. Ihre Hände und Arme waren dicht an ihren Körper gefesselt und ihre Knöchel fest aneinander gebunden. Ihr Körper, gekleidet in ein attraktives Outfit, war in einer entsetzten, sich windenden Position erstarrt. Wo ihr Hals durchtrennt worden war, befand sich überall Blut –– auf den Schottersteinen, den Holzschwellen und dem Gleis. Der Kopf war einige Meter weit weggeschleudert worden. Die Augen und der Mund der Frau waren weit aufgerissen und starrten in einer Grimasse des unerträglichen Horrors in den Himmel.

Riley sah mehrere Menschen um den Körper stehen, einige von ihnen in Uniform, andere nicht. Riley glaubte, dass es eine Gruppe aus Eisenbahn- und örtlichen Polizisten war. Ein uniformierter Mann näherte sich Riley und ihren Kollegen.

Er fing an: „Ich nehme an Sie sind die FBI Leute. Ich bin Jude Cullen, Deputy Chief der Eisenbahnpolizei für die Umgebung von Chicago –– `Bull` Cullen, so nennt man mich.“

Er klang stolz auf den Spitznamen. Riley wusste durch ihre Recherche, dass „Bull“ ein generelles Slangwort für die Bezeichnung eines Eisenbahnpolizisten darstellte. Eigentlich hatte die Eisenbahnpolizei Titel des Agenten und des Spezialagenten, ähnlich wie bei der FBI. Anscheinend bevorzugte dieser Kollege es aber nicht durch seinen Titel hervorgehoben zu werden.

„Es war meine Idee Sie hierher zu bringen“, fuhr Cullen fort. „Ich hoffe der Trip wird sich lohnen. Je schneller wir den Körper hier wegbewegen können, desto besser.“

Während Riley und ihre Kollegen sich vorstellten, musterte sie Cullen. Er schien außergewöhnlich jung und außerordentlich muskulös zu sein. Seine Arme wölbten sich in praller Muskulatur aus dem kurzärmligen Hemd seiner Unifom, welche eng an seinem Oberkörper anlag und diesen dadurch noch mehr betonte.

Der Spritzname „Bull“ passte gut zu ihm, dachte sie. Jedoch war Riley immer eher unbeeindruckt von Männern, die so offensichtlich viel Zeit im Fitnessstudio verbrachten, um so auszusehen, als sich von ihnen angezogen zu fühlen.

Sie fragte sich wie ein so durchtrainierter Typ wie Cullen überhaupt noch Zeit für andere Dinge fand. Dann bemerkte sie, dass er keinen Ehering trug. Sie schätzte, dass sein Leben sich um seine Arbeit und das Training im Fitnessstudio drehen musste, und um nicht viel mehr.

Er war frohen Muts und schien nicht besonders geschockt von dem außergewöhnlich grausamen Anblick des Tatortes. Natürlich war er hier schon seit einigen Stunden –– lange genug um nicht mehr so mitgerissen davon zu sein. Trotzdem erschien er Riley auf den ersten Blick als ziemlich selbstverliebt und oberflächlich.

Sie fragte ihn: „Konnte das Opfer identifiziert werden?“

Cullen nickte.

„Ja, ihr Name war Reese Fisher, 35 Jahre alt. Sie lebte hier in der Nähe, in Barnwell, wo sie in der öffentlichen Bibliothek arbeitete. Sie war mit einem Chiropraktiker verheiratet.“

Riley schaute nach links und rechts entlang der Gleise. Dieser Abschnitt der Gleise war gekrümmt, sodass sie in keine der beiden Richtungen besonders weit schauen konnte.

„Wo ist der Zug, der sie überfuhr?“, fragte sie Cullen.

Cullen zeigte mit der Hand in die Richtung und sagte: „Ungefähr einen Kilometer hier entlang. Genau dort, wo er zum Stehen gekommen war.“

Riley bemerkte einen fettleibigen Mann in schwarzer Uniform, der sich über die Leiche beugte.

„Ist das der Gerichtsmediziner?“, fragte sie Cullen.

„Genau, lassen Sie mich vorstellen. Das ist der Barnweller Gerichtsmediziner, Corey Hammond.“

Riley hockte sich neben den Mann. Sie bemerkte, dass, im Gegensatz zu Cullen, Hammond den anfänglichen Schock immer noch nicht überwunden hatte. Sein Atem war keuchend, er schnappte immer wieder nach Luft –– zum Teil war dies wegen seines Gewichts, nahm Riley an, aber auch aus Ekel und vor Grauen. Er war sicherlich noch nie so etwas in seiner Arbeit begegnet.

„Was können Sie uns soweit sagen?“ fragte Riley den Gerichtsmediziner.

„Keine Zeichen sexueller Gewalt, soweit ich das beurteilen kann“, antwortete Hammond. „Das gilt auch für die Autopsie des ersten Opfers vor vier Tagen, der Fall in der Nähe von Allardt.“

Hammond zeigte auf zerrissene Stücke des breiten silbrigen Klebebands um den Hals und Schultern des Körpers.

„Der Killer hat sich an Händen und Füßen gefesselt, hat ihren Hals an die Gleise festgeklebt und ihre Schultern mit dem Klebeband bewegungsunfähig gestellt. Sie muss wie eine Verrückte gekämpft haben um sich hier wegzureißen, aber sie hatte nie eine Chance.“

Riley drehte sich zu Cullen: „Sie wurde nicht geknebelt. Hätte sie irgendjemand schreien hören können?“

„Wir denken nicht“, sagte Cullen und zeigte Richtung Bäume. „Es gibt dort ein paar Häuser hinter dem Wald, aber die sind außer Hörweite. Einige meiner Jungs sind Tür zu Tür gegangen und haben die Leute befragt, ob jemand etwas gehört hat oder irgendwas mitbekommen hat zur Tatzeit. Niemand hat was gemerkt. Sie haben es erst im Nachhinein im Fernsehen und Online erfahren. Die Bewohner wurden dazu angehalten sich vom Tatort fernzuhalten. Soweit hatten wir keine Probleme mit Gaffern.“

Bill fragte: „Könnte irgendwas gestohlen worden sein?“

Cullen zuckte mit den Schultern.

„Das glauben wir nicht. Wir haben ihre Handtasche gleich hier in der Nähe gefunden und Dokumente, Geld und Kreditkarten waren alle drin. Oh, und ihr Handy.“

Riley betrachtete den Körper und versuchte sich vorzustellen wie der Mörder es geschafft hatte, das Opfer in diese Position zu kriegen. Manchmal konnte sie ein starkes, sogar unheimliches Gefühl für den Mörder bekommen indem sie sich auf die Umgebung und die Umstände des Tatorts konzentrierte. Manchmal schien es ihr fast so, als könne sie in seine Gedanken eindringen, verstehen, was in seinem Kopf vor sich ging, als er die Tat begangen hatte.

Aber jetzt nicht.

Die Atmosphäre war zu ablenkend mit all diesen Leuten, die umherwanderten.

Sie sagte: „Er musste sie irgendwie stillgestellt haben, bevor er sie so fesseln konnte. Was ist mit der anderen Leiche, dem Opfer von vor einigen Tagen? Hat der dortige Gerichtsmediziner irgendwelche Substanzen in ihrem Kreislauf gefunden?“

„Man hat Flunitrazepam in ihrem Kreislauf festgestellt“, sagte Hammond.

Riley blickte zu ihren Kollegen hinüber. Sie wusste was Flunitrazepam war und sie wusste, dass Jenn und Bill das auch wussten. Der Handelsname der Substanz war Rohypnol und sie war gemeinhin als „Roofie“ bekannt, oder als K.O. Tropfen. Sie war illegal, aber es war allzu einfach sie sich auf der Straße zu besorgen.

Und es hätte das Opfer jedenfalls effektiv ruhiggestellt und komplett hilflos gemacht, wenn auch nicht komplett bewusstlos. Riley wusste, dass Flunitrazepam einen Amnesie-Effekt hatte, wenn seine Wirkung abklang. Sie schauderte, als sie begriff…

Die Wirkung der Droge hat möglicherweise direkt hier nachgelassen –– kurz vor ihrem Tod.

Wenn dem so gewesen war, hatte die arme Frau keinerlei Erinnerung oder Einsicht darüber gehabt wie oder wieso diese schreckliche Sache mir ihr geschah.

Bill kratze sich das Kinn, als der hinunter auf den Körper schaute.

Er sagte: „Vielleicht war das also am Anfang eine Art Vergewaltigungsszenario, wo der Killer ihr die Droge in einer Bar oder auf einer Party in den Drink getan hat.“

Der Gerichtsmediziner schüttelte den Kopf.

„Das ist unwahrscheinlich“, sagte er. „Es gab keine Spur von der Droge im Magen des ersten Opfers. Die Droge musste ihr injiziert worden sein.“

Jenn sagte: „Merkwürdig.“

Deputy Chief Bull Cullen sah Jenn neugierig an.

„Wieso das?“, fragte er.

Jenn zuckte leicht mit den Schultern.

Sie sagte: „Es ist einfach irgendwie ein bisschen schwer vorstellbar. Flunitrazepam wirkt nicht sofort, egal wie es verabreicht wird. In Situationen der Rendezvous-Vergewaltigungen ist das meistens egal. Das nichtsehnende Opfer hat vielleicht ein paar Drinks mit ihrem baldigen Vergewaltiger, irgendwann fühlt sie sich dann benebelt ohne genau zu wissen wieso, und bald darauf ist sie dann komplett hilflos. Aber wenn unser Killer sie mit einer Nadel gestochen hätte, wüsste sie sofort, dass etwas nicht stimmt und hätte zumindest einige Minuten vor dem Einsetzen der Wirkung um sich zu wehren. Es klingt einfach nicht sehr…effizient.“

Cullen lächelte Jenn an –– ein bisschen flirtend, wie Riley fand.

„Ich finde, das macht vollkommen Sinn“, entgegnete er. „Lassen Sie mich zeigen.“

Er stellte sich hinter Jenn, die merklich kleiner als er war. Es begann ihren Hals von hinten mit seinem Arm zu umgreifen. Jenn trat zur Seite.

„Hey, was soll das?“, fragte sie.

„Nur ’ne kleine Demonstration. Keine Sorge, ich tu’ Ihnen nicht wirklich weh.“

Jenn machte ein höhnisches Geräusch und hielt Abstand von ihm.

„Da haben Sie verdammt Recht“, sagte sie. „Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weiß, was Sie Sich denken. Sie meinen, der Mörder habe irgendeine Art Würgegriff benutzt.“

„Genau“, sagte Cullen, weiterhin lächelnd. „Genauer gesagt, einen sogenannten Blood Choke.“

Er winkelte seinen Arm entsprechend an, um seinen Punkt zu verdeutlichen.

„Der Mörder schlich sich von hinten an sie an und legte dann seinen Arm auf diese Weise um ihren Hals. Das Opfer konnte immer noch atmen, aber ihre Halsschlagader war komplett blockiert, sodass die Blutzufuhr ins Gehirn gehindert war. Das Opfer verlor das Bewusstsein innerhalb weniger Sekunden. So war es einfach für den Killer die Injektion zu tätigen, die sie dann langfristiger ruhigstellte.“

Riley spürte die Spannung zwischen Cullen und Jenn. Cullen war offensichtlich ein klassischer „Mansplainer“ –– einer der Typen, die Frauen gerne von oben herab ihnen wohlbekannte Dinge erklärte –– und seine Einstellung Jenn gegenüber war nicht nur herablassend, sondern auch flirtend.

Es war klar, dass Jenn ihn kein Stückweit leiden konnte, genau wie Riley selbst. Der Mann war oberflächlich, das stimmte zwar, und noch dazu mit dubiosen Vorstellungen darüber, wie man sich weiblichen Kollegen gegenüber verhielt und noch problematischeren Vorstellung über das angemessene Verhalten am Tatort.

Trotzdem musste Riley zugeben, dass Cullens Theorie hieb- und stichfest war.

Er war vielleicht persönlich unausstehlich, aber er war nicht dumm.

Tatsächlich könnte er wirklich eine wahre Hilfe bei den Ermittlungen darstellen.

Naja, das heißt, wenn wir es schaffen, seine Gegenwart zu ertragen, dachte Riley sich.

Cullen stieg herab von den Gleisen und ging in die Richtung eines abgesperrten Geländes.

Er sagte: „Wir haben hier Fahrzeugspuren gefunden, die von der Straße an der Eisenbahnkreuzung abführen und sich bis hierher ziehen. Es sind Spuren eines großen Fahrzeugs –– offensichtlich handelt es sich um einen Geländewagen. Es gibt auch einige Schuhabdrücke.“

Riley sagte: „Sagen Sie Ihren Leuten, sie sollen Fotos von denen machen. Wir schicken die nach Quantico und bitten unsere Techniker sie durch die Datenbanken zu jagen.“

Cullen stand einen Moment da, seine Arme in die Hüften gestemmt, und schaute sich die ganze Szenerie an, fast schon mit einem Eindruck von Genugtuung, wie Riley fand.

Er sagte: „Ich muss schon sagen, das hier ist was Neues für mich und meine Jungs. Wir sind daran gewöhnt in Fällen von Diebstahl von Frachtgütern, Vandalismus und Kollisionen zu ermitteln. Morde und dergleichen sind selten. Und so was –– naja, so was haben wir noch nie hier erlebt. Natürlich ist es wahrscheinlich nichts wirklich Besonderes für Sie vom FBI. Sie sind an so was gewöhnt.“

Cullen bekam keine Antwort und blieb einen Moment lang still. Dann drehte er sich zu Riley und ihren Kollegen und sagte: „Nun, ich will nicht zu viel Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch nehmen. Geben Sie uns einfach ein Fahndungsprofil und wir übernehmen das von da an. Sie können heute noch zurückfliegen, außer Sie möchten unbedingt noch die Nacht hier verbringen.“

Riley, Bill und Jenn schauten einander überrascht an.

Dachte er wirklich sie wären so schnell fertig mit ihrer Arbeit hier?

„Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen“, sagte Riley.

Cullen zuckte mit den Schultern und sagte: „Ich bin mir sicher Sie haben mittlerweile schon irgendwelche Ideen zum Profil des Täters. Das ist immerhin der Grund aus dem Sie hier sind. Was können Sie mir dazu sagen?“

Riley hielt einen Moment lang inne.

Dann sagte sie: „Wir können Ihnen ein paar Generalisierungen nennen. Statistisch gesehen haben die meisten Mörder, die den Körper am Tatort lassen, schon eine kriminelle Vergangenheit. Über die Hälfte sind im Alter von fünfzehn bis fünfunddreißig Jahren, über die Hälfte sind Afro-Amerikaner, sind zumindest Teilzeit angestellt und haben zumindest einen High School Abschluss. Einige solcher Mörder hatten in der Vergangenheit psychiatrische Probleme gehabt, einige waren beim Militär. Aber…“

Riley hielt wieder inne.

„Was aber?“, wollte Cullen wissen.

„Verstehen Sie doch –– nichts davon ist wirklich brauchbare Information, zumindest zu diesem Zeitpunkt. Es gibt immer Sonderfälle und statistische Ausreißer. Und unser Mörder sieht jetzt schon nach einem aus. Zum Beispiel, die Art des Täters, über den wir sprechen, ist meistens in irgendeiner Weise sexuell motiviert. Aber das scheint hier nicht der Fall zu sein. Ich würde vermuten, dass er in vielerlei Hinsicht nicht typisch ist. Vielleicht ist er in keinerlei Hinsicht typisch. Wir haben hier weiterhin sehr viel Arbeit vor uns.“

Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft verdüsterte sich Cullens Gesichtsausdruck ein wenig.

Riley fügte hinzu: „Und ich will, dass ihr Handy so schnell wie möglich nach Quantico gebracht wird. Das Handy des anderen Opfers auch. Unsere Techniker sollen überprüfen, ob sie irgendwelche Hinweise darin finden können.“

Bevor Cullen antworten konnte, fing sein eigenes Handy zu vibrieren an, woraufhin sein Blick noch finsterer wurde.

Er sagte: „Ich weiß jetzt schon, wer das ist. Es ist die Eisenbahnadministration, die wissen will, ob sie die Züge wieder starten können. Die Linie hat drei wartende Güterzüge und einen Passagierzug, der schon stark verspätet ist. Es ist auch schon eine neue Crew vor Ort, um den Zug, der in die Tat verwickelt war weiterzufahren. Können wir den Körper schon bewegen?“

399
599 ₽
Возрастное ограничение:
16+
Дата выхода на Литрес:
10 октября 2019
Объем:
292 стр. 4 иллюстрации
ISBN:
9781640294806
Правообладатель:
Lukeman Literary Management Ltd
Формат скачивания:
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