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bb) Vergleich

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Des Weiteren sind der Prozessvergleich nach § 794 I Nr. 1 ZPO sowie der Anwaltsvergleich nach den besonderen Vorschriften der §§ 796a ff ZPO vollstreckungsfähige Titel.

Hinweis:

Beim Prozessvergleich gibt es einige grundlegende Dinge, die man sich klarmachen sollte, damit man in der Klausur mit ihm umgehen kann.

(1) Der Prozessvergleich beendet das Verfahren und stellt den Titel dar, aus dem die Vollstreckung erfolgt. Wird nun der Vergleich widerrufen, oder ist er aus anderen Gründen nicht wirksam, könnte man denken, dass vollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe (z.B. § 767 ZPO) eingreifen würden. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr lebt das ursprüngliche Verfahren wieder auf und muss fortgeführt werden. Bei der sich so ergebenden Prüfung der Begründetheit der Ausgangsklage trifft man in diesem Fall auf das berühmte Problem, ob durch den Widerruf oder die Nichtigkeit des Vergleichs auch die privatrechtliche Vereinbarung (§ 779 BGB) unwirksam geworden ist, die in jedem Prozessvergleich steckt, oder ob diese nach dem (mutmaßlichen) Willen der Parteien gleichwohl bestehen bleiben sollte[7] (sog. Doppelnatur).

(2) Es gibt aber auch Fälle, in denen die „ganz normalen“ zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe für den Vergleich eingreifen. Wenn etwa der Schuldner behauptet, er habe die im Vergleich vereinbarte Summe sogleich bezahlt, kann er gegen Vollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO erheben.

(3) Einige weitere Sonderprobleme bei der Vollstreckung aus Vergleichen werden bei den jeweiligen Rechtsfragen mit abgehandelt (Rn. 109, 210 ff).

cc) Notarielle Unterwerfungserklärung

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Eine wichtige Art des vollstreckungsfähigen Titels ist die notarielle Unterwerfungserklärung (§ 794 I Nr. 5 ZPO)[8]. Gemäß § 794 I Nr. 5 ZPO können die Parteien einen vollstreckungsfähigen Titel ohne gerichtliches Verfahren privat vereinbaren. Dies geschieht, indem der Schuldner sich durch notarielle Erklärung der sofortigen Zwangsvollstreckung für eine Forderung „unterwirft“. Die Unterwerfungserklärung ist nicht lediglich materiell-rechtliche Willenserklärung, sondern Prozesshandlung[9]. Daraus folgt, dass die allgemeinen Prozessvoraussetzungen bei Abgabe der Erklärung vorliegen müssen und dass sie nicht nach §§ 119 ff BGB wegen Willensmängeln anfechtbar ist. Die Unterwerfungserklärung muss in einer notariellen Urkunde festgehalten werden. Stellvertretung ist möglich.

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Beispiel 4 (Bedeutung der Unterwerfungserklärung):

S schuldet der B-Bank einen Geldbetrag in Höhe von 200 000 Euro. Schuldner S zahlt bei Fälligkeit nicht. Welcher Vorteil besteht, wenn S sich wegen der Forderung der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat?

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Wenn S in Beispiel 4 sich nicht der sofortigen Vollstreckung unterworfen hat, muss die B-Bank ihn vor einem Gericht verklagen. Erst nach der Durchführung eines – möglicherweise langen und teuren Prozesses – wird der Anspruch der B-Bank gerichtlich festgestellt. Dadurch hat sie ihr Geld jedoch noch nicht erhalten. Vielmehr muss sie den Titel auch durchsetzen. Diese Durchsetzung erfolgt im Wege der Zwangsvollstreckung, z.B. durch Eintragung einer Sicherungshypothek oder durch Zwangsversteigerung des Grundstücks. Hat allerdings der Schuldner während des langwierigen Gerichtsverfahrens bereits wesentliche Vermögensgegenstände verloren oder veräußert, wird der Vollstreckungserfolg der B-Bank gering sein. Zudem besteht die Gefahr, dass andere Gläubiger der B-Bank bei der Vollstreckung zuvorkommen. Deshalb besteht aus Sicht der B-Bank ein großes Interesse daran, sofort nachdem die Schuld des S fällig geworden ist, in sein Vermögen zu vollstrecken. Dieses Interesse wird durch eine notarielle Unterwerfungserklärung befriedigt. Die Erklärung ersetzt ein Gerichtsurteil. Die B-Bank kann sofort aus der notariellen Unterwerfungserklärung die Zwangsvollstreckung in das Grundstück des S betreiben. Will sich der Schuldner gegen die Vollstreckung mit Einwendungen gegen den Schuldgrund wehren, muss er Vollstreckungsabwehrklage gegen die Vollstreckung erheben (§ 767 I ZPO). Es drängt sich auf, dass der (verhandlungsstarke) Gläubiger hier einen großen Vorteil gegenüber anderen Gläubigern und erst recht gegenüber dem Schuldner erhält. Andererseits führt die dadurch eintretende Ersparnis der Bank und der Zuwachs an Verwertungssicherheit regelmäßig zu günstigeren Zinskonditionen, was wiederum dem Schuldner zugutekommt.

Hinweis:

Bei der notariellen Unterwerfungserklärung häufen sich verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Probleme, so dass sie sich sehr gut für Klausuren eignet (ausführlich dazu und zu den passenden Rechtsschutzmöglichkeiten Rn. 261 ff).

dd) Vollstreckungsbescheid

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Ein praktisch bedeutsamer Titel ist auch der Vollstreckungsbescheid. Der Gläubiger erlangt ihn im Rahmen des Mahnverfahrens nach §§ 688 ff ZPO, wenn der Schuldner nicht rechtzeitig Widerspruch gegen den Mahnbescheid einlegt (§§ 699, 700 ZPO)[10].

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Der Vollstreckungsbescheid ist mit dem Einspruch nach § 338 ZPO anfechtbar und gleicht auch sonst teilweise einem Versäumnisurteil (vgl. § 700 I ZPO). Insbesondere ist die Vollstreckung, ebenso wie bei einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil, ohne Sicherheitsleistung möglich (§ 708 Nr. 2 ZPO). Für die Vollstreckung gelten einige Besonderheiten. Vor allen Dingen ist die Vollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid grundsätzlich ohne Klausel möglich (§ 796 I ZPO).

ee) Ausländische Vollstreckungstitel

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Bei ausländischen Titeln gilt als Grundregel, dass sie in Deutschland erst vollstreckbar sind, wenn sie durch Urteil für vollstreckbar erklärt wurden (§ 722 ZPO). Wie sich aus § 723 ZPO ergibt, wird dabei das ausländische Urteil nicht inhaltlich überprüft, sondern es kommt nur auf die Anerkennungsfähigkeit des Urteils nach § 328 ZPO an.

Im internationalen Rechtsverkehr ist aber immer zu beachten, dass die ZPO nur subsidiär nach den Europäischen Verordnungen gilt. Insbesondere gehen die Brüssel-I- und Brüssel-II-Verordnungen (EuGVVO und EheGVO) der ZPO vor. Sie regeln die Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Titeln aus anderen EU-Mitgliedstaaten.

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Seit der Neufassung der EuGVVO, die am 10.1.2015 in Kraft getreten ist (VO (EU) Nr. 1215/2012), wird in allgemeinen Zivilsachen keine Vollstreckbarerklärung mehr benötigt, um in einem anderen Mitgliedstaat vollstrecken zu können. Es gibt aber ein Vollstreckungsversagungsverfahren, das auf Antrag des Schuldners durchgeführt wird. Das Vollstreckungsverfahren richtet sich nach Art. 39 ff EuGVVO, das Vollstreckungsversagungsverfahren nach Art. 46 ff EuGVVO. Wenn der Schuldner nach Art. 46 EuGVVO gegen die Vollstreckung vorgeht, wird geprüft, ob das Urteil nach Art. 45 EuGVVO anerkennungsfähig ist.

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Bestimmte Titel sind innerhalb der EU sogar noch einfacher vollstreckbar. Dies sind insbesondere die Titel nach der europäischen TitelVO (VO (EG) Nr. 805/2004), nach der europäischen MahnVO (VO (EG) Nr. 1896/2006) und nach der VO für geringfügige Forderungen (VO (EG) Nr. 861/2007). Die Durchführungsbestimmungen für die Vollstreckung von Titeln nach diesen Verordnungen sind in §§ 1079 ff ZPO enthalten. Auch die EU-UnterhaltsVO (VO (EG) Nr. 4/2009) sieht einen solchen „europäischen“ Titel vor (Ausführungsgesetz ist das AUG). Die Besonderheit besteht darin, dass man sich gegen die Anerkennung und Vollstreckung dieser Titel nicht auf den ordre public des Anerkennungsstaates berufen kann, wie es sonst (etwa gemäß § 328 I Nr. 4 ZPO, Art. 45 I Buchstabe a EuGVVO) möglich ist.

b) Anforderungen an den Titel

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Der Titel ist nur vollstreckungsfähig, wenn er bestimmte Anforderungen erfüllt. Zunächst muss ein vollstreckungsfähiger Inhalt gegeben sein. Vollstreckbar sind – das ist eigentlich selbstverständlich – nur Titel, die auf eine Leistung des Schuldners gerichtet sind. Des Weiteren muss der Titel bestimmt genug sein. Er muss aus sich heraus verständlich sein und für jeden Dritten erkennen lassen, was der Gläubiger vom Schuldner verlangen kann[11]. Das Vollstreckungsorgan muss ohne Probleme, und ohne in eine Überforderungssituation zu kommen, aus dem Titel selbst erkennen können, weswegen und in was vollstreckt werden kann. Ferner müssen die Parteien im Titel bezeichnet werden (§ 750 I ZPO). Will ein Rechtsnachfolger des Gläubigers aus dem Titel vollstrecken, muss dieser erst auf den Rechtsnachfolger umgeschrieben werden (§ 727 ZPO), da eine Vollstreckungsstandschaft unzulässig ist (Rn. 69 ff). Schwierigkeiten können entstehen, wenn der Vollstreckungsschuldner nicht genau bezeichnet ist oder wenn weitere Personen von der Vollstreckung unmittelbar betroffen sind.

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Bei der Räumung von besetzten Häusern hat sich die Frage gestellt, ob man gegen Personen vollstrecken darf, deren Identität man nicht kennt. Die Diskussion ist etwas theoretisch, weil der Gläubiger in der Regel schon kein Erkenntnisverfahren durchführen kann und so nie einen Titel erhalten wird. Ganz vereinzelt ist davon ausgegangen worden, dass ein Titel gegen unbekannte Personen ergehen und vollstreckt werden kann, wenn diese Personen mit Hilfe von anderen Konkretisierungsmerkmalen hinreichend identifizierbar sind[12]. Das kann aber nicht überzeugen. Die Vollstreckung als öffentlich-rechtlicher Eingriff bedarf einer ausreichenden Legitimation. Eine solche ist nicht gewährleistet, wenn vor dem Eingriff der Vollstreckungsschuldner nicht feststeht und er daher auch an keinem Verfahren beteiligt werden konnte (man denke nur an das rechtliche Gehör). Anders kann es aber sein, wenn der Gläubiger einen Titel gegen einen bestimmten Schuldner hat und bei der Vollstreckung auf einmal weitere Personen vor Ort sind (dazu sogleich Rn. 91).

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Rechtsprobleme gibt es auch bei der Vollstreckung gegen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Hier gibt es einen Konflikt zwischen den gesetzlichen Regelungen und der Rechtsprechung zur Teilrechtsfähigkeit der GbR. § 736 ZPO verlangt nämlich eigentlich, dass der Gläubiger wegen einer Forderung gegen die Gesellschaft einen Titel gegen alle Gesellschafter erlangen muss. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber gewährt der GbR seit dem Jahre 2001 die sog. Teilrechtsfähigkeit. Deshalb ist die Vorschrift des § 736 ZPO – in einer mit dem Wortlaut kaum zu vereinbarenden Weise – nun so zu verstehen, dass neben einem Titel gegen die GbR (dessen Möglichkeit sich aus der nun anzunehmenden Rechtsfähigkeit selbst ergibt und deshalb ungeschrieben ist) auch ein Titel gegen die Gesellschafter ausreicht, um in das Gesellschaftsvermögen zu vollstrecken[13].

BGH NJW 2001, 1056 = BGHZ 146, 341:

„Die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts besitzt Rechtsfähigkeit, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet. (…)

Erkennt man die Fähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts an, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, kann ihr die Parteifähigkeit im Zivilprozess, die gemäß § 50 ZPO mit der Rechtsfähigkeit korrespondiert, nicht abgesprochen werden. (…)

Die Regelung des § 736 ZPO, wonach zur Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein gegen alle Gesellschafter ergangenes Urteil erforderlich ist, steht der Anerkennung der Parteifähigkeit nicht entgegen. Ein gegen die Gesamtheit der gesamthänderisch verbundenen Gesellschafter als Partei ergangenes Urteil ist ein Urteil „gegen alle Gesellschafter“ im Sinne des § 736 ZPO. Die Vorschrift verlangt weder vom Wortlaut noch vom Zweck her ein Urteil gegen jeden einzelnen Gesellschafter. (…) Aus der Entstehungsgeschichte des § 736 ZPO folgt, dass Zweck dieser Regelung die Verhinderung der Vollstreckung von Privatgläubigern einzelner Gesellschafter in das Gesellschaftsvermögen, nicht aber der Ausschluss der Parteifähigkeit der Gesellschaft ist.“

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Daraus folgt aber auch, dass nicht in das Privatvermögen der jeweiligen Gesellschafter vollstreckt werden kann, wenn nur ein Titel gegen die Gesellschaft erlangt wurde. In der Praxis sollten deshalb immer die GbR und zugleich sämtliche dem Gläubiger bekannten Gesellschafter verklagt werden. Materiell-rechtlich ist die Haftung der Gesellschafter im Regelfall unproblematisch gegeben, weil § 128 HGB analog gilt[14]. Möglich ist außerdem stets auch, aus einem Titel gegen einen ganz bestimmten Gesellschafter zu vollstrecken. Dann aber richtet sich die Vollstreckung (natürlich) auch nur gegen dessen Vermögen, zu dem unter anderem sein Anteil an der Gesellschaft gehört.

c) Sonderfall: Vollstreckung gegen nicht im Titel genannte Personen

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Die Frage, ob eine Vollstreckung gegen nicht im Titel genannte Personen erfolgen darf, stellt sich auch bei der Räumung von Wohnungen. Sie war in jüngerer Zeit Gegenstand zahlreicher Entscheidungen des BGH.

Beispiel 5 (Räumung gegenüber Lebensgefährten und Kindern):

Der Gerichtsvollzieher will die Wohnung des Mieters M räumen, nachdem der Vermieter V gegen M ein vollstreckbares Räumungsurteil erlangt hat. Als der Gerichtsvollzieher die Wohnung räumen will, trifft er dort die Lebensgefährtin des M sowie drei gemeinsame minderjährige Kinder an, die alle in der Wohnung wohnen. Was wird der Gerichtsvollzieher tun?

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Bei der Herausgabevollstreckung setzt der Gerichtsvollzieher den Vollstreckungsschuldner aus dem Besitz der Räumlichkeit (§ 885 ZPO, Rn. 665 ff). Die Vollstreckung ist nur möglich, wenn die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen. In Beispiel 5 ist die Vollstreckung gegen M als im Titel genannten Vollstreckungsschuldner ohne weiteres möglich. Problematisch ist aber, ob der Gerichtsvollzieher auch die Kinder und die Lebensgefährtin aus der Wohnung verweisen darf, da diese nicht im Titel als Vollstreckungsschuldner genannt sind. Denn eine Vollstreckung ist grundsätzlich nur möglich, wenn der Vollstreckungsschuldner im Titel genannt ist (§ 750 ZPO).

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Es ist unstreitig, dass ein Dritter nicht ohne einen gerade gegen ihn gerichteten Titel aus einer Wohnung verwiesen werden darf, wenn der Dritte selbst einen Vertrag mit dem Gläubiger hat (also selbst Mitmieter ist). Unstreitig ist auch, dass bei Ehegatten ein Titel gegen Mann und Frau vorliegen muss, selbst wenn nur einer von ihnen Mieter der Wohnung ist.

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Ob eine Vollstreckung gegen Dritte (Lebensgefährten, Kinder, Untermieter) aus einem Titel gegen den Schuldner möglich ist, wenn diese Personen dem Gläubiger gegenüber kein eigenständiges vertragliches Recht haben, wird dagegen sehr unterschiedlich beurteilt.

Teilweise wird vertreten, dass ein Vollstreckungstitel gegen den Schuldner immer ausreicht, wenn der Dritte sein Besitzrecht nicht von dem Vermieter ableitet[15]. Für Ehegatten, die nicht selbst Mieter sind, muss ein solches abgeleitetes Besitzrecht dann konstruiert werden. Das verursacht aber wegen Art. 6 I GG keine Schwierigkeiten[16].

Andere verfolgen einen restriktiveren Ansatz. Sie meinen aber dennoch, dass ein Vollstreckungstitel gegen den Schuldner allein wenigstens dann ausreichen müsse, wenn der Dritte den Mitbesitz ohne oder gegen den Willen des Vermieters begründet oder gegenüber dem Vermieter verheimlicht hat[17].

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Dem BGH ist auch dieses Verständnis noch zu weit. Er meint, dass der Gläubiger aus einem Räumungstitel gegen den Mieter einer Wohnung nie gegen im Titel nicht aufgeführte Dritte vollstrecken könne, wenn diese dritten Besitzer (Allein- oder Mitbesitzer) der Wohnung seien. Dabei wird bei Ehegatten der erforderliche Mitbesitz grundsätzlich vermutet, bei nichtehelichen Lebensgefährten muss der Mitbesitz hingegen positiv festgestellt werden.

Grundsatz BGH NJW 2004, 3041 = BGHZ 159, 383:

„Aus einem Räumungstitel gegen den Mieter einer Wohnung kann der Gläubiger nicht gegen einen im Titel nicht aufgeführten Dritten vollstrecken, wenn dieser (wenigstens) Mitbesitzer ist.“

Zur Feststellung des Mitbesitzes bei Lebensgefährten und Kindern BGH NJW 2008, 1959:

„Vielmehr muss anhand der tatsächlichen Umstände des jeweiligen Falles beurteilt werden, ob der nichteheliche Lebensgefährte Mitbesitzer oder nicht nur Besitzdiener ist. Die tatsächlichen Besitzverhältnisse hat der Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan zu prüfen. Die Einräumung des Mitbesitzes an den nichtehelichen Lebensgefährten muss durch eine von einem entsprechenden Willen getragene Handlung des zuvor alleinbesitzenden Mieters nach außen erkennbar sein.“

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Minderjährige Kinder haben in der Regel keinen Besitz an der Wohnung, so dass ein Räumungstitel gegen diese nicht erforderlich ist. In Beispiel 5 kann der Gerichtsvollzieher die Vollstreckung gegen die Lebensgefährtin daher nicht durchführen, bis ein Räumungstitel gegen diese vorliegt. Die Kinder hingegen können aus der Wohnung verwiesen werden, da diese nicht Besitzer nach § 885 ZPO sind, sondern lediglich Besitzdiener nach § 855 BGB. Sie erlangen in der Regel auch dann keinen eigenen Mitbesitz, wenn sie erwachsen werden[18].

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Beispiel 6 (Räumung bei Untervermietung):

Vermieter V hat einen Räumungstitel gegen Mieter M erwirkt. Als der Gerichtsvollzieher die Vollstreckung durchführen will, wird ersichtlich, dass M die Wohnung nach Erlass des Räumungsurteils an U untervermietet hat. Gegen U liegt kein Vollstreckungstitel vor. Kann der Gerichtsvollzieher vollstrecken?

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Problematisch ist in Beispiel 6 wiederum, dass gegen U kein Vollstreckungstitel vorliegt (§ 750 ZPO) und daher eine wesentliche Vollstreckungsvoraussetzung nicht gegeben ist. Der BGH meint auch hier, dass eine Vollstreckung gegen U nicht möglich sei, wenn sein Besitz an der Wohnung festgestellt werde (§ 885 ZPO). Da dies hier der Fall sei, könne der Gerichtsvollzieher nicht vollstrecken. Ob der Dritte nach materiellem Recht zur Herausgabe der Mietsache an den Gläubiger verpflichtet sei, sei nach Ansicht der Rechtsprechung nicht im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren zu prüfen, sondern einer Beurteilung im Erkenntnisverfahren vorbehalten.

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Selbst wenn dem Vollstreckungsschuldner und dem Dritten ein kollusives Zusammenwirken vorgeworfen werden kann, indem die Untervermietung absichtlich erst nach Erlass des Räumungstitels abgeschlossen wurde, um eine Vollstreckung zu verhindern, ändert dies nach Ansicht des BGH nichts daran, dass die Vollstreckung gegen U nicht möglich sei[19]. Der materielle Einwand des Zusammenwirkens (§ 242 BGB) könne vom Vollstreckungsorgan wegen des Grundsatzes des formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahrens nicht ausreichend während der Zwangsvollstreckung geprüft werden, da der Gerichtsvollzieher bei einer solchen Prüfung überfordert sei.

BGH NJW 2008, 3287:

„Die Räumungsvollstreckung darf nicht betrieben werden, wenn ein Dritter, der weder im Vollstreckungstitel noch in der diesem beigefügten Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet ist, im Besitz der Mietsache ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Verdacht besteht, dem Dritten sei der Besitz nur eingeräumt worden, um die Zwangsräumung zu vereiteln.“

Diese Rechtsprechung orientiert sich konsequent am Gesetzeswortlaut der zwangsvollstreckungsrechtlichen Vorschriften (§§ 750, 885 ZPO) und baut auf dem Formalisierungsgedanken auf. Wenn man in der Klausur oder Hausarbeit die Gegenposition vertreten möchte, so reicht es daher nicht aus, allein auf das Argument der Missbrauchsgefahr abzustellen. Auch das praktische Problem der Überprüfung der Missbräuchlichkeit außerhalb eines Gerichtsverfahrens müsste dafür mit angesprochen und gelöst werden.

§ 3 Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung › III. Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzungen › 2. Klausel

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