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1.4 Zwei Varianten von Schulentwicklung

Schulentwicklung kann in zwei Richtungen gehen: Zum einen kann sie darauf abzielen, das Lehrangebot für Schülerinnen und Schüler zu erweitern. Zum anderen können Gegenstand von Entwicklungsarbeit die psychosozialen Leistungsvoraussetzungen und die Arbeitsbedingungen sein, d. h. die schulinternen Ressourcen, die ein Kollegium benötigt, um seine Schule als gute, gesunde Schule zu gestalten und zu stärken.

Angebotserweiterung

Externer Veränderungsdruck bezieht sich in der Regel auf das schulische Bildungsangebot: neue Fächer, neue Unterrichtsformen, neue Strukturen, erweiterte Betreuungsangebote, Doppelbesetzung usw. Selbst wenn für derartige Vorhaben hinreichend externe Ressourcen bereitgestellt werden, bringen sie doch für die einzelnen Lehrpersonen in der Regel zusätzliche Beanspruchung mit sich: Mehrarbeit, Neuorientierung und Neujustierung ihrer fachlichen und pädagogischen Arbeit, Abkehr von Routinen, Verzicht auf «Lieblingsprojekte» und «wie wir es sonst immer gemacht haben». Möglicherweise werden sich später, wenn das Neue zur Gewohnheit geworden ist, wieder erleichternde Routinen einschleifen, aber zunächst fallen psychosoziale «Kosten» an.

Ressourcenstärkung

Diese Kosten werden befriedigend nur zu tragen sein, wenn die Lehrpersonen und das Kollegium insgesamt über interne Ressourcen verfügen, die es ihnen erlauben, den erhöhten Aufwand sachgerecht und gesundheitsfreundlich zu bewältigen.

Deswegen fokussieren wir mit diesem Buch auf die ressourcenstärkende Entwicklungsarbeit und legen den Schwerpunkt auf die individuellen und kollegialen psychosozialen Leistungsvoraussetzungen. Dabei sind wir uns bewusst, dass ohne unterstützende schulinterne Arbeitsbedingungen die Stärkung von Leistungsbereitschaft, Leistungsfähigkeit, Arbeitszufriedenheit und psychischer Gesundheit des Personals nach unserer Meinung nicht hinreichend gelingen kann.


•Gehen Sie nochmals die Übersicht in der Arbeitshilfe 0.2 durch und unterscheiden Sie bewusst zwischen Maßnahmen, die eine Erweiterung Ihres schulischen Angebots zum Ziel haben, und solchen, die die psychosozialen Ressourcen/Kompetenzen der Lehrpersonen stärken sollen.

1.5 Ansatzpunkte für die Stärkung der internen Ressourcen

Welche Möglichkeiten hat eine konkrete Schule vor Ort, ihre schulinternen Ressourcen zu optimieren?

Wir sehen drei Ansatzpunkte (Abbildung 4):

•die fachlichen, personalen und sozialen Kompetenzen der einzelnen Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter sowie die Art ihrer Realisierung und Aktualisierung: Selbststeuerung (→ Kapitel 9);

•das Miteinander im Kollegium, d. h. die psychosozialen Leistungsvoraussetzungen des Kollegiums, die Art und Weise, wie ein Kollegium miteinander, mit Schulleitung, Schülerinnen, Schülern und Eltern kommuniziert und interagiert, um seine Aufgaben zu erfüllen;

•die schulinternen Arbeitsbedingungen als unterstützenden Gestaltungsfaktor.


Abbildung 4: Ansatzpunkte zur Optimierung der schulinternen Ressourcen

Die Selbststeuerung

Die Qualität jeder Schule und die Leistungsfähigkeit jedes Kollegiums hängen davon ab, welche fachlichen, sozialen und personalen Kompetenzen, welche Motivationen, Emotionen und Leitbilder die einzelnen Akteure mitbringen. Dies sind individuelle Ressourcen, die jeder für die täglichen beruflichen Anforderungen und für das Gelingen des gemeinsamen Bildungs- und Erziehungsauftrags sowie für die aktive Teilnahme an der Weiterentwicklung der Schule einbringen kann und muss (siehe dazu Heyse, 2016). Denn Haltungen, Befähigungen, Selbstorganisation und Handlungsbereitschaft der einzelnen Personen prägen das Klima und weitgehend auch die Arbeitsergebnisse einer Schule. Gleichzeitig wirkt sich das Miteinander der schulischen Akteure rückkoppelnd förderlich oder hemmend auf die Aktivierung und Weiterentwicklung dieser individuellen Ressourcen aus.

Daher sehen wir eine beiderseitige Verpflichtung: Jede Lehrerin und jeder Lehrer haben dafür Sorge zu tragen, ihre Professionalität auf hohem Niveau zu halten und einen positiven Beitrag zu den psychosozialen Leistungsvoraussetzungen des Kollegiums zu leisten. Wir bezeichnen dies als Selbststeuerung (ausführlich dazu siehe Kapitel 9).

Ein Kollegium inkl. Schulleitung hat seinerseits eine Mitverantwortung, dass die individuellen Ressourcen der Kolleginnen und Kollegen gefördert, und nicht – wie leider häufig zu beobachten – unnötig strapaziert und gar vergeudet werden. Ihre Pflege und Förderung sind ein Kerngebiet der Personalentwicklung. Zu einer guten, gesunden Schule gehört für uns daher auch das Bemühen, durch Start-ups, Fortbildung und Stützungsangebote wie Supervision, Kollegiale Fallberatung etc. den «State of the art» der einzelnen Lehrpersonen zu erhalten und zu erhöhen.

Die individuelle Selbststeuerung und die Weiterentwicklung eines Kollegiums hinsichtlich seiner psychosozialen Leistungsvoraussetzungen sind miteinander verwoben. Dieser Aspekt scheint in den weiteren Ausführungen immer wieder durch. Unser Hauptaugenmerk liegt jedoch auf der Stärkung der kollegialen Entwicklungsarbeit.

Das Miteinander

Der Umgang der Kolleginnen und Kollegen untereinander, mit der Schulleitung, mit Schülerinnen, Schülern und Eltern (und vice versa) beansprucht die individuellen Ressourcen täglich aufs Neue. Die «daily hassles» nagen beständig an den Energiereserven, stellen die emotionale Stabilität und Konflikttoleranz sowie wertschätzende Interaktion und Kommunikation auf die Probe.

Zum Erhalt und zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und Arbeitszufriedenheit sollten Kollegium und Schulleitung deswegen dafür sorgen, den unnötigen Verschleiß dieser psychosozialen Leistungsvoraussetzungen möglichst gering zu halten. Stattdessen sollten sie alles daransetzen und es als gemeinsamen Auftrag begreifen, ein Interaktions- und Kommunikationsklima zu schaffen, mit dem diese geschützt und gestärkt werden. Dazu wollen wir mit diesem Buch beitragen.

Wenn dann noch anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen hinzukommen, steht nichts im Weg, die tägliche Bildungsarbeit gut zu erledigen, Gesundheitsrisiken zu minimieren und Energiereserven für Schulentwicklung und akute Notlagen bereitzuhalten.

Die Arbeitsbedingungen

Der dritte Ansatzpunkt für die Sicherung bzw. Stärkung der schulinternen Ressourcen sind Arbeitsbedingungen, die es ermöglichen, die tägliche Arbeit kräfteschonend und gesunderhaltend zu erledigen (→ Arbeitshilfe 1.2).

Gerade in Bezug auf Organisation, Informationsfluss, Zeitmanagement, Verwaltung, aber auch hinsichtlich technischer Ausstattung, Lärm, räumlicher Enge im Lehrerzimmer, Ruhezonen, dem Arbeiten in maroden Baulichkeiten usw. besteht in vielen Schulen Handlungsdruck, um kräftezehrende Ärgernisse zu verringern (→ Arbeitshilfe 1.3). Solche widrigen Bedingungen schädigen Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit, fordern zusätzlichen Arbeitsaufwand, rauben unnötig Lebensenergie. Diese kann dann nicht mehr dem unterrichtlichen Alltagsgeschäft und dem Bemühen zugutekommen, dem Wandel rund um die Schule und in der Schule gerecht zu werden.


•An welchen funktionswichtigen Stellen in Ihrer eigenen Selbststeuerung, beim Miteinander an der Schule und bei den lokalen Arbeitsbedingungen sehen Sie Defizite bzw. unnötigen Kräfteverschleiß, der behoben werden müsste, damit alle ihre gesunde Leistungsfähigkeit schützen, ihre beruflichen (und privaten?) Tagesaufgaben gut erledigen und an den Entwicklungsaufgaben im Kollegium effektiv mitwirken können?Die Arbeitshilfe 1.3 kann Sie bei der Antwort unterstützen.

Literatur zu diesem Kapitel

Heyse, H. (2016). Was Lehrerinnen und Lehrer stark macht. Ein Lesebuch für ein erfüllendes Berufsleben. Bern: hep verlag.

Kahneman, D. (2012). Schnelles Denken – Langsames Denken. München: Siedler Verlag.

KMK (2004/2014). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004 i. d. F. vom 12.06.2014). Verfügbar unter: www.akkreditierungsrat.de/fileadmin/Seiteninhalte/KMK/Vorgaben/KMK_Lehrerbildung_Standards_Bildungswissenschaften_aktuell.pdf [04.2018].

Kapitel 2 Gelingensbedingungen für Entwicklungsarbeit

Koordinierte Aktivitäten, die das Ziel haben, kurzfristig etwas auszuprobieren, etwas zu organisieren etc., werden gern als «Projekte» bezeichnet und durchgeführt. Damit erhalten sie einen Sonderstatus als vorübergehende Unternehmungen, für die zeitliche und personelle Mehrbelastungen in einer Projektgruppe in Kauf genommen werden. Zusätzliche Mittel oder Zeitkontingente können in Schulen in der Regel ja nicht bereitgestellt werden. Nach Zielerreichung wird die Gruppe aufgelöst. Projekte sind mit der Hoffnung verbunden, dass sich Erkenntnisse und Ergebnisse in den schulischen Alltag transferieren lassen, die zur Verbesserung der internen Ressourcen beitragen bzw. die Entwicklungsarbeit der Schule befördern. (Vielfach lösen sich Projektgruppen aber auch schon vorher auf, und das Projekt versandet.)

In den letzten 20 Jahren haben wir eine Reihe von Schulen bei Projekten auf dem Weg zur guten, gesunden Schule begleitet (vgl. Heyse & Sieland, 2018b; Sieland & Heyse, 2018). Nach unseren Erfahrungen werden oftmals Veränderungen bzw. Anpassungen aus der Not heraus in Angriff genommen nach dem Motto: «Es muss etwas geschehen! – So kann es nicht weitergehen!».

Dabei werden schnell entscheidende Elemente für das Gelingen übersehen oder vernachlässigt. Das ist verständlich unter dem üblichen Zeitdruck, zumal Entwicklungsarbeit zusätzlich zu den unterrichtlichen Aufgaben zu bewältigen ist.

Kollegien bzw. Projektverantwortliche machen sich nicht immer klar, dass mit neuen Vorhaben eine Umgewichtung bisheriger Unternehmungen verbunden sein kann. Manches andere muss vielleicht zurückgestellt werden, denn nach dem Prinzip der zu kurzen Bettdecke gilt: Wer Neues ohne zusätzliche Ressourcen in Angriff nehmen will, muss bisherige Aktivitäten reduzieren. Sonst kommen Schulleitungen, Kollegien bzw. einzelne Lehrpersonen leicht in die Rolle eines Jongleurs, der zu viele Bälle in der Luft halten will. Misslungene Vorhaben aber entmutigen und rauben die Zuversicht, beim nächsten Mal erfolgreich zu sein. Sie lähmen die eigentlich energiefördernde Überzeugung von Selbstwirksamkeit (→ Kohärenz, Kapitel 2.4). Damit werden auf lange Sicht die Motivation und Bereitschaft geschwächt, sich überhaupt auf Entwicklungsarbeit einzulassen; und am Ende wurden nur unnütz Ressourcen vergeudet.

Wenn derlei schon passiert ist, sollten die Trauer oder der Ärger über das Scheitern schnell abgelöst werden durch eine sorgfältige Analyse des Misserfolgs, um daraus für das nächste Mal zu lernen. Denn gelingende Entwicklungsarbeit muss einige Bedingungen beachten.

2.1 Zyklus professioneller Entwicklungsarbeit

Erfolgreiche Entwicklungsarbeit gleicht im Kern dem professionellen Vorgehen bei der Bearbeitung von Problemlagen. Nieskens, Schumacher & Sieland (2017) haben in ihrem Leitfaden 24 Gelingensbedingungen für erfolgreiche Entwicklungsarbeit beschrieben und bieten wertvolle Empfehlungen, Checklisten und Arbeitshilfen dazu. Bestimmte Reflexions- und Handlungsschritte dabei zu übergehen, verursacht Probleme und begünstigt Scheitern.

Verführerisch ist, dass sich Versäumnisse durch das Überspringen von Arbeitsschritten meist nicht unmittelbar bemerkbar machen, sondern erst als Mangel bei späteren Arbeitsphasen offenbar werden. Aber drauflosplanen und -handeln rächen sich – mit der Spätfolge von Enttäuschungen, der Suche nach Schuldigen, Motivationsverlust, Zweifel an der Selbstwirksamkeit, Vergeudung von Ressourcen.

Deswegen sollte man einen umsichtigen Bauherrn vor Augen haben, der von der Idee, ein Haus zu bauen, bis zum Einzug und der Abbezahlung des Kredits alle Details sorgfältig ausarbeitet und sich auf Schwierigkeiten, Pannen, Umplanungen und Hindernisse einstellt.


•Welche Projekte Ihrer Schule fallen Ihnen spontan ein, die wenig erfolgreich waren? •Können Sie sich noch erinnern, was, warum, wie nicht gut gelaufen ist?

Problembearbeitungszyklus: Erst besinnen, dann beginnen!

Wir bieten Ihnen im Folgenden einen Überblick über die Arbeitsschritte eines Entwicklungsprozesses. Abbildung 5 enthält die sieben Stationen eines Problembearbeitungszyklus, die für die sorgfältige Abarbeitung einer schwierigen Problemlage gegangen werden sollten.[4]

Der Problembearbeitungszyklus kann auch Prüfstein sein, um herauszufinden, an welcher Stelle es bei früheren Projekten Defizite oder Fehlentwicklungen gab und was künftig mehr beherzigt werden sollte.


Abbildung 5: Problembearbeitungszyklus: Sieben Stadien professioneller Entwicklungsarbeit (vgl. Sieland & Heyse, 2010)

Der Problembearbeitungszyklus führt von der Beschreibung eines Problems bis zur Evaluation der – hoffentlich positiven – Ergebnisse. Je arbeitsaufwendiger ein Projekt sein wird und je tiefer das Ergebnis in die bisherigen Abläufe und Routinen eingreifen soll, desto sinnvoller ist es, die vorgesehene Reihenfolge einzuhalten, um nicht Einzelheiten und Zusammenhänge zu übersehen. Besonders wenn man schon Wunschlösungen im Kopf hat, neigt man dazu, gedanklich voreilig zwischen verschiedenen Punkten hin und her zu springen, einige Aspekte besonders gründlich zu reflektieren und andere auszulassen.

Es wird jedoch immer wieder einmal nötig sein zurückzugehen, um neue Erkenntnisse aufzunehmen und einzuarbeiten oder Fehler in einer vorhergehenden Phase zu korrigieren.

Wir empfehlen mit Blick auf die spätere Umsetzung in die Praxis, frühzeitig potenziell Betroffene in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Es kann passieren, dass sich z. B. die IT-Fachleute zusammensetzen und ein aus ihrer Sicht schlüssiges Konzept erarbeiten, das dann allerdings von den «normalen» Nutzern («DAUs»= dümmsten anzunehmenden Usern) weder verstanden noch akzeptiert wird. Die Betroffenen zu Beteiligten zu machen, kann Perspektiven eröffnen, die den Planern sonst verschlossen blieben.

Bei längerfristigen Unternehmungen, bei denen zudem viele Personen beteiligt sind, sollte man erwägen, eine oder mehrere Personen in der Funktion als Controller einzusetzen, vergleichbar einem Advocatus Diaboli. Systemblindheit oder gegenseitige harmonisierende Bestätigungen der Akteure können schnell zu voreiligen Schlussfolgerungen und Schnelllösungen verleiten. Manchmal kann auch eine Steuerungsgruppe diese Funktion übernehmen. Controller könnten gleichzeitig als Mediatoren fungieren, wenn bei einzelnen Schritten des Problembearbeitungszyklus aus sachlichen Differenzen zwischen den beteiligten Personen Beziehungskonflikte zu werden drohen und der gesamte Prozess gefährdet wird.

Sieben Schritte professioneller Entwicklungsarbeit

Bei jedem Schritt sind spezifische Schlüsselfragen zu klären, wie sie im Folgenden beispielhaft aufgeführt sind.

1. Beschreiben

Der erste Schritt besteht in einer möglichst wertungs- und emotionsfreien Beschreibung der Ausgangssituation, der Problemzonen, der Stärken und der Potenziale der Schule – ohne Schuldzuschreibungen, Beschönigungen, Schwarzmalerei, Ausflüchte oder schnelle Lösungsideen «aus der Hüfte». Am besten eignet sich dazu eine IST-Stand-Analyse/Bestandsaufnahme: Worin genau besteht unser Problem? Was genau wollen wir ändern? Wer ist daran beteiligt? Wer ist davon betroffen? In welchem Kontext steht das Problem? Welche anderen Entwicklungen und IST-Stände an unserer Schule sollten wir im Auge behalten etc.? Ohne Diagnose keine zielführende Therapie.

Aus den bisherigen Arbeitshilfen zur Bestandsaufnahme (0.1 bis 1.3) können Sie Hinweise auf Entwicklungsbedarf bekommen. Sie können daraus einen Dringlichkeitskatalog entwickeln. Eine Bestandsaufnahme hat noch weitere Funktionen: Zum einen wird, was in einer Stärken- und Schwächenanalyse nicht beschrieben und dokumentiert wird, schnell übersehen. Es verbleibt im «toten Winkel» des Erkennens und erfordert möglicherweise später aufwendige Rückschritte; manchmal entdeckt man dann Zusammenhänge zu spät.

Zum anderen wird ein Bezugspunkt gesetzt, an dem Fortschritte und Veränderungen gemessen werden können; man vergisst sehr leicht, wie es früher war. Und drittens lassen sich daraus Ansatzpunkte zur Veränderung ableiten: Wie sollte die Lage sein; was wünschen wir uns?

Für eine ausführliche IST-Stand-Analyse stehen standardisierte Diagnoseinstrumente (Arbeitshilfe 2.1) zur Verfügung wie z. B. BUGIS (2004), IQES (2007), COPSOQ (2010), IEGL (2016). Sie eignen sich auch als kollegiale Gefährdungsbeurteilungen im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes von 1996.

Bei weniger bedeutsamen Vorhaben genügen u. U. hausinterne Umfragen. Diese müssen sehr sorgfältig konstruiert werden; Fragen zu entwickeln verlangt große Aufmerksamkeit. Es passiert oft, dass allein schon durch deren Formulierung das Ergebnis vorbestimmt, verfälscht oder nicht auswertbar wird. Es empfiehlt sich ein Gegenlesen durch Unbeteiligte; zu schnell erweisen sich Fragen als mehrdeutig, obwohl sich die Autoren sehr sicher sind, dass jeder sie in ihrem Sinne versteht.

2. Bewerten

Dann geht es darum, die diagnostischen Ergebnisse auszuwerten und aufzuarbeiten. Ein Wert auf einer Fragebogen-Skala sagt ja zunächst noch nichts aus; allenfalls im repräsentativen Vergleich mit anderen Schulen. Man muss ihn in Bezug zu Wunschvorstellungen oder SOLL-Vorgaben setzen. Das bedarf einer sorgfältigen Analyse: Welche Bedeutung hat der IST-Stand für die Schule (das Kollegium, die Schülerschaft, einzelne Lehrpersonen, Schulleitung, für unseren Auftrag, unser Zusammenarbeiten …)? Wie stark ist die Unzufriedenheit, wie dringlich ist eine Änderung?

Die Bewertung liefert die Grundlage, zu entscheiden, ob es notwendig ist, unmittelbar Veränderungen anzugehen, oder ob man zunächst abwarten kann (siehe Schritt 4: Prognosen). Eine Diagnose legt nicht zwangsläufig bestimmte Therapiemaßnahmen fest.

3. Erklären

Wie ist die Lage entstanden, wie konnte es dazu kommen?

Es geht um das Verstehen der Umstände und Wirkmechanismen, die zu der Situation geführt haben. Ohne Kenntnis der Entstehungsgeschichte läuft man Gefahr, das Problem fortzuschreiben. Gleichermaßen sollte man eruieren, warum das Problem überhaupt noch besteht, obwohl es doch eigentlich unerwünscht oder anscheinend nachteilig ist: Was ist geschehen, was haben wir früher übersehen, dass es zu dem IST-Zustand kommen konnte? Haben sich unsere Bedürfnisse gewandelt – die Umstände – unsere Sichtweisen? Wer hat Interesse daran, was tun wir (nicht), dass der unerwünschte Zustand aufrechterhalten wird, obwohl er zu Unzufriedenheit und Ärger führt? Auf wessen Kosten geht das? Was ist daran auch vorteilhaft, was wird dadurch vereinfacht? Was hindert uns an einer Änderung?

Erklärungen dürfen jedoch nicht zu Verurteilungen, Schuldzuweisungen, kurzschlüssigen Kausalkonstruktionen führen, sondern sollen möglichst emotionsfrei wie in einem Protokoll festgehalten werden. Aus den Antworten lassen sich möglicherweise Erkenntnisse und Ansatzpunkte zur Abhilfe ableiten.

4. Prognosen prüfen und Ziele bestimmen

Hier geht es im Sinn eines Brainstormings um kreative Gedankenspiele und Hypothesen für die Zukunft. Was wird passieren, wenn nichts unternommen wird? Welche Ideen gibt es, das zu verhindern? Was sollten wir für die Verbesserung der Lage kurzfristig unternehmen? Brauchen wir andere Ziele/Regeln/Verfahrensweisen oder geht es (nur) um die Änderung der Wege und Mittel?

Bei diesem Arbeitsschritt ist Zeit, sich mit dem SOLL-Zustand zu befassen: Wie wird es sein, wenn es zufriedenstellend ist?

Die erste Entscheidung besteht darin zu klären: Wollen wir nur von etwas weg, etwas abstellen, oder haben wir eine Vorstellung davon, was stattdessen sein soll? Standardbeispiel ist der Vorsatz, sich nicht mehr über eine bestimmte Sache zu ärgern. Da stellt sich sofort die Frage: Was ist die Alternative?

Nur etwas beenden oder vermeiden zu wollen, schafft noch keine Zielperspektiven. Ein Kollegium, das etwas Unerwünschtes überwinden will, muss unbedingt einen alternativen Traum entwickeln und Konsens für einen motivierenden positiven SOLL-Zustand herstellen. Sonst ist das Änderungspotenzial schnell zersplittert oder verpufft (→ Arbeitshilfe 9.3).

Erst dann kann man darangehen, nachprüfbare, operationalisierte Ziele und Zwischenziele zu bestimmen und zu überlegen, auf welchen Wegen, mit welchen Methoden man zum Ziel kommen könnte (Sieland & Heyse, 2010; Heyse, 2016). Dazu gibt es in der Regel auch wiederum Alternativen, die jeweils einen eigenen Entscheidungsprozess verlangen.

Diese SOLL-Bestimmung stellt durchaus eine Herausforderung für ein Kollegium dar. Denn – wie später noch erläutert wird (S. 56) – schaffen subjektive Wirklichkeiten und unterschiedliche psychische Beanspruchung der Akteure eine Diversität von Meinungen darüber, was denn eine Lösung sein könnte. Viele Entwicklungsprojekte scheitern an der Unvereinbarkeit der Vorstellungen. Hier sollte sich eine Kultur durchsetzen, die bewirkt, dass nicht die hierarchisch Starken und Meinungsführer, die mit Problemen kein Problem haben, abschließend darüber bestimmen. Vielmehr sollten diese Rücksicht nehmen auf diejenigen, denen Störungen und Unzulänglichkeiten stärker zusetzen und die sensibler darauf reagieren. Hier tut sich ein breites Betätigungsfeld für Schulleiterinnen und Schulleiter auf, die daran interessiert sind, eine gute, gesunde Schule zu leiten.

5. Planen

Erst nachdem das Problem in seinen Facetten genau beschrieben ist und Konsens über eine Ziel-/SOLL-Vorstellung besteht, sollte man mit der Planung beginnen. Planung ist der Kern eines Veränderungsprojekts. Wenn sie sorgfältig und umsichtig erfolgt, erspart sie viele Rückschläge, Irrwege, Misserfolge, Ressourcenverschwendung und Enttäuschungen. Leider wird vielfach geplant, bevor das Problem hinreichend beschrieben ist oder klare Zielvorstellungen bzw. Lösungsideen entwickelt sind. Hektische Aktivität nach dem Erkennen von Defiziten ohne gründliche Reflexion gleicht einem Hausbau ohne Bauplan. Im schulischen Alltag erlebt man in Lehrerzimmern sehr oft kurzschlüssige Handlungsvorschläge, z. B. zu einer Klage über Disziplinprobleme.

Aber auch das Gegenteil kann problematisch sein: zu lange zögern und günstige Gelegenheiten verpassen, Nicht-Wahrhabenwollen, am Status quo unbedingt festhalten, immer neue Bedenken aufrufen, der Angst vor Veränderung nachgeben und damit hilfreiche und entlastende Verbesserungen versäumen. Dennoch gilt: Eine umsichtige Planung mit vorsorglicher Beachtung potenzieller Hindernisse und Nebenwirkungen vereinfacht die spätere Umsetzung und Durchführung von zielführenden Maßnahmen: Welche Ziele sind mit welchen Methoden, in welcher Zeit, auf welchen Wegen und mit welchem Aufwand erreichbar? Welche Alternativen gibt es für die jeweiligen Schritte? Mit welchen Nebenwirkungen und Hindernissen ist zu rechnen, und mit welchen Maßnahmen sind diese zu bewältigen? Was tun wir bei teilweisem Scheitern, bei Irrtümern, Fehlentwicklungen?

Eine Möglichkeit, Planungsdetails anschaulich zu machen, ist z. B., wie für einen Film eine Art «Drehbuch» zu verfassen. Damit kann man sich den Ablauf vorab in der Vorstellung detailliert vergegenwärtigen und auf Machbarkeit und Hindernisse überprüfen. Wenn die einzelnen Szenen genau beschrieben sind, wird deutlich, worauf zu achten ist, was bei vorherigen Schritten übersehen wurde, welche Zusammenhänge bestehen etc.

Ressourcensicherung

Zur Planung gehört, die notwendigen Ressourcen zu bilanzieren und sicherzustellen, bevor das Projekt begonnen wird. Sich darauf zu verlassen, dass es schon irgendwie gehen wird, ist leichtsinnig.

Ressourcen in unserem Sinn sind nicht nur materielle/finanzielle Mittel, sondern vor allem individuelle und kollegiale psychosoziale Leistungsvoraussetzungen: Bringen wir genügend Gemeinsamkeit – «Miteinander» – auf, auch Widerständen zu trotzen? Sind ausreichend fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten im Kollegium vorhanden? Gibt es zeitliche, personelle, energetische Spielräume für neue Aufgaben? Begünstigt unsere Arbeitssituation das Vorhaben? Was müssen wir zurückstellen, einschränken, loslassen, um Zeit und Energie «freizuschaufeln»?

Die «Gretchenfragen» für ein Projekt sollten immer sein: «Können wir uns bei unserem laufenden Geschäft eine neue ‹Baustelle› leisten?» – «Was müssen wir dafür ‹opfern›?» – «Woher nehmen wir die materiellen, zeitlichen, personellen, energetischen Ressourcen?»

Um im Bild zu bleiben: Ohne solide Finanzierung wird trotz bester Baupläne ein Haus nicht fertig werden.

Ergebnissicherung und Transfer

Die Sicherung und die Übertragung der Ergebnisse in den Schulalltag sollten bereits bei der Planung mitbedacht werden. Es müssen ggf. langfristige (organisatorische, motivationale …) Vorbereitungen getroffen werden, wie die Planung im Alltagshandeln verankert und Erkenntnisse und positive Ergebnisse als neue Routinen übernommen werden können. Letztlich entscheidet ja über den Erfolg eines Projekts, ob die Ergebnisse der Realität standhalten. Und diejenigen, die die Veränderungen realisieren sollen, müssen sich mit dem Ziel und dem Weg dahin identifizieren und die Folgen akzeptieren. Wie motivieren wir die Betroffenen? Was unternehmen wir bei Widerstand oder bei Rückfällen in das alte Fahrwasser?

6. Handeln

Nach der Planung geht es um die konsequente, dennoch flexible Übertragung in Aktivitäten: Wie können wir die Veränderungen so einführen und stabilisieren, dass wir auch Widerstände und alte Gewohnheiten überwinden? Wie behandeln wir Rückfälle? Wie gehen wir mit Personen um, die gegen die Vereinbarungen verstoßen? Was machen wir, wenn die erhofften Ergebnisse nicht eintreten?

Es gibt unter Projektentwicklern ein böses Wort: «Planen heißt, Zufälle durch Irrtümer ersetzen». Es will aufmerksam machen, dass selbst detaillierte Planung nicht vor Fehlern, Pannen und Sackgassen schützt. Dazu gehört Offenheit, Fehler zuzugestehen, Irrwege abzubrechen, Alternativen zu suchen. Wie ein Bergsteiger erkennen sollte, wann er sich in unausweichliche Gefahr begibt und umkehren muss, sollte man bereit sein, sich in Freiheit und Ehrlichkeit einzugestehen, wenn man nicht weiterkommt.

Die Durchführung der Maßnahmen, die bei der Planung als zielführend erkannt wurden, bringt neue Hürden: Was im Planungsstadium unproblematisch erschien, kann sich in der Realität als durchaus schwierig erweisen. Nicht nur, dass der Teufel bekanntlich im Detail steckt; auch die Widrigkeiten des Alltags machen manchen schönen Plan zunichte. Zudem müssen sich neue Verhaltensweisen, Handlungsabläufe usw. gegen eingefahrene Routinen durchsetzen. Das ist nicht immer böser Wille; wer ein neues Auto kauft, ahnt, dass er die automatischen Handgriffe für das alte lange beibehalten wird.

Deswegen bedarf es in der Phase der Umsetzung besonderer Aufmerksamkeit und des Langmuts, den Vorteil der Innovation mit Geduld abzuwarten und an der Sinnhaftigkeit festzuhalten, selbst wenn Rückschläge entmutigen wollen. Es verlangt Ambiguitätstoleranz, d. h. das Ertragen von Uneindeutigkeit oder Unentscheidbarkeit, einen Entwicklungsprozess zu durchlaufen. Es braucht Geduld und Beharrlichkeit, manche Fehlversuche bzw. Neuanfänge, bis die neuen Verfahrens- oder Verhaltensweisen zu einer Selbstverständlichkeit werden. Vorschnell Misserfolg zu deklarieren und aufzugeben, würde den gesamten Vorbereitungs- und Planungsaufwand ad absurdum führen.

Controlling der Durchführung

Ein umfangreiches Projekt (z. B. die Bewerbung für einen Schulpreis), das viele Ressourcen bindet und dessen Ergebnisse für die Schule grundsätzlich von Bedeutung sind, sollte – wie oben erwähnt – von Beginn an durch ein internes oder externes Controlling begleitet werden.

Ansonsten scheitert das Vorhaben möglicherweise wegen nicht erkannter Planungsfehler, Ressourcenüberschreitung oder Ausführungsmängeln und kommt auf den Friedhof der enttäuschten Hoffnungen.

Controlling ist ein substanzielles Steuerungselement erfolgreicher Entwicklungsarbeit. Wer beobachtet die Planer mit einem freundlich-kritischen Blick, wer darf auch während der Erprobung bzw. Realisierung unangenehme Fragen stellen und ungestraft auf Mängel hinweisen? Controlling geschieht am besten durch Personen, die nicht selbst in den Entwicklungsprozess involviert sind (z. B. pensionierte Kolleginnen und Kollegen, Schulpsychologischer Dienst). Denn wer mitplant, übersieht im Eifer des Gefechts leicht Fehlentwicklungen, unbedachte und unerwünschte Nebenwirkungen oder Warnsignale, Vereinfachungen und Abkürzungen; man kann sich schlecht selbst neutral kontrollieren.

Der vermeintliche Vorteil, sich von Kritikern «ungestört» mit aller Kraft auf die Ziele konzentrieren zu können, wird nämlich mit Nachteilen erkauft: Ohne Controlling

•bemerkt man u. U. Fehler zu spät und kann nicht rechtzeitig umsteuern. Dann ist der entstandene Schaden möglicherweise nicht mehr zu korrigieren. Statt dann um Schadensbegrenzung zu ringen, beginnt oftmals die Suche nach Schuldigen. Das lähmt das gemeinsame Handeln;

•verliert man leicht Details aus den Augen, denn meist laufen Teilprozesse parallel;

1 914,74 ₽
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350 стр. 17 иллюстраций
ISBN:
9783035512397
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