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A Inhaltsverzeichnis

Amtshaftungsklage

Antidiskriminierungsmaßnahmen

Anwendungsvorrang des EU-Rechts

Arbeitnehmerfreizügigkeit

Assoziierungsabkommen

Aufenthalts-, Ausländer- und Asylrecht, Europäisches

Auslegung des EU-Rechts

Auslegung des nationalen Rechts

Ausschluss (aus der EU)

Ausschuss der Regionen

Austritt (aus der EU)

Auswärtiges Handeln der Union

A › Amtshaftungsklage (Gilbert H. Gornig)

Amtshaftungsklage (Gilbert H. Gornig)

I.Allgemeines1, 2

II.Zulässigkeit3 – 11

1.Sachliche Zuständigkeit3, 4

2.Klageberechtigung (aktive Parteifähigkeit, Beteiligungsfähigkeit)5

3.Klagegegner (passive Parteifähigkeit)6

4.Klagegegenstand7

5.Form der Klageerhebung8

6.Klagefrist (und Verjährung)9, 10

7.Rechtsschutzbedürfnis11

III.Begründetheit12 – 22

1.Organe oder Bedienstete der Union13

2.Ausübung einer Amtstätigkeit14

3.Rechtswidrigkeit der Amtshandlung15 – 19

a)Grundsatz15

b)Hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen Rechtsnorm16 – 19

4.Verschulden20

5.Schaden21

6.Kausalzusammenhang22

IV.Rechtsfolgen23

V.Haftung für rechtmäßiges Handeln24 – 27

Lit.:

C. Koenig, Staatshaftung für „hinreichend qualifizierte“ Gemeinschaftsrechtsverstöße im nicht oder nur teilharmonisierten Bereich und die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG, EWS 19 (2009), 249; J.-Th. Oskierski, Schadensersatz im europäischen Recht, 2010; U. Säuberlich, Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht: Eine Untersuchung der Mehrpersonenverhältnisse, 2005; A.-Z. Steiner, Die außervertragliche Haftung der Europäischen Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV für rechtswidriges Verhalten, 2015; Ch. Vesting, Die vertragliche und außervertragliche Haftung der EG nach Art. 288 EGV, 2003.

A › Amtshaftungsklage (Gilbert H. Gornig) › I. Allgemeines

I. Allgemeines

1

Im Hinblick auf die → Haftung der EU ist zwischen einer vertraglichen Haftung nach Art. 340 UAbs. 1 AEUV und einer deliktischen Haftung nach Art. 340 UAbs. 2 AEUV zu unterscheiden. Im Bereich der vertraglichen Haftung gelten nach Art. 340 UAbs. 1 AEUV grundsätzlich die auf den Vertrag anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften. Der Gerichtshof der EU (→ Gerichtssystem der EU) entscheidet gem. Art. 272 AEUV in diesen Angelegenheiten nur, wenn dies in einer Schiedsklausel explizit vorgesehen ist. Fehlt eine solche Schiedsklausel, so entscheiden nach Art. 274 AEUV die Gerichte der Mitgliedstaaten.

2

Mit einer Amtshaftungs- bzw. Schadensersatzklage nach Art. 268 AEUV kann demgegenüber nur der Ersatz desjenigen Schadens eingeklagt werden, der durch deliktische Handlungen der Organe der Europäischen Union (→ Organe und Einrichtungen) oder ihrer Bediensteten entstanden ist. Die zuständigen rechtsprechenden Institutionen des Gerichtshofs der EU entscheiden gem. Art. 340 UAbs. 2 und 3 AEUV u.a. „nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“. Diese Allgemeinen Rechtsgrundsätze (→ Primärrecht) sind – zusammen mit weiteren rechtlichen Maßgaben des Art. 340 UAbs. 2 AEUV – zugleich auch eine gewisse Orientierungshilfe für den Gerichtshof bei der Entwicklung und inhaltlichen Ausformung der → Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das EU-Recht (s. EuGH, Urt. v. 5.3.1996, C-46/93 u.a. – Brasserie du Pêcheur –, Rn. 29).

A › Amtshaftungsklage (Gilbert H. Gornig) › II. Zulässigkeit

II. Zulässigkeit

1. Sachliche Zuständigkeit

3

Art. 268 AEUV weist dem Gerichtshof der EU die Zuständigkeit für Streitsachen über die außervertragliche Haftung der Union nach Art. 340 UAbs. 2 AEUV zu. Aus diesem Grund kann der Gerichtshof der EU nur über solche Schadensersatzforderungen entscheiden, die auf einem rechtswidrigen Verhalten eines Organs (vgl. Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 EUV) oder eines Bediensteten der Union, die für die Union handeln, beruhen. Die durch nationale Organe verursachten Schäden unterliegen dagegen der mitgliedstaatlichen Gerichtsbarkeit.

4

Gem. Art. 256 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 AEUV ist das → Gericht der EU (EuG) für Entscheidungen im ersten Rechtszug über die dort genannten Klagen zuständig, mit Ausnahme derjenigen Klagen, die einem nach Art. 257 AEUV gebildeten → Fachgericht übertragen werden (dazu → Gerichtssystem der EU), und der Klagen, die gemäß der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union dem → Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorbehalten sind. Die Zuständigkeit des EuGHs ergibt sich damit aus der Negativabgrenzung zu den in Art. 256 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 AEUV festgelegten Aufgaben des EuG. Die Amtshaftungsklage von natürlichen oder juristischen Personen ist gem. Art. 256 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 AEUV beim EuG zu erheben. Beim EuGH sind dagegen gem. Art. 51 EuGH-Satzung diejenigen Amtshaftungsklagen zu erheben, in denen ein Mitgliedstaat als Kläger auftritt.

2. Klageberechtigung (aktive Parteifähigkeit, Beteiligungsfähigkeit)

5

In Art. 340 UAbs. 2 und Art. 268 AEUV fehlt eine Bestimmung der aktiven Parteifähigkeit (Kläger). Die aktive Parteifähigkeit besitzt aber jede natürliche und juristische Person des privaten und öffentlichen Rechts, die durch ein Verhalten eines Unionsorgans oder eines Bediensteten der Union einen Schaden erlitten hat. Dies soll grundsätzlich auch für die Mitgliedstaaten gelten (str.).

3. Klagegegner (passive Parteifähigkeit)

6

Passiv legitimiert ist derjenige, dem das rechtswidrige Verhalten des Organs zuzurechnen ist. Somit haftet die Europäische Union für das Verhalten ihrer Organe und Bediensteten. Daher muss die Amtshaftungsklage gegen die Union (Art. 340 UAbs. 2 AEUV) gerichtet werden. Die Union ist also im Amtshaftungsverfahren passiv parteifähig. Eine Sonderregelung ist allerdings für die → Europäische Zentralbank (EZB) vorgesehen, die für den von ihr oder ihren Bediensteten verursachten Schaden selbst haftet (Art. 340 UAbs. 3 AEUV).

4. Klagegegenstand

7

Klagegenstand ist ein rechtswidriges Handeln oder Unterlassen eines Unionsorgans oder -bediensteten, das einen Schaden verursacht hat. Im Unterschied zum deutschen Recht haftet die Union grundsätzlich auch für Schäden, die aufgrund rechtswidriger Rechtsetzungsakte verursacht worden sind.

5. Form der Klageerhebung

8

Die Klageerhebung erfolgt gem. Art. 21 EuGH-Satzung durch Einreichung einer an den Kanzler zu richtenden Klageschrift. Die Klageschrift muss den Namen und den Wohnsitz des Klägers, die Angabe der Stellung und der Anschrift des Vertreters des Klägers, die Bezeichnung der Hauptpartei, gegen die sich die Klage richtet, den Streitgegenstand, die geltend gemachten Klagegründe und Argumente sowie eine kurze Darstellung der Klagegründe, die Anträge des Klägers, ferner ggf. die Beweise und Beweisangebote (Art. 120 EuGH-VerfO; Art. 76 EuG-VerfO) enthalten. Der Klageantrag ist auf Ersatz des verursachten Schadens zu richten.

6. Klagefrist (und Verjährung)

9

Weder in Art. 268 noch in Art. 340 UAbs. 2 AEUV ist eine Klagefrist ausdrücklich geregelt. Zu beachten ist aber Art. 46 S. 1 und 4 EuGH-Satzung, wonach gegen die Europäische Union oder die EZB gerichtete außervertragliche Haftungsansprüche in fünf Jahren nach Eintritt des haftungsbegründenden Ereignisses verjähren. Mit dieser Verjährungsregelung soll ein gerechter Ausgleich zwischen dem Rechtsschutzbedürfnis des Geschädigten und den Erfordernissen der Rechtssicherheit erzielt werden.

10

Trotz des klaren Wortlauts des Art. 46 UAbs. 1 S. 1 EuGH-Satzung („verjähren“) ist die Rechtsprechung zur dogmatischen Einordnung der Vorschrift uneinheitlich. Der EuGH hat sie zeitweise als eine Sachurteilsvoraussetzung angesehen, die i.R.d. Zulässigkeit von Amts wegen zu prüfen ist; damit ähnelt sie funktionell einer Klagefrist. Teilweise wurde die Regelung als echte Verjährungsvorschrift verstanden, die als Einrede der Geltendmachung durch den Beklagten bedarf und zur Begründetheitsprüfung gehört. Für diese Einordnung spricht der Umstand, dass auch die Rechtsordnungen der überwiegenden Zahl der Mitgliedstaaten die Verjährung als materiell-rechtliche Fragestellung behandeln und Art. 340 UAbs. 2 AEUV an die Allgemeinen Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, anknüpft. Mittlerweile verbindet der EuGH (Urt. v. 8.11.2012, C-469/11 P – Evropaïki Dynamiki –, Rn. 49 ff.) beide Aspekte und qualifiziert die Verjährung als „Einrede der Unzulässigkeit“, von der er annimmt, dass sie „im Unterschied zu den Verfahrensfristen kein zwingendes Recht ist, sondern die Haftungsklage nur auf Antrag des Beklagten untergehen lässt“ (Rn. 54).

7. Rechtsschutzbedürfnis

11

Unzulässig ist die Amtshaftungsklage immer dann, wenn dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis für einen Schadensersatzanspruch fehlt. Zu erwägen ist dies insbesondere bei Konstellationen, in denen der Kläger zuvor mit einer → Nichtigkeitsklage den haftungsauslösenden Rechtsakt gerichtlich hätte beseitigen lassen können oder mit einer → Untätigkeitsklage ein rechtserhebliches Handeln des zuständigen EU-Organs hätte erzwingen können (Subsidiarität der Schadensersatzklage). Der EuGH (Urt. v. 2.12.1971, 5/71 – Schöppenstedt/Rat –, Rn. 3) geht jedoch im Grundsatz davon aus, dass die Amtshaftungsklage einen „selbständigen Rechtsbehelf mit eigener Funktion im System der Klagemöglichkeiten“ darstellt und lehnt eine Subsidiarität der Amtshaftung deshalb ab. Begründet wird dies mit den verschiedenen Klagezielen, nämlich dem Schadensersatzbegehren einerseits und der Nichtigerklärung einer Maßnahme andererseits. Eine schädigende Handlung muss daher vor Erhebung der Amtshaftungsklage nicht mittels einer Nichtigkeitsklage angefochten werden, sofern der Kläger nur den Ersatz des entstandenen Schadens und gerade nicht die Aufhebung eines rechtskräftigen oder bestandskräftigen Unionsrechtsaktes begehrt. Das soll nur dann anders sein, wenn es sich bei der Erhebung der Amtshaftungsklage um einen Verfahrensmissbrauch handele, d.h. „wenn mit der Schadensersatzklage in Wirklichkeit die Aufhebung einer bestandskräftig gewordenen Einzelfallentscheidung begehrt wird“ (EuG, Urt. v. 24.9.1996, T-485/93 u.a. – Louis Dreyfus –, Rn. 68) oder – allgemeiner formuliert – „die Unzulässigkeit eines Nichtigkeitsantrags umgehen könne, der sich auf dieselbe Rechtswidrigkeit beziehe und dieselben finanziellen Zwecke verfolge“ (EuGH, Urt. v. 14.9.1999, C-310/97 P – Kommission/AssiDomän –, Rn. 59).

A › Amtshaftungsklage (Gilbert H. Gornig) › III. Begründetheit

III. Begründetheit

12

Die Amtshaftungsklage gem. Art. 268 i.V.m. Art. 340 UAbs. 2 AEUV ist begründet, wenn der in Art. 340 UAbs. 2 AEUV geregelte Schadensersatzanspruch besteht. Dies setzt voraus, dass ein Organ oder ein Bediensteter der Union in Ausübung einer Amtstätigkeit eine höherrangige, dem Schutz des Einzelnen dienende Rechtsnorm verletzt und damit unmittelbar einen kausalen Schaden des Klägers verursacht hat. Unerheblich ist dabei, ob es sich um einen Realakt, einen Einzelakt oder den Erlass einer Rechtsnorm handelt. Bei Art. 340 UAbs. 2 AEUV handelt es sich um einen haftungsrechtlichen Rumpftatbestand, der noch der Ergänzung bedarf „nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind.“ Diese Regelung ist als Verweis auf die Allgemeinen Rechtsgrundsätze, die durch wertende Rechtsvergleichung zu ermitteln sind, gedacht.

1. Organe oder Bedienstete der Union

13

Mit einer Amtshaftungs- bzw. Schadensersatzklage kann der Ersatz desjenigen Schadens eingeklagt werden, der durch deliktische Handlungen der Organe der Europäischen Union oder ihrer Bediensteten entstanden ist. Die Organe der Union werden grundsätzlich abschließend in Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 EUV aufgeführt. Der Begriff Organe i.S.d. Art. 340 UAbs. 2 AEUV ist jedoch weit zu verstehen, so dass hierunter auch alle sonstigen Institutionen der EU (wie bspw. Einrichtungen) einzuordnen sind (→ Organe und Einrichtungen).

2. Ausübung einer Amtstätigkeit

14

Die Union haftet für einen Schaden, der durch ihre Organe oder ihre Bediensteten „in Ausübung ihrer Amtstätigkeit“ entstanden ist. Die Union haftet deshalb nur für diejenigen Handlungen ihrer Bediensteten, die sich „aufgrund einer unmittelbaren inneren Beziehung notwendig aus den Aufgaben der Organe ergeben“ (EuGH, Urt. v. 10.7.1969, 9/69 – Sayag-Leduc/EAG –, Rn. 5/11). Die Amtstätigkeit umfasst sowohl aktives Handeln als auch Unterlassen trotz unionsrechtlicher Rechtspflicht zum Handeln (EuGH, Urt. v. 15.9.1994, C-146/91 – KYDEP/Rat und Kommission –, Rn. 58). Dabei ist die Art des Handelns unerheblich, da unionsrechtlich grundsätzlich auch für legislatives (normatives) Unrecht gehaftet wird, etwa für den Erlass rechtswidriger → Verordnungen oder bei vertragswidriger legislativer Untätigkeit.

3. Rechtswidrigkeit der Amtshandlung

a) Grundsatz

15

Die Amtshaftung setzt nach ständiger Rechtsprechung des EuGHs ein rechtswidriges Verhalten der Organe der Union oder ihrer Bediensteten voraus. Zu unterscheiden sind dabei drei Arten von haftungsbegründenden Amtstätigkeiten: Die Haftung für administratives Unrecht d.h. für rechtswidrige Einzelakte der Organe und Bediensteten im Bereich der Verwaltungstätigkeit, die Haftung für normatives Unrecht, d.h. für rechtswidrige Rechtsetzungsakte, und die Haftung für judikatives Unrecht, d.h. für rechtswidriges Handeln der rechtsprechenden Gewalt. Die frühere Rechtsprechung (vgl. insbesondere EuGH, Urt. v. 4.10.1979, 64/76 u.a. – Dumortier Frères –, Rn. 19 ff.) ließ i.R.d. Haftung wegen administrativen Unrechts einen Verstoß gegen eine auch den Schutz des Geschädigten bezweckende Rechtsnorm (Schutznormverletzung) genügen. Hinsichtlich der Haftung für normatives Unrecht verlangte der EuGH jedoch eine „hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz der einzelnen dienenden Rechtsnorm“ (EuGH, Urt. v. 2.12.1971, 5/71 – Schöppenstedt –, Rn. 11). In der neueren Rechtsprechung (EuGH, Urt. v. 4.7.2000, C-352/98 P – Bergaderm/Kommission –, Rn. 42) wird allerdings das Qualifizierungserfordernis auch auf administratives und judikatives Unrecht ausgeweitet, so dass eine Differenzierung nicht erforderlich ist.

b) Hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen Rechtsnorm

16

Eine „hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz des Einzelnen dienende Rechtsnorm“ (s. Rn. 12) muss zudem offenkundig und erheblich sein.

aa) Verletzung einer Schutznorm

17

Voraussetzung für einen Schadensersatz ist also, dass eine Rechtsnorm verletzt wurde, die den Schutz der Interessen des Geschädigten bezweckt (dazu EuG, Urt. v. 19.10.2005, T-415/03 – Cofradía de pescadores de „San Pedro“ de Bermeo/Rat –, Rn. 86). Zu den vom Gerichtshof der EU anerkannten Schutznormen gehören bspw. die Grundfreiheiten (→ Grundfreiheiten: Allgemeine Lehren), die Diskriminierungsverbote (→ Diskriminierungsverbot, allgemeines) und die Grundrechte der → Grundrechtecharta.

bb) Hinreichend qualifizierte Verletzung

18

Die Verletzung einer Schutznorm löst die Haftungsfolge nur aus, wenn sie in hinreichender Weise qualifiziert ist. Hinreichend qualifiziert ist die Rechtsverletzung, wenn das handelnde Organ die Grenzen seiner Befugnisse offenkundig und erheblich überschritten hat (EuGH, Urt. v. 25.5.1978, 83/76 u.a. – HNL Vermehrungsbetriebe –, Rn. 6). Bei der Frage des Vorliegens von Offenkundigkeit ist das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift zu berücksichtigen (EuGH, Urt. v. 5.3.1996, C-46/93 u.a. – Brasserie du Pêcheur –, Rn. 56). Für die Frage der Erheblichkeit ist entscheidend die Vorsätzlichkeit des Verstoßes oder der Schadensherbeiführung, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand, dass das Handeln des Unionsorgans oder der Bediensteten möglicherweise dazu beigetragen hat, dass nationale Maßnahmen oder Praktiken in unionsrechtswidriger Weise unterlassen, eingeführt oder aufrechterhalten wurden (EuGH, Urt. v. 5.3.1996, C-46/93 u.a. – Brasserie du Pêcheur –, Rn. 56). Jedenfalls ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht hinreichend qualifiziert, wenn im Widerspruch gegen ein Urteil oder die gefestigte einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes, aus denen sich die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens ergibt, gehandelt wird (EuGH, Urt. v. 5.3.1996, C-46/93 u.a. – Brasserie du Pêcheur –, Rn. 57).

19

Maßgeblich ist ferner, ob dem Organ ein Entscheidungsspielraum zustand, der Spielraum auf Null reduziert ist oder ob ein gebundener Beschluss vorlag. Diese Unterscheidung ist notwendig, da bei der Verneinung eines Gestaltungsspielraums bereits der bloße Verstoß gegen eine unionsrechtliche Schutznorm zur Begründung einer hinreichend qualifizierten Verletzung ausreichend ist (EuGH, Urt. v. 4.7.2000, C-352/98 – Bergaderm/Kommission –, Rn. 44; Urt. v. 23.5.1996, C-5/94 – Hedley Lomas –, Rn. 28). Wenn das Organ aber die Handlung in Ausübung eines weiten Ermessens erlassen hat, setzt die Haftung der Union weiter voraus, dass „eine qualifizierte, nämlich eine offensichtliche und schwerwiegende Verletzung“ vorliegt (EuG, Urt. v. 15.4.1997, T-390/94 – Schröder und Thamann –, Rn. 52; EuG, Urt. v. 5.5.1998, T-481/93 u.a. – Exporteurs in Levende –, Rn. 81).

4. Verschulden

20

Ein Verschulden wird in Art. 340 UAbs. 2 AEUV nicht als Voraussetzung der Amtshaftung genannt. Der EuGH verzichtet auf die Verschuldensprüfung (vgl. EuGH, Urt. v. 28.4.1971, 4/69 –, Lütticke/Kommission –). Die Haftung der Union erfolgt somit heute verschuldensunabhängig. Eingeschränkt wird die verschuldensunabhängige Haftung der Union aber durch die Voraussetzung einer hinreichend qualifizierten Verletzung (s. Rn. 17 f.). In diesem Zusammenhang kann berücksichtigt werden, ob Entschuldigungsgründe oder Schuldausschließungsgründe vorliegen (EuG, Urt. v. 26.1.2006, T-364/03 – Medici Grimm/Rat –, Rn. 81, 87 f.). Die Frage eines Mitverschuldens des Geschädigten kann ebenfalls in diesem Rahmen erwogen werden.

5. Schaden

21

Erfasst werden vom amtshaftungsrechtlichen Schadensbegriff neben Vermögenseinbußen auch Einbußen an sonstigen rechtlich geschützten Gütern, einschließlich nichtvermögenswerten Rechten (immaterieller Schaden; vgl. EuGH, Urt. v. 14.5.1998, C-259/96 P – de Nil –, Rn. 48 ff.). Der ersatzfähige Schaden berechnet sich nach der Differenzmethode und kann auch einen entgangenen Gewinn umfassen (s. EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-104/89 – Mulder/Rat und Kommission –, Rn. 26).

6. Kausalzusammenhang

22

Der Schaden muss durch die Organe oder Bediensteten der Union in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursacht worden sein. Zwischen der Handlung und dem behaupteten Schaden muss ein unmittelbarer (EuGH, Urt. v. 4.10.1979, 64/76 u.a. – Dumortier Frères –, Rn. 21) und ursächlicher (EuGH, Urt. v. 2.7.1974, 153/73 – Willemsen –, Rn. 7) Zusammenhang bestehen. Das Merkmal der Unmittelbarkeit bringt zum Ausdruck, dass nicht jede noch so entfernte nachteilige Folge zum Schadensersatz verpflichtet (EuGH, Urt. v. 4.10.1979, 64/76, – Dumortier Frères –, Rn. 21). Die Ursächlichkeit wird mit der Adäquanztheorie konkretisiert. Unmittelbar kausal sind nur diejenigen Handlungen, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung typischerweise geeignet sind, einen Schaden wie den eingetretenen zu verursachen. Der kausale Zusammenhang zwischen rechtswidrigem Verhalten und Schadenseintritt ist aber zu verneinen, wenn der gleiche Erfolg auch bei rechtmäßigem Verhalten oder ohne Amtstätigkeit eingetreten wäre (EuGH, Urt. v. 4.2.1975, 169/73 – Compagnie Continentale France/Rat –, Rn. 32; Urt. v. 29.9.1982, 26/81 – Oleifici Mediterranei/Rat –, Rn. 22 ff.).

A › Amtshaftungsklage (Gilbert H. Gornig) › IV. Rechtsfolgen

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9783811475106
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