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III. Vergleich mit Unionsrecht und Reformperspektiven

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Im Unionsrecht ähnelt der geschilderte Verfahrensverlauf am ehesten demjenigen beim Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258, 259 AEUV), da hier über eine in der Vergangenheit liegende Unionsrechtsverletzung geurteilt wird. Allerdings macht die Kommission in Fällen judikativer Unionsrechtsverstöße mit Rücksicht auf die Unabhängigkeit der nationalen Richter von ihrem Initiativrecht faktisch keinen Gebrauch (selbst die Solange-I-Entscheidung des BVerfG hat lediglich zu einer Anfrage der Kommission bei der Bundesregierung, nicht aber zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens geführt). Das Problem der nachträglichen Rechtskraftdurchbrechung stellt sich im Unionsrecht daher jedenfalls so nicht.

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Grundlegend anders ausgestaltet ist das mit Abstand meistgebrauchte unionsrechtliche Verfahren, der Vorabentscheidungsmechanismus aus Art. 267 AEUV (→ Vorabentscheidungsverfahren). Der Erfolg dieses Verfahrens hängt wesentlich damit zusammen, dass dem → Europäischen Gerichtshof (EuGH) die direkte Einwirkung auf das noch laufende nationale Verfahren ermöglicht wird. Das Erfordernis einer nachträglichen Rechtskraftdurchbrechung stellt sich damit schon im Ausgangspunkt nicht. Darüber hinaus zeichnet sich das Vorlageverfahren im Vergleich zum Beschwerdeverfahren nach der EMRK durch einen stärkeren Kooperationscharakter aus: Während der EGMR den nationalen Richtern ex post attestiert, gegen die Konvention verstoßen zu haben, ist das Vorabentscheidungsverfahren dialogisch ausgestaltet, indem der nationale Richter den EuGH um die Auslegung des Unionsrechts ersucht. Manko dieser Verfahrensgestaltung ist allerdings die Tatsache, dass das verletzte Individuum kein eigenes Vorlagerecht hat, sondern die Vorlage nur anregen kann. Die Entscheidung hierüber liegt beim nationalen Gericht, das zwar möglicherweise zur Vorlage verpflichtet ist (Art. 267 UAbs. 3 AEUV), sich jedenfalls faktisch aber über die Vorlagepflicht hinwegsetzen kann.

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Die verfahrensrechtlichen Vorzüge eines Vorabentscheidungsmechanismus sind mittlerweile auch im Europarat erkannt worden. Allerdings war man lange Zeit zurückhaltend, für den ohnehin schon überlasteten EGMR noch ein weiteres, belastungsintensives Verfahren einzuführen. Mittlerweile liegt mit dem Protokoll Nr. 16 vom 2.10.2013 (CETS No. 214) aber ein entsprechender, freilich fakultativ ausgestalteter Mechanismus vor. Im Unterschied zu Art. 267 AEUV sind nicht sämtliche nationalen Gerichte zum EGMR vorlageberechtigt, sondern nur die „highest courts and tribunals“; welche Gerichte das sind, muss spätestens bei Ratifizierung des Protokolls bestimmt werden. Über die Vorlage des nationalen Gerichts entscheidet sogleich die Große Kammer des EGMR, allerdings nicht im Wege eines verbindlichen Urteils, sondern mittels eines Gutachtens (advisory opinion). Aufgrund der Autorität der Großen Kammer dürfte solchen Gutachten allerdings Quasi-Verbindlichkeit zukommen. Formal gesehen ist ein Beschwerdeführer aber wohl nicht gehindert, nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs (unter Einschluss der Vorlage an den EGMR) eine Beschwerde an den EGMR zu richten. Das Protokoll ist am 1.8.2018 in Kraft getreten. Eine Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutschland ist momentan nicht beabsichtigt (BT-Drs. 18/118666, S. 17).

E › Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Marten Breuer) › IV. Piloturteilsverfahren und weitere Besonderheiten

IV. Piloturteilsverfahren und weitere Besonderheiten

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Vor dem Hintergrund seiner zunehmenden Überlastung hat der EGMR in den letzten Jahren neue Entscheidungsvarianten entwickelt, mit denen er teilweise über den reinen Feststellungscharakter seiner Urteile hinausgegangen ist. Ein erster Schritt in diese Richtung war das Urteil im Fall Assanidze, bei dem der EGMR erstmals die konkreten Urteilsfolge (Verpflichtung zur Entlassung des konventionswidrig inhaftierten Beschwerdeführers) im Urteilstenor ausgesprochen hat (EGMR [GK], Assanidze/Georgien, EuGRZ 2004, 268). Noch einen Schritt weiter ging er mit der Entwicklung der sog. Piloturteilstechnik, bei welcher der EGMR im Urteilstenor systemische Defizite innerhalb der nationalen Rechtsordnung benennen kann (EGMR [GK], Broniowski/Polen, EuGRZ 2004, 472). Dies wird bisweilen mit der Setzung einer Frist an die Adresse des Gesetzgebers kombiniert (z.B. EGMR, Rumpf/Deutschland, EuGRZ 2010, 700). Die Piloturteilstechnik kommt v.a. in Fällen zum Einsatz, in denen der EGMR infolge des systemischen Problems im nationalen Recht mit einer großen Zahl gleichgelagerter Beschwerden konfrontiert wird. Die Behandlung jener Fälle wird bis zur Entscheidung des Pilotfalls vertagt. Mittlerweile ist die Piloturteilstechnik zwar nicht in der Konvention selbst, zumindest aber in der Verfahrensordnung verankert (Art. 61 VerfO-EGMR).

E › Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Marten Breuer) › V. EU-Beitritt zur EMRK

V. EU-Beitritt zur EMRK

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Die Forderung nach einem EMRK-Beitritt der damaligen Europäischen Gemeinschaft(en) datiert noch aus einer Zeit, da der Grundrechtsschutz auf europäischere Ebene als defizitär bezeichnet werden musste. Mit dem ablehnenden EuGH-Gutachten 2/94 vom 28.3.1996 erfolgte allerdings eine erste Zäsur. Hierin stellte der EuGH unmissverständlich klar, dass ein EMRK-Beitritt von einer „verfassungsrechtlichen Dimension“ sein würde und daher nicht lediglich auf die Vertragsabrundungsklausel (Art. 235 EGV a.F., heute Art. 352 AEUV) gestützt werden könne (EuGH, Gutachten 2/94 v. 28.3.1996 – EMRK-Beitritt –, Rn. 35).

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Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zum 1.12.2009 ist dieser Einwand entfallen. Denn mit Art. 6 Abs. 2 EUV steht nunmehr eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für den EMRK-Beitritt der Europäischen Union zur Verfügung. Darüber hinaus wird hierdurch sogar eine Beitrittsverpflichtung normiert, denn die indikativische Formulierung („Die Union tritt der [EMRK] bei“) lässt hinsichtlich des „Ob“ des Beitritts keinen Spielraum mehr. Allerdings ist der Beitritt hinsichtlich des „Wie“ unter den Bedingungen des (im Range von Primärrecht stehenden) Protokolls Nr. 8 zu realisieren, was sich im zweiten EMRK-Gutachten des EuGH als problematisch erweisen sollte.

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Nicht nur das Unionsrecht musste für den EMRK-Beitritt der EU angepasst werden, auch die EMRK ihrerseits musste geändert werden. Traditionell stand die Konvention nämlich allein Mitgliedstaaten des Europarats offen (Art. 59 Abs. 1 EMRK), was wiederum Staatlichkeit voraussetzte (Art. 4 Europaratssatzung). Durch das am 1.6.2010 in Kraft getretene Protokoll Nr. 14 (BGBl. 2006 II S. 138) wurde ein neuer Art. 59 Abs. 2 EMRK hinzugefügt, der den Konventionsbeitritt der Europäischen Union nunmehr ausdrücklich ermöglicht.

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Mit der Anpassung der vertraglichen Grundlagen in Unionsrecht wie Konvention waren allerdings nur die Grundvoraussetzungen für einen Beitritt geschaffen. Angesichts der Komplexität dieses Vorhabens war klar, dass es eines gesonderten Beitrittsübereinkommens bedurfte. Die Verhandlungen hierüber wurden von Juni 2010 an seitens der Europäischen Union von der → Europäische Kommission und für den → Europarat zunächst von einer 14-köpfigen Expertengruppe geführt, welche jeweils zur Hälfte mit Vertretern aus EU- und Nicht-EU-Staaten besetzt war. Ein im Juli 2011 erzieltes (erstes) Draft Agreement erwies sich allerdings als nicht tragfähig, so dass erneut in Verhandlungen („47+1“) eingestiegen werden musste. Im Juli 2013 lag schließlich das fertig ausgehandelte Draft Accession Agreement (47+1(2013)008rev2) vor, welches im Anschluss hieran von der Kommission dem EuGH zur Beurteilung vorgelegt wurde (Art. 218 Abs. 11 AEUV).

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Ziel des Draft Accession Agreement war es, den Besonderheiten der Europäischen Union Rechnung zu tragen, ohne diese aber gegenüber anderen Konventionsstaaten über Gebühr zu privilegieren. Ein zentrales Instrument hierfür war der sog. co-respondent mechanism. Danach war zwar eine Beschwerde auch dann, wenn die EU-Mitgliedstaaten lediglich unionsrechtlichen Verpflichtungen nachkamen, weiterhin primär gegen den jeweiligen Mitgliedstaat zu richten. Der EGMR sollte jedoch die Europäische Union einladen können, co-respondent in dem Verfahren zu werden, wenn plausibel gemacht war, dass durch das Unionsrecht die konventionsrechtlichen Verpflichtungen verletzt sein könnten. Hierdurch sollte zweierlei erreicht werden: Zum einen sollte die Union durch die Stellung als co-respondent als Verfahrenspartei beteiligt werden, um eine spätere Bindung an das EGMR-Urteil herbeizuführen. Zum anderen hatte die Reduzierung auf eine Plausibilitätskontrolle seitens des EGMR zum Ziel, den EGMR von schwierigen Abgrenzungsfragen im Verhältnis zwischen Union und Mitgliedstaaten zu entlasten. Ein weiteres wichtiges Instrument des Draft Accession Agreement war, dass der EGMR dem EuGH eine Frage der Gültigkeit von sekundärem Unionsrecht sollte vorlegen können. Diese Möglichkeit war v.a. für Fälle vorgesehen, in denen eine Beschwerde zum EGMR eingelegt wird, ohne dass es zuvor zu einer Befassung des EuGH gekommen ist (etwa weil ein letztinstanzliches Gericht seine Vorlagepflicht gem. Art. 267 UAbs. 3 AEUV missachtet hat).

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Trotz dieser generell unionsrechtsfreundlichen Ausgestaltung des Draft Accession Agreement gelangte der EuGH in seinem Gutachten 2/13 vom 18.12.2014 zu dem – für viele Beobachter überraschenden – Schluss, dass das Abkommen mit den Vorgaben des Unionsrechts, insbesondere mit den Bedingungen des Protokolls Nr. 8, nicht vereinbar sei (Rn. 153 ff.). Von den vielen Kritikpunkten des EuGH können hier nur die prominentesten vorgestellt werden. So bemängelte der EuGH die Ausgestaltung des co-respondent mechanism, weil er auch in der zurückgenommenen Plausibilitätskontrolle des EGMR eine Beeinträchtigung der Autonomie des Unionsrechts erblickte. Einen Konflikt sah der EuGH darüber hinaus in der Einzelfallkontrolle des EGMR, sofern der unionsrechtliche Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens berührt sei (z.B. beim europäischen Haftbefehl). Wie hier eine Lösung aussehen soll, erscheint unklar. Als fundamental erweist sich die Kritik des EuGH an der EGMR-Kontrolle im Bereich der → Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP): Hier sei die Zuständigkeit des EuGH gem. Art. 275 AEUV grds. ausgeschlossen, was einer umfassenden Kontrolle durch den EGMR entgegen stehe. Kritik übte der EuGH auch an dem (vom Draft Accession Agreement gar nicht mit umfassten) EMRK-Protokoll Nr. 16. Hier sah der Gerichtshof die Gefahr, dass nationale Gerichte verleitet sein könnten, eher den EGMR als den EuGH anzurufen, wodurch der Vorabentscheidungsmechanismus gem. Art. 267 AEUV umgangen werden könne.

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Durch das negative EuGH-Gutachten ist der Beitrittsprozess der EU zur EMRK bis auf Weiteres ins Stocken geraten. Während einige der Kritikpunkte eher technischer Natur sind, ist bei anderen Fragen nach wie vor offen, wie sie in einem künftigen Beitrittsübereinkommen gelöst werden sollen. Im Bereich der GASP hat der EuGH mit den Fällen H./Rat und Kommission (EuGH, Urt. v. 19.7.2016, C-455/14 P) sowie PJSC Rosneft Oil Company gegen Her Majestyʼs Treasury u.a. (EuGH, Urt. v. 27.3.2017, C-72/15) für eine gewisse Entspannung gesorgt, indem der Kompetenzausschluss gem. Art. 275 UAbs. 1 AEUV restriktiv und der Ausnahmetatbestand gem. Art. 275 UAbs. 2 AEUV weit ausgelegt wurden. Vollständig gelöst ist das dahinter liegende Problem hierdurch jedoch nicht. Im Bereich des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens hat sich der EuGH ebenfalls auf den EGMR zubewegt, indem er eine Ausnahme von diesem Grundsatz für den Fall anerkannt hat, dass eine „echte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von Häftlingen im Ausstellungsmitgliedstaat besteht“ (EuGH, Urt. v. 5.4.2016, C-404/15 u.a. – Aranyosi und Cãldãraru –, Rn. 88). Die Spannungen im Verhältnis zwischen EuGH und EGMR wurden hiermit zwar abgemildert, jedoch nicht vollständig ausgeräumt. Wie eine Neuverhandlung des Beitrittsabkommens erfolgen soll, erscheint derzeit vollkommen unklar, zumal Voraussetzung hierfür ein weiteres Entgegenkommen der (derzeit) 19 nicht der Union angehörenden Konventionsstaaten wäre. Das Schicksal der Beitrittsverpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 EUV erscheint deshalb momentan ungewiss.

E › Europäische Investitionsbank (EIB) (Björn Schiffbauer)

Europäische Investitionsbank (EIB) (Björn Schiffbauer)

I.Historische Entwicklung949, 950

II.Rechtsgrundlagen und Rechtspersönlichkeit951 – 953

III.Aufgaben und Arbeitsweise954 – 963

1.Allgemeiner Tätigkeitsbereich954 – 956

2.Mittelbeschaffung957, 958

3.Tochtergesellschaften959, 960

4.Kooperationen961 – 963

IV.Organisation964 – 968

1.Zusammensetzung und äußeres Erscheinen der EIB964

2.Innerer Aufbau965 – 968

V.Kontrolle und Rechtsschutz969, 970

Lit.:

É. Bussière/M. Dumoulin/É. Willaert, Die Bank der Europäischen Union, 2008; P. Jakubowski, Wachsende Bedeutung der Europäischen Investitionsbank und der deutschen Förderbanken für eine nachhaltige Stadtentwicklung, Raumforschung und Raumordnung, 2007; K. Kramer, Die Europäische Investitionsbank – Funktion und Kontrolle im unionalen Verfassungssystem, 2015.

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Die Europäische Investitionsbank (EIB) wurde 1958 gegründet und ist eine mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete unabhängige Bank der Europäischen Union mit Sitz in Luxemburg, deren Mitglieder die Mitgliedstaaten sind. Aufgabe der EIB ist es, mit Hilfe des Kapitalmarkts und eigener Mittel zu einer ausgewogenen Entwicklung des → Binnenmarktes beizutragen. Dazu soll die EIB ohne Gewinnorientierung insbesondere Darlehen und Bürgschaften zur Unterstützung von Projekten gewähren, die weniger entwickelte Gebiete betreffen, der Schaffung neuer Arbeitsplätze dienen oder in einem gemeinsamen Interesse mehrerer Mitgliedstaaten liegen.

E › Europäische Investitionsbank (EIB) (Björn Schiffbauer) › I. Historische Entwicklung

I. Historische Entwicklung

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Die EIB wurde gemeinsam mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft am 1.1.1958 über Art. 129 und 130 EWG-Vertrag (Version nach Rom) gegründet (→ Europäische Union: Geschichte) und hatte zunächst ihren Sitz in Brüssel. Das Statut der EIB war bereits zu diesem Zeitpunkt Bestandteil des Primärrechts als Protokoll zum EWG-Vertrag. Zwischenzeitlich – seit 1968 – wechselte der Sitz der EIB nach Luxemburg. Das Recht zur EIB wurde unverändert in den Vertrag von Maastricht (in Kraft getreten am 1.11.1993, → Europäische Union: Geschichte) übernommen, dort geregelt in Art. 4b, 198d und 198e EGV (Version nach Maastricht). Mit den Verträgen von Amsterdam (in Kraft getreten am 1.5.1999) und Nizza (in Kraft getreten am 1.2.2003) wechselte die Nummerierung im Primärrecht zu Art. 9, 266 und 267 EGV (Version nach Amsterdam bzw. Maastricht); bedeutende inhaltliche Änderungen der Satzung wurden jedoch nicht vorgenommen.

950

Auch mit dem nunmehr geltenden Vertrag von Lissabon erfuhr die EIB keine nennenswerten Veränderungen. Lediglich die EIB-Satzung kann nun insgesamt einfacher angepasst werden, nämlich durch ein besonderes Gesetzgebungsverfahren. Sedes materiae der EIB sind inzwischen allein Art. 308 und 309 AEUV sowie weiterhin die EIB-Satzung als Protokoll Nr. 5 zum AEUV. Angesichts dessen lässt sich konstatieren, dass die EIB eine der ältesten Einrichtungen der EU ist, die sich zugleich als besonders veränderungsresistent erwiesen hat. Dies spricht für eine gewisse Solidität.

E › Europäische Investitionsbank (EIB) (Björn Schiffbauer) › II. Rechtsgrundlagen und Rechtspersönlichkeit

II. Rechtsgrundlagen und Rechtspersönlichkeit

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Die Rechtsgrundlagen der EIB sind im → Primärrecht zu finden, nämlich in Art. 308 AEUV (der die wesentlichen institutionellen Grundlagen festlegt) und Art. 309 AEUV (der die materiellen Aufgaben der EIB bestimmt). Nicht so eindeutig lässt sich aus diesen Bestimmungen jedoch die Rechtsnatur der EIB ableiten. Zwar besagt Art. 309 AEUV, dass die EIB zur Verwirklichung der Ziele der EU beitragen soll und daher auch in das System der EU fällt. Zugleich ist sie aber mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet und wird von den Mitgliedstaaten (und eben nicht von der EU selbst) getragen, Art. 308 AEUV. Daraus folgt nach der Rechtsprechung des → Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dass der EIB „eine Doppelnatur in dem Sinne zu[kommt], dass sie einerseits hinsichtlich ihrer Geschäftsführung, insbesondere i.R. ihrer Kapitaloperationen, unabhängig, andererseits hinsichtlich ihrer Ziele mit der Europäischen Gemeinschaft eng verbunden ist“ (Urt. v. 10.7.2003, C-15/00, Rn. 102). Damit kommt der EIB jedenfalls eine (auch) völkerrechtliche Teilrechtsfähigkeit zu. Ob die EIB damit zugleich auch als internationale Organisation einzustufen ist, ist umstritten.

952

Darüber hinaus ist primärrechtliche Rechtsgrundlage das Protokoll (Nr. 5) zum AEUV über die Satzung der Europäischen Investitionsbank. Die Bezeichnung „EIB-Satzung“ darf nicht zu dem Trugschluss verleiten, dass der EIB Satzungsautonomie zukäme. Vielmehr hängt deren künftiger Regelungsgehalt einzig und allein von dem einstimmigen Ausgang eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens (→ Rechtsetzungsverfahren) ab, wie dies Art. 308 a.E. AEUV festlegt. Bislang wurde die Satzung nach diesem Verfahren einmal geändert, nämlich am 31.12.2012 mit Blick auf den damals bevorstehenden EU-Beitritt Kroatiens. Mit ihrer Satzungsänderungshoheit befindet auch weiterhin die EU über die Wirkungsmöglichkeiten der EIB und insbesondere die Reichweite ihrer Rechtspersönlichkeit. Während Art. 308 AEUV der EIB (nur) unionsinterne Rechtspersönlichkeit zuweist, hat sie gem. Art. 26 Abs. 1 EIB-Satzung auch umfassende zivilrechtliche Rechtsfähigkeit.

953

Im Rahmen der Satzungsvorgaben ist die EIB schließlich befugt, eigenes Innenrecht zu erlassen (z.B. allgemeine Richtlinien für die Kreditvergabe, Art. 7 Abs. 2 EIB-Satzung, oder die Geschäftsordnung, Art. 7 Abs. 3 Buchst. h EIB-Satzung). Dies betrifft jedoch nur die Arbeitsweise der EIB und bildet keine zusätzliche Rechtsgrundlage zum Primärrecht.

E › Europäische Investitionsbank (EIB) (Björn Schiffbauer) › III. Aufgaben und Arbeitsweise

III. Aufgaben und Arbeitsweise

1. Allgemeiner Tätigkeitsbereich

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Allgemein hat die EIB gem. Art. 309 UAbs. 1 S. 1 AEUV die Aufgabe, „zu einer ausgewogenen und reibungslosen Entwicklung des → Binnenmarkts im Interesse der Union beizutragen; hierbei bedient sie sich des Kapitalmarkts sowie ihrer eigenen Mittel.“ Was genau unter einer ausgewogenen und reibungslosen Entwicklung zu verstehen ist, lässt sich nicht über das Unionsrecht beantworten; vielmehr ist es Sache der Politik, eine inhaltliche Konkretisierung festzulegen. Dagegen lässt sich das Unionsinteresse aus der Gesamtschau des Primärrechts auch in einem gewissen Rechtsrahmen bestimmen. Insoweit ist die allgemeine Aufgabe der EIB auch von einer rechtlichen Grenze umschlossen.

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Daran anknüpfend nennt Art. 309 Abs. 1 S. 2 Buchst. a bis c AEUV konkrete Aufgabenbereiche, die einerseits in ihrer Zahl abschließend und andererseits inhaltlich doch so weit gefasst sind, dass ein breit gefächertes Betätigungsfeld der EIB ermöglicht wird. Konkret liegt es bei der EIB, Investitionsprogramme „in Verbindung mit der Unterstützung aus den Strukturfonds und anderen Finanzierungsinstrumenten der Union“ (Art. 309 Abs. 2 AEUV) zu finanzieren, und zwar durch nicht gewinnorientierte Gewährung von Darlehen und Bürgschaften zur Erschließung weniger entwickelter Gebiete, zur Modernisierung von Unternehmen und damit verbundener Schaffung von Arbeitsplätzen sowie i.R.v. Vorhaben von gemeinsamem Interesse für mehrere Mitgliedstaaten. Die genaueren Bedingungen für entsprechende Finanzierungshilfen sind in Art. 16 ff. EIB-Satzung festgelegt. Zu beachten ist, dass die EIB, obwohl sie nicht gewinnorientiert handelt, gleichwohl wirtschaftlich sinnvoll – insbesondere kostendeckend – agieren muss, Art. 17 f. EIB-Satzung.

956

Konkret förderungsberechtigt sind Unternehmen oder privat- oder öffentlich-rechtliche Körperschaften, die ihre Anträge entweder über einen Mitgliedstaat oder die → Europäische Kommission stellen, Art. 19 EIB-Satzung. Sodann entscheiden die Organe der EIB i.R.d. ihr durch die Satzung (ergänzt durch die Geschäftsordnung) zugewiesenen Zuständigkeiten. Im Jahr 2017 genehmigte die EIB insgesamt Finanzierungen i.H.v. knapp 84 Milliarden Euro und zahlte Darlehen i.H.v. etwa 455 Milliarden Euro aus. Die Schwerpunkte der Förderungsbereiche kreisen um die übergreifenden Themen Umwelt- und Klimaschutz, Geschlechtergerechtigkeit, Infrastrukturverbesserung sowie Vertreibung und Migration.

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