Читать книгу: «Die Kuh gräbt nicht nach Gold», страница 4

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»Mit Schulkindern lernt man das, abhängig vom Lehrkörper allerdings. Manches bleibt dann hängen. Außerdem war ich mit meinen beiden im Frühjahr auf der Stöckenburg und habe das aufgefrischt.«

»So setzen Sie sich doch zu uns, das können wir nachher zusammen raustragen.« Milka nickte lächelnd in Bettinas Richtung, stand auf und rückte einen Stuhl für Bettina zurecht. Und trug dann doch die nahezu leergeräumte Platte weg. Noch an der Tür hörte sie, dass Lothar bereits wieder in die Historie eintauchte.

Milka kam mit Gläsern und einer Flasche Weißburgunder aus dem Badischen zurück. Sie dachte an Paul. Der Professor befand sich bereits im ersten Jahrhundert vor Christus, als die Römer in Gallien auf die Kelten trafen, und der lange Gallische Krieg seinen Anfang nahm. »Cäsar selbst hat in seinem Werk De bello Gallico umfänglich darüber berichtet. Übrigens unsere wichtigste Informationsquelle zur späten Latènezeit.« Herr Ebert hob sein Glas.

»Kennen Sie denn die Heuneburg, Herr Professor?« Bettina streute die Frage ein.

Herr Ebert setzte abrupt sein Glas ab. Einige Tropfen schwappten über. Milka hatte ihn nie zuvor stottern hören. »Das ist – ich rief, das ist doch der …«, seine Stimme stockte. Bettina biss sich entsetzt auf die Unterlippe, unsicher, ob ihre Bemerkung auslösendes Moment für seine plötzlichen Emotionen sein konnte. Milka stand auf, legte sanft ihre Hand auf seine Schulter. »Lothar, ganz ruhig, ganz ruhig. Heuneburg bei Herbertingen – ist das der Grund, warum Sie …« Milka sprach es nicht aus, ließ ihm Zeit.

Er schien sich langsam zu fassen. »Die Heuneburg – ja. Ich bin dort seit mehreren Monaten tätig. Zumindest sporadisch. Und heute …« Er griff mit beiden Händen nach dem Glas, nahm einen kleinen Schluck, stellte es vorsichtig zurück. »Die Polizei hat mich heute Morgen verhaftet und verhört.« Lothar Ebert atmete tief ein. »Es war schrecklich. Einfach schrecklich.«

Paul schüttelte innerlich den Kopf. Nur eine emotionale Überreaktion konnte den Professor zu dieser Aussage führen. Ansonsten würde er ganz bestimmt hier nicht sitzen. Er fing Milkas Blick auf, hilfesuchend und zugleich auffordernd. Warum Lothars kurze Mitteilung ein erkennbar skeptisches Stirnrunzeln bei Paul auslöste, verstand sie nicht.

Der Kriminalhauptkommissar packte es vorsichtig an, wollte den Professor erst beruhigen, ihn in ruhiges, unkritisches Fahrwasser bringen. »Die Heuneburg ist, glaube ich, von beinahe weltgeschichtlicher Bedeutung. Wie kommt sie denn zu dieser Auszeichnung?«

Der Professor schluckte den Köder wie ein ausgehungerter Fisch. »Eigentlich reicht schon, dass es die erste Stadt nördlich der Alpen ist. Die handelsstrategische Lage oberhalb der Donau, die für den Lastentransport mit Booten geeignet war, war entscheidend. Schon in der Bronzezeit wurde die Höhensiedlung wehrhaft ausgebaut.« Herrn Eberts Gesichtszüge entspannten sich. Über sein gebräuntes Gesicht legte sich ein Hauch rötlicher Tönung, vom Weißburgunder oder der archäologischen Begeisterung oder von beidem, war nicht erkennbar. »Die Blütezeit allerdings erlebte die Heuneburg zwischen 620 und 460 vor Christus als großes Siedlungszentrum der Kelten. Mit Fürstensitz.«

»Sie sagten Stadt, Herr Professor. Wie viele Menschen wohnten denn da?«, fragte Bettina, jetzt wieder beruhigt.

»Nach aktuellen, fundierten Schätzungen etwa 5.000. Und bereits der griechische Schriftsteller Herodot erwähnte …«

Paul Eichert erkannte die latente Gefahr eines längeren geschichtlichen Ausflugs und versuchte, Herrn Ebert vorsichtig in eine andere Richtung zu lenken. »Sie sind dort tätig, sagten Sie. Ist da denn nicht alles längst erforscht?«

»Aber nicht im Geringsten.« Ebert lächelte wissend. »Obwohl inzwischen tatsächlich in der fünften Generation von Archäologen gegraben wird. Gerade eben sind wir wieder auf sensationelle Funde gestoßen.«

»Und Ihre Aufgabe? Oder ist das nur ein Hobby?« Paul empfing Milkas missbilligenden Blick ob seiner beinahe despektierlichen Unterstellung. Hobby – pah.

»Nun«, hob Herr Ebert an, »ich bin nicht an den Grabungen beteiligt. Mir geht es allein um wissenschaftliche Erkenntnisse. Und da ist das Team von Doktor Weigel von der Eberhard Karls Universität Tübingen für mich wichtig.«

»Nur dieses Team, und Sie sozusagen begleitend?«

Der Professor schüttelte den Kopf. »Wir haben momentan drei rechteckige Flächen abgesteckt. Das Sediment ist soweit abgetragen, und in Quadranten eingeteilt. Das zweite Team kommt von Arch.Search und ist auf ein Jahr Subunternehmer zum Uniteam. Dahinter steht wohl ein finanziell gut ausgestatteter Sponsor. Ich selbst – nun …« Der Professor deutete mit einer leichten Handbewegung und dem Anheben seiner Schultern an, dass er bestenfalls eine unwichtige Nebenrolle spiele. »Mich interessiert primär die Schnittstelle der Hallstattzeit zur Latènezeit und, in Bezug auf die Heuneburg, die Positionierung der Funde auf dem Plateau. Und im Umfeld. Daher gehe ich diesem Thema …«

Der Kriminalhauptkommissar musste erkennen, dass sein Lenkungsversuch missglückt war. Er kam direkt auf den Punkt. »Und bei diesen, hm, Ausgrabungen, kam es zu einem Kontakt mit der dortigen Polizei?«

Lothar Ebert griff nach seinem beinahe leeren Glas, hielt es in der Hand. Bereit sozusagen. Zeigte sich jetzt aber gefasst. »Ein wertvolles Fundstück war, völlig unerklärlich, plötzlich verschwunden. Drei Ringe, ein fein gearbeiteter Goldschmuck aus einem Mädchengrab. Weg. Einfach weg. Doktor Weigel rief die Polizei. Die kam gestern. Und heute … und heute nahmen die mich mit aufs Revier. Und verhörten mich!« Herrn Eberts ganze Person war eine einzige personifizierte Entrüstung.

»Hat man Ihnen einen Haftbefehl gezeigt und Sie dann belehrt?« Paul Eichert versuchte, so ernst wie möglich zu bleiben, unterdrückte seine aufkeimende Belustigung.

»Mich belehrt? Mich? Worüber denn?« Sein wissenschaftliches Selbstverständnis schien unberührt.

»Na, über Ihre Rechte! Dass Sie nicht aussagen müssen, und dass Sie das Recht auf juristischen …«

Herr Ebert unterbrach. »Aber nein. Die befragten mich doch nur. Irgendwer, das entnahm ich einigen Fragen, muss mich wohl beschuldigt haben. Aber ich bin doch kein Raubgräber wie Indiana Jones oder Lara Croft. Denen ging es ja allein ums Geld. Um den Wert der Sache. Und dann behauptet dieser Doktor Henry Walton Jones im dritten Teil tatsächlich ›We are not searching for things, we are searching for facts.‹ Lügenbold. Hält sich nicht an das, was er sagt. Dabei wird angehenden Archäologen bereits im Studium das Prinzip der guten wissenschaftlichen Praxis eingeimpft. Da kann ich mein Wissen doch nie in die Dienste unseriöser Sammler stellen.« Herr Ebert blickte bestätigungsheischend reihum – sah in drei lächelnde Gesichter und musste schließlich selbst lachen. Er leerte sein Glas.

»Hat sich das dann geklärt – zumindest, was Sie anbelangt, Lothar?« Milka war sich nicht wirklich sicher, ob das bereits das glückliche Ende der Geschichte war.

»Nein, keineswegs. Sie haben angekündigt, mich erneut sprechen zu wollen. Ich müsse erreichbar bleiben. Ich bin dennoch hierher gefahren.« Es klang trotzig.

Paul Eichert unterstellte, dass einem Master der Kunstgeschichte vergleichbare Ethik-Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis abverlangt wurden. Er wagte sich mit einer Frage vor. »Ihre Nachforschungen zur Hallstatt- und dieser hm, Latènezeit, – werden Sie da irgendwie finanziell unterstützt?« Milka gab Paul einen warnenden Tritt unterm Tisch.

Der Professor räusperte sich. »Nun ja, nicht direkt. Aber gewissermaßen doch. Also, ich kenne einen Fabrikanten aus Langenburg. Der ist Antiquitätensammler. Mit Schwerpunkt Römer, und ja, Kelten. Und wenn es Fragen gibt, berate ich ihn. Beispielsweise, wenn es um die Herstellung von Replikaten geht oder wenn ihm Stücke angeboten werden.« Er holte tief Luft, sein Ausdruck änderte sich urplötzlich. »Sie glauben doch wohl nicht wirklich, dass ich …«

Der Kommissar ging dazwischen, entschieden und überzeugend. »Herr Professor, wir glauben gar nichts! Ihre Integrität steht doch völlig außer Frage. Nur so interessehalber: Hat Ihr Fabrikant auch einen Namen?«

Herr Ebert hatte sich wieder gefasst. »Sicher. Es ist Claus Peter Thaler in Langenburg. Hat übrigens eine sehr nette Frau. Ach ja, Milka, er hat auch ein Faible für Oldtimer. Drei Stück besitzt er. Warum fragen Sie?«

Milkas und Pauls Blicke trafen sich. Paul hob seinen Kopf mit einer kaum wahrnehmbaren auffordernden Bewegung.

»Sie kennen doch Paul. Er geht schon von Berufs wegen den Dingen immer auf den Grund. Ich kenne zwar Thaler nicht – noch nicht, könnte ich sagen – werde ihn aber am Wochenende treffen. Wir nehmen beide an der Langenburg Historic teil.«

Bettina verabschiedete sich mit einem kurzen Hinweis auf ihre Kinder. »Es hat Sie hoffentlich nicht gelangweilt, Frau Mayr«, sagte der Professor und stand auf, um ihr zum Abschied die Hand zu geben.

»Ich horche ihn ein wenig aus«, flüsterte Paul und erhielt ein bejahendes Augenzwinkern von Milka.

»Zunächst einmal, Herr Professor, können Sie selbstredend auf uns zählen. Wenn es Probleme mit der örtlichen Polizei gibt, sagen Sie mir Bescheid.«

Herrn Eberts Blick hing noch an der Tür, die Bettina schloss. Er nahm seinen Platz wieder ein. »Ich hatte gehofft, dass Sie mich unterstützen, und weiß das sehr zu schätzen. Ich bin momentan …«

Paul nickte nur verständnisvoll. »Ein Thema beschäftigt mich in diesem Zusammenhang. Soweit mir bekannt, bleiben Fundstücke aus legalen Grabungen grundsätzlich in hoheitlichem Besitz, werden entweder in Museen oder Fundarchiven verwahrt.«

Professor Ebert rückte seinen Stuhl zurecht, warf einen kurzen prüfenden Blick auf die Weinflasche. Milka entging der Blick nicht. »Das ist absolut richtig. Handelt es sich, wie bei der Heuneburg, um ein Projekt des Landesamts für Denkmalpflege, dann ist das so. Wird Ihnen so etwas angeboten, ist es gefälscht oder es wurde geraubt. Allerdings kommen immer wieder auch echte Fundstücke aus illegalen Ausgrabungen in den Handel. Auf der ganzen Welt übrigens.«

»Wobei beraten Sie diesen Herrn Thaler dann? Wenn doch keine echten Fundstücke zu erwerben sind?«

Herr Ebert strich sich übers Kinn, das am heutigen Morgen wohl keine Rasur erfahren hatte. »So pauschal kann man das nicht sagen. Es werden immer mal auch echte Stücke aus legalen Sammlungen angeboten. Nur – da muss ich aufpassen wie ein Luchs. Kommt mir jemand mit Geschichten vom Urgroßvater und dem Dachboden, beginnen bei mir alle Alarmglocken zu läuten.«

»Und die Stücke prüfen Sie dann und raten Herrn Thaler dann zum Kauf oder auch nicht?«

»Ich lasse mir vom Anbieter alle Nachweise zeigen. Herkunft, Exportbestätigung, Ausfuhrgenehmigung. Aber: Es gibt selbstverständlich auch Funde privat in Auftrag gegebener Nachforschungen, die beim Amt für Bodendenkmalpflege angemeldet wurden. Da wird dann die Schürftiefe festgelegt, man muss das Betretungsrecht einholen und …«

»Und was dann gefunden wird, darf man behalten?«

Der Professor griff nach seinem Glas, das Milka zwischenzeitlich mit höchstens einem Achtele gefüllt hatte. »Darüber befindet dann das Amt. Funde von besonderer wissenschaftlicher Bedeutung gehen in das Eigentum des Landes über.«

Es entstand eine kurze verbale Erschöpfungspause, bevor Herr Ebert sein leeres Glas absetzte und mit hörbarem Bedauern seine Heimfahrt zum Kirchberger Wohnort ankündigte. Milka protestierte, noch bevor Paul mit kurzem Überschlag des Promillepegels sein berufsbedingtes Veto einlegen konnte. »Sie bleiben hier, Lothar. So fahren Sie nicht zurück. Wir haben ein Gästezimmer. Ich bringe Sie jetzt nach oben.« Der Professor zierte sich zwar kurz, leistete dann aber keinen Widerstand.

»Du siehst auch nicht gerade munter aus«, meinte Milka, als sie zurückkam und Paul am Tisch sitzen sah, den Kopf auf die Hände gestützt.

»Wie? Ach so, ja. Der Tag war lang. Und mir gehen immer wieder die Gespräche mit Thaler und dieser Frau Koch durch den Kopf. Merkwürdig genug, dass Thaler auf Wagners Tod so sachlich und unterkühlt reagierte. So, als erhalte er die Mitteilung, der Springbrunnen in seinem Vorgarten funktioniere nicht. Und wenn ich es bei ihm schon irgendwie verstehen kann, so ist mir die Verschlossenheit der Haushälterin ein Rätsel. Auf jeden Fall bringe ich die Art und Weise, wie Wagner umgekommen ist, nicht mit seinem Umfeld in Einklang. Und Karle versteht das auch nicht.«

»Und was ist mit Lothar? Er ist doch nicht wirklich verhaftet worden, oder?«

Paul stand auf, es sah nicht gerade dynamisch aus. »Unsinn. Die Kripo von Sigmaringen, ich nehme an sie war es, hat ihn befragt und wollten das nicht im Umfeld der Ausgrabung machen. Jedenfalls musst du dir über diese polizeiliche Maßnahme dein hübsches Köpfchen nicht zerbrechen.«

»Soll das heißen, es ist nicht genug drin? Grips, meine ich? Oder ich soll mich aus allem raushalten? Ein Hinweis mit dem Gummiknüppel.«

»Wir knüppeln nicht.«

»Ich hatte meine Fragezeichen woanders gesetzt.«

Paul brummte nur etwas Unverständliches.

»Ich halte hier keinen kabarettistischen Monolog. Besser, du fährst jetzt nach Hause, Paul.«

Paul folgte, während Milka, bereits auf dem Weg zur Haustür, leise murmelte: »Mein Kopf gehört mir.«

Kapitel 4 – Dienstag

Milka hatte das Frühstück hinter sich. Und den Bürokram. Von Professor Ebert war nichts zu hören, nichts zu sehen. Sie gab ihm noch eine halbe Stunde, holte sich in der Küche einen zweiten Kaffee und setzte sich ins Esszimmer. Neben der Zeitung lag ein Prospekt der Dorfkäserei Geifertshofen. Deren vorzüglichen Bio-Heumilchkäse hatten sie bereits vor Wochen in das Sortiment ihres Hofladens aufgenommen.

Ihre Schwägerin Bettina kam herein, beinahe unmittelbar gefolgt von Beate Balzer. Jetzt, dachte Milka, warum nicht jetzt. Sie holte zwei Kaffees. »Hast du mit Christoph wegen des Pferdes gesprochen, Bettina?«

Beate wunderte sich. »Pferd? Da bin ich dabei.«

»Du?« Milka staunte. Bettina auch. Das »Du« kam unisono.

»Ja, ich. Hab immerhin das Reitabzeichen 6.«

Wunderbar, dachte Milka. Das ist jetzt eine prima Basis. Zuerst antwortete aber ihre Schwägerin. »Ja, aber nur kurz. Christoph schien nicht begeistert. Vielleicht hab ich auch den falschen Zeitpunkt erwischt.«

»Ich rede mal mit Tim Holl. Er reitet, glaube ich, auch. Dann entwerfen wir einen gemeinsamen Plan, wo und wann. Okay?« Die Zustimmung war einhellig. »Wir haben uns übrigens entschieden, Bettina, einen Bio-Lieferservice aufzubauen. Wir übernehmen die Kundenkontakte, werben, sprechen Großkunden an, nehmen die Aufträge an. Kurz gesagt, wir organisieren die ganze Abwicklung. Nur die Auslieferung überlassen wir einem professionellen Zusteller.«

»Christoph hat mir kurz berichtet. Und wer ist zuständig für die Organisation hier?«

Milka blickte Bettina an, lächelte, wartete den Augenblick des Verstehens ab. »Wir haben dabei …«

»An mich gedacht, ja?« Jetzt lächelte auch Bettina. »Ich hab mir das bereits überlegt. Einverstanden – wenn wir zwischen mir und Beate eine Arbeitsteilung finden, mit der wir beide leben können.«

Sie standen mit ihrer Diskussion kurz vor einem Abschluss, als ein sichtlich verschlafener Professor Ebert ins Zimmer trat. Immerhin war er so wach, dass er allen einen Guten Morgen wünschte. Milka verschwand in der Küche, bereitete ein Frühstück und hörte nur durch die offene Tür, dass die Kelten ausgegraben wurden. Sie hatte sich geirrt, stellte sie fest, als sie Teller und Kaffee auf den Tisch stellte. Der Professor war weiter bei den ersten Menschen in Süddeutschland – also 800.000 Jahre zurück. »Das war selbstverständlich keine richtige Besiedlung, sondern wenige 100, die in Familien umherzogen, sich von Jagd und Fischfang ernährten. Und Früchte und Haselnüsse suchten. Und anders, als man bisher glaubte, drangen in dieser Zeit einige unserer Vorfahren sogar bis nach Nordeuropa vor. Die Archäologen fanden altsteinzeitliche Werkzeuge in England. Die Immigranten trotzten also der Kälte und nahmen ohne Murren auch die britische Küche in Kauf.« Herr Ebert wartete das Schmunzeln seiner Zuhörerinnen ab. Beate wies auf das langsam erkaltende Spiegelei hin, was den Redefluss des Professors jedoch nicht wirklich ausbremste. Erst als sich Bettina, dann auch Beate, mitten in der Hallstattzeit und der Detailbeschreibung eines Grabfundes verabschiedeten, setzte Herr Ebert seine Prioritäten neu. Appetit hatte er jedenfalls. Dennoch erfuhr Milka von den Grabbeigaben: Halsketten mit Anhängern, Ringe, Amulette, Bernsteinschmuck. Und von den Schuhanhängern, mit denen die Kelten einen besonderen Fruchtbarkeitszauber verbanden. Paul verfügte immerhin über ein Triskele und behauptete steif und fest, es würde ihm bei diffizilen Entscheidungen helfen.

Eine knappe Stunde später verabschiedete sich Herr Ebert mit Bedauern in der Stimme. Die Aussicht, womöglich erneut von der Polizei in Herbertingen befragt zu werden, behagte ihm gar nicht. Und Milka möge bitte nicht vergessen, Sebastian einen schönen Gruß auszurichten.

Milka räumte auf, trank den Rest ihres Kaffees. Ihre Testfahrt mit dem Käfer, überlegte sie, war jetzt, mit wenigen Tagen Abstand betrachtet, nicht wirklich ihrer Vorstellung entsprechend ausgefallen. Bereits auf der Hinfahrt nach Langenburg hatte Paul sie in ein Gespräch über seine erneute Wohnungssuche verwickelt, die sich selbst in Schwäbisch Hall nicht mehr einfach gestaltete. Eine Diskussion, der sie sich nicht hatte entziehen können. Und seine wiederholte Erwähnung eines bestimmten Stadtteils hatte die Vermutung in ihr aufkeimen lassen, dass er bereits ein bestimmtes Objekt auf seinem Schirm hatte. Zugegeben, die Bergprüfung hatte er ernstgenommen, hatte sich auf die kurze Strecke konzentriert. Aber die Rückfahrt von Wagners Angelplatz – die musste sie komplett abschreiben. Eine Fahrt wie vom Einkauf im Supermarkt. Man will eben nach Hause, sonst nichts.

Die Idee kam ihr spontan. Eine Fahrt allein, voll konzentriert. Fokussiert auf die Strecke, auf ihr Fahrzeug. Ein Gefühl entwickeln für Schaltzeitpunkte, das Motorengeräusch aufnehmen. Das Fahrverhalten in engen Kurven testen. Das Ansprechen der Bremse prüfen. Am besten die Strecke über Vellberg, Obersteinach und Nesselbach. Da war alles dabei, was zu einer Testfahrt gehörte.

Milka packte vorsichtshalber eine kleine Werkzeugtasche in den Kofferraum, den die Ingenieure wenige Jahre vor Erscheinen ihres 1200er Modells auf sagenhafte 140 Liter vergrößert hatten. Zwei Flaschen Wasser fanden Platz im Innenraum.

Bereits die kurvige Strecke von Bühlerzell nach Bühlertann bot alles, was ihr Oldtimerherz begehrte: Kurven, leichte Steigungen und ein wundervolles Tal entlang der Bühler. Nur ein Cabrio wäre schöner gewesen. Kurz vor dem malerischen Städtchen Vellberg kam ihr spontan die Idee, bei Michael Deiniger vorbeizuschauen. Vor zwei Jahren hatte er umfirmiert in Deiniger Automotive, nicht nur auf dem Papier. Sein Faible für Oldtimer behielt er bei. Er musste mehr über Thaler wissen, als er am vorgestrigen Abend in der Runde preisgegeben hatte.

Milka setzte sich in den Vorraum der Werkstatt und nahm eine Uraltausgabe der Datenschleuder des CCC Chaos Computer Clubs in die Hand, die neben ihrem Sessel lag. Sie kam über die erste Seite nicht hinaus, weil Michael hereinkam. Hager, ein schmales Gesicht mit einer leichten Hakennase, die dunklen Haare mit zunehmendem Grauanteil und bereits etwas schütter geworden. Er strahlte Milka an und gab ihr links und rechts einen sachten Wangenkuss. »Du duftest gut. Tust du eigentlich immer.«

»Du solltest besser nicht an mir schnuppern, wenn ich aus dem Stall komme«, gab Milka lachend zurück.

»Gesunde Landluft kann nicht schaden«, grinste Michael. »Komm, wir gehen in mein Büro.«

Er schenkte ein Glas Wasser ein, setzte sich in den Sessel neben Milka. »Dein Käfer macht Kummer?«

»Nein. Mich bewegt dieser Wagner. Hast du ein paar Minuten Zeit?« Michael Deiniger nickte, ernst jetzt. »Du kennst ihn schon lang? Warst mit ihm befreundet?«

»Seit, warte mal, ja, etwa drei Jahren. Er hatte damals ein kniffliges Problem mit einem der drei Oldtimer seines Chefs. Neben dem Austin-Healey 3000 Mk III, den er am Wochenende fahren will, hat Thaler einen 71er Ferrari 365 GTB/4 Daytona und, vielleicht für seine Frau, einen 64er 230 SL Pagode. Der Healey sieht schon sagenhaft gut aus. Und erst der Ferrari!«

»Deine Bewunderung habe ich herausgehört. Und Wagner selbst? Jetzt mal ohne Oldtimer?«

»Hm, kein einfacher Mensch. Kein Problem, wenn es um technische Fragen oder Raffinessen ging. Da konnte er sich mit mir in Details verlieren. Und er war auch mit Emotion dabei. Kaum hast du das Thema verlassen, wurde er so verschlossen wie der Safe der Sparkasse. Nicht, dass er unangenehm wurde. Du sahst direkt, wie der Rollladen fiel. Er wich aus, konnte eine Frage auch total ignorieren und über den Neuzugang im Automobilmuseum oder sonst was sprechen.«

Milka insistierte. »Und nie über etwas Persönliches, gar nie?«

Michael grübelte. »Doch. Als wir an einem lauen Sommerabend in einem Weinlokal an der Jagst saßen. Er hatte wohl etwas zu viel getrunken. Nach dem zweiten Viertele erzählte er, zumindest andeutungsweise, von seinem Unfall im Betrieb. Es war irgendwie merkwürdig.«

»Unklar, seltsam? Oder was?«

Deiniger schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Es muss mit seinem Chef zusammenhängen. An irgendeiner Maschine haben sie sich gestritten, anscheinend heftig. Ich hab ihn so verstanden, dass er von Thaler einen Stoß bekam und dadurch mit seiner linken Hand in die Maschine geriet. Bevor du fragst – er sagte, das war ohne Absicht geschehen. Jedenfalls hat die Unfallversicherung gezahlt. Nach zwei Operationen war es wieder okay, äußerlich. Wie es allerdings um seine Psyche bestellt war … In die Produktion konnte er nicht zurück.«

Milka speicherte die Information. Mehr war da aber nicht. »Und Wagner war Technikfreak?«

Deiniger lachte und schüttelte den Kopf. »Schon beinahe wunderlich. Er hat sich einen Mikrochip unter die Haut implantieren lassen. Ausgerechnet in seine linke Hand, zwischen Daumen und Zeigefinger. Das erzählte er mir vor, na ja, vielleicht vor vier Wochen etwa. Er rief mich an wegen des Austin Healey seines Chefs.«

»So einen NFC-Chip wie bei unseren Viechern oder bei Brieftauben?«

»Genau, dieser Funkstandard zur drahtlosen Datenübertragung. Die Dinger sind nicht größer als ein Reiskorn. Kannst damit die Haustür öffnen.«

Milkas Gedanken wanderten blitzschnell ab. Wagner. Abgehackte Hände. Transplantat. Woher sollte jemand davon wissen? Michael wusste es. Wer sonst? Konnte sie Michael wegen der Hände … Nein, ganz bestimmt nicht. Paul würde sie auf der Stelle wegschließen. »Wo bist du gerade in Gedanken?«, hörte sie mit einem Ohr. »Entschuldige. Mir schoss gerade etwas durch den Kopf. Hatte er selbst denn auch Oldtimer?«

»Ja, einen. Ein 79er Golf Karmann Cabriolet, grüne Originallackierung. Fängst du mit diesen Informationen was an? Bist du wieder mal auf der Jagd nach Missetätern und nimmst Fährte auf?« Deiniger zeigte ein wissendes Lächeln.

»Du kennst mich zu gut. Hab mich nur gewundert, dass Wagners Pkw nicht am Fundort war.« Milka stand auf, verabschiedete sich nach einem kurzen Austausch über die bevorstehende Rallye und die jeweiligen Startplätze bei der Bergprüfung.

Lothar Ebert hatte mit seinem historischen Ausflug ihre Neugier geweckt – und ebenso Bettinas überraschende Kenntnis der Kelten. Zwar hatte sie selbst Paul auf die Stöckenburg hingewiesen, war aber an der Sehenswürdigkeit regelmäßig vorbeigefahren. Sie zwängte ihren Käfer in eine Spitzkehre über die Bühler hoch zur Burg. Spuren der Kelten allerdings suchte sie vergeblich. Sie nahm sich Zeit für eine Besichtigung der im siebten Jahrhundert gegründeten Martinskirche, in ihrer derzeitigen Form im Jahr 1435 gebaut. Das Kirchenschiff mit dem Blick auf den Altar faszinierte sie. Mehr noch der Altar selbst. Bilder, Skulpturen und Szenen aus dem Leben des Heiligen Martin entführten Milkas Gedanken in eine andere Welt. Es fiel ihr schwer, sich zu lösen.

Kurz vor Langenburg, in Bächlingen, hielt Milka an. Obwohl sie sich auf ihren Käfer konzentrierte und jetzt die Bergfahrt wiederholen wollte, ließ eine Mitteilung Michael Deinigers sie nicht los: Wagners Implantat in der Hand. Sie verwünschte sich selbst, den Gedanken daran nicht ausschalten zu können. Alle Versuche, sich voll und ganz auf Strecke und Käfer zu konzentrieren, waren kläglich gescheitert. Ihre Überlegungen verdrängten alle Gedanken an die bevorstehende Rallye. Und was Paul von dieser Haushälterin der Thalers berichtete, das war auch ausgesprochen dürr. Machte nicht satt. Wenn sie selbst, wo sie schon da war …? Nur um ihren Kopf von diesen Gespinsten zu befreien? Sie suchte nach der Adresse und merkte sich die Anfahrt. Sie lächelte in sich hinein. Ein kurzer Moment des Eingestehens. Es ging ihr nicht darum, die klebrigen Gedanken abzuschütteln. Sie wollte herausfinden, wieso und warum Wagner auf diese Weise umkam. Und wer dahinter steckte. Und ja, irgendwie spielte da auch ein paradoxer Wettbewerb mit Paul mit hinein.

Die Lage der Thaler’schen Villa im östlichen Bereich der Stadt war beeindruckend. Noch beeindruckender war das Gebäude selbst. Eigentlich wurde die Bezeichnung Villa dem Gebäude nicht gerecht. Es war eher eine Residenz. Milka lenkte ihren Käfer durch das offen stehende Tor der Einfahrt. Vor ihr lag ein kleiner Park. Der gekieste Weg, eingefasst von niedrigen Büschen und Blumenrabatten, führte zu einem lang gestreckten zweigeschossigen Gebäude. Die Fassade gliederte sich durch geschosshohe Fenster und erkerähnliche Vorsprünge über beide Stockwerke. Ein säulengestützter Vorbau betonte den Eingang, zu dem fünf Stufen hoch führten. Milka schmunzelte. Die Konstruktion gab dem Hausherrn die Möglichkeit, seine vorfahrenden Gäste mit einem Blick von oben herab zu begrüßen. Sie parkte ihren Käfer hinter einer versetzten Doppelgarage an der rechten Seite des Gebäudes. Am Durchgang zwischen Garage und Villa wies ein eindrucksvoller Standbriefkasten auf Koch und Wagner hin. Milka drückte auf den Knopf »Koch«.

Stefanie Koch kam nach einer knappen Minute auf sie zu. Pauls Eindruck war sicher richtig gewesen: Um die 55 Jahre, vielleicht ein Meter 65 groß, flache Schuhe, graue Sommerhose, weißes Polohemd. Auch heute trug sie die dunklen Haare nach hinten gebunden, zusammengehalten von einem bunten Gummiband. Mit der kaum wahrnehmbaren Andeutung eines Lächelns blickte sie Milka an. »Ja?«

Milka hatte sich blitzschnell eine Einführung zurechtgelegt. Eine glatte Lüge widerstrebte ihr zutiefst, die konnte ihr irgendwann auf die Füße fallen. Andererseits – irgendein Grund, ein Bezug musste her. »Ich heiße Milka Mayr. Ich werde mit meinem Käfer«, Milka deutete Richtung Garage, »an der Langenburg Historic teilnehmen.«

Frau Koch hielt ihr Lächeln. »Ja?«

»Ich weiß von einem Freund, dass sich Herr Wagner immer um die Oldtimer …«

»Herr Wagner ist tot.« Das Lächeln war wie weggewischt.

»Ich weiß. Ich habe ihn gefunden, Frau Koch. Bei einer Kanufahrt auf der Jagst. Daher dachte ich, Sie könnten mir etwas über ihn …« Milkas Stimme hatte keinen Beileidston, war aber leise, weich. Es fiel ihr schwer, Frau Kochs Reaktion einzuschätzen. Ihre Augen zeigten für einen Moment Neugierde, ihr Gesichtsausdruck dagegen Abwehr. Gegen was auch immer. »Kommen Sie, wir gehen zu mir.« Ein eingeschossiger gestreckter Anbau hinter den Garagen beherbergte zwei kleine separate Wohnungen. Frau Koch verharrte an der offen stehenden Tür, deutete weiter nach hinten. »Dort ist Wagners Wohnung.«

Frau Koch führte Milka in einen großen Wohnraum. Die Stirnseite wurde von einer Kochzeile eingenommen, davor befand sich ein großer Esstisch. Frau Koch deutete auf das Sofa. »Ein Wasser?«

Milkas Blick wanderte. Auch hier raumhohe Fenster mit hellgrauen Klappläden. Der Bodenbelag mit hellbeigen Fliesen in Terrazzo-Optik, der Esstisch mit geschwungenen Beinen in dunklem Nussbaum mit passenden Stühlen. An den Wänden hingen zwei Ölbilder, die unverkennbar eine toskanische Landschaft zeigten. Bis auf die supermoderne Küche ein stimmiges Bild.

Milka nahm das Glas entgegen und setzte sich. »Danke. Ihr Raum hat eine italienische Anmutung.« Sie deutete auf das Gemälde zwischen zwei Fenstern. »Toskana?«

Stefanie Koch nickte nur. Ihrem Ausdruck entnahm Milka eine gewisse stolze Befriedigung. »Sie sagten, Sie hätten Wagner gefunden. Es waren zwei Männer von der Kriminalpolizei hier. Und einer, der aus Schwäbisch Hall, meinte …«

»Kommissar Eichert, ja. Er war mit mir im Kanu.« Milka lächelte. »Vielleicht sollte ich sagen, ich war mit ihm im Kanu. Herr Wagner – war er öfter mal mehrere Tage weg?«

Frau Koch setzte sich in den Sessel neben dem Sofa. »Kam schon vor. Und da sein Auto nicht da war …«

»Sie meinen seinen grünen Oldtimer?«

Frau Koch schüttelte den Kopf. »Aber nein, den hat er in der Firma stehen, neben den Autos seines Chefs.«

Sie gibt sich sehr entspannt, empfand Milka. Und keineswegs verschlossen. »Hatte er öfter Besuch, fiel Ihnen da etwas auf? Hatte er Verwandte?«

»Nein. Ich meine Besuch. Sehr selten. Ich weiß nur von seiner Mutter, die ist in einem Seniorenheim untergebracht. Na ja, nennt sich Residenz – in Künzelsau.«

»Sie selbst, Sie wohnen ja sozusagen Tür an Tür …«

»Aber nein. Er hatte seine Interessen und ich meine.«

Das war schnell gekommen, dachte Milka. Sehr schnell und ein wenig laut. Ein Detail nur. Mit sich selbst war sie unzufrieden. Sie fand weder einen Zugang zu der Haushälterin noch einen Ansatz. Merkwürdig, dass sie nicht nachfragte. Nach dem Wie, dem Wo genau, den Umständen von Wagners Tod. Diese Informationen hatte die Polizei ihr bestimmt nicht verraten. Das Telefon klingelte. Frau Koch erhob sich. Sehr schnell, dachte Milka, als wäre sie erleichtert, einer weiteren Frage auszuweichen. Das Telefon stand in einer Raumecke neben dem Fernseher. Frau Koch drehte Milka beim Telefonieren den Rücken zu. Sie sprach leise, nur ihre Schlussworte konnte Milka verstehen. Ein »Ciao«, und »a presto«. »Ich würde gern einen Blick in Herrn Wagners Wohnung werfen. Können Sie aufschließen?« Milka stellte die Frage obwohl sie vermutete, dass die Spurensicherung und Paul bereits alles durchsucht hatten.

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25 мая 2021
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