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Alles beginnt schon vor der Geburt

In der Erforschung der neun Monate im Mutterleib ist die Wissenschaft zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen, auch was die psychische Entwicklung des ungeborenen Kindes angeht und wie bedeutsam die Rolle der Eltern, vor allem natürlich der Mutter, dabei ist. Die vorgeburtlichen Erlebnisse, das Klima der Ehe haben einen großen Einfluss auf unsere spätere Entwicklung, auf unser physisches und psychisches Wohlergehen. Wenn ein Kind freudig erwartet und nach der Geburt von der Mutter nicht getrennt wird, sondern Körper- und Augenkontakt (Bonding) stattfindet, kann sich zwischen Mutter und Kind ein nachhaltiges Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln.

Alle Emotionen und körperliche Belastungen, denen die Mutter während der Schwangerschaft ausgesetzt ist, haben einen weit reichenden Einfluss auf das werdende Kind. Obwohl diese Tatsache bereits recht bekannt ist, kann sich die Mutter oftmals nicht vor schwierigen psychischen und körperlichen Einflüssen schützen, im Gegenteil: Gerade während dieser neun Monate ist sie oftmals extrem schwankenden Stimmungen ausgesetzt. Besonders wichtig ist natürlich auch die Beziehung zu ihrem Partner, dem Vater des Kindes. Wut, Bedrohungen, Depressionen und partnerschaftliche Differenzen teilen sich sofort dem Ungeborenen mit. Bei Angst etwa werden vermehrt Stresshormone ausgeschüttet, auf die der Fötus entsprechend reagiert. Auch starker, anhaltender Stress ist nicht nur für die Mutter, sondern ebenso für den Fötus und dessen spätere Entwicklung als Kind sehr belastend. Bei Depressionen der Mutter während oder gegen Ende der Schwangerschaft hat man physiologische Werte beim Neugeborenen festgestellt, die einen Hinweis auf diese Beeinflussung geben und nachhaltige Auswirkungen haben können.

Eine Mutter, die ihr Kind nach der Geburt ablehnt, vernachlässigt oder sogar misshandelt, wird es während der Schwangerschaft kaum mit liebevollen Gefühlen verwöhnt haben. So muss man davon ausgehen, dass Kinder, die in diese destruktiven Familien hineingeboren werden, im gewissen Sinne bereits „vorprogrammiert“ sind. Allerdings können wir daraus keine Regel machen, denn die Prägungen des Fötus sind auch von genetischen Grundlagen und anderem mehr bestimmt. Des Weiteren mag die Schwangerschaft für die eine Mutter eine Katastrophe sein, doch wenn das Kind schließlich auf der Welt ist, könnte sie es dennoch lieben lernen. Während eine Mutter, die sich auf ihr Kind freut, schließlich keine Liebe aufbringen und keine echte Bindung herstellen kann.

Unerwünschte Kinder produzieren weniger Bindungshormone, die für eine liebevolle Mutterbindung zuständig sind. Dieser Mangel an Oxytocin bleibt lebenslänglich erhalten und würde so manche Gefühlsproblematik nicht nur mit der Mutter, sondern später auch mit Partnern erklären. Nicht gewollte Kinder, die man versucht hat abzutreiben, sind den größten Ängsten und Bedrohungen ausgesetzt mit der Folge, dass sie sich später dem Leben gegenüber ängstlich verhalten. Hier können während der Schwangerschaft schon massive Ängste auftauchen, nicht überleben zu können. Die verdrängte Wahrnehmung des Ungeborenen, die im Körper gespeichert ist und bleibt, heißt: Todesgefahr. Wenn man wie ich später erfahren sollte, dass man unerwünscht war und abgetrieben werden sollte, dann können sich diese Ängste dennoch nach und nach auflösen, denn man weiß ja später, dass man den Absichten seiner Mutter nicht mehr ausgeliefert ist und nicht mehr in tödlicher Gefahr schwebt.

Neben diesen ersten negativen Prägungen lauern noch andere Gefahren für den Fötus: Die Lebensführung der Mutter hat einen großen Einfluss auf das spätere Leben des Kindes. Wenn die Mutter während der Schwangerschaft raucht und Alkohol trinkt, können im Kind schon Programmierungen für Süchte, Neurosen etc. stattfinden. Es wurde außerdem festgestellt, dass die Suchtgefahr des später erwachsenen Kindes um ein Vielfaches steigt, wenn bei der Geburt hohe Dosen von Barbituraten oder Opiaten verwendet wurden.

Nicht zuletzt werden Mütter im Laufe ihrer Schwangerschaft oftmals vor neue Fragen gestellt, die ihre eigenen mütterlichen Aufgaben, Herausforderungen und Vorstellungen davon betreffen. Man denkt zurück an die eigene Kindheit, Kinderrolle und Mutter, und das ist nicht immer beruhigend. Es können diffuse oder sogar konkrete Erinnerungen an ihre eigene Mutter und belastende Erlebnisse auftauchen, die, weil sie in Körper und Seele der Mutter gespeichert sind, Einfluss auf die Beziehung zu ihrem eigenen Kind nehmen. Auch hier ist Bewusstwerdung unerlässlich, damit die Fehler und Misshandlungen der eigenen Eltern nicht wiederholt werden.

Doch jeder macht im Laufe seines Lebens auch die unvergängliche Erfahrung von Verbundenheit und Zugehörigkeit, die – wenngleich verschüttet – darauf wartet, von uns wieder geweckt zu werden.

Sie ist deshalb tief in jedem Menschen verankert, und sie kann daher, wann immer es einem solchen enttäuschten Menschen in seinem späteren Leben gelingt, wieder jemanden zu finden, der sich ihm zuwendet, auch wieder wachgerufen werden. Deshalb steckt in jeder Begegnung mit einem anderen Menschen die Chance, sich selbst wiederzufinden.“ (Gerald Hüther: Das Geheimnis der ersten neun Jahre)

„Deine Mutter – Dein Schicksal“?

C.G. Jung’s Zitat bewahrheitet sich immer wieder, wenn auch nicht für jede problematische Beziehung. Wir wissen, dass eine gute Mutterbeziehung uns Urvertrauen schenkt, ein Gefühl des Sich-Verlassen-Dürfens, des Zutrauens zunächst in die Mutter, also in das Leben schlechthin, und später in uns selbst. Jedes Kind - ja, jede Kreatur - hat das natürliche Bedürfnis, sich positiv von der Mutter gespiegelt zu sehen, Geborgenheit und Sicherheit zu fühlen. Diese Erfahrungen mit der Mutter prägen immer auch unsere späteren Beziehungsmuster, unser Verhalten zu Freunden und Partnern.

Zu den Grundbestandteilen einer guten Beziehung zwischen Mutter und Kind gehören also Gefühle der Sicherheit und Geborgenheit, weil sie die notwendige Basis für einen positiven Lebensweg bedeuten. Körperliche und emotionale Nähe vermitteln uns die Wärme des Angekommen- und Angenommenseins, und wenn die Mutter späterhin so klug ist, uns eine gewisse Autonomie zuzugestehen und die Balance zwischen Nähe und Freiheit zu halten, gibt sie uns Mut und Selbstvertrauen mit auf den Weg.

Besonders wichtig ist mütterliche Empathie, eine ausgeprägte Einfühlsamkeit, mit der sie die Gefühle des Kindes erahnen, verstehen und spiegeln kann. Wenn wir als Kinder einfühlendes Verstehen erfahren, dann fühlen wir uns akzeptiert, geborgen und lernen, unseren Gefühlen zu vertrauen. Empathische Reaktionen der Mutter wirken in uns fort und ermöglichen uns später als Erwachsene, selber empathisch, verständnis- und liebevoll auf andere Menschen zuzugehen. Besonders für hochsensible Kinder ist solch eine Mutter ein Segen, aber trotz aller guten Vorsätze und Bemühungen kann es sein, dass sie von ihrer Veranlagung her dazu nicht in der Lage ist.

Die erste Beziehung unseres Lebens, nämlich die zu unserer Mutter, hat deshalb einen so prägenden Einfluss auf unsere Entwicklung, da sie für die Erfüllung unserer grundlegenden Bedürfnisse von größter Bedeutung ist. Durch ihr Verhalten, ihre Liebe oder fehlenden Gefühle bildet sie die emotionale Grundlage für unsere spätere Kontakt- und Beziehungsfähigkeit, für Selbstakzeptanz und Vertrauen in das Leben und unsere Mitmenschen. Fühlten wir uns fürsorglich und liebevoll behandelt, vernachlässigt, traumatisiert oder wurden wir mit Eigenschaften der Mutter konfrontiert, die so gar nicht zu unseren Bedürfnissen zu passen scheinen? Wichtige Fragen, die beantwortet werden wollen.

Aus einer geglückten Mutter-Beziehung erhalten wir den Glauben an uns, die so wichtige Selbtliebe, Selbstwert und den Mut, dem Leben mit echten Gefühlen und voller Vertrauen zu begegnen und es zu genießen. Kinder brauchen Wärme und Liebe, die sich in späteren Beziehungen dann widerspiegelt. Das Gefühl, wir selbst sein zu dürfen mit allen Eigenschaften, auch den nicht so akzeptablen, und dass wir um unserer selbst willen geliebt werden, ist der Grundstein für unsere eigene Wertschätzung und Liebesfähigkeit.

Der mütterliche Schatten

Wenn über unserer Kindheit ein mütterlicher Schatten lag, fühlen wir uns später nicht angenommen und aufgehoben. Unsere Liebe ist dann mit Schmerz, Zurückweisung und Kühle verbunden, sodass wir schließlich davon überzeugt sind, kein Recht auf Zuneigung und Zuwendung zu haben. Auch wenn wir als Kind immer wieder enttäuscht wurden, statt Liebe und Freude zu erfahren, Gebote, Verbote und Pflichterfüllung im Vordergrund standen, erwarten wir auch später noch, dass sich unsere Wünsche nicht erfüllen werden, wenn wir diesen frühen Geboten entsprechen. Also ziehen wir uns zurück, weil wir den Schmerz von einst nicht mehr fühlen wollen. All diese Befürchtungen und Erwartungen belasten nicht nur unsere Gefühlsnatur, sondern beeinflussen fatal eben auch unsere Beziehungen, zumindest die auf einer intimeren Ebene.

Hätten wir ein grundlegendes Vertrauen ins Leben entwickeln können, müssten wir später nicht dieses Ur-Misstrauen mit uns herumtragen. Bei allem, was gefühlig werden könnte, gehen wir auf Distanz. Durch unsere emotionale Verkapselung, einer Schutz- und Abwehrhaltung gegen die – so meinen wir – mit Sicherheit uns überflutenden Schmerzen, entfremden wir uns von unseren Gefühlen und sind von unseren Wurzeln abgeschnitten. Wir wollen uns emotional geborgen und zugehörig fühlen, aber wir isolieren uns und weisen andere in ihrem Bemühen, uns näher zu kommen, zurück: Das, was wir selbst früher erfahren haben, geben wir später weiter, ja, strahlen es geradezu aus.

Wenn wir als Kinder einst nicht ausreichend geliebt wurden, empfinden wir später ein großes Loch, eine Leere in uns. Oft fallen wir als Erwachsene in einen dunklen Abgrund, ohne zu wissen, warum wir uns so desolat und ungeliebt fühlen, wo es doch Freunde und Freundinnen gibt, die uns soviel Zuneigung entgegen bringen. Aber es ist eben nicht die Liebe der Mutter! Wir haben nur diese eine Mutter in unserem Leben, und wenn wir deren Liebe nicht erfahren haben, fühlen wir uns betrogen und nicht liebens-wert. Denn wenn wir es wären, hätte uns unsere Mutter geliebt (vielleicht hat sie uns ja geliebt, aber wir haben es nicht gefühlt). Aus diesem ganzen Gefühlschaos entwickeln sich nicht selten Depressionen, verbunden mit starken Angstgefühlen, und hier liegt der Beginn unserer narzisstischen Verwundung, der schmerzhaften Störung unseres Selbstwertgefühls, der Liebe zu uns selbst.

Auch ruht in uns als Kind latent die Angst, dass die Mutter uns verlassen könnte, uns fehlt das für ein Kind so wichtige Vertrauen. Durch all diese gespeicherten frühkindlichen Erinnerungen werden wir in Situationen, bei denen unser Stabilitätsgefüge ins Wanken kommt, unsere Sicherheit bedroht erscheint, Angst bekommen.

Die Fähigkeit zur Empathie ist uns zwar angeboren, wenn allerdings unsere Gefühle in den ersten Lebensjahren nicht gespiegelt wurden, wenn wir die Einfühlung der Eltern nicht erfahren haben, dann bleibt uns zunächst – oder ohne entsprechendes Bemühen für immer –der Zugang zu unseren Gefühlen verschlossen und die positiven Anlagen verkümmern. Das erklärt auch, wieso empathische Menschen so selten anzutreffen sind. Besonders betroffen sind hier die hochsensiblen Kinder, die ihre schönen Anlagen der hohen Empfindsamkeit, Einfühlung und sensitiven Wahrnehmung verstecken müssen, um nicht ständig gehänselt und missverstanden zu werden.

Wie viele Anstrengungen, fast schon Verzweiflungstaten, werden unternommen, um geliebt zu werden: Geschenke, die über unser Budget hinausgehen, Leistungen, die uns an den Rand unserer Kräfte bringen, gemeinsame Reisen, die uns eigentlich ein Gräuel sind, von der Mutter aber gewünscht wurden, und vieles andere mehr. Wenn ich das und das bewältige, schenke, für sie tue, dann wird sie mich lieben. Im besten Falle erhalten wir Anerkennung oder ein bisschen Dankbarkeit, aber dieses einmalige Gefühl, dass wir selbst und nur wir und nicht unsere Leistung, unsere Geschenke gemeint sind, bleibt uns vorenthalten.

Ist die Mutter immer Schuld?

Die nachfolgenden Überlegungen sollen die eklatanten Fehl- und Misshandlungen manch einer Mutter nicht beschönigen oder entschuldigen, dennoch halte ich es für angebracht, sich auch einmal in die Situation einer Mutter hineinzuversetzen:

Sicher können wir ihr ausnahmslos die Schuld an allen Versäumnissen und Problemen geben. Warum aber, wenn etwas schiefläuft, sie an allem Schuld sein soll, ist für die Frauen, die meinen, ihr Bestes gegeben zu haben, natürlich deprimierend. Es wird im Allgemeinen nicht ausreichend beachtet, dass junge Frauen aus diversen Gründen überfordert waren, selbst mit Problemen zu kämpfen hatten und oftmals auch nicht mehr Liebe geben konnten, weil ihre eigene Kindheit durch mangelnde Bemutterung lieb- und freudlos war. Vor allem ältere Generationen, die viel autoritärer erzogen wurden und wo die „schwarze Pädagogik“ gang und gäbe war, haben – leider unreflektiert - das fortgesetzt, was sie selbst erfahren haben, und psychologische Ratgeber waren damals noch eine Seltenheit.

Völlig unbekannt war die Veranlagung zur Hochsensibilität, und so wurde eine beispielsweise hochsensible Mutter von ihrer eigenen Mutter nicht verstanden und so akzeptiert wie sie war. Die Folge ist, dass sie dann auch nicht mit ihrem hochsensiblen und etwas komplizierten, ja, sogar „zickigen“ Kind umgehen kann. Auch dann, wenn sie es in der Erziehung ihrer Kinder besser machen will als ihre eigene Mutter, es wird nur selten gelingen.

Eine Mutter ist schnell überfordert: Durch das Kind, durch sich selbst als noch nicht ausgereifter Mensch und durch Spannungen in der Ehe oder wenn sie allein erziehend ist. Wenn zum Zeitpunkt der Geburt die Situation der Eltern - auch unverschuldet - problematisch war (Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes etc.), bedeutet das für das Kind eine schwere spätere Belastung. Hinzu kommt, dass jedes Kind unterschiedliche Bedürfnisse hat, die auch von einer sehr gutwilligen Mutter einfach nicht alle erfüllt werden können. Stellen wir uns eine Mutter vor, die ihr Kind zwar liebt, aber eben auf eine etwas distanzierte und unstete Art. Nun braucht das Kind aber empathische Zuwendung und innige Nähe, es verlangt nach Symbiose. Wer ist "schuld", wenn diese Beziehung scheitert? Warum hat dieses Kind solch eine gegensätzliche Mutter bekommen und vice versa?

Es ist bekannt, dass jedes Kind seine Eltern anders wahrnimmt, das heißt, das eigene Temperament und die ureigensten Bedürfnisse haben einen großen Einfluss auf eine geglückte oder misslungene Mutterbeziehung. Ich kenne Familien mit mehreren Kindern, und habe selbst noch vier ältere Geschwister, deren Sichtweisen und Schilderungen des mütterlichen Bildes doch weit auseinander gehen. Da wir die Wahrnehmung unserer mutterspezifischen Eigenschaften projizieren, müssen wir also versuchen, dieses subjektive Bild in uns auszublenden oder zu wandeln und eine realistische Sichtweise der mütterlichen Eigenschaften in uns zu aktivieren – nur so hat die reale Mutter eine Chance.

Viele Mütter fühlen sich andererseits wegen ihrer fehlenden Gefühle dem Kind gegenüber schuldig, denn sie können dem eigenen Anspruch einer selbstlos liebenden Mutter nicht genügen. Eine werdende Mutter ist eben nicht zwangsläufig eine liebende Mutter, und auch nach der Geburt kann sie dieses Gefühl nicht erzwingen. Sie sollte sich aber im Klaren darüber sein, dass das Kind ihre fehlenden Gefühle und Empathie spürt, die in ihm eine gerechte Wut auslösen. So wie die Mutter das Recht hat, ihr Kind – aus welchen Gründen auch immer – abzulehnen, ebenso hat das Kind ein Recht auf seine Wut, abgelehnt oder unerwünscht zu sein, die von der Mutter gesehen und verstanden werden sollte.

Wie belastend auch immer die Situation der Mutter, der Eltern sein mag: Wer sein Kind misshandelt, schädigt es zutiefst. Eine paradoxe Situation: Man selbst ist schuld, aber noch schuldiger fühlt sich das Kind. Tatsache ist und bleibt: Gewalt an Kindern ist grober Missbrauch und eine Straftat, die durch nichts zu entschuldigen ist.

Mütter und Töchter

Wir Töchter tragen die eine Sehnsucht in uns - auch wenn wir sie zeitweilig heftig leugnen -, von unserer Mutter geliebt zu werden. Auch möchten wir in unserer Gesamtheit gemocht und wahrgenommen werden. Wir wünschen uns, dass die Mutter unsere Fehler verständnisvoll akzeptiert oder zumindest toleriert, uns unseren Weg gehen lässt mit all den Umwegen, die dazu gehören. Sie sollte uns die Freiheit lassen, selbstständig zu handeln und zu entscheiden, aber auch immer für uns da sein, wenn wir Schutz und Hilfe brauchen. Kurz: Unser Traum ist die Ideal-Mutter.

Die kulturellen Klischees, wie eine Mutter zu sein hat, ändern sich kaum. Sie entsprechen auch heute noch mehr oder weniger den Erwartungen der meisten Töchter. Aber auch die Mutter-Ideologie erlegt den Müttern auf, vor lauter Liebe und Fürsorge nur noch glücklich in das Antlitz des geliebten Kindes zu blicken, ob es sie schon seit Stunden nachts wach hält, selten gehorcht oder wie eine Nervensäge schreit. Dass diese idealisierten Erwartungen kaum zu erfüllen sind, auch nicht von der besten aller Mütter, begreifen die verletzten Töchter eventuell erst spät, manchmal zu spät, und dann sind die Kluft und Abneigung bereits unüberbrückbar.

Wenn Mütter den Forderungen ihrer Töchter „Sei die Mutter, die ich brauche, nicht die Mutter, die Du bist“ nachkämen, dann gäbe es sicherlich kaum Schwierigkeiten in ihren Beziehungen, aber auch weniger Chancen zum Wachstum – für beide. Die Klagen der Töchter beginnen meistens mit: „Wenn sie doch nur…..... wäre/hätte“, und dann folgen unendlich viele Wünsche, die sich je nach Alter der Töchter ändern und immer noch und immer wieder die Hoffnung beinhalten, dass ihr Verhältnis zu ihrer Mutter doch liebevoller oder endlich so vollkommen werden möge, wie sie sich diese einmalige Beziehung gedacht hatten.

Heutzutage ist das Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern weitaus lebendiger und offener, als wir es von unseren Großmüttern zu unseren Müttern kennen, aber Tatsache war und ist, dass die Mutter eine Autorität für die Tochter ist und zum Leidwesen der Tochter noch allzu lange all-mächtig bleibt, wodurch sie einen enormen Druck ausüben kann. Aber auch viele Mütter können sich nicht von ihren Töchtern lösen, da helfen auch die Pubertät der Tochter und alle Bemühungen, sich so schrecklich wie eben möglich zu verhalten, nicht. Als ich mit 16 Jahren in meine Juliette-Gréco-Phase kam, nur noch schwarz gewandet herumlief, lautstark französische Chansons hörte und hustend versuchte, Gauloise zu paffen, konnte nur mein Vater ein Machtwort sprechen, meine Mutter war für mich nicht mehr maßgeblich.

Der in der Pubertät notwendige Ablösungsprozess kann zwar von der Tochter mehr oder weniger vollzogen worden sein, aber die Mutter hält weiter fest, und dann beginnen die nervenden Kämpfe und Probleme, die bis zu einer endgültigen äußeren Trennung führen können. Die innere Trennung, so scheint es jedenfalls, ist kaum möglich, denn die Emotionen, die noch nach Jahren ausbrechen, wenn das Gespräch auf Mutter oder Tochter kommt, bezeugen die Intensität der inneren Bindung.

In einer Untersuchung, in der 60 Frauen befragt wurden: “Wolltest Du werden wie Deine Mutter oder ganz anders?“ antworteten 58 Frauen eindeutig: „Anders, ganz anders, bloß nicht wie meine Mutter“. Bei manchen Frauen zeigt sich diese Ablehnung dann in etwas ab-wegigem Verhalten, das ihrem eigenen Naturell gar nicht entspricht. Sie lebten nun das exakte Gegenteil ihrer Mutter und damit gegen ihr eigenes Wesen. Diese Oppositionshaltung kann sich in sehr vielen Eigentümlichkeiten und Eigenarten zeigen, jedoch ist eines sicher, solange sich die Tochter so konträr verhält, hat die Mutter sie noch fest im Griff.

Wir mussten als Kinder glauben, dass unsere Mutter vollkommen und immer für uns da ist, weil wir damals von ihr abhängig waren und sie eben die Welt, das Leben schlechthin für uns bedeutete. Sogar misshandelte oder abgelehnte Kinder rufen und sehnen sich immer noch nach ihrer Mutter, weil der tiefe Wunsch oder die Illusion, eine liebende Mutter gehabt zu haben, übergroß und (über-) lebenswichtig ist.

Es ist besser, wenn wir als Kinder so früh wie möglich lernen, dass Mutter uns zwar liebt, aber nicht ausschließlich.“ Und: „Der Mythos, dass Mütter ihre Kinder immer lieben, ist so beherrschend, dass selbst eine Tochter, die zu einem gewissen Zeitpunkt zugeben muss, dass sie ihre Mutter nicht mag, nichts als positive Empfindungen gegenüber ihren Kindern äußern wird.“ (Nancy Friday: Wie meine Mutter)

Abgesehen von den drastischen missbräuchlichen Verhaltensweisen der Mütter erscheinen viele Beziehungen zwischen Töchtern und Müttern nicht durchweg schlecht oder problematisch, bei genauerem Hinsehen jedoch sind sie aber eben doch ziemlich kompliziert und von zuweilen chaotischer Struktur. Die emotionale Bindung zwischen Müttern und Töchtern ist sehr stark, und Mutterliebe und Mutterhass liegen manchmal nahe beieinander. Nur kann man über letzteres nicht sprechen, da es meist an Frevel grenzt, die Frau, die uns das Leben geschenkt hat, so total abzulehnen.

Mütter und Töchter sind eben auf besondere Weise miteinander verbunden, denn durch diese primäre Beziehung bildet sich das Ich-Gefühl, die Identität einer Tochter, einer Frau, ihr Selbst-Verständnis von Gefühlen und der Bedeutung, eine Frau zu sein, was den weiblichen Körper und die Sexualität mit einschließt. Was wir von unserer Mutter erwarten und erhoffen, ist von jener kaum zu erfüllen, aber sie ist nun mal der einzige Mensch, an den wir all unsere Wünsche richten können, und außerdem sind wir in der Kindheit davon überzeugt, dass sie alles kann, wenn sie nur will.

Bei einer Tochter äußert sich ein negativer Mutterkomplex unter anderem darin, dass sie um keinen Preis wie ihre Mutter sein will, alles – nur nicht wie die Mutter. „Das Verblüffende an diesem Phänomen ist die Tiefe der Angst und der eingewurzelte Glaube an die negative Macht der Mutter, die für so groß gehalten wird, dass, wenn die Tochter auch nur im geringsten wie ihre Mutter ist, diese Macht sich wieder einstellt und auf andere die gleiche Wirkung hat, wie sie auf die Tochter hatte – so glaubt die Tochter jedenfalls.“ (Kathie Carlson: Nicht wie meine Mutter)

Ihr Unbewusstes ist vergiftet durch die verinnerlichten Eigenschaften der Mutter, die eine ungewollte Bindung erzeugen und sie oft genug in dunkle Tiefen ziehen. Das ist auch einer der Gründe, warum Töchter sehr früh heiraten. Sie realisieren allerdings nicht, dass damit die Mutterbindung nicht gelöst, die Fixierung an sie nicht gelöscht wird. Ein negativer Mutterkomplex kann später durch eine Episode, das Verhalten eines anderen Menschen oder einen Traum etc. aktiviert werden. Alle mit diesem Komplex verbundenen verschütteten Emotionen überfallen sie und lassen sie so heftig reagieren, dass sie selbst und ihr Umfeld erschrocken sind. Und sie dachten, sie hätten die Mutterproblematik überstanden…Weit gefehlt, sie war nur eine Zeit lang nicht präsent.

Wir sind so emotional und verstrickt in alte Gefühlsmuster, dass wir unsere Mutter und Kindheit nur schwer mit einer gewissen Distanz betrachten können. Wir werden eher selektiv die schwierigen Eigenschaften unserer Mutter wahrnehmen. Die negativen Gefühle setzen sich in uns fest, und all die liebenswerteren Wesenszüge werden ins Unbewusste verbannt. Wenn der Archetypus der Großen (schrecklichen) Mutter in sie projiziert wurde, dann sind diese Projektionen sehr langlebig und nur mit größten Schwierigkeiten aufzulösen. In Gesprächen über unsere Mutter heißt es dann meistens: „Sie konnte auch nett sein, aber…“, wobei das „Aber“ die zeitweilig wahrgenommene Nettigkeit quasi wieder auslöscht. Wahrscheinlich kommen die Betroffenen nicht umhin, zur Aufarbeitung und Bewältigung alle Emotionen noch mal zu durchleben. Anders geht es nicht! Man löst das Problem nur durch Bewusstwerdung der Vergangenheit.

Viele Mütter neigen dazu, die Tochter mehr noch als den Sohn als Teil des eigenen Selbst zu sehen, und das führt dazu, dass sie die Eigenart der Tochter und ihre individuellen Bedürfnisse ungenügend wahrnehmen..... Die Mutter kann in ihrer Tochter auch abgelehnte Teile ihrer eigenen Person unbewusst wahrnehmen, die sie dann in der Tochter bekämpft.“ (Margarete Mitscherlich: Die friedfertige Frau)

Wenn Töchter vor lauter Ablehnung, Wut und Verzweiflung oft am liebsten vorzeitig das Elternhaus verlassen möchten, haben sie auch triftige Gründe. Älter gewordene Töchter setzen sich bewusster mit einer Mutter auseinander, die selbst in ihrer ganz speziellen Problematik gefangen ist und offenbar nur sich und ihre Krisen sieht. Sie beneidet ihre Tochter um deren Jugend, Lebendigkeit und Freunde und gönnte ihr das nicht, natürlich nicht offen und direkt, sondern auf subtilere Weise. Ich hatte eine Kollegin, die jedes Mal, wenn sie mit ihrer Familie in Urlaub fahren wollte, schon darauf wartete, dass ihre Mutter genau zu diesem Zeitpunkt krank wurde und jammerte, sie müsse sicherlich ins Krankenhaus oder würde sogar sterben.

Nicht einfach zu enträtseln sind auch die in dem Kapitel „Doublebinds“ verdeutlichten Doppelbotschaften der Mütter, wenn sie etwa klagen: “Geh nur aus, ich komme schon allein zurecht…“, die die Tochter in eine missliche Lage bringen. Der Abend, an dem die Tochter sich mit ihrem Freund treffen will, ist überschattet von den unausgesprochenen, aber angedeuteten Wünschen der Mutter, die ja immer alles für ihr Kind getan hat und nun diesen Feiertag alleine verbringen muss. Dieser durch die Doppelbotschaften entstandene moralische Druck macht wütend und hilflos, da diese Wut nicht gezeigt und ausgesprochen werden darf, denn die Mutter könnte dann in Tränen ausbrechen oder einige Tage mit leidendem Gesicht herumlaufen und der Tochter ein permanent schlechtes Gewissen machen.

Und dann sind da noch Schuldgefühle, die wechselseitig zwischen Müttern und Töchtern entstehen und zumeist die Töchter vergraulen. „Ich habe mich für Dich aufgeopfert“, ist ein Kernsatz, der solche Schuldgefühle in der Tochter erzeugt, dass sie wie gelähmt ist, obwohl ihre persönliche Erfahrung und ihr gesunder Menschenverstand ihr sagen, dass soviel Aufopferung gar nicht stimmen kann.

Andererseits haben viele Mütter Angst, ihrer Tochter nicht ausreichend Zeit und Zuwendung geben zu können, überhaupt wenn sie berufstätig oder allein erziehend sind. Das Bemühen, eine „perfekte“ Mutter zu sein, ist hoffnungslos zum Scheitern verurteilt und doch plagen sich die Mütter mit einem schlechten Gewissen und der Angst, nicht „gut genug“ zu sein. Töchter, die trotz aller liebevollen Bemühungen der Mutter abweisend und wenig zugänglich sind, erzeugen in ihr immer wieder Schuldgefühle.

Durch meine Recherchen zum Mütter/Töchter-Thema und meinen eigenen Erfahrungen und Gesprächen wurde mir immer bewusster, dass diese Beziehung stets von hoher Emotionalität ist, dass sie noch lange, oftmals über den Tod der Mutter hinweg, kaum an Intensität verliert. Wenn man scherzt: „Im Zweifelsfall ist immer die Mutter schuld“, wird das allzu beifällig begrüßt, erspart es doch den Töchtern, den eigenen Schatten und ihren Beitrag zu diesem Teufelskreis wahrzunehmen.

Der Tochter bringt es später nichts mehr, ihrer Mutter für alles Negative, was in der Vergangenheit zwischen ihnen geschah, die Schuld zu geben. Ich denke, wir erwachsenen Töchter könnten versuchen, die Vergangenheit – nun mit etwas mehr Distanz – zu verstehen, es sei denn, die Mutter hat uns grob misshandelt und uns nachhaltig geschädigt. Hatte man z.B. eine Alkoholikerin zur Mutter und unter ihr sehr zu leiden, so würde ich mir die Frage stellen, durch wen oder was war meine Mutter so voller Angst, dass sie die Realität ohne Bewusstseinsveränderung nicht mehr aushielt? Kaum eine Mutter ist nur schlecht, und zu bedenken, was sie an Gutem für uns getan hat, helfen sicher auch, unseren Groll und ihre Verneinung abzubauen. Vielleicht können wir auch im Nachhinein Mitgefühl entwickeln, weil die schwierige Lebensgeschichte der Mutter, angefangen von dem vielleicht miserablen Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter bis zur Aufgabe all ihrer Jugendträume (durch Krankheit, Scheidung, soziale Probleme etc.), uns nachsichtiger und weichherziger werden lässt.

Auch die Schattenproblematik zwischen Müttern und Töchtern ist ein enorm wichtiges Thema. Stellen wir uns vor, dass eine Tochter im Laufe ihrer Adoleszenz die Welt der männlichen Wesen und ihre Sexualität entdeckt. Es wird nicht ausbleiben, dass sie sich aufreizend anzieht, beginnt, Augen und Lippen in schwarz-rote Gemälde zu verwandeln und sich abends, längst nach der von den Eltern fest gesetzten Zeit, in ihr Zimmer schleicht.

Stellen wir uns weiter vor, dass die Mutter in einem prüden Elternhaus erzogen wurde und früher gerne auch ihre Erfahrungen gemacht hätte. Aber ihr Umfeld und Elternhaus gestatteten ihr keine Experimente mit dem anderen Geschlecht, und so heiratete sie früh ihren Jugendfreund. Der Schatten der Mutter, also die abgelehnten und ungelebten Teile in ihr, die sie aus diversen Gründen nicht akzeptieren kann und somit verdrängen muss, bekämpft sie nun in der Tochter und lässt sie wütend schimpfen, sie solle ihr bloß nicht mit einem Kind nach Hause kommen bzw. sich wie ein Flittchen anziehen etc. Es wäre für Mütter der heranwachsenden Töchter äußerst hilfreich, wenn sie sich psychologische Kenntnisse aneignen könnten, die beiden – zumindest einige – heftige Auseinandersetzungen und Missverständnisse ersparen würden.

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9783753192116
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