Читать книгу: «Honoré de Balzac – Gesammelte Werke», страница 165

Шрифт:

Die abgeschnittene Wange

Zur Zeit, als Kö­nig Karl der Ach­te es sich in den Kopf setz­te, das Schloß von Am­boi­se in sei­ner spä­te­ren Ge­stalt aus­zu­bau­en, brach­te er von Ita­li­en eine große An­zahl Wer­kleu­te mit, Ma­ler, Stein­met­zen und Mau­rer oder Archi­tek­ten, die aus der Ga­le­rie des Schlos­ses ein schö­nes und be­rühm­tes Kunst­werk mach­ten, das aber aus Acht­lo­sig­keit wie­der ver­dor­ben wur­de.

Weil­te also zu je­ner Zeit der Hof an die­sem lus­ti­gen Ort, und lieb­te es der jun­ge Kö­nig, wie je­der­mann weiß, den Künst­lern bei der Aus­füh­rung ih­rer Er­fin­dun­gen zu­zu­schau­en. Nun war un­ter den frem­den Meis­tern ein Flo­ren­ti­ner mit Na­men An­ge­lo Cap­pa­ra, ein ver­dienst­vol­ler Mensch, Bild­hau­er sei­nes Zei­chens, der all­ge­mein be­wun­dert wur­de, da er so ge­schickt und ge­lehrt war in der Kunst zu bil­den und zu for­men, ob­wohl er erst im Lenz sei­ner Ju­gend stand und ihm kaum der ers­te Flaum auf der Lip­pe sproß.


Die Da­men be­son­ders wa­ren alle in den Un­bär­ti­gen ver­schos­sen; denn er war schön wie ein Traum und me­lan­cho­lisch wie eine Tau­be, die al­lein im Nes­te zu­rück­ge­blie­ben ist, weil man ihr den Ge­fähr­ten weg­ge­fan­gen hat. Und das hat­te sei­ne gu­ten Grün­de. Der gute Bild­hau­er krank­te an der Ar­mut, als wel­ches eine Krank­heit ist, die das Le­ben ver­engt und ver­düs­tert. Er leb­te hart, aß we­nig, und voll Miß­mut über sei­ne arm­se­li­ge Lage warf er sich mit ei­ner wah­ren Verzweif­lung auf die Ar­beit, um durch sei­ne Kunst und mit über­mensch­li­cher An­stren­gung sich die Mit­tel zu ei­nem mü­ßi­gen Le­ben zu er­wer­ben, das al­len de­nen so köst­lich scheint, de­ren Geist be­schäf­tigt ist. Weil er sich sei­ner Ar­mut schäm­te, klei­de­te er sich bes­ser als die an­dern, wenn er zu Hofe ging. Auch wag­te er nicht aus ju­gend­li­cher Schüch­tern­heit und Ver­schämt­heit sei­nen Sold zu ver­lan­gen vom Kö­nig, der ihn wohl­ver­sorgt glaub­te, da er ihn so reich ge­klei­det sah. Her­ren und Da­men be­wun­der­ten sei­ne Wer­ke und nicht we­ni­ger den Au­tor, aber das war auch die ein­zi­ge Be­zah­lung, die er er­hielt. Be­son­ders die Da­men hiel­ten ihn für reich ge­nug in der Fül­le und Pracht sei­ner Ju­gend, mit dem leuch­ten­den schwar­zen Haar und den fun­keln­den Au­gen, und konn­ten sich nicht den­ken, daß ein Ado­nis un­glück­lich sein kön­ne, weil es ihm an Gro­schen fehl­te. Sie hat­ten auch voll­kom­men recht, da schon so man­cher hö­fi­sche Geck mit sol­chen kör­per­li­chen Vor­zü­gen Rit­ter­gü­ter und Du­ka­ten in Hau­fen ge­won­nen hat. Un­ge­ach­tet sei­nes kna­ben­haf­ten Aus­se­hens hat­te Meis­ter An­ge­lo die Zwan­zig be­reits hin­ter sich. Er war auch kein Dumm­kopf, ein ho­her Ehr­geiz schwell­te ihm das Herz, und sein Kopf war er­füllt von poe­ti­schen Ge­dan­ken und schö­nen Bil­dern; aber die Be­schei­den­heit mach­te ihn zag­haft, und es ging ihm wie al­len Ar­men, der Er­folg der Dum­men schüch­ter­te ihn noch mehr ein. Er dach­te dann schlecht von sich sel­ber, hielt sich für miß­ra­ten an Leib und See­le und wur­de im­mer klein­mü­ti­ger und ver­schlos­se­ner. Er würg­te alle Ge­dan­ken in sich hin­ein, oder viel­mehr er ver­trau­te sie heim­lich der Nacht und dem Schat­ten, den Ster­nen und dem Mond, ver­trau­te sie Gott und dem Teu­fel. Er be­dau­er­te sich sel­ber, ein so hei­ßes Herz in der Brust zu ha­ben, daß ohne Zwei­fel die Da­men sich da­vor hü­te­ten wie vor ei­nem glü­hen­den Ei­sen. Dann sag­te er sich oft vor, wie hef­tig er sei­ne Ge­lieb­te lie­ben wür­de, wie er sie hal­ten wür­de gleich ei­ner Kö­ni­gin, wie er ihr in Treue an­hän­gen und mit wel­chem Ei­fer er ihr die­nen woll­te, wie er ihr den lei­ses­ten Wunsch an den Au­gen ab­le­sen und wie er sie auf­hei­tern woll­te mit sei­nen Er­fin­dun­gen, wenn sie trau­rig wäre oder auch nur ein Wölk­chen von Me­lan­cho­lie sich am Him­mel ih­rer See­le zeig­te.

Mit der Leb­haf­tig­keit sei­ner bild­ne­ri­schen Phan­ta­sie stell­te er sich vor und mal­te sich aus, wie er sich vor ihr nie­der­warf, wie er ihr den Fuß küß­te, ihr die Hand strei­chel­te, sie mit den Au­gen ver­schlang und lieb­kos­te; und wahr­lich, er glich dem Ge­fan­ge­nen, der durch ein Mau­er­loch einen Fleck Wie­se sieht und sich als­bald hin­aus­ver­setzt und lust­wan­delt über blü­hen­de Flu­ren. Im­mer mehr ging die Phan­ta­sie mit ihm durch, er führ­te gan­ze Re­den mit der Ge­lieb­ten, er schloß sie ge­walt­sam in sei­ne Arme, trotz des ho­hen Re­spekts und biß zu­letzt sei­ne Zäh­ne in das Kis­sen, aus Wut, daß ja al­les gar nicht war, nir­gends eine Dame und er al­lein mit sei­ner Ver­las­sen­heit. Je küh­ner er träum­te, um so schüch­ter­ner und be­fan­ge­ner war er am an­dern Tag, wenn er in Wirk­lich­keit ei­ner Dame ge­gen­über­stand.


Er ließ den­noch nicht von sei­nen ver­lieb­ten Phan­tas­te­rei­en, sie feu­er­ten ihn an bei der Ar­beit, und un­ter sei­nen Mei­ßel­hie­ben form­ten sich so die weib­li­chen Brüs­te, daß dem Be­schau­er das Was­ser im Mun­de zu­sam­men­lief vor die­sen Äp­feln der Lie­be, von an­dern Din­gen nicht zu re­den, die er run­de­te mit sei­nem Mei­ßel, die er lieb­kos­te mit sei­ner Fei­le, daß sie im­mer rei­ner in der Form, im­mer le­bens­vol­ler her­aus­ka­men und dem Dümms­ten ih­ren Sinn ver­ra­ten, den Töl­pel­haf­tes­ten ent­töl­peln muß­ten. Und sie­he, so man­che Dame glaub­te sich zu er­ken­nen in den mar­mor­nen Schön­hei­ten des Meis­ters An­ge­lo und ver­lieb­te sich in den kna­ben­haf­ten Wun­der­tä­ter, der ver­stoh­len nach den Ge­stren­gen hin­schiel­te und bei sich schwur, daß er die ers­te bes­te, die ihm auch nur einen Fin­ger zum Küs­sen rei­chen soll­te, ha­ben woll­te ganz und gar, mit Haut und Haar.


Eine die­ser Da­men, eine sol­che ho­hen Ge­blüts, wand­te sich ei­nes Ta­ges ohne wei­te­res in Per­son an den her­zi­gen Jüng­ling und frag­te ihn, warum er so den Scheu­en spie­le und ob es wohl kei­ner der Da­men am Hof ge­lin­gen wer­de, ihn zu fes­seln. Und un­ter vie­len Schmei­che­lei­en lud sie ihn für den Abend zu sich ein.

Und Meis­ter An­ge­lo be­eil­te sich, sich zu par­fü­mie­ren, sich einen sam­te­nen Man­tel mit sei­de­nen Fran­sen zu kau­fen, sich bei ei­nem Freund ein Wams mit lan­gen Är­meln und ein Paar durch­bro­che­ne, mit Sei­de ge­füt­ter­te Plu­der­ho­sen zu lei­hen und also aus­ge­rüs­tet die Trep­pe hin­auf­zu­stei­gen zu sei­ner Schö­nen, die See­le ge­schwellt von Hoff­nung und nicht wis­send, wo­hin mit sei­nem Her­zen, das hüpf­te wie ein Zick­lein am Os­ter­mor­gen, so groß war sei­ne Lie­be, so voll war er da­von zum vor­aus.

Die Dame war näm­lich wirk­lich schön, und An­ge­lo Cap­pa­ra wuß­te es bes­ser als ir­gend­ei­ner; denn als Meis­ter sei­nes Hand­werks hat­te er sich eine voll­kom­me­ne Ken­ner­schaft er­wor­ben in Sa­chen des mensch­li­chen Kör­pers und wuß­te Be­scheid über sei­ne Li­ni­en und Pro­por­tio­nen in Ar­men und Bei­nen und Hals und Brust und sons­ti­gen kal­li­py­gi­schen Mys­te­ri­en. Die­se Dame aber er­füll­te nicht nur alle noch so stren­gen For­de­run­gen sei­nes Künst­lerau­ges, sie war nicht nur weiß wie ein Schwan und von zier­li­chen For­men, sie hat­te au­ßer­dem eine Stim­me, die tief zu Her­zen drang oder wo sonst das Le­ben sitzt, um es auf­zu­peit­schen und See­le und Hirn und al­les in Flam­men zu set­zen. Kurz, sie war der­art, daß sie in der Phan­ta­sie vom ers­ten Au­gen­blick an die wol­lüs­ti­gen Bil­der von Din­gen auf­reg­te, an die sie doch, worin eben die Stär­ke die­ser ver­damm­ten Weib­sen liegt, sel­ber gar nicht zu den­ken schi­en.

Der Bild­hau­er fand sie in ei­nem ho­hen Ses­sel am Ka­min­feu­er sit­zend, und als­bald fing sie an, ihn mit ih­rem sü­ßen Ge­plau­der ganz ein­zu­spin­nen, wäh­rend Meis­ter An­ge­lo in sei­ner Schüch­tern­heit nichts zu ken­nen schi­en von ih­rer Spra­che als ›Ja‹ und ›Nein‹ und au­ßer den bei­den arm­se­lig kah­len Vo­ka­beln kein Wort in sei­ner Keh­le und in sei­nem Ge­hirn kei­nen noch so klei­nen Ge­dan­ken fand, so daß er sich wie der ärms­te Tropf der Welt vor­ge­kom­men wäre, wenn er nicht das Glück ge­habt hät­te, sie an­zu­schau­en und ihr zu­zu­hö­ren, de­ren Ge­plau­der so woh­lig klang wie das Ge­sum­se ei­ner Mücke, die in ei­nem Strahl der Früh­lings­son­ne tanzt.

Sei­ne stum­me Be­wun­de­rung hin­der­te aber nicht, daß bei­de bis ge­gen Mit­ter­nacht zu­sam­men­blie­ben, daß sie ihn im­mer fes­ter an sich fes­sel­te mit den Ro­sen­ket­ten der Lie­be und daß er mit noch küh­ne­ren Hoff­nun­gen von ihr Ur­laub nahm, als die wa­ren, mit de­nen er ge­kom­men. Wenn eine so vor­neh­me Dame, sag­te er bei sich, einen vier Stun­den in der Nacht an ihre Rö­cke hef­tet, so kann es nicht feh­len, daß sie ihn das nächs­te­mal bis zum Mor­gen bei sich be­hält. Un­ter sol­chen Er­wä­gun­gen wur­de er im­mer ent­schlos­se­ner und nahm sich vor, nicht jede Nacht mit Prälu­di­en vor­lieb­zu­neh­men. In sei­ner er­hitz­ten Phan­ta­sie tö­te­te er schon den Ehe­mann, der da­zwi­schen­trat, dann wie­der die Frau in sei­ner Wut, dann sich sel­ber aus Verzweif­lung. Die Lie­be war ihm schon so über den Kopf ge­wach­sen, daß ihm das Le­ben in die­sem Spiel ein ge­rin­ger Ein­satz, ein Tag mit der Ge­lieb­ten mehr dünk­te als tau­send Le­ben.

Den gan­zen Tag, wäh­rend er auf sei­nen Stein ein­hieb, dach­te er nur an den Abend, hieb oft da­ne­ben und verd­arb man­che Nase, wäh­rend er ganz and­re Din­ge vor Au­gen hat­te. Und um nicht noch grö­ße­ren Scha­den an­zu­rich­ten, warf er Mei­ßel und Fei­le von sich, schmück­te sich und eil­te zu sei­ner Schö­nen, in der fes­ten Hoff­nung, ihre sü­ßen Schmei­chel­re­den un­ver­merkt in Hand­lun­gen hin­über­zu­lei­ten. Aber in der Ge­gen­wart sei­ner Her­rin und ge­trof­fen vom Strahl weib­li­cher Ma­je­stät, fühl­te sich der arme Cap­pa­ra, so ge­walt­tä­tig in Ge­dan­ken, in das frömms­te Lämm­lein ver­wan­delt.

Nach und nach je­doch wur­de er küh­ner und küh­ner, und nicht all­zu lan­ge dau­er­te es, so hat­te er sich be­reits mit List und Ge­walt einen Kuß ge­raubt. Das war mehr, als wenn sie ihn frei­wil­lig ge­ge­ben hät­te. Denn wenn eine Dame einen Kuß gibt, kann sie ihn das nächs­te­mal ver­wei­gern; wenn sie sich ihn aber rau­ben läßt, ist sie nicht im­stan­de, zu ver­hin­dern, daß ihr der Ge­lieb­te zu dem einen tau­send da­zu­nimmt. Aus die­sem Grund sind die Da­men längst über­ein­ge­kom­men, kei­ne Küs­se zu ge­ben, son­dern sie sich lie­ber neh­men zu las­sen, die Küs­se und das an­de­re.

Auch der Flo­ren­ti­ner war un­ter­des­sen längst nicht mehr beim ers­ten, und die Berauscht­heit mach­te ihn so kühn, daß er von dem letz­ten Ziel sei­ner Wün­sche nur noch um einen Stroh­halm ent­fernt war, als die Dame, die sich durch­aus in der Ge­walt hat­te, plötz­lich aus­rief:

»Mein Mann!«

Er­schi­en in der Tat der Haus­herr, der vom Ball­spiel zu­rück­kam, auf der Schwel­le, und der Bild­hau­er konn­te ent­wi­schen, nicht ohne von sei­ner An­ge­be­te­ten einen Blick voll Lie­be und Be­dau­ern mit auf den Weg zu neh­men.

Das war all sein Glück, Schmerz, Hoff­nung und Verzweif­lung wäh­rend ei­nes Mo­nats. Im­mer in dem Au­gen­blick, wo er im Be­grif­fe stand, die Schwel­le sei­nes Pa­ra­die­ses zu über­schrei­ten, er­schi­en der Herr Ge­mahl auf der Schwel­le des Ge­machs, er­schi­en wie ver­ab­re­det im­mer zwi­schen ei­ner Wei­ge­rung und ei­ner zärt­li­chen Be­sänf­ti­gung, wo­mit die Da­men ihre Körb­chen, die sie ge­ben, gleich­sam wie mit Ro­sen be­krän­zen und dem Ver­lieb­ten Mut ma­chen, sich im­mer neu­en Nie­der­la­gen aus­zu­set­zen und neue Kör­be zu ho­len.

Der Bild­hau­er aber wur­de mit der Zeit un­ge­dul­dig und be­gann von da an den Kampf im­mer so­fort bei sei­ner An­kunft. Auf die­se Wei­se hoff­te er, frü­her zum Sieg zu ge­lan­gen, als der Herr Ge­mahl nach Hau­se kam, um die Frucht der Lie­be zu ge­nie­ßen, die in dem Feu­er des an­dern ge­ra­de reif ge­wor­den. Die schö­ne Dame aber, die ihm sei­ne Ab­sicht an den Au­gen ab­las, ver­ei­tel­te durch ihr ver­än­der­tes Be­tra­gen alle sei­ne Hoff­nun­gen. Sie ver­stand es aufs vor­treff­lichs­te, je­den Abend einen an­dern Zank vom Zaun zu bre­chen, je­den Abend eine and­re Ko­mö­die zu spie­len und ihn nach ih­rem Be­lie­ben hin­zu­hal­ten. Bald mach­te sie die Ei­fer­süch­ti­ge, daß er sich in lan­gen Lie­bes­schwü­ren er­ge­hen und schon glück­lich sein muß­te, wenn sie sich ihm nur ei­ni­ger­ma­ßen wie­der gnä­dig zeig­te, in wel­chem Mo­ment ihn dann ein flüch­ti­ger Kuß das Höchs­te deuch­te. Bald ver­such­te sie es mit hin­hal­ten­den Wor­ten, öff­ne­te alle Schleu­sen ih­rer fe­mi­ni­nen Be­red­sam­keit, gab ihm eine Lek­ti­on nach der an­dern in der hö­he­ren Phi­lo­so­phie der ga­lan­ten Lie­be, setz­te ihm lang und breit aus­ein­an­der, wie er ver­nünf­tig zu sein, wie er sich zu ku­schen habe, wie der Wil­le der Her­rin ihm höchs­tes Ge­setz sein müs­se, wenn er er­war­te, daß sie ihm ihre See­le und ihr Le­ben gebe, und daß nicht viel dazu ge­hö­re und es we­nig hei­ßen wol­le, der Ge­lieb­ten sei­ne Wün­sche ent­ge­gen­zu­brin­gen, die ih­rer­seits viel mehr Mut nö­tig habe, mehr Lie­be und mehr Wa­g­nis, die tau­send­mal mehr op­fe­re, tau­send­mal mehr aufs Spiel set­ze … Sol­che wei­se Re­den un­ter­brach sie dann ge­le­gent­lich mit ei­nem: »Laßt das!«, aus­ge­spro­chen mit dem Ton und der Mie­ne ei­ner er­zürn­ten Kö­ni­gin, und wenn sich Cap­pa­ra über ihre Här­te be­schwer­te, sag­te sie schmol­lend:

»Wenn Ihr nicht so sein wollt, wie ich Euch mir wün­sche, wer­de ich Euch nicht mehr lie­ben.«

Kurz, der arme Ita­lie­ner merk­te end­lich, daß er es nicht mit ei­nem ed­len und großen Her­zen zu tun habe, ei­nem Her­zen, das nicht mit der Lie­be scha­chert wie ein Krä­mer mit sei­ner Ware, viel­mehr daß die Schö­ne sich ein Ver­gnü­gen dar­aus ma­che, ihn zap­peln zu las­sen an ih­ren Fä­den und ihn mit fa­den Sü­ßig­kei­ten hintan­zu­hal­ten und ihm al­les zu ge­wäh­ren, nur nicht das eine.

Cap­pa­ra wur­de wü­tend bei die­ser Er­kennt­nis und be­schloß, sich zu rä­chen. Er ver­ab­re­de­te mit sei­nen Freun­den, daß sie den Ge­mahl, wenn er abends aus der Ge­sell­schaft des Kö­nigs zu­rück­kehr­te, er­grei­fen und an ei­nem si­che­ren Orte fest­hal­ten soll­ten. Er sel­ber be­gab sich zur ge­wohn­ten Stun­de zu der Dame, wo als­bald das alte Spiel be­gann mit ge­raub­ten Küs­sen, mit zer­wirr­ten Klei­dern und Haa­ren, mit ver­lieb­ten Bis­sen in den Arm, ins Ohr, in den Na­cken, kurz, das gan­ze be­kann­te Ge­plän­kel mit al­lei­ni­gem Aus­schluß des­sen, was die an­stän­di­gen Au­to­ren mit Recht ab­scheu­lich fin­den.

»Mein sü­ßer Schatz«, sag­te der Flo­ren­ti­ner nach ei­nem et­was län­ge­ren Kuß, »liebst du mich auch über al­les in der Welt?«

»Ich lie­be dich über al­les in der Welt«, ant­wor­te­te sie. Denn mit Wor­ten war sie im­mer frei­ge­big.

»Wenn du mich also liebst«, ent­geg­ne­te er, »so ge­hö­re mir auch ganz.«

»Wenn ich si­cher wäre vor mei­nem Ge­mahl.«

»Ist es nichts als das?«

»Nichts als die Furcht.«

»Ich habe mit mei­nen Freun­den ver­ab­re­det, daß sie ihn heu­te abend er­grei­fen und so lan­ge fest­hal­ten, bis ich einen Leuch­ter an das Fens­ter stel­le. Wenn er sich beim Kö­nig be­kla­gen soll­te, wer­den sie sa­gen, sie hät­ten ihn für einen der Uns­ri­gen ge­hal­ten, dem sie einen Pos­sen spie­len woll­ten.«

»Oh, mein Freund«, ant­wor­te­te sie, »so laß mich einen Au­gen­blick, daß ich nach­se­he, ob mei­ne Leu­te zu Bett ge­gan­gen und al­les im Hau­se ru­hig ist.«

Mit die­sen Wor­ten er­hob sie sich und stell­te das Licht ans Fens­ter. Als der Flo­ren­ti­ner das sah, lösch­te er die Ker­ze, er­griff sei­nen De­gen und rich­te­te sich stolz auf vor dem Wei­be, des­sen ver­ächt­li­che klei­ne See­le er nun er­kann­te.


»Ich wer­de Euch nicht tö­ten, schö­ne Frau«, sprach er; »nur zeich­nen will ich Euch im Ge­sicht, daß es Euch nicht wie­der ein­fal­len soll, mit der Lie­be und dem Le­ben ei­nes ar­men Ver­lieb­ten Euer elen­des Spiel zu trei­ben. Ihr seid scham­los mit mir um­ge­gan­gen, Ihr seid kei­ne ehr­sa­me Frau. Ihr wißt wohl, was Ihr mir hun­dert­mal mit Eu­ren Küs­sen ver­spro­chen habt, und Ihr dach­tet nicht dar­an, Euer Ver­spre­chen zu hal­ten. Ihr habt mir mei­ne Ju­gend ver­gif­tet, Ihr habt mir mein Le­ben ver­nich­tet, das ich von mir wer­fe wie ein schlech­tes Kleid. Ihr seid schuld an mei­nem Tod, Ihr sollt ewig dar­an den­ken. Nie mehr wie­der sollt Ihr in Eu­ren Spie­gel schau­en, ohne ne­ben Eu­rem Ge­sicht das mei­ni­ge zu er­bli­cken.«

Er er­hob sei­ne Waf­fe, um sein Vor­ha­ben aus­zu­füh­ren.

»Ihr han­delt un­rit­ter­lich«, rief ihm die Dame zu.

»Schweigt!« sag­te er. »Ihr habt be­haup­tet, mich über al­les zu lie­ben. Jetzt sagt Ihr an­de­re Din­ge. Ihr habt mich jede Nacht hier­her­ge­lockt, Ihr habt mich je­den Abend ein we­nig hö­her zum Him­mel er­ho­ben, aber nur, um mich je­des­mal um so tiefer in die Höl­le zu stür­zen, und nun glaubt Ihr, daß Euer Wei­ber­rock Euch schüt­zen kön­ne vor der Wut ei­nes gefopp­ten Ge­lieb­ten?«

»Oh, mein An­ge­lo«, rief sie voll Ver­wun­de­rung über die Kraft sei­ner Lie­be, die sie in Ra­che ver­wan­delt sah, »nimm mich, mein An­ge­lo, ich will dir ge­hö­ren mit Leib und Le­ben.«

Er aber wich einen Schritt zu­rück:

»Aha«, zisch­te er, »elen­de Kur­ti­sa­ne, du liebst dein Ge­sicht mehr als dei­nen Ge­lieb­ten.«

Sie erblaß­te und hielt ihm de­mü­tig ihr Ge­sicht hin; denn sie be­griff, daß ihre au­gen­blick­li­che Lie­be ihre lan­ge Falsch­heit nicht gut­ma­chen konn­te.


An­ge­lo aber schnitt ihr eine Wan­ge aus dem Ge­sicht, eine fri­sche blü­hen­de Wan­ge mit den Spu­ren sei­ner Küs­se, ja noch feucht von sei­nem letz­ten, schnitt sie ihr ab und warf sie ihr vor die Füße und ver­ließ das Haus und das Land.

Ihr Ge­mahl war nicht wei­ter be­hel­ligt wor­den, da die Ita­lie­ner das Licht am Fens­ter ge­se­hen; er fand sei­ne Frau ohne die lin­ke Wan­ge, ver­such­te aber ver­geb­lich, ein Wort aus ihr her­aus­zu­lo­cken. Seit ih­rer Ver­wun­dung lieb­te sie Cap­pa­ra mehr als ihr Le­ben. Da aber nie­mand ins Haus zu kom­men pfleg­te als der Flo­ren­ti­ner, be­schwer­te sich der Ehe­herr beim Kö­nig, der den Tod des Bild­hau­ers be­fahl und eine rei­ten­de Sta­fet­te hin­ter ihm her­ja­gen ließ. In Blois wur­de der Flücht­ling ein­ge­holt. An dem Tage aber, da er ge­hängt wer­den soll­te, kam ei­ner vor­neh­men Dame die Lau­ne an, den mu­ti­gen Mann zu ret­ten, der ihr wie kei­ner das Zeug zu ei­nem Ge­lieb­ten zu ha­ben schi­en. Sie er­bat sich also den Ver­ur­teil­ten vom Kö­nig zum Ge­schenk, der ihr gern den Ge­fal­len tat. Aber Cap­pa­ra er­klär­te, daß er die ge­schun­de­ne Dame noch im­mer über al­les lie­be und die Erin­ne­rung an sie nie­mals aus sei­nem Her­zen ver­ban­nen kön­ne. Er trat in einen re­li­gi­ösen Or­den und wur­de ein großer Ge­lehr­ter, spä­ter ein mäch­ti­ger Kar­di­nal. Als sol­cher pfleg­te er in sei­nen al­ten Ta­gen gern zu sa­gen, daß er sein Le­ben lang nur ge­lebt habe von der Erin­ne­rung an jene ar­men qual­vol­len Stun­den, in de­nen ihn sei­ne Dame so un­glück­lich und doch so glück­lich ge­macht. Ei­ni­ge Au­to­ren be­haup­ten, er sei spä­ter, nach­dem ihre Wan­ge ge­heilt war, wei­ter­ge­kom­men bei die­ser Dame als bis zu den Un­ter­rö­cken. Aber ich glau­be es nicht, denn die­ser Ita­lie­ner war ein Mann mit star­kem Her­zen und ei­nem ho­hen poe­ti­schen Sinn; er hat­te einen an­dern Be­griff als die ge­mei­nen See­len von den hei­li­gen Ent­zückun­gen der wah­ren Lie­be.

Die­se An­ek­do­te ent­hält wei­ter kei­ne Leh­re, als daß man im Le­ben schlim­me Be­geg­nun­gen ha­ben kann; da­für ist sie aber auch wahr und wahr­haf­tig in al­len Punk­ten. Möge es um ih­ret­wil­len dem Au­tor ver­zie­hen wer­den, wenn er an an­dern Or­ten die Dame Wahr­heit manch­mal et­was all­zu mut­wil­lig auf den Kopf ge­stellt hat.


94,80 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
5534 стр. 474 иллюстрации
ISBN:
9783962815226
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают