Читать книгу: «Der Meerkönig», страница 12

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»Namentlich wenn der Kopf durch eine hochgeborene Hand zerschmettert wurde,« versetzte Merle mit unerschütterlicher Ruhe, die in demselben Grade zu wachsen schien, in welchem des Grafen Wuth zum wilden Ausbruche gelangte. »Aber bitte, Herr Graf, bevor Sie zum Aeußersten schreiten, vernehmen Sie nur Ein Wort, es wird dazu dienen, eine schnelle Einigung herbeizuführen. Sie sprechen von Anwendung von Gewalt; dergleichen habe ich nicht gethan. Ich hielt es unter meiner Würde, obwohl ich die Macht dazu in den Händen habe und man gewiß recht viel Aufhebens davon machen würde, wenn man in diesem Stadtviertel und in diesem Hause den Herrn Grafen und die gnädige Gräfin mit zerschmetterten Köpfen fände - aber bitte, erschrecken Sie nicht, meine gnädigen Herrschaften,« fuhr er spöttisch fort, als er bemerkte, daß der Graf erbleichte und ängstlich forschend um sich schaute, und sogar auch die Gräfin einen scheuen Seitenblick nach der Thüröffnung hinüberwarf, »ich bin hier allein, kein Mensch befindet sich in der Nähe, der mir Beistand leisten könnte, um sich dafür in die hundert Louisd'or mit mir zu theilen. Nein, ich bin nur auf meine eigenen Kräfte angewiesen, aber bis jetzt war ich edelmüthig genug, Sie meine Uebermacht nicht fühlen zu lassen, wie es von Ihnen kindisch war, Herr Graf, mit einer Drohung gegen mich vorzugehen.

»Sie scheinen vergessen zu haben, daß Sie sich nicht in einer Umgebung befinden, wo Sie furchtlos Fußtritte und Peitschenhiebe austheilen können - bitte, rühren Sie sich nicht von der Stelle, oder Sie sammt Ihrer Schwester sind des Todes!« bemerkte er mit unheimlichem Ernste, als der Graf wieder eine Bewegung machte, wie um auf ihn einzuspringen. »Wir kennen das Alles; die Herren haben nur da Muth, wo sie die Uebermacht in Händen zu halten glauben; nimmt man ihnen aber dieses Bewußtsein, so kriechen sie zusammen. Sie lassen sich sogar im Stillen eine ehrenrührige Behandlung gefallen, wenn sie dafür die Aussicht haben, mit gesunden Knochen davonzukommen.

»Nicht von der Stelle, Bruder Graf!« rief er wiederum, jetzt aber lauter aus, und seine rechte Hand rüttelte leise an einem unter dem Schutte theilweise noch verborgenen Gegenstande. »Es sollte mir leid thun um Ihre Schwester, mit der ich mich, ohne Ihr Dazwischentreten, leicht geeinigt hätte. Ja, sehen Sie mich an, wie ich hier liege, und dann verfolgen Sie mit den Augen die im Schutte etwas eingesunkene Linie, die sich im Vierecke um Sie herumzieht - bitte, bemühen Sie sich nicht, stehen Sie nicht auf, oder ...« - hier folgte wieder das vorsichtige Rütteln, und deutlicher trat der angedeutete Streifen hervor, indem in Folge der Erschütterung der bewegliche Staub durch die noch nicht sichtbaren Fugen niederrieselte.

»Also, meine Herrschaften,« fuhr Merle mit unverschämter Vertraulichkeit fort, die dem gespannt lauschenden Geschwisterpaare nur zu deutlich sein unbestreitbares Uebergewicht verrieth, »wir befinden uns hier auf einem alten Magazinboden, auf welchem einst, vielleicht vor fünfhundert Jahren, Güter, wahrscheinlich Lumpenballen, hinauf- und hinuntergewunden wurden. Vergebens führte ich Sie nicht hierher; ich mußte mich sichern, und wenn Sie gütigst Ihre Aufmerksamkeit auf meine Hand lenken wollen, werden Sie leicht begreifen, daß ich diesen Keil, dessen äußerste Spitze diese Ueberfallkrampe kaum noch mit dem Ringe verbindet, ganz hervorzuziehen brauche, um Sie weit schneller, als Sie den Taschenpuffer zu spannen, oder gar aufzuspringen vermögen, durch zwei Stockwerke, in einen mit zerbröckeltem Mauerwerke theilweise angefüllten Keller hinabfallen zu lassen. So, ich bin zu Ende; Sie mögen immerhin Ihre Waffe wieder in die Tasche stecken; so - aber bitte, verlassen Sie die Fallthür nicht, ich bin fest entschlossen, mir den Rücken frei zu halten.«

»Kümmere Dich nicht um die Fallthür,« sagte die Gräfin jetzt mit vor Wuth halb erstickter Stimme zu ihrem Bruder gewendet, der plötzlich seine ritterliche Haltung vollständig eingebüßt hatte und dafür ein gewisses Gefühl der Unbehaglichkeit zur Schau trug. »Ich werde die geforderte Summe bewilligen und berichtigen. Aber zeigen Sie mir erst das Blatt; ich muß wissen, ob wir nicht getäuscht worden sind.«

»Zuerst das Geld, wenn ich bitten darf!« entgegnete Merle brutal. »Solch ein Papierfetzen ist schnell vernichtet, und ihn zu ersetzen vermöchte ich nicht!«

»Befinden wir uns nicht auf der Fallthür?« fragte die Gräfin, im Uebermaße ihrer Verachtung die Achseln heftig zuckend.

»Gnädigste Gräfin, alle Achtung vor Ihrer Entschlossenheit!« versetzte der Gauner zuvorkommend. »Hier ist das Blatt,« fügte er hinzu, das zusammengefaltete Papier darreichend, ohne jedoch die rechte Hand von dem Verschlusse der Fallthür zu entfernen.

Die Gräfin ließ ihre Blicke prüfend über das Blatt gleiten, dasselbe so haltend, daß ihr Bruder mit hineinsehen konnte. Die Züge Beider drückten eine hohe Spannung aus, und kaum wagten sie zu athmen vor Erwartung und innerer Aufregung.

Plötzlich legte die Gräfin ihren Zeigefinger auf eine Stelle ganz unten am Rande des Papiers, und indem sie langsam las, folgte die Fingerspitze den nächsten Zeilen Wort für Wort nach.

»Es ist richtig,« bemerkte sie endlich, und ein heller Triumph blitzte aus ihren Augen.

Nachdem sie darauf aus ihrer und ihres Bruders Börse die geforderte Summe zusammengezählt hatte, händigte sie Merle das Geld ein.

»Auf ein Gegenversprechen des Schweigens von Ihnen verzichte ich,« sagte sie mit ihrem gewöhnlichen, hochmüthigen Wesen zu dem fast achtungsvoll zu ihr emporschauenden Gauner; »Sie würden doch thun, was Sie wollen ...«

»Keineswegs, gnädige Gräfin, mein Ehrenwort ...« stotterte dieser, förmlich berauscht durch den Anblick des in seinen Händen befindlichen Reichthums.

»Unterbrechen Sie mich nicht,« fiel ihm die Gräfin voller Verachtung in die Rede, »ich verlange Ihr Ehrenwort nicht, nur das Licht reichen Sie mir, damit ich unser Uebereinkommen besiegle; ich würde es mir selbst holen, wenn ich Ihnen nicht den Gefallen erweisen möchte, bis zum letzten Augenblicke auf der Fallthür sitzen zu bleiben.«

Merle trieb mit einem Stoße seiner Hand den Keil wieder tief in den Ring hinein, und dann emporspringend, reichte er der Gräfin die brennende Kerze mit einer Verbeugung dar.

Diese nahm das Licht in die linke Hand, und das Blatt unverzüglich der Flamme nähernd, brannte sie die eine Ecke desselben an, worauf sie Merle das Licht zurückgab.

Aller Augen waren auf das brennende Papier gerichtet, welches die Gräfin, um sich des Anblickes länger zu erfreuen, so hielt, daß die Flammen nur sehr langsam niederwärts glitten. Niemand sprach ein Wort; die eigenthümlich roth beleuchteten Gesichter dagegen drückten eine Spannung aus, als ob von der Vernichtung des Documentes das Geschick von Welten abgehangen hatte, und merkwürdig contrastirte der auf den Zügen der Geschwister ausgeprägte Triumph zu dem Bedauern, mit welchem Merle das Papier in Asche zerfallen sah, dem er eine so reiche Beute abzugewinnen gewußt hatte.

Als die Flammen endlich die behandschuhten Fingerspitzen der Gräfin berührten, legte sie den letzten Rest des Papiers vor sich nieder, sorgfältig darauf achtend, daß auch dieser vollständig verzehrt wurde.

Die Flamme erlosch; eilfertig tanzten und rannten die letzten Funken auf den schwarzen Aschenflocken hin und her, und tiefer neigten die drei Gesichter sich über dieselben hin.

Sie boten einen unheimlichen Anblick dar, diese von den verschiedenartigsten Gefühlen bewegten Menschen, wie sie in der Ausführung verbrecherischer Anschläge jeden Standesunterschied vergaßen, sich gleichsam auf eine Stufe stellten und unwillkürlich dichter zusammenrückten; doppelt unheimlich bei der Todtenstille, welche sie umgab.

»Es ist geschehen!« sagte die Gräfin endlich mit einem Ausdrucke, als wäre eine unendliche Last von ihrer Brust gewälzt worden, und zugleich verschwand ein kleines, geisterbleiches Antlitz, welches während der letzten Minuten neugierig in das Gemach hineingespäht hatte, hinter dem Thürpfosten.

»Es ist geschehen!« wiederholte der Graf in gleicher Weise.

»Ja, es ist geschehen!« sagte auch Merle, indem er seine Hand krampfhaft auf die mit Gold gefüllte Tasche drückte, wobei er sich eines gewissen Bedauerns nicht erwehren konnte, nicht mehr gefordert zu haben.

Die Gräfin und der Graf erhoben sich.

Erstere warf noch einen starren Blick auf das schwarze Aschenhäufchen und dann vernichtete sie auch dieses, indem sie ihren schmalen Fuß heftig auf dasselbe stellte.

Ein giftiges Hohnlächeln flog über ihr stolzes Gesicht, ein Hohnlächeln, welches sogar Merle mit Scheu erfüllte.

»Die Todten kehren nicht in's Leben zurück, und in Asche ist der letzte Beweis zerfallen!« sagte sie laut und vernehmlich, obwohl wie zu sich selbst sprechend. Dann aber sich emporrichtend, zeigte sie einen Ausdruck, so ruhig und kalt, als wären die Begebenheiten der letzten Stunden nur ein harmloser Traum gewesen.

»Gestatten Sie uns jetzt, Ihre Fallthür zu verlassen?« fragte sie den Gauner, und ihre Lippen kräuselten sich höhnisch und in grenzenloser Verachtung empor.

»Die gnädige Gräfin haben in diesem Hause wie auch ganz besonders über meine Person zu befehlen,« antwortete Merle unterwürfig; »sei es Tag oder Nacht, die gnädigen Herrschaften werden stets einen gewissenhaften Diener in mir finden.«

»Gut, so befehle, ich Ihnen, uns voranzuleuchten ...« - Hier schwieg die Gräfin bestürzt; ein leises, schlürfendes Geräusch hatte von dem Gange her ihr Ohr erreicht.

»Was war das?« fragte sie ängstlich. »Ich hoffe, es sind keine Zeugen zugegen gewesen?«

»Keine anderen Zeugen, als Ratten und Mäuse,« erwiderte Merle, der sich ebenfalls entfärbt, aber schnell wieder gefaßt hatte. »Den Weg hier herauf zu finden, würde selbst am hellen Tage Niemandem gelungen sein, ohne sich durch Knarren und Poltern anzumelden; aber kommen die gnädigen Herrschaften und überzeugen Sie sich selbst.«

So sprechend, schritt er, beständig hinter sich leuchtend, auf den Gang hinaus und diesem nachfolgend bis an die leiterähnliche Treppe vor. Hier blieb er eine Weile lauschend stehen, und mit ihm lauschten die beiden Geschwister.

Todtenstille herrschte in dem ganzen Hause; von der Straße herauf hallten deutlich die schweren Schritte eines einzelnen Vorübergehenden, während aus der Ferne sich das gedämpfte Rollen der Wagen vernehmen ließ und von den Thürmen der Kirchen das Ende der Mitternachtsstunde angemeldet wurde.

»Dies ist ja eine schreckliche Passage!« brach der Graf endlich das Schweigen, indem er bis dicht an die Treppe vortrat und niederwärts schaute. »Wie sollen wir da hinuntergelangen?«

»Der Weg ist allerdings etwas unbequem,« entgegnete Merle und behutsam kletterte er voraus, um seinen Begleitern diejenigen Stufen zu bezeichnen, welchen sie sich ohne Besorgniß anvertrauen durften. »Ich habe Sie im Dunkeln heraufgeführt, weil ich vermuthete, Sie würden mir nicht folgen, wenn Sie den halsbrechenden Weg sähen.«

»Verräth uns der Lichtschimmer nicht?« fragte die Gräfin, einen gleichgültigen Blick in die schwarze Tiefe sendend.

»Hier oben nicht,« antwortete Merle, »unten dagegen werde ich das Licht auslöschen müssen.«

Dies waren die letzten Worte, die in dem verödeten Hause gewechselt wurden.

Zehn Minuten später lugte Merle vorsichtig durch die Thürspalte auf die Straße hinaus.

»Die Luft ist rein,« flüsterte er rückwärts.

Die Pforte knarrte und kreischte, die drei Gestalten traten hastig in's Freie, und mit klingendem Schalle flog der fest herangezogene Riegel des verrosteten Schlosses in die leere Haft des Thürpfostens.

Ohne einen Augenblick zu zögern, traten die nächtlichen Wanderer eiligen Schrittes den Heimweg an, Merle als Führer voran, und dicht hinter ihm der Graf und die Gräfin. Die Luft war kalt, die Sterne funkelten hell und fröstelnd; die drei Wanderer dagegen schienen abgestorben gegen äußere Einflüsse zu sein, in ihren Adern rollte das Blut heiß und wild.

Weit waren die Umwege, auf welchen der schlaue Merle seine hohen Gönner deren heimischem Stadtviertel zuführte, und nur langsam vergrößerte sich die Entfernung zwischen ihnen und dem verödeten Hause.

Dem Hause sah Niemand an, daß daselbst überhaupt eine heimliche Zusammenkunft stattgefunden hatte; Balken und Mauerwerk können ja nichts erzählen, und die Steine, die Riekchen aus dem Fachwerke genommen hatte, befanden sich längst wieder in ihrer alten Lage.

Riekchen selbst aber eilte flüchtigen Fußes durch die engen Gassen in nächster Richtung dem heimatlichen Obdache zu.

Ihr Herz war so voll; sie mußte zu ihrer Mutter, um zu erzählen von den schönen, vornehmen Leuten, die mit dem Vater wie mit Ihresgleichen gesprochen und ihm so viel, viel Geld gegeben hatten. Sie mußte erzählen von dem Feuerwerke und der Fallthür, und wie es ihr gelungen, unentdeckt bis in fast unmittelbare Nähe der schönen, vornehmen Herrschaften zu gelangen.

Ja, des armen Kindes Herz war bis zum Zerspringen voll: der Vater war plötzlich unermeßlich reich geworden, noch reicher als der König; denn nur mit genauer Noth hatte er das viele, viele Geld in seiner Tasche zu bergen vermocht, und brauchten sie daher nie wieder gegen Noth und Sorgen zu kämpfen.

Hm, wie die glückliche Tochter durch die verödeten Gassen rannte! Bald auf der einen, bald auf der andern Seite huschte sie einher; ihre Füße waren so leicht, wie noch nie im Leben; aber sie mußten wohl leicht werden, denn die Aussichten für die Zukunft waren ja so schön, so schön, daß es sich gar nicht beschreiben läßt und dem armen Riekchen der Kopf förmlich schwirrte und schwindelte.

10. Des Doctors Intriguen.

Doctor Bergmann, angethan mit einem grauen, rothgefütterten Schlafrocke, aber unter diesem zu Besuchen gestiefelt und bekleidet, nur daß er sich seines Halstuches entledigt und den weißen Hemdkragen in altdeutscher Weise umgeschlagen hatte, wandelte mit festen Schritten in seiner Studirstube auf und ab.

Er befand sich in einer sehr angenehmen Stimmung, man sah es ihm an; denn die Brille hatte er hoch nach der Stirne hinaufgeschoben, und lustig flog die Tabaksdose aus der einen Hand in die andere, je nachdem er von deren Inhalt einen mäßigen Gebrauch machte, die bereits dünnen Haare auf seinem Scheitel durch einen kunstfertigen Griff thurmartig emporsträubte, oder endlich auch, anstatt das auf dem Schreibtische brennende Licht - er hatte vor einer Stunde einen Brief zugesiegelt - auszulöschen, durch geschickte Anwendung eines daneben liegenden Federmessers heller brennen machte.

Seine Blicke wanderten dabei fröhlich nach allen Richtungen. Bald streiften sie flüchtig die Bücher, die in langen Reihen von ihren Brettern und Fächern sehr ernst und gelehrt zu ihm niederschauten; bald hafteten sie etwas länger an den Hyacinthzwiebeln, die, auf hohen gläsernen Wasserbehältern ruhend, nach unten zahlreiche faserige Wurzeln, nach oben dagegen neben lichtgrünen Blättern bereits duftende Knospen getrieben hatten, und bald schweiften sie wieder in's Freie hinaus, wo die Menschen mit vorsichtigen Schritten auf der durch den schmelzenden Schnee fast ungangbar gewordenen Straße einhereilten.

Wohin die freundlichen, wohlwollenden Augen aber auch schweifen mochten, immer und immer wieder kehrten sie mit sichtbarem Wohlgefallen in die Richtung nach der Sophaecke zurück, in welcher ein junger Artillerie-Officier nachlässig angelehnt saß und mit einer gewissen einnehmenden Sorglosigkeit seine Cigarre rauchte.

Und wohl hatte Doctor Bergmann alle Ursache, den jungen Mann mit sichtbarem Wohlgefallen zu betrachten; denn ganz abgesehen davon, daß derselbe als seines Bruders einziger Sohn in nahem verwandtschaftlichen Verhältniß zu ihm stand, bot er auch ein so freundliches Bild unverdorbener jugendlicher Leichtherzigkeit und doch wieder männlichen Ernstes, daß man sich schon beim bloßen Anblicke im Geiste unwillkürlich mit ihm befreundete.

Da war zum Beispiel nichts von jenem anmaßenden Dünkel, der so viele, auf schillernde Nichtigkeiten eitle junge Männer auszeichnet und sie zum Gegenstande des beißendsten Spottes ihrer Mitmenschen macht; nichts von jenem trügerischen Bewußtsein angeborener Unwiderstehlichkeit, welches so manchen schönen und klugen Augen ein mitleidiges Lächeln entlockt und in den meisten Fällen durch wenig schmeichelhafte Erfolge in dunkeln Sphären gewonnen wurde. Nein, von allem diesem bemerkte man nichts. Dagegen jene harmlose Leichtfertigkeit, die gern zu launigen Einfällen und lustigen Streichen verleitet, und einen auf strengen Rechtlichkeitssinn und einen richtigen Begriff von Ehre begründeten Ernst, welcher stets der Leichtfertigkeit eine genaue Grenze vorzuschreiben und sie auf eine edle, anspruchslose Bescheidenheit zurückzuführen weiß, die entdeckte man auf den ersten Blick in den verständigen Augen, ohne dabei eine gewisse Eitelkeit zu vermissen, die nicht ohne vortheilhaften Einfluß auf den äußeren Menschen bleibt und namentlich in den jüngeren Jahren, wenn in den Schranken der Vernunft und des Anstandes gehalten, angenehm berührt.

Ganz gewiß aber durfte der junge Mann eitel sein, eben so wohl auf seine schöne, kraftvolle Gestalt, welche die einfache Uniform so wohl kleidete, wie auf sein regelmäßiges Gesicht mit den großen, braunen Augen, der hohen, geistreichen Stirn und dem von derselben zurückgestrichenen braunen Haar, nicht zu vergessen: auf den mäßig starken, blonden Schnurrbart, der so anmuthig, ohne durch künstliche Mittel dazu gezwungen worden zu sein, auf beiden Seiten in einem sanften Bogen nach oben auslief.

Doch auch der Doctor war eitel auf diese Vorzüge, vielleicht eitler, als wenn er sie selbst besessen hätte; allein er war weise genug, es den jungen Mann nicht zu sehr merken zu lassen, wenigstens hegte er die feste Ueberzeugung, in seiner Erziehungsmethode unübertroffen da zu stehen und, da ihm selbst keine Leibeserben beschieden waren, in seinem Neffen Heinrich Bergmann die Welt mit einem wahren Mustermenschen und Muster-Officier zu beglücken.

Auf den Zügen des Onkels wie des Neffen stand also geschrieben, daß sich Beide in heiterer Stimmung, befanden, ihre Unterhaltung daher dieser angemessen gewesen sein mußte, wenn sich auch hin und wieder eine kleine Meinungsverschiedenheit geltend gemacht hatte.

War die Unterhaltung aber noch so heiterer Art gewesen, jedenfalls hatte sie beide Theile zum Nachdenken veranlaßt, denn zu derselben Zeit, in welcher wir des Doctors Heiligthum betreten, herrschte in demselben feierliches Schweigen. Der Doctor ging etwas eiliger und geräuschvoller auf und ab, während Heinrich sinnend die weiße Asche an seiner Cigarre betrachtete und dabei berechnete, wie lange er wohl noch fortrauchen könne, bis die Asche von selbst abfalle.

Plötzlich blieb der Doctor vor Letzterem stehen, und wie über die Bewegung erschreckt, schaute Heinrich verwundert zu ihm auf.

»Du hast also immer noch nicht begriffen, daß ich vollkommen Recht habe?« fragte der alte Herr lebhaft, indem er bei jedem Worte mit seiner Tabaksdose laut auf den Rand des Tisches klopfte.

»Aber, lieber Onkel, Du wirst Deine schöne Dose entzweischlagen, wenn Du so zu trommeln fortfährst,« entgegnete Heinrich mit einem muthwilligen Lächeln.

»Nein, nein, ist mir in meinem Leben dergleichen vorgekommen?« rief der Doctor aus, indem er entsetzt die Schultern hoch emporzog und mit schnellen Schritten einen Kreis durch die ganze Stube beschrieb. »Nein - mir auf meine Frage in solcher Weise zu antworten! Sage, Mensch, was geht Dich meine Tabaksdose an?« fragte er mit verstelltem Grimme, und vor seinen Neffen hintretend, ließ er die Dose mit verstärkter Gewalt auf den Tisch fallen.

»Lieber Onkel, denke Dir, wenn die Dose entzweispränge, das kostbare Andenken von Deinem ...«

»Hast Recht, Schlingel,« unterbrach der Doctor seinen Neffen besänftigt, indem er die Dose flüchtig betrachtete. »Tausend Welt, hätte ich die Dose zerbrochen, würde ich mich sehr geärgert haben! Aber wovon sprachen wir noch? Ach ja, ich fragte, ob Du endlich zur Vernunft gekommen wärest?«

»Bitte um Verzeihung, lieber Onkel, das fragtest Du eben nicht, sondern Du sagtest ...«

»Hol' Dich doch der Teufel mitsammt Deiner Gewissenhaftigkeit!« polterte der Doctor, eine neue Volte abschreitend. »Tausend Welt, wenn ich es nicht gesagt habe, so habe ich es wenigstens gemeint, und ich frage Dich jetzt zum letzten Male, ob Du mir Rede stehen willst, oder nicht?«

»Gewiß, Onkel, wenn Du mich aussprechen lassen willst. Aber Du unterbrichst mich stets in einer Weise, als ob ich es jemals an der nöthigen Achtung und Anhänglichkeit hätte fehlen lassen.«

»Habe ich das gethan?« fragte der Doctor milde. »Hm, so war es allerdings nicht gemeint; man ist hitzig, das ist wahr, obwohl ich sonst der ruhigste Mensch von der Welt bin; allein Du machst mir auch manchmal den Kopf warm, und wenn Du nur das Geringste von Deinem alten Onkel hast, so mußt Du einräumen, daß es sehr gescheidt von mir war, der Gräfin Renate in Deinem Namen einen Abschiedsbesuch zu machen und ihr zu sagen, Du seist abgereist.«

»Das ist es ja eben, was ich nicht begreife; denn erstens denke ich noch lange nicht an's Abreisen, und zweitens wird die Gräfin bald genug von anderen Seiten erfahren, daß ich noch hier anwesend bin, oder mir auch eines guten Tages auf der Straße begegnen. Ich müßte also, um uns Beide nicht in Verlegenheit zu bringen, entweder mich hier einschließen und nur im Dunkeln wie ein Dieb durch die Straßen schleichen, oder, noch sicherer, ich müßte wirklich gleich abreisen, um meinen lieben Herrn Onkel von meiner unbequemen Gegenwart zu befreien.«

»So, abreisen meinst Du - unbequeme Gegenwart meinst Du?« fragte der Doctor ruhig, indem er mit den Fingern beider Hände einen Wirbel auf der Tabaksdose trommelte; »ich sage Dir, Du bleibst bis zur letzten Minute hier, und wenn Dir die Gräfin begegnet, so theile es mir nur gleich mit, ich werde ihr dann sagen, daß - daß - Tausend Welt, daß ...«

»Nun, lieber Onkel, daß ich Nachurlaub erhalten hätte.«

»Gut, gut, Heinrich, bist ein schlauer Patron; also, daß Du Nachurlaub erhalten hättest ...«

»Und daß ich ihr zu den himmlischen Abendgesellschaften wieder zu Befehl stände.«

»Ich denke nicht daran. Tausend Welt! Meine ganze Mühe wäre ja vergebens! Nein, dergleichen sage ich nicht, und wenn ich ...«

Hier brach der Doctor ab, und es erbebte die Stube unter den festen Schritten, mit welchen die kleine, corpulente Gestalt einen neuen Kreis beschrieb.

»Theuerster Onkel, ich hoffe, Du bezweifelst nicht, daß ich mir die größte Mühe geben werde, ganz in Deinem Sinne zu handeln, daß ich sogar Kehrt mache, wenn ich die Gräfin von Weitem sehe,« begann Heinrich nach kurzem Sinnen, gegen ein muthwilliges Lachen ankämpfend; »aber nun bitte ich Dich auch dringend, sage mir offen und ehrlich den Grund, weshalb Du uns diese Verlegenheit bereitet hast. Wäre es denn ein Unglück gewesen, wenn ich die Gräfin nach wie vor besucht hätte, oder hat sie sich am Ende gar mißfällig über mich ausgesprochen?«

»Mißfällig, sagst Du? Tausend Welt, nicht mißfällig, nein, lieber gerade das Gegentheil!«

»Ei, was sagt sie denn?« fragte der junge Mann, und die Freude färbte sein Antlitz mit einer flüchtigen, tieferen Röthe.

»Nichts sagte sie, wenigstens nichts, das Dich etwas anginge,« erwiderte der Doctor barsch, dabei aber heiter mit den Augen zwinkernd.

»Jedenfalls wird es wohl der Art gewesen sein, daß mir dadurch ihr Haus nicht verschlossen worden ist,« warf Heinrich scheinbar gleichgültig ein; denn nachdem der Doctor bereits so viel verrathen hatte, bot er seinen ganzen Scharfsinn auf, Alles, bis auf das letzte Wort, aus dem sonderbaren alten Herrn herauszulocken.

»Und dennoch ist Dir ihr Haus dadurch verschlossen worden,« bemerkte der Doctor kaltblütig, indem er seinen unterbrochenen Spaziergang wieder aufnahm; »zwar nicht thatsächlich verschlossen, aber - genug, ich halte es für gut, daß Du für sie abgereist bist.«

»Wohlan, ich bin also für die Gräfin abgereist und ich will auch genau nach Deinen Vorschriften handeln, lieber Onkel; vorher aber muß ich wissen, wie die Gräfin sich über mich geäußert hat.«

»Nun, sie bedauerte Deine Abreise und meinte, daß es Dir in ihrem Hause außerordentlich zu gefallen schiene.«

»Ist denn das ein Unglück?« fragte Heinrich, indem er sich aufrichtete und mit gespannten Blicken den Doctor auf seinem Spaziergange verfolgte.

»Ein Unglück ist es gerade nicht, aber es kann sehr leicht eins daraus entstehen, und damit abgemacht, Tausend Welt!«

»Wenn ich nur wüßte, wie?« bemerkte Heinrich, wie in tiefe Gedanken versunken und dabei so kläglich und flehend, daß des Doctors Herz dadurch gerührt wurde und er sich mit einer hastigen Bewegung neben seinen Neffen auf das Sopha warf.

»Höre, Heinrich,« begann er, des jungen Mannes Hand mit Herzlichkeit ergreifend, während dieser seinem Onkel einen triumphirenden und zugleich liebevollen Seitenblick zuwarf, »ich habe es jetzt satt. Du treibst mich mit Deinen Fragen in die Enge, daß ich nicht wohin und woher weiß; dabei setzest Du Dir Alle möglichen schrecklichen Dinge in den Kopf, und nebenbei ärgere ich mich noch über mich selbst, so daß ich keine vergnügte Stunde mehr habe. Ich denke daher, es ist am besten, wir verständigen uns. Du bist nachgerade ein Mann, mit dem man über dergleichen Sachen reden darf und der aus Allem eine Lehre zu ziehen weiß. Du hast also in dem Hause der Gräfin Renate, theils aus alter, aus den Kinderjahren herrührender Gewohnheit, vorzugsweise aber, weil ich Dein Onkel bin, eine sehr gute Aufnahme gefunden, worüber ich mich gefreut habe. Anstatt nun bei einem oder zwei Besuchen die Sache bewenden zu lassen, bist Du fast alle Tage hingelaufen, ohne zu wissen, ob Deine häufigen Besuche der Gräfin auch wohl angenehm sind.«

»Lieber Onkel, Du wirst mir doch genug richtiges Gefühl zutrauen, um ermessen zu können, ob die mir erwiesene Freundlichkeit, Wahrheit oder nur Schein ist? Ober hältst Du für möglich, daß die Gräfin, wenn ich ihr zur Last fiele, mich immer wieder, und zwar so sehr herzlich einladen würde?«

»Geschieht Alles meinetwegen, ja, nur meinetwegen, mein Sohn; schwerlich würde sie Dich sehr herzlich einladen, wenn ihr alter Freund, der Freund ihrer Eltern, namentlich ihrer seligen Mutter, der Doctor Bergmann, nicht gerade Dein Onkel wäre,« entgegnete der Doctor, indem er seinen wohlbeleibten Oberkörper stolz ausreckte, zuerst die Haarpyramide auf seinem Scheitel mit lobenswerthem Selbstbewußtsein etwas steiler emporthürmte und demnächst sehr entschieden eine Prise nahm.

»Also ich darf mir nicht schmeicheln, in so hohem Grade von der Natur bevorzugt worden zu sein, daß ich meiner Person und meines Charakters wegen zu leiden wäre?«

»Das sagt Niemand, Tausend Welt! Im Gegentheil, Du bist ein anständiger Mensch, hast etwas gelernt, besitzest Charakter und weißt Dich zu benehmen; allein in diesem Falle mußt Du mir schon erlauben, die Hauptperson zu sein. Ruhig, ruhig, mache nicht solch' ungläubiges Gesicht und laß mich aussprechen; ich verstehe das besser und meine es gut mit Dir.«

Heinrich lehnte sich mit komischer Resignation in die Sophaecke zurück; der Doctor ergriff spielend ein vor ihm auf dem Tische liegendes Lineal, und nachdem er einen kunstgerechten Triller auf demselben geblasen, fuhr er fort:

»Ja, mein lieber Herr Lieutenant, daß ich Dich etwas von meiner kleinen, braven Gräfin entfernt zu halten suche, hat seinen Grund darin, weil ich nicht wünsche, daß Du von anderen, hochadeligen Herrschaften, mit denen Du in ihren Cirkeln zusammentriffst und die Dir nicht das Wasser reichen, ich meine, die im Vergleiche mit Dir lauter Strohköpfe sind, über die Schulter angesehen werdest.«

»Wer mich über die Schulter ansieht, den sehe ich ebenfalls über die Schulter an; außerdem schützt mich der holden Gräfin Liebenswürdigkeit gegen alle unangenehmen Auftritte, und dann, theuerster Onkel, weiß ich zu antworten, wenn nöthig, auch meine Worte zu vertheidigen.«

»Weißt Du wirklich? Ih, das ist ja ein ganz neues Talent, welches ich in Dir entdecke. Nun, vertheidige immerhin, so lange kein Blut dabei fließt, soll es mir schon recht sein; und was Deine holde Beschützerin anbetrifft, da wünsche ich, daß sie lieber wer weiß wen, als Dich beschützte. Aber es verhält sich so, wie ich sagte: geschieht Alles nur meinetwegen, kannst Dich darauf verlassen, nur ihres alten, väterlichen Freundes wegen.«

»Aber, lieber Onkel, ich sehe noch immer kein Unglück darin, wenn die Gräfin Renate mich auch nur Deinetwegen beschützt; oder sollte mein vortrefflicher Herr Onkel vielleicht gar eifersüchtig geworden sein?«

»Tausend Welt - ich und eifersüchtig? Die Gräfin liebt mich, wie ihren zweiten Vater, und ich liebe sie eben so sehr, wie Dich. Dabei ist übrigens gar nichts zu verwundern, denn das Mädchen verdient, von der ganzen Welt geliebt und verehrt zu werden, und wer sie so kennt, wie ich sie kenne, der muß sie lieben, und besäße er ein Herz, härter, als der härteste Kieselstein. Tausend Welt, Heinrich, Du glaubst nicht, was das für ein braves, edelherziges Mädchen ist!« fügte der Doctor eifrig hinzu, an seine Lippen flog das Lineal, und wenn das ungeschickte Holz nur einen Ton von sich zu geben vermocht hätte, dann wäre ein Triller gefolgt, wie ihn nur eine Nachtigall zu flöten vermag, wenn sie im traulichen Waldesdunkel der Liebe ein Loblied singt.

»Theuerster Onkel, ich kenne die Gräfin zwar Nicht so genau, wie Du sie kennst, allein deshalb glaube ich doch kaum, daß ich sie weniger liebe, als Du,« versetzte Heinrich, seine Cigarre verächtlich fortlegend, als ob es ein Verbrechen gewesen wäre, von der lieblichen und hochgepriesenen jungen Gräfin zu sprechen und dabei kaltblütig Tabakswolken von sich zu blasen.

»Da haben wir das Unglück!« rief der alte, lebhafte Herr aus, indem er sich ganz zu seinem Neffen herumschwang, um aus dessen Augen herauszulesen, in wie weit sein Ausspruch ernstlich gemeint sei, »Du liebst sie schon - so? Hm, das hat rasch gegangen. Aber weißt Du auch, daß das gerade die Geschichte ist, die ich zu umgehen wünschte? Daß ich gerade deshalb Dich von Renaten fern halten wollte, weil ich weiß, daß Jeder, der sie nur dreimal gesehen hat, sie lieben muß?«

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