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ANREDE

»Meine gefühlten Herzgrüße und Empfehlungen« – so beginnt eine E-Mail, die Professor S. in Tübingen eines Tages auf seinem Bildschirm fand, abgesandt von einem Absolventen der Universität Madras/Indien, der sich bei ihm um einen Posten bewarb, »ungeachtet der Tatsache, dass ich in ganz eine bequeme Position in der gegenwärtigen Universität gelegt werde«.

»Ist er schon deutscher Beamter?«, fragt dazu S.

Meine gefühlten Herzgrüße: eine ganz wunderbare Grußformel, wie ich finde, geeignet sowohl für Anfang wie für Ende von Briefen, wobei ich statt des ewigen »Mit freundlichen Grüßen« auch jenen Briefschluss in Erwägung ziehen würde, den mir Frau S. aus dem Münchner Fremdenverkehrsamt überließ, ein schönes und rares Stück aus Belgien: »Vorwärtshörfähigkeit von Ihnen bald schauend, danken wir Ihnen für Ihre Hilfe und Mitarbeit.«

Vorwärtshörfähigkeit – das haben viel zu wenige Menschen. Rar sind schon jene, die voraus schauend sind, aber vorwärts hörend? Ich wüsste niemand zu nennen. Rätselhaft bleibt, wie man eine Vorwärtshörfähigkeit schaut. Aber gut.

Alternativ kann ich anbieten, was Herr Dr. H., seines Zeichens Philologe in München, mir von einem seiner Kollegen in Weimar berichtete: Der erhielt eines Tages das Schreiben eines japanischen Germanisten, welches, so H., in die »unübertreffliche Formulierung« mündete: »Mit kochendheißem Dankgebet.«

Ein bisschen spezieller, weil persönlicher ist, was ich einem Schreiben von Leser T. aus Waldshut entnehme, der in seiner Familie vor Jahren eine französische Austauschschülerin zu Gast hatte, Anne aus Blois war das. Kaum nach Blois zurückgekehrt, schrieb Anne einen Brief, dankte für den angenehmen Aufenthalt und schloss mit einem besonderen Gruß an die Tochter: »Und viele Nordwinde für Petra.« Ein Rätsel. Bis man im Lexikon nachschlug und entdeckte, dass Anne wohl hatte schreiben wollen: »Und viele Küsse für Petra«. Kuss bzw. Wangenkuss heißt bise im Französischen, schlägt man aber unter bise nach, findet sich als erste deutsche Bedeutung »Nordwind«, dann erst »Wangenkuss«. Aber ist ein Nordwind – zumal in einem heißen Sommer – nicht ein ganz wunderbarer Gruß aus der Fremde?

Bei zu viel Nordwind kann ein Brief allerdings auch enden wie der, den vor Jahren eine meiner Leserinnen bekam. Er war unterzeichnet mit den Worten »Nach Diktat vereist«. Kaum hatte ich davon in einer Lesung dem Publikum berichtet, meldete sich Frau F. aus Köln, die den Abschiedsbrief einer aus der Firma scheidenden Kollegin zitierte. Er endete so: »Damit verbleiche ich mit freundlichen Grüßen.«

ANSCHLUSSMOBILITÄT

Was ich an der Deutschen Bahn immer besonders geliebt habe, war, dass sie eine eigene, ganz unverwechselbare Sprache hat (→ Fahrgastwunsch, Übergangsreisender), die einem immer neu zu denken gibt. In der es Wörter gibt wie »Anschlussmobilität«, das ich vor Jahren in der Bahn-Zeitschrift mobil entdeckte.

Was damit gemeint ist?

Einfach, dass man auch nach Verlassen des Zuges nicht stehen bleibt, sondern sich weiter bewegt, zum Beispiel mit Call a Bike oder DB Carsharing, ihrerseits ganz neue Wörter aus dem Bahnsprech. Man kann natürlich auch weiter gehen. Oder sich von der Ehefrau mit dem Auto abholen lassen, gute alte Formen der Anschlussmobilität, für die wir aber bisher einfach kein Wort hatten. Solche Wörter erfindet die Bahn für uns, da ist sie ganz groß, das macht ihr keiner nach.

Leser T. schickte mir eine E-Mail, in der er beschrieb, was er auf der Anzeigetafel las, als er von München aus mit dem ICE nach Mannheim fahren wollte: »Zug verkehrt in umgekehrter Zugreihung.«

Das sind Momente, in denen der Reisende sich wünscht, es gäbe ein kleines Lexikon der Bahnsprache, in dem man nachschlagen könnte, was eine »Zugreihung« ist, sodass man sich dann selbst vorstellen könnte, was es bedeutet, wenn man diese Zugreihung umkehrt. Herr T. schrieb, er habe dank der Wagennummerierung seinen reservierten Sitzplatz gefunden und gleich darauf den »Zugbegleiter« (auch so ein Wort!) gehört, wie er über Lautsprecher bekannt gab: »Dieser Zug verkehrt heute in umgereihter Zugreihung…«

Hä?

»… das heißt, die erste Klasse befindet sich am Zuganfang.«

Aha. Und wo war noch mal der Zuganfang?

Am Bahnsteigende.

Apropos Anfang und Ende. Da fällt mir ein, was der Zugchef einmal auf einer Fahrt nach Westdeutschland mitteilte: dass nämlich der Zug einen »Zuglaufteil« mit sich führe, der nur bis Köln »verkehre« – und dann? Darüber informierte der Zugchef dergestalt, dass er sagte: »Die Wagen verbleiben in Köln und enden dort.« Und auch Herr H. aus Erlangen schrieb mir, er habe sich neulich »in der Anfahrt« (ach, seufz!) auf Nürnberg befunden, als es hieß: »Der Zug endet hier, bitte alles aussteigen!«

Dazu bemerkt H. in seinem Brief: »Nachdem ›alles‹ ausgestiegen ist, werfe ich einen wehmütigen Blick auf den noch ganz rüstig aussehenden Zug, der hier endet, und bin froh, daß ich mit meinem Gepäck dem Ende entrinnen konnte!« In der Zeitung las ich dann, die Bahn bemühe sich nun um einen neuen Ton in ihren Ansagen, man werde die Bahnsprache reformieren und zum Beispiel nicht mehr vom »Wagen mit der Ordnungsnummer sieben« reden, wenn man auf den Speisewagen verweise, sondern einfach vom »Wagen Nummer sieben«.

Eine Sprachwelt geht unter. Endet hier.

Schade.

AUFSTELLUNGSORT DES SEINS

Das Reisen ist ja in den Zeiten der Pauschalreisen und Billigflieger bis zur Unerträglichkeit so banalisiert worden, dass der empfindsame Mensch am liebsten nur zu Hause bliebe. Doch lässt sich beweisen, dass es noch Ziele gibt, an denen es Unglaubliches zu entdecken gibt (→ Betäubunglärm), Abenteuer der Poesie und Leidenschaft, so erregend, dass ich mit dem Gedanken spiele, eine Tourismus-Gesellschaft zu gründen, Wortstoffhof-Tours, warum nicht? Hier eine Auswahl möglicher Ziele:

Das Hotel S. Mamede in Portugal, auf das mich Frau D. aufmerksam machte, die in einem Münchner Reisebüro arbeitet und der Folgendes angeboten wurde: »Hotel S. Mamede benutzen 41 Viertel und 2 Räume. Alle Viertel haben privative WC, Trockner des Haares, bedingte Luft, Stab, Aufstellungsort des Seins, Aufstellungsort der Mahlzeiten und Aufstellungsort des Fernsehapparates.«

Das Hotel Principe Palace am Lido di Jesolo in Italien, das Frau T. aus Bischofswiesen kennenlernte. Das Hotel empfiehlt seinen Gästen Exkursionen nach Österreich, wo ein rares Vergnügen angeboten wird: »Durchnässen Sie auf der Atmosphäre des Landes zusammen mit dem Probieren des örtlichen Apfelstrudels.«

Die kleine Stadt Nant in Frankreich, die Frau V. aus München besuchte. Dort gibt es eine Kirche, an deren Eingang dieses Angebot gemacht wird: »Um Ihnen zu erlauben, die Schönheit besser zu schätzen von dieses Romane Abteikirche: stehen zu Ihrer Verfügung – Ein Zeitmesser, um ›schönen Christus von Nant‹ zu beleuchten, tief in die Die Kirche, an Ihrer Rechte, indem man hineingeht. – Ein Zerstäuber der Umgebungsmusik mit Beleuchtung des ganze angesiedelten Gebäudes, indem man auf der niedrigen Seite der Rechte aufrichtet, angesichts des dritten Pfeilers. Dort ein Stück von 1 Euro zu rutschen, dann zu bewundern.«

Urlaub auf dem Bauernhof L’Uliveto bei Imperia, wie Frau W. aus Wien ihn kennenlernte: »Für die Entspannung der netten Gäste bietet der Garten Winkel von Schatten und anderen von Tankfüllung allein an … Die Struktur verfügt über fünf Wohnungen von verschiedenen Oberflächen alle mit FERNSEHER satellitare und beraubt Parkplatz … Vorherige nach Buchung kann Ausflüge im Boot machen sowohl für sportliche Fischerei sowohl für die Sichtung von Walen ins Heiligtum der Walfische.«

Schließlich das Hotel La Perla in Rimini, von dem mir Leser S. berichtete. Es heißt dort auf der Internet-Seite: »Das Hotel La Perla von Rimini hat von Semprini Familie, die eine Erfahrung prahlt, geleitet von darüber hinaus 20 Jahre, siegreiche auch mit dem 1° Preis ›Gradisca 2001,‹ im 2002 und im 2003, außer: Besonderer Preis 2004! Das Hotel La Perla bietet die folgenden Dienste an: Heben Sie; Nacht-Pförtner; Weltraum hat mit Tischen und Stühle auf dem Spaziergang ausgestattet; Herrenfriseur und schmutzige Wäsche-Dienste (auf Bitte); Großer Karpfen-Arche…«

Wenn man darauf am Ende eines langen Lebens zurückblicken könnte, auf ein Leben voller Reisen. Einmal am Aufstellungsort des Seins gewesen! Einmal Umgebungsmusik zerstäubt! Einmal auf der Atmosphäre Österreichs durchnässt! Einmal das Heiligtum der Walfische gesehen – und auch die Große Karpfen-Arche!

Alles hätte sich gelohnt, nicht wahr?

AUF- UND ABSCHMELZEN

Aus der Welt der Koalitionsverhandlungen drang vor Jahren das Wort »Ehegattensplitting« an mein Ohr. Das hört sich an, dachte ich, wie ein anderes Wort für Scheidung, oder es klingt jedenfalls irgendwie nach einem schweren, mit Äxten ausgetragenen Ehestreit, bei welchem am Ende der eine oder andere Gattensplitter im Flur liegt.

Aber es ist ein Begriff aus dem Steuerrecht. Man wolle das Ehegattensplitting »maßvoll und flexibel abschmelzen«, sagte damals Frau Göring-Eckardt von den Grünen.

Abschmelzen.

Der Sprachfreund staunt, wie jenes wunderbar klangvolle Wort, das Connaisseure am liebsten im Konjunktiv genießen (Hamlet: »Oh, schmölze doch dies allzu feste Fleisch…«), wie dieses Poetenverb also nun in der Hans-Eichel-Welt angekommen ist. Und wie doch das Steuerrecht alles im Leben aufnimmt und sich anverwandelt, auch die Liebe, die stets beginnt mit maßlos-leidenschaftlichem Dahinschmelzen im Arme eines anderen und dann eben endet im maßvoll-flexiblen Abschmelzen von Gattensteuersätzen.

Schmelzlich, schmelzlich, wie der Chinese sagt.

In vielen Fällen sind die Vorteile, welche Ehepartner aus dem Splitting ziehen, ja nichts anderes als Schmelzensgeld. Kann eigentlich etwas, das abschmilzt, auch aufschmelzen? Irgendwo bei Goethe heißt es:

» Das Allerstarrste freudig aufzuschmelzen

Muss Liebesfeuer allgewaltig glühen.«

Aber hier liegt der Verdacht nahe, der Alte habe das »auf« bloß aus metrischen Gründen angefügt; ihm wäre sonst der Versrhythmus zum Teufel gegangen. Hätte er übrigens geschrieben »Das Allerstarrste freudig abzuschmelzen«, wäre es das Gleiche gewesen – zwischen Auf- und Abschmelzen ist kein Unterschied, immer wird Hartes weich und Festes flüssig.

In Ganghofers Roman Das große Jagen findet sich der Satz: »Würdevoll, die Amtsmiene mit einiger Heiterkeit aufgeschmälzt, betrat der Landrichter … den stillgewordenen Hofraum.« Aber hier bedeutet »aufschmälzen«: einer Sache etwas hinzuzufügen, so wie man Maultaschen oder Brotsuppe mit Fett aufschmälzt, nicht wahr? Vor Jahren noch hätte man gesagt: »Frank Lehmann, die Berichterstattermiene mit einiger Heiterkeit aufgeschmälzt, verkündet uns Tag für Tag das Abschmelzen der Aktienkurse.« Sie erinnern sich an Lehmann? Das war jener Herr, der früher vor der Tagesschau die Börse kommentierte, lustig wie im Kasperltheater.

Man wartete immer, dass einer kam und ihm mit Kasperls Klatsche auf den Kopf haute. An manchen Tagen wollte man’s am liebsten selbst tun.

Was noch mal das Ehegattensplitting angeht, so handelte es sich bei seinem Abschmelzen um eine Steuererhöhung, wenn ich alles richtig verstanden habe. Seltsam: Gewinne, Aktienkurse, Vermögen, auch die Polkappen – alles schmilzt ab. Aber die Zeiten werden immer kälter und härter.

AUSGEMACHTENUDELTUCKE

Dank eines weit gespannten Leserkorrespondentennetzes bin ich seit einiger Zeit in der Lage, über kulinarische Entwicklungen in aller Welt zu berichten, von denen man anderswo nicht mal etwas ahnt (→ Drahthuhn, Fischtageszeitung, Huhntorte). In diesem Kapitel möchte ich auf ungewöhnliche gastronomische Ideen rund um den Globus hinweisen. Bitte bedenken Sie: Jedes Küchengenie hat namenlos begonnen, und was heute noch ohne Aufsehen in Quedlinburg oder der Bretagne aufgetischt wird, kann morgen schon in berühmten Restaurants Münchens, Hamburgs oder Berlins auf dem Teller liegen.

Ich habe mir erlaubt, die Zuschriften nach Länderküchen zu gliedern.

Deutsche Küche. Hier ist von einer erstaunlichen Entwicklung zu berichten, zuerst von Familie B. bei einem Ausflug in Quedlinburg entdeckt, auf dem Weg zum Burgberg. Dort wurde neben Schweinebraten auch »Bauernmädchen mit Rotkraut und Klösse« angeboten. Kein Einzelfall! Denn in Kulmbach, im Bistro einer dortigen Metzgerei (Frau F. schickte mir das Inserat), gibt es: »Omas Saures Fleisch mit Baumwollnem Kloß«. Und Frau E. berichtet aus der Kantine ihrer Firma in München, dort habe eines Montags »Fenchel-Organsuppe« auf dem Speiseplan gestanden.

Ist es zu fassen? Nach der nouvelle cuisine ein nouveau cannibalisme? Das kann jeden treffen, wie ich selbst von Leser K. erfahren musste, der in der Münchner Giselastraße vor einem Lokal ein Schild fotografierte, auf dem es hieß: »Heute: Gebacken Hackefleisch mit Kartoffelen In tomaten Soß u. Basmati Reis«.

So schnell kann es gehen. Da ich selbst noch am Leben bin und keine Körperteile fehlen … Ein Familienangehöriger? Ein Namensvetter? Wir zählen jetzt jeden Tag beim Abendessen durch.

Ob übrigens die Oma in Kulmbach ihren Beilagenkloß noch selbst gestrickt hat? Die Mitarbeit von Familienmitgliedern in der Küche ist ja gelegentlich im Gastgewerbe ohnehin etwas grenzwertig, wie ich aus der Zuschrift von Frau L. und Herrn H. aus Biberbach erfuhr. Sie ließen mir das Exemplar einer Speisekarte des Highlander Hotel irgendwo in Großbritannien zukommen, auf der zunächst ein vegetarisches Gericht mit der knappen Beschreibung »Pfanne Hat Mittelmeergemüse Gebraten« annonciert wird, die nächste Speise aber schon so lautet: »Frischer Örtlicher Lachssalat Garniert Hat, der in Zitrone & Estragon sich Erschlichen Worden Ist, und Hat Sanft auf einem Bett von Gemischt Verläßt Gehockt«. Das ist wahrhaft schön gesagt, und wer nicht böswillig ist, weiß auch ungefähr, was gemeint ist. Anscheinend handelt es sich beim Highlander Hotel um einen Familienbetrieb, bei dem, wie gesagt, alle mitarbeiten müssen, denn am Schluss heißt es: »Alle gediente mit Küchenchef’s Jahreszeitlich Gemüse auftischt, und Baby Hat Kartoffeln Gekocht

Sollte halt nur das Jugendamt nichts davon erfahren.

Italienische Küche. Hier scheinen sich ähnliche Ideen Bahn zu brechen, wenn auch zurückhaltender. Eine Runde von Freunden (ich war leider nicht dabei) entdeckte auf Elba »Fisch mit Weib und frisches Tomatensoße« auf der Karte. Herrn W. aus Meran wurde im Hotel Corona in Tirano »Kotelett zur Mailänderin« angeboten (aber auch »Wird tollwütig Pennette« sowie »Ich schneide ein Gewinde zum grünen Pfeffer oder dem Gitterrost«). In Fiesole fand Frau M. aus Baden-Baden »Ausgemachtenudeltucke mit kleine Gemüse«, Frau S. aus Coburg las auf den Zattere in Venedig das Angebot »Nudelspein« im Menü und entschied sich dann lieber für »Wrüstel«. Und Frau D. aß zum Dessert in Desenzano »Tartufo schwarzer weißer Mann oder«. Schließlich diese unfassbare Nachricht: Frau von Z. aus Schwabing berichtet von einem Hotelrestaurant in Abano Terme, in dem auf der Karte »Der Schwanz des Anglers« stand. (Es ging um eine coda di rospo, einen Seeteufel, wobei coda eben auch Schwanz bedeutet und der Seeteufel im Deutschen einen zweiten, seltener benutzten Namen hat, Angler nämlich, anglerfish sagt der Engländer.)

Internationale Küche. Hier möchte ich den Brief von Frau S. aus München zitieren, die auf der Isla Margarita in Venezuela eine »Sauce de tartare« sah, die auf Deutsch »Zahnstein sosse« hieß, wie immer sie hergestellt worden sein mag. Herr B. aus Aying weilte zu Recherchen im Hotel Prima Sol El Mehdi in Tunesien und entdeckte, dass man dort zu radikaler Ehrlichkeit, den Wein betreffend, gelangt ist, denn es wurde angeboten: »Tunesischer Wein (rot und geschönt)«. Ein Catering-Service aus Haimhausen bot, berichtet Frau F. aus Freising, »Chili con cane« an, Hundechili. Man hätte das eher in Asien erwartet. Herr H. fotografierte in Lissabon eine Speisekarte, auf der »Stange des meers gekocht/geröstet« ebenso angeboten wurde wie »Schweinefleisch an der Portugiesin« und »Schweinefleisch an den Papas« (→ Schweinekäse).

Asiatische Küche. Herr H. aus Wiesbaden kann per Foto beweisen, dass in der Mensa der Universität in Mainz im Frühjahr »Gerüchte aus dem Wok« angeboten wurden.

Französische Küche. Die gewagtesten Trends kommen aus Frankreich, wo Herr R. aus Mammendorf einmal seinen Sommerurlaub verbrachte, in der Nähe von Carnac in der Bretagne. Hier scheint ein unentdecktes Genie am Werk, denn es wird angeboten, was in der Weltküche bisher unbekannt war: »Radhemmungen«. Niemand hat es bisher gewagt, »Radhemmungen« zu essen oder zu kochen, in Carnac aber werden sie auf souveränste Weise serviert und kombiniert, sowohl als Beilage eines Salattellers als auch zusammen mit »Ziegenkäse an den drei Parfüms«. Dazu dieser wohl zwischen Maschinenöl und Bremsbelag oszillierende Radhemmungsgeschmack, irgendwie dem Ich-schneide-ein-Gewinde-Gericht in Tirano verwandt – wuff! Wie schnell solche Trends in Frankreich voranschreiten, mag die wenig später eingetroffene Post von Frau L. aus Bochum belegen, die in der Camargue »Topf Formen bildet fraiche radhemmungen« auf dem Speiseplan sah, aber auch »Topf Formen des sünders fischsuppe, ausfugmasse von tomate, weibhan«, als wahre Sensation aber: »Kartoffeln am alten, grünem Salat Soße«. Eines der Hauptgerichte in Carnac übrigens: »Das Ding des Chefs«. Leider war Herr R. nicht bereit zur Bestellung. Aber man hat ja öfter Ferien. Carnac samt Umgebung sollte auf der persönlichen Reisespeisekarte jedes Gourmets von Anspruch verzeichnet sein.

Zum Ende unseres kleinen Ausflugs in die Weltküche fällt mir ein Gespräch mit Frau M. aus Mainz ein, die sich ihrerseits an eine Klassenreise nach Paris erinnerte, bei der die Schüler in einer Pariser Jugendherberge übernachteten. An deren Eingangstür stand auf Deutsch: »Bitte aufstoßen!« Man könne sich ja vorstellen, sagte Frau M., was da geschehen sei, wenn eine ganze deutsche Schulklasse diese Tür passierte. Ja, das kann man, das kann man…

AUTORENERWACHEN

Über die Frage, wann Schriftsteller eigentlich aufstehen, weiß man wenig. Fontanes Tagebücher beginnen Tag für Tag mit dem Wort »Gearbeitet«, nichts übers Vorhergehende. Bei Kafka: nichts. Bei Frisch: auch nix. Nur Thomas Mann, natürlich, notierte Morgen für Morgen: »Gegen 8 Uhr auf. Heiterer Himmel.« Oder: »8 Uhr auf. Nebel.« Oder, am 3. April 1950: »Stand versehentlich um 7 statt um 8 auf. Unbehaglich.«

Dabei interessiert die Frage, wann Schriftsteller sich morgens erheben, den Bürger brennend. Denn der Nichtschriftsteller fantasiert sich den Schriftsteller gern als Bohemien und ist überrascht (und enttäuscht) zu erfahren, dass Künstler Kinder haben, die sie wecken, oder einen Wecker, der … Egal. Worum es jetzt hier geht: dass die Süddeutsche Zeitung im Sommer 2004 einmal Tag für Tag einen Autor fragte, wann er eigentlich aufstehe.

Und was die Leute antworteten!

Kaum einer, von Yann Martel und Henning Mankell abgesehen, gab eine schlanke Antwort, teilte eine Uhrzeit mit oder so.

Nein, man las, dass Aris Fioretos sich auf Zehenspitzen aus dem Bett stiehlt »wie ein Dieb in der Nacht«, um sich dann, zwei orangefarbene Stöpsel in den Ohren, anzuschicken, »aus den Träumen Worte zu machen«.

Man las, dass Katja Lange-Müller aus einem Teller, der auf ungeöffneten Briefen steht, Linsensuppe frühstückt – unglaublich, aber anscheinend wahr.

Man las, dass Durs Grünbein gar nicht aufsteht, denn wer aufstehe, schrieb er, sei verloren. Man habe ihn ungefragt geboren, »und niemand fragt mich, ob ich sterben will. So leb ich hin und bald ist es vollbracht.«

Da bleiben einem gleich ganz früh die Linsensuppe im Hals und die Stöpsel in den Ohren stecken, so traurig ist das.

Mein Nummer-eins-Hit unter den Antworten: der wunderbare, leider verstorbene Walter Kempowski. Der stand zweimal auf, zuerst um sechs, duschte und rasierte sich, guckte aus dem Fenster – dann schlief er wieder. »Dann wird gelesen, und um neun erquickt an den Frühstückstisch geschritten. Hier kommt es zum Tagesgespräch mit meiner Frau, und dazu werden Marmeladenbrote gegessen.« Alles Passiv, aber besonders schön dieses »Tagesgespräch«, das offenbar einen so einmaligen, ritualisierten Charakter hatte. Was die Marmeladenbrote angeht: Da ruft der Leser von Uns geht’s ja noch gold mit Mutter K. ein herzliches: »Mahlpolzeipott! Fiss biste patzt!«

Auf Platz zwei meiner kleinen Antwort-Hitliste lag Michael Lentz mit dem Rat: »Bei Unschlüssigkeit, ob der zum Aufstehen angemessene Körperzustand erreicht ist, in einem unter dem Bett liegenden Buch lesen.« Ja nun, aber wie? Hat der Mann ein Glasbett? Liegt er, samt Buch, lesend unter seiner Lagerstatt?

Falls jemand übrigens unschlüssig ist, was er lesen sollte … Warum nicht mal wieder Max Frisch und seine Tagebücher, darin die Frage: »Wieso haben die Intellektuellen, wenn sie scharenweise vorkommen, unweigerlich etwas Komisches?«

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