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Читать книгу: «Lu die Kokotte», страница 6

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Mohr schickte seinen Wagen nach Hause, ging zu Fuß durch den Tiergarten und faßte seine nächsten Entschlüsse.

Oben öffnete der Professor sämtliche Fenster; hielt seine Frau, die eben in sein Zimmer wollte, zurück und sagte, indem er sich durch die Tür schob:

»Erst muß hier die schmutzige Luft hinaus!«

Und als sie ihn fragte, was denn geschehen sei, sagte er nur:

»Die Sünden der Väter rächen sich!«

»Gottlob, daß du dir nichts vorzuwerfen hast«, erwiderte sie und sah stolz zu ihm empor.

Er reichte ihr mit großer Würde die Hand:

»Hätte ich Zeit gehabt, uns eine Familie zu gründen, verlaß dich darauf, Ida, um unsere Tochter brauchte sich kein Fremder zu kümmern.«

XI

Aletto stürzte atemlos, ohne anzuklopfen, in Luises Zimmer.

»Es ist Ihnen also nichts geschehen?« rief er und war erstaunt und griff nach ihren Händen.

»Was sollte mir denn geschehen sein?« fragte Luise.

»Gott sei Dank!« sagte er und atmete auf. »Mir war ganz deutlich so . . .«

»Was ist Ihnen denn?« unterbrach ihn Luise, die seine große Erregung sah. »Waren Sie bei ihm? Haben Sie ihn gesprochen?«

»Ja!« sagte er lebhaft. »Ich habe stundenlang bei diesen Menschen gesessen. Ich werde mich nie mit ihnen verständigen!«

»Das habe ich mir gedacht,« nickte Luise, »und was soll nun werden?«

Aletto trat dicht an sie heran.

»Luise!« sagte er, und sie fühlte, wie bewegt er war.

»Sie müssen Vertrauen zu mir haben.«

»Wissen Sie nicht, daß ich es habe«, erwiderte sie.

»Dann kommen Sie mit mir! – Ohne Besinnen – heute noch!«

»Was haben Sie vor?« fragte sie erstaunt und sah, daß es ihm ernst war.

»Kommen Sie!« wiederholte Aletto.

»Wo wollen Sie hin?«

Und nun erzählte er ihr alles noch einmal; daß noch nichts verloren sei; nur müsse sie sich jetzt entscheiden; ihm nach England folgen und seine Frau werden; und er machte ihr klar, daß an ihrer schnellen Entschließung das Schicksal der ganzen Familie hänge.

Luise sah das wohl ein: sie konnte Harrys Zukunft sichern, konnte, noch ehe dieser Mohr sie ganz zugrunde richtete, sich selbst retten . . . aber sie fühlte deutlich: der Preis war Aletto. Über sein Schicksal entschied sie in dieser Stunde. Und noch einmal suchte sie, ihn zu überzeugen.

Aber Aletto widerlegte alle ihre Bedenken.

»Das sind Sentiments, die Sie beherrschen, Luise! Keine Tatsachen. Was Sie voraussehen wollen, vermag kein Mensch zu bestimmen.«

Aber Luise blieb fest.

»Wenn ich Sie nicht lieb hätte, Aletto! Wenn es mir gleichgültig wäre, was aus Ihnen wird, glauben Sie mir, ich überlegte nicht lange – aber leider . . .«

»Luise ich begreife ja, daß Sie bedenken und erwägen, ehe Sie handeln. Nach allem, was Sie durchgemacht haben, ist das ja nur natürlich. Aber natürlich ist auch, daß Sie daher zu schwarz sehen. Glauben Sie mir: Sie stehen jetzt vor der Entscheidung, Ihrem Leben die große Wendung zu geben! Sie müssen heraus! Kein Bedenken kann stark genug sein, um Sie davon zurückzuhalten. Und wenn es wirklich wahr ist, daß Sie mich lieb haben . . .«

»Aletto!« sagte sie und sah ihm in die Augen.

Er legte die Hände auf ihre Schultern:

»Dann komm!« bat er.

Sie standen sich gegenüber; dicht beieinander; Luise war’s, als wüchsen seine Hände fest an ihren Körper. Sie stand und rührte sich nicht.

»Komm’, Luise!« wiederholte Aletto; und Mund und Augen baten so zärtlich, daß sie leise die Arme hob, furchtsam, als wenn sie sich wehrte.

»Willst du nun kommen?« flehte er laut. »Wenn du mir vertraust und mich lieb hast, so wehr’ dich nicht länger!« – Er zog sie an sich.

»Hier sollst du bleiben – unter meinem Schutz!«

Luise dachte an nichts mehr; dicht, ganz dicht schmiegte sie sich an ihn.

»Ja!« flüsterte sie. »Aletto! Ich bin ja dein! Ganz dein! – Weißt du, – wo keine Menschen sind, – da mußt du mit mir hin. – Niemand darf da sein – nur wir zwei!«

»Wir zwei!!« wiederholte Aletto und küßte sie. – »Niemand außer uns!«

»Niemand!!« wiederholte Luise . . . Dann zuckte sie plötzlich zusammen – fuhr erschreckt auf – sah sich furchtsam um. »Doch . . . doch! . . .« zitterte sie, »jemand!«

»Was ist dir?« fragte Aletto und erschrak.

»Siehst du denn nicht? – Er! Er! – Er ist ja da!«

»Wer? – Niemand ist da«, beruhigte er sie und zog sie wieder an sich; aber sie riß sich los.

»Doch! Doch! Immer wird er da sein so wie jetzt! – Immer, wenn ich bei dir bin, dann wird er vor uns stehen . . . . . Aletto!!« schrie sie laut. »So geh’! Du darfst nicht! Sieh, ich bin schwach! So sei du stark! Reiße dich los! – Es gibt etwas, nenne es Ahnungen, nenne es Schicksal, nenne es, wie du willst – es wird dein Unglück! Glaub’ es, Aletto!« Sie warf sich vor ihm hin: »Geh’!!« bettelte sie.

Aber er beugte sich zu ihr; hob sie behutsam auf wie eine Kranke.

»Du bist arg herunter mit deinen Nerven, du Liebe, Gute!« sagte er zärtlich, »Komm’!« und er führte sie zu einem Sessel, fuhr ihr mit der Hand über die Stirn:

»In ein paar Wochen – unter andern Menschen – in anderer Luft – und du wirst sehen, wie das alles ganz anders ausschaut, und bis dahin, wenn die dummen Gedanken wiederkehren . . .«

»Nein!« sagte Luise und schüttelte den Kopf. Sie war entschlossen, sich ein zweites Mal zu opfern.

»Nein!« wiederholte sie, ». . . ich . . . ich«; sie brachte es nicht heraus.

»Was ist?« fragte Aletto, der sah, wie sie sich quälte, und stand ganz hilflos.

»Du mußt nämlich wissen,« stammelte sie – »daß ich dich . . .« Sie stockte abermals.

»Nun?« rief Aletto.

». . . dich gar nicht mag!« – stieß sie heraus, ». . . daß . . . ich . . . ihn . . . liebe.«

»Du . . .« weiter kam Aletto nicht.

». . . und ihn immer geliebt habe . . . daß ich mich ihm an den Hals geworfen habe . . . daß er auch . . . nicht der einzige ist . . . daß ich mich auch andern . . .«

Sie sah ihn nicht an; aber sie fühlte, wie er litt.

». . . daß alles, was ich dir sagte . . . Lüge war . . . und Verstellung . . .«

Aletto wollte sich auf sie stürzen.

»Rühr’ mich nicht an!« sagte sie kalt. »Ich kann . . . ja nichts dafür . . . daß ich so bin!«

»Warum? Warum das alles?« brüllte Aletto.

». . .weil er es so wollte!« gab sie zur Antwort.

»Weil er mich los sein wollte – und weil ich alles tun muß, was er verlangt.«

Dirne! lag es Aletto auf den Lippen, er stürzte hinaus, um es nicht auszusprechen.

Luise stand wie leblos; eine geraume Zeit; dann hob sie den Kopf; und wer ihr Gesicht sah, mußte glauben, daß sie zufrieden war.

XII

Am nächsten Morgen erhielt Luise folgenden Brief:

»Verehrtes Fräulein!

Da ich nicht wünsche, daß die Kosten für die Studien meines Freundes Harry aus nicht reinen Quellen fließen, so habe ich sämtliche Verpflichtungen des Herrn Kommerzienrat Mohr übernommen und ihm auch die bereits gezahlten Beträge zurückerstattet. – Auch von meinem Verzicht auf Ihre Hand habe ich ihn als Vormund in Kenntnis gesetzt.

Nach alledem habe ich nur noch den einen Wunsch, daß Harry von allen diesen Dingen vorläufig nichts erfährt. Seine dem Abschluß nahe Entwicklung könnte dadurch eine Störung erfahren, die ihn bei seiner Veranlagung leicht um Jahre zurückwirft. Nach der Gestalt aber, die die Dinge nun leider genommen haben, scheint es mir im Interesse aller zu liegen, daß Harry sich möglichst schnell durchsetzt und auf eigenen Füßen steht.

Ich möchte nicht nach Rom zurückkehren, ohne Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft gewünscht zu haben.

Ganz ergeben!

Aletto.«

Luise saß lange vor dem Briefe und weinte. Dann stand sie auf, zog sich an und fuhr zu Mohr.

Der empfing sie in bester Stimmung.

»Sieh da! Luise! Unaufgefordert! Es geschehen noch Zeichen und Wunder.«

»Ich muß Sie sprechen!« sagte sie kurz.

»Bitte! Du weißt, daß ich deinetwegen die wichtigsten Geschäfte im Stiche lasse.« – Er nahm ihr den Mantel ab.

»Setz’ dich!«

»Aletto war bei Ihnen?« fragte sie.

»Ja – es tut mir leid . . . um deinetwegen; er ist ein netter Bursche; noch nicht ganz trocken hinter den Ohren. Aber ich glaube, du hättest etwas aus ihm gemacht! . . . Schade! . . . Aber er will nicht . . . Er ist ein Kind; es stört ihn, daß du und ich . . .«

»Darüber wird er mit Ihnen kaum gesprochen haben«, unterbrach sie ihn. »Und ich wünsche ebensowenig, mich mit Ihnen davon zu unterhalten.« »Du hast ganz recht, Schatz! Schade um die Zeit; reden wir von uns. Was gehen uns andere an! – Aber willst du nicht endlich den Hut abnehmen und dir die Handschuhe ausziehen?«

»Danke! Ich möchte wissen, ob das Finanzielle endgültig zwischen Ihnen und Aletto geregelt ist.«

»Ja, allerdings! – Aber wieso interessiert dich das?« fragte er. »Da er durchaus darauf bestand und Harrys bester Freund ist, so hatte ich keinen Grund, es ihm abzuschlagen . . . Indessen, ich hoffe, daß zwischen uns darum alles beim alten bleibt.«

»Sind Sie verrückt?« schrie Luise und sprang auf. »Sie werden Ihre Schändlichkeit nicht noch weiter treiben und mich jetzt endlich in Ruhe lassen.«

Er sah sie an, schüttelte den Kopf und sagte: »Das glaube ich kaum!«

»Genügt es Ihnen nicht, daß Sie mich um alles, was ich vom Leben zu erwarten hatte, gebracht haben? Lassen Sie mir nun wenigstens das Letzte, damit ich als anständiger Mensch irgendwie oder irgendwo weiterleben kann.«

Der Kommerzienrat stand auf und trat vor sie hin: »Ich will dir mal etwas sagen«, begann er; »wenn du dich hier etwa als das kleine ehrbare Mädchen aufspielst und anfängst, sentimental zu werden, dann gehst du mir auf die Nerven. Solch Zeug verfängt bei mir nicht. Ich habe dir ein Geschäft vorgeschlagen und du hast nach zahlenmäßiger Prüfung in dies Geschäft eingewilligt. Auf diese sehr einfache Art bist du meine Geliebte geworden. – Ich mache dir das nicht etwa zum Vorwurf, im Gegenteil! Ich liebe solche glatten und geraden Geschäfte. Man weiß da wenigstens, woran man ist, und ist vor Überraschungen sicher. Es fällt mir aber gar nicht ein, nur weil es dir augenblicklich gerade so paßt, jetzt plötzlich den sentimentalen Liebhaber zu spielen.«

»Das ist auch durchaus nicht meine Absicht«, erwiderte Luise. »Jedenfalls wußten Sie, daß ich mich ohne die Not, in der wir lebten, eher umgebracht hätte, als mich von Ihnen auch nur mit den Händen berühren zu lassen.«

Aber das verletzte ihn nicht.

»Ich habe niemals Wert darauf gelegt, daß du mir aus Neigung angehörst; im Gegenteil!« erwiderte er in aller Ruhe.

»Und ich danke Gott, daß der Zwang nun zu Ende ist! – Ehe ich mich noch einmal wegwerfe, eher bekenne ich vor aller Welt, was ich hier gelitten habe.«

»Für ein Mädchen, das sich einmal des Geldes wegen weggeworfen hat, wird die Welt wenig übrighaben!«

Luise zuckte zusammen.

»Also lassen wir das«, sagte sie; »ich bin heute zum letzten Male hier – das schwöre ich Ihnen – und zwar nur, um Sie zu bitten, an meine Mutter ein paar Zeilen zu schreiben; ihr mitteilen, daß Herr Aletto die Unterhaltungskosten übernommen und Sie in meinem Auftrage um Entbindung von dem Eheversprechen gebeten habe. Daß Sie dem Wunsche stattgeben und gleichzeitig die Vormundschaft niedergelegt haben. Das ist meine letzte Bitte an Sie! Alles das kann – wenn Sie wollen – in vollkommener Ruhe vor sich gehen. Von Ihnen hängt es ab. Kein Mensch braucht von allen diesen Dingen je etwas zu erfahren.«

Der Kommerzienrat überlegte: seine Position war schwach. Er hätte auf Alettos Vorschlag nicht eingehen sollen. Der aber hatte mit dem Vormundschaftsgericht gedroht, und das wäre trotz seiner großen Beziehungen unter Umständen unbequem geworden!

»Was hast du vor?« fragte er sie; und da sie ihn ansah, als verstände sie nicht, so fragte er: »Ich meine, was du beginnen willst.«

»Nichts!« gab sie zur Antwort.

»Willst du heiraten?«

»Nein!«

»Ist es da nicht klüger . . . aber so setz’ dich doch und ziehe dir endlich die Handschuhe aus und lege den Hut ab.«

»Danke!«

»Ich meine . . . da du doch sagst, daß du an eine Ehe nicht denkst, so solltest du dir das Leben doch wenigstens so angenehm wie möglich machen. Meine Geschäfte gehen gut – besser denn je – und da wir doch nun einmal zusammen sind, so meine ich, du vergäbst dir nichts, wenn zwischen uns alles beim alten bliebe.«

»Und wenn ich verhungern müßte!« rief Luise.

»Aha!« erwiderte Mohr ironisch.

»Was soll das heißen?« fragte sie zornig.

»Nun,« sagte er und sah sie spöttisch an – »es amüsiert mich immerhin, wie du jetzt die Moralische spielst; möglich, daß du bei einem andern damit Eindruck machst – bei mir nicht! Also gib dir keine Mühe und sei vernünftig.«

Luise zitterte vor Erregung.

»Schweigen Sie!« rief sie wütend und beherrschte sich kaum noch.

»Wie du mich erheiterst!« brüllte er und trat nahe an sie heran. Und als er den Arm nach ihr ausstreckte, verlor sie die Fassung und schlug wie rasend um sich; sie bekam eine Nadel, die aus dem Haar glitt, zu fassen; stieß sie ihm ins Gesicht; er heulte laut auf; immer von neuem stieß sie zu; wußte selbst nicht, wohin; bis er die Kraft verlor, sie losließ und zusammenbrach.

Jetzt erst sah Luise, was sie angerichtet hatte.

»Herr des Himmels!« rief sie und stürzte zur Klingel.

Der Diener kam. Hob seinen Herrn auf und schleppte ihn zur Chaiselongue.

»Helfen Sie! Fräulein!« bat er. Aber sie lehnte ab.

Er war arg zugerichtet. Das eine Auge war verletzt; die Lippe durchstochen; überall lief das Blut aus tiefen Wunden. Aber er blieb bei Bewußtsein.

»Kanaille!« fletschte er durch die Zähne und richtete sich auf; »den Arzt – telephonieren Sie – schnell! – Diskret! Niemand darf etwas erfahren – niemand! – Raus! Vorwärts!«

»Sofort! Herr Kommerzienrat!« und der Diener stürzte zur Tür hinaus, telephonierte, holte eine Schüssel mit warmem Wasser und half seinem Herrn, bis der Arzt kam, so gut es eben ging.

Luise achtete nicht auf ihn, brachte schnell Haar und Kleidung in Ordnung; fragte dann, ohne zu ihm hinzusehen:

»Werden Sie den Brief an meine Mutter schreiben?«

»Kanaille!« fluchte er abermals. »Ja!« Und als sie sich zur Tür wandte, riß er noch einmal alle Kraft zusammen:

»Halt!« rief er ihr zu.

»Was ist noch?« fragte Luise.

»Da!« und er wies auf seinen Schreibtisch. »Oben – im ersten Schub – zieh’ auf! – der Schlüssel steckt . . .«

Luise öffnete.

»Da rechts liegt ein Kuvert – Kunstmaler Kersten steht drauf – das nimm mit – als Erinnerung an mich – hast du’s?«

»Ja«, sagte Luise; schob das Kuvert, das fest versiegelt war, in die Tasche und ging ohne ein Wort des Abschieds.

Auf der Treppe löste sie das Siegel. In dem Kuvert steckte verschlossen ein zweites, darauf stand:

»Wie ich mich an Luise Kersten dafür rächte, daß sie meine Werbung zurückwies.«

»Es enthält den Vertrag, den ich mit ihm schloß«, dachte Luise; es war eine gründliche Revanche.

Sie wollte das Kuvert erst, ohne es zu öffnen, zerreißen. Wohin damit? dachte sie, öffnete es dann doch und las:

»Kopie
An den Herrn Ersten Staatsanwalt am Landgericht II, Moabit

Ich habe in Erfahrung gebracht, daß der Kunstmaler Professor Kersten, wohnhaft Ulmenstr. 24, mit seinem Modell, einer gewissen Margot Klein, die das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, im unerlaubten Verkehr steht.

Es gelang mir, mit der p. p. Klein bekannt zu werden, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie nach langem Leugnen dahin zu bringen, daß sie mir ihren Umgang mit Professor Kersten eingestand.

Wenn ich diese Anzeige anonym erstatte, so geschieht das lediglich, weil es dem von mir seit Jahren zum Schutze minderjähriger und alleinstehender Mädchen mit Hingabe und Erfolg geführten Kampfe gegen gewissenlose Verführer schaden würde, wenn mein Name einer breiten Öffentlichkeit bekannt würde.«

Luise kam über den ersten Satz nicht hinaus. Sie stierte völlig apathisch auf das Papier – las Wort für Wort – verlor den Zusammenhang – buchstabierte – begann von vorn – da stand ja – ganz deutlich – daß er – und auf dem Umschlag —

Er war auf die Erde gefallen, sie hob ihn auf, las noch einmal; da stand:

»Wie ich mich an Luise Kersten dafür rächte, daß sie meine Werbung zurückwies.«

Jetzt erst begriff sie den Zusammenhang.

– — – — –  – —

»Ich muß zu ihm!«

Sie ballte das Papier zusammen und steckte es in die Tasche.

»Ob er allein ist?«

Sie stürzte die Treppe hinauf.

»Ich nehme die Lampe – die brennende Lampe!«

Sie zog an der Klingel.

»Verschließe die Tür!«

Auf dem Gang erschien der Diener.

»Ich muß zu ihm!«

Ehe er nach ihrem Begehren fragte, stürzte sie an ihm vorbei, in Mohrs Zimmer – auf den Tisch zu, auf dem die Lampe stand – griff danach . . . der Kommerzienrat lag auf der Chaiselongue – sprang stöhnend auf; riß aus dem Schub seines Schreibtisches, der noch offen stand, einen Revolver; drückte ab.

Die brennende Lampe fiel ihr aus der Hand; in tausend Scherben; erlosch. Der Diener stürzte herein; warf sich auf Luise – das ganze Personal lief zusammen.

Und während der Hausarzt vor Mohrs Bett saß und ihn zu dem glücklichen Ausgang dieses niederträchtigen Attentats beglückwünschte, irrte Luise in den Straßen umher, bis sie völlig erschöpft zusammenbrach, aufgelesen, in einen Wagen gepackt und in das nächste Krankenhaus befördert wurde.

XIII

Frau Fanny wartete seit Stunden auf die Rückkehr ihres Kindes. »Ich fahre zu Liebers nach Wannsee«, hatte Luise gesagt, als sie gestern nachmittag fortgegangen war. Da blieb sie oft über Nacht. Und Frau Fanny gönnte ihr diese Zerstreuung. Sie hoffte, daß ihr Kind bei diesen heiteren Menschen, den einzigen, mit denen auch ihr Mann einst gern verkehrte, ihre alte Lebensfreude wiederfinden werde.

Die Haustür ging. Das wird sie sein, dachte Frau Fanny und sah zur Uhr. Es war halb elf. Die Klingel wurde gezogen. Das Mädchen öffnete. Worte wurden gewechselt. Frau Fanny erkannte die Stimme – fuhr zusammen.

»Sagen Sie dem Professor,« rief sie dem Mädchen, das eben in die Türe trat, zu, »und wenn er mir das Glück ins Haus brächte, ich bin für ihn nicht zu sprechen.«

Der Professor schob das Mädchen beiseite.

»Willst du warten, bis die Polizei kommt?« rief er in großer Erregung. »Es ist ja gerade, als wenn ihr es hier alle darauf abgesehen hättet, ins Unglück zu rennen.«

Frau Fanny kehrte ihm den Rücken.

»Noch ist Luise zu retten, wenn wir uns eilen«, sagte der Professor.

Sie wandte sich entsetzt um.

»Was?« rief sie. »Was ist mit Luise? – Wo ist sie? Was ist ihr geschehen?«

Der Professor sah sie an, kalt und ruhig, und zeigte keine Spur von Erregung.

»Aber so habe ich es erwartet!« sagte er.

»So red’ doch!« rief Fanny. »Was ist . . .?« Sie stürzte in ihrer Not auf ihn zu, Furcht und tausend Bitten in den Augen – aber er wich zurück.

»Laß nur!« sagte er. »Und dann, wenn ich bitten darf: Distanz!«

Frau Fanny zitterte am ganzen Körper.

»Was ist mit meinem Kinde?« brüllte sie; und aus ihrer Stimme schrie so laut die Angst, daß der Professor zusammenfuhr – einen Augenblick, dann stand er wieder kerzengerade, kalt und überlegen.

»Du wußtest natürlich, daß sie einen Geliebten hat?« fragte er sie.

»Bist du verrückt?« gab Fanny entsetzt zur Antwort.

»Menagier’ dich!« schrie er sie an.

»Wie kommst du zu solcher Frage?«

»Willst du mir antworten oder nicht?« fragte er sie.

»Ich wiederhole: Wußtest du, daß Luise mit diesem Kommerzienrat verkehrt?«

»Was? – Mit Mohr? Meine Luise? – Sie wollten heiraten – soviel ich weiß – sie mochte ihn nie – sie tut’s ja nur wegen Harry – und dann – aber das ist ja ausgeschlossen – wo sollte denn und wann . . .?«

»Hier also sind sie jedenfalls nicht zusammengekommen?« und da sie schwieg und ihn groß ansah, so fragte er weiter: »Ich meine, du hast ihnen nicht etwa Gelegenheit verschafft oder gewährt? – Bei deinen Ansichten wäre das ja immerhin . . .«

»Erich!« schrie Frau Fanny entsetzt. »Was fällt dir ein?«

Es störte ihn, daß sie ihn beim Vornamen nannte.

Er beschloß, kurz zu sein.

»Du weißt also wirklich nichts davon?« fragte er.

»Nichts!« antwortete sie bestimmt. »Und ich lege meine Hand dafür ins Feuer, daß außer einigen Briefen zwischen den beiden nichts . . .«

»Nun, dann will ich dir sagen,« und er zog zwei Briefe aus der Tasche, »daß sie seit Monaten den außerehelichen Beischlaf miteinander vollziehen.«

Fanny brachte kein Wort heraus, so sehr sie sich quälte; sie zitterte und gestikulierte; wankte zum nächsten Stuhl, auf den sie niederglitt.

»Seit Monaten!« wiederholte der Professor und ließ kein Auge von ihr. »Sie hat ihm das Haus eingelaufen!«

»Die Ärmste!« brachte Frau Fanny mühsam heraus.

»Was?« rief der Professor mit schneidender Stimme. »Du bedauerst sie noch?«

»Unsagbar!« antwortete Fanny mit Tränen in der Stimme. »Was muß sie gelitten haben!« – Und schluchzend fuhr sie fort: »Du mußt nämlich wissen, sie hat sich aufgeopfert.«

»Tischst du mir auch dies Märchen auf?« brüllte er sie an. »Ihr haltet einen doch für naiver als man ist. Das Haus hat sie ihm eingelaufen, sage ich dir doch. Und wenn sie dir erzählt hat, daß sie ihn nicht mag, so tat sie’s, um dich sicher zu machen, damit du nicht hinter die Wahrheit kamst. Schlimm genug, daß du dein eigenes Kind so wenig kennst.«

»So verlogen ist mein Kind nicht«, sagte Fanny. »Wozu auch? Sie wußte ja, daß es mich nur glücklich macht, wenn sie den Mann liebt, den sie heiratet.«

»Heiratet?« fragte der Professor und sah sie groß an. »Was meinst du damit? Du redest dir doch etwa nicht ein, daß der Kommerzienrat Mohr sie heiraten wird?«

»Selbstverständlich wird er das tun!« erklärte Frau Fanny mit aller Bestimmtheit.

»Nun, mir ist nicht bekannt, daß man eine Frau, die man zu heiraten gedenkt, vorher zu seiner Geliebten macht.«

»Wer hat dir das gesagt?«

Der Professor hielt noch immer die Briefe in der Hand.

»Frag’ ihn selbst! Oder noch besser: Laß dir von Aletto erzählen.«

»Was weiß denn der davon?« fragte Frau Fanny.

»Nun, er ist doch ein hübscher Mensch – sie hat sich auch ihm an den Hals geworfen – wundert dich das? Mich nicht.«

»Das lügst du!« schrie Fanny. »Meine Luise ist doch keine . . .« Sie sprach es nicht aus; aber der Professor sagte:

»Nun, wenn sie es noch nicht ist, dann ist sie jedenfalls auf dem besten Wege, es zu werden. – Da, lies!«

Und er reichte ihr einen der beiden Briefe, die er in der Hand hielt. »Er ist von Aletto – du kennst wohl seine Handschrift – an den Kommerzienrat.«

Und Fanny las:

Sehr geehrter Herr Kommerzienrat!

Fräulein Kersten hatte mir eröffnet, daß und weshalb sie seit Monaten zu Ihnen in Beziehungen steht. Ich hatte Sie daraufhin aufgesucht, um mit dem Einverständnis der jungen Dame eine Lösung dieser Beziehungen zu erwirken. Nachdem mir aber Fräulein Kersten heute bekannt hat, daß sie mit ihrem Herzen nach wie vor bei Ihnen ist und nur, weil Sie sich von ihr zurückziehen wollten, auf meine Werbung eingegangen ist, habe ich meine Beziehungen zu der jungen Dame abgebrochen, wovon ich hiermit Sie als Vormund in Kenntnis setze.

Hochachtungsvoll Aletto, Kunstmaler.«

Der Professor nahm ihr den Brief aus der Hand und gab ihr den zweiten, den Mohrs Anwalt ihm noch in der Nacht geschrieben hatte.

Sehr verehrter Herr Professor!

Im Auftrage des Herrn Kommerzienrat Benno Mohr habe ich Ihnen folgendes zu unterbreiten:

1. Nachdem Herr Aletto aus Gründen, die Sie aus beigefügtem Schreiben des Herrn Aletto ersehen, die Absicht, Ihre Nichte, Fräulein Kersten, zu ehelichen, aufgegeben hat, erschien diese gestern nachmittag im Hause meines Klienten, des Kommerzienrats Mohr, um ihn zur Wiederaufnahme seiner durch das Dazwischentreten des Herrn Aletto abgebrochenen Beziehungen zu bestimmen.

2. Als mein Klient aus wohlbegreiflichen Gründen das Ansinnen ablehnte, geriet Fräulein Kersten in große Erregung und stürzte sich auf meinen Klienten, den sie mit einer Nadel derart rücksichtslos bearbeitete, daß er mehrfach schwere Verletzungen, vornehmlich am linken Auge, dessen Sehkraft gefährdet ist, davontrug.

3. Einer Anzeige wegen schwerer Körperverletzung würde ohne Zweifel stattgegeben werden. Die Folgen einer solchen Verhandlung mit seinen Begleiterscheinungen, Zeugenaufgebot usw. zu schildern, erübrigt sich.

4. Lediglich mit Rücksicht auf die meinem Klienten wertvollen Beziehungen zu Ihrem Hause und dem des Geheimrats Walther ist dieser bereit, von einer Anzeige abzusehen, falls die Familie dafür Sorge trägt, daß Fräulein Kersten umgehend Berlin auf längere Zeit verläßt und ins Ausland geht.

5. Zu den mit der Übersiedlung und Unterbringung Ihrer Nichte verbundenen Kosten trägt mein Klient Mark 3000 bei.

Sie haben die Güte, verehrter Herr Professor, mich umgehend davon in Kenntnis zu setzen, daß Sie mit den Vorschlägen meines Klienten, der sich Ihnen durch mich bestens empfiehlt, einverstanden sind.

Hochachtungsvoll

Dr. Kluge, Rechtsanwalt und Notar.«

»Du siehst,« begann der Professor, als Fanny zu Ende war, »wohin eure Erziehungsmethode führt. In einem Falle in den Tod; im andern ins Gefängnis oder auf die Straße. – Vielleicht, daß du unsern Lebensformen nun doch allmählich Verständnis abgewinnst.«

Frau Fanny vermochte nichts mehr zu unterscheiden; sie begriff nichts mehr. Aber sie fühlte sich schuldig; verantwortlich für alles! Sie hatte ihren Mann gekannt. Besser als irgend wer. Keine andere Frau hätte geschwiegen wie sie. Darauf war sie noch stolz gewesen. Nicht einmal der Zusammenbruch hatte sie bekehrt.

Und Luise! Sie wußte, daß es ein Kind war, das Leitung brauchte. Statt dessen stützte sie sich noch auf sie; ließ sie selbständig entscheiden, wo selbst Alter und Erfahrung schwer das Richtige fanden.

»Noch ein paar Monate so weiter, und Luise kommt völlig unter die Räder«, sagte der Professor; »verlaß dich darauf. Du bist zu schwach! Sie muß – für ein paar Jahre wenigstens – völlig deinem Einfluß entzogen werden.«

»Das glaube ich auch!« hauchte Frau Fanny.

»Und du wirst uns allen danken, wenn du sie dann als reifen, innerlich gefestigten Menschen wiedersiehst.«

»Wenn ihr das erreicht!« zitterte Fanny. »Ich will es euch danken; denn ich weiß ja selbst nicht mehr . . .«

»Hier« – er unterbreitete ihr einen Bogen – »unterschreib’! Es enthält deinen Verzicht auf die vormundschaftlichen Rechte und Pflichten gegenüber Luise, die von heute ab auf den Geheimrat Walther übergehen, der sich ihrer wie ein zweiter Vater annehmen wird.«

»Und es passiert ihr nichts?« fragte Fanny und preßte die Hand auf ihr krankes Herz, das so laut und so stark wie am Todestage ihres Mannes schlug.

»Unterschreib’,« wiederholte er, »und es geschieht ihr nichts.«

Er gab ihr seine Füllfeder in die Hand; und sie unterschrieb.

»Es ist gewiß gut so!« sagte sie.

Der Professor gab ihr die Hand und ging. Draußen gab er dem Mädchen Anweisungen, die Luise betrafen.

»Gott sei Dank«, sagte er, als er unten war, »nun wird man doch endlich seine Ruhe haben.«

»Das dumme Herz!« flüsterte Fanny, als ihr das Mädchen aus den Kleidern half.

»Ich werde an den Arzt telephonieren«, sagte das Mädchen besorgt.

»Lassen Sie nur!« wehrte Fanny und lächelte sanft.

»Er kann mir nicht helfen; – und er soll auch nicht!« —

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Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
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