Читать книгу: «tristan & Ramona», страница 2

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"Ist schon okay", meinte ich nur. "Sowas bleibt ja nicht aus, wenn man im Ausland lebt."

In meiner Erinnerung war unser Hotelzimmer grün. Die Jalousien blieben den ganzen Tag geschlossen, um die Hitze draußen zu halten, und deshalb war alles in ein grünliches Licht getaucht wie in einem 50er-Jahre-Südstaaten-Film, Katze auf dem heißen Blechdach oder sowas. Es gab nur ein Doppelbett, weshalb kleine Verena sich zum Schlafen "zwischen die beiden dicken Mädchen quetschen" musste. Aber sie meinte, es wäre recht gemütlich. Und das fand ich in Wirklichkeit auch.

Und ab da waren wir dann eigentlich jeden Tag alla spiaggia.

Heiß heißer superheiß – und damit ist nicht bloß der Zustand von Ellis Libido gemeint, sondern die hiesige Lufttemperatur.

Es war so heiß, dass man es nur am Meer unterm Sonnenschirm liegend aushalten konnte.

"Schweinchen Madonna, was 'ne Affenhitze!", stöhnte Elli. "Ich fühl mich komplett juicy-fruity. Hundert Prozent Lustfeuchtigkeit." Und sie lachte ihr reizendes schmutziges Lachen. Sie wollte es wirklich wissen. Was sie allerdings nicht daran hinderte, eifersüchtig zu sein und jeden Tag zuhause bei ihrem Freund anzurufen.

"Der tägliche Kontrollanruf. Ich muss doch schließlich checken, ob alles in Ordnung ist."

"Und? Ist alles in Ordnung?"

"Pfff! Er sagt ja. Aber ob da die nackerten Weiber rumspringen, weil er bei uns in der Bude ohne Ende Party macht, weißt du ja eh nicht. Und wenn ich ihm hier jetzt fremdginge, wär das also so gesehen nix anderes als wie so'ne Art Putativnotwehr."

Auch Verena telefonierte praktisch täglich mit ihrem Freund.

"Hast du das noch nicht gemerkt?", fragte Ellen mit nachsichtigem Grinsen. "Immer wenn sie so sch-sch-sch in ihr Handy säuselt und dabei diesen leicht debilen Gesichtsausdruck hat, ist Gary dran." Für den debilen Gesichtsausdruck kassierte sie einen kleinen Fausthieb von Verena. "Ach Gary, Gary Gary, uuhuu! Naja, du kennst das."

"Du bist doof", schmollte Verena. "Dir erzähl ich nie nix mehr."

"Nee", lachte ich. "Kenn ich nicht!"

Kannte ich wirklich nicht. Mein Freund rief mich nämlich nicht an. Seit Jan mit Ex und Kind in Urlaub gefahren war, hatte er mich noch kein einziges Mal angerufen. Und am Ende war ich es dann mal wieder, die ihn anrufen musste. Die einzigen, die mich angerufen haben, waren Mama und Lena. Die meisten Leute wussten, dass ich im Ausland war, und beschränkten sich daher auf SMS. OK, dass Mama anruft, war klar, dem kann man ja schlecht entgehen, und als einziges Kind muss man da ja sowieso einiges abpuffern. Und dass Lena mich anrufen würde, war auch irgendwie klar. Sie ist aktuell mal wieder der Verzweiflung nahe, was in der letzten Zeit häufiger der Fall war, und muss sich dann einfach ein bisschen entlasten. Ich find's OK, dafür sind Freunde schließlich da. Nur mein beknackter Freund zog es vor, mich mit Kontaktsperre zu belegen.

"Mach dir nichts draus", sagte Elli. "Das Leben ist halt kein Kindergeburtstag."

"Doch, das ist ja genau das Problem", sagte ich. "Das Leben ist Kindergeburtstag. Am Anfang wollen alle Prinzessin sein, und am Ende heulen dann alle."

"Ach was weiß ich, dann ist es eben kein Ponyhof. Jedenfalls ist es scheiße!"

Eigentlich finde ich das gar nicht. Mein Leben ist nicht scheiße. Soll heißen: Es gibt auch schöne Dinge. Die Affäre mit Tim zum Beispiel. Seit neun Monaten geht das jetzt mit ihm. Ellen würde sagen, er ist mein "Lover", aber ich sage Liebhaber. Das ist ein Unterschied. Dein Liebhaber bringt dich zum Flughafen, während dein eigener Freund dich versetzt. Und es war Tim, der mich zum Flughafen gefahren und mir mit dem Gepäck geholfen hat. Er ist einfach ein Lieber. Die letzte Nacht vor meiner Abreise hatten wir zusammen verbracht, inklusive Abschiedssex. Schöner, schmutziger Timmi-Sex. Hart und rumpelig, wo dir noch drei Tage hinterher alles wehtut. Süßer Schmerz der Wollust...

Verenas Freund Gary war ebenfalls Physiker. Die beiden hatten sich in Boston kennengelernt, als Verena dort ihr Auslandsjahr gemacht hatte.

"Ist das ein Ami?", fragte ich.

"Nah, nee nee. Er ist eigentlich Engländer. Aber er arbeitet schon seit ein paar Jahren dort."

"Verenas Süßer ist nämlich so eine Art physikalisches Wunderkind", sagte Ellen. "Solche Verbindungen werden im Himmel geschlossen: das höchstbegabte Fräulein Gutlieb und Mister Gary Saunders, das junge Alphamännchen unseres Faches."

"Gutlieb", wiederholte ich grinsend, und Verena wurde ein bisschen rot.

"Und zusammen zeugen sie dann den nächsten Einstein."

"Und seht ihr euch oft? Wenn er in den USA lebt?"

"Ja, meistenteils schon. Aber jetzt sind's schon fast drei Monate."

"Uffa!"

"Tja, s'ist halt eine Fernbeziehung. Aber zum Glück gibt's ja Internet. Und wenn’s alles geht wie geplant, gehe ich nächstes Jahr auch nach Boston. Also jetzt net wegen Gary, net nur. Mit etwas Glück kann ich dort am Institut eine Assistentenstelle bekommen."

"Von wegen Glück", sagte Ellen. "Du bist einfach die Beste."

"Du nun wieder!", sagte Verena, ein wenig verlegen. "Naja. Aber wenn wir wieder zurück sind, kommt Gary nach Innsbruck. Das erste Mal. Und dann mal schauen, was wir machen. Vielleicht fahren wir meine Eltern besuchen."

"Er kommt dann rüber?"

"Nee. Er ist zurzeit in London bei seiner Familie. Also genaugenommen ist er bei seinen Eltern. Und bei seiner Ex und..."

"Nah, das find ich schon echt brutal", sagte Ellen.

"Ja, irgendwie schon." Verena drehte ihr Haar zusammen und steckte es hoch. Ich war immer vollkommen davon fasziniert, was sie alles mit ihren Haaren anstellte. Sie hatte nie mehr als ein paar Stunden die gleiche Frisur. "Andererseits, die beiden haben nun mal ein Kind zusammen, so eine richtige kleine Prinzessin, sechs Jahre alt. Sheila. Von daher."

"Wir hatten früher mal einen Hund, der Sheila hieß", sagte Ellen. "Einen total süßen Bordercollie."

"Und kennst du sie?", fragte ich.

"Sheila, komm bei!" rief Ellen energisch und lachte.

"Das Kind meinst du? Nee. Achso, nee, die Ex auch nicht. Sie ist anscheinend so eine richtige englische Oberschichten-Tante aus der erstbesten Londoner Gesellschaft, mit endlos Geld und so. Grace Kelly, sag ich immer."

"Weil sie so aussieht wie Grace Kelly?"

"Ach scheiße, nein! Keine Ahnung. Das sind alles nur so meine Phantasien. Aber Gary ist ja auch Upper Class. Die Eltern haben eine Villa in Kensington, das ist so ein richtiger Palast. Mehr Schicki geht net. Das kommt gleich nach Buckingham Palace, weischt? Und da passt Waldbauernbub halt net so gut."

"Tja, da hast du dann immer gleich die Klassenfrage", sagte ich.

"Ja", sagte Verena. "Leider. Aber London ist geil!"

"Klar. Obwohl, mit der Olympiade jetzt, das muss doch auch das absolute Grauen sein. Also für die Einwohner von London, stell ich mir vor."

"Vermutlich. Obwohl, sie sind grad gar net in London, sondern auf dem Land, ganz standesgemäß. Ich sag immer: Schloss Balmoral oder sowas in der Art."

Da waren wir also, jede mit ihrem Beziehungsstatus, wie er unterschiedlicher nicht sein konnte. Verena hatte ihren englischen Traumprinzen. Ellen hatte ihren Michi aus Tirol, und das einzige Problem bestand darin, dass sie immer total eifersüchtig war und von daher, paradoxerweise, permanent auf Rachefeldzug wegen des eingebildeten oder tatsächlichen Fremdgehens Michaels. Und ich? Ich hatte gefühlt nichts. Das konnte man sicherlich auch anders sehen. Ellen jedenfalls fand meine Situation äußerst komfortabel.

"Wasse du wolle? Du hast deinen super Haupt-Mann. Und obendrein hast du auch noch deinen Sex-Knecht." Sie leckte sich die Lippen bei dem bloßen Gedanken an all die versauten Implikationen dieses Begriffs.

"Hihihi", gnickerte Verena, "Sex-Knecht."

"Ja, genau. El Toro." Sie machte sich Stierhörner mit den Zeigefingern. "Olé!"

"Ah Scheiße Mann, ich erzähl dir bald gar nix mehr," stöhnte ich, musste dann aber trotzdem grinsen. Ich fand es auch nicht wirklich schlimm, dass sie das sagte, weil es ja nur Verena war, die es mitbekam. Aber ich hasste Ellens Angewohnheit, intime Details, die man ihr erzählt, öffentlich auszuplaudern. Da musste man schon aus Prinzip immer ein bisschen gegensteuern.

Anders als Elli hatte ich in diesen Ferien gar nichts vor, was Sex anging. Mein Liebesleben ist ohnehin schon kompliziert genug. Meine Rolle im Team hätte also gut und gern die der "vernünftigen Erwachsenen" sein können. Nur dass dann schon an unserem vierten Abend auf Sizilien die "vernünftige" Sonia plötzlich zur Drama-Queen mutierte und um ein Haar unseren ganzen Mädelsurlaub gecrasht hätte.

Eigentlich war es keine große Sache, mein kleines Techtel mit Jonas. Im Nachhinein verstehe ich auch nicht mehr, was mich da geritten hat. Denn eigentlich war da nichts. Wir waren uns ein paar Mal über den Weg gelaufen, tagsüber am Strand und abends im Dorf, auf der Piazza. Wir haben uns erst angeguckt, dann angelächelt und schließlich auch ein paar Worte gewechselt, so: "Hallo, ich bin der Jonas." "Freut mich. Ich bin Sonia." Das war alles. Nur dass er dann an unserem letzten Abend in Marina di Modica plötzlich vor unserem Tisch stand, als ich mit den Mädels auf der Terrasse vom ristorante saß.

"Ach, da schau her. Sonias kleiner Kavalier", meinte Ellen trocken. "Und, wo hast du dein Pferd geparkt, Froschkönig?"

Jonas guckte leicht irritiert, aber er ließ sich davon nicht abschrecken und durfte sich dann auch zu uns an den Tisch setzen. Nach dem Essen verabschiedeten sich meine Mädels zügig.

"Scusi amici, aber wir können nicht bleiben", meinte Ellen, "wir müssen vorm Zubettgehen noch ein paar Kerle aufreißen."

Und Verena flüsterte mir deutlich hörbar zu: "Buona sera signorina! Va fanculo! Baccia mi!"

"Das – war Vulgärlateinisch!", sagte Elli und klimperte mit den Augen wie die Maus aus der Sendung mit der Maus.

Dann zogen die beiden ab, und ich war mit Jonas allein.

Wir blieben noch ein bisschen sitzen, tranken, rauchten, redeten ganz viel und lachten noch mehr. Und gingen dann, irgendwann spät, hinunter zum Strand. Es war stockfinster, das Wasser pechschwarz und beinahe still, nur ein sanftes Wogen. Wir gingen nackt schwimmen, und danach lagen wir am Strand und haben geknutscht.

Das war schön. Sehr schön! Ziemlich heiß, auch ohne Sex. Ich fühlte mich vollkommen gelöst und irgendwie zufrieden.

Jonas brachte mich noch zurück zum Hotel. Und beim Abschied hat er dann gefragt, ob wir uns morgen wiedersehen würden, und ich meinte dann so: Nee. Und dass wir am nächsten Tag weiterwollten nach Catania. Und dann, ganz spontan, ohne vorher groß darüber nachzudenken, sagte ich: "Aber du kannst dich uns doch einfach anschließen. Das wäre toll, dann könnten wir noch ein paar Tage zusammenbleiben."

Ich fand das in dem Moment eine ganz bezaubernde Idee. Und Jonas offenbar auch. Er meinte aber, dass ich das doch wahrscheinlich zunächst mal mit meinen Freundinnen besprechen müsste, bevor wir etwas abmachten. Und dass er auch nochmal darüber nachdenken würde.

Als ich dann ein paar Minuten später im Hotelzimmer Ellen und Verena davon erzählte, hörte sich meine bezaubernde Idee allerdings schon total dämlich an. Und die beiden fanden die Idee auch überhaupt nicht bezaubernd, sondern schlicht doof. Ellen lavierte zuerst noch ein bisschen herum und verpackte ihr Nein in höfliche Ausflüchte. Verena war schlicht dagegen.

"Sorry, aber ich fänd's halt einfach net gut. Ich fänd's halt einfach net gut, wenn wir uns unseren schönen Mädelsurlaub jetzt so kaputtmachen täten, und nur wegen einem Kerl."

"Genau!", meinte Ellen dann. "Wir sind schließlich ein Team, und das geht gar nicht, dass eine von uns hier so'ne Solonummer durchzieht."

Ich meinte dann zwar noch: "Das sagt echt die Richtige", aber mit Verenas Veto war es im Grunde schon entschieden. Wäre es nur Elli gewesen, hätte ich meinen Kopf wahrscheinlich durchsetzen können und Jonas behalten dürfen. Sie konnte mir eigentlich nie was abschlagen.

Aber so musste ich am nächsten Morgen Jonas anrufen und ihm sagen, dass ich meine Einladung wieder zurückziehen müsse: "Sorry!" Er schien davon total überrascht, meinte dann aber selbst auch, dass er sich inzwischen ganz ganz viele Gedanken gemacht hätte, und dass er sich letztlich dafür entschieden hätte, doch lieber allein weiterzufahren. Das kränkte zwar mein Ego ein bisschen, aber im Grunde war ich doch eigentlich auch ganz froh darüber, dass er das so sah. Weil das nämlich bedeutete, dass er gar nicht erst versuchen würde, mich umzustimmen. Wir meinten dann beide noch, dass wir uns eventuell ja in Florenz noch einmal treffen könnten, falls das Timing stimmt. Und das war's dann. Im Nachhinein konnte ich auch ganz gut damit leben. Ich hatte jedenfalls keine Sekunde lang in Erwägung gezogen, meine beiden Mädels im Stich zu lassen und mit Jonas allein weiterzuziehen.

Nach vier Tagen wechselten wir nach Catania, was dann für die restliche Zeit unser Basislager wurde. Catania gefiel mir auf Anhieb. Es ist eine hart arbeitende Stadt, laut und schmutzig, eine richtige Hafenstadt eben, abgeschottet gegen das wilde, unbeherrschte Meer. Unser appartamento lag in der Via Antonio nahe der Piazza Bellini, also quasi mitten im centro storico. Die Nachbarschaft ist eine bunte Mischung aus Wohnen, Geschäften, Partymeile und Red-Light-District. Eine Straße weiter von unserer Wohnung warteten Straßenmädchen auf Freier, sogar tagsüber.

"Straßenmädchen, ich finde, das klingt immer so… keine Ahnung, Pretty-woman-mäßig", meinte Elli. "Dabei sind die meisten hier Frauen deutlichst Ü30, die wie wir alle gegen Verfall und Schwerkraft kämpfen müssen, und wo du dich wunderst, dass die überhaupt irgendwas gerissen kriegen."

Aber für uns war es natürlich top: Für billiges Geld hatten wir eine schöne, großzügige Wohnung, das Badezimmer hübsch renoviert. Alles ein bisschen improvisiert, die Gas-Wasser-Installationen z.B. waren haarsträubend. Aber sehr hübsch eingerichtet: praktisch leer, die wenigen Möbelstücke eine wilde Mischung aus Louis XVI und Gelsenkirchener Barock. Schon molto siciliano. Es gab keine Klima-Anlage, daher wohl auch der relativ günstige Preis. Aber für uns war es sehr in Ordnung. Führten wir halt ein Leben in Unterwäsche in unserer "Model-Villa", gammelten herum und ließen italienische Game-Shows im TV laufen. Und für Don Vito gab es sogar eine eigene Garage.

Tagsüber machten wir manchmal Ausflüge (nach Taormina oder nach Siracusa), aber meistens waren wir einfach nur am Strand. Und abends waren wir dann in der Stadt unterwegs. Wir machten bella figura, gingen essen und danach auf die Piste. Auf Sizilien hat ja jedes kleine Kaff seine Partyzone, wo die Einheimischen abends flanieren, quatschen, trinken. Jung und alt, bunt gemischt. Und natürlich erst recht in Catania. In den Straßen rund um die Piazza Bellini tobt nachts das Leben. Es gibt unendlich viele Bars und Kneipen, aber ganz ganz viel findet einfach auch draußen statt. Dort gehörten wir schon zu den älteren unter den Pistengängern, hauptsächlich waren es Kiddies, Oberschüler und Studenten, alles zwischen 16 und 22.

"Fuck, da fühlt man sich plötzlich schon richtig alt", meinte Verena.

"Ach was! Du bist doch noch ein junger Hüpfer", meinte Ellen trocken. "Was soll ich denn da sagen? Oder la dottora hier." Sie tauchte geschickt unter meinem Fausthieb hindurch. "Zu langsam! Sie wird nämlich schon bald 33, unsere Sonia."

"Oje, die große Doppel-Drei", sagte Verena und rubbelte tröstend meinen Unterarm.

"Schnapszahl", sagte Ellen. "Eigentlich kannst du ja gleich schon mal anfangen, einen darauf auszugeben. Wo ist denn hier die nächste Schnapsausgabe?"

Zweimal haben wir abends auch selbst gekocht. Verena kann super kochen. Das waren nur so ganz einfache Sachen, Pasta und Fisch und dazu Salat, aber es schmeckte ganz wunderbar, als ginge einem beim Essen das Herz auf.

"Definitiv Heiratsmaterial, die Frau", sagte Ellen und bedeckte Verenas Hand mit Küssen.

"Kochen ist die dunkle Seite der Physik", meinte Verena und grinste mich an. "Außerdem bin ich ja eigentlich auch eher der häusliche Typ, weischt?"

"Ah, isch liebe es", seufzte Ellen. "Ich find's echt so geil, wie wir hier residieren. Voll die Mische aus Frauen-WG und Model-Villa. So wie bei Top-Model, nur ohne das Gekreische."

"Aber dafür mit Senior-Models", sagte Verena lachend und musste flitzen, weil Ellen ihr Haue androhte für diese kleine Frechheit.

Appartamento hatte natürlich auch den Vorteil, dass wir immer ein bisschen Wellness machen konnten, was weiß ich: Haare waschen, Fußnägel lackieren, Wichteln usw., und das tausendmal besser als im Hotel. In der "Model-Villa" wurde natürlich auch das zum Happening.

"Hehehe, das wär's doch: kollektive Haarentfernung", sagte Elli. "Vielleicht sollte Heidi das mal ins Programm aufnehmen. Statt Umstyling."

"Oder zusätzlich", schlug ich vor.

"Du meinst Umstyling untenrum?"

Überflüssig zu sagen, dass Verena auch bei unseren Depilier-Partys die Anmut selbst war. Wie die Mädchen auf den Bildern von Degas. "Einfach hinreizend!" (O-Ton Elli). Breitbeinig stapfte sie durch die Wohnung, mit nichts am Leib als schneeweißer Enthaarungscreme in ihrer Bikinizone.

"Das schaut aus wie ein Weihnachtswichtel, findst net?", sagte sie und wackelte mit dem Hintern. Eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu leugnen. Hinterher sollten Ellen und ich dann das Resultat begutachten. "Meint's, ich kann mich so sehen lassen, alla spiaggia?" Wir fanden es sehr OK, und sie selbst war auch zufrieden, als sie das Ergebnis im Spiegel betrachtete.

"Mhm, eine richtige Mädchen-Pussy." Sie legte beide Hände auf ihren Unterleib und neigte den Kopf auf die Seite. "Glatt und makellos. Wie der Schoß einer 15jährigen Jungfrau."

"Hehehe", machte Ellen. "Und, ist das was Gutes?"

"Pfff, eigentlich net", sagte Verena. "Nur die Kerle stehen bestimmt drauf wie verrückt. Also eher als wie so auf die haarige Zottel-Mumu von einer 28jährigen Physikerin."

"Oder einer 32jährigen Ärztin", sagte ich.

"Hallo? Was soll ich denn da sagen?", meinte Ellen. "Ich bin 32 und Physikerin?"

"Das tät i so nun net sagen, Kleine. Das tät ich nun echt so net sagen."

"Na, am Strand behältst du dein Unterteil ja an", meinte Ellen. "Zum Glück! Sonst gäb's wahrscheinlich Herzkasper am laufenden Band, und die dottora käme gar nicht hinterher mit Wiederbelebung."

"Ich könnt's ja mal probieren", sagte Verena, und wir mussten alle lachen bei dieser Vorstellung: Verena nackt alla spiaggia.

"Schnappatmung", sagte ich.

"Na, ich geh dann mal meinen Wichtel abspülen", meinte Ellen. "Weil der ist jetzt bestimmt ja schon langsam mal gar." Und sie verzog sich unter die Dusche.

"32", sagte Verena mit diesem frechen kleinen Grinsen. "I hatt ja ursprünglich denkt, dass wir gleich alt wären, du und ich. Dabei bist du auch schon so eine alte Tante wie die Mamma Ellen."

"Bitch!", sagte ich lachend und gab ihr einen kleinen Klaps aufs immer noch nackte Hinterteil.

Komplimente machen kann sie.

Zwei Wochen Strand und Meer: Ich fand das einfach nur traumhaft! Ich war wirklich sehr zufrieden mit unserer Planänderung. Ich bin der absolute Meermensch. Und wenn ich die Wahl habe, entscheide ich mich immer fürs Meer.

Zum Baden fuhren wir immer ins Stella Marina, so ein typisch italienisches Strandbad, wo es alles gab, was das Herz begehrt: einen schönen hellen Sandstrand mit Strandliegen und Sonnenschirmen, Strandbar, Umkleidekabinen und Service direkt am Liegestuhl. Es gab dort keine aufdringliche Animation, keine "aquagym" mit hyperaktiven Vorturnerinnen, keine hammerlaute Musik all day long, die den ganzen Strand beschallt, wie in so vielen anderen italienischen Beachclubs. Kein Radau, sondern ganz classico. Und das fanden wir wunderbar.

Das Publikum war eine ganz bunte Mischung. Viele Touristen, klar, aber auch viele Einheimische. Familien, Paare. Und auch ganz viele junge Leute aus Catania.

Es wurden sehr entspannte Tage. Vollgepackt mit einer Fülle von Geschehnissen und Eindrücken, aber irgendwie auch immer das Gleiche, weil im Prinzip ja ein Tag wie der andere war. Ewige Wiederkehr.

Wir kamen immer gegen Mittag an den Strand, wenn die Frühschicht schon wieder ging. Die Einheimischen hielten uns vermutlich für völlig bekloppt: Nur Touristen legen sich in der Mittagshitze an den Strand. Nach zwei Tagen hatten wir praktisch unseren Stammplatz unweit des Wassers. Und der Rest verschwimmt in der Erinnerung. Es bleibt nur ein buntes Chaos im Kopf zurück: witzige Szenen, unsere kleinen Rituale. Gesprächsfetzen, Leute, Blicke...

Am Strand ging dann jede von uns ihren bevorzugten Beschäftigungen nach. Verena hatte immer eine ihrer Physikschwarten vor der Nase, ließ sich aber gern und leicht ablenken. Elli las ihre "Saftschinken" (O-Ton Verena) oder löste Kreuzworträtsel und unterhielt uns mit ihren Erkenntnissen: "Bedürfnis, Verlangen mit vier Buchstaben?" "Unbekleidet mit fünf Buchstaben?" Oft vergnügte sie sich mit Leutegucken und lästern. Ansonsten war sie mit Flirten beschäftigt, was sich allerdings auch praktisch kaum vermeiden ließ, weil wir permanent von irgendwelchen "Ragazzos" umlagert wurden, die mit uns "passeggio" machen wollten.

Insbesondere Verena wirkte auf die Kerle wie ein Magnet. Vielleicht lag es an ihrem türkismetallic schimmernden Bikini, aber das war es glaube ich nicht. Es hätte kaum schlimmer sein können, wenn sie komplett nackt gewesen wäre. Wir wurden auch nicht nur von den einheimischen Jungs belagert, sondern auch von Touristen: Amerikanern, Franzosen und Deutschen natürlich. Typen aller Gegenden und Zonen, die sich neben uns im Sand niederließen und anfingen, Konversation zu machen. Und es war evident, dass sie es nur darauf anlegten, eine von uns ins Bett zu kriegen. Und am liebsten Verena.

Keine von uns konnte Italienisch, obwohl ich z.B. ja mit den Liedern von Gianna Nannini quasi großgezogen worden bin. Aber das war nicht wirklich ein Problem. In den touristischen Zentren funktioniert Englisch eigentlich immer ganz gut. Und mit der Zeit schnappt man ja auch ganz schnell das wichtigste auf, so scusi, grazie, prego, fai accendere usw., alla spiaggia, porca madonna, va fanculo. Und damit kommt man ja eigentlich schon ganz gut durch. Ellen hatte sich zunächst noch ernsthaft mit dem Sprachreiseführer abgemüht, während Verena und ich eher lo-fi unterwegs waren.

"Ich glaub ja, das, was die da immer brabbeln, dies facciamo passeggio, heißt: Spaziergang machen auf Italienisch", sagte Ellen. "Nur in Wirklichkeit ist das glaub ich einfach die Aufforderung zu schnellem Sex, so nach dem Motto: hehehe, bella donna, maken spazieren gehen, alles klar? Irgendwo so rucki zucki im Stehen hinter einem dürftigen Gebüsch 'ne schnelle Nummer schieben. Oder Blowjob. Eine blasen maken."

"Bääh, ist das widerlich!" Verena schüttelte sich vor amüsiertem Ekel.

"Och, naja. Kann man so oder so sehen." Elli grinste vergnügt.

"Na, dann passt mal gut auf euch auf!", meinte ich, ein wenig spöttisch. "Make spaziere gehe." Verena grinste mich an und legte den Arm um mich.

"Keine Sorge, Kleine, wir haben alles im Griff. Festkörperphysik ist schließlich unser Spezialgebiet, weischt?", sagte sie und kniff mich in die Taille.

"Hehehe, genau. Alles bloß Physik", meinte Ellen.

"Maken spazieren gehen va bene, aber dann ist auch basta! Sollen sie sich selbst einen runterholen, ich mach's jedenfalls net!"

"Ich überleg noch", meinte Elli grinsend. "Aber keine Bange, dottore. Wenn uns einer blöd kommt, machisch Spock-Griff und: bum!"

"Das gibt's wirklich", sagte ich.

"Jaja, klar, bei den Vulkaniern."

"Nee, ganz wirklich. Wenn du hier am Hals die Carotis abdrückst, führt das augenblicklich zur Ohnmacht. Ist aber auch nicht ganz ungefährlich."

"Na dann! Greif ich dem voll in die Karotte, wenn uns einer blöd kommt."

"Festkörperphysik" als Synonym für Rummachen war natürlich der Brüller. Obwohl sich dann herausstellte, dass es tatsächlich das Spezialgebiet der beiden ist, und Verena dazu eine Publikation vorbereitete. Aber ich bin so völlig unbeleckt, was Physik angeht, und von daher prädestiniert für dumme Fragen.

"Festkörperphysik, ist das sowas wie Raketentechnik?"

"Häh?"

"Na, so Festkörperraketen. Sagt man das nicht?"

"Feststoff", sagte Verena. "Du meinst Feststoff-Raketen. Die Wunderwaffe der Nazis. Und die Weltraumrakete der Amerikaner. Nein, damit hat es nix zu tun."

Verena hat dann ein paarmal versucht, mir wenigstens die Grundlagen zu erklären: "Festkörperphysik befasst sich mit der Physik von Materie im festen Aggregatzustand." Aber Elli sei Dank glitten diese Ansätze immer schnell in Ferkelkram ab.

"Fester Aggregatzustand. Weißt Bescheid?", sagte Elli und legte die Spitze ihres Zeigefingers unter ihr rechtes Auge.

"Dabei sind die amorphen Festkörper letztlich die interessanteren, weil die Modelle nicht passen."

"Jo, völlig komplett amorph!"

Ich glaube, Verena war schlussendlich gar nicht an Sexabenteuern interessiert. Sie flirtete gern mal, aber im Grunde wollte sie einfach nur ein bisschen Spaß haben, was weiß ich: in die Strandbar gehen, kickern, Beachvolleyball, Strandspaziergänge.

"Keine Sorge, Kleine", sagte sie und legte mir die Hand um den Nacken. "Außer kickern und Cola trinken geschieht da gar nix. Eis essen vielleicht noch, aber sonst nix. Und wenn's du's genau wissen willst: das letzte Mal Sex hatte ich vor drei Monaten, als ich bei Gary in Boston war. Beruhigt?"

"Ja", sagte ich grinsend. Und merkwürdigerweise beruhigte es mich tatsächlich.

"Ich mach's wie die Ellen", fügte sie verschmitzt grinsend hinzu. "Höchstens mal heavy petting." Es war nur ein Scherz, aber Verena genoss den erschrockenen Ausdruck auf meinem Gesicht. "Ich glaub ja, sie gibt nur ein wenig an. Und sie mag halt im Urlaub gern a bissel strawanzen, weil's zuhaus ja net geht."

"Was will sie?"

"Aber i glaub net... Strawanzen. So sagt man in Innsbruck für sich herumtreiben," sagte sie grinsend. "Na, du kannst aber auch net Fremdsprachen! Ich hab gedacht, du wärst multilingual." Und wir mussten kichern wie zwei Oberstufen-Mädchen von der katholischen Schule.

"Was sagt denn eigentlich Gary dazu, wenn du hier so viel rumflirtest?", fragte ich.

"Wer?"

"Gary? Dein Freund."

"Ach Gary!" Verena lachte fröhlich. "Herr Gott, was soll er schon sagen? Amerika ist weit. Und so ist es halt bei einer Fernbeziehung: Ich betrüg ihn ein bissel, vielleicht. Er betrügt mich ein bissel, und das wahrscheinlich öfter als ich ihn. Was so schwer net ist, weil ich ja eigentlich immer ganz brav bin. Oder fast immer. Aber was auch immer geschieht, in Wirklichkeit ist es doch alles nur ein bisschen dumdidum, was überhaupt nichts zu bedeuten hat. Wir sind zusammen, und alles ist gut."

Genaugenommen flirtete Verena auch gar nicht. Sie war einfach freundlich. Sie unterhielt sich gern und hatte gern Spaß, hielt die Männer aber auf Distanz. Ich dagegen wäre einem Urlaubsflirt im Prinzip gar nicht abgeneigt gewesen, aber hauptsächlich wollte ich meine Ruhe haben. Aus Ellis permanenten Flirtereien hielt ich mich jedenfalls heraus.

Fast 800 Fotos habe ich in diesem Urlaub gemacht, und auf fast allen Bildern ist Verena drauf. Sie war mein Fotomotiv schlechthin: Verena im Kolosseum, Verena lachend vor der Pasticceria Felice, Verena mit Etna. An der Fontana di Trevi, mit Kätzchen im Arm. Beim Frühstück. Morgens im Bett. Auf der Tanzfläche. Verena, Verena, Verena, Verena.

Und immer wieder und vor allem: Verena am Strand.

Sie saß neben mir auf meinem Handtuch und schaute aufs Meer hinaus. Der Wind spielte mit ihrem Haar, das von der Sonne schon ganz hell geworden war. Sie hatte sich einen dünnen Zopf geflochten, den sie wie ein Haarband über ihre Stirn gelegt hatte.

"Hier ist's schön, gell?" Sie musste blinzeln wegen der Sonne. "Das Meer. So wahnsinnig blau."

"Ja. Es ist wunderschön hier", sagte ich.

Sie wandte den Kopf und sah mich an. "Weischt was, Kleine? Ich glaub, wenn ich überhaupt mit jemand was anfangen wollt in diesen Ferien, dann tät ich mich in dich verknallen." Bei diesen Worten stupste sie mich leicht an der Schulter.

"Das wär dann allerdings wahrscheinlich so richtig dumdidum", sagte ich.

"Ja, schon. Das tät ich Gary dann wohl lieber net erzählen", sagte sie fröhlich. "Das dürft ich ihm glaub ich net antun." Sie sprang auf und versuchte mich hochzuziehen. "Komm mit, schwimmen!" Sie rannte lachend hinunter zum Wasser und stürzte sich ohne anzuhalten kopfüber in die Brandung.

Nach dem Baden cremten wir uns dann immer gegenseitig den Rücken ein.

"Hier am Ansatz muss man immer besonders sorgfältig eincremen", sagte Verena und schob die Hand unter den Saum meiner Bikini-Hose, "wegen Sonnenbrand." Sie schnupperte an meinem Nacken. "Mmmmh, das riecht echt so unglaublich nach Sommer! Ich frag mich ja immer, was die da reintun, dass es so gut riecht. Pheromone wahrscheinlich. Das macht mich jedenfalls immer völlig heiß, dieser Geruch. So absolut nach Sommer."

"Rollig wie eine Lernschwester?", fragte ich lachend, und Verena kicherte entzückt. "Aber mich macht dieser Geruch von Sonnencreme auch immer total an."

"Schnips", sagte sie und ließ das Gummi meines Slips zurückschnappen, "und fertig."

Sie rollte sich auf ihr Strandlaken, drehte sich auf den Bauch und öffnete den Verschluss ihres Oberteils.

"So, und jetzt ich. Aber ganz zärtlich, bitte!"

Zarte anmutige Märchengestalt mit vier Buchstaben? – "Hexe?"

Dass meine beiden Mädels es übernommen hatten, mit den Wölfen zu jonglieren, war für mich natürlich ein Segen. Ich wurde nämlich weitgehend in Ruhe gelassen und konnte ganz nach Belieben tun, was ich wollte: ungestört schlafen, in die Gegend gucken und, vor allem, in aller Ruhe lesen. Das stand ja ganz oben auf meiner Urlaubswunschliste. Und vier Wochen Ferien sind natürlich auch die perfekte Gelegenheit, endlich mal den dicken Wälzer von Jonathan Franzen zu lesen, den Mama mir zu Weihnachten geschenkt hatte.

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9783754174074
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