Читать книгу: «Die fünfte Jahreszeit», страница 5

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»Das ist in Arbeit. Sie, Brodersen, bilden mit Bartels ein Team und kümmern sich ausschließlich – und das gilt vor allem für Sie, Brodersen – um die Tote vom Fabrikgelände. Ich will alles über das Gelände wissen. Und überprüfen Sie die Telefonnummern aus dem Notizbuch von Viktoria Steiner. Sehen Sie zu, dass Sie den Zahnarzt ausfindig machen. Wir brauchen eine Identifizierung. Ich muss euch wohl nicht erst sagen, dass wir der Presse vorerst keine Auskünfte erteilen. Wenn die Medien erst mal Wind von der Sache kriegen, werden sie wie Hyänen über uns herfallen. Ich muss später noch zur Pressestelle, da entscheiden wir, welche Informationen wir herausgeben. Gibt es sonst noch irgendwelche Fragen oder Vorschläge?«

Schweigen machte sich breit.

»Die Haken wurden vor Kurzem noch genutzt«, sagte Glaser in die Stille.

»Von welchen Haken redest du, Frank?«, fragte Fricke verwirrt.

»Natürlich von den Deckenhaken in der Fabrikhalle. Sie wurden vor Kurzem noch genutzt.« Der Kriminaltechniker erhob sich von seinem Platz und befestigte ein leeres Papier am Whiteboard. Dann malte er einen großen Haken darauf. »Ihr müsst euch das so vorstellen: Die Deckenhaken waren größtenteils dreckig und teilweise auch schon verrostet. Aber bei einigen war hier …« Er zeigte mit dem Finger auf den unteren Teil des Hakens. »… blankes Metall zu sehen. Das ist ein Indiz dafür, dass an dieser Stelle vor Kurzem noch etwas gehangen hat.«

»Kannst du dir vorstellen, was das gewesen sein könnte?«, fragte Fricke.

Der Kriminaltechniker zuckte nur mit den Achseln.

»Kennen wir schon die Todesursache?«, fragte Bartels. »Sven hat gesagt, dass die Tote wie ein Brathähnchen ausgesehen hat.«

Die anderen lachten.

Fricke schaute seine Mitarbeiter streng an. »Ich wüsste nicht, was es da zu lachen gibt. – Nein, Fred, bisher nicht. Dr. Steinhofer ist nicht gerade sehr kooperativ.«

»Was ist mit dem Amulett, das die Tote um den Hals getragen hat? Könnte es nicht zur Identifizierung der Toten beitragen?«, fragte Malin.

»Guter Einwand. Frank?« Fricke wandte sich an den Kriminaltechniker.

»Ist noch bei der Spurenauswertung. Ich kümmere mich gleich darum. Im Übrigen haben wir am Kellerfenster Spuren von Kleberesten gefunden. Sie scheinen jüngeren Datums zu sein. Vermutlich hat der Täter die Fenster abgeklebt, damit kein Licht nach draußen dringt. Die Partikel werden ebenfalls noch ausgewertet.«

»Gut. Sonst noch was?«

Andresen räusperte sich. »Eine Sache wäre da noch, Hans. Was ist mit der Team-Zusammenstellung? Ich hatte angenommen, dass Fred und ich …« Sven Andresen ließ den Rest des Satzes unausgesprochen.

»Zu gegebener Zeit lasse ich euch meine Entscheidung wissen. Bis dahin bleibt alles so wie besprochen.« Frickes Stimme duldete keinen Widerspruch.

Andresen fuhr sich mit der Hand über seinen roten Schnäuzer, dann nickte er.

Der köstliche Duft von Bratkartoffeln mit Rührei zog durch die Küche des Lotsenhauses. Erich Brodersen hatte sich eine Küchenschürze umgebunden und schwenkte die Eisenpfanne ein letztes Mal. Dann füllte er zwei Teller, legte jeweils eine dicke Scheibe Katenschinken dazu und schnitt noch ein paar Gewürzgurken auf. Die größere Portion stellte er vor seine Enkelin auf den Tisch. »So, mein Mädchen, lass es dir schmecken.«

Malin strahlte ihn an und begann, das Essen in sich hineinzuschlingen. »Himmlisch, Opa, du machst wirklich das beste Bauernfrühstück der Welt«, schwärmte sie, nachdem sie den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte.

»Hast du was von deiner Mutter gehört?«

Malin verdrehte die Augen. »Ich war letzten Sonntag zum Essen da.«

»Die gute Constanze. Traditionen müssen gepflegt werden, egal was kommt.«

Beide grinsten sich an.

Dann wurde Erich Brodersen ernst. »Dein Vater hat mich angerufen.«

Malins versteifte sich. »Opa, bitte, ich habe damit abgeschlossen, mach es mir bitte nicht noch schwerer.«

»Wie du meinst. Ich mache mir Sorgen, Malin. Du bist so blass und dünn geworden. Und du kapselst dich ab. Ist es wegen Ben?« Er legte seine Hand auf ihren Arm.

»Mir geht es gut. Es sind nur diese beiden Morde.« Sie schob ihren Teller beiseite und erzählte, was sich in den letzten Tagen ereignet hatte.

Erich Brodersen legte sein Besteck auf den Teller und wischte sorgfältig seinen Mund mit der Serviette ab. »Was ist aus deiner Spur zu dieser Krimiautorin geworden? Hat sich da etwas ergeben?«

»Du meinst abgesehen von der Übereinstimmung der Tatortkulisse? Ich habe eine Verbindung zwischen dem Opfer und Charlotte Leonberger gefunden. Woys Witwe hat mir bestätigt, dass ihr Mann Ende der Siebziger der Kinderarzt von Charlotte Leonberger gewesen ist.«

»Was sagt dein Chef dazu? Wie hieß er doch gleich, Hauptkommissar Fricke?«

»Nichts«, erwiderte Malin knapp.

Erich Brodersen fixierte seine Enkeltochter. »Du hast es ihm gar nicht gesagt.«

Malin nickte. »Und das werde ich auch nicht tun, bevor ich nicht noch mehr Beweise vorlegen kann. Die Verbindung ist noch ein wenig dürftig. Charlotte Leonberger ist in Hamburg aufgewachsen. Woy war zu der Zeit ein anerkannter Kinderarzt. Es könnte Zufall sein. Außerdem halten die mich im Präsidium sowieso schon für durchgeknallt.«

»Gibt es eine Verbindung zu dem zweiten Mord?«

»Du meinst davon abgesehen, dass wir es innerhalb von einer knappen Woche mit zwei bestialischen Morden zu tun haben, die nicht ins übliche Raster passen? Nein. Es gibt keine Verbindung, zumindest keine offensichtliche.« Nachdenklich biss Malin auf ihrer Unterlippe herum. »Warum fragst du?«

»Sag mal, Malin, hast du eigentlich alle Krimis von Charlotte Leonberger gelesen?«

Verwundert schüttelte Malin den Kopf. »Nein, nur zwei. Und die habe ich geschenkt bekommen. Sie haben mir nicht sonderlich gefallen. Zu trivial. Worauf willst du eigentlich hinaus?«

»Vielleicht ist es nur ein Zufall, aber im zweiten Band wird auch eine Tote in einer Fabrik gefunden.«

Malin erstarrte. »Was sagst du da? Oh mein Gott, dass wäre ja … Hast du das Buch?«

»Warte, ich hole es dir.« Erich Brodersen erhob sich und verließ die Küche, kam mit einem Taschenbuch in der Hand zurück und blätterte darin herum.

Unter der gebräunten Haut wurde er blass. Wortlos hielt er seiner Enkelin das Buch hin und deutete auf eine Stelle des Textes.

9

Es war ein scheußlicher Tag. Kalter Nieselregen tröpfelte schon seit Stunden aus den dicken Wolken, die schwer und bedrohlich am dunkelgrauen Himmel über der Stadt hingen.

Charlotte Leonberger stand in der fünfzehnten Etage eines modernen Gebäudekomplexes am Brooktorkai und schaute missmutig aus dem Fenster auf die Giebel der Speicherstadt. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingerspitzen gegen die Scheibe, während die Regentropfen an der Außenseite unablässig in Rinnsalen hinunterliefen. Sie wartete bereits fünfzehn Minuten.

Sie entschied sich gerade zu gehen, als die Tür zum Büro schwungvoll aufgerissen wurde.

Simon Thompson, erfolgsverwöhnter Literaturagent und Miteigentümer der renommierten Medienagentur Thompson­ ­& Leith, betrat mit einem strahlenden Lächeln sein Büro. Er war ein großer Mann, Ende vierzig, mit dunklem, glänzendem Haar und dem Aussehen eines Filmstars. Unter einem dunkelblauen Nadelstreifenanzug trug er ein cremefarbenes Hemd mit passender Krawatte und die auf Hochglanz polierten Schuhe rundeten seine elegante Erscheinung perfekt ab.

»Meine liebe Charlotte, bitte entschuldige, dass du so lange warten musstest. Bitte nimm doch Platz.« Ganz Gentle­man, ging er auf einen Chromstuhl zu, um ihn ein wenig abzurücken, und setzte sich dann selbst auf einen schwarzen Lederdrehstuhl hinter seinem Schreibtisch.

»Deinen Charme kannst du woanders versprühen. Sag mir lieber, warum du mich so lange warten lässt.« Charlotte machte keinerlei Anstalten, sich zu setzen.

»Du wirst sehen, es hat sich gelohnt. Schau selbst.« Er reichte Charlotte eine Mappe.

»Was soll das? Warum musste ich extra aus Kiel herkommen?«, fragte sie mit säuerlicher Miene.

»Schau rein«, forderte er sie auf.

»Sag du es mir.«

»Okay, dann mache ich es kurz. Wir haben von den Amerikanern ein Angebot für die Filmrechte deiner Krimireihe bekommen. Ein fantastisches Angebot sogar.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Eine Million Dollar. Was sagst du dazu?«

»Nein«, antwortete Charlotte knapp.

»Wie, nein?«

»Ich möchte nicht, dass meine Bücher von den Amerikanern verfilmt werden.«

« Ich bin sicher, dass der Preis noch verhandelbar ist, wenn es das sein sollte, was dich stört.« Thompson streckte seine langen Beine aus und strich nervös über seine Krawatte.

»Simon, darum geht es nicht. Mir gefällt einfach diese ganze Kommerzkiste der Amis nicht. Die werden meine ganzen Geschichten verzerren. Wenn ich überhaupt irgend­welchen Verfilmungen meiner Bücher zustimme, dann will ich ein Mitspracherecht bei den Schauspielern und den Drehorten. Glaubst du vielleicht, dass die Amis hier in Deutschland drehen würden?«

»Tja, ich weiß nicht, aber Babelsberg ist im Kommen. Auch bei den Amerikanern. Einen Versuch wäre es wert. Solange du nicht auch noch das Drehbuch absegnen willst.«

Charlotte sah ihn eindringlich an.

»Du willst Mitspracherecht bei den Drehbüchern?«, fragte er ungläubig.

»Entweder so oder gar nicht. Sieh zu, Simon, du bist mein Agent. Jetzt kannst du endlich mal zeigen, wie gut du wirklich bist.« Charlotte griff nach ihrem Trenchcoat. Sie winkte dem verblüfften Literaturagenten noch einmal kurz zu und verließ dann zufrieden lächelnd das Büro.

Sollte er doch mal was tun für sein Geld. Filmrechte an die Amis, nicht schlecht, Charlotte, lobte sie sich im Stillen. Vor sich hin summend trat sie in den Empfangsbereich. Eingesunken auf einer riesigen Ledercouch saß eine kleine, rundliche Gestalt, die sich bei ihrem Anblick sofort erhob.

»Komm, Alma, wir haben etwas zu feiern. Wir gehen jetzt shoppen und kleiden uns von oben bis unten neu ein.« Übermütig umarmte Charlotte ihre Tante und drehte sich mit ihr im Kreis.

»Was ist denn mit dir los, Kindchen? Auf einmal so gute Laune?«

»Ach, Alma, es ist doch ein herrlicher Tag heute.« Charlotte lächelte sie liebevoll an.

»Na, ich weiß nicht«, antwortete Alma mit einem skeptischen Blick durchs Fenster.

Sie schlenderten den Neuen Wall entlang und sahen sich die aktuelle Winterkollektion in den Geschäften der internatio­nalen Designer an. Der Nieselregen war in einen kräftigen Schauer übergegangen, was Charlotte als Veranlassung sah, bei einem französischen Nobelausstatter einen pinkfarbenen Regenschirm für einen astronomisch hohen Preis zu erstehen. Die passende Handtasche für den Gegenwert eines ausländischen Kleinwagens kaufte sie gleich dazu.

Untergehakt, mit einem halben Dutzend Tüten bepackt, gingen sie vergnügt unter dem neuen Schirm Richtung Rathausmarkt. Bei den Alsterarkaden blieben sie kurz stehen, lauschten einem Geigenspieler und beobachteten die Schwäne. Dem Wetter zum Trotz suchten sich rund um das Areal des Rathauses eine Heerschar von Touristen, Geschäftsleuten und zahlreichen Einkaufswütigen, ebenfalls gut beschirmt, ihren Weg.

Charlotte und Alma überquerten den großen Platz und bewunderten die prächtige Fassade des Rathauses. Wie immer, wenn Charlotte vor dem Regierungsgebäude stand, wanderten ihre Gedanken zu ihrem Vater. Viktor Leonberger war Mitte der achtziger Jahre Senatsmitglied der Hamburger Landesregierung gewesen.

Charlotte schaute Alma an. Ihre Tante schien ebenfalls an ihren verstorbenen Bruder zu denken.

»Café Paris?«, fragte Charlotte aufmunternd, um keine Schwermut aufkommen zu lassen.

Alma sah sie mit ihren dunklen Knopfaugen traurig an. Dann überzog ein verschmitztes Lächeln das runzelige Gesicht. »Café Paris«, bestätigte sie.

Sie schlenderten zur Rathausstraße, und sobald sie das Café betraten, tauchten sie in eine Welt längst vergessener Zeiten. Die gekachelten Wände und Decken des 1882 gebauten Hauses waren ein Jugendstiltraum mit Ornamenten und Gemälden.

Charlotte und Alma steuerten einen der wenigen freien Tische an. Alma ließ sich erschöpft auf die dunkelgrüne Lederbank fallen, und griff nach der Karte. Obwohl es fast mittags war, bestellten beide das französische Frühstück. Charlotte organisierte sich eine Ausgabe der Hamburger Tageszeitung, die kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, und blätterte rasch die Seiten durch. Währenddessen bewunderte Alma das bunte Seidentuch, dass Charlotte ihr spendiert hatte.

»Leg es um«, forderte Charlotte ihre Tante auf, nachdem sie die Zeitung beiseite gelegt hatte.

»Hier?«

»Wo denn sonst, wenn nicht hier? Kannst du nicht das Pariser Flair spüren, das uns hier umgibt?« Sie lächelte Alma aufmunternd zu.

Die legte das Seidentuch andächtig um ihren Hals. »Es ist wunderschön. Vielen Dank, Charlotte.«

Sie lächelten sich an.

Eine Kellnerin brachte das Frühstück und stellte die vielen Teller auf den kleinen Tisch. »Darf ich die mitnehmen?«, fragte sie höflich und wies dabei auf die Zeitung.

»Gerne«, erwiderte Charlotte und tunkte ein Croissant in ihren Kaffee.

»Moment, warten Sie!« Alma Leonberger langte nach der Zeitung und starrte auf einen Artikel. Die Kellnerin entfernte sich diskret. »Das ist Richard Woy!« Alma zeigte auf ein Foto.

»Das Opfer vom Torhausmord? Die Polizei scheint noch keine Erfolge erzielt zu haben, die Artikel werden immer spärlicher.« Charlotte fixierte die blasse Miene ihrer Tante und fragte dann überrascht: »Du kennst seinen Nachnamen? Alma, kennst du diesen Mann?« Sie legte das restliche Croissant zurück auf den Teller.

»Du kennst ihn auch. Das ist Dr. Richard Woy. Charlotte, er war dein Kinderarzt.«

Charlottes Puls beschleunigte sich. Die Anrufe, der nachgestellte Tatort und ihr Kinderarzt – das waren eindeutig zu viele Zufälle.

Die Tote vom Fabrikgelände war anhand des Zahnschemas als Viktoria Steiner identifiziert worden.

Von den Eltern der Toten hatten sie eine Liste mit Namen von Verwandten und Freunden ihrer Tochter erhalten. Es würde Tage dauern, alle zu überprüfen. Malin entfuhr ein Stöhnen.

»Fricke meint, wir sollen bei Elisabeth Völkers anfangen«, sagte Bartels. »Die beiden haben am Mordabend zusammen Geburtstag gefeiert.« Der Ermittler hatte tiefe Schatten unter den Augen und einen Dreitagebart am Kinn.

»Gut. Weiß man schon etwas von ihrem Mann?«

»Der ist vor acht Monaten ums Leben gekommen«, entgegnete Bartels. »Verkehrsunfall.«

»Furchtbar.« Malin hielt für einen Moment inne. »Sollten wir nicht noch mal in die Wohnung fahren?«

Bartels schüttelte den Kopf. »Da ist gerade die Spusi drin. Kannst du dich schon mal um die Adresse der Völkers kümmern? Ich muss noch mal kurz telefonieren.« Er griff nach dem Hörer.

Die Kontaktdaten von Elisabeth Völkers standen gleich auf der ersten Seite der Liste. Malin notierte sich die Anschrift und beobachtete, wie die Gesichtsfarbe ihres Kollegen von blass ins Rötliche wechselte. Seine Hand umkrampfte den Telefonhörer. Plötzlich legte er auf und blieb einige Sekunden regungslos sitzen.

»Fred, alles klar?«

»Malin, ich muss weg.«

»Und was wird dann aus der Völkers?«

»Frag Andresen, ob der Zeit hat. Ich muss los.« Er schnappte sich Jacke und Autoschlüssel.

»Aber Andresen ist doch für den Torhausmord eingeteilt!«, rief sie ihm hinterher. Doch Bartels war bereits verschwunden.

Und nun? Andresen kommt schon mal gar nicht in Frage, dachte Malin. Halbherzig wählte sie die Handynummer von Ole Tiedemann. Nach dem zweiten Klingeln legte Malin wieder auf. Anschließend wählte sie die Nummer von Elisabeth Völkers. Niemand nahm ab. Dann eben nicht, dachte sie und verließ den Raum.

Vor Frickes geschlossener Bürotür blieb sie einen Moment stehen. Sie hätte ihren Vorgesetzten schon längst darüber informieren müssen, dass auch der zweite Tatort Ähnlichkeiten mit einem Leonberger-Krimi aufwies. Doch würden die Übereinstimmungen ausreichen, um Fricke davon zu überzeugen, dass zwischen den beiden Morden ein Zusammenhang bestand?

Ihr nächtlicher Besuch bei ihm kam ihr in den Sinn. Damit war die Entscheidung gefallen.

Dieses Mal würde sie die Sache richtig angehen.

Zwanzig Minuten später betrat Malin den Altbau in der Mozartstraße. Die Haustür zu Viktoria Steiners Wohnung war nur angelehnt. Sie streifte sich Füßlinge und Handschuhe über.

Ein Mitarbeiter der Spurensicherung kam ihr im Flur entgegen und lächelte ihr unter der Kapuze seines Overalls freundlich zu. »Der Chef ist im Wohnzimmer.«

Dort standen Schranktüren offen, Sofakissen lagen auf dem Boden und Schubladen waren aufgerissen. Der Leiter der Spurensicherung hob gerade mit einer Pinzette etwas vom Boden auf. Er hielt es ins Licht und steckte es anschließend in eine durchsichtige Spurensicherungstüte. »Was willst du denn hier?«, fragte er mürrisch.

»Ich will mir ein persönliches Bild von der Toten machen. Hast du irgendein Problem damit?«

»Schon gut, man wird ja noch mal fragen dürfen.«

»Kannst du mir vielleicht schon irgendetwas sagen?«, fragte Malin eine Spur versöhnlicher.

Glaser legte die Pinzette beiseite. »Wir müssen die Spuren natürlich noch auswerten, aber ich glaube nicht, dass der Mörder sein Opfer hier in der Wohnung überwältigt hat. Es deutet nichts auf einen Kampf.«

»Ist es in Ordnung, wenn ich mich ein wenig umschaue?«

Der Kriminaltechniker hob die Augenbrauen und sie befürchtete schon eine seiner Ermahnungen, als sein zusammengekniffener Mund sich zu einem Grinsen verzog. »Ich hab gehört, du hast mit Andresen nicht gerade einen neuen Freund gefunden?«

Malin nickte überrascht.

»Gut. Wird Zeit, dass unserem aufgeblasenen Kollegen mal jemand die Stirn bietet.«

»Also, hab ich dein Okay?«

»Tu, was du nicht lassen kannst.«

Unverzüglich ging sie zum Bücherregal. Mit ihrer behandschuhten Hand fuhr sie langsam die Bücherreihen entlang.

Dort standen sie – alle vier Bände von Charlotte Leonberger. Sie zog einen aus dem Regal und schlug die erste Seite auf. Malin überlief ein eiskalter Schauer. Sie legte das Buch beiseite und nahm das nächste zur Hand. Mit zittrigen Händen schlug sie auch dort die erste Seite auf. Wieder.

Sie sah einen Band nach dem nächsten durch, dann benötigte sie einige Minuten, um die Entdeckung zu verdauen.

10

Das Institut für Rechtsmedizin befand sich in einem zweistöckigen Gebäude aus den Sechzigern am Rande des Universitätsklinikums Eppendorf.

Malin stellte den Mini auf dem gesonderten Parkplatz für Einsatzfahrzeuge ab und betrat mit gemischten Gefühlen die Empfangshalle. Es war ihre erste Obduktion.

Sie war erleichtert, als sie die vertraute Gestalt von Fricke­ entdeckte, der sich gerade mit einem kräftigen jungen Mann unterhielt. »Brodersen, das ist Mike Hansen. Er ist Sektions­gehilfe in diesem Schuppen. Stellen Sie sich gut mit ihm, er ist immer bestens informiert.«

Fricke klopfte Hansen kurz freundschaftlich auf die Schulter.

Hansen musterte sie kurz, dann erschien ein Lächeln auf seinem runden Gesicht. »Was für ein Glanz in unserem tris­ten Haus.« Seine himmelblauen Augen blickten sie ergeben an.

»Wunderbar, dann haben Sie sich ja bekannt gemacht«, stellte Fricke auffordernd fest.

Hansens Blick löste sich von Malin. »Folgen Sie mir. Dr. Steinhofer wartet auf Sie. Nicht dass sie nichts anderes zu tun hätte – wir haben letzte Nacht zwei Verkehrsunfälle reinbekommen. Tja, der Herbst hat begonnen.« Er strahlte Malin an.

Im Untergeschoss, wo sich der Autopsietrakt befand, legten sie Schutzkleidung an und folgten dem Sektionsgehilfen in den Obduktionssaal. Ein schwerer, süßlicher Geruch drang ihnen mit einem Hauch von Desinfektionsmittel gepaart entgegen. Grelles Neonlicht strahlte von der Decke auf mehrere Obduktionstische aus rostfreiem Edelstahl.

Dr. Steinhofer war in einen grünen Sezierkittel gekleidet und sprach in ein Diktiergerät. Fricke räusperte sich. Die Rechtsmedizinerin gab Hansen ein Zeichen und der Sektions­gehilfe schlug das Laken zurück, das die Leiche verhüllte. Umgehend rebellierte Malins Magen.

»Ihre Erste?« Dr. Steinhofers Frage klang wie eine Feststellung und war frei von jeglichem Mitgefühl.

Malin nickte und zwang sich zu lächeln.

»Ich möchte, dass Sie sich das ansehen.« Dr. Steinhofer wies auf verschiedene Körperstellen der Toten. »Das sind Brandblasen in verschiedenen Stadien. Sie müssen sich das so vorstellen: Erst rötet sich die oberste Hautschicht, anschließend entstehen Blasen, die mit Wundflüssigkeit gefüllt sind. Irgendwann platzen sie auf und die sogenannte Lederhaut wird sichtbar. Wird diese dann weiterhin einer Strahlung ausgesetzt, platzt die Unterhaut und es kommt zu diesen fleischigen Wunden. Zeitgleich wird dem Körper Flüssigkeit entzogen. Er trocknet langsam aus, ja er verdurstet regelrecht.«

»Also war das die Todesursache?« Fricke beugte sich über den Obduktionstisch und begutachtete die Wunden.

»Nicht direkt. Der Tod trat durch einen sogenannten hyper­thermischen Schock ein. Die Folge der Austrocknung.«

Fricke trat vom Obduktionstisch zurück. »Hat sie während der Folterung noch gelebt?«

»Leider ja. Man kann nur hoffen, dass sie schnell die Bewusstlosigkeit erreicht hat.«

Malin schloss die Augen und kämpfte mit einer weiteren Welle der Übelkeit.

Fricke brach das Schweigen. »Wie lange hat es gedauert, bis der Tod eingetreten ist?«

»Lange. Unter Berücksichtigung aller Faktoren würde ich sagen, mindestens zehn bis zwölf Stunden.«

»Und wie hat sie sich diese Brandverletzungen zugezogen? Ich meine, die Leiche sieht ja nun nicht gerade aus, als hätte sie im Ofen gelegen.«

»Leider kann ich in diesem Punkt nur Vermutungen anstellen. Die Haut weist unterschiedliche Verbrennungsgrade auf. Ich würde auf Strahlung tippen.«

»Es waren Sonnenstrahlgeräte, solche, wie sie in den Sonnen­studios benutzt werden«, platzte es aus Malin heraus.

»Brodersen, der Mörder hat doch keine Sonnenbank in die Fabrik geschafft und sie dann darin gebraten«, erwiderte Fricke schmunzelnd.

»Lassen Sie Frau Brodersen ausreden«, mischte sich Dr. Steinhofer ein und nickte Malin aufmunternd zu.

»Natürlich hat der Mörder keine komplette Sonnenbank in die Fabrik geschafft. Die Geräte gibt es auch in kleinen Formaten, sozusagen für den Hausgebrauch. Meistens werden sie fürs Gesicht und den Oberkörper genutzt. Der Mörder hat die Strahler mit Stahlseilen an den Haken der Decke befestigt. Deshalb auch die Farbabplatzungen. Dann hat er sie immer weiter von der Decke abgesenkt, bis sie irgendwann nur noch wenige Zentimeter vom Körper entfernt waren. Er hat sich Zeit gelassen, um sein Opfer möglichst lange am Leben zu erhalten. Und um es länger zu quälen.« Malins Stimme war nur noch ein Flüstern.

»Brodersen, was in Teufels Namen hat Sie zu dieser verrückten Theorie veranlasst?«

Malin sagte es ihm.

956,89 ₽
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Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
Объем:
392 стр. 5 иллюстраций
ISBN:
9783839264140
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