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Coming Home – Sasha

Charly zog schnell und routiniert durch die lange Rechtskurve, nahm das Gas weg und ließ den Motor die Maschine abbremsen, um die Rechts-Links-Kombination der Schikane mit größtmöglichem Schwung zu durchfahren. Als die Fußraste aufsetzte, schmunzelte sie. ‚Ein perfekter Abschluss für ein perfektes Wochenende.’

Ihre Entdeckung hatte sie im besten Hotel Quedlinburgs gefeiert. Zuerst mit einem luxuriösen Dinner. Allein, obwohl die Rezeptionistin ihr einen Briefumschlag gereicht hatte, mit einer höflich bittenden Einladung zum Abendessen. Noch während sie nachdenklich, den gefalteten Zettel auf den Daumen der linken Hand tappend, auf der Kante eines Sessels in der Lobby hockte, kam der Fremde vom Hotelparkplatz die Stufen der Treppe herab und hatte sie gesehen, bevor sie reagieren konnte. Ihm auszuweichen wäre einem Weglaufen gleichgekommen, und sie stand auf, um ihre Ablehnung nicht aus der völlig nachteiligen Sitzposition heraus formulieren zu müssen. Wenn er über ihre Absage enttäuscht war, so verbarg er es gut und folgte ihr zum Eingang des Restaurants. Sie konnte keine Reservierung vorweisen und der Kellner zuckte bedauernd die Schultern. Da griff ihr Begleiter ein und überließ ihr seinen Tisch, drehte auf dem Absatz um und verließ Restaurant und Hotel mit schnellen Schritten.

Obwohl sie während des Essens den Marktplatz im Auge behielt, sah sie ihn nicht zurückkehren, aber als sie zu ihrem Zimmer gehen wollte, saß er in der Lobby, scheinbar versunken in eine Tageszeitung. Zielstrebig ging sie auf ihn zu und er klappte raschelnd die Blätter zusammen. „Danke“, sagte sie einfach ohne weitere Erklärungen. „Darf ich Sie zu einem Glas Wein an der Bar einladen?“ Zufrieden registrierte sie die Überraschung, die kurz in seinen Augen aufblitzte.

Er fing sich schnell und erhob sich. In Jeans und Hemd erinnerte nichts mehr an den Anzugtypen; er wirkte sportlich, und kurz streiften ihre Gedanken die Frage, was er beruflich machen mochte.

„Gern.“

Es blieb nicht bei einem Glas. Sie fand ihn interessiert, mochte, dass er ihr zuhörte und genauso bereitwillig von sich erzählte. Es wurde spät und allmählich begann sie, die Auswirkungen ihres frühen Starts und des Weins zu spüren. Suchend blickte sie über den Tresen und er kam ihr mit dem Herbeiwinken des Kellners zuvor und zahlte seine letzten beiden Gläser. „Ihre Einladung bezog sich schließlich nur auf ein Glas Wein“, hob er verschmitzt lächelnd hervor und sie zahlte ihre eigene Rechnung und sein erstes Glas, mit dem üblichen generösen Trinkgeld. „Obwohl ich es sonst bevorzuge, Damen in meiner Begleitung einzuladen.“

Sie ließ ihm einen warnenden Blick zukommen, zog es aber vor, nicht zu antworten. Nebeneinander stiegen sie die ersten zwei Stockwerke hinauf; das Hotel verfügte über keinen Aufzug. Dann blieb er stehen und bedankte sich für die Zeit, die sie mit ihm verbracht hatte. „Soll ich Sie noch zu ihrem Zimmer begleiten?“, fragte er und sie warf lachend den Kopf in den Nacken.

„So hat es auch noch niemand formuliert.“

„Nun, bei jeder anderen Formulierung hätten Sie mir Hintergedanken unterstellt.“ Ernst sah er sie an, nur ein leichtes Schmunzeln umspielte seine Lippen.

„Haben Sie welche? Hintergedanken, meine ich?“, fragte sie. Ihr dämmerte, dass es vielleicht die falsche Frage war. Zu spät.

Sein Schmunzeln wurde breiter. „Darf ich?“ Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern griff ihre Hand und hauchte einen Kuss auf ihre Fingerknöchel, kaum dass seine Lippen ihre Haut berührten.

„Gute Nacht.“ Eilig entzog sie ihm die Hand und unter seinem Blick stieg sie die letzte Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Erst als sie auf den Flur einbog, hörte sie seinen Gute-Nacht-Gruß. Aber sie war sich sicher, dass er dort wartete, bis ihre Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war.

***

Sie hatte bestens geschlafen und auf den Sonnenaufgang auf dem Burgberg verzichtet. Stattdessen war sie, in alle Kissen und Decken des geräumigen Doppelbettes gekuschelt, erst lange nach Sonnenaufgang erwacht und hatte noch eine gute Stunde mit ihrem Handy in ihrem gemütlichen Nest verbracht.

Dann hatte sie die Wasserkosten des Hotels kräftig in die Höhe getrieben und die Flasche guten Rotweins, die sie für den vorhergehenden Abend gekauft hatte, sicher im Tankrucksack verstaut, damit sie nach dem Frühstück sofort starten konnte. So faul begann sie selten den Tag und angesichts des strahlenden Sonnenscheins packte sie die Unruhe. Bestes Motorradwetter und sie vertrödelte die Zeit!

Sie verließ ihr Zimmer und flitzte die Treppen hinab. Das Geländer fiel ihr einladend ins Auge, aber darauf hinabzurutschen wagte sie nicht.

Er hatte auf sie gewartet. Das Telefon am Ohr und mit angespanntem Gesichtsausdruck schien er in eine Argumentation vertieft, doch er unterbrach das Gespräch und sprang auf, kaum, dass er ihrer ansichtig wurde. Der Frühstücksraum war ungefährliches Terrain, die Bezahlfrage stellte sich nicht und sie würde in spätestens einer guten Stunde unterwegs sein. Leichten Gemütes nahm sie seine Bitte, ihm beim Frühstück Gesellschaft zu leisten, an. Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht nach einem schnellen Kaffee und einem Brötchen auf die Hand, dehnte sie ihr Frühstück zu einer mehr als ausgiebigen Plünderung des Büffets aus.

„Woher wussten Sie, dass Sie nicht umsonst warten?“, fragte sie schließlich.

„Sie würden wohl kaum ohne Ihr Motorrad abreisen. Das stand unverändert an seinem Platz. Ich habe nachgesehen.“ Er wirkte verlegen und sie begann zu schmunzeln, versteckte es aber gleich hinter ihrer Serviette. Ihrem Einwand kam er zuvor.

„Ihre Anwesenheit war das Risiko, umsonst zu warten, allemal wert, genauso wie die Geduld.“

Jetzt wich sie doch seinem Blick aus und faltete übertrieben sorgfältig ihre Serviette zusammen. „Danke“, fiel ihr verspätet ein.

„Ich danke Ihnen“, betonte er eindringlich und verwirrt sah sie auf.

„Wofür?“

„Ich bin beruflich sehr oft auf Reisen. Glauben Sie mir, ein Abend in solch angenehmer Gesellschaft wie der Ihren ist eine Sternstunde und eine Fortsetzung am Frühstückstisch fast zu schön, um wahr zu sein.“

Sie spürte, wie ihre Wangen zu brennen begannen, aber sie hielt am Tisch aus, gesenkten Blickes. Erst, als sie sich sicher war, nicht doch dem übermächtigen Wunsch nach Flucht nachzugeben, sah sie ihn an. Mit liebevollem und nahezu väterlichem Lächeln beobachtete er ihren Kampf um Fassung. ‚Väterlich?’ Mit sichtlichem Ruck und aufsteigender Irritation warf sie ihre Serviette auf den Teller und erhob sich nun doch. „Was das anbetrifft, ich muss los.“ Sie haschte nach ihrem Zimmerschlüssel, der auf dem Tisch lag.

„Nach …“, er zögerte, „… Hause?“ Ohne Hast erhob er sich ebenfalls und zeigte allenfalls mildes Interesse.

Ihr Magen schickte ein warnendes Tingeln durch ihren Körper und sie nickte nur. „Und Sie?“

„Berlin und anschließend Hamburg. Die andere Richtung.“ Sein Tonfall war leicht und irgendwie beruhigend und sie lachte.

„Oh, ich fahre nicht direkt, es gibt hier einige nette Treffs, die einen Stopp wert sind.“ Und ungefährlich, weil dort genügend Menschen sein würden.

Ihm voraus ging sie in die Lobby und zögerte am Fuß der Treppe. Sie wollte nicht unhöflich sein und ohne Abschied gehen, aber sie wusste auch nicht recht, was er als Abschied erwartete. Reichte ein unverbindlicher Gruß? Sie sah zurück, aber er bedeutete ihr, dass er auf sie warten würde. Kurz darauf stand sie neben ihm, komplett in Kombi, Tankrucksack und Helm in der Linken, ihre Kreditkarte in der Rechten, am Tresen des Empfangs.

Die Rezeptionistin schüttelte den Kopf. „Ist bereits erledigt.“

Verärgert schob Charly die Karte in die Tasche und angelte stattdessen einen zerknautschten grünen Schein hervor, den sie ihm unmissverständlich auffordernd entgegenhielt.

„Denken Sie beim Tanken an mich“, lächelte er und hob eine elegante Laptoptasche vom Boden auf. Mit einem freundlichen Gruß zu der Frau hinterm Tresen, die mit sichtlichem Unbehagen die Situation beobachtete, drehte er auf dem Absatz um und verhinderte so, dass Charly ihm effektvoll das Geld vor die Füße werfen konnte. Mit wenigen schnellen Schritten holte sie ihn ein und wollte ihm gerade den Schein recht unzeremoniell in die Hand drücken, als äußerst unpassend sein Handy klingelte.

Sie verpasste ihm einen Seitenblick der Kategorie ‚den Trick kenne ich’ und ging weiter zu ihrem Motorrad. Er war stehen geblieben und sie konnte ihn nicht mehr sehen, aber undeutlich hören. Sie spitzte die Ohren. Worte konnte sie keine unterscheiden, aber seine Stimme wechselte zwischen langmütiger Geduld und kompromissloser Argumentation. Sie war bereit, sich in den Sattel der Monster zu schwingen, als ihr die Gelegenheit bewusst wurde. Vorsichtig den Schein, den sie ärgerlich achtlos in den Tankrucksack gestopft hatte, glättend, ging sie zu seinem Wagen. Den Scheibenwischer bereits gelüpft, zögerte sie. Dienstreisen seien einsam, hatte er gesagt. Langsam ging sie zurück zu ihrem Motorrad. Sie suchte und fand einen Zettel und einen Stift, und im Portemonnaie noch einen Fünfziger.

Nach drei Zeilen wickelte sie Papier und Geld zusammen und platzierte beides gut sichtbar. Mit einem Blick aufs Kennzeichen des Wagens tippte sie die Kombination in ihr Handy und schickte die Nachricht an ihren Vater. ‚Bin gespannt, ob er was herausbekommt’, schmunzelte sie.

Der Fremde telefonierte noch immer. Eilig nun zog sie den Helm über die Ohren, saß auf und startete die Maschine. Im Losfahren sah sie, wie er mit enttäuschtem Gesichtsausdruck neben dem Geländer auftauchte und hob kurz grüßend die Linke vom Lenker.

Wenige Straßenzüge später war alles vergessen. Vor ihr lagen kleine, kurvige Landstraßen bei bestem Motorradwetter.

***

Der Umweg nach Stiege und anschließend sogar noch rauf nach Torfhaus war ein Muss, das sich gelohnt hatte. Selten war ihr so viel Aufmerksamkeit zuteil geworden. Sie nahm die Linke vom Lenker, grüßte einen entgegenkommenden Motorradfahrer und klopfte seitlich an den Tank der Monster. ‚Den Großteil verdanke ich dir’, dachte sie liebevoll an ihr Motorrad gerichtet. ‚Erstaunlich, wie schnell man in Kategorien verschwindet. Letztes Jahr war es die Anfänger-Kategorie. Nichts war ich weniger als das. Aber kaum einer hat es bemerkt, weil sie mich übersehen haben. Bis sie das Nachsehen hatten, im wahrsten Sinne des Wortes.’ Sie lachte unwillkürlich. ‚Jetzt bin ich aufgestiegen und werde gesehen. Prompt hagelt es Respekt, Zweifel, Neid und Missgunst. Immerhin alles selbst verdient. Finanziell und fahrtechnisch.’

Stolz durchrieselte sie.

‚Das ‚Spiel’ hat mit der Kleinen immer Spaß gemacht, aber mit dir ist es unvergleichlich. Auch da merke ich die Unterschiede. Sie wurde nie ernst genommen, heute haben mir mehr Opfer Paroli geboten als sonst. Oder es zumindest versucht. Das Wasser reichen konnte mir keiner.’ Noch immer schmunzelnd nahm sie das Gas weg, weil sie auf einen dahindümpelnden Sportwagen auflief. Das Überholen war hier verboten und im Allgemeinen achtete sie die Verkehrsregeln. Es war auch nicht mehr weit bis zum Abzweig.

Insgeheim hatte sie gehofft, den Fremden doch noch einmal zu treffen, hatte an beiden Treffs die Parkplätze der Autos kontrolliert, bevor sie gefahren war. ‚Na, vielleicht kann Dad mir da Infos beschaffen.’

Allmählich drang die Umgebung stärker in ihr Bewusstsein, das Spiel der Sonnenstrahlen und Schatten auf der Straße, das Grün der Buchen über ihr und das unverwechselbare niedertourige Schnurren ihrer Monster, das vom satten Klang des Wagens vor ihr fast überlagert wurde. ‚Schöner Sound’, bemerkte sie. ‚Ist das etwa der Porsche von der Ampel gestern? Die Farbe jedenfalls kommt hin und ist selten.’ Nur der gelangweilte Fahrstil passte nicht so recht. ‚Komm Junge, fahr zu, ich muss aufs Klo’, dachte sie und rutschte näher an den Tank.

Sie setzte den Blinker und bog ab ins Dorf. Wenig später schloss sie die Haustür auf. Sie hatte kaum Helm und Tankrucksack auf dem Sideboard deponiert, als das Telefon zu läuten begann. „Du musst jetzt warten“, sagte sie und verschwand hastig im Bad.

***

Gereon freute sich auf zu Hause. Er war platt. Weniger vom Umzug denn von der durchzechten Nacht. In der Schikane fiel ihm sein Verbremser vom Vortag ein. Kurz darauf tauchte ein Motorrad hinter ihm auf. ‚Wieso überholt der nicht? Ich bin wirklich nicht schnell unterwegs. Ach ja, Überholverbot. Na, der nimmt das aber genau.’

‚Moment, ist das nicht die Monster von gestern?’ Noch ehe er alle Implikationen dieser Feststellung begriff, bog das Motorrad ab. Die Straße hinter ihm war leer. Gereon trat auf die Bremse und wendete.

Filmreif.

Sekunden später bog auch er ins Dorf. Es gab nur eine einzige, kurvige Straße. Still und leer. Am Ortsausgang konnte er sie bis zu seinem Heimatort überblicken. Genauso leer. Er wendete wieder, langsam diesmal. Im Schritttempo fuhr er die Dorfstraße entlang und spähte in die Einfahrten. Die Monster war verschwunden.

***

Nur wenige Minuten später schloss sich langsam das Rolltor hinter seinem Porsche.

A Good Heart – Feargal Sharkey

Das Telefon läutete noch immer.

“Charly? Beatrix hier. Entschuldige den Überfall, ich habe dich reinfahren sehen. Kommst du bitte rüber? Ich habe ein kleines Problem.”

„Ich schau erst nach den Pferden und sage meinem Vater Bescheid, dass ich zu Hause bin, ok?“

„Sicher, bis gleich.“

***

„Da hast du dir einen interessanten Mann geangelt“, begrüßte sie Stevens Stimme, kaum dass der Rufton einmal erklungen war.

„Inwiefern? Und wie geht’s Dad?“, fragte sie und balancierte das Handy ungelenk zwischen Schulter und Ohr, während sie versuchte, den Deckel von der Packung Katzenfutter abzuziehen.

„Bestens“, rief ihr Vater aus dem Hintergrund. Konferenzschaltung also, und Steven hatte es nur wieder nicht erwarten können, ihr die Neuigkeiten vor den Bug zu setzen. Sie lauschte seiner Aufzählung an Stationen und Posten.

„Er könnte dein Vater sein“, beendete er schließlich die beeindruckende Auflistung.

„Ich hätte ihn jünger geschätzt als Dad“, antwortete sie, defensiv.

„Er ist reichlich fünf Jahre älter als ich“, ertönte die amüsierte Stimme ihres Vaters.

„Er hat mein Zimmer bezahlt“, knurrte sie ins Telefon.

„Abgesehen davon, dass er sich das leisten kann …,“ antwortete er, plötzlich ernst, und fuhr mit verändertem Tonfall fort: „Ich kenne ihn persönlich.“ Er machte eine Pause, als wolle er mehr sagen und sie wartete ab. „Ich hoffe, du hast ihm seine fürsorgliche Geste nicht zu heftig um die Ohren gehauen?“

„Wieso?“, fragte sie mit einem unbehaglichen Kribbeln zwischen den Schulterblättern.

Ihr Vater antwortete nicht sofort und sie sah ihn vor sich, wie er mögliche Antworten überdachte.

‚Was ist es?’, dachte sie hektisch. „Ist er gefährlich?“, brach sie die Stille.

„Nein“, antwortete er ohne zu zögern, aber auch nicht übertrieben schnell, und eine Spannung, die sie bisher nicht gespürt hatte, fiel von ihr ab.

„Er mag es, junge Frauen ein Wochenende lang wie eine Königin zu behandeln und ihnen alles zu bieten, was ihr Herz begehrt. Ohne Gegenleistung“, betonte er.

‚Er verschweigt mir etwas’, dachte sie, beschloss aber, es nicht weiterzuverfolgen. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass alles Nachbohren vergeblich sein würde. „Da hatte er sich mit mir die Falsche ausgesucht“, lachte sie und erzählte nicht ohne Stolz ihre Lösung. „Wobei ich zu gern sein Gesicht gesehen hätte …“

„Man kann nicht alles haben“, mischte sich Steven lapidar ein. „Was stand denn auf dem Zettel?“

„Geht dich nichts an, Bruderherz“, flötete sie ins Telefon und legte mit einem kurzen Gruß auf, ehe er antworten konnte.

***

Eine Viertelstunde später stand sie mit Beatrix auf deren kleinem Hof. Der rappelvoll war mit Pferden. Elendsgestalten, mager, zerzaust und verdreckt.

„Dir ist klar, dass ich sie nicht alle nehmen kann?“

„Ich dachte, du könntest den Hengst nehmen“, Beatrix wies auf einen nervösen Schimmel.

„Und vielleicht zwei oder drei der Wallache. Weiß der Himmel, wo ich die anderen unterbringen soll.“ Sie seufzte.

„Hmmm“, brummelte Charly. In ihren Gedanken reifte eine Idee. Um Zeit zu schinden, fragte sie nach der Herkunft der Pferde.

„Standen in einem nicht mehr fahrtüchtigen Viehtransporter auf dem Waldparkplatz neben der Autobahnauffahrt. Ohne Wasser. Ohne Futter. Mindestens seit Freitag. Sind vermutlich aus Polen. Die Jungs vom Tierschutzverein haben sie heute Mittag rausgeholt“, berichtete Beatrix im Telegrammstil.

„Hmmm.“ Das Problem war nur, dass sie sich nicht wieder trennen konnte. So war sie zu Fred gekommen und zu den beiden Eseln. Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. „Lass mich kurz telefonieren, ja?“

***

"Ich nehme sie doch alle. Peter überlässt mir die Bachwiese. Er geht mir seit Jahren auf den Geist, dass ich die übernehme. Also soll es wohl so sein.“ Bevor Beatrix etwas dazu äußern konnte, fragte sie weiter: „Du übernimmst die Vermittlung der Pferde?“

„Ja, das mache ich. Einer vom Verein schaut auch täglich nach ihnen, du musst dich nicht um sie kümmern.“

Charly nickte abwesend, noch immer mit ihren Gedanken beschäftigt. „Ich möchte ein Vorkaufsrecht. Ich kenne mich", erklärte sie.

„Das ist kein Problem.“ Beatrix lachte befreit laut auf.

Sie besprachen die Überführung der Pferde auf die Weiden für den nächsten Tag, um die müden Tiere nicht noch einmal aufzuscheuchen, zumal die Dämmerung eingesetzt hatte. Dann zögerte Beatrix. „Allerdings gibt es noch einen Haken: Zu dem Schimmel gehört ein Hund.“ Sie wies auf eine Art Schäferhund, den Charly nicht bemerkt hatte, weil er unbeweglich zu Füßen des Hengstes im Schatten lag.

„Na bravo, Amadeus wird sich freuen ...“

***

Der erwartete sie bereits an der Haustür und schlüpfte mit ihr ins Haus. Sie fütterte ihn, fischte sich einen Apfel aus der Obstschale und packte den Tankrucksack für den nächsten Morgen. Mit Handy, Buch und Decke machte sie es sich auf ihrem Big Sofa bequem.

Got My Mind Set on You – George Harrison

Der nächste Morgen hielt eine unliebsame Überraschung für sie bereit. Ihr Transportesel, die kleine schwarze GS 500 E, sprang nicht an. Noch nicht mal “Klack” machte es, als sie den Zündschlüssel drehte.

Ehe Charly einen bewussten Gedanken fassen konnte, griff sie automatisch den Schraubenschlüssel vom Bord und war dabei, die Batterie auszubauen. Als sie dies erledigt hatte, räumte sie den Schlüssel zurück an seinen Platz, drückte die Sitzbank in die Halterung und trabte zum Haus. ‚Lästig, aber nicht wirklich ein Problem. Ich hänge sie eben in der Werkstatt an den Strom und morgen läuft sie wieder.’

Mit zwei Einkaufskörben am Arm kehrte sie zurück und ging zu dem großen Seitengebäude, dessen Stirnseite die Rückwand des Carports bildete. Die zur Straße gewandte Längsseite bestand aus zwei riesigen Schiebetoren. Charly stemmte sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen den rechten Flügel und langsam rollte das schwere Tor auf. Dahinter herrschte Dunkelheit. Sie packte Körbe und Tankrucksack ins Auto, kletterte auf den Fahrersitz und parkte aus. Mühsam zerrte sie das Tor wieder zu und kurvte aus der Einfahrt.

‚Mit dem Tor muss ich mir etwas einfallen lassen – entweder saubermachen und ölen oder in eine neue Führung und Rollen investieren. Das eine ist zeitlich aufwendiger, das andere finanziell. Wenn ich meine Arbeitsstunden mit ansetze, kommt es wahrscheinlich auf das Gleiche raus’, überlegte sie. ‚Kaum bin ich rum, geht es am anderen Ende wieder los.’ Sie seufzte.

***

"Hoi, Mopped kaputt?", wurde sie von den Kollegen begrüßt.

„Batterie“, nickte Charly.

„Na, man gut, dass du den Bus erwischt hast“, brummte Sepp, der Älteste unter ihnen, und alle lachten. Nur der Azubi schaute irritiert von einem zum andern. „Hier fährt doch gar kein Bus.“

„Meiner schon“, grinste Charly schelmisch, obwohl ihr der Bursche leidtat. Aber so war es nun mal: Die Azubis hatten es auf der Baustelle nicht leicht, und das bisschen Neckerei schadete nicht. ‚Ich habe es schließlich auch überlebt.’

„Ganz einwandfrei“, betonte sie noch.

Die Männer lachten wieder.

„Sie fährt einen Transporter“, erbarmte sich Sepp schließlich des Jungen, der immer noch verständnislos dreinschaute.

„Kann ich doch nicht wissen“, maulte der.

„Jetzt weißt du es ja“, antwortete Charly begütigend. „Ich geb dir heute Mittag was aus. Komm, sei ein Gentleman und pack mit an!“ Sie hievte sich einen der Balken für die Dachkonstruktion auf die Schulter. Gemeinsam bugsierten sie ihn nach oben.

Der Vormittag verging in komfortabler Zusammenarbeit. Für den Nachmittag war das Richtfest geplant, das Wetter schön, die Aussicht auf die Fränkische Schweiz atemberaubend. Charly liebte die Bauzimmerei und das Dachstuhlsetzen ganz besonders. Auch wenn es oft schwere Arbeit war. Die Männer achteten darauf, dass es für sie nicht zu viel wurde; manchmal musste sie die Jungs eher bremsen, dass sie ihr nicht zu viel abnahmen. Anfangs hatten sie sich gegenseitig misstrauisch beäugt, aber inzwischen hatte sie sich Respekt und Achtung erarbeitet und ihren Platz im Team gefunden. Pfeifend hämmerte sie einen unterarmlangen Nagel in den Dachfirst, als unten ein blauer Porsche bremste und neben ihrem Bus parkte. Sie stutzte, der Hammer verfehlte sein Ziel – und ihre Hand – nur um Haaresbreite. ‚Das ist der Porschefahrer von der Ampel und gestern Abend’, stellte sie fest. ‚Was, zum Henker, macht der hier?’

„Sepp?“, fragte sie halblaut.

„Hm?“

Sie wies beiläufig mit dem Kinn nach unten.

„Der Architekt. Kennst du den nicht?“

Sie schüttelte den Kopf. Dann kletterte sie eilig zum Giebel, hielt sich mit einer Hand am Dachfirst fest und beugte sich so weit wie möglich vor, um dem Mann nachzusehen. ‚Ich will nicht, dass er mich sieht, dem will ich auf der Straße begegnen!’ Das Bild stand ihr lebhaft vor Augen. Im Prinzip eine ähnliche Hetzjagd wie am Samstag, gerne noch etwas flotter, aber nicht mit verschiedenen Richtungen endend, sondern mit einem gemeinsamen Abend im Biergarten.

‚Romantisch im Sonnenuntergang’, dachte sie ironisch. ‚Ich wusste gar nicht, dass ich so kitschig sein kann.’

„Soll ich dich vorstellen?“, schmunzelte Sepp, der sie offensichtlich amüsiert beobachtet hatte.

Wieder schüttelte sie den Kopf. „Eher das Gegenteil.“

Sepps Augenbrauen schnellten in die Höhe. „Ab mit dir, für kleine Mädels. Ich pfeif, wenn die Luft rein ist.“

860,87 ₽
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Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
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631 стр. 2 иллюстрации
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9783960148241
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