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Kapitel 12

Von jungen Eltern ist bekannt, dass sie einen sehr leichten Schlaf haben, wenn der Nachwuchs anfangs mit im elterlichen Schlafzimmer schläft. Man steht bei jedem Geräusch senkrecht im Bett. Erst mit der Zeit lernt man wieder, entspannt durchzuschlafen.

Wer mit mehr als fünfzig Jahren einen wildfremden Hund in der ersten Nacht mit ins Schlafzimmer nimmt, geht durch eine ähnliche Hölle.

Norbert und Bettina hatten keine Kinder, und so wusste er nur aus der Theorie, dass es klug war, sich schlafend zu stellen, bis man entschieden hatte, ob das, was einen weckte, ein Notfall oder nur normale Geräusche eines unruhigen Zimmergenossen waren.

In ihrer ersten gemeinsamen Nacht, die schlaftechnisch in überschaubare Halbstundenabschnitte zerstückelt wurde, lernte Norbert leise Laufgeräusche auf Parkett von lauten Saufgeräuschen unterscheiden. Er lernte anhaltendes Scharren und Rumoren im Körbchen von langgezogenem Schnarchen und atemlosem Japsen unterscheiden, und nur beim ersten Mal erschrak er über das Grunzen des Wildschwein-Kuscheltiers.

Als er irgendwann endlich einschlief und nach gefühlten Sekunden schon wieder aufwachte, wusste er nicht, was ihn dieses Mal geweckt hatte. Er fühlte sich mehr als nur gerädert. Das dumpfe Pochen einer durchzechten Nacht hämmerte in den Schläfen. So hatte er sich vor Monaten das letzte Mal gefühlt, als er und sein Star-Autor Mike dessen astronomische Auflagenhöhe bis in die Morgenstunden mit Whisky begossen hatten.

Mit einem Stöhnen drehte er sich auf die Seite. Er vermisste Bettinas gleichmäßigen Atem neben sich. Ach, Bettina! Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er schwören können, sie läge neben ihm und hauchte ihm ins Gesicht. Wie albern.

Wie spät war es wohl? Schien schon die Sonne oder noch der Mond? Vorsichtig zwang er seine Lider hoch. Und ließ sie sofort wieder fallen. Vier Augen starrten ihn an. Zwei große braune und zwei gebrochene, tote.

Vorsichtig lugte er zwischen seinen Wimpern hervor und hoffte, keiner der beiden Eindringlinge würde etwas bemerken.

Die tote Sau, die Nobbi ihm liebevoll direkt vors Gesicht gelegt hatte, blieb völlig unbeteiligt. Nobbi dagegen konnte die Fassade vornehmer Zurückhaltung nicht aufrechterhalten. Das vorsichtige Tock-Tock-Tock seines verhalten wedelnden Schwanzes verriet nicht nur seine Sitzhaltung, sondern auch sein zufriedenes Schmunzeln. Wie lange lag der Kopf dieses Hundes wohl schon bewegungslos auf dem Matratzenrand? War es möglich, dass Hunde einen wachstarren konnten? Na, wenigstens war er in der Nacht nicht ins Bett geklettert. Oder doch?

Während Norbert sich im angrenzenden Bad frisch machte, gab der neue Mitbewohner keinen Mucks von sich, und auch das Schwein schwieg beharrlich. Wäre es nur heute Nacht so ruhig gewesen, dann hätte er nicht das Gefühl, im Haus sei niemals genug Kaffee, um ihn je wieder zu beleben.

Als er sich in der Küche für einen schnellen Senseo entschied, hörte er Nobbi zur Tür laufen. Als er nicht zurückkam, fühlte Norbert sich verpflichtet nachzusehen. Wie hypnotisiert starrte der Hund die Haustüre an. Na, das war zwar deutlich, aber eigentlich auch ziemlich bescheuert. Was würde geschehen, wenn niemand auf die Idee käme, mal zu schauen, was oder wen der Hund gerade ansah? Dann würde er elendig verrecken oder platzen.

Norbert seufzte, zog sich die Schuhe an, sattelte den Hund und streifte sich eine Jacke über. Er sah aus, als sei er auf dem Weg zu einem wichtigen Termin. Nichts in seiner Garderobe war vorbereitet auf Wildnis und wildes Wetter. Gott sei Dank regnete es nicht, im Gegenteil. Strahlend blauer Himmel begrüßte sie.

Der Kaffee musste warten. Für verantwortungsvolle, souveräne Hundebesitzer ging stets der Hund vor.

Und das tat er tatsächlich. Norbert konnte sich nicht erinnern, einen Weg je so zügig geschafft zu haben, wie im Sog dieses Sprinters. Im Hochleistungssport nannte man das Olympiaqualifikation.

„Hooooh!“, rief er, und zog so kräftig er konnte am Zügel. Wer es derart eilig hatte, der durfte ruhig auch einen Baum im Garten oder in der Einfahrt benutzen, oder? Er hatte nicht vor, innerhalb von einer Viertelstunde das ganze Dorf zu umrunden. Nein, auf keinen Fall! Nicht mit diesem Kopf!

Nobbi bremste notgedrungen, wartete einen Augenblick und nahm wieder Fahrt auf. Na gut, hier ging es bergauf, das wollte er mal durchgehen lassen, ausnahmsweise.

Sie näherten sich der einzigen Kreuzung des Ortes diesseits der Hönnetaler ‚Rennstrecke‘, die das kleine, verträumte Dorf rücksichtslos in zwei Hälften teilte. Und sie begegneten dem ersten fremden Hund.

‚Dackel‘, schoss es Norbert durch den Kopf. So ziemlich die einzige Sorte, die er außer ‚Pudel‘ und ‚Schäferhund‘ zuordnen konnte. ‚Katze‘, schoss es gleich hinterher, so ziemlich das einzige Tier, das er morgens nicht auf einer Straße neben einem Dackel vermutet hätte.

Das freundliche „Hallo!“ der Nachbarin, die das leinenlose Minirudel über die Straße führte und dabei einen Teller mit Waffeln balancierte, ging noch vor dem Verklingen des fröhlichen Wortes im Tumult unter.

Nobbi schrie. In seinen Hals hatte sich ein knurrender Dackel verbissen. Eine Katze hob fauchend ihre Tatze, ein Teller mit Waffeln schwankte, er selbst brüllte unflätig den Killerdackel an, die Frau rief: „Der tut nix!“

So schnell, wie es angefangen hatte, war es vorbei. Fast. Der Dackel lockerte seinen Biss, fiel zurück auf seine vier Pfoten und begann herumzuschnüffeln. Nobbi schüttelte sich und schaute wedelnd der Katze nach, die flink in ein Gebüsch abtauchte. Die Frau nahm den Teller mit Waffeln in die andere Hand und lächelte. Nur er brüllte und fluchte und schimpfte und drohte.

Das tat er ungefähr eine endlose Minute lang, während niemand sonst einen Laut von sich gab. Dann zog er seinen Hund mit einem Ruck hinter sich her und stapfte den Berg hoch.

Norbert kochte. So eine Unverschämtheit! Wozu gab es denn Leinenzwang in Deutschland? Und was für Menschen nahmen einen Hund, eine Katze und einen Teller voller Waffeln gleichzeitig mit nach draußen? Waffeln! Sollte sie lieber mal eine Leine anpacken, verdammt nochmal!

Leider wusste er nicht mehr genau, mit welchen Beschimpfungen er sich bei der unbekannten Nachbarin eingeführt hatte, und er konnte nur hoffen, dass seine an und für sich gute Kinderstube nicht vollkommen versagt hatte. Einen dicken, kleinen Kampfdackel zu beschimpfen, das war ok, zumal das Biest angefangen hatte. Aber die arme Frau?

Norbert hatte ein schlechtes Gewissen. Bei so wenig direkten Nachbarn war ein freundlicher Umgangston eigentlich lebenswichtig, wollte man nicht für alle Zeiten in der überschaubaren Dorfgemeinschaft als Idiot abgestempelt werden.

Bettina hätte die Frau sicher gekannt, vielleicht waren sie sogar befreundet gewesen? Seine Frau hatte nie lange gebraucht, um Leute kennenzulernen, und ihre sanfte, humorvolle Art hatte Türen geöffnet, die anderen lange verschlossen blieben.

Norbert überlegte, dass er im Grunde nicht viel darüber wusste, wie Bettina ihre Zeit in diesem Dorf verbracht hatte, während er tagsüber seine Termine in Düsseldorf und der Welt wahrnahm. Vermutlich hatte sie mit ihm darüber gesprochen, aber er hatte sich nichts davon gemerkt. Oder alles vergessen und verdrängt, als es nur noch um ihren Krebs gegangen war und um die Angst, sie zu verlieren.

Es war nicht ganz auszuschließen, dass die Frau, die er so beschimpft hatte, sehr genau wusste, wer er war, auch wenn er nicht den blassesten Schimmer hatte, wer sie war. Er nahm sich vor, es bei der nächsten Begegnung wieder gut zu machen. Vielleicht traf er sie ja auf dem Rückweg?

Leider wusste er nur absolut nicht mehr, wo dieser war. Na prima. Er war vermutlich der einzige Mensch, der sich in diesem Dorf verlaufen konnte.

Wo war er bloß? Sie waren nach der Begegnung eine Weile ziemlich steil bergauf gelaufen, dann war plötzlich alles flach. Irritiert blickte er sich um. Jeder Horizont auf diesem Hochplateau sah für ihn gleich aus: Bergimitate und Wälder. War er eben an einem Bauernhof vorbeigekommen? Oh, Moment! Das da drüben war doch der Friedhof, auf dem Bettina lag!

Es dauerte eine Weile, bis er rekonstruieren konnte, welchen Weg sein Hund genommen hatte. Gar nicht dumm, der Kerl. Irgendwie hatte er sich von ihm kreuz und quer durch die weitläufigen Felder ziehen lassen, versunken in seine Wut über die unerfreuliche Begegnung. Beeindruckend, wie der Hund ihn bei diesem allerersten Spaziergang geführt hatte. Norbert hielt sich zugute, dass er aus der Stadt kam und nur einen sehr unterentwickelten Orientierungssinn hatte. Das einzige, was er an seinem ländlichen Wohnort kannte, war jenes zwangsläufige Teilstück Bundesstraße und die kleine Seitenstraße, die in seine Hofeinfahrt führte. Und seit gestern Abend wusste er, dass sein Garten glitschige Abhänge hatte, die im Grenzgestrüpp der Nachbargrundstücke endeten.

Das alles hier – er sah sich um und hielt unwillkürlich die Luft an – diese wunderschönen, mit Raureif bedeckten Felder, die in der frühen Sonne glitzerten, hatte er zwei Jahre lang verdrängt. So lange war es sicher her, dass er bei Tageslicht hier oben gewesen war. War er nach der Beerdigung, die er unter Missachtung aller Konventionen weder bekannt gemacht, noch zu der er irgendjemanden eingeladen hatte, überhaupt schon einmal zu Fuß hierhergekommen? Er konnte sich nicht erinnern. Nun, das würde sich ja jetzt ändern, dachte er seufzend.

In Gedanken bereitete er sich auf die letzten Meter seines Rückweges vor. Die Meter, die ihn nun wieder bergab und am Haus des Dackels vorbeiführen würden.

Er machte sich innerlich bereit, die bösartige Bestie mit dem Fuß zu zerquetschen, wenn er seinem Hund noch einmal derart aggressiv über den Weg laufen würde, und begann beruhigend auf Nobbi einzureden.

Der war jedoch vollkommen ausgelastet damit, alle Gerüche aufzunehmen, die er konnte, und ignorierte den nett gemeinten Monolog. Im Gegenteil, als sie die Stelle passierten, an der er angegriffen worden war, begann er zu wedeln. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Ein Masochist!

Und wie auf Kommando schoss der geliebte Peiniger durch das offene Gartentor schnurstracks über die kleine Straße und zurück an die bereitwillig dargebotene Kehle. Nein!

Mit dem Unterschied, dass dieses Mal von der Katze jede Spur fehlte und die Nachbarin keine Waffeln, sondern nach einem kurzen, wütenden Schrei nur einen zappelnden Dackel trug, glichen sich beide Szenen verblüffend. Zumindest was Norberts verbale Ausfälle betraf.

Und wieder konnte er sich ‚danach‘ nicht erinnern, was genau er von sich gegeben hatte, als er nur wenige Augenblicke später alleine an der kleinen Kreuzung stand.

War das fortan sein Schicksal? Aggressionsdemenz im Morgengrauen?

„Verfluchte Scheiße!“, versuchte er sich abzureagieren und zog Nobbi entschlossen bergab in Richtung Haus. Wie sollte er so ein Theater am frühen Morgen in Zukunft bloß aushalten?

Er konnte sich nach dem ersten Hundespaziergang seines Lebens beim besten Willen nicht erklären, wovon die Leute immer schwärmten, wenn sie mit verklärtem Blick vom Glück des Gassi-Gehens faselten. Er war erst seit einer Stunde wach, es war noch nicht einmal acht Uhr, ihm war kalt, er hatte kaum geschlafen, sein Hund war zweimal angegriffen worden, er hatte sich mit der einzigen Nachbarin überworfen und sein Kaffee war ganz sicher inzwischen ungenießbar. Und das alles vor der ersten Zigarette. Da musste es eine andere Lösung geben.

Kapitel 13

Eine Stunde später hatte er sie gefunden. Norbert zog ein Blatt Papier aus dem Drucker. Er würde sein Grundstück einzäunen lassen. Sofort. Und das würde dann Nobbis Revier werden. Groß genug war es mit seinen 15.000 Quadratmetern schließlich. Es ging bergauf und bergab, die Grenzen waren von Strauchwerk überwuchert, und ganz sicher war es ein Paradies für einen Hund. Kurz entschlossen hatte Norbert via Internet Firmen zusammengestellt, die Zäune bauten, und er hatte vor, einige davon für heute Mittag einzuladen, sich um den vermutlich lukrativsten Job des Jahres bei ihm zu bemühen.

Claudia hatte zwar geschrieben, der Hund spränge nicht über Zäune, aber er wollte verhindern, dass mordlüsterne Dackel irgendeinen Weg unter dem Zaun hindurch finden konnten. Er sollte also nicht nur eine sichere Höhe haben, sondern auch ein wenig ins Erdreich hineinreichen. Und er sollte stabil genug sein für die Ewigkeit. Wertsteigerung. Für die Einfahrt schwebte ihm ein Tor mit Fernbedienung vor.

Als er die Liste überflog, musste er schmunzeln. Er hatte alle Firmen ausgedruckt, die in einem Umkreis von zwanzig Kilometern angesiedelt waren. Und ganz offensichtlich würde es nicht schwer werden, sich einen kleinen persönlichen Gag zu erlauben. Gut gelaunt griff er zum Telefon. Als er es nach einer halben Stunde wieder in die Ladestation stellte, rieb er sich vergnügt die Hände. Er freute sich auf die Gesichter der Bewerber. Um sich die Zeit zu vertreiben, beschloss er, in Claudias Büchlein zu lesen. Nobbi war gefüttert und lag entspannt aber aufmerksam in seinem Körbchen, das nun im Wohnzimmer stand. Ein frischer Kaffee dampfte in der Tasse, die Zigarette schmeckte gut.

Er konnte es sich leisten, ein paar Tage frei zu nehmen. Die Manuskripte, die er noch hatte lesen wollen, brächte seine Düsseldorfer Sekretärin heute noch zur Post.

„Dann erholen Sie sich mal ein wenig, Herr Schulte, das wird Ihnen gut tun. Und grüßen Sie mir Ihren Hund! Wie hieß der doch gleich?“

„Norbert.“

„Nee, oder?“

„Doch.“

„Ach du meine Güte.“

„Ja, nicht wahr? Bis bald, Frau Schenkel! Und vielen Dank!“

„Gerne, Herr Schulte, bis bald!“

Norbert blätterte nun in dem Büchlein und versuchte etwas darüber zu finden, wie Nobert mit anderen Hunden umging. Er entdeckte ein Kapitel mit der Überschrift „Draußen“. Ja, die Lupe bestätigte seine Ahnung. Er begann zu lesen.

„Woran es liegt, konnte mir bisher niemand erklären, aber ich scheine den Groll anderer Rüden anzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie kastriert sind oder nicht, sie mögen mich einfach nicht. Keiner von denen. Aber das ist kein Problem, denn Claudia beschützt mich. Überhaupt, sie hat draußen das Sagen. Wenn ich ein Reh jagen will, sagt sie ganz streng „Mein Reh!“. Dann schnüffelt sie der Spur nach, die ich gefunden habe, nimmt die gelbe Plastikflasche, in der normalerweise Zitronensaft ist, und spritzt daraus etwas auf die Reh-Spur. Und ich schwöre, so wahr ich Norbert heiße, das in der Flasche ist Pipi!“

„Hä?! Was ist das?!“ Norbert sah den Hund an, als zweifele er an seinem Verstand.

„Das weiß ich so genau, weil ich mich gut auf meine Nase verlassen kann!“

„Meine Güte, die hat sie ja nicht alle!“ Norbert war fassungslos. Bedeutete das etwa, er müsste im Wald, sobald ihnen Wild begegnete …? Er mochte den Gedanken gar nicht zu Ende denken.

„Claudia ist ziemlich klug, oder? Auf jeden Fall steht eins fest. Claudia ist die Chefin, nicht ich. Und alle Rehe gehören ihr.“

Na gut, wenn das so war, dann hatte der Hund seine Lektion ja gelernt, und er musste sich im Wald nicht mehr zum Narren machen. Nicht auszudenken, wie ein Jäger im Hochsitz reagieren würde, wenn er nicht nur einen mittelgroßen Jagdhund in einer Spur entdeckte, sondern einen Mann im Anzug, der mit der Nase im Gebüsch hing, immer wieder „Mein Reh!“ rief und alle Bäume im Umkreis markierte.

„Als mich mal ein Hund angriff, da hat sie mich mit einem Ruck weggezogen und den Hund angegriffen. Statt sich immer auf mich zu stürzen, sollten die anderen Hunde lieber auf Claudia achtgeben, ich bin sicher, die kann auch beißen!“

Tja, da hatte er ja dann heute gründlich versagt. Auf die Idee, Nobbi wegzuziehen oder den Angriff zu verhindern, war er gar nicht gekommen. Bissig war er geworden, oh ja, aber nur mit Worten und an die falsche Adresse. Er blickte seinen Hund an.

„Habe ich dich also heute zum ersten Mal im Stich gelassen, stimmts? Ich machs wieder gut, versprochen.“ Noch hatte er zwar keine Ahnung wie, aber eine Gelegenheit würde sich sicher ergeben. Dann las er weiter.

„Auf jeden Fall freue ich mich über jeden Hund, ehrlich. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was passieren soll, bis ich mal jemanden beiße. Nein, da müsste vorher schon meine Welt komplett aus den Fugen geraten.“

Betroffen legte Norbert das Büchlein zur Seite. Groll stieg in ihm hoch. Wenn irgendjemand im Tierheim dieses Büchlein gelesen hätte, dann hätten sie gewusst, dass dieser Hund gar keine Ahnung hatte, wie er die Beißerei, die beinahe zu seinem Tod durch Einschläfern geführt hätte, hätte vermeiden sollen. Wofür in Gottes Namen hatte Claudia das denn alles aufgeschrieben, wenn es niemand las?

Norbert hatte fürs erste genug. In zwei Stunden würden die Zaunleute kommen, vielleicht sollte er sich noch ein wenig ausruhen. Er zog seine Schuhe aus, legte sich aufs Sofa und deckte sich mit dem wunderbaren Quilt zu, den Bettina ihm geschenkt hatte. Selbst gemacht, alles mit der Hand genäht, in den letzten Monaten, als sie noch mit dem Quilt-Rahmen arbeiten konnte. Darin war sie eine richtige Künstlerin gewesen. Norbert stellte sich den Handywecker und schlief bereits, ehe er bis drei gezählt hatte.

Das Klingeln des Weckers riss ihn aus dem Tiefschlaf. Benommen versuchte er, die Weckfunktion auszuschalten.

Nobbi stand neben der Couch und starrte mit steifer Rute zur Haustür. Da, wieder klingelte es. Also doch nicht der Wecker. Norbert stand auf, faltete die Decke über die Sofalehne und ging sich mit beiden Händen durch die Haare.

Der Hund blieb am Sofa stehen und beobachtete ihn genau, ohne einen Mucks von sich zu geben. So ganz zweifelte er offensichtlich nicht daran, dass Nobert hier der Herr im Haus sei und dafür sorgen würde, dass nichts Schlimmes durch die Tür eintrat. Ein gutes Zeichen für die zukünftige Zusammenarbeit, hoffte Norbert, als er den ersten Handwerker herein bat.

„Zaunzauber Schulte, Schulte mein Name“, stellte sich der Fremde vor und reichte Norbert die Hand.

„Ebenso, freut mich! Kommen Sie herein. Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?“ Er führte den Gast ins Wohnzimmer. Nobbi wich skeptisch zurück.

„Scheu, woll?“, fragte der große Fachmann und vermied es, den Hund zu bedrängen.

„Eigentlich nicht. Er hat nur eine Menge erlebt und ist noch etwas zurückhaltend.“ Dann drehte er sich zu Nobbi um.

„Ablegen“, sagte er betont ruhig, ohne zu wissen, ob dies auch das gewesen wäre, was Claudia gesagt hätte. Sicher nicht. Claudia hätte den Hund zu sich gerufen und ihn dann an den Gast heran geführt, ihm ‚beigebracht‘, dass keine Gefahr bestand. Vielleicht.

Er zeigte auf das Körbchen und hoffte, dass sein Hund ihn verstand.

Nobbi verstand und zog sich zurück. Langsam, aufmerksam, aber ohne zu zögern.

Der Gast hatte sich kaum gesetzt, da schellte es erneut, und der Hund beobachtete von seinem sicheren Platz aus, wie ein Handwerker nach dem anderen erschien, bis fünf gestandene Männer im Wohnzimmer nebeneinander auf dem großen Sofa saßen und sich ihren Kaffee so mischten, wie sie ihn wollten.

Norbert kam zurück und setzte sich dazu.

„Meine Herren Schulte, ich darf mich kurz vorstellen: Ich bin ein Namensvetter. Ich habe mir aus persönlichen Gründen erlaubt, diesen Auftrag nur für Firmen auszuschreiben, die ‚Schulte‘ heißen und hier im Umkreis angesiedelt sind. Ich hoffe, Sie verzeihen mir meinen Großstadthumor?“ Er blickte gut gelaunt in die Runde und beobachtete, wie sich ein Grinsen auf allen Gesichtern breit machte.

„Sehen Sie, ich habe hier ein 15.000 Quadratmeter großes Grundstück ohne Zaun und einen Hund, der raus will und rennen möchte. Ich möchte innerhalb von fünf Tagen das ganze Gelände stabil mit einem 1,70 m hohen Zaun, fest verankert, inklusive Rolltor für die Einfahrt, eingezäunt haben. Und es ist mir egal, ob der Boden gefroren ist oder nicht. Notfalls müssen Sie halt sprengen.“

Ein Raunen ging durch die Gruppe.

„Ich weiß, dass sich im Frühjahr und Sommer jeder die Finger leckt nach so einem Auftrag, aber ich habe keine Zeit. Und weil es bei dieser Witterung nicht ganz einfach ist, möchte ich den Auftrag auch keinem von Ihnen alleine überlassen. Ich werde das Gelände aufteilen zwischen Ihnen allen und den Auftrag als erledigt betrachten, sobald der Zaun steht. Und jetzt bitte ich um Handzeichen, wer von vorne herein aussteigen will, weil er kein Material auf Lager hat bzw. keines in der kurzen Zeit besorgen kann. Ich darf gleich dazusagen: Ich weiß, was Zäune kosten, und ich werde mich nicht übers Ohr hauen lassen. Aber wenn Sie mir einen fairen Preis machen – sprechen Sie sich gerne ab –, dann lege ich für jeden von Ihnen Fünfen 2.000 € Bonus drauf, wenn ich in fünf Tagen einen Zaun und einen glücklichen Hund habe.“

Das Raunen war fassungsloser Stille gewichen.

„Wenn Sie mich nun bitte nach draußen begleiten wollen, damit Sie sich einen Eindruck vom Gelände und den Begebenheiten machen können?“

Die Handwerker zogen sich ihre Jacken über und schwiegen noch immer.

„Damit wir uns richtig verstehen: Jeder von Ihnen ist nur für sein Stück verantwortlich, aber ich möchte trotzdem, dass Sie hier bei mir als Team arbeiten. Reden Sie miteinander, kungeln Sie, wie die Kölner sagen, tauschen Sie sich aus, wo Sie Hilfskräfte herbekommen, seien Sie kreativ. Wenn der Zaun steht und der Hund nach einem Tag draußen keinen Weg raus gefunden hat und andere Hunde keinen Weg rein, dann lade ich Sie und Ihre Gattinnen hierher zum Essen ein. Darf ich fragen, wer von Ihnen einen Hund hat?“

Alle hatten Hunde.

„Und wer hat eine verträgliche Hündin?“

Nur einer der Schultes hatte eine Hündin, der Rest Rüden.

„Würden Sie Ihre Hündin dann mitbringen? Damit Nobbi auch Gesellschaft hat?“ Die Männer mussten lachen, und unter Scherzen und Schulterklopfen begab sich die Gruppe in den großen Garten.

Nobbi blieb zurück und hatte das Gefühl, als sei die Welt vielleicht nicht ganz so schlecht, wie er zu fürchten gelernt hatte. Er beschloss, abzuwarten und aufzupassen.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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281 стр. 3 иллюстрации
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9783933519610
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