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Peter Jenny (1824–1879)

Der Glarner Textilkaufmann Peter Jenny trieb die Gründung eines nationalen Handels- und Industrievereins voran. Auf Jennys Initiative hin schrieb die Glarner Handels-Commission im Frühjahr 1869 die verschiedenen kantonalen Handelskammern an. Nach der Gründung des Schweizerischen Handels- und Industrievereins (SHIV) amtete er bis 1877 als Ausschussmitglied des Verbands. Jenny war Bauernsohn, absolvierte aber eine kaufmännische Ausbildung in Wattwil und Ancona sowie Lehrjahre bei einer deutschen Handelsgesellschaft in Singapur. Mit seiner Schwiegerfamilie führte er die Textildruckerei und die global tätige Handelsgesellschaft Blumer & Jenny mit Sitz im glarnerischen Schwanden. Im heute denkmalgeschützten Hänggiturm der Textildruckerei, wo die farbigen Stoffe in langen Bahnen zum Trocknen aufgehängt wurden, befindet sich heute das Glarner Wirtschaftsarchiv.

Peter Jenny eröffnete eine Firma in Manila auf den Philippinen. Diese importierte Textilien des Stammhauses in Schwanden sowie Uhren und Musikdosen und exportierte philippinischen Tabak, Zigarren und Zucker. Wie im schweizerischen Bundesstaat üblich, war Jenny Unternehmer, Politiker und Diplomat zugleich. In Manila war er zwangsläufig auch Konsul. Er amtete von 1863 bis 1879 als Glarner Ratsherr und war Mitglied der Glarner Standeskommission, sass zwischen 1866 und 1872 im Nationalrat und zwischen 1875 und 1877 im Ständerat. Peter Jenny gehörte zu jenen Fabrikanten, die eine gesetzliche Regelung der Industriearbeit guthiessen. Glarus gab sich als erster Schweizer Kanton ein Fabrikgesetz; Jenny gehörte der entsprechenden Kommission an. Nachdem mit der neuen Bundesverfassung von 1874 der Bund für das Arbeitsrecht zuständig geworden war, arbeitete Jenny 1877 in der Expertenkommission für das eidgenössische Fabrikgesetz mit. Er war zudem von 1864 bis 1878 Verwaltungsrat der Vereinigten Schweizerbahnen und initiierte die 1879 eröffneten Bahnlinie ins Glarner Hinterland.

Hänggiturm der Firma Blumer & Jenny in Schwanden. Hier wurden die farbig bedruckten Tücher für die überseeischen Märkte zum Trocknen aufgehängt.

Vom christlichen Unternehmer zur Corporate Social Responsibility and Sustainability

Die Industrialisierung in Europa sowie die Expansion nach Asien, Afrika und Lateinamerika zogen auch die Frage nach dem ethischen Verhalten der modernen Unternehmen nach sich. Inwieweit waren Fabrikbesitzer verantwortlich für das Wohlergehen ihrer Arbeiter? Welche moralischen Verpflichtungen erforderte der Handel mit Nichtchristen? Während fast zwei Jahrhunderten war die Frage nach der Unternehmerverantwortung eine religiöse Frage. Die ersten, wohl bedeutendsten Schritte waren die sogenannte Abolition, das Verbot des transatlantischen Handels mit Sklaven durch das britische Parlament 1807, und das Verbot der Sklaverei durch den Wiener Kongress 1815. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in der Schweiz zahlreiche Publikationen, Gesellschaften oder Aktionen zur Befreiung von Sklaven in den USA oder in Afrika. Die «äussere» Mission, das heisst die christliche Mission in den nicht christlichen Gebieten der Welt, fokussierte insbesondere darauf, Landwirtschaft und Handwerk zu fördern. Ziel war, den Handel mit Sklaven durch den Handel mit Baumwolle, Palmöl oder anderen Gütern zu ersetzen. Die Basler Mission, eine der weltweit bedeutendsten protestantischen Missionen im 19. Jahrhundert, gründete dafür 1859 die Basler Missionshandelsgesellschaft AG, die im heutigen Ghana mit Kakaopflanzen experimentierte und 1892 den ersten Sack afrikanischen Kakao nach Hamburg exportierte. Die Tatsache, dass Basler Unternehmer zu dieser Zeit ausgerechnet eine Aktiengesellschaft gründeten, weist auf die karitative Absicht hin. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Aktiengesellschaften in der Schweiz für kulturelle und karitative Zwecke benutzt. Protestantische Unternehmer leiteten und finanzierten die Basler, Lausanner und Neuenburger Missionen. Die gleichen Unternehmer engagierten sich auch in der «inneren» Mission, also in der Besserstellung der Arbeiterschaft in den Industriebetrieben. Sehr typisch für das christliche Unternehmertum war etwa der Bau von Arbeitersiedlungen, wie sie ab den 1850er-Jahren um Industriebetriebe in der Schweiz entstanden. Ab 1860 wurden die ersten kantonalen und dann nationalen Gesetze zum Arbeitsrecht erlassen, die freiwillige Standards ersetzten.

Christliche Unternehmer des 19.Jahrhunderts vernetzten sich auch international. So trafen sich etwa 1871 an einer Konferenz in Bonn protestantische Unternehmer aus dem deutschen Sprachraum, um christliche Unternehmensverantwortung zu diskutieren. Unternehmer wie der Neuenburger Uhrenfabrikant und Grossrat Henri DuPasquier oder der Basler Seidenbandfabrikant und Ratsherr Karl Sarasin schlossen sich daraufhin im Schweizerischen Ausschuss zur Förderung der Bestrebungen der Bonner Konferenz zusammen, um gemeinsam christliches Unternehmertum zu gestalten. Mitglied des Ausschusses war auch der deutsche Professor und Experte für Arbeiterfragen Victor Böhmert, der 1872 auch in den Vorortsausschuss gewählt wurde.

Eine neue Herausforderung kam auf die Schweizer Unternehmer im Zweiten Weltkrieg zu, als sie sich entscheiden mussten zwischen der Aufrechterhaltung des «Courant normal», das heisst einer Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Beziehungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland, oder einem Abbruch derselben aus ethischen Gründen und dem sicheren Zusammenbruch der Versorgung der Schweiz. Die politische Neutralität gestaltete sich faktisch einfacher als die wirtschaftliche Neutralität. Die Aufrechterhaltung des «Courant normal» wurde von den Alliierten später auch abgestraft, indem sie Schweizer Unternehmen aufgrund ihres Handels mit Deutschland ab Oktober 1943 auf eine schwarze Liste setzten.

Die erste Arbeitersiedlung der Schweiz, erbaut durch die Spinnerei Rieter in Winterthur, 1852.

In der Nachkriegszeit und nach dem globalen Umbruchjahr 1968 erfolgte eine rasante und einschneidende Änderung der Wahrnehmung von Grosskonzernen, deren Auslandsinvestitionen und von Grossbanken. Praktisch über Nacht bot die Privatwirtschaft nicht nur in der Schweiz, sondern in der gesamten westlichen Welt plötzlich viel Angriffsfläche. Aktivisten setzten sich gegen industrielle Grossprojekte in der Dritten Welt ein, und die Gewerkschaften waren auf der Höhe ihres Einflusses, während Industriebetriebe in der Schweiz unter dem gleichzeitigen Druck der internationalen Konkurrenz einen tiefgreifenden Strukturwandel durchliefen. Mit der sogenannten Bankeninitiative der Sozialdemokratischen Partei, die sich gegen die Aufnahme von Diktatorenfluchtgeldern in der Schweiz wandte, geriet die Schweizer Wirtschaft innenpolitisch unter Druck und wurde gezwungen, Korrekturen vorzunehmen, auch wenn die Initiative 1984 abgelehnt wurde. Der Druck hielt weiter an, als einige Schweizer Unternehmer die Neutralität der Schweiz anführten, um trotz internationaler Sanktionen gegenüber dem Apartheid-Regime weiterhin in Südafrika tätig zu bleiben. Diesmal konnten die in Südafrika tätigen Unternehmer jedoch nicht wie früher im Zweiten Weltkrieg das Überleben der Schweizer Bevölkerung als Argument vorbringen. Im Gegenteil, der Wohlstand in der Nachkriegszeit und der Frieden in Westeuropa brachten es mit sich, dass die Bevölkerung von der international tätigen Unternehmerschaft ein verantwortungsvolles Verhalten in der Dritten Welt und gegenüber der Umwelt einforderte. Doch was verstanden die Kritiker genau unter «Konzernverantwortung»? Die Forderungen der NGOs und Hilfswerke an die Schweizer Unternehmen hatten sich seit 1968 geändert und waren nicht immer klar und kohärent gewesen. Zunächst forderten die Initianten der «Erklärung von Bern» von den Schweizer Unternehmen Investitionen in die Industrie von Entwicklungsländern, um Arbeitsplätze zu schaffen, Wirtschaftswachstum zu generieren und eine Modernisierung herbeizuführen. Ab den 1970er-Jahren sahen sich Unternehmer jedoch zunehmend damit konfrontiert, dass sie die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Wirtschaftswachstum wiederum gegenüber dem Vorwurf der Umweltverschmutzung und der Menschenrechtsverletzung verteidigen mussten.

Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zum Bundesgesetz über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe im Jahr 1975 stellte sich heraus, dass eine Arbeitsgruppe der Hilfswerke private Direktinvestitionen von Schweizer Konzernen in der Dritten Welt grundsätzlich ablehnte. Im Vorort diskutierten interne Arbeitsgruppen ab 1974 verschiedene UNO-Vorschläge zu einem freiwilligen Verhaltenskodex für Unternehmer. Diese Arbeiten wurden von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) übernommen und 1976 als «OECD Guidelines for Multinational Enterprises» als Teil der «International Declaration on Investment» erlassen. Auch wenn die Schweiz erst 2002 der UNO beitrat, so war es doch im Interesse der in der Schweiz ansässigen, multinationalen Unternehmen, die kohärenten und international anerkannten UNO-Standards als Grundlage für ihre öffentliche Berichterstattung zu berücksichtigen. Zunehmend mussten Unternehmen aktiv aufzeigen, dass sie einen gewissen Verhaltenskodex einhielten. So begannen grössere Unternehmen CSR-Abteilungen (Corporate Social Responsibility) zu schaffen.

Durch die globale und sehr heterogene Antiglobalisierungsbewegung hat sich der Rechtfertigungsdruck für Unternehmen seit den 1990er-Jahren verstärkt. Seit dem Jahr 2000 haben zahlreiche Schweizer Unternehmen die «UN Global Compact»-Initiative unterschrieben. Für den Vorort und später für Economiesuisse stellte sich ab der Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) Ende der 1980er-Jahre insbesondere die Herausforderung, dass in der Öffentlichkeit die schweizerische Aussenwirtschaftspolitik und die schweizerische Landwirtschaftspolitik als Einheit wahrgenommen wurden. Bei bilateralen Freihandelsverträgen wie auch in der Welthandelsorganisation (WTO) werden somit die Möglichkeiten der Schweizer Unternehmen im Ausland durch den Schutz der Schweizer Bauern im Inland begrenzt.

Lehrlinge der Firma Landis & Gyr nach ihrem erfolgreichen Lehrabschluss, 1933.

Die Berufslehre

Die Berufsausbildung für Handwerker unterstand im Mittelalter den Zünften. Die mehrjährige Berufslehre wurde mit der Aufnahme in die entsprechende Zunft abgeschlossen. Handwerker, die keiner Zunft angehörten, wurden Stümper genannt. Ab dem 17. Jahrhundert wurde die Berufslehre von der kosten- und zeitsparenden Anlehre ausserhalb der zünftischen Kontrolle unterwandert. Bei neuartigen Berufen in der vorindustriellen Heimarbeit ohne bestehende Zünfte, etwa bei Webern, Strohflechtern, Strumpfstrickern und -wirkern wurde die Anlehre im 18. Jahrhundert zum Normalfall. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert entstanden Fabriken, die ungelernte Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Kinder beschäftigten. Die Macht der Zünfte im Gewerbe wurde in der Schweiz jedoch erst durch die verschiedenen kantonalen Verfassungsänderungen der 1830er-Jahre gebrochen und in der zweiten Bundesverfassung von 1874 durch die Handels- und Gewerbefreiheit beendet. So wurde die Berufslehre erst 1880 durch Reformen an die frühe und ausgeprägte Industrialisierung der Schweiz angepasst. Das Schweizer Modell der Berufslehre stand wie die Volksschule, die seit den 1830er-Jahren von den meisten Schweizer Kantonen eingeführt worden war, unter dem Einfluss der ab 1875 abgehaltenen pädagogischen Rekrutenprüfungen. Aufgrund der teilweise schlechten Resultate an den Prüfungen, an denen Schulfächer wie Mathematik, Deutsch oder Vaterlandskunde getestet wurden, kam es zu Anpassungen im Schulsystem. Ergänzend zur Berufslehre in einem Betrieb sollte an Berufsschulen der Volksschulstoff ausgeweitet und Berufskunde vermittelt werden. Mit dem Bundesbeschluss von 1884 zur Subventionierung der beruflichen Bildungsanstalten wurde der Grundstein für das duale Bildungssystem gelegt – beruhend auf zwei Lernorten, dem Betrieb und der Berufs- oder Gewerbeschule. Ein eidgenössisch anerkanntes Lehrabschlussdiplom gilt seither als Garant für Qualität. Der Einfluss der Verbände auf die Berufsbezeichnungen und Fähigkeitsausweise wurde aber vom Volk begrenzt, als es 1954 den Bundesbeschluss über den Fähigkeitsausweis in einer Referendumsabstimmung ablehnte.

Die Berufslehre ist eine Schweizer Erfolgsgeschichte und stösst immer mehr auf internationales Interesse. So haben etwa Lehrabsolventinnen ein bedeutend geringeres Risiko, arbeitslos zu werden, als Akademiker. Länder wie die Schweiz oder Österreich, die das duale Bildungssystem praktizieren und Diplome für Berufslehren ausstellen, weisen eine markant tiefere Arbeitslosigkeit auf. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts absolvierten in der Schweiz mehr als die Hälfte aller Jugendlichen eine von 230 zur Verfügung stehenden Berufslehren.

Der Schweizer Franken

Solange die Schweiz ein Bund souveräner Kantone war, lag das Münzregal bei den Kantonen, wobei die Westschweiz Franken verschiedener Münzfüsse und die Ostschweiz den Gulden benutzte. Für Kaufleute herrschte ein äusserst mühsames Währungswirrwarr. Erst die Bundesstaatsgründung 1848 brachte den einheitlichen Schweizer Franken, allerdings gaben weiterhin private Banken Frankennoten aus. Erst 1891 übernahm der Bund das Banknotenmonopol, das er aber erst nach der Gründung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) im Jahr 1905 und dem Aufbau des Zentralbankbetriebs ab 1910 ausüben konnte. Ein erster Versuch zu einer eidgenössischen Währung war in der Helvetischen Republik erfolgt. Ab 1799 sollte mit dem Schweizer Franken auf der Basis des Berner Münzfusses die nationale Währung vereinheitlicht werden, was aber auch am Edelmetallmangel scheiterte. Nach der Mediation verfügten die Kantone wieder über das Münzregal. Die Tagsatzung versuchte zwar, einen einheitlichen Münzfuss festzulegen, aber bis zur Münzreform des Bundesstaates kursierten – neben zahlreichen anderen Münzen – Franken von unterschiedlichem Gehalt, Gepräge und Gewicht. Bis 1848 galten in der Schweiz daher kantonale Währungen. Die Zahl der Banken stieg zwischen 1830 und 1850 von 74 auf 171. Der Bund übernahm 1848, wie in der neuen Verfassung vorgesehen, das Münzregal und legte mit dem Franken, der in 100 Rappen aufgeteilt war, die Silberwährung fest. Damals wurde auch die noch heute bestehende Stückelung der Münzen in Fünfliber, Zwei- und Einfränkler sowie in die Rappenmünzen festgelegt. Einzig der Einräppler wurde per Ende des Jahres 2006 offiziell aus dem Umlauf genommen.

Die kriegsbedingte Währungskrise von 1870 verhalf den seit einem halben Jahrhundert von verschiedenen Notenbanken herausgegebenen Banknoten, die zuvor wenig Anklang gefunden hatten, zum Durchbruch. Gegenüber den Währungen der wichtigsten Handelspartner wie etwa Deutschland, Grossbritannien, Frankreich oder die USA, hat der Schweizer Franken stetig an Wert zugenommen. Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs erhielt man für 100 Schweizer Franken beispielsweise knapp 20 Dollar – im Jahr 2020 erhielt man nur etwa 105 Dollar. Auf eine erste Bewährungsprobe wurde der Franken 1936 gestellt, als ihn die SNB gegen den Willen des Vororts um dreissig Prozent abwertete. Diese Entscheidung erwies sich aber im Rückblick als richtig und hätte sogar früher erfolgen sollen. Eine weitere Probe kam im Januar 1973, als das SNB-Direktorium das Bretton-Woods-System mit festen Wechselkursen verliess. Seit der Einführung des Euro im Jahr 2000 steht der Franken dauerhaft unter Druck; eine Situation, die sich in naher Zukunft nicht ändern wird. Die hohe Bewertung des Schweizer Frankens ist einerseits ein Zeichen für das globale Vertrauen in die politische Stabilität der Schweiz, andererseits für die Schweizer Exportwirtschaft auch eine ständige Herausforderung.

Die Gründung des Schweizerischen Handels- und Industrievereins

Schweizer Kaufleute exportierten in der Mitte des 19. Jahrhunderts rege nach Amerika, Asien und Afrika und investierten dort auch vermehrt. Doch die Unternehmen und die Handelskammern der Schweizer Kantone pflegten kaum Kontakt untereinander. Dem Glarner Fabrikanten Peter Jenny war als Nationalrat und als Mitglied der Glarner Handels-Commission nicht klar, ob es überhaupt in allen Schweizer Kantonen Handelsvereine gab und wie diese hiessen. Zur gleichen Zeit versuchte der Präsident der Société industrielle et commerciale des Kantons Waadt jährliche Zusammenkünfte der kantonalen Handelskammern anzuregen. Doch bis 1869 fehlte jeglicher Austausch zwischen den kantonalen Handelsgremien. Auch das wohl aktivste kantonale Gremium, das kaufmännische Directorium St. Gallen, hatte sich zur Gründung eines nationalen Vereins bereits Gedanken gemacht. Die St. Galler brachten vor, dass viele Schweizer Kaufleute und Industrielle andere Unternehmer nicht als Kollegen, sondern als Konkurrenten sähen. Zudem gebe es in manchen Kantonen noch gar keine Handelsvereine, und man könne nicht abwarten, bis all diese gegründet würden. Daher schlug das kaufmännische Directorium eine Organisationsstruktur vor, die der Alten Eidgenossenschaft entlehnt war: Eine kantonale Handelskammer sollte für jeweils zwei Jahre als «Vorort» amten und Abgeordnete der bestehenden weiteren Handelskammern für die wichtigsten Geschäfte einberufen. Dieser Vorort würde mit dem Sekretär des eidgenössischen Handels- und Zolldepartements, der einige Jahre zuvor seine Arbeit aufgenommen hatte, kommunizieren.

Zwischen März und Oktober 1869 korrespondierten die Glarner und die St. Galler über die Ausgestaltung eines nationalen Vereins. Im Herbst luden die Glarner schliesslich zu einer Versammlung in Bern, an der sich die Vertreter der kantonalen Handelskammern austauschen sollten. Das Zentralkomitee des Bernischen Vereins für Handel und Industrie organisierte die Konferenz schliesslich am 15. November 1869 im Casino Bern. Dabei ging gleich einiges schief. So schickten die Organisatoren etwa die Einladung an die kantonale Zürcher Handelskammer, die eine staatliche Stelle war. Diese leitete die Einladung an den privaten Zürcher Börsenverein weiter, der dann aber kaum noch Zeit für Vorbereitungen hatte. Auch im Kanton Basel-Stadt bestand nebst dem staatlichen Handelscollegium ein Börsenverein, den die Organisatoren jedoch zunächst übersahen. Neben Nationalrat Peter Jenny, dem Präsidenten der Handels-Commission Glarus, und Carl Emil Viktor von Gonzenbach, dem Präsidenten des kaufmännischen Directoriums St. Gallen, nahmen schliesslich Vertreter aus weiteren elf Kantonen teil. Manche Kammern wie jene von Genf hatten lediglich ihren Sekretär entsandt. Aus einzelnen Kantonen reisten Vertreter lokaler Vereine an, etwa der Präsident des Fabrikanten-Vereins Zofingen oder ein Vorstandsmitglied der Société industrielle et commerciale von La Chaux-de-Fonds.

Die Westschweizer zeigten sich zunächst zurückhaltend und wandten sich gegen die Gründung einer nationalen Organisation. Sie befürchteten, der direkte Draht zwischen lokalen Unternehmervereinen und dem Bund könnte gestört werden, wenn eine nationale Organisation dazwischengeschaltet würde. Tatsächlich sollte dieser Zwiespalt zwischen dem Vorteil einer gebündelten nationalen Interessenvertretung und den spezifischen Einzelinteressen von Regionen oder Branchen bis ins 21. Jahrhundert bestehen bleiben und immer wieder zu Konflikten innerhalb des Verbands führen.

Trotz dieser Bedenken kamen am 15. November 1869 23 Delegierte aus 13 Kantonen zusammen, um die Gründung eines Schweizerischen Handels- und Industrievereins zu diskutieren. Der Initiant Peter Jenny hielt zunächst ein Referat. Dabei führte er die Gründe auf, die für eine nationale Interessenvertretung sprachen. Eine nationale Unternehmerorganisation solle sich für den Freihandel einsetzen und Bestrebungen zur Einschränkung des Handels bekämpfen. Zudem strebte man die Vereinheitlichung des Obligationenrechts sowie des Zoll- und Eisenbahnwesens auf Bundesebene an. Insbesondere ging es aber darum, beim Abschluss von Handelsverträgen mit anderen Nationen mitzuwirken. Im 19. Jahrhundert kamen zu den heiklen Vertragsverhandlungen mit den viel mächtigeren und politisch explosiven europäischen Nachbarstaaten auch noch Verhandlungen um Staatsverträge mit aussereuropäischen, nicht christlichen Staaten hinzu. So konnte etwa 1857 ein bilaterales Handelsabkommen mit Persien nicht ratifiziert werden, weil in der Schweiz vor der Verfassungsrevision von 1866 für Nichtchristen eine eingeschränkte Niederlassungsfreiheit bestand. Dabei hatte etwa die Winterthurer Firma Ziegler in eine Niederlassung in Persien investiert, und zahlreiche Schweizer Uhrmacher hatten sich dauerhaft in Persien niedergelassen. Erst 1873 wurde anlässlich eines Staatsbesuchs von Schah Nasir ad-Din in der Schweiz ein neuer Freundschafts- und Handelsvertrag unterzeichnet. Peter Jenny hatte 1862 den Bund gebeten, auf den Philippinen, wo er eine Niederlassung für seine Textilfirma gegründet hatte, ein Konsulat einzurichten. Bilaterale Verträge betrafen alle Schweizer Unternehmen, und Jenny plädierte für eine Delegiertenversammlung, die sich dazu beraten sollte. Der Antrag Jennys an die Versammlung, gleich eine Kommission zu ernennen, die am Nachmittag über einen Statutenentwurf zu einem nationalen Verband verhandeln könne, wurde angenommen. Die Versammlung beschloss schliesslich, dass eine kantonale Handelskammer in zweijährigem Turnus den Vorort bilden solle und dass man in drei Monaten wieder zur Konstituierung eines Vereins zusammenkommen wolle. Das Zentralkomitee des Bernischen Vereins für Handel und Industrie übernahm einstweilen die Organisation.

Schreiben der Handels-Commission Glarus vom 30. März 1869 zur Frage der Gründung eines Schweizerischen Handels- und Industrievereins.

Carl Emil Viktor von Gonzenbach (1816–1886), Präsident des kaufmännischen Directoriums St. Gallen-Appenzell zur Zeit der Vorortsgründung.

Am 12. März 1870 fand die Gründungsversammlung des Schweizerischen Handels- und Industrievereins (SHIV) im Casino Bern statt. Bei diesem konstituierenden Treffen beschlossen die Teilnehmer insbesondere, dass nicht nur kantonale Handelskammern, sondern auch lokale Vereine beitreten können. Zudem wurde festgelegt, dass die einzelnen Mitgliedsvereine weiterhin den direkten Kontakt zu den eidgenössischen Behörden pflegen dürfen. Als erster amtierender Vorort wurde der Bernische Verein für Handel und Industrie gewählt, den siebenköpfigen Ausschuss bildeten unter anderen der Glarner Peter Jenny, der St.Galler Carl Emil Viktor von Gonzenbach sowie zwei Vertreter der Westschweiz: Jules Grandjean aus La Chaux-de-Fonds und der Genfer Jules Martin-Franel. In den ersten Jahren ging der Vorort von den Bernern an den Börsenverein Zürich über, dann an das kaufmännische Directorium St.Gallen und von da an den Basler Handels- und Industrie-Verein, der aus dem Zusammenschluss des offiziellen Handelscollegiums und des Börsenvereins entstanden war. Nach acht Jahren beschloss die Delegiertenversammlung 1878 die Einrichtung eines ständigen Sekretariats. Zwei Jahre später trat der Schweizerische Spinner- und Weberverein dem SHIV bei und damit der erste Branchenverband. Doch weiterhin war fast die Hälfte der Kantone gar nicht erst vertreten.

Interessant ist, dass von 1872 bis 1874 der Deutsche Ökonomieprofessor Victor Böhmert dem Ausschuss des SHIV angehörte. Böhmert lehrte seit 1866 sowohl an der Universität Zürich wie auch am Polytechnikum Nationalökonomie, bevor er 1875 nach Dresden berufen wurde. Im Auftrag des Bundesrats verfasste Böhmert 1873 den ausführlichen Bericht «Arbeiterverhältnisse und Fabrikeinrichtungen der Schweiz» für die Weltausstellung in Wien. Er vertrat freihändlerische wie auch sozialreformerische Positionen und erstellte insbesondere erste aussagekräftige Statistiken. Die Wahl eines Ausländers in den siebenköpfigen Ausschuss des SHIV ist Sinnbild für das «goldene Zeitalter» Zürichs und für die industrielle, global ausgerichtete Schweiz nach der Mitte des 19. Jahrhunderts. Auffällig ist zudem die starke Vertretung der Bankiers im Ausschuss, darunter etwa Adolf Burckhardt-Bischoff vom Bankhaus Ehinger, Nationalrat Carl Feer-Herzog, der Präsident der Aargauischen Bank – eine der ersten Kantonalbanken –, und der Berner Alfred Ernst, Teilhaber der Bank von Wattenwyl, Ernst & Cie. Als Genf 1880 den Vorort übernahm, ging das Präsidium an Ernest Pictet, Teilhaber der Privatbank Pictet. Das heisst jedoch nicht, dass die Industrie im SHIV nicht vertreten gewesen wäre. So gehörten nebst dem Textilfabrikanten Peter Jenny etwa Julius Maggi, Gründer der Nahrungsmittelfabrik Maggi, oder auch Heinrich Rieter von der Winterthurer Maschinenfabrik Rieter dem Vorort an.

Heinrich Rieter hatte bereits vor der Gründung des SHIV als Delegierter des Bundesrats an der Eröffnungsfeier des Suezkanals in Ägypten 1869 teilgenommen. Symbolisch bezeugte für die Schweiz ein Vertreter der global orientierten Schweizer Industrie den Auftakt zur «ersten Globalisierung». Symbolisch auch, dass sich die Schweizer Unternehmer fast zwangsläufig selbst organisierten. Nach gerade zwei Jahrzehnten ihres Bestehens war die Bundesverwaltung noch in einem sehr langsamen Aufbau begriffen und das Parlament gegenüber der Gewährung von weiteren Ausgaben sehr unfreundlich gestimmt. So übernahm der SHIV die Selbstorganisation der Schweizer Unternehmerschaft und finanzierte diese auch. Als es etwa um die Einrichtung des ständigen Sekretariats ging, schrieb von Gonzenbach vom kaufmännischen Directorium St. Gallen 1878 an den Vorort: «Von den Bundesbehörden ist gar nichts nach dieser Richtung zu erwarten; der schweiz. Fabricanten- und Handelsstand soll daher den Muth haben, selbst Hand ans Werk zu legen.» So kam der SHIV zu einem Vereinssekretär und damit zu einem ersten Angestellten. Die Aufgabe dieses neuen Vereinssekretärs war auch das Erstellen eines jährlichen Berichts über Handel und Industrie der Schweiz. Dafür sollte er eine Statistik erstellen. Zwar war 1860 das Eidgenössische Statistische Bureau geschaffen worden, doch auch von diesem erwartete von Gonzenbach nicht viel, sodass die Unternehmerschaft lieber einen eigenen Sekretär mit der Wirtschaftsstatistik betraute.

Statuten des Schweizerischen Handels- und Industrievereins nach den Beschlüssen der Delegiertenversammlung vom 12. März 1870in Bern, §3

Je auf die Dauer von zwei Jahren wird abwechselnd eines der zum Verbande gehörigen Organe als «Vorort» gewählt, welcher die Präsidialbehörde des Verbandes bildet, und welchem die Besorgung der administrativen Angelegenheiten desselben obliegt, z. B. Entgegennahme, resp. Weiterbeförderung, aller an den Verein bestimmten Zusendungen, Einberufung der Delegirten-Versammlungen und Besorgung der nöthigen Anordnungen und Vorbereitungen für dieselben, Einberufung des Ausschusses und allfällig nothwendiger Experten, Einholung von Gutachten und Berichten auch von solchen Vereinen und ähnlichen Associationen, welche dem schweizerischen Handels- und Industrie-Vereine nicht angehören, Ausführung der Beschlüsse der Delegirten-Versammlung und des Ausschusses, Ausfertigung und Versendung beschlossener Schreiben, Besorgung und Versendung von Drucksachen, Führung der Correspondenz mit den zum Vereine gehörenden Organen etc. Auch liegt dem Vororte eine alljährliche Berichterstattung über seine Thätigkeit ob und über diejenige des Vereins im Allgemeinen.

Ausschnitt aus den ersten Statuten des SHIV 1870.

Die Turnusverwaltung mit dem alle zwei Jahre wechselnden Vorort hatte den Nachteil, dass gegenüber den Bundesbehörden die Interessenvertretung unausgewogen daherkam. Lag der Vorort bei Genf, so fühlten sich die St. Galler schlecht vertreten, lag er bei Basel, zeigte sich der SHIV als vehementer Vertreter des Freihandels, wobei einzelne Sektionen durchaus einen gewissen Zollschutz beanspruchten. Schliesslich reichte der Zürcher Nationalrat Alfred Escher im Dezember 1876 eine Motion im Nationalrat ein, welche die Gründung einer amtlichen schweizerischen Handelskammer forderte – erfolglos. So wurde der St.Galler Arnold Eichmann auf privater Ebene der erste Sekretär des Vororts. Er war damit zuständig für die schweizerische Unternehmerschaft. Wiederum sehr typisch für den langsamen Übergang von der Selbstverwaltung der Schweizer Kaufleute zum Aufbau des Staates ist, dass Eichmann nach vier Jahren beim Vorort zum Bund wechselte, wo er als Sekretär des eidgenössischen Handelsbüros tätig war. Schon bald wurde er Direktor der Handelsabteilung des Eidgenössischen Departements für Handel, Industrie und Landwirtschaft. Der Vorort hatte somit eigentlich während nur gerade vier Jahren den Beamten selbst berappt, der später während drei Jahrzehnten als oberster Beamter beim Bund den Handel unter sich hatte. Dass der SHIV dermassen föderal und minimal organisiert war, dass sich niemand um die Verlängerung des Arbeitsvertrags von Eichmann gekümmert hatte, dürfte dessen Wechsel zum Bund wohl auch begünstigt haben.

In den ersten elf Jahren gab es nebst der Delegiertenversammlung, dem geschäftsführenden Vorort beziehungsweise der geschäftsführenden kantonalen Handelskammer sowie dem Sekretär Arnold Eichmann noch den elfköpfigen Ausschuss. Drei Mitglieder davon wurden vom geschäftsführenden Vorort gestellt und schieden jeweils nach zwei Jahren wieder aus. Die Antwort auf die Frage, ob überhaupt ein solcher Ausschuss bestellt werden sollte, war in den ersten Jahren keineswegs klar. Auch die Überführung dieses Ausschusses in eine amtliche, dem Handelssekretariat unterstellte schweizerische Handelskammer blieb umstritten. Ausschlaggebend war schliesslich das Argument, dass die alternierende Geschäftsführung zu viel Aufwand für eine einzelne Handelskammer sei und ein ständiger Ausschuss unter dem Namen Schweizerische Handelskammer für Kontinuität in der Geschäftsführung sorgen solle. Tatsächlich musste sich der Vorort nicht nur um die eidgenössischen Geschäfte kümmern, sondern überhaupt erst einen eidgenössischen Zusammenhalt unter den kantonalen, regionalen und branchenspezifischen Sektionen herstellen.

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