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In der Einsamkeit der römischen Campagna wandern meine Gedanken in die Vergangenheit zurück, während die Kuppel von St. Peter wie eine trotzige Festungskrönung in der Unendlichkeit des Landes meine Blicke trifft. Je dunkler sich die Gegenwart gestalten will, um so weiter wandern die Gedanken in das Sonnenland der Kindheit und Jugend zurück. Sie grüßen den Morgen eines Priestertums voll Idealismus, sie grüßen auch jene Lebensstrecke, die mich, nachdem ich vielen Eitelkeiten den Abschied gegeben und die Welt völlig überwunden habe, von der Zeit hinweg an das lichte Gestade der Ewigkeit führen wird. So ist dieses Buch ein Confiteor verfehlter Hoffnungen und gescheiterter Versuche. Möge es trotzdem für die gebildete deutsche christliche Jugend dereinst ein Trostbuch sein, tapfer aus dem Dunkel der Gegenwart eines politischen Pharisäertums ins helle Licht reiner Menschlichkeit emporzustreben und die moderne Gewissenssynthese von Gottesfurcht, Nation und Sozialismus zu schaffen, stärker zu sein als ein grausiges Schicksal und zu glauben, daß ein Volk in Europa dazu berufen ist, das geschichtliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Glück dieses Kontinents neu zu gestalten, wenn Europa überhaupt noch eine Aufgabe zu erfüllen hat. Es ist das deutsche Volk, was immer seine Grenzen sein mögen. Es ist der nationalbewußte, christlich und sozial modern denkende deutsche Mensch mit seinem Fleiß, seiner Ordnungsliebe, Zähigkeit, Organisationsfähigkeit und Treue, aber auch mit seiner Sehnsucht nach den unvergänglichen Werten des religiösen Gedankens. Dieser Jugend von morgen sei dieses Buch geweiht.


Grottaferrata, Villino Pace, 1962

1) „antirömischer (romfeindlicher) Affekt“

2) „für Kirche und Nation“

3) „wir können nicht!“

*) Vgl. die Worte Papst Pius’ XI. und des Rektors der katholischen Universität in Mailand, des Franziskaners Gamelli (früher Linkssozialist).

*) Nicht wenige Bücher hoher amerikanischer Militärs bestätigen dies (vgl. Captain Russell Grenfell, „Uncoditional Hatred“, New York 1953).

4) „zu sehr deutsch“

2. Nach Rom (Erste Eindrücke)

Der Weg nach Rom führte mich über drei denkwürdige Stätten, die erste war das Heiligtum von La Salette, ein einsames Dorf in der Dauphiné. Schon als Theologe interessierte mich gerade diese Marienerscheinung, so merkwürdig hart und lieblos die Worte der Madonna über Priester und Kirche klangen, ganz anders als jene von Lourdes und Fatima. Es ist die erste große Marienerscheinung im 19. Jahrhundert, deren Eindruck noch stärker wird, wenn man das Privatgeheimnis, das die Madonna dem elfjährigen Hirtenmädchen Melanie anvertraute, langsam überlegt, das teils im wirklichen, teils im gefälschten Wortlaut der Öffentlichkeit bekannt wurde, gebilligt, verurteilt, maßlos angegriffen, um schließlich als ein „Angriff auf die Ehre der Geistlichen jener Zeit“ von höchsten kirchlichen Stellen versenkt zu werden. Ein Vergleich der Worte der Madonna mit jenen späterer Erscheinungen, besonders von Lourdes, kann aber auch zugunsten von La Salette ausfallen. Ein erschütternder Ernst, eine Sprache, die an die großen Bußprediger des Mittelalters erinnert, und eine prophetische Voraussage über die kommende religiöse Krise, wie sie deutlicher nicht sein konnte. Das alles gibt gerade dieser Marienerscheinung, die später gegenüber Lourdes stark in den Hintergrund gerückt wurde, eine Bedeutung, die unter allen Privatoffenbarungen den ersten Rang einnimmt. Es genügt, nur die folgenden Worte herauszunehmen (in deutscher Übersetzung):

„Der Stellvertreter meines Sohnes wird viel zu leiden haben, denn eine Zeitlang wird die Kirche großen Verfolgungen ausgesetzt werden; das wird die Zeit der Finsternisse sein, die Kirche wird eine furchtbare Krise durchzumachen haben.

Indem der heilige Gottesglaube in Vergessenheit gerät, wird ein jeder sich durch sich selber führen und über seinesgleichen stehen wollen. Man wird die staatliche und die kirchliche Gewalt abschaffen, alle Ordnung und alle Gerechtigkeit werden mit Füßen getreten werden; man wird nur noch Mord, Haß, Mißgunst, Lüge und Zwietracht sehen, ohne Liebe für Vaterland und Familie. Der Heilige Vater wird viel leiden. Aber ich werde mit ihm sein bis ans Ende und sein Opfer empfangen. Die Bösen werden ihm mehrmals nach dem Leben trachten, ohne seinen Tagen einen Schaden zufügen zu können; aber weder er noch sein Nachfolger … werden den Triumph der Kirche Gottes sehen.

Die Inhaber bürgerlicher Gewalt werden allesamt ein und denselben Plan haben, nämlich jeden religiösen Grundsatz abzuschaffen und zum Verschwinden zu bringen, um Raum zu schaffen für den Materialismus, den Atheismus, den Spiritismus und für alle Arten von Laster.

Während dieser Zeit wird es geschehen, daß der Antichrist geboren wird, von einer hebräischen Nonne, einer falschen Jungfrau, die Verbindung hat mit der alten Schlange, dem Meister der Unreinheit; sein Vater wird Ev. sein; bei seiner Geburt wird er Lästerungen aussprechen, er wird Zähne haben; mit einem Wort, er wird der Fleisch gewordene Teufel sein. Er wird schreckliche Schreie ausstoßen, Wunder tun, sich nur von Unreinem nähren. Er wird Brüder haben, die, wenn auch nicht wie er Fleisch gewordene Dämonen, doch Kinder des Bösen sein werden; mit zwölf Jahren werden sie sich bemerkbar machen durch ihre heldenmütigen Siege, die sie davontragen werden; bald werden sie an der Spitze eines Heeres stehen, und die Legionen der Hölle werden ihnen Beistand leisten.

Die Jahreszeiten werden sich ändern, die Erde nur noch schlechte Früchte hervorbringen, die Gestirne werden ihren regelmäßigen Gang verlieren, der Mond nur noch ein schwaches rötliches Licht zurückwerfen; Wasser und Feuer werden der Erdkugel konvulsivische Bewegungen und schreckliche Erdbeben bescheren, darin Gebirge und Städte verschlungen werden (usw.).

Rom wird den Glauben verlieren und der Sitz des Antichrist werden.

Die Dämonen der Luft werden zusammen mit dem Antichrist große Wunder auf der Erde und in der Luft verrichten, und die Menschen werden immer verderbter werden. Gott wird für seine treuen Diener sorgen und für die Menschen, die guten Willens sind. Das Evangelium wird überall gepredigt werden, alle Völker und alle Nationen werden Kenntnis der Wahrheit erlangen!“

Eine andächtige Schar von Pilgern kniete im Heiligtum, als fühlte sie die Schwere dieser Worte, obwohl seitdem fast neunzig Jahre verflossen sind. Eine eigenartige Atmosphäre herber Frömmigkeit strömt von diesem Heiligtum aus, dessen Heilquelle seit 1846 ununterbrochen fließt und in dem das Wort des Täufers „Tuet Buße“ im Munde der Madonna gleichsam einen zeitgemäßen Kommentar erhalten hat. Mit welcher Andacht beten hier die Pilger, wie ein grandioser Rahmen umschließen die Berge das Heiligtum!

Meine zweite Station war die Klosterzelle Savonarolas in San Marco zu Florenz. Unser Kirchengeschichtslehrer schilderte ihn als politischen Revolutionär und halben Ketzer. Sobald ich Pastors Papstgeschichte mit den tiefschürfenden Forschungen des Münchner Professors Schnitzer und des Italieners Guicciardini verglichen hatte, änderte sich dieses uns jungen Theologen aufgedrängte Urteil. Da ist wenig zu retouchieren, Kirche und Christentum werden nicht glaubhaft durch Worte, sondern in erster Linie durch Taten, sonst müßten wir in das Pharisäertum des Alten Testamentes zurückkehren, der Karikatur des Christentums in Alexander VI., dessen Leben den bereits überall gärenden Reformbestrebungen das beste Material für die Anklagen gegen die römische Kurie lieferte (obwohl sein Zeremoniar und Mitankläger, Jakob Burkart von der Anima, in nichts besser war). Wie sehr haben sich die Zeiten geändert! Wie viele edle heilige Papstgestalten hat allein die Kirche des 19. Jahrhunderts gehabt.

Savonarola, eine rätselhafte Figur der Renaissance, ein katholischer Prophet und wahrer Gottesmann, dessen Verurteilung ein Unrecht war und seine Rehabilitierung fordert, ein Idealist und Weltreformer, der scheitern mußte, wie Macchiavelli ihn treffend nannte „un profeta disarmato5)“, ein Träumer und Kämpfer für eine bessere Zeit. Sein Prozeß wurde in unwürdigster Form geführt mit Fälschungen, um ihn auf jede Weise zu „erledigen“, genau wie seinerzeit jener der Jungfrau von Orleans. Wäre ein Alexander VI., ein Borgia, sein Hauptgegner, durch einen Beschluß des Kardinalkollegs rechtzeitig abgesetzt worden, hätte die ganze Kirchengeschichte einen anderen Lauf genommen; so mußte dieser arme Klosterbruder im Gewande des heiligen Dominikus schauerlich als Märtyrer seiner religiösen Überzeugung und als Opfer einer Zeitenwende enden, in der später andere das Strafgericht Gottes an der Kirche vollzogen haben — zum Schaden des gesamten Christentums, das heute, gespalten und zerrissen, nicht mehr die religiöse einheitliche Welt des Mittelalters verkörpert. Die vielen Fremden, die nicht bloß die Meisterwerke von Fra Angelico betrachten, stehen meist ratlos vor dem Bilde dieses Mönches, dessen Leben und Tod eine ständige Mahnung ist, Reformen rechtzeitig durchzuführen, bevor der grausame Arm der Geschichte eingreift, Böses und Gutes vernichtet und neue Wege weist.

Vor Rom muß man in Assisi — es war meine dritte Station — haltmachen, am Grab des Poverello, des Vertreters eines simplifizierten Christentums, wenn dieses Wort nicht mißverstanden wird. Vielleicht hätte Franziskus in sozialer Hinsicht die Welt, wenigstens Mitteleuropas oder Italiens, geändert, wenn es nach ihm gegangen wäre. Ein wahrer Nachfolger Christi als Weltverbesserer und merkwürdiger Kontrast zu seinem Zeitgenossen Innozenz III., der, um die überlieferte Ordnung nicht zu stören, den starken religiösen Individualismus dieses Armen von Assisi in feste kirchenrechtliche Formen spannen mußte, so daß, wenn man die ursprünglichen Absichten des Poverello mit seinen fast romantischen idealistischen Zielen betrachtet, anderes herausgekommen ist. Es sind die großartigen Leistungen seiner Ordensbrüder in späteren Jahrhunderten in Kunst, Wissenschaft, im Werke der Mission und in kühnen theologischen Spekulationen. Mit ihm ist auch sein eigenes Ideal untergegangen, um in einer gemäßigten, der Wirklichkeit entsprechenden Lebensform zu enden. So umfängt ein mystisches Halbdunkel sein Grab.

Während diese Gedanken mich begleiten — je näher ich Rom bin —, leuchtet im Glanz der Abendsonne wie ein in den Himmel gebauter Dom das Symbol aller katholischen Universalität die Kuppel von St. Peter. Ein Idealismus ohne Grenzen umfaßt meine Seele, als ich längst vor San Lorenzo ihre Umrisse am Horizont erkannte. Ein unbändiger Tatendrang erfüllte mich, den großen gesamtdeutschen Zielen zu dienen, die mein Vorgänger, der Gründer des Priesterkollegs der Anima, der Nordtiroler Alois Flir, das Mitglied des Frankfurter Parlaments, seinen Nachfolgern als heiliges Erbe hinterlassen hatte. Ich will, wenn einmal das Schicksal in mein Leben eingegriffen hat, nicht umsonst als Österreicher und Deutscher nach Rom gerufen sein. „Den Besitzstand der altehrwürdigen deutschen Nationalstiftung der Anima gegenüber den Forderungen der Belgier zu retten, die eine Entschädigung für die im Weltkrieg zerstörte Universitätsbibliothek von Löwen verlangten, die Deutschsprechenden Roms aller Staaten zusammenzuführen oder wenigstens mitbauen zu können im Sinne einer kulturellen Schicksalsverbundenheit, die Seelsorge der Deutschen neuzuordnen, das während des Krieges völlig verwahrloste Kolleg modernen Ansprüchen anzupassen und die Anima bewußt zum Mittelpunkt und zur festen Burg der deutschen Katholiken Roms und Italiens auszubauen“ — das waren Aufgaben und Pläne, wert, ein Leben für sie einzusetzen.

Als mir mitten aus dem engen Straßengewirr vom Glockenturm der Anima der deutsche Reichsadler des 16. Jahrhunderts einen Willkommensgruß zu entbieten schien, kannte deshalb meine Freude keine Grenzen. Ich war wieder in Rom, nach zwanzig Jahren. Noch waren die Straßen ungepflegt wie vor dem Ersten Weltkrieg, als wir sorglos unsere Studien machen konnten. Noch hatte der Reformdrang des Faschismus im römischen Stadtbild nichts geändert. Es war das alte Rom der Vorkriegszeit, verwahrlost, in vieler Hinsicht noch jenes der siebziger Jahre mit derselben zum bequemen Leben neigenden Menschenart, die das „vivere e lasciar vivere6)“ zum Grundsatz auch des politischen Denkens erhoben hatte. Als ich die Pforte der Anima überschritt, wühlte ein Gebet meine Seele auf, einst nach Jahren ruhig Antwort geben zu können auf jene Schicksalsfrage, die der erste Brief meiner teuren Mutter, den ich mit einem Strauß von Alpenrosen der Heimat auf meinem Arbeitstisch fand, in so wohltuender milder Form für meine Arbeiten in Rom an mich richtete, daß mein religiöser Idealismus durch nichts geschwächt werde und keine rauhe Lebenserfahrung jenes Bild zerstören möge, das ich mir vor dem Eintritt ins Priestertum erworben hatte. Im alten Höfchen der Anima, das mit seinen Skulpturen und Resten des mittelalterlichen Kirchenbaues noch aus den Tagen der lutherischen Reformation eine eigenartige Atmosphäre atmet, begrüßte mich als erster ein biederer Schweizer, der Freund von Liszt und Mitbegründer des italienischen Cäcilienvereines, der St. Gallener Priester Peter Müller, der vom Germanicum an die Anima als Chormeister übersiedelt war und hier eine weitausgreifende Reformtätigkeit auf dem Gebiete der Kirchenmusik entfaltete. Der Gruß dieses Schweizer Geistlichen war echt und aufrichtig. Ein deutscher Mann, der trotz seiner äußerlichen Italienisierung innerlich seiner herrlichen Heimat verwurzelt blieb. Er hatte seine Ausbildung an der Regensburger Kirchenmusikschule erhalten und brachte die große Überlieferung der Meister des 16. und 17. Jahrhunderts (Palestrina, Vittoria, Orlando di Lasso, um nur wenige zu nennen) auch nach Rom, wo die Kirchenmusik mit Ausnahme der Sixtinischen Kapelle niedergegangen und verweltlicht war. Seit 1870 leitete er einen Chor von dreißig Knaben, die in einem Konvikt der Anima lebten und die päpstliche Mittelschule Sant’Apollinare besuchten. Von der Anima aus wurde dieser Priester zum geistigen Anreger der gesamten Kirchenmusik in Rom. Von prächtigen Männerstimmen unterstützt, wurde dieser Knabenchor so berühmt, daß Scharen von Musikbegeisterten der Stadt Rom zu den kirchenmusikalischen Aufführungen in die Anima strömten, bei großen Jubiläen und Festlichkeiten der Stadt, bei Pilgerempfängen und Jahrhundertfeiern (besonders Papst Gregors I.). Im Quirinal, in der Sixtina und in St. Peter war dieser Chor, aus dem eine Reihe angesehener italienischer Musiker hervorgegangen ist, Gegenstand der Bewunderung. Die Meister des 16. Jahrhunderts und der Gregorianische Choral wurden nach der Regensburger Überlieferung gepflegt. Josef Sarto (der spätere Papst Pius X.), der als Bischof von Mantua in der Anima wohnte, lernte dortselbst den genialen Chormeister kennen und schrieb in einem Brief vom 9. November 1884 mit Bewunderung von den kirchenmusikalischen Überlieferungen der Nationalkirche (in deutscher Übersetzung):

„Monsignore Jacuzzider, der immer soviel Freude an der Musik hatte, kannst Du sagen, daß ich, obwohl ich um 11 Uhr heute morgen im Vorzimmer Seiner Eminenz des Staatssekretärs sein mußte, doch der heiligen Versuchung nicht habe widerstehen können, vorher noch zur Messe in die Kirche der Anima zu gehen. Ich habe das Asperges, den Introitus, das Offertorium im Cantus firmus zu drei Stimmen mit Harmoniumbegleitung und den Rest im Cantus semifiguratus auch zu drei Stimmen, aber ohne Begleitung, genossen. Etwas ganz Wunderbares, besonders der Cantus firmus ist zum Sichdareinverlieben.“

Eine eigenartige, glückliche Fügung war es, daß die von der Regensburger Schule ausgehenden Grundsätze über die Anima durch Peter Müller, dessen Freunde Lorenzo Perosi und Josef Sarto schließlich im Jahre 1903 zum päpstlichen „motu proprio“ über die Reform der Kirchenmusik überhaupt führten. Die Namen Haberl, Mitterer gehören in diese glanzvolle Zeit der Anima hinein. Es war mein großer Kummer, daß ich, veranlaßt durch die überaus schwierige Finanzlage der Anima, nach dem Weltkrieg diesen Knabenchor im Jahre 1924 auflösen mußte. Im folgenden Jahre wurde Peter Müller, einer der bescheidensten und anspruchslosesten Priester, die mir untergekommen sind, im hohen Alter im deutschen Friedhof bei St. Peter begraben, während ein Stein in der Animakirche das Gedächtnis dieses genialen Kirchenmusikers kommenden Geschlechtern weitergibt.

Das Zusammentreffen mit einem Vorgänger, Prälat Brenner, der vom Schlag gerührt, aber noch geistig auf der Höhe in seinem bescheidenen Bette lag, war eine Seelenqual, denn er erfaßte die Schwere seiner Erkrankung nicht, die bald mit einer völligen Lähmung enden sollte. Er war ein befähigter, kluger Mann, aufgewachsen in der Habsburgermonarchie, zum Rektor der Anima durch Kaiser Franz Joseph ernannt, hoffte er auf seine Restauration mit der Wiederkehr des legitimen außer Landes vertriebenen Herrschers Kaiser Karl. Die Begriffe Nation und Deutschtum lagen ihm nicht. Die römische Kurie kannte er genau. Er fand sie dürftig und verbesserungswert im Menschenmaterial und Arbeitsrhythmus, allein er gab mir den Rat, daß es besser sei, nach außen alles zu loben, vieles nicht zu sehen, gegebene kirchliche Slogans wie ein Lautsprecher zu wiederholen, um der Gefahr der in Rom besonders verbreiteten „invidia clericalis7)“zu entgehen, das weise Wort Talleyrands sei hier am Platze: „Surtout pas trop de zéle8)“. Ich habe diesem unglücklichen Prälaten, der vom kirchlichen Beamtentum sehr geschätzt war, alle priesterliche Liebe erwiesen, bis er eines Tages, da die Krankheit stationäre Züge aufwies, dem Rate der Ärzte folgend in seine Heimat zurückkehren mußte. Wenn nicht ein tückisches Schicksal ihn frühzeitig arbeitsunfähig gemacht hätte, wäre ihm eine große kirchliche Laufbahn sicher gewesen.

Mit seiner Abreise war die Verantwortung auf mich allein gekommen. Ich war nicht der erste Steiermärker in der Anima, wenn auch die geschichtlichen Beziehungen des Bistums Seckau zur deutschen Nationalstiftung in den ersten Jahrzehnten wegen des norddeutschen Übergewichtes (Paderborn — Rheinland) gering gewesen sind. Schon im Jahre 1500 wird im Priesterverzeichnis ein Markus Trost genannt, und zwei Steiermärker (Christoph von Zach 1502, Andreas Frühwirth 1907) waren in der Animakirche zu Bischöfen geweiht worden, deren feierliche Grundsteinlegung im Jubeljahr 1500 der Seckauer Bischof und kaiserliche Gesandte Matthias Scheidt vorgenommen hatte. Im päpstlichen Reformbreve der Anima vom Jahre 1858 wurde die Ernennung des Rektors in gleicher Weise wie jene der Bischöfe Österreichs zum ausschließlichen Recht des Monarchen. Auch als 1918 das Kaisertum untergegangen war, wollte Kardinalprotektor Merry del Val diese Richtlinie beibehalten, wenigstens was die Staatsangehörigkeit des Rektors betraf. So wurde ich als erster vom päpstlichen Staatssekretariat zunächst als Koadjutor mit dem Rechte der Nachfolge ernannt. Während die reichsdeutschen katholischen Laien der Gemeinde Roms diese Auffassung keineswegs bekämpften — mit dem Wegfall der Monarchie hatte der betreffende Paragraph des alten päpstlichen Breves den geschichtlichen Sinn verloren —, arbeitete gegen die Berufung eines Österreichers an das Rektorat der Anima überaus heftig der deutsche Jesuiten-Kurienkardinal Franz Ehrle unter Heranziehung mehrerer ähnlich gesinnter Geistlicher, zu denen der Rektor des Päpstlichen Bibelinstitutes, mein früherer Lehrer, P. Leopold Fonck S. J., gehörte, dessen Einfluß aber an der Kurie seit dem Tode Pius’ X. zurückgegangen war. Wie mir der österreichische Gesandte, von Pastor, erzählte, bearbeitete Ehrle den Kardinalprotektor, um einen reichsdeutschen Priester der Kölner Erzdiözese, Emerich David, der Rektor des deutschen Campo Santo war, in die Anima zu bringen. Schließlich ging die Sache an Pius XI., der in der entscheidenden Audienz dem österreichischen Vatikangesandten erklärte: „Sollen auch Wir beitragen, das arme, klein gewordene Österreich zu verdemütigen?“ Damit war die Entscheidung gefallen, während die Rechtsfrage selbst ungelöst blieb, ob künftighin nur Priester österreichischer Bistümer zu Rektoren der Anima ernannt werden sollen. Dieses Vakuum einer Rechtserklärung angesichts des veralteten päpstlichen Breves 1858 brachte mir zahlreiche Schwierigkeiten in der Leitung dieser ehrwürdigen Stiftung. Mein erster Besuch in Rom galt dem Geschichtsschreiber der Päpste und österreichischen Gesandten, Ludwig Freiherrn von Pastor, dessen Hand bei meiner Ernennung zum Rektor im Spiele war. Er wohnte bescheiden in einer besseren bürgerlichen Wohnung in der Via della Croce, die gleichzeitig der Sitz des österreichischen Geschichtsforschungsinstituts war. Das Österreich der ersten Nachkriegszeit war verarmt und ohne jede Möglichkeit großer internationaler gesellschaftlicher Repräsentanz. Universell gebildet, von umfassender Kenntnis der Geschichte und der Kunstdenkmäler Roms, päpstlicher als der Papst, der ihn als Gelehrten überaus hoch einschätzte, hatte Pastor, wie man mir im Wiener Außenministerium sagte, einen bedeutenden Einfluß im Vatikan, nach dem Urteil der Diplomaten fürchtete er sich geradezu vor seinem eigenen Schatten. Als ich ihn am frühen Morgen nicht rechtzeitig angemeldet in seiner Arbeit störte, war er zunächst nicht erfreut. Über seinem Arbeitstisch war der Wahlspruch, die leuchtende Devise dieses reichen deutschen Gelehrtenlebens: „Vitam impendere vero9)“. Seine unheimliche Arbeitskraft wurde auch durch engherzige Kritik nicht gemindert. Kehr, der Direktor des Preußischen Geschichtsforschungsinstituts, machte ihm den Vorwurf, daß seine Bücher nur eine Verherrlichung der Päpste, aber nicht eine Geschichte der Idee des Papsttums seien.

Was immer auch das Urteil darüber sein mag, es war ein Gelehrtenleben einziger Art, das in dieser Form nicht schnell wiederkehren wird. Wie war es möglich, in diesem ungeheuren Chaos von Urkunden aus vier Jahrhunderten mit ordnender Hand das Wesentliche vom Nebensächlichen zu scheiden, die große Linie nie zu verlieren und aus tausend Mosaiksteinchen buntester Details das Gesamtbild großer Zeitperioden und die Vollbilder markantester Persönlichkeiten derart souverän zu gestalten? Nur ein großer Idealist, der auf vieles im Leben verzichten konnte, war imstande, sein Leben restlos einer so gewaltigen problemhaften Aufgabe zu widmen. Ich dankte Gott, dieser Persönlichkeit meine Aufwartung machen zu dürfen. Eben hatte ihn ein gelehrter italienischer Franziskaner in einer wissenschaftlichen Arbeit öffentlich wegen seiner Stellungnahme zum Pontifikat des aus dem Minoritenorden stammenden Papstes Clemens IV. angegriffen, unter dem die Gesellschaft Jesu aufgelöst wurde, was die beiden Staaten Preußen und Rußland nicht zur Kenntnis genommen hatten. Man warf dem alternden Gelehrten, der die Höhe des gewaltigen wissenschaftlichen Schaffens überschritten hatte, Abhängigkeit von den Jesuiten vor, er arbeite nicht mehr selbständig. Deutsche Jesuiten aus München, die verschiedenen Abschnitten seiner Werke sozusagen die letzte Feile gaben, benützten nach dem Urteil der Gegner diese Möglichkeit, um in die letzten Werke Pastors ihre persönlichen Geschichtsauffassungen, das heißt jene des Jesuitenordens, hineinzubringen. Pastor beruhigte sich nur langsam wegen solcher Angriffe. Seine einzige Erholung waren Spazierfahrten, besonders auf die Via Appia antica, wo ich später wiederholt die Freude hatte, ihn mit Kardinal Ragonesi, dem früheren spanischen Nuntius, begleiten zu dürfen. Als Wahlösterreicher besorgte er gleichzeitig die diplomatischen Angelegenheiten des neuen Staates beim Heiligen Stuhl. Seine immer klassisch geformten politischen Berichte waren auserlesene Lektüre des Bundeskanzlers Seipel. Unter vier Pontifikaten lebte Pastor in Rom. Zahlreiche höchste Persönlichkeiten des kirchlichen und politischen Lebens sind mit ihm in engem Verkehr gestanden. So war vielleicht meine erste Bitte an ihn verständlich, aus der reichen Lebenserfahrung des Geschichtsschreibers einige Richtlinien für mein Wirken an der Anima zu erhalten, die fast sämtliche deutschen Diözesen bei den päpstlichen Kongregationen zu vertreten hatte. Er hatte gerade den Bericht eines spanischen Botschafters aus dem Ende des 18. Jahrhunderts in den Händen, der ein wenig günstiges Urteil über Rom enthielt. Er werde, so erklärte er mir, ihn nicht benützen, weil ihm das Ansehen der Kirche an erster Stelle stehe, auch wenn manche darüber anders denken. Es sei manches anders geworden, und längst könne man Äußerungen selbst eines heiligen Bernhard (Considerationes IV, 2) nicht mehr als richtig in allem anerkennen („Romani importuni ut accipiant, ingrati, ubi acceperint, docuerunt linguam suam grandia loqui, cum operantur exigua, largissimi promissores et parcissimi exhibitores, blandissimi adulatores et mordacissimi detractores, simplicissimi dissimulatores ecc.: Die Römer sind ungestüm im Verlangen und undankbar, wenn sie etwas erhalten haben. Ihre Rede ist groß, aber ihre Taten sind klein. Sie versprechen alles und halten nichts, süße Schmeichler und beißende Verleumder, arglistige Heuchler und nichtswürdige Verräter.“). Ich brachte den Einwand, da ich diese Stelle zum ersten Mal gehört hatte, ob jemand, der solches geschrieben habe, heute noch heiliggesprochen werden könnte. Pastor, der äußerlich betrachtet wenig Gemüt zu besitzen schien und mir auch die Antwort auf diese Frage schuldig blieb, meinte dann: „Verlassen können Sie sich hier allerdings nur auf wenige, wenn es um Versprechen und Worthalten geht. Der Italiener ist stark Levantiner und diesbezüglich von der Moral des Ostens beeinflußt. Ausländer, vor allem Ordensleute, sind sehr erwünscht, wenn sie unbeachtet in stiller Zurückgezogenheit arbeiten. Die oberste Leitung ist italienisch und war es immer seit der Reformation, denn die Weltkirche ist auch die wesentliche Stütze der romanischen Kultur. Manchen Kurialisten fehlt auch das geschichtliche Denken und ein Sich-Hineinfühlen in die Gedankengänge anderer Nationen. Sie beherrschen aber vorzüglich das theologische System und besonders das Kirchenrecht. Ich sah manche Fehler in einem halben Jahrtausend der Papstgeschichte, die ich wie kein anderer durchforscht habe, aber ich liebe die Kirche wie ein guter Sohn seine Mutter, auch wenn sie mir nicht immer und nicht in allem ein Vorbild ist. Die römische Kirche ist mir Heimat und Vaterland. Mein letzter Herzschlag wird ihr gelten, denn ihr bin ich verschworen und ihr habe ich mein Leben und meine Forschungen geweiht“.

Es waren herrliche Bekenntnisse, die mich mit größter Freude erfüllten. Als wir auf das wissenschaftliche Arbeiten zu sprechen kamen, gestand er mir seinen Unwillen, daß auch ihm trotz der mündlichen Zusage Pius’ X. niemals eine Einsicht in das reiche Archivmaterial des Heiligen Offiziums gewährt worden war. Ein glücklicher Zufall vermittelte ihm aber die Kenntnis von nicht wenigen Urkunden dieser höchsten päpstlichen Behörde, die unter Napoleon nach Venedig und Paris verschleppt worden waren. So war es verständlich, daß manches in seinen Darstellungen im Urteil der Kritik als einseitig empfunden wurde. Daß er selbst an der römischen Kurie Gegner hatte, obwohl seine Papstgeschichte ganz in katholischer Schau geschrieben wurde, sah ich, als ich Kardinal De Lai, Sekretär der Konsistorialkongregation, den wichtigsten Berater Pius X., besuchte, der auch beim Pontifikatswechsel als Vertreter eines zentralistischen Kurses und wesentlicher Mitarbeiter am kirchlichen Rechtsbuch in großem Ansehen stand. Als wir zufällig auf die Papstgeschichte zu sprechen kamen, als ich ihm von meinem Besuche bei Pastor berichtete, meinte er: „Meno verità e più carità sarebbe stato meglio10).“ Es war ein hartes Urteil über das wissenschaftliche Schaffen eines Mannes, der Jahrzehnte der Wissenschaft im Sinne des Papsttums verwendet und zahlreiche Angriffe von Nichtkatholiken geerntet hatte. Warum dunkle Seiten im Buche der Kirchengeschichte überschlagen? Warum eine idealistische Frisierung nach Art von Legenden und frommen Andachtsbüchern! Warum Kirche und Papsttum mit Wolken stützen, während doch beide auf ehernen Säulen ruhen und letzten Endes auch durch eine Darstellung der menschlichen Entwicklung mit Fehlern, Armseligkeiten und tief bedauernswerten Verfallserscheinungen (es genügt an das 9. Jahrhundert, Tuskulaner und an die Vor-Renaissance-Zeit zu erinnern) nichts vom Goldgrund göttlicher Führung verlieren können. Pastors Ruhmesblatt ist nicht bloß das monumentale Werk seiner Papstgeschichte, die kein Panegyrikus nach Art romanischer Darstellung ist, sondern daß er als Laie trotz vieler Tiefenblicke in das Dämonische und Untermenschliche auch in der Welt des Religiösen seinen Kindesglauben rein und unversehrt bewahrt hat. Das ist das Heldische in seiner Persönlichkeit. Feinde, Intrigen, lieblose Kritik, da er von seinem großen Gegner P. Ehrle als „integraler“ Katholik wenig geschätzt war, nichts war imstande, ihn von der Liebe zur Kirche zu trennen. Es war mir oft, als sehe er die Menschen nicht mehr, sondern nur die „civitas supra montem“10a) — das himmlische Jerusalem, die entmenschlichte, geläuterte Kirche.

Pastors Lebenswerk wird aber die Jahrhunderte überragen, auch wenn Nichtkatholiken und einzelne katholische Geschichtsforscher manche Abschnitte seiner Darstellung anders beurteilen, mehr vom Standpunkt einer natürlichen Entwicklung oder des Dämonischen, das auch vor dem Kirchenportal nicht haltmacht. Die Gefahren begannen für ihn, als drei Fragen ein klares und, soweit menschliches Wissen ein sachliches Urteil überhaupt ermöglicht, ein solches forderten: Savonarola, dessen klassische Geschichtsdarstellung durch Schnitzer nicht überboten werden konnte — der Heilige gegenüber einem Alexander VI. —, der Ritenstreit in China, in dem Jesuiten, die weitblickende Männer unter sich hatten, und Dominikaner sich als Gegner gegenüberstanden —, in Wirklichkeit hatte diese Geschichte mit Religion nicht das Geringste zu tun; es war nur eine machtpolitische Frage der europäischen Protektoratsstaaten, für die China als Kolonie ein Geschäft war, dessen Betrieb nicht durch religiöse Neuheiten gestört werden durfte, und endlich die heikelste aller Fragen, die Aufhebung des Jesuitenordens durch Papst Klemens XIII. Hier mußte er, wie immer sein Urteil war, in einen Gegensatz kommen zu den Söhnen des Spaniers Ignatius und den bereits im Niedergang befindlichen Minoriten, die für den Papst als ihren Ordensbruder leidenschaftlich Stellung nahmen. Als dieser letzte literarische Kampf tobte, ohne je wirklich ausgefochten zu werden, da schließlich jeder Teil Gründe für und gegen sich hatte, trat Ehrle hinter den Kulissen in Erscheinung, um Pastors weitere wissenschaftliche Arbeit zu unterbinden. Die wahre Wissenschaft lebt aber nur von der Freiheit des Irrtums, und so habe ich mich niemals dazu hergegeben, Dienste gegen Pastor über Wunsch dieses Jesuitenkardinals zu besorgen. Schmerzlich berührte es mich, als eines Tages der Jesuitenkardinal Ehrle mich ersuchte, in geschickter diplomatischer Form auf Pastor einzuwirken, damit er seine wissenschaftliche Arbeit einstellen möge, „er sei nicht mehr auf der Höhe“. Ich habe dem alten Kirchenfürsten erwidert: „Warum machen Sie denn das nicht selbst angesichts Ihrer hohen Stellung?“ Es war unvermeidlich, daß Pastor, der in Rom als Vertreter des katholischen Integralismus betrachtet wurde, in einen Konflikt mit verschiedenen Mitgliedern der Gesellschaft Jesu kommen mußte, obwohl in München mehrere Jesuiten einen Großteil seiner Arbeiten besorgten. Das Kapitel über die Auflösung dieser bedeutenden Ordensgesellschaft war zu gefährlich, auch wenn er es noch so vorsichtig schreiben wollte. Es ehrt den genialen und wahrheitsliebenden Jesuitengeneral Ledochowski, daß er Pastor stets in enger Freundschaft verbunden war. Ich danke Gott, der Bitte Ehrles niemals entsprochen zu haben.

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9783990810583
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