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Über den Rhein

Am 22. Mai um 10:30 Uhr rollten Franka und Rolle weiter nach einem wunderbaren Camping-Frühstück in der Morgensonne.

Letzter deutscher Einkauf beim Aldi Süd in Bad Krozingen: Butter, Margarine, Marmelade, Pulvercafé. Rechts und links von der Straße wurde geerntet auf riesigen Spargelfeldern.

Sie erwarben ein Kilo der weißen Stangen, holländische Soße und Kartoffeln am provisorischen Stand. Dann führte die Straße zweimal übers Wasser.

Beim ersten Mal sagte Rolle: »Hier ist der Rhein ganz klein?«

Franka schmunzelte, sie konnte auf der Karte erkennen, dass sie noch nicht den großen Strom, Vater Rhein genannt, überquerten. Das bemerkte auch Rolle, als sie wieder Wasser rechts und links und unterhalb sahen: »Ach so, jetzt erst.« Es klang fast feierlich.

Genau 11:50 Uhr passierten die Sachsen die deutsch-französische Grenze und konnten sich nicht genug wundern.

»Vive la France! Ganz ohne Grenzposten«, jubelte Franka.

»Ich habe so einen schönen Reisepass; niemand will ihn sehen.« Der Jubel erstickte in doppeldeutigem Schmollen.

Gegen 17:00 Uhr erreichten sie Dijon, unternahmen einen Bummel zwischen hohen Mauern der wuchtigen Altstadt, gönnten sich Café und Eis, kauften mehrere Senfsorten im Glas.

Weiter ging es Kilometer für Kilometer entlang an ausgedehnten Feldern im Wein-Anbau-Gebiet Bourgogne. Am Straßenrand informierten große Schilder über die Namen der Rebsorten und Eigentümer. Außerdem lasen sie: »Route des Grands Crus« (Straße der edlen Gewächse) und »Dégustation« (Verkostung). Original beim Winzer probieren, das wollten sie unbedingt. Jetzt konnte die Ehefrau zum ersten Mal testen, wie weit sie kam mit dem ausgekramten Schulfranzösisch. Zwei Rotweine ließen sie sich einschenken; sie probierten – und nahmen nach einem Seitenblick auf die Preisliste ganz schnell Reißaus.

»9,80 € bis 33 € für eine Flasche, die müssen doch verrückt sein!«, empörte sich Rolle hinterm Lenkrad. Gerade glaubten sie noch, sie könnten das Nationalgetränk der Franzosen hier besonders preiswert erwerben. Ganz schön naiv, mussten sie feststellen. Von dem Wein, den sie gekostet hatten, sollte eine Flasche beim Erzeuger 18,60 € kosten. Sooo gut hat er ihnen auch wieder nicht geschmeckt.

Die erste Übernachtungsmöglichkeit im fremden Land wollten sie auf dem Campingplatz in Meursault finden. Dort war laut Campingführer ein schön gelegener Platz mit Wiese und Parzellen zwischen Bäumen. Von erhöhter Lage konnte man weit auf den Ort und die Weinfelder schauen.

Leider waren sie erst 20:00 Uhr auf dem Campingplatz angekommen – trop tard – (zu spät).

Bis 19:00 Uhr hatte die Rezeption geöffnet. Danach war niemand mehr zu Diensten.

Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als mit langen Gesichtern in den Ort zurückzufahren. An einem Grundstückszaun entdeckte Franka ein Holzbrettchen mit einem aufgemalten Bett und den Worten: Chambres d’hôtes (Privatzimmer). Das einzige Quartier war zwar schon besetzt, aber sie gelangten durch telefonische Vermittlung der Eigentümerin Madame Bernadette Ecobichon zu Madame Pinquier.

Patricia Pinquier, 5, Rue Pierre Mouchoux, 21190 Meursault.

Die freundliche Dame im Navi wusste den Weg. Das Quartier erwies sich als Volltreffer.

Familie Pinquier hatte nicht nur eine steile Holztreppe zum heimeligen Gäste-Appartement ganz in Rot, sondern auch einen Weinkeller, zwei süße kleine Kinder, zwei edle Windhunde und eine Katze.

In den Boden der Dusche eingefasste runde Natursteine massierten den Urlaubern die müden Füße. Auf der Bad-Kommode die Wattebällchen, Kosmetiktücher und Hautcreme deuteten familiäre Atmosphäre und Gastfreundschaft an. Die Reisenden fühlten sich willkommen und plünderten als Erstes ihre Kühltasche. Es war genug darin für ein Abendmahl, das sie hinterm Haus zwischen hohen grünen Hecken genossen. Sie fühlten sich wie im Traum – die Luft war noch mild und warm. Lediglich Rotwein fehlt noch, dachten sie gleichzeitig.

Ob sie um 22:00 Uhr noch klingeln dürfen? Sie trauten sich.

Der Hausherr, offensichtlich nicht überrascht, führte sie voller Stolz in seinen Weinkeller. Jede Menge neue Holzfässer in Reih und Glied, Franka und Rolle staunten nicht schlecht.

Es war kalt in der Probier-Ecke, viel kälter als draußen. Darum entschieden sie sich schnell; hier konnten sie nicht viel falsch machen. Eine Flasche wanderte für läppische zehn Euro in ihren Besitz. Damit setzten sie sich freudestrahlend auf die Hollywood-Schaukel.

Wer das kennt: himmlische Ruhe, eine laue Nacht, ein guter Rotwein, dem muss man nichts weiter erzählen.


Oben ohne

23. Mai, 8:30 Uhr, Madame Pinquier hatte bereits in ihrer rustikalen Wohnküche das Frühstück zubereitet und gerade eine Waffel gebacken. Auf einem langen Holztisch waren Käse, Wurst, Joghurt appetitlich angerichtet. Café gab es in Müslischalen, und besonders reizvoll präsentierte sich ein knuspriges Baguette im Weidenkorb. Der Backduft hatte die Hausbewohner herbeigezogen, auch die Kinder. Die liefen um die Tafel herum und hatten Spaß daran, die Fremden zu beobachten. Franka und Rolle wollten ihre Befangenheit überspielen mit einem Gesprächsversuch. Dabei erfuhren sie, dass die Familie über sechs Hektar Weinanbaufläche verfügt.

»Die Arbeit wird ausnahmslos in Handarbeit bewältigt; in den Hauptzeiten beschäftigen sie zwanzig Helfer«, erläuterte Monsieur Pinquier, der Winzer.

Hätten die Urlauber nicht so neugierige Fragen gestellt, wären sie auch ohne den Besuch im Verkaufsladen und die Mitnahme von vollmundigem »Beaune les Chaumes Gauffriots« davongekommen. Das Ehepaar hielt sich an den Rat: Hat man in Frankreich eine Flasche Rotwein, ein Baguette und Käse im Auto, kann einem nichts passieren. Dass das nicht billig zu haben war, hatten Rolle und Franka wohl oder übel verstanden.

Die Lufttemperatur hatte inzwischen 24 Grad Celsius erreicht. Auf dem Marktplatz von Meursault erwarben sie bei einem deutschsprechenden Händler eine Autokarte ihres Reiselandes. Selbstbewusst erklärte der Verkäufer seine guten Deutschkenntnisse: er hatte fünf Jahre in München gearbeitet.

Das Tachometer stand auf 984 Kilometer. Aus dem rollenden Toyota sahen die Insassen weiße Kühe auf grüner Wiese grasen und in der Ferne machte eine Basilika aus dem 11. /12. Jahrhundert in der Stadt Paray le Monial auf sich aufmerksam.

Kaffeetrinken in Vichy. Spaziergang im Kurpark mit prächtigen alten Bäumen. Zurück zum Auto. Hurra, es war noch da! War die Sorge wirklich begründet?

Das Tagesziel hieß Clermont-Ferrand. Auf dem Campingplatz hätten sie mindestens zwei Nächte bleiben müssen und auf einem anderen sogar eine ganze Woche.

Also fuhren die Sachsen weiter auf der mautfreien A 75 gen Süden bis Issoire.

Wieder das Gleiche: Campingplatz mindestens zwei Nächte. Sie mussten auf Hotels zurückgreifen. Das ACE-Hotel hatte ein Zimmer für zwei Personen frei, 40 € plus 5,80 € Frühstück. Franka kam mit der freudigen Nachricht zum Auto, aber Rolle wollte vorankommen.

Fahren Sie auf dieser Straße weiter … sang die Dame im Navi.

Das taten sie, noch 60 Kilometer auf der Autobahn bis St. Flour.

Ein Bett für die Nacht fanden sie endlich im Hotel Deltour.

Franka hatte schon seit zwei Tagen die Hoffnung, ein Studio zu finden, in dem sie den Spargel zubereiten konnte. Das wurde hier wieder nichts.

Aber es war schon spät und sie entschlossen sich, zu bleiben.

Vom Hotel, das am Ortseingang lag, schauten sie auf die Ville Basse (Unterstadt) und auf die herrlich am Berg gelegene Ville Haute (Oberstadt).

Es sah nicht weit aus, aber laut Auskunft an der Rezeption war es eine Stunde Fußweg dorthin. Das war ihnen zu anstrengend. Die Füße konnten sie sich auch innerhalb der Oberstadt wund laufen. Genau das passierte bei der mühsamen Suche nach einem Restaurant durch unwegsame bedrückende Gassen. Zwischen die hohen Mauern drang um diese Zeit kein Lichtstrahl mehr.

»Das ist ja wie im Knast«, stöhnte Franka. »Von hier oben sieht die Unterstadt verlockender aus, wie sie so schön in der Abendsonne glänzt.«

Was sollte Rolle da sagen? Wortlos zwängte er sich mit dem Auto, das für diese Straßen viel zu breit war, abwärts und fand sogar auf dem Parkplatz nach mehrmaligem Abbiegen eine freie Stelle.

»Es sieht nach Regen aus«, sagte er mit prüfendem Blick zum Himmel.

»Musst du schon wieder unken, lass uns hier einkehren«, murrte seine »reizende Gattin«.

Mit den bloßen Oberschenkeln an der Restaurant-Kunstleder-Bank klebend verzweifelten sie fast an den französischen Begriffen auf der Speisekarte in der Grillstube »Vieux Pont«. Was der Ober bald an den Tisch gebracht hatte, sah sehr gut aus und schmeckte ausgezeichnet. Sie waren angenehm überrascht und Franka stolz auf ihre Sprachkenntnisse. Vielleicht war es auch Zufall, wer weiß.

Welches Menü sie hatten, haben die kommenden Ereignisse in den Erinnerungen gelöscht. Draußen ging schlagartig ein Gewitter los, Blitz, Donner und wolkenbruchartiger Regen im gleichen Moment. Sie beeilten sich mit dem Essen und dem Bezahlen, denn aus den besorgten Gesichtern der Einheimischen schlossen sie, dass so ein Unwetter hier nicht zum Standard gehörte.

Aber auch das, was danach passierte, gab es hier offensichtlich nicht alle Tage:

Ein älterer, wohlstandsbeleibter aber muskulöser Herr mit nichts als einem schwarzen Slip bekleidet, rannte über den Parkplatz. Der Herr war Rolle. Er hatte beim Verlassen des Lokals vor dem Ausgang blitzartig seine Kleidung ausgezogen, seiner Frau über die Arme gelegt, und war mit dem Autoschlüssel in der Hand fortgewetzt. Franka drückte sich unter einem Baldachin an die Hauswand, hielt die Männer-Garderobe vor den Bauch und beobachtete, wie ihre Schuhspitzen allmählich durchnässten. Ihr Mann kam mit dem Auto ganz nah vorgefahren, stieg aus – triefender Männerkörper unterm aufgespannten Regenschirm – Franka stieg ein, das Auto raste davon. Beim Zurückschauen erkannte Franka den Ober mit weit aufgerissenen Augen und platt gedrückter Nase hinter der gläsernen Eingangstür. Wenn das ein BILD-Fotograf eingefangen hätte, wären sie berühmt geworden …


Der Regen hatte aufgehört, als die Beiden im Hotel ankamen. Voller Vorfreude, sich im Zimmer trocknen und entspannen zu können, erschrak Franka über den klatschnassen Teppich. Rolles Befürchtungen, dass sie das schräge Dachfenster offen gelassen hatten, waren rüde bestätigt. So viel zum Thema Unken! Franka versuchte kleinlaut mit Badetüchern die Nässe aufzusaugen. Aus der Tagesdecke faltete sie einen Laufsteg zum Bad, damit sie nicht noch auf den glatten Fußbodenfliesen ausrutschten.

Der Rest war Schweigen.

Königlicher Stinker

24. Mai, Frühstück im Zimmer, 10:00 Uhr Abschied vom Hotel Deltour.

Auf der mautfreien A 75 verließ der Toyota an der letzten Ausfahrt vor dem berühmten Viadukt, das die Lederstadt Millau überspannt, die Autobahn. Im Departement Aveyron macht seit dem Jahr 2004 mit 2,4 Kilometern Länge und 270 Metern Höhe eine beachtliche Konstruktion von sich reden. Franka und Rolle verließen die Route nicht nur, weil sie die 6,50 € Gebühr sparen wollten. Das Ausmaß der höchsten und längsten Schrägseilbrücke der Welt, konstruiert von Sir Norman Foster, wollten sie von unten in ihrem vollkommenen Ausmaß erfassen. Sie suchten die beste Position, die das beste Fotomotiv der langgestreckten Tal-Brücke ermöglichte und gratulierten sich zu dieser Reise-Unterbrechung.

Franka nahm ihre Aufgabe als Kopilotin sehr ernst und war ständig bestrebt, während der Fahrt interessante Abstecher zu finden. Gerade hatte sie während der Weiterfahrt nach Süden auf der Landkarte den Ort Roquefort entdeckt, nur 20 Kilometer entfernt. Feinschmecker und Liebhaber des aromatischen Edelpilzkäses gleichen Namens mussten natürlich dorthin. An der Landstraße wies ein Schild auf eine mögliche Besichtigung der unterirdischen Grotten, in denen die zart schmelzende Köstlichkeit reift.

Im Ort war es heiß, voller Menschen und Autos. Durch enge Straßen schoben sich riesige Transporter der Sociétés de Caves, der Kellergenossenschaft, mit appetitlich aussehenden Käserädern an den Seitenwänden. In der Region Midi-Pyrénées im Süden Frankreichs stößt man auf ein einzigartiges und außergewöhnliches Gebiet. Venez vivre la Légende! (Kommen Sie, um die Legende zu leben!) Dieser Versuchung stellten sie sich gern.

»Es (das Gebiet) entstand aus einer Reihe klimatischer Veränderungen, die sich vor mehreren Millionen Jahren ereigneten und zum Einsturz der Combalou-Berge führten, wodurch sich Felsengewölbe bildeten. In diesen natürlichen Grotten, die sich in mehreren übereinander liegenden Geschossen 300 Meter tief und über 2 Kilometer weit ausbildeten, befinden sich die berühmten Roquefort-Veredelungskeller. Die Höhlen bieten ein feuchtes, frisches und rund ums Jahr gleich bleibendes Mikroklima, das nirgends anderswo zu finden ist.«

Franka hatte ein Rezeptheft der Confédération Générale in Millau Cedex entdeckt, aus dem sie ihrem Mann vorlas. Weiter stand darin:

»Mindestens drei Monate sind für die Herstellung dieses besonderen Käses nötig. Alles beginnt mit dem Einsammeln der Milch der Lacaune-Schafe in ihrem traditionellen Weidegebiet, das Teile der Regionen Midi-Pyrenäen und Languedoc-Roussillon umfasst. Die Lacaune-Schafe gehören zu den besten Milchschafrassen der Welt. Sie sind ideal an das in dieser Gegend herrschende Klima angepasst und produzieren eine Milch von unvergleichlichem Duft, die als rohe Vollmilch verarbeitet wird. Man lässt die Milch in der Käserei gerinnen und gibt dann Sporen des Edelpilzes Penicillium roqueforti hinzu, die dem Käse seine blauen Adern verleihen.«

Der Fels ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse und der Edelpilz vermehrt sich darin bestens, und zwar auf Brotteig. Auch wenn man das alles nicht weiß, schmeckt einem der Käse wunderbar. Hier in dieser Umgebung sogar noch besser als Zuhause.

Beim Ticketerwerb fragte ein charmantes junges Mädchen in adrettem dunkelblauem Dienstkostüm mit neckischem Halstuch die Ankömmlinge nach dem Herkunftsland. Daraufhin erhielten sie ein hellgrünes Papier mit dem Inhalt der Vorträge in deutscher Sprache. Das half ihnen sehr. Die vielen Zahlen und Daten fesselten nicht so, aber wenn sie die Erläuterung der Tonbildschau nicht verstanden hätten, wäre ihnen etwas Interessantes entgangen, nämlich die Legende von der Entstehung des königlichen Stinkers. Die wurde in Form von Zeichnungen, an die Mauern des Kellergewölbes projiziert und mit Musik untermalt, phantastisch präsentiert. Die Geschichte soll sich wie folgt zugetragen haben:

Ein Hirte aß sein Brot mit Schafskäse, (womit denn sonst?) in einer kühlen Grotte.

Halb hier halb da ließ er sich von einem reizenden Mädchen betören und vergaß darüber seine Mahlzeit. Es geschah, dass er nach zwei bis drei Wochen wieder an diesen Platz gekommen war und sich an sein Käsebrot erinnerte. Wie wunderte er sich, dass es noch dalag und zudem mit grau-grün-blauem Schimmel überzogen war. Seine Neugier und sein Appetit waren so stark, dass er sogleich in das Brot biss, um forschend zu kosten. Groß war sein Erstaunen darüber, dass es ihm besonders gut schmeckte.


Könnte man aus dieser Überlieferung den Beweis herleiten, dass Frauen imstande sind, nicht nur Liebreiz zu verströmen, sondern auch lustvolle Genüsse hervorzurufen, bei denen man sogar Gestank ignorieren kann?

Nach einstündiger Führung in französischer Sprache hatten sich die Beiden aus dem Sachsenland akklimatisiert, waren über die Roquefort-Produktion informiert, haben verkostet und im riesengroßen Verkaufsraum »zugeschlagen«.

Roquefort ist in Frankreich Philosophie, man schreibt ihm aphrodisische Wirkung zu und behandelt ihn wie ein Nationalheiligtum. Glaubt etwa jemand, dass ausgerechnet deshalb in dieser Region das Zentrum des Widerstandes gegen die faschistische Belagerung erwachsen ist?

Das Mittagessen im Ort fiel allerdings nicht so geschichtsträchtig aus. Rolle hatte eine große dicke Scheibe rohen Schinken. Das war schmackhaft, aber er hätte lieber etwas Warmes gehabt. Seine Partnerin hatte ihn schlecht beraten, weil sie glaubte, jambon sei warmer gekochter Schinken, vergleichbar mit dem saftigen Prager Fleisch in Brotteig gebacken. Aber erst ihr eigenes Essen. Sie hatte »tripaux« bestellt und bekam zwei mit Bindfaden verschnürte Säckchen, die aus Rindermagenwand bestanden, gefüllt mit Spinat und Schinkenwürfeln. Das Gericht war zwar weicher als Rolles, aber es schmeckte ihr »ziemlich schräg«.

Riesige Flächen mit gelb blühendem Ginster, weißen Akazienblüten und rotem Mohn entschädigten sie auf der Weiterfahrt für die unerfüllten Gaumenfreuden.

»Die viel gerühmte französische Küche haben wir wohl nicht erwischt«, sagte sie enttäuscht. »Vielleicht ist man hier nur für guten Käse zuständig«, versuchte Rolle zu trösten.

In Agde, der von griechischen Händlern im 6. Jahrhundert v. Chr. gegründeten ältesten Stadt des Languedoc, entdeckten sie bis zu drei Meter dicke Mauern der im 12. Jahrhundert erbauten Kathedrale, Häuser aus schwarzem Vulkangestein, und im Stadtteil Tamarissière gab es endlich ein Quartier, in dem Franka den Spargel kochen konnte. Sie war gespannt, in welchem Zustand die weißen Stangen inzwischen waren.

Die nette Madame Crisias bot ein Appartement in ihrer »Résidence Le Clot« für 40 € inklusive Frühstück. Der Spargel von Freiburg hatte sich in der Kühltasche erstaunlich gut gehalten, glücklich schälte ihn Franka auf der Terrasse unter exotischen Bäumen. Mit den deutschen Kartoffeln und der holländischen Soße ergab er eine köstliche Mahlzeit. Essen wie Gott in Frankreich mit Zutaten aus mehreren Ländern Europas. Die Reisenden speisten unter sogenannten Myrrhen-Platanen, deren Baumkronen ein schattenspendendes Flachdach bildeten. Sie wollten wissen, wie man die Bäume so raffiniert zurechtschneiden kann.

»Gut für Bauch«, erklärte Madame Crisias und zeigte stolz auf die Blätterpracht.

Lag es an den erbärmlichen Sprachkenntnissen? Bäume wollten sie zu der Zeit wirklich nicht essen und ihren Bäuchen ging es gerade sehr gut.

Der Tag war noch nicht so fortgeschritten wie sonst. Sie gönnten sich einen gemütlichen Abendspaziergang und sahen zum ersten Mal auf dieser Reise das Mittelmeer. Auf dem Rückweg hatten sie Lust, im Restaurant den Blick auf die von der Abendsonne vergoldeten Häuser über der Flussmündung des Hérault und dazu einen Rotwein zu genießen. Sie wählten einen der vielen eingedeckten Tische aus, bestellten Wein und eine Karaffe Wasser und freuten sich ihres Lebens. Plötzlich kam die Kellnerin genervt angestürmt und verlangte ihre Bestellung für das Essen. Höflich lehnten sie ab. Da war die Frau völlig außer sich. Im Restaurant müsse man etwas essen, zum Trinken gäbe es eine Bar.

Sie waren arglos in einen französischen Fettnapf getappt und hatten plötzlich keine Freude mehr an dem Wein und dem Anblick, zumal die erboste Kellnerin ihnen bei jedem Vorübergehen einen demoralisierenden Blick zuwarf. Rolle schaute zwar genüsslich auf die Muscheln des Gastes am Nachbartisch, aber leider war er satt. Sie hatten nur noch im Sinn, schnell zu entkommen und die Peinlichkeit zu vergessen.

Bis zum West-Zipfel von Südfrankreich

25. Mai, 9:45 Uhr, Start in Richtung Beziers – aber nicht ohne vorher beim Bäcker ein knuspriges Baguette erworben zu haben. Der verlockende Duft des frischen Brotes triumphierte über alle Gerüche im Fahrzeug. In der Stadt Beziers kamen sie auf der 600 Meter langen Pracht-Straße nur im Schleichtempo vorwärts und konnten deshalb gut das Marktgewimmel beobachten, das sich unter ausladenden Platanenkronen ausbreitete. Die Statue, die Pierre Paul de Riquet darstellt, den hier geborenen Schöpfer des »Canal du Midi«, war zwar im Reiseführer genannt, aber zwischen den Buden nicht zu entdecken. Aufgeregte Hühner drängelten sich in hochbeinigen Metallkörben, den Sachsen als Wühltische bekannt. Die Tiere wollten vermutlich nicht gekauft und geschlachtet werden. Viel lieber würden sie auf einem Bauernhof Körner picken und Eier legen, so glaubten voll Mitgefühl die fremden Beobachter.

Rolle schaute nach vorn und Franka in den Regionalführer des ADAC-Reiseklubs.

»Stell dir vor, hier an diesem Ort soll eines der schlimmsten Blutbäder der französischen Geschichte stattgefunden haben. Nach der Devise: ›Tötet sie, der Herr kennt die Seinen!‹ ließ der Kreuzfahrer Simon de Montfort im Juli 1209 alle 15.000 Einwohner niedermetzeln, weil sie sich weigerten, ihre 225 katharischen Mitbürger auszuliefern.«

»Ich sehe keine Spuren von Grauen, es wirkt friedlich und schön hier«, wunderte sich Rolle.

»Dank Wein- und Olivenhandel ist die Stadt wieder neu erblüht, steht hier. Heute wird lediglich das Federvieh ›gemetzelt‹, wie wir sehen mussten, um als Coq au Vin oder Bouillon uns zu ernähren.«

»Allein für diesen Zweck werden sie ja gemästet«, erwiderte Rolle.

Cèst la vie! So ist das Leben!

Oleanderbüsche wuchsen hier so üppig, dass sie, zur Hecke gestutzt, eine meterlange Blütenwand bildeten. Zuhause in Sachsen goss und düngte das Ehepaar die Pflanzen im Topf, und würde am liebsten jede Blüte besprechen. Hier fand sich Schönheit in Fülle, unbändige Naturkraft und Farbenreichtum.

Eine Tafel am Straßenrand machte auf ein Reservat beim Ort Sigean aufmerksam. Innerhalb eines naturbelassenen Terrains von 300 Hektar lebten in eingeschränkter Freiheit 3800 Tiere, die normalerweise in Afrika beheimatet sind. Am Eingang erfuhren die Reisenden, dass man mit dem geschlossenen Auto im Schritttempo hindurchtuckern kann. Das sollte mindestens drei Stunden in Anspruch nehmen. Die Versuchung war groß. Aber als sie den Preis entdeckt hatten, 27 € pro Person, fiel die Entscheidung zur Weiterfahrt relativ leicht.

»Wenn der Copilot ein diplomierter DDR-Ökonom ist, kann man sich als Chauffeur nicht jeden Wunsch spontan erfüllen.« Rolle hätte gern die Mini-Safari gemacht, aber der Preis hatte auch ihn abgeschreckt.

»Man muss schließlich mitrechnen«, instruierte weiter sein Weib mit derartiger Forschheit, die keinen Gedanken an Widerspruch zuließ. Rolle hatte seine Erfahrungen und entschied sich für harmonische Weiterfahrt. Vielleicht wollte sie ihn einfach nur trösten. So genau wusste er das manchmal nicht.

Erneut Wein-Domänen rechts und links der Fahrbahn und Hinweistafeln mit den Namen der Eigentümer und der hier gedeihenden Rebsorten. An einer Holzbretter-Bude am Straßenrand deckten sich die Selbstversorger ein: Paprikaschoten, Aprikosen und Bananen, ein Schlauch mit drei Litern Wein. Du weißt, einen guten Tropfen muss man in Frankreich immer im Auto haben …

So dachten die Zwei jedenfalls. Keine schlechte Idee, die sie später übrigens auf allen Auslandsfahrten in die Tat umsetzten.

Außerhalb des Ortes Perpignan kamen Franka und Rolle nicht vorbei an dem Restaurant »Sanxo Panxa«. Der Rundbau mit dem leuchtend-roten Ziegeldach hatte mächtig gereizt. Sie ahnten wohl, dass sie drinnen wie lang erwartete Familienmitglieder empfangen wurden? Diensteifrig wurde von einem drahtigen, das Alter schwer zu schätzenden Ober, in deutscher Sprache ein Tisch angeboten und eine deutsche Speisekarte gereicht. Schon wieder im Weggehen rief er: »Ich komme gleich.«

Hat jemand gesagt, die Franzosen können die Deutschen nicht leiden? Das Ehepaar wollte das nicht bestätigen. Die Gaststätte lebte durch viele Gäste in heiterer Plauderei. Franka und Rolle fühlten sich sofort zugehörig. Sie bestellten das Plat du Jour (Tagesgericht). Ein Viertel Liter Wein pro Person, eine große Flasche Wasser, Salat Catalane, Fischfilet auf Spinat mit einer halben Kartoffel, dazu gegrillte Tomate und Auberginenscheibe, sie waren begeistert.

»Alles super lecker«, freute sich Franka.

»Fängst du auch schon mit dem komischen Westdeutsch an?«

Rolle konnte Frankas gute Laune nicht trüben. Sie benahmen sich wie echte Franzosen, genossen den obligatorischen Café Petit, den kleinen Espresso, der ihnen ganz schnell zur Gewohnheit geworden war. Draußen veränderten Regen und Sonnenschein in kurzen Abständen die Stimmung.

»Wenn wa uns ne verfranzt hätten bei dem Wein- und Gemüsestand, hätt’n wa dis schöne Restaurant garne gefund’n.« Es war Rolles Art, mit solchen überwältigenden Feststellungen einen Schlusspunkt zu setzen. Diesmal galt sie glücklich und zufrieden dem lukullischen Mittagsmahl. Au revoir, a bientôt, auf Wiedersehen, bis bald.

Vorn lockten die »albernen« Berge (Monts Albères), draußen waren 22 Grad Celsius, Franka und Rolle fuhren durch das größte Weinanbaugebiet Frankreichs.

Hier versetzten sie nicht nur die besonders ausgedehnten Weinfelder in Erstaunen, sondern auch baumhohe Oleanderbüsche in wechselnden Farben. Die Pflanzen waren hier nicht gestutzt und schaukelten mit blütenprallen Armen im Wind. Kleinwüchsige Eichen und fremdartiger Ginster winkten den Vorbeifahrenden zu.

Ob der Ginster auch bei uns im Garten gedeiht? Franka wollte am liebsten von allen unbekannten Gewächsen einen Ableger ausgraben und als lebendige Erinnerung mitnehmen.

Die Luft schien besonders klar und mild, die Farben so rein, der Himmel so blau, die Wolken so kuschelig.

»Jetzt kann ich nachfühlen, dass es die impressionistischen Maler hierher gezogen hat.«

»Und was hat dich hergezogen, mein Schatz?«

»Das weißt du genau!«

Es waren Walter Benjamin und das von Dani Karavan zum Denkmal gestaltete Gelände, das der Bildband zeigt. Vor drei Jahren schrieb Franka, fasziniert von diesem Buch, einen Brief für eine Anthologie, in dem sie einer fiktiven Freundin von dem denkwürdigen Ort erzählte und sie aufforderte, nach Portbou zu fahren. Man muss dortgewesen sein, behauptete Franka und kannte die Gegend selbst nicht. Es reizte sie immer mehr, die Bilder in ihrem Kopf mit der Wirklichkeit zu vergleichen. Eine Distanz von über 1500 Kilometern war zu überwinden, bis an die Grenze zu Spanien am Fuße der Pyrenäen. Bloß mal so am Wochenende ging das nicht. Das für sie bisher unerlaubte »nichtsozialistische Ausland« kennen zu lernen, stand schon seit Jahren auf Frankas Wunschliste. Als sie noch Schülerin war, hatte sie während des Französisch-Unterrichts bereits große Sehnsucht nach dem Land empfunden. Das war damals ein unerfüllbarer Teenager-Traum. Nun, wo die Rätsel um den Tod des jüdischen Philosophen die Neugier noch anheizten, konnte sie ihn verwirklichen.

In Banyuls-sur-Mer, der letzten französischen Bahnstation vor der spanisch-französischen Grenze, haben die zwei Suchenden kein geeignetes Quartier gefunden. Sie sahen wunderbare Hotels, aber für ihren Kostenplan zu luxuriös. Im Touristenbüro konnten sie Privat-Adressen erfahren. Auf dem Weg zu der gewählten Wohnung quälten sie sich eine enge Stiege hinauf bis in den dritten Stock. Der Reiz der schönen Unterkunft mit Badewanne und einladender Terrasse über den Dächern der Stadt, auf der sie sich in Gedanken schon sitzen und Rotwein trinken sahen, erwies sich am Ende doch schwächer als Rolles Sorgen um das entfernt abgestellte Fahrzeug und um die lädierten Knie ob der schmalen Wendeltreppe.

Ein Zimmer mit märchenhaftem Meerblick aus göttlicher Höhe in einem feinen Hotel auf dem Berg war ihnen mit 71 € zu teuer. Es reizte Frankas Sinne; aber auch den Darm und blieb als komfortable Toiletten-Sitzung in Erinnerung und »sonst nüscht«.

Es zog sie weiter bis nach Cerbrère, das war nun wirklich der letzte französische Ort vor ihrem spanischen Ziel. In Frankreich wollten sie schon noch übernachten, weil Frankas Gehirn seit Tagen mit Mühe auf Französisch programmiert war und keinen spanischen Speicher enthielt.

Die Angewohnheit, in einer fremden Stadt die Tourist-Information zu suchen, um dort Auskunft über Unterkünfte zu erhalten, erwies sich als hilfreich. Es war ein Leichtes, die Adresse ins Navigationsgerät einzutippen und sich dirigieren zu lassen.

An der Durchfahrtsstraße zur Grenze am steinigen Strand in einer Bucht fanden sie das Hotel »La Dorade«, in dem sie nun endlich zur Ruhe kommen wollten.

Franka beabsichtigte, frisch und aufnahmefähig bei Walter Benjamin zu erscheinen und warf sich im geräumigen Zimmer quer in eins der zwei französischen Betten. Der herrliche Anblick aufs Meer interessierte sie wenig. Die müde Frau aalte sich auf dem Riesenlager und genoss es, so viel Platz für sich alleine zu haben. Keine zwei Minuten konnte sie das auskosten, da kam Rolle von der Rezeption und rief: »Es sind nur acht Kilometer bis Portbou.«

»Kaum habe ich mich entspannt, drängelst du!«

»Ich habe gar nicht gedrängelt«, protestierte Rolle völlig unnötigerweise. Diesmal hatte Franka keine Lust, ihn wegen der Sinnlosigkeit dieses Einwandes zu verspotten, es ging um Wichtigeres. Sie straffte sich; schließlich befand sie sich ganz nah vor dem Ziel, das sie seit Jahren im Kopf hatte. Zehn Minuten schlängelnde Autofahrt über die Berge, rauf und runter. Auf dem höchsten Punkt der Achterbahn, wahrhaftig nach nur wenigen Kilometern, sahen sie mit Graffiti verschmierte baufällige Betonhütten, von Unkraut umwuchert.

»Keine Polizei und nüscht.«

Rolle konnte nicht genug staunen. Das musste er fotografieren.

Wer nicht in der DDR gelebt hat, kann sich die Verwirrung über derartige Landesgrenzen, die keine mehr sind, nicht vorstellen. Es ging weiter aufwärts. Am höchsten Punkt stiegen die Beiden aus dem Auto und standen vor einem kleinen kompakten Feldsteinhaus am rechten Straßenrand.

»Vielleicht ist das die alte Kontroll-Station, an der Walter Benjamin gescheitert sein soll. Es hieß, dass der Grenzübergang offen war. Und doch ist er nicht weitergekommen.«

399
477,84 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
Объем:
331 стр. 19 иллюстраций
ISBN:
9783960083405
Издатель:
Правообладатель:
Автор
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