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Читать книгу: «Elbkiller: 7 Hamburg Krimis», страница 12

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„Habt ihr etwas gefunden?“

Ritter trug noch seine Handschuhe. Zwischen zwei Fingern hielt er einen kleinen Fetzen Plastikfolie hoch.

„Das war unter einer Bodenleiste eingeklemmt. Der Täter hat offenbar mit einer Folie den größten Teil des Raumes abgedeckt. Beim Zusammenlegen ist ihm dabei dieses winzige Teil entgangen. Es führt uns jedoch nicht weiter, denn es handelt sich um eine handelsübliche Folie, wie sie beispielsweise von Malern bei ihrer Arbeit benutzt wird.“

„Also gibt es keine Spuren auf dem Boden“, folgerte Brock.

„Nein. Doch wir haben ein paar andere Dinge gefunden.“

Er wies auf die Beutel, die auf dem Bett lagen.

„Eine Wodkaflasche, halb geleert, lag unter dem Bett. Auf dem Nachttisch befand sich eine russische Zeitung aus Moskau. Wir haben sie so eingepackt, wie sie dort lag, falls Sie wissen wollen, was der Attentäter gelesen hat. Ich kann es Ihnen nicht sagen – von meinen Leuten spricht keiner Russisch. Schließlich fanden wir noch eine zerdrückte und leere Packung einer russischen Zigarettenmarke.“

„Eine Papyrossi?“

Ritter lächelte. „Nein, eine Standardpackung, wie es sie auch bei uns gibt. Soweit ich weiß, ist es eine billige Marke. Die Cellophan-Umhüllung fehlt.“

„Und das Gewehr?“

Sie blickten beide auf die Waffe, während die Leute der Spurensicherung ihre Sachen zusammenpackten.

Ritter trat einen Schritt auf den Schreibtisch zu, auf dem das Gewehr auf seinem Stativ ruhte.

„Der Attentäter hat den Schreibtisch vor das Fenster geschoben. Sie sehen, dass die Vorhänge noch halb zugezogen sind. Er hat das Fenster vermutlich nur kurz für den Schuss geöffnet und dann gleich wieder geschlossen. Der Schalldämpfer hat den Schuss so weit gedämpft, dass er auf der Straße schon nicht mehr zu hören war oder in dem allgemeinen Lärm unterging.“

Ritter machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr. „Sie haben ja schon bemerkt, dass ein ganz sicher vorhandenes Zielfernrohr entfernt wurde. Das Magazin fehlt ebenfalls, und auch die Patronenhülse hat der Täter mitgenommen. Aus dem Geschossrest lässt sich kaum feststellen, wer die Patrone gefertigt hat. Das Scharfschützengewehr, das Ihr Assistent ganz richtig als ein Dragunow-Modell erkannt hat, wurde in großer Stückzahl über einen langen Zeitraum hergestellt. Wir werden versuchen, Genaueres zu recherchieren, doch ich mache Ihnen nicht viel Hoffnung, da viele dieser Waffen über den Schwarzmarkt verkauft wurden.“

„Das sieht alles nach einem russischen Täter aus“, sagte Brock nachdenklich.

„Sie meinen, der Schütze hatte den Auftrag, den russischen Künstler zu erschießen, einen Gegner der Regierung, der viel Aufmerksamkeit auf sich zog? Leider hat er ihn dann verfehlt und unseren Senator getroffen?“

„Möglich ist alles“, kommentierte Brock leise.

4. Kapitel

„Kann ich mit ihm reden?“, fragte Cornelius Brock.

Der Arzt studierte das Krankenblatt in seiner Hand.

„Körperlich geht es ihm gut, doch er hat den Schock nicht überwunden, dass man auf ihn geschossen hat. Das hat ihn völlig aus der Bahn geworfen. Versuchen Sie Ihr Glück. Bisher habe ich noch nichts Vernünftiges aus ihm herausbekommen.“

Der bewaffnete Polizist vor der Tür hatte Brocks Ausweis bereits geprüft und ließ ihn vorbei. Dabei legte er grüßend die Hand an die Mütze.

Andrej Sokolow war in einem Einzelzimmer im UKE untergebracht. Da man nicht wusste, ob ein weiterer Anschlag auf sein Leben geplant war, wurde er vorsichtshalber bewacht.

Brock zog einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett. Den Unterlagen hatte er entnommen, dass der Russe sechsundzwanzig Jahre alt war, aus Moskau stammte und seit über fünf Jahren in Berlin lebte. In der Kunstszene galt er als Wunderkind. Er hatte noch in Moskau sein Abitur gemacht und dann in Berlin eine Kunsthochschule besucht. Dort war er nach kurzer Zeit durch seine Begabung aufgefallen. Es hatte nicht lange bis zu seiner ersten Ausstellung in einer Berliner Galerie gedauert. Er produzierte Fotos, Installationen und Gemälde. Die einschlägige Presse feierte ihn, und Sammler kauften inzwischen fleißig seine Werke.

Der Großteil seiner künstlerischen Arbeit befasste sich mit der russischen Geschichte, insbesondere der neueren. Seine Kritiker lobten das Niveau seiner Werke, in denen er immer wieder Parallelen des heutigen Russlands zur Autokratie der Zarenherrschaft zog.

Das hat ihm in der jetzigen Regierung sicher keine Freunde gemacht, dachte Brock . Doch reichte das für einen Mordanschlag?

Er wusste, dass der Kreml mit seinen Kritikern nicht gerade zimperlich umging - doch Mord durch einen Profikiller an einem relativ jungen Künstler von eher regionaler Bedeutung?

„Wer sind Sie?“, ertönte eine leise Stimmer mit einem starken russischen Akzent.

Sokolow hatte die Augen aufgeschlagen und sah ihn ängstlich an.

„Keine Sorge, ich bin von der Polizei. Ihnen wird nichts geschehen. Wir sorgen für Ihre Sicherheit.“

„Das hat gestern aber nicht sehr gut geklappt.“

Sokolow sprach sehr leise, und Brock musste sich näher zu ihm hinunterbeugen. „Gestern hat auch niemand mit einem solchen Anschlag gerechnet. Haben Sie schon mal Drohungen bekommen? Gab es irgendwelche ungewöhnlichen Vorkommnisse? Fühlten Sie sich beobachtet?“

Sokolow schüttelte langsam den Kopf. „Ich bin doch nur ein Künstler. Wer sollte mir etwas antun wollen?“

„Haben Sie Kontakte zur russischen Botschaft in Berlin?“

„Ich war vor Jahren wegen einer Passangelegenheit dort, aber ich kenne keinen der dort Beschäftigten persönlich.“

Er lächelte schwach. „In meinem Freundeskreis sind zwar viele Russen, doch die arbeiten nicht für die Regierung.“

Bevor Cornelius Brock seine nächste Frage stellen wollte, flog die Tür auf, und er zuckte erschrocken herum.

Anna Eggert! Hinter ihr der Polizist, der sie am Arm festhielt. Auf ihrem hoch getürmten Haar saß ein extravaganter Hut. Gekleidet war sie in ein pinkfarbenes Kostüm, und am Handgelenk hing eine winzige Handtasche von Chanel.

„Lassen Sie los!“, sagte Brock. „Ich kenne die Dame.“

Die Tür schloss sich, und Anna Eggert ließ ihren Blick durch das Krankenzimmer kreisen. Ein schmerzlicher Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, als sie den jungen Künstler betrachtete.

„Mein armer Junge!“

Sein Schicksal schien ihr näher zu gehen als der Tod ihres Mannes, dachte Brock.

Sie schwebte heran und beachtete den Kriminalbeamten überhaupt nicht, als sie sich auf die Bettkante sinken ließ. Brock schob seinen Stuhl ein Stück zurück.

„Das ist eine polizeiliche Vernehmung“, sagte er. „Da können Sie nicht so einfach hereinplatzen.“

Sie funkelte ihn an. „Ich habe vorhin mit Ihrem Präsidenten telefoniert. Er hat gesagt, ich könne jederzeit mit meinem Künstler reden. Genau das tue ich in diesem Moment.“

Brock wusste, wann er nachgeben musste. Beim Tod eines Senators war von vornherein klar, dass die Ermittlungen nicht ohne politische Einmischungen vonstattengehen würden, und die Witwe des Senators besaß offensichtlich gute Verbindungen, die ihr eine gewisse Sonderrolle ermöglichten. Solange sie seine Ermittlungen nicht behinderte, störte es Brock nicht sonderlich.

„Anna!“, krächzte der Russe. „Schön, dass Sie gekommen sind. Mein Beileid zu Ihrem Verlust.“

Sie ging nicht weiter darauf ein. „Ich bin so froh, dass Ihnen nichts passiert ist. Wie geht es Ihnen? Wie lange müssen Sie hierbleiben? Was sagen die Ärzte? Ist es eine schlimme Verletzung?“

„Ich glaube, Herr Sokolow braucht etwas Ruhe“, mischte sich Brock ein.

Jetzt hatte er ihre volle Aufmerksamkeit. „Wissen Sie schon, wer auf meinen armen Andrej geschossen hat?“

„Sie erinnern sich, dass Ihr Mann tödlich getroffen wurde?“ Brocks Sarkasmus war nicht zu überhören.

Sie machte eine abwehrende Handbewegung. „Das war ein trauriger Zufall. Mein Mann war ein harmloser Politiker ohne großen Einfluss und ohne Visionen. Er kann nicht das Ziel eines Anschlages gewesen sein. Nein, dieser große Künstler war es. Sie haben versucht, ihn zu stoppen, bevor er weltberühmt wird.“

„Sie?“

„Der Kreml natürlich!“

„Das wissen Sie – woher?“

Sie sah ihn an, als hätte er ihr einen unsittlichen Antrag gemacht. „Das weiß doch der Dümmste, dass der Kreml seine Kritiker ausschaltet. Ich hoffe doch sehr, dass Ihre Kompetenz ausreicht, diese Fakten zu erkennen. Ihrem Präsidenten habe ich schon mitgeteilt, wer für das Attentat verantwortlich ist.“

Sie beachtete Brock nicht weiter und wandte sich ihrem russischen Künstler zu. „Mein lieber Andrej, du musst schnell gesund werden. Ich habe mit dem Direktor der Kunsthalle gesprochen Die Ausstellungseröffnung wurde zunächst verschoben, und wenn du soweit bist, wird die Ausstellung ein Riesenerfolg. Es werden viel mehr Medien anwesend sein, und der Kreml wird erst recht blamiert.“

Brock prüfte eine kurze Überlegung, die durch seinen Kopf schoss . Ein Mordanschlag aus PR-Gründen, um ein volles Haus und ein entsprechendes Medienecho zu bekommen? War der tote Senator nur ein Zufallsopfer und sollte nur der Künstler einen Streifschuss abbekommen?

Unwahrscheinlich, entschied Brock, auch wenn er Anna Eggert einen solchen Coup zugetraut hätte.

In diesem Moment drehte sie ihren Kopf zu ihm. „Sie sind ja immer noch hier. Sollten Sie nicht stattdessen ein paar Russen verhaften?“

*

Kommissaranwärter Horst Spengler sah sich die Aufzeichnung des Attentats bereits zum dritten Mal an. So sehr er sich auch bemühte, die Szene anders zu interpretieren, er kam zu keinen neuen Erkenntnissen.

Bevor er die DVD aus dem Computer nahm, kam ihm doch noch eine Idee. Er rief den Direktor der Kunsthalle an.

Es war wie fast immer bei solchen Gesprächen. Warteschleifen, Sekretärinnen, die den Anrufer abwimmeln wollten, Hinweise auf dringende Termine, Vertröstungen auf später – es dauerte, bis Spengler endlich seine Frage an der richtigen Adresse loswerden konnte.

„Sagen Sie, wer hat eigentlich veranlasst, dass die Eröffnung der Ausstellung auf der Freitreppe vor dem Eingang stattfand? Normalerweise wird das doch in den Ausstellungsräumen gemacht.“

Der Direktor schwieg ein paar Sekunden, ehe er antwortete. „Ich denke, das war eine gemeinsame Entscheidung, als wir mit Frau Eggert und dem Künstler das Projekt diskutierten.“

„Nur Sie drei?“

„Nein, es waren noch einer meiner Kuratoren und eine Dame für das Protokoll anwesend.“

„Aber wer genau hat den Vorschlag gemacht?“

Der Direktor klang jetzt etwas ärgerlicher. „Ich weiß nicht genau, wer als Erster vorschlug, den Beginn der Eröffnung auf die Treppe zu verlegen. Es schien jedoch sehr sinnvoll, da direkt gegenüber, auf der Fassade der Galerie der Gegenwart, diverse Banner gespannt waren, die bereits Teil der Ausstellung waren. Andrej Sokolow war begeistert, und ich wollte bei meiner Rede darauf ausführlich eingehen, da diese von dem Künstler gestalteten Banner entscheidende Hinweise auf das Thema der Ausstellung enthielten.“

„Vielen Dank. Mehr wollte ich nicht wissen.“

Spengler legte den Hörer zurück. Seine Idee führte offensichtlich nicht auf direktem Weg zum Täter. Jetzt war er froh, dass er damit nicht gleich seinen Chef konfrontiert hatte. Brock hätte bestimmt wieder eine spitze Bemerkung auf Lager gehabt.

Das Telefon klingelte.

Kommissar Ritter war am Apparat und kam gleich zur Sache.

„Wir haben als Erstes das Gewehr mit einer vergleichbaren Patrone getestet und mit dem Geschoss aus der Tür der Kunsthalle verglichen. Letzteres wurde definitiv aus dem Dragunow abgefeuert. Wir haben also das tödliche Geschoss sowie die Mordwaffe. Auch wenn uns das vorher klar war, vermuten und beweisen sind unterschiedliche Dinge. Fingerabdrücke haben wir jedoch leider nicht gefunden, weder auf der Waffe noch auf den anderen Beweisstücken. Der Täter hat auf jeden Fall Handschuhe getragen. Alle sonstigen Spuren hat er mit der ausgelegten Folie, die er mitgenommen hat, beseitigt.“

„Wird uns das Gewehr weiterhelfen?“, fragte Spengler hoffnungsvoll.

„Wir haben jetzt die Signatur der Waffe und werden die Datenbanken durchforsten.“

„Sie sollten unbedingt auch bei Europol in Den Haag nachfragen. Profikiller wie unser Täter arbeiten durchaus international.“

„Keine Sorge, das machen wir. Ich melde mich, wenn wir mehr herausgefunden haben.“

Spengler starrte nachdenklich auf das Telefon, nachdem Ritter aufgelegt hatte. Das würde eine harte Nuss werden.

*

Cornelius Brock stand vor der Wirtschaftsbehörde am Alten Steinweg und überlegte, ob zu dieser Stunde überhaupt noch jemand hier arbeitete. Es war schließlich schon später Nachmittag, und das an einem Freitag. Nun, es sollte sein letzter Besuch an diesem Tag sein, einen Versuch war es wert.

Er blickte auf seine Uhr. Die Zeit würde reichen. Er hatte sich am Abend mit seiner Exfrau verabredet. Sie verstanden sich nach ihrer Scheidung fast besser als vorher – lag vielleicht daran, dass sie sich nicht allzu häufig sahen. Jedenfalls freute er sich auf den Abend. Sie hatten sich immer viel zu erzählen, wenn sie sich in gewissen Abständen zu einem Glas Wein trafen. Lena war Lehrerin, und sie konnte wunderbare Geschichten aus dem Schulleben erzählen.

„Hast du wieder eine Freundin?“, hatte sie bei ihrem letzten Treffen gefragt. Das hatte er mit nein beantworten müssen.

„Nicht mal gelegentlich?“, hatte sie weitergebohrt.

„Doch“, hatte er einsilbig erklärt.

„Du solltest bald jemanden finden. Allein zu leben ist nicht erstrebenswert. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe inzwischen einen Partner gefunden, mit dem ich gut auskomme.“

Bei diesen Worten hatte er einen Stich im Inneren gespürt und lieber das Thema gewechselt.

Bevor er sich weiter in seinen Träumen verlor, betrat er das Gebäude und zeigte am Empfang seinen Ausweis vor. Damit hatte er die volle Aufmerksamkeit des Pförtners.

Es herrschte mehr Betrieb, als er erwartet hatte. Der Tod des Senators hatte seine Behörde offensichtlich aufgeschreckt, wie der Tod der Königin in einem Bienenstock. Ein neuer Chef würde wie immer viele Veränderungen mit sich bringen, zumindest an der Spitze der Behörde. Alle, die sich eine Beförderung versprachen, brachten sich in Stellung. Alte Seilschaften wurden aktiviert, neue Freunde gesucht und Intrigen gesponnen. Es war überall ähnlich.

„Ich würde gern mit jemandem aus dem Stab des Senators reden“, sagte Brock.

Der Pförtner studierte seinen Bildschirm und griff zum Telefon. „Frau Stöcker müsste noch oben sein – die persönliche Assistentin des Herrn Senators. Fahren Sie in die oberste Etage. Ich melde Sie an, und man wird Sie am Fahrstuhl abholen.“

Eine konservativ gekleidete Dame von etwa Mitte vierzig, vielleicht etwas älter, empfing ihn tatsächlich am Lift und reichte ihm die Hand. Ihre Brille hing an einer kleinen Kette um ihren Hals. Sie erkannte ihn wohl trotzdem.

„Sie müssen Kommissar Brock sein. Mein Name ist Stöcker. Ich bin … ich war die persönliche Assistentin von Senator Eggert.“

Sie wischte sich über die Augen. „Es ist so traurig! Der Senator wird mir fehlen. Er war ein so netter Mann!“

„Hat Ihnen der Pförtner meinen Namen gesagt?“

Sie nickte. „Er merkt sich immer die Namen, wenn man ihm einen Ausweis zeigt. Das ist sehr hilfreich. Folgen Sie mir bitte.“

Cornelius Brock folgte der Assistentin nur wenige Meter bis zu einer geöffneten Tür. Hier oben waren kaum Geräusche zu hören. Zwei junge Männer, beladen mit Aktenstapeln, huschten aus einer Tür und verschwanden hinter einer anderen.

Sie gingen durch ein leeres Sekretariat mit mehreren Schreibtischen in einen Raum, der offenbar das Büro von Frau Stöcker war.

„Nehmen Sie Platz“, sagte sie und deutete auf eine kleine Sitzgruppe am Fenster. Im Tageslicht bemerkte Brock ihre roten Augen. Sie schien wirklich um ihren Chef zu trauern. Sie setzte sich ebenfalls und zog mit einer automatischen Bewegung den Rock ihres Kostüms glatt. Sie saß kerzengerade auf ihrem Sessel und wartete darauf, dass er das Gespräch begann.

„Mein herzliches Beileid zu Ihrem Verlust. Wie lange haben Sie schon für Gerd Eggert gearbeitet?“

„Wir haben schon viele Jahre in der Finanzbehörde zusammengearbeitet. Als er in diese Behörde wechselte, zunächst als Staatsrat, nahm er mich mit. Nach der letzten Wahl wurde er dann zum Senator ernannt, und ich blieb natürlich bei ihm, als er mich fragte. Ich sagte zu, obwohl der neue Job mehr Arbeit und weniger Freizeit bedeuten würde. Da ich ledig bin, macht mir das nichts aus. Ich kann mir auch keine andere Tätigkeit vorstellen.“

In ihren Augen schimmerte es schon wieder feucht.

„Wann haben Sie den Senator zuletzt gesehen?“

„Das war gestern Nachmittag. Er ging deutlich früher als sonst, da er sich zu Hause noch umziehen wollte. Das muss so gegen fünfzehn Uhr gewesen sein. Ich weiß noch, dass ich ihm sagte, er solle den Abend genießen und sich etwas entspannen. Er hat mich sogar gefragt, ob ich mitkommen wolle, aber da er von seiner Frau begleitet wurde, habe ich davon Abstand genommen.“

Brock bemerkte, dass sie sich bei den letzten Worten leicht versteifte, und er beschloss, sofort einzuhaken.

„Kennen Sie seine Frau gut? Kommen Sie mit ihr aus?“

Jetzt zögerte Frau Stöcker deutlich – zu deutlich.

„Ich kenne Frau Eggert natürlich“, sagte sie langsam. „Aber richtig gut kenne ich sie eigentlich nicht. Der Senator und sie führen doch ein recht getrenntes Leben, wissen Sie. Er nimmt seine Arbeit sehr ernst, ist lange im Büro und wird zu vielen Veranstaltungen eingeladen. Frau Eggert hat ihren eigenen Freundeskreis und hat viel mit ihrer Stiftung zu tun.“

Sie merkte, dass sie von Eggert in der Gegenwart sprach und wechselte zur Vergangenheit. „Dem Senator waren gute Verbindungen zur Wirtschaft wichtig, er redete oft bei Empfängen, wenn man ihn darum bat. Er war ein sehr guter Redner. Er traf sich oft mit wichtigen Persönlichkeiten aus der Wirtschaft und hatte immer ein Ohr für deren Sorgen. Außerdem war er als Leiter der Behörde ein angenehmer Chef, immer fair und gerecht zu seinen Mitarbeitern. Er wurde von allen sehr geschätzt.“

Sie machte eine kurze Pause. „Nun ja, von fast allen.“

Auf diesen Punkt würde Brock noch zurückkommen, doch zunächst wollte er zum Thema Anna Eggert tiefer bohren, denn Frau Stöcker war nach der Erwähnung des Namens sofort wieder auf den Senator zu sprechen gekommen. Er ahnte aus seiner langen Erfahrung mit Vernehmungen, dass es hier einen wunden Punkt gab.

„Sind Sie häufiger von Herrn Eggert eingeladen worden?“

„Meinen Sie – privat?“ In ihrer Stimme lag eine gewisse Empörung.

„Nein, ich meine zu irgendwelchen Veranstaltungen, zu denen er gehen musste. Es wäre doch nicht verwunderlich, wenn er seine engste Mitarbeiterin um sich haben wollte.“

Sie blickte auf ihre wie zum Beten gefalteten Hände. „Gelegentlich nahm er mich mit, natürlich nur, wenn er allein war.“

„Sie meinen – ohne seine Frau?“

Frau Stöcker presste die Lippen zusammen und nickte.

„Und privat?“, fragte Brock und ließ sie nicht aus den Augen.

Eine Träne rann über ihre Wange. „Einige Male haben wir nach einer Veranstaltung in einer Bar noch ein Glas Wein getrunken.“

Rasch fügte sie hinzu: „Mehr war da nicht!“

Brock war sofort klar, worum es hier ging. Frau Stöcker war eindeutig in ihren Chef verliebt. Die Frage war, ob der Senator davon wusste. Und die zweite Frage war, ob Anna Eggert davon wusste.

„Nach allem, was ich bisher gehört habe, war Senator Eggert ein sehr angenehmer Mensch“, sagte Brock.

Seine Gesprächspartnerin nickte heftig. „Das war er. Seit seine Kinder aus dem Haus waren, hat sich seine Laune verschlechtert. Mit seinen Söhnen hat er sich immer gut verstanden, wissen Sie. Da sie nicht in Hamburg wohnen, hat er sie nicht mehr so oft sehen können.“

Sie machte eine kurze Pause. „Ich weiß nicht, ob Sie seine Frau schon kennengelernt haben …“

„Oh, ja, das habe ich.“

„Dann verstehen Sie vielleicht, was ich meine. Der Senator hat mir leidgetan. Sie war so stark mit ihrer Kunststiftung und ihren Künstlern beschäftigt, dass sie praktisch keine Zeit mehr für ihren Mann hatte. Ich weiß, dass sie sich häufig gestritten haben, vor allem, wenn es um ihre Interessen ging. Dem Senator fehlte nach seinem anstrengenden Tag die Kraft, sich durchzusetzen. Schließlich hatte sie das Geld in die Ehe gebracht. Sie wissen sicher, dass sie aus einem sehr reichen Haus stammt. Ihr Vater ist Inhaber einer Privatbank, die schon seit Generationen der Familie gehört. Irgendwann wird sie alles erben, und schon jetzt kann sie große Beträge für ihre Stiftung ausgeben.“

Beim Thema Geld wurde Cornelius Brock immer sehr hellhörig. Denn bei den meisten Mordfällen ging es genau darum!

Doch wenn es wirklich um Geld gegangen wäre, hätte eigentlich Anna Eggert den Tod finden müssen und nicht ihr Mann.

Nein, es musste andere Gründe geben – falls der tote Senator nicht doch einem Fehlschuss zum Opfer gefallen war. Die russische Spur ließ sich jedoch nicht ausschließen, bis sie Beweise fanden, die auf das Gegenteil hindeuteten. Noch waren die Ermittlungen ganz am Anfang. Es sah jedoch so aus, als käme ein Mordmotiv aus familiären Gründen nicht infrage.

„Sie sagten vorhin, dass Senator Eggert nicht von allen Mitarbeitern geschätzt wurde. Was meinten Sie damit?“

Die Frage war Frau Stöcker unangenehm.

„Das müssen Sie nicht für bare Münze nehmen. Es gibt Menschen, die anderen ihre Karriere missgönnen, weil sie glauben, dass sie selbst viel qualifizierter für die Aufgabe wären.“

„Und damit meinen Sie … wen?“

„Ich will über niemanden etwas Schlechtes sagen.“

Brock beugte sich vor. „Sie brauchen keine Sorgen zu haben. Das Gespräch ist vertraulich. Niemand wird erfahren, was Sie mir sagen. Sie sehen ja, dass nichts aufgenommen oder mitgeschrieben wird. Alles dient nur meiner persönlichen Hintergrundinformation. Ihre offizielle Aussage nehmen wir später auf.“

„Staatsrat Pedersen!“, stieß sie plötzlich hervor.

„Was ist mit ihm?“ Brock erinnerte sich, dass er den Namen schon in der Zeitung gelesen hatte. Die Staatsräte waren politische Beamte, die ihre Behörde oft besser kannten als der jeweilige Senator. Gelegentlich waren sie noch nicht mal in derselben Partei wie er.

„Er ist schon lange in der Wirtschaftsbehörde. Herr Eggert ist bereits der dritte Senator, der ihm vor die Nase gesetzt wurde. Ich denke, er hatte gehofft, dass er nach der letzten Wahl selbst den Posten bekäme. Ich habe den Eindruck, dass er schon einige Intrigen gegen ihn gesponnen hat. Mein Chef hat das allerdings nicht so ernst genommen.“

„Staatsrat Pedersen ist sicher ein Bürokrat der alten Schule“, vermutete Brock.

Sie schüttelte den Kopf. „Ganz und gar nicht. Er sieht viel jünger aus als er ist, treibt Sport, und er hat ein gutes Verhältnis zur Presse. Bei den Journalisten ist er beliebt, weil er ihnen oft mehr erzählt als er sollte, vor allem, wenn er dem Senator eins auswischen konnte.“

„Ich nehme an, er hat seine Karriere in der Wirtschaftsbehörde begonnen?“

„Nein, nein. Er kommt ursprünglich von der Polizei!“

Brock lehnte sich wieder zurück. „Hier bei uns in Hamburg?“

„Nein, das war eine Bundesbehörde. Zoll oder Grenzschutz, das weiß ich nicht genau, irgendwas mit einer Zahl. Ich kann aber nachsehen. Kopien der Personalakten der leitenden Mitarbeiter sind in meinem Schrank eingeschlossen. Der Senator wollte sie immer griffbereit haben, wenn er jemanden für eine bestimmte Aufgabe brauchte.“

„Das würde mich schon interessieren, wenn der Staatsrat ein Kollege von der Polizei war. Schauen Sie doch bitte nach, wenn es keine Mühe macht.“

Frau Stöcker erhob sich und ging zu einem Rollschrank, den sie umständlich aufschloss. Sie suchte kurz und kam mit einer dünnen Akte in der Hand zurück. Sie setzte sich und schlug die Akte auf, die sie kurz studierte.

Dann hob sie den Kopf. „GSG neun, richtig! Ich wusste doch, dass es mit einer Zahl zu tun hatte.“

„GSG neun, sagen Sie?“

„Genau, so steht es hier. Dort war Pedersen vier Jahre lang, bevor er zur Innenbehörde wechselte. Der Vorgänger von Senator Eggert hat ihn dann in unsere Behörde geholt.“

Cornelius Brock erhob sich. „Sie haben mir sehr geholfen, Frau Stöcker. Es kann sein, dass wir noch einmal auf das Thema zurückkommen müssen, wenn wie Ihre Aussage protokollieren.“

„Gern, Herr Brock!“

Der Hauptkommissar war wie elektrisiert, als er zum Fahrstuhl ging.

Die GSG 9 war eine Spezialeinheit des Bundes, deren Angehörige in zahlreichen Techniken der Gefahrenabwehr ausgebildet waren. Einige ihrer Einsätze waren geradezu legendär.

Ein interessanter Mann, dieser Staatsrat Pedersen. Und auch wenn seine Ausbildung viele Jahre zurücklag, war er ganz bestimmt immer noch ein hervorragender Schütze!

Ein guter Schütze mit einem möglichen Motiv.

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22 декабря 2023
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9783956178269
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