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Читать книгу: «La San Felice Band 7», страница 3

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Endlich konnte sie lesen.

»San Germano, am 19. December, Morgens.«

»Er ist in San Germano, oder vielmehr er war dort, als er diesen Brief schrieb,« sagte Luisa zu Michele.

»Lies, Schwesterchen,« antwortete dieser. »Es wird Dir wohlthun.«

Sie begann wieder – denn sie hatte sich unterbrochen, indem sie den Kopf zurückwarf und den Brief an ihr Herz drückte.

»San Germano, am 19. December, Morgens.

»Theure Luisa!

»Lassen Sie mich mit Ihnen eine große Freude theilen. So eben habe ich den einzigen Menschen wiedergesehen, welchen ich mit einer Liebe liebe, die der gleich ist, welche ich Ihnen geschworen, obschon sie dennoch von ganz anderer Art ist. Ich habe nämlich meinen Vater wiedergesehen.

»Was er ist und wo er ist, dies ist ein Geheimniß, welches ich selbst Ihnen gegenüber bewahren muß, welches ich Ihnen aber dennoch mittheilen würde, wenn ich bei Ihnen wäre. Ein Geheimniß vor Ihnen zu haben! In der That, ich lache selbst darüber. Hat man wohl Geheimnisse vor seiner zweiten Seele?

»Ich habe eine Nacht, von neun Uhr Abends bis sechs Uhr Morgens, bei meinem Vater zugebracht, den ich seit zehn Jahren nicht gesehen hatte. Die ganze Nacht hat er mir von dem Tode und von Gott gesprochen; die ganze Nacht habe ich ihm von meiner Liebe und von Ihnen erzählt.

»Er ist, was selten vorkommt, ein hochgebildeter Geist und ein zärtliches Herz. Er hat viel geliebt und viel gelitten, aber, beklagen Sie ihn, er glaubt nicht. Beten Sie für meinen Vater, Sie, der Engel des Sohnes, und Gott, der Ihnen nichts verweigern kann, wird ihm vielleicht den Glauben schenken.

»Ein anderes Weib als Sie, Luisa, würde sich schon gewundert haben, in diesen Zeilen nicht zwanzigmal die Worte zu finden: »Ich liebe Sie!« Aber dennoch haben Sie dieselben schon hundertmal gelesen, nicht wahr? Wenn ich mit Ihnen von meinem Vater spreche, von welchem ich mit Niemanden sprechen kann, wenn ich Ihnen meine Freude schildere, ihn wiedergesehen zu haben, nicht wahr, dann begreifen Sie wohl, daß dies nichts Anderes ist, als wenn ich mein Herz in Ihre Hände lege und vor Ihnen knieend zu Ihnen sage: »Ich liebe Sie, meine Luisa! Ich liebe Sie.«

»Ich bin also jetzt nur noch zwanzig Meilen von Ihnen entfernt, meine schöne Fee des Palmbaumes, und wenn Sie diesen Brief empfangen, werde ich Ihnen noch näher sein. Die Brigands belästigen uns, morden uns, verstümmeln uns, aber sie halten uns nicht auf. Wir sind aber auch nicht eine Armee, wir sind nicht Soldaten, die sich auf dem Marsche befinden, um in ein Königreich einzufallen und eine Hauptstadt zu erobern. Wir sind eine Idee, welche die Runde um die Welt macht. Doch, da spreche ich ja gar Politik!

»Ich wette, daß ich errathe, wo Sie meinen Brief lesen. Sie lesen ihn in unserm Zimmer, zu Häupten meines Bettes sitzend, in jenem Zimmer, wo wir uns wiedersehen werden und wo ich, indem ich Sie wiedersehe, die langen, fern von ihnen zugebrachten Tage vergessen werde.«

Luisa unterbrach sich. Thränen umflorten ihre Augen und Schluchzen erstickte ihre Stimme.

Michele eilte auf sie zu und kniete vor ihr nieder.

»Muth, Muth, Schwesterchen!«, sagte er zu ihr.

»Was Du thut, ist schön, und der gute Gott wird Dich dafür belohnen. Und wer weiß! Ihr seid beide jung. Vielleicht seht Ihr einander doch einmal wieder.«

Luisa schüttelte den Kopf.

»Nein, nein,« sagte sie mit einer Bewegung, welche ihren festgeschlossenen Augen Thränen auspreßte. »Nein, wir werden einander nie wiedersehen. Und es ist auch besser, wenn ich ihn nicht wiedersehe. Ich liebe ihn zu sehr, Michele, und erst seitdem ich beschlossen, ihn nicht wiederzusehen, weiß ich wie sehr ich ihn liebe.«

»Kurz, Du weißt,« sagte Michele, »daß in deiner Trauer etwas Gutes liegt, wenn Du ihn nicht wiedersieht. Nanno prophezeite eurer Liebe ein trauriges Ende.«

»O,« rief Luisa, »was würde ich mich an alle Prophezeiungen der Welt kehren, wenn ich lieben könnte, ohne mich eines Verbrechens schuldig zu machen!«

»Na, lies nur weiter. Dies wird besser sein,« sagte Michele.

»Nein, sagte Luisa, indem sie den zur Hälfte gelesenen Brief in ihren Busen steckte, »nein, wenn er allzu viel von dem Glück des Wiedersehens spräche, so ließe ich mich vielleicht dadurch bestimmen, von der Abreise zurückzutreten.

In diesem Augenblicke hörte sie die Stimme des Chevalier, welcher sie rief.

Sie eilte in den Corridor hinaus, dessen Thür Michele hinter ihr und hinter sich verschloß.

Die in den Salon führende Thür des Speisezimmers stand offen.

In dem Salon befand sich der Doctor Cirillo.

Eine lebhafte Röthe stieg in Luias Wangen empor. Auch der Doctor Cirillo war in ihr Geheimniß eingeweiht. Uebrigens war ihr nicht unbekannt, daß Salvato's Briefe ihr durch Vermittlung des liberalen Comités zugingen, dessen Mitglied Cirillo war.

»Theure Freundin,« sagte der Chevalier zu Luisa, hier ist unser guter Doctor, den wir seit langer Zeit nicht gesehen und der sich nach deiner Gesundheit erkundigen will. Ich hoffe, er wird damit zufrieden sein.«

Der Doctor begrüßte Luisa, bemerkte aber auf den ersten Blick die moralische Unruhe, von der sie erfüllt war.

»Sie befinden sich besser,« sagte er, »aber vollkommen wiederhergestellt sind Sie noch nicht und es ist mir lieb, daß ich heute gekommen bin.«

Der Doctor betonte das Wort heute. Luisa schlug die Augen nieder.

»Wohlan,« sagte San Felice, »ich muß Sie mit ihr allein lassen. In der That, Ihr Aerzte genießt Vorrechte, welche die Ehemänner selbst nicht besitzen. Zum Glück für Sie hab' ich etwas zu besorgen, sonst würde ich ganz gewiß nicht verfehlen, an der Thür zu lauschen.«

»Daran würden Sie sehr Unrecht thun, mein lieber Chevalier, entgegnete Cirillo, »denn wir haben einander Dinge von der höchsten politischen Bedeutung zu sagen, nicht wahr, Signora?«

Luisa versuchte zu lächeln, ihre Lippen kräuselten sich aber blos, um einen Seufzer entschlüpfen zu lassen.

»Na, vorwärts! Verlassen Sie uns doch, Chevalier!« rief Cirillo. »Die Sache ist ernster, als ich glaubte.«

Und damit drängte er San Felice zu der Thür hinaus, welche er hinter ihm verschloß. Dann kehrte er zu Luisa zurück und ergriff ihre beiden Hände.

»Nun sind wir allein, mein theures Kind,« sagte er zu ihr. »Sie haben geweint?«

»Ja, und viel!«, murmelte sie.

»Seitdem Sie einen Brief von ihm erhalten haben, oder schon vorher?«

»Vorher und seitdem.«

»Ist ihm ein Unfall zugestoßen?«

»Nein, Gott sei Dank!«

»Um so besser, denn er ist eine edle und kräftige Natur, einer jener Menschen, wie wir deren in unserm armen Königreich Neapel niemals genug haben werden. Sie haben also einen andern Grund, bekümmert zu sein?«

Luisa gab keine Antwort, aber ihre Augen wurden wieder feucht.

»Sie haben sich doch nicht etwa über San Felice zu beklagen?« fragte Cirillo.

»O!« rief Luisa, die Hände faltend, »er ist der Engel der väterlichen Güte!«

»Ich begreife. Er reist ab und Sie bleiben da.«

»Er reist ab und ich folge ihm.«

Cirillo betrachtete Luisa mit einem Blick des Erstaunens, welcher allmälig durch Thränen umschleiert ward.

»Und Sie,« sagte er zu ihr, was für ein Engel sind Sie! Ich kenne im ganzen Himmel nicht einen einzigen, dessen Namen Sie nicht würdig wären zu tragen, und welcher würdig wäre, sich den Ihrigen beizulegen.«

»Sie sehen wohl, daß ich kein Engel bin, denn ich weine ja. Die Engel weinen nicht darüber, daß sie ihre Pflicht thun.«

»Thun Sie Ihre Pflicht und weinen Sie dabei, dann ist Ihr Verdienst nur um so größer. Thun Sie Ihre Pflicht, und ich, ich werde es mir zu der meinigen machen, ihm zu sagen, wie sehr Sie ihn lieben, wie viel Sie gelitten haben. Gehen Sie und von Zeit zu Zeit sagen Sie in Ihren Gebeten ein Wort von mir. Stimmen, wie die Ihrige, haben Zutritt zu dem Ohr des Herrn.«

Cirillo wollte ihr die Hände küssen, Luisa aber schlang ihre Arme um seinen Hals.

»O, umarmen Sie mich, wie ein Vater seine Tochter umarmt,« sagte sie zu ihm.

Und während der berühmte Arzt sie mit einem Gemisch von Ehrerbietung und Bewunderung umarmte, murmelte sie ihm leise ins Ohr:

»O, Sie werden es ihm sagen! Sie werden es ihm jagen, nicht wahr?

Cirillo drückte ihr zum Zeichen des Versprechens die Hand.

San Felice trat ein und fand Luisa in den Armen seines Freundes.

»Also,« rief er lachend, »Sie ertheilen Ihren Patienten Consultationen, indem Sie dieselben umarmen, Doctor?«

»Nein, wohl aber nehme ich auf diese Weise Abschied von denen, die ich liebe, von denen, die ich achte, von denen, die ich verehre. Ach, Chevalier! Chevalier! Sie sind ein glücklicher Mann.«

»Und er ist so würdig, es zu sein,« sagte Luisa, indem sie ihrem Gatten die Hand bot.

»Das ist nicht immer ein Grund,« sagte Cirillo. »Und nun, auf Wiedersehen, Chevalier, denn ich hoffe, daß wir uns wiedersehen werden. Gehen Sie und dienen Sie Ihrem Fürsten. Ich für meine Person bleibe und werde mich bemühen, meinem Vaterlande zu dienen.«

Dann faßte er die Hand des Chevalier und die Luisa's zusammen in die seinigen.

»Ich wollte, ich wäre der heilige Januarius,« sagte er zu ihnen, »nicht, um zweimal jährlich ein Wunder zu verrichten, obschon dies in unserer Zeit, wo die Wunder rar sind, etwas ganz Hübsches ist, sondern um Euch beide so zu segnen, wie Ihr es zu werden verdient. Lebt wohl.«

Und mit diesen Worten eilte er davon.

San Felice folgte ihm bis auf die Terrasse, sendete ihm noch ein Lebewohl durch eine Handbewegung nach und kehrte dann zu seiner Gattin zurück.

»Um zehn Uhr,« sagte er zu ihr, »wird der Wagen des Prinzen uns hier abholen.«

»Um zehn Uhr werde ich bereit sein, « antwortete Luisa.

Und sie war es auch in der That.

Nachdem sie dem geliebten Zimmer Lebewohl gesagt, nachdem sie von allen Gegenständen, die sich in demselben befanden, Abschied genommen, nachdem sie eine Locke von ihrem schönen blonden Haar abgeschnitten und nachdem sie mit derselben am Fuße des Crucifixes ein Blatt festgebunden, auf welches sie die fünf Worte geschrieben: »Mein Bruder, ich liebe Dich,« ergriff sie den Arm ihres Gatten und stieg verzweiflungsvoll wie Magdalena, aber rein wie die heilige Jungfrau mit ihm in den Wagen des Prinzen.

Michele setzte sich auf den Bock.

Nina küßte mit vor Freude zitternden Lippen die Hand ihrer Gebieterin. Dann ward der Schlag zugeworfen und der Wagen rollte davon.

Wir haben schon erzählt, was für ein Unwetter tobte. Sturm, Hagel und Regen peitschten die Fenster des Wagens, und der Golf, den man, trotz des Dunkels in einem ganzen Umfange sah, war weiter nichts als eine von wilden Wogen durchschnittene Schaumfläche.

San Felice warf einen erschrockenen Blick auf dieses wüthende Meer, welches Luisa, mit einem weit gewaltigeren Sturme in ihrem Innern kämpfend, nicht einmal sah.

Der Gedanke an die Gefahr, welcher er im Begriff stand das einzige Wesen auszusetzen, welches er auf der Welt liebte, erfüllte ihn mit Schrecken. Er wendete die Augen auf Luisa. Sie saß bleich und unbeweglich in der Ecke des Wagens. Ihre Augen waren geschlossen, und da sie in der Dunkelheit nicht gesehen zu werden glaubte, so ließ sie die Thränen ungehindert über die Wangen herabrollen.

Erst jetzt erwachte in dem Chevalier plötzlich der Gedanke, daß seine Gattin ihm ein großes Opfer bringe, von dem er nichts wisse.

Er ergriff ihre Hand und drückte sie an seine Lippen.

Luisa schlug die Augen wieder auf, lächelte ihren Gatten durch ihre Thränen hindurch an und sagte:

»Wie gut Du bist, mein Freund! Wie liebe ich Dich!«

Der Chevalier schlang einen Arm um Luisas Hals, lehnte ihren Kopf an seine Brust, hob die Capuze ihres Atlasmantels, der ihr Haar bedeckte, küßte dasselbe mit zitternder Lippe und diesmal mit mehr als väterlicher Innigkeit.

Luisa seufzte unwillkürlich.

Der Chevalier that, als ob er es nicht bemerkte.

Es dauerte nicht lange, so langte man an der »Vittoria« an.

Ein mit sechs Ruderern bemanntes Boot wartete und hielt sich mit großer Mühe gegen die Wogen, die es auf den Strand zu werfen drohten.

Kaum sahen die Ruderer den Wagen kommen, so riefen sie, in der Voraussetzung, daß die darin befindlichen Personen die wären, welche sie erwarteten, ihnen zu:

»Schnell! Das Meer geht hoch! Wir können das Boot kaum bemeistern!«

Und in der That brauchte San Felice nur einen Blick auf das Fahrzeug zu werfen, um zu sehen, daß es mit Allen, die sich darin befanden, in Gefahr schwebte, von den Wellen verschlungen zu werden.

Er sagte ein Wort leise zu dem Kutscher, dann ebenso zu Michele, faßte Luisa am Arme und ging mit ihr den Strand hinab.

Ehe sie noch den äußersten Rand desselben erreicht hatten, wurden sie von einer, sich auf dem Sande brechenden Woge mit Schaum bedeckt.

Luisa stieß einen lauten Schrei aus.

Der Chevalier faßte sie in seine Arme und drückte sie an sein Herz. Dann rief er Michele durch einen Wink herbei.

»Warte,« sagte er zu Luisa. »Ich steige zuerst in das Boot, und dann wollen wir, Michele und ich, Dir beim Einsteigen behilflich sein.«

Luisa war in jenem Stadium des Schmerzes angelangt, welches der vollständigen Vernichtung der Kräfte vorangeht und kaum noch dem Willen die Fähigkeit läßt, sich auszudrücken.

Sie sank daher, beinahe ohne es zu bemerken, aus den Armen des Chevalier in die ihres Milchbruders.

Der Chevalier näherte sich entschlossen dem Boot, und in dem Augenblick, wo zwei Ruder es mit Hilfe eines langen Hakens, wenn auch nicht unbeweglich, doch wenigstens dem Strande so nahe als möglich hielten, sprang er hinein und rief:

»Vorwärts!«

»Und die kleine Dame?« fragte der Bootführer.

»Die bleibt,« entgegnete San Felice.

»Allerdings ist auch heute kein Wetter, um Frauen einzuschiffen,« entgegnete der Bootführer. »Vorwärts, Jungens! Frisch und flink!«

Binnen einer Seeunde war das Boot schon zehn Klafter weit von dem Gestade hinweg.

Alles dies war so rasch geschehen, daß Louisa nicht Zeit gehabt hatte, den Entschluß ihres Gatten zu errathen, und folglich auch nicht, ihn zu bekämpfen. Als sie das Boot sich entfernen sah, stieß sie einen lauten Schrei aus.

»Und ich! und ich!« rief sie, indem sie sich Micheles Armen zu entreißen suchte, um ihrem Gatten zu folgen; »und ich! Du verlässest mich also?«

»Was wurde dein Vater sagen, dem ich versprochen habe, Dich zu behüten, wenn er sähe, daß ich Dich einer solchen Gefahr aussetze?« entgegnete San Felice, die Stimme erhebend.

»Aber ich kann nicht in Neapel bleiben!« rief Luisa die Hände ringend. »Ich will fort! Ich will mit Dir gehen. Nimm mich mit, Luciano! Wenn ich bleibe, so bin ich verloren.«

Der Chevalier war schon weit hinweg. Ein Windstoß trug die Worte ans Land.

»Michele, ich vertraue sie Dir an.«

»Nein, nein,« rief Luisa verzweiflungsvoll. »Niemanden als Dir will ich mich anvertrauen, Luciano! Du weißt es also nicht! Ich liebe ihn!«

Und indem sie dem Chevalier diese letzten Worte zuwarf, in welche sie ihre ganze noch übrige Kraft gelegt, schien ihre Seele sie zu verlassen. Sie ward ohnmächtig.

»Luisa! Luisa!« rief Michele, indem er vergebens bemüht war, sie ins Leben zurückzurufen.

»Anankè!«, murmelte eine Stimme hinter Michele.

Der Lazzarone drehte sich herum.

Eine Frau stand hinter ihm und bei dem grellen Scheine eines Blitzes erkannte er die Albaneserin Nanno, welche, als sie den Chevalier nach Sicilien gehen und Luisa in Neapel bleiben sah, auf griechisch jenes geheimnißvolle und furchtbare Wort aussprach, welches wir diesem Capitel zur Ueberschrift gegeben: Verhängniß.

In demselben Augenblicke verschwand das Boot, welches den Chevalier hinwegtrug, hinter den düstern, gewaltigen, massiven Mauern des Castell's d'Uovo.

Viertes Capitel.
Gottes Gerechtigkeit

Am 22. Dezember Morgens, das heißt am Tage nach dem, wo die von uns soeben erzählten Ereignisse stattgefunden, standen zahlreiche Gruppen schon von Tagesanbruch an vor den mit dem königlichen Wappen versehenen Proclamationen, welche während der Nacht an die Mauern, von Neapel angeschlagen worden.

Diese Proclamationen bestanden in einem Edict, welchem zu Folge der Fürst von Pignatelli zum Vicar des Königreichs und Mack zum Generallieutenant ernannt wurden.

Der König versprach mit mächtiger Waffenhilfe von Sicilien zurückzukehren.

Die furchtbare Wahrheit war nun endlich den Neapolitanern offenbar. Stets feig, verließ der König sein Volk, wie er seine Armee verlassen. Nur beraubte er diesmal die Hauptstadt zugleich sämtlicher seit Jahrhunderten gesammelten Meisterwerke und alles Geldes, welches er in den Kassen gefunden.

Das verzweifelte Volk eilte nach dem Hafen.

Die Schiffe der englischen Flotte konnten wegen des widrigen Windes nicht auslaufen. An dem von der Mastspitze flatternden Wimpel erkannte man das, auf welchem sich der König befand. Es war dies, wie schon gesagt, der »Vanguard«.

Gegen vier Uhr Morgens hatte, wie der Graf von Thurn vorausgesehen, der Wind sich wirklich ein wenig gelegt und das Meer war etwas ruhiger geworden.

Die Flüchtlinge hatten, nachdem sie die Nacht in dem Hause des Hafeninspektors zugebracht, ohne sich jedoch erwärmen zu können, sich wieder aufgemacht und waren mit großer Mühe an Bord des Admiralschiffes gelangt.

Die kleinen Prinzessinnen hatten Hunger gehabt, aber weiter nichts bekommen können als Salzfisch, hartes Brot und Wasser.

Die Prinzessin Antonia, die jüngste der Töchter der Königin, erzählt in einem Tagebuche, welches uns vorliegt, diese Thatsache und schildert ihre Angst, so wie die ihrer Eltern während dieser furchtbaren Nacht.

Obschon das Meer noch außerordentlich hoch ging und der Hafen schlecht geschützt war, so stiegen doch der Erzbischof von Neapel, die Barone, die Magistratspersonen und die angesehensten Männer des Volkes in Boote und gingen, nachdem sie die muthigten Bootführer durch reichen Lohn gewonnen, den König zu bitten, nach Neapel zurückzukehren, indem sie zugleich versprachen, für die Vertheidigung der Stadt Alles, bis auf den letzten Blutstropfen, zu opfern.

Der König verstand sich jedoch nur dazu, den Erzbischof Capece Zurlo zu empfangen, welcher trotz aller Bitten nur die Worte von ihm erlangen konnte:

»Da das Land mich verrathen hat, so vertraue ich mich dem Meere an.«

Mitten unter diesen Booten befand sich eins, welches nur einen einzigen Passagier führte.

Dieser Mann war schwarz gekleidet, stützte die gesenkte Stirn in die Hände und richtete von Zeit zu Zeit sein bleiches Gesicht empor, um mit stierem, hohlem Auge zu sehen, ob man sich dem Schiffe näherte, welches dem König zum Asyl diente.

Das Schiff war, wie wir gesagt haben, von Booten umringt, vor diesem einzelnen Boote und diesem einzigen Manne aber wichen die andern zurück.

Es war jedoch leicht zu sehen, daß dies aus Widerwillen und nicht aus Ehrerbietung geschah.

Das Boot und der Mann gelangten an den Fuß der Fallreepstreppe des »Vanguard«, hier aber stand ein englischer Marinesoldat, welcher instruiert war, Niemanden an Bord steigen zu lassen.

Der Mann im Boot bestand darauf, daß man ihm die allen Andern verweigerte Vergünstigung gewähre. Seine Hartnäckigkeit lockte einen Marineofficier herbei.

»Mein Herr,« rief der Mann, welchem man den Zutritt zum Schiffe verweigerte, »haben Sie die Güte, meiner Königin zu sagen, daß es der Marquis Vanni ist, welcher um die Ehre bittet, von ihr auf einige Minuten empfangen zu werden.«

Ein Murren erhob sich in sämtlichen übrigen Booten.

Wenn der König und die Königin, welche sich weigerten, den Magistrat, die Barone und die Erwählten des Volkes zu empfangen, Vanni vorließen, so war dies eine Beleidigung für alle Anderen.

Der Officier hatte das an ihn gestellte Verlangen dem Admiral Nelson gemeldet und dieser, welcher den Fiscalprocurator wenigstens dem Namen nach kannte und wußte, was für Dienste dem Königthum durch diesen Beamten geleistet worden, setzte die Königin in Kenntniß.

Der Officier erschien wieder auf der Höhe der Treppe und rief auf englisch:

»Die Königin ist unwohl und kann Niemanden empfangen.«

Vanni, der nicht englisch verstand oder sich stellte, als verstünde er es nicht, fuhr fort, sich an die Treppe anzuklammern, von welcher die Schildwache ihn fortwährend hinwegstieß.

Es erschien ein zweiter Officier, der ihm die Weigerung der Königin in schlechtem Italienisch notificirte.

»Dann fragen Sie den König!« rief Vanni. »Es ist unmöglich, daß der König, dem ich so treu gedient, die Bitte, die ich ihm vorzutragen habe, zurückweise.«

Die beiden Officiere beriethen sich mit einander über das, was zu thun sei, als gerade in diesem Augenblick der König selbst, indem er dem Erzbischof das Geleite gab, auf dem Deck erschien.

»Sire! Sire!« rief Vanni, als er den König erblickte, »ich bin es! Ihr treuer Diener!«

Der König küßte, ohne Vanni zu antworten, dem Erzbischof die Hand.

Der Erzbischof stieg die Treppe hinunter und wich, am Fuße desselben angelangt, Vanni so viel als möglich aus, um ihn nicht auch nur mit den Kleidern zu berühren.

Diese übrigens eben nicht sehr christliche Zurückhaltung ward von den Booten bemerkt und erweckte in demselben ein Gemurmel des Beifalls.

Der König erhaschte diese Demonstration im Fluge und beschloß, Nutzen davon zu ziehen.

Es war eine neue Feigheit, in dieser Beziehung aber hatte Ferdinand aufgehört zu rechnen.

»Sire,« wiederholte Vanni mit entblößtem Haupte und die Arme nach dem Könige ausstreckend »ich bin es!«

»Wer? Sie?« fragte der König in jenem näselnden Tone, welcher ihm in seinen possenhaften Anwandlungen so viel Aehnlichkeit mit Polichinell gab.

»Ja, ich, der Marquis Vanni.«

»Ich kenne Sie aber nicht,« sagte der König.

»Sire,« rief Vanni, »Sie kennen Ihren Fiscalprocurator, den Berichterstatter der Staatsjunta, nicht mehr?«

»Ah, ganz recht,« entgegnete der König. »Sie waren es, welcher sagte, es würde nicht eher wieder Ruhe im Königreich, als bis man sämtliche Edelleute, sämtliche Barone, sämtliche Beamte, mit einem Worte sämtliche Jakobiner hinter Schloß und Riegel gesetzt hätte. Sie waren es, der die Köpfe von zweiunddreißig Personen verlangte und Medici Canzano und Teodoro Montecelli foltern lassen wollte.«

Von Vannis Stirn rieselte der kalte Schweiß herab.

»Sire!« murmelte er.

»Ja,« antwortete der König, »ich kenne Sie aber blos dem Namen nach. Ich habe niemals mit Ihnen, oder vielmehr Sie haben niemals mit mir zu thun gehabt. Habe ich Ihnen jemals einen einzigen Befehl ertheilt?«

»Nein, Sire, das ist wahr,« sagte Vanni den Kopf schüttelnd, »Alles, was ich gethan, habe ich auf Befehl der Königin gethan.«

»Nun dann,« sagte der König, »wenn Sie etwas wünschen, so wenden Sie sich doch an die Königin und nicht an mich.«

»Sire, an die Königin habe ich mich bereits gewendet.«

»So!« sagte der König, welcher sah, wie sehr seine Weigerung von allen Zuhörern gebilligt ward, und der, indem er durch den Beweis von Undankbarkeit, den er gab, seine Popularität ein wenig wieder gewann, die Unterredung, anstatt sie abzukürzen, zu verlängern suchte; »und?«

»Die Königin hat sich geweigert, mich zu empfangen, Sire.«

»Das ist allerdings unangenehm für Sie, mein armer Marquis; da ich es aber niemals gebilligt habe, daß die Königin Sie empfing, so kann ich sie jetzt nicht tadeln, wenn Sie von ihr nicht empfangen werden.«

»Sire,« rief Vanni im Tone eines Schiffbrüchigen, welcher die Planke, an die er sich an klammert und auf die er seine letzte Hoffnung gegründet, seinen Händen entschlüpfen fühlt, »Sire! Sie wissen, daß ich nach den Diensten, die ich Ihrer Regierung geleistet, nicht in Neapel bleiben kam. Wenn Sie mir das Asyl verweigern, um welches ich Sie auf einem der Schiffe der englischen Flotte bitte, so verurtheilen Sie mich zum Tode, denn die Jakobiner werden mich aufknüpfen.«

»Gestehen Sie,« sagte der König, »daß Sie dies auch mit Recht verdient haben.«

»O, Sire! Sire! Meinem Unglück fehlte nur noch, daß Eure Majestät mich aufgeben.«

»Meine Majestät, lieber Marquis, ist hier nicht mächtiger als in Neapel. Die wahre Majestät ist, wie Sie recht wohl wissen, die Königin. Die Königin ist es, welche regiert. Ich gehe auf die Jagd und amüsiere mich – obschon nicht gerade in diesem Augenblick, wie ich Ihnen wohl nicht erst zu versichern brauche. Die Königin hat den General Mack kommen lassen und ihn zum Oberbefehlshaber ernannt. Die Königin ist es, welche den Krieg führt; die Königin ist es, welche nach Sicilien will. Jedermann weiß, daß ich für meine Person gern in Neapel geblieben wäre. Besprechen Sie sich also mit der Königin; ich kann mich nicht mit Ihnen beschäftigen.«

Vanni faßte mit verzweifelter Geberde sich mit beiden Händen am Kopfe.

»Ah doch!«, hob der König wieder an; »ich kann Ihnen einen guten Rath geben –«

Vanni richtete den Kopf empor und ein Strahl der Hoffnung zuckte über sein aschenfahles Gesicht.

»Ich kann,« fuhr der König fort, »Ihnen den Rath geben, an Bord der »Minerva«, auf welcher der Herzog von Calabrien und seine Familie sich eingeschifft hat, zu gehen und den Admiral Caracciolo zu bitten, Sie mitzunehmen. Was jedoch mich betrifft, lieber Marquis, so wünsche ich Ihnen guten Tag und glückliche Reise.«

Und der König begleitete diesen Wunsch mit einem grotesken Geräusch, welches er mit dem Munde machte und welches täuschend das nachahmte, welches der Teufel, von welchem Dante spricht, macht, indem er sich seines Schwanzes als Trompete bedient.

Trotz des Ernstes der Situation erhob sich hier und da ein Gelächter; einige Rufe: »Es lebe der König!« wurden gehört, einmüthig aber war das Geheul und Gepfeife, von welchem Vannis Entfernung begleitet war.

So wenig Aussicht in dem von dem König gegebenen guten Rathe auch lag, so war er doch eine letzte Hoffnung. Vanni klammerte sich an dieselbe und befahl seinem Bootsführer, nach der Fregatte »Minerva« zu rudern, welche sich anmuthig in einiger Entfernung von der englischen Flotte schaukelte und an ihrem großen Mast den Wimpel trug, welcher verkündete, daß sie den Kronprinzen an Bord hatte.

Drei auf der Campagne stehende Männer verfolgten mit Fernröhren den Auftritt, welchen wir soeben erzählt.

Es war der Kronprinz, der Admiral Caracciolo und der Chevalier San Felice, dessen Fernrohr sich, wir dürfen dies nicht unerwähnt lassen, öfter nach der Richtung der Mergellina, wo das Haus mit dem Palmbaume stand, als nach der Seite von Sorento wendete, in welcher Richtung der »Vanguard vor Anker lag.

Der Kronprinz sah das Boot, welches auf die »Minerva« zugerudert kam, und da er den darin befindlichen Mann lange mit dem Könige sprechen gesehen, so richtete er sein Fernrohr auf diesen Mann mit ganz besonderer Aufmerksamkeit.

Plötzlich erkannte er ihn.

– »Es ist der Marquis Vanni, der Fiscalprocurator!« rief er.

»Was will dieser Elende bei mir?« fragte Caracciolo, die Stirn runzelnd. Dann setzte er, sich plötzlich erinnernd, daß Vanni der treue Diener der Königin war, lachend hinzu: »Ich bitte um Verzeihung, Hoheit. Sie wissen, daß Seeleute und Richter nicht eine und dieselbe Uniform tragen. Es ist möglich, daß ein Vorurtheil mich ungerecht macht.«

»Hier handelt es sich um kein Vorurtheil, mein lieber Admiral,« antwortete der Prinz Francesco; »es handelt sich um das Gewissen. Ich verstehe Alles. Vanni fürchtet sich in Neapel zu bleiben. Er will mit uns fliehen. Er hat den König ersucht, ihn an Bord des »Vanguard« aufzunehmen, und da der König sich geweigert hat, so kommt der Unglückliche nun zu uns.«

»Und welcher Meinung sind Euer Hoheit in Bezug auf diesen Menschen?« fragte Caracciolo.

»Wenn er mit einem schriftlichen Befehl von meinem Vater kommt, mein lieber Admiral, so wollen wir, da wir meinem Vater Gehorsam schuldig sind, ihn aufnehmen. Bringt er dagegen keinen schriftlichen Befehl, so sind Sie an Bord Ihres Schiffes unumschränkter Herr und werden thun, was Ihnen beliebt. Komm, San Felice!«

Und der Prinz ging in die Cajüte des Generals, welche dieser ihm überlassen, hinunter, indem er zugleich seinen Secretär mit sich fortzog.

Das Boot näherte sich. Der Admiral ließ einen Matrosen sich auf die letzte Stufe der Treppe stellen, während er selbst mit verschränkten Armen auf der obersten stehen blieb.

»Boot ahoi!« rief der Matrose.

»Wer da?«

»Gut Freund, « antwortete Vanni.

Der Admiral lächelte verächtlich.

»Zurück!« rief der Matrose. »Sprecht mit dem Admiral.«

Die Ruderer, welche wußten, daß Caracciolo in Bezug auf die Disciplin nicht mit sich scherzen ließ, hielten zurück.

»Was wollen Sie?« fragte der Admiral mit seiner rauhen kurzen Stimme.

»Ich bin –«

Der Admiral unterbrach den Antwortenden.

»Ich will nicht wissen, wer Sie sind, mein Herr, denn dies weiß ich so gut wie ganz Neapel. Ich frage Sie nicht, wer Sie sind, sondern: was Sie wollen?«

»Excellenz, da Se. Majestät der König an Bord des »Vanguard« keinen Platz mehr hat, um mich mit nach Sicilien zu nehmen, so schickt er mich zu Ihnen und läßt Sie bitten –«

»Der König bittet nicht, sondern befiehlt. Wo ist der Befehl?«

»Wo der Befehl ist?«

»Ja, ich frage Sie, wo er ist. Ohne Zweifel hat der König, indem er Sie zu mir schickt, Ihnen einen schriftlichen Befehl gegeben, denn er muß wissen, daß ich ohne einen bestimmten Befehl von ihm einen Elenden, wie Sie, nicht in mein Schiff aufnehmen würde.«

»Einen schriftlichen Befehl habe ich nicht,« sagte Vanni bestürzt.

»Nun dann zurück!«

»Excellenz!«

»Zurück!« wiederholte der Admiral.

Dann wendete er sich zu dem Matrosen, der unten an der Fallreepstreppe stand, und setzte hinzu:

»Wenn Du zum dritten Mal »Zurück« gerufen hast und dieser Mensch entfernt sich nicht, so gibst Du Feuer.«

»Zurück!« schrie der Matrose.

Das Boot entfernte sich.

Nun war alle Hoffnung verloren.

Vanni kehrte nach Hause zurück.

Seine Frau und seine Kinder erwarteten nicht, ihn wiederzusehen. Diese Menschenjäger haben Frauen und Kinder wie andere Männer. Ja, man versichert, daß sie zuweilen der Gattenliebe und väterlicher Gefühle fähig sind.

Weib und Kinder eilten ganz erstaunt über seine Rückkehr auf ihn zu.

Vanni zwang sich, ihnen zuzulächeln, und erklärte, er werde mit dem König abreisen; da aber in Folge des widrigen Windes diese Abreise erst in der Nacht erfolgen würde, so sei er gekommen, um wichtige Papiere zu holen, welche er in seiner Eile, Neapel zu verlassen, nicht Zeit gehabt zusammenzusuchen.

Dies war es, was, wie er sagte, ihn noch einmal zurückgeführt hatte.

Vanni küßte seine Frau und seine Kinder, begab sich in ein Cabinet und schloß sich in dasselbe ein.

Er hatte einen furchtbaren Entschluß gefaßt, nämlich den, sich das Leben zu nehmen.

Er ging eine Weile hin und her, begab sich dann aus seinem Cabinet in sein Schlafzimmer, welches unmittelbar daran stieß, und schwankte zwischen den verschiedenen ihm zu Gebote stehenden Todesarten – dem Strick, der Pistole, dem Rasiermesser.

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Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
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